Venezianische Geheimnisse - Sarah Dunant - E-Book

Venezianische Geheimnisse E-Book

Sarah Dunant

4,4
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Rom, 1527. Die Stadt steht in Flammen. Während spanische und deutsche Truppen Angst und Schrecken verbreiten, gelingt es zwei wagemutigen Bewohnern, ihre Haut zu retten. Die schöne Kurtisane Fiammetta und ihr Begleiter, der Zwerg Bucino, können dank einer List entkommen und fliehen nach Venedig, das verheißungsvoll in der Lagune schimmert.

Die Serenissima bietet die perfekte Kulisse für die unternehmungslustige Kurtisane und ihren erfinderischen Zwerg. Bald stoßen die beiden auf eine junge blinde Frau, die über geheimnisvolle Kräfte verfügt - und auf ein düsteres Geheimnis der Lagunenstadt

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 644

Bewertungen
4,4 (18 Bewertungen)
11
3
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über die Autorin

Sarah Dunant hat sich durch ihre Weltbestseller DAS ZEICHENDER VENUS und VENEZIANISCHE GEHEIMNISSE als Autorin Historischer Romane einen Namen gemacht. Um für ihren neuen Roman, DAS LIEDDER NOVIZIN, zu recherchieren und die Atmosphäre des Klosterlebens in sich aufzunehmen, verbrachte sie einige Zeit in einem italienischen Konvent. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in England und Italien. Besuchen Sie auch Sarah Dunants Internetseite:www.sarahdunant.com

Sarah Dunant

VENEZIANISCHE GEHEIMNISSE

Roman

Aus dem Englischen vonAngelika Beck

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Titel der englischen Originalausgabe

IN THE COMPANY OF THE COURTESAN

Für die Originalausgabe:Copyright © 2005 by Sarah Dunant

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2006/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Renate ReifferscheidLektorat: Daniela Bentele-Hendricks

E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-0438-1

Sie finden uns im Internet unter

www.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Erster Teil

Eins

ROM, 1527 |Meine Herrin, Fiammetta Bianchini, war gerade dabei, sich die Augenbrauen zu zupfen und Farbe in ihre Lippen zu beißen, als das Unvorstellbare geschah: Die Armee des Heiligen Römischen Kaisers schoss eine Bresche in die Mauer der Ewigen Stadt Gottes, in die sich daraufhin eine Flut von halb verhungerten, halb wahnsinnigen, auf Plünderung und Strafgericht versessenen Truppen ergoss.

Italien stellte in jenen Tagen ein Schachbrett mit lebenden Figuren dar, auf dem halb Europa seine ehrgeizigen Ziele verfolgte. Kriegsdrohungen trafen mit der Regelmäßigkeit von Ernten ein. Im Winter geschlossene Allianzen wurden spätestens im Frühling wieder gebrochen, und es gab Orte, wo Frauen jedes zweite Jahr von Soldaten unterschiedlicher Invasionsheere ein Kind zur Welt brachten. In der großen und ruhmreichen Stadt Rom hatten wir uns an ein bequemes Leben unter dem Schutz Gottes gewöhnt, doch die Zeiten waren so wechselhaft, dass selbst der Heiligste aller Väter unheilige Bündnisse einging, und ein Papst mit dem Blut der Medici in seinen Adern neigte stets mehr der Politik zu als dem Gebet.

Noch wenige Tage, ehe das Unheil über uns hereinbrach, wollte man in Rom nicht wahrhaben, dass die Zerstörung der Ewigen Stadt kurz bevorstand. Gerüchte breiteten sich wie üble Gerüche in den Straßen aus. Die Steinmetze, welche die Stadtmauern mit Streben abstützten, erzählten von einem mächtigen Heer, das im Anzug sei. Es bestand überwiegend aus Spaniern, die ihre Grausamkeit an den Barbaren der Neuen Welt ausgelassen und vervollkommnet hatten. Zu ihnen gesellten sich, aufgegeilt von den Körpersäften der Nonnen, die sie auf ihrem Weg nach Süden vergewaltigt hatten, Horden deutscher Lutheraner. Doch als die römische Verteidigungsarmee unter dem Adligen Renzo de Ceri durch die Stadt marschierte, um Freiwillige für die Barrikaden anzuwerben, stellten sie diese blutrünstigen Riesen als Männer hin, die halb tot auf den Knien daherrutschten und mit dem Hintern fast den Boden berührten, um den üblen Fraß und schlechten Wein loszuwerden, den sie sich unterwegs einverleibt hatten. Gemäß dieser Version war der Zustand der Feinde so erbärmlich, dass ihnen, selbst wenn sie die Kraft aufbrächten, ihre Gewehre in Anschlag zu bringen, nicht einmal Artillerie zur Seite stünde. Und – so lautete die Devise – mit genug tapferen Römern auf den Zinnen könnten wir sie, sollten sie die Mauern zu erklimmen versuchen, in unserer Pisse und unserem Spott ertränken. Indes ist, sobald es zum Treffen kommt, die Kriegsbegeisterung immer schnell dahin, dennoch war die Aussicht auf eine mit Urin und Bravour gewonnene Schlacht reizvoll genug, um einige Abenteurer anzulocken, die nichts zu verlieren hatten, so auch unseren Stallburschen, der uns am darauf folgenden Nachmittag verließ.

Zwei Tage später erschien die Armee vor den Toren, und meine Herrin schickte mich los, um ihn zurückzuholen.

Auf den abendlichen Straßen war es nun so still, als habe sich unsere berüchtigte, laute Stadt wie eine Venusmuschel geschlossen. Wer genug Geld besaß, hatte sich bereits eine eigene Privatarmee gekauft, während sich die übrigen Bürger mit verriegelten Türen und schlecht verschlossenen Fenstern begnügen mussten. Trotz meiner kurzen und krummen Beine verfügte ich stets über den Orientierungssinn einer Brieftaube, und so war der verwinkelte Stadtplan Roms seit langem in meinem Kopf gespeichert. Einmal bewirtete meine Herrin einen Kunden, den Kapitän eines Handelsschiffs, der meine Missgestalt mit einem Zeichen besonderer göttlicher Gnade verwechselte und mir ein Vermögen versprach, falls ich für ihn einen Seeweg nach Westindien entdeckte. Aber seit meiner Geburt quälte mich ein immer wiederkehrender Traum, in welchem mich ein großer Vogel mit seinen Krallen packte, in die Lüfte emportrug und über einer riesigen Wasserwüste fallen ließ, weshalb – und aus anderen Gründen – ich mich noch heute vor Wasser fürchte.

Als die Stadtmauer in Sicht kam, konnte ich weder Wacht- noch Beobachtungsposten entdecken. Bisher hatten wir solche Leute nie gebraucht, da unsere weitläufigen Befestigungsanlagen eher das Interesse von Altertumsforschern weckten als das irgendwelcher Generäle. Ich stieg über einen der Ecktürme hinauf, von dessen hohen Treppenstufen mir schnell die Oberschenkel schmerzten, sodass ich kurz stehen blieb, um Atem zu holen. Im steinernen Laufgang der Zinnen saßen, gegen die Mauer gelümmelt, zwei Gestalten. Über mir, über ihnen, war die Luft von einem tiefen Raunen erfüllt, das sich anhörte, wie wenn eine Gemeinde in der Kirche die Litanei herunterbetet. In diesem Moment überstieg meine Neugier meine Angst vor dem Ungewissen, und ich stemmte mich, so gut ich konnte, über schiefes und geborstenes Mauerwerk hoch, bis ich einen Blick über die Brüstung werfen konnte.

Unter mir dehnte sich, so weit das Auge reichte, eine große, dunkle, mit Hunderten flackernder Feuer gespickte Ebene aus. Einem Windhauch gleich drang Raunen durch die Nacht; das Geräusch einer Armee, die sich im Gebet zusammenfand oder im Schlaf mit sich selbst sprach. Bis dahin hatte selbst ich mich noch an die Mär von unserer Unbesiegbarkeit geklammert. Nun wusste ich, wie den Trojanern zumute gewesen sein muss, als sie, von ihren Mauern hinabblickend, die vor ihnen lagernden Griechen sahen, deren im Mondschein glänzende Schilde Rache verhießen. Die Angst kroch mir ins Gedärm, während ich wieder auf den Laufgang hinunterkletterte, und wütend weckte ich die schlafenden Wachtposten mit Fußtritten. An ihren Kapuzen erkannte ich sie als zwei junge Mönche, kaum alt genug, ihre Quasten zu binden, ihre Gesichter blass und abgehärmt. Ich reckte mich zu meiner vollen Größe empor, pflanzte mich vor dem Ersten auf und streckte den Kopf so weit vor, dass ich fast seine Nasenspitze berührte. Er riss die Augen auf und stieß einen Schrei aus, wohl in dem Glauben, der Feind habe ihm früher als erwartet einen grinsenden, dummen Teufel aus der Hölle geschickt. Von seiner Panik aufgeschreckt, erwachte sein Kamerad. Grinsend legte ich die Finger auf den Mund. Diesmal kreischten beide. Ich hatte immer meinen Spaß daran, Geistlichen einen Schrecken einzujagen, doch in diesem Augenblick wäre es mir lieber gewesen, sie hätten Mut zum Widerstand bewiesen. Ein hungriger Lutheraner würde sie mit seinem Bajonett aufschlitzen, bevor sie noch dominus vobiscum murmeln konnten. Sie bekreuzigten sich wie wild, und auf meine Frage hin schickten sie mich nach San Spiritu, wo, wie sie behaupteten, die Abwehrkräfte stärker seien. Die einzige Strategie, in der ich es im Leben zur Vollendung gebracht habe, besteht darin, immer für einen vollen Bauch zu sorgen, aber sogar ich wusste, dass just bei San Spiritu die Stadt am verwundbarsten war, denn Kardinal Armellinis Weingärten reichten bis an die Zinnen heran, und direkt in die Stadtmauer hinein war ein Bauernhaus gebaut.

Unsere Armee, so wie ich sie antraf, drängte sich in kleinen Haufen um das Gebäude zusammen. Zwei behelfsmäßige Wachtposten versuchten, mich am Weitergehen zu hindern; als ich ihnen jedoch sagte, ich sei hier, um mitzukämpfen, mussten sie so herzhaft lachen, dass sie mich durchließen, wobei mir der eine mit einem Fußtritt weiterhalf, der meinen Hintern allerdings um Längen verfehlte. Die eine Hälfte der Männer im Lager war wie betäubt vor Angst und die andere ganz benommen vom vielen Trinken. Den Stallburschen fand ich nicht, doch was ich sah, bestärkte mich in der Überzeugung, dass sich hier mit einer einzigen Bresche die Stadt so leicht öffnen würde wie die Beine einer Ehefrau für ihren schmucken Nachbarn.

Wieder zu Hause, traf ich meine Herrin hellwach in ihrem Schlafzimmer an und erzählte ihr, was ich gesehen hatte. Aufmerksam, wie sie es stets zu tun pflegte, hörte sie mir zu. Wir plauderten ein Weilchen und verfielen dann, als uns die Dunkelheit einhüllte, in Schweigen. Unsere Gedanken schweiften von unserem gegenwärtigen Leben voller Wärme, Wohlstand und Sicherheit zu den Schrecken und Gräueln einer Zukunft, die wir uns kaum vorstellen konnten.

Zum Zeitpunkt des ersten Angriffs im Morgengrauen waren wir schon bei der Arbeit. Noch vor Tagesanbruch hatte ich die Diener geweckt, und sie befahl ihnen, den großen Tisch im goldenen Zimmer zu decken. Den Koch wies sie an, das fetteste Schwein zu schlachten und sogleich ein Festmahl zuzubereiten, wie es gewöhnlich nur Kardinälen und Bankiers aufgetischt wurde. Zwar wurde hie und da unwilliges Murren laut, doch ihre Autorität – oder möglicherweise die allgemeine Verzweiflung – war so groß, dass in diesem Augenblick jeder Plan, und mutete er noch so unsinnig an, Trost zu versprechen schien.

Die protzigeren Insignien des Reichtums hatte man bereits aus dem Haus geschafft: die prachtvollen Achatvasen, die Silberteller, das Majolikageschirr, die Trinkgläser aus vergoldetem Muranokristall und die besten Wäschestücke waren drei oder vier Tage zuvor in Sicherheit gebracht worden. Die Dienerschaft hatte die kostbaren Stücke zuerst in die bestickten Seidenvorhänge und diese wiederum in die schweren flämischen Wandteppiche gewickelt und in zwei Truhen verstaut. Die kleinere, reich mit Blattgold und Einlegearbeit verzierte, musste mit Sackleinen vor der Feuchtigkeit geschützt werden. Der Koch, der Stallbursche und beide Zwillinge mussten mit anpacken, um sie auf den Hinterhof zu schleppen, wo unter den Steinplatten neben den Latrinen der Dienerschaft ein großes Loch ausgehoben worden war. Nachdem sie vergraben und mit einer Schicht frischer Fäkalien bedeckt waren (die Angst ist ein hervorragendes Abführmittel), ließen wir die fünf, einige Tage zuvor zu einem stark überhöhten Preis gekauften Schweine ins Freie, die sich vor Behagen, wie es nur Schweine im Mist empfinden können, darin suhlten und grunzten.

Da nun nichts mehr im Hause auf übermäßigen Reichtum hindeutete, nahm meine Herrin ihre prächtige Halskette – sie hatte sie beim Fest im Hause Strozzi getragen, wo Kerzen, die in Rippenknochen von Skeletten staken, die Säle erleuchteten und der Wein, wie viele hinterher schworen, so schwer und dick wie Blut gewesen sei –, und schenkte jedem Diener zwei große Perlen. Die übrigen versprach sie ihnen für den Fall, dass die Truhe, wenn das Schlimmste vorüber sei, ungeöffnet zum Vorschein komme. Treue ist eine Ware, die im Wert steigt, wenn die Zeiten blutig werden. Als Arbeitgeberin war Fiammetta Bianchini gleichermaßen geliebt wie gefürchtet, auf diese Weise packte sie jedermann bei seiner Ehre und bei seiner Treue zu ihr. Wo sie ihren restlichen Schmuck versteckt hatte, das freilich verriet sie nicht.

Was nach all diesen Vorkehrungen übrig blieb, war ein schlichtes Haus von bescheidenem Wohlstand mit etwas Zierrat, zwei Lauten, der Skulptur einer frommen Madonna im Schlafzimmer und einem Gemälde auf Holz im Salon, das füllige Nymphen darstellte; ausreichend Dekoration, um ihrem zweifelhaften Gewerbe Rechnung zu tragen, doch ohne den Ruch der Ausschweifung, der von vielen Palazzi in unserer Nachbarschaft ausging. Als wenige Stunden später ein gewaltiger Schlachtruf ertönte und eine Kirchenglocke nach der anderen zu läuten begann, um uns zu verkünden, dass unsere Bollwerke durchbrochen worden waren, drang aus unserem Haus lediglich der Duft eines langsam im eigenen Saft schmorenden Schweins.

Jene, die den Ansturm der Feinde überlebten und über das Geschehen berichten konnten, sprachen mit einer Art Ehrfurcht von diesem ersten Durchbrechen der Stadtmauer. Während der Kampf von Stunde zu Stunde erbitterter tobte, sei – so erzählten sie – aus den Sümpfen hinter den feindlichen Linien undurchdringlicher, finsterer Nebel aufgestiegen, der die dicht an dicht gedrängten Angreifer nahezu unsichtbar machte, sodass unsere Verteidiger nicht richtig auf sie zielen konnten, bis die Feinde, wie eine aus den Dunstschwaden hervorbrechende Armee von Geistern, den Unseren bereits im Nacken saßen. Danach war alles, was immer wir an Mut aufbringen mochten, den Heerscharen, die sie aufboten, nicht mehr gewachsen. Um unsere Schmach zu schmälern, brachten wir ihnen fürwahr eine Schlappe bei, als der Pfeil aus einer Armbrust ihrem Anführer, dem großen Karl von Bourbon, ein Loch von der Größe der Eucharistiehostie in die Brust schoss. Später rühmte sich der Goldschmied Benvenuto Cellini gegenüber jedem, der es hören wollte, seines großartigen Treffers. Allerdings brüstete sich Cellini mit allem und jedem. Wenn man ihn reden hörte – und er schwatzte unentwegt, in den Häusern der Vornehmen ebenso wie in den Spelunken der Vorstädte –, hätte man meinen können, die Verteidigung der Stadt habe allein ihm oblegen. Unter diesem Aspekt sollten wir ihm die Schuld an dem geben, was folgte, denn ohne Führer konnte nichts mehr dem Wüten des Feindes Einhalt gebieten. Seit der ersten Bresche fluteten die Angreifer in die Stadt wie eine gewaltige Welle von Kakerlaken. Wären die Brücken über den Tiber, wie De Ceri, der Kommandant unserer Verteidigungstruppen, geraten hatte, zerstört worden, hätten wir die Eindringlinge in Trastevere in die Falle gelockt und sie weidlich daran gehindert, sich zum Kampf neu zu formieren. Aber Rom hatte die Bequemlichkeit dem gesunden Menschenverstand vorgezogen, und da gleich zu Beginn der Ponte Sisto eingenommen war, konnte nichts mehr die Feinde aufhalten.

So begann am sechsten Tag des Monats Mai im Jahre des Herrn 1527 die zweite Plünderung Roms.

Was nicht ausgelöst oder weggetragen werden konnte, wurde hingeschlachtet oder zerstört. Nun wird gemeinhin behauptet, es seien die lutherischen Landsknechtshaufen gewesen, die am schlimmsten wüteten. Mochte auch der Heilige Römische Kaiser Karl V. der eingeschworene Verteidiger Gottes sein, so war er sich doch nicht zu gut dafür, die Schwerter von Ketzern zu nutzen, um sein Heer zu vergrößern und seine Feinde in Angst und Schrecken zu versetzen. Für sie bot Rom, die eigentliche Heimat des Antichristen, reiche Beute, und als Söldner, die der Kaiser geflissentlich zu bezahlen vergessen hatte, gierten sie nicht in geringerem Maße darauf, sich die Taschen zu füllen, als etwas für ihr Seelenheil zu tun. In ihren Augen war jede Kirche ein Sumpf von Korruption, jedes Nonnenkloster eine Pfründe für die Huren Christi, jedes Waisenkind, das auf ein Bajonett gespießt wurde (die Körper waren zu klein, um einen Schuss darauf zu verschwenden), eine der Ketzerei entkommene Seele. Das mag zwar alles zutreffen, doch mischten sich ebenso viele spanische wie deutsche Flüche unter die Schreie, und ich möchte wetten, dass von dem Tafelgold, den Gobelins und anderen Beutestücken, die schließlich beim Abzug der Feinde auf Karren und Maultieren aus Rom fortgeschleppt wurden, nicht weniger nach Spanien als nach Deutschland ging.

Hätten sie sich beim ersten Angriff mehr beeilt und weniger geplündert, wäre ihnen vielleicht auch der allergrößte Fisch, der Heilige Vater höchstpersönlich, ins Netz gegangen. Doch als sie endlich zum Vatikanspalast vordrangen, hatte Papst Klemens VII. längst seine Soutane geschürzt (um zweifellos unter seinem dicken Bauch eine ganze Schar von Kardinälen eingequetscht zu finden) und war mit einem Dutzend Säcke voll hastig zusammengeraffter Juwelen und heiliger Reliquien so schnell, als sei ihm der Teufel auf den Fersen, zur Engelsburg gerannt. Hinter ihm – die Feinde waren schon in Sicht – hob sich die Zugbrücke, an deren Ketten sich noch immer etliche Priester und Höflinge festklammerten, bis man sie herunterschütteln und zusehen musste, wie sie im Wassergraben ertranken.

Angesichts des nahen Todes gerieten die noch Lebenden in Panik über den Zustand ihrer Seelen. Einige Geistliche, die Stunde ihres Gerichts vor Augen, erteilten Absolutionen und Ablässe gratis, doch es gab auch andere, die sich ein kleines Vermögen verdienten, indem sie die göttliche Vergebung zu exorbitanten Preisen verkauften. Vielleicht sah ihnen Gott bei der Arbeit zu, denn als die Lutheraner sie in den dunkelsten Ecken der Kirchen aufspürten, in die sie sich, ihre prall gefüllten Soutanen fest an sich gepresst, wie Ratten verkrochen hatten, entlud sich über ihnen deren Zorn nur umso gerechter, wenn sie zum einen wegen ihres Reichtums, zum anderen wegen ihrer Dreistigkeit aufgeschlitzt wurden.

Während in der Ferne der Kampfeslärm weiter anschwoll, polierten wir in unserem Haus fleißig Gabeln und rieben die zweitbesten Gläser blank. In ihrem Schlafzimmer legte meine Herrin, sorgfältig wie eh und je, wenn es um ihre Schönheit ging, letzte Hand an ihre Toilette und kam dann nach unten. Der Blick aus ihrem Schlafzimmerfenster erhaschte nun die merkwürdige Gestalt, die eilends durch die Straßen glitt, den Kopf dabei häufig nach hinten wendend, als fürchte sie die Welle, die sie zu überrollen drohte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Schreie so nahe kamen, dass man das Leid Einzelner unterscheiden konnte. Es war Zeit, unsere Verteidigungstruppen zu versammeln.

Ich hatte die Diener gerade im Esszimmer zusammengerufen, als sie eintrat. Ihr Aussehen werde ich später schildern: Sie alle waren zur Genüge vertraut mit der starken Faszination, die von ihrer Erscheinung ausging, und in diesem Augenblick mehr daran interessiert, die eigene Haut zu retten, als in Ehrfurcht vor ihr zu erstarren. Mit einem einzigen kurzen Blick erfasste sie die Situation. Links von ihr kauerte, die Arme so fest um sich geschlungen, dass sie schier keine Luft mehr zum Atmen zu bekommen schien, ihre Zofe Adriana. Baldesar, der Koch, stand in der Tür, sein Gesicht und seine Oberarme glänzten von Schweiß und vom Fett des Bratspießes, während sich am Ende des frisch gedeckten Tisches die schlanken Zwillingsknaben eingefunden hatten. Beide hielten einen Glaspokal in der rechten Hand und unterschieden sich äußerlich nur durch das Ausmaß ihres Zitterns.

»Wenn du den Pokal nicht ruhig halten kannst, dann stell ihn ab, Zaccano«, sagte meine Herrin mit fester, leiser Stimme. »Unsere Gäste werden es dir nicht danken, wenn sie sich auf Glasscherben setzen müssen.«

Zaccano seufzte, während sich seine Finger vom Stiel lösten und den Pokal in Giacomos geöffnete Linke fallen ließen, der wie stets im Voraus zu wissen schien, was sein Bruder tun würde.

»Bravo, Giacomo. Du wirst den Wein kredenzen.«

»Herrin –«

»Baldesar?«, erwiderte sie fragend, ohne ihn richtig anzusehen.

»Im Keller gibt es drei Gewehre. Und in der Küche einen Kasten mit Messern.« Er wischte sich die Hände an seiner Hose ab. »Wenn jeder von uns eines nähme –«

»Wenn jeder von euch eines nimmt, kannst du mir dann sagen, wie du das Schwein tranchieren willst?« Mit diesen Worten drehte sie sich um und sah ihm in die Augen.

Er hielt ihrem Blick stand. »Erlaubt, gnädige Frau, das ist Wahnsinn. Hört Ihr denn nicht, was da draußen vorgeht? Die Schweine sind jetzt wir. Die spießen uns auf wie Fleischstücke.«

»Das mag wohl sein. Doch trotz ihrer miserablen Manieren, traue ich selbst ihnen nicht so viel Kühnheit zu, ihren Hunger dadurch zu stillen, dass sie uns, nachdem sie uns umgebracht haben, braten und essen.«

Neben ihr brach Adriana in Wehklagen aus und sank zu Boden. Ich wollte ihr beistehen, doch Fiammetta gebot mir mit einem kurzen Blick Einhalt.

»Steh auf, Adriana!«, herrschte sie das Mädchen an. »Es ist allseits bekannt, dass man einer Frau, die auf dem Boden liegt, viel leichter die Röcke hochheben kann. Also steh auf. Sofort!«

Adriana erhob sich, das Wimmern blieb ihr im Halse stecken. Das Zimmer vibrierte von ihrer Angst.

Fiammetta machte auf dem Absatz kehrt, und ich beobachtete, wie in ihr Wut und Angst aufeinander prallten. »Was ist los mit euch?« Sie schlug mit der Hand auf den Tisch, dass das Tafelgeschirr klapperte. »Denkt doch einmal nach. Sie können uns schließlich nicht allesamt massakrieren. Die überleben, werden ihre Haut ebenso durch List wie mithilfe plumper Küchenmesser retten – ich nehme dir das nicht übel, Baldesar, weil deine Saucen das Gemetzel, das du beim Tranchieren anrichtest, wieder gutmachen.

Wenn sie hierher kommen, werden wohl einige von ihnen noch immer nach Vergewaltigung und Blutvergießen dürsten, es wird aber auch andere geben, die genug davon haben. Die Hölle brät sogar ihre Teufel, und diese Mordlust kann Leute sowohl krank als auch verrückt machen. Also werden wir sie vor sich selbst retten. Wir wollen ihnen unser Haus öffnen; ihnen Bequemlichkeit und Gastfreundschaft anbieten, eine Kunst, in der wir ziemlich geübt sind. Und dafür werden sie uns, wenn wir Glück haben, am Leben lassen, mögen sie auch das Tafelsilber, die Gläser, Teppiche, Schmuckstücke und alles andere, das sie von den Wänden reißen können, mitnehmen – ja, wir werden es ihnen sogar anbieten. Nicht zuletzt deshalb, weil ein Haus, in das man nach jahrelangem Reisen heimkehrt, ein großer Trost und zugleich ein sicherer Ort zum Verstecken der Beute sein kann. Und eine gute Hure wird nur von einem guten Koch übertroffen. Dieses Haus verfügt über beides, vergesst das nicht.«

In der Stille, die ihren Worten folgte, meinte ich fast den Applaus eines anderen Publikums zu hören, einem aus Klerikern, Bankiers oder Gelehrten, einflussreichen Männern, die, nachdem sie sich satt gegessen und ihren Durst gelöscht haben, die Kunst der Konversation mit einer schönen Frau in vollen Zügen genießen, insbesondere wenn die Wortgewandtheit mit Anzüglichkeiten gewürzt ist – ein Talent, durch das sich meine Herrin auszeichnete. Jetzt aber spendete niemand Beifall. Glaubten sie ihr? Nach meinem Geschmack hatte sie recht überzeugend geklungen. Doch das machte nichts aus. Hauptsache, sie blieben. Noch immer regte sich niemand.

Sie holte tief Luft. »Also – für diejenigen, die gehen wollen: Dort ist die Tür.«

Sie wartete.

Schließlich wandte sich der Koch um und grummelte: »Ich bin ganz allein in der Küche. Wenn Ihr ein gutes Mahl wünscht, muss mir das Mädchen zur Hand gehen.«

»Sie ist noch nicht fertig. Du wirst dich mit einem der Jungen begnügen müssen. Zaccano. Beruhigt euch. Ihr werdet nicht lange getrennt sein. Giacomo, du machst die Kerzen fertig. Bei Einbruch der Dämmerung möchte ich alle in den Kerzenhaltern haben. Du, Adriana, besorgst dir das hübscheste Kleid. Nimm das blaue mit dem hohen Kragen aus meiner Truhe und ein Paar dazu passender Satinslipper. Leg ein bisschen Rouge auf – nur ganz wenig, hörst du. Dir geht es um Freundlichkeit und nicht um Verführung. Und brauch nicht den ganzen Tag dazu.«

Das Mädchen, nunmehr hin- und hergerissen zwischen Freude und Furcht, lief zur Treppe. Während sich das Zimmer leerte, setzte sich Fiammetta am Kopfende des Tisches nieder. Als jetzt das Licht auf ihr Gesicht fiel, sah ich feine Schweißperlen auf ihrer Haut.

»Das war gut gemacht«, sagte ich ruhig. »Nun wird niemand mehr gehen.«

Sie zuckte die Achseln und schloss die Augen. »Dann werden sie wahrscheinlich hier sterben.«

Wir saßen einen Moment lang da und lauschten. Draußen stieg der Geräuschpegel. Bald würde aus diesen wenigen verlorenen Seelen eine Flut von Tollwütigen werden.

Trotzdem gab es Bedenken. Ich sprach sie einfach aus: »Können wir das tun?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wer weiß das schon? Wenn sie wirklich so ausgehungert und erschöpft sind, wie behauptet wird, haben wir vielleicht eine Chance. Lass uns darum beten, dass wir Spanier ins Haus bekommen. Ich habe noch keinen von ihnen kennen gelernt, der nicht mehr Geschmack am Leben als Respekt vor dem Tod gehabt hätte. Falls wir es jedoch mit den Lutherischen zu tun bekommen, dann sollten wir lieber unsere Rosenkränze festhalten und auf das Martyrium hoffen. Aber zuvor werde ich mir den Magen mit Juwelen füllen.«

»Und was dann? Sie in der Hölle ausscheißen und die Wachen damit bestechen?«

Ihr Lachen flackerte auf wie ein Hoffnungsschimmer. »Du vergisst, dass ich die Kurtisane eines Kardinals bin, Bucino. Ich habe hinreichend im Luxus geschwelgt, um zumindest im Fegefeuer zu landen.«

»Und wo bleibt dann der Zwerg der Kurtisane des Kardinals?«

»Der so klein ist, dass man ihn unter einem Büßerhemd verstecken kann«, und während sie das sagte, erhob sich aus dem Lärm draußen kurz eine einzelne Stimme, die abgehackt, aber verstehbar rief: »Casas nobles … ricas. Estamos aqui.«

Der Feind war nun, wie es schien, da. Wenn Gott Gnade schenkt, sagt der Volksmund, dann schenkt der Teufel Glück und sorgt für die Seinen. Ich weiß nur, dass Rom an jenem Tag ein Spielplatz des Schicksals war, und als man die Leichen in die Gruben stapelte, befanden sich darunter ebenso viele sinnlos abgeschlachtete Unschuldige, wie es Schuldige gab, die überlebten. Ich überlasse es anderen, zu beurteilen, welcher Kategorie wir angehörten.

Sie stand auf und strich ihre Röcke glatt, eine elegant gekleidete Frau, die sich erhob, um ihren Gästen entgegenzugehen. »Wollen wir hoffen, dass ihr Hauptmann gleich vorne mit dabei ist. Ich möchte meinen besten Goldbrokat nicht an einen wilden Söldnerhaufen verschwenden. Du wirfst am besten mal einen prüfenden Blick auf Adriana. Wenn sie wie jemandes Tochter aussieht, wird sie vielleicht länger am Leben bleiben als eine Dienerin. Allerdings würde uns auch eine allzu augenscheinliche Jungfrau zugrunde richten.«

Ich ging zur Treppe.

»Bucino.«

Ich wandte mich um.

»Kannst du noch jonglieren?«

»Wenn man etwas früh genug lernt, vergisst man es nie mehr«, erwiderte ich. »Womit soll ich jonglieren?«

Sie lächelte: »Wie wäre es mit unseren Leben?«

Sie brauchten länger, um zu uns zu gelangen, als wir gedacht hatten. Vergewaltigen und Plündern ist eben ein zeitraubendes Geschäft, und es gab so viele Frauen und Wertgegenstände, deren sie sich erst bemächtigen mussten. Es dämmerte bereits, als ich auf dem Dach stand und beobachtete, wie sie unten in die Straße strömten. Grölend bog eine Vorhut von neun oder zehn Mann um die Ecke. Halb entkleidet, die Münder aufgerissen wie schwarze Gruben, sprangen sie mit gezückten Schwertern wild hin und her, als seien sie Marionetten des Teufels und tanzten nach seiner Melodie. Ihnen folgte ein weiteres Dutzend Soldaten, die einen hoch beladenen Karren zogen, und etwas weiter dahinter kam ein Mann geritten, der möglicherweise ihr Hauptmann war, sie aber nicht mehr anführte.

Als sie unsere Piazza erreichten, hielten sie kurz an. Die Stadt war voller reicher Häuser, alle mit verriegelten Türen und geschlossenen Fensterläden. Einige der Männer schwankten auf den Beinen. Rom bot besseren Wein als die traurige Gegend, die sie verwüstet und geplündert hatten, und inzwischen hatten sie wohl ganze Fässer davon in sich hineingeschüttet. Ein vierschrötiger Kerl, der weiter hinten ging, brüllte etwas in die Menge, griff sich eine Axt von dem Karren, riss die Arme hoch in die Luft und taumelte ein wenig beim Laufen, ehe er sie in einen Fensterrahmen des Hauses des Gewürzhändlers an der Ecke hieb. Man hörte das Krachen durch das Gebäude hallen und dann die aufgeregten Schreie, mit denen seine Bewohner darauf reagierten. Wie ein Licht die Motten zog das Geschrei die übrigen Soldaten an. Ein Dutzend von ihnen brauchte vielleicht zehn Minuten, um sich gewaltsam Zugang zu verschaffen. Andere weiter hinten begutachteten die übrigen Häuser rund um die Piazza. Als der Offizier sich anschickte, vom Pferd zu steigen, kletterte ich vom Dach, um es meiner Herrin zu künden. Doch der Innenhof unter mir war bereits leer; gerade noch rechtzeitig kehrte ich zu meinem früheren Standort auf dem Dach zurück, um mitzubekommen, wie das große Haustor aufgeschlossen wurde und meine Herrin hinaustrat in die Dämmerung, die sich über den Platz senkte.

Was sahen sie, als die Türflügel aufschwangen, um Fiammetta Bianchini ihren Blicken preiszugeben? Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie in ihrem Leben mehr als genug Komplimente bekommen, darunter viele von solcher Qualität, dass sie in Truhen unter dem Schweinemist vergraben wurden. Doch jetzt wollen wir es schlicht halten wie die Männer, denen sie entgegentrat. Sie stand in voller Größe da, so, wie es nur reichen Frauen eigen ist, die es gewöhnt sind, den Kopf über die Menge zu erheben. Und sie war schön. Ihre Haut war glatt und blass wie Alabaster, und das golddurchwirkte Mieder offenbarte von ihren Brüsten ebenso viel, wie es verhüllte; die vollkommene züchtige Verführung in einer Stadt mit reichen Junggesellen, die Tugend heucheln mussten, selbst wenn ihnen beim Bummeln durch die Straßen die Schwänze wie Fahnenstangen unter ihren Priesterröcken standen.

Ihre Augen waren grün wie junge Triebe, die Lippen voll und rot, und auf ihren Wangen lag ein rosiger Hauch wie bei einem Pfirsich. Doch es war ihr Haar, das sie so einzigartig machte. Denn meine Herrin hatte eine Mähne wie ein goldener Fluss bei Frühjahrshochwasser, von einer Farbe so satt wie Ströme weißen Goldes und Sonnenblumenfelder, vermengt mit Honig und Kastanienrot, so eigenartig und zugleich natürlich, dass sie sie unverkennbar einer Gabe Gottes und keiner Apothekertinktur verdankte. Da sie weder einen Ring am Finger noch einen Ehemann in ihrem Haus hatte, trug sie ihr Haar, wenn sie Gäste bewirtete, offen, sodass eines Abends, als sie die Laune packte und sie den Kopf vor lauter Lachen oder gespieltem Groll zurückwarf, dieser üppige Vorhang aus Haaren herumwehte und jeder in ihrer unmittelbaren Nähe hätte schwören mögen, die Sonne sei eigens für ihn aus dem Dunkel hervorgetreten.

Ja, und so wurden, als sie in der Tür erschien, diese vierschrötigen, nach Tod und Schnaps stinkenden Bauern am weiteren Vorrücken gehindert. In Rom gab es damals unzählige reizende Frauen, viele, die durch ihre lockeren Sitten noch begehrenswerter wurden, und jede von ihnen wäre für Männer, die zu verdursten drohten, wie ein kühler Schluck gewesen. Doch wenige verfügten über den Geist und den scharfen Verstand meiner Herrin oder besaßen ihre Schlauheit, wenn es zu kämpfen galt.

»Guten Abend, Soldaten aus Spanien. Ihr habt einen langen Weg hinter euch und seid in unserer großen Stadt willkommen.« Ihre Stimme war fest und ihr Wortschatz dank des Umgangs mit einer stattlichen Anzahl spanischer Kaufleute und Wanderkleriker geschliffen. Eine gute Kurtisane versteht es, in vielen Sprachen zu verführen, und Rom hatte die besten von ihnen geschult. »Wer ist euer Hauptmann?«

Der Mann hoch zu Ross auf der anderen Seite des Platzes wandte sich um, aber andere standen näher bei ihr. Nun, da ihre Stimme den Bann gebrochen hatte, traten sie auf sie zu, und einer, der vorneweg ging, grinste und streckte die Arme in frohlockendem Flehen nach ihr aus, wobei das Messer in seiner Hand seinen Charme noch unwiderstehlicher machte.

»Ich bin der Hauptmann«, rief er mit schwerer Stimme, während hinter ihm die Männer ausgelassen jauchzten und prusteten. »Und Ihr müsst die Hure des Papstes sein.«

Nun war er fast bei ihr. Sie wich nicht von der Stelle, richtete sich nur noch ein wenig höher auf, bis sie ihn um vielleicht zwei Zoll überragte. »Die Huren, mein Herr, habt Ihr bereits gehabt. Dies ist das Haus von Fiammetta Bianchini. Es bietet Männern, die wahre römische Gastfreundschaft noch nicht erlebt haben, Essen und Unterkunft.«

Er grunzte und starrte sie blöde an, als brächten ihn ihre Worte durcheinander. Hinter ihm rückten drei weitere Männer nach vorn, die die Beute rochen. Der Hauptmann war nun endlich abgesessen und bahnte sich seinen Weg durch den Menschenknäuel, der sich inzwischen gebildet hatte. Neben mir auf dem Dach begannen Giacomos Hände so stark zu zittern, dass ich mir wegen des Gewehrs, das er umfasst hielt, Sorgen machte. Man hätte große Mühe, in Rom zwei hübschere Brüder zu finden, aber der Gleichklang ihrer Zwillingscharaktere war derart, dass es stets bedenklich war, sie zu trennen. Ohne den Stallburschen blieb uns jedoch keine Wahl.

Ein anderer Soldat, dessen Gesicht vom Ruß des Schießpulvers geschwärzt war, stieß seinen Kameraden zur Seite und pflanzte sich direkt vor ihr auf. Seine Hand griff nach ihrem Körper. Sie stand stocksteif da, bis die Hand um knapp einen Zoll ihre Brust berührte, dann riss sie mit der Geschwindigkeit einer Abendschwalbe ihre Rechte hoch und schlug die seine beiseite. Er jaulte auf, nicht weniger vor Empörung als vor Schmerz.

»Es tut mir Leid, mein Herr«, sagte sie, und geschwind wie ein Wiesel hatte sie mit der linken Hand ein besticktes Seidentaschentuch aus ihrer Rocktasche gezogen, das sie ihm nun hinhielt. »Eure Hände sind schmutzig. Wenn Ihr sie abgewischt habt, wird es mir eine Freude sein, Eure Bekanntschaft zu machen. Bitte – behaltet das Tuch.«

Er nahm es, und nachdem er sich die Hände abgewischt hatte, wandte er sich ihr wieder zu. Ich fand nie heraus, ob er es ihr zurückgeben oder noch etwas hinzufügen wollte, weil in diesem Moment meine Hand von der Dachkante rutschte und Giacomo meine nervöse Bewegung als Zeichen zum Angriff missverstand. Der Schuss krachte gnädigerweise hoch über den Köpfen der Männer in die Luft. Sogleich drehten sich aller Augen nach oben. Entlang der Dachkante richteten sich drei Gewehre und ein halbes Dutzend, recht und schlecht als Gewehrläufe hergerichtete Besenstiele nach unten auf die Straße. Während nun der Rauch des Büchsenschusses in der Luft hing, mochte es gar scheinen, als werde das Haus verteidigt. Sie und ich konnten uns seither nicht über diesen Vorfall einigen. Ich behaupte, der Schuss habe ihnen Zeit zum Überlegen gegeben, obwohl sie das Spiel noch nicht verloren hatte. Sie ist der Meinung, dass sie die Männer auch ohne diesen Schuss für sich gewonnen hätte. Jedenfalls dauerte das Zögern lange genug, damit sich der Hauptmann nach vorne durcharbeiten konnte.

Er war ebenso groß wie sie, aber sehr mager, auch sein Gesicht bestand fast nur aus Haut und Knochen, und obwohl er, nachdem er sich gewaschen hatte, zehn Jahre jünger wirkte, wurde der Blick seiner Augen nie weicher. Töten ist ein Geschäft für Erwachsene, selbst wenn die Jungen es verrichten. Ein primitiver Stadtplan steckte in seinem Gürtel. Nach der Größe des Karrens zu urteilen, hatte er ihm und seinen Leuten zu besserer Schatzsuche verholfen als jene, die in blinder Raserei zu Werke gingen. Er und seine Männer hatten schon mehr als genug Beute gemacht, um nun als reich zu gelten, doch seine Stellung und seine Gewitztheit gewährten ihm sicher Zugriff auf die größten Kostbarkeiten. Und eine derselben stand nun vor ihm.

»Mein Herr«, sagte sie lächelnd. »Bitte, vergebt meinen Dienern. Sie sind übereifrig im Beschützen ihrer Herrin. Ich bin Signora Fiammetta Bianchini, und es ist mir ein Vergnügen, Euch und Eure Männer zu einem Festmahl in meinem Hause einzuladen. Bucino!« Doch während sich ihre Stimme zu mir erhob, wandte sie die Augen keine Sekunde lang vom Gesicht des Hauptmanns. »Hörst du mich? Wir sind unter Freunden und benötigen jetzt keine Waffen mehr. Werft sie vom Dach herab und geht wieder in die Küche.«

Wir taten, wie uns befohlen. Drei alte Gewehre und vier Besenstiele schlugen auf den Pflastersteinen unten auf; die Soldaten brüllten vor Lachen über unseren jämmerlichen Trick.

»Meine Herren – wir können Euch Spanferkel mit Trüffelsauce, gebratenen Kapaun, gesalzenen Hecht und eine Auswahl feinster Würste anbieten – Ihr würdet nicht glauben, wie groß sie sind …«

Das Gelächter der Männer ging in Freudengeschrei über, und meine Herrin lachte mit ihnen, wenn auch nicht so sehr, dass sie die Beute vor sich aus den Augen ließ. »Gefolgt von Marzipan, Milchpudding und gezuckerten Früchten und dazu die erlesensten Tropfen aus unserem Keller. Wir haben die besten Bienenwachskerzen mit Duftölen, Unterhaltung mit sanfter Lautenmusik, wie sie selbst den Heiligen Vater entzückt, und so Ihr Euch satt gegessen und Euren Durst gestillt habt, könnt Ihr auf sauberer Wäsche über frischem Stroh in den Zimmern und in den Ställen darunter in den Schlaf sinken. Wohingegen für Euch, Hauptmann …«, und hier hielt sie eine Sekunde lang inne, »ein geschnitztes Bett mit einer Gänsefedermatratze bereitsteht, weich wie eine Wolke. Unser Haus ist das Eure, so lange Ihr zu bleiben geruht. Wenn Ihr abreist, dürft Ihr Euch nach Lust und Laune von seinen Schätzen bedienen. Das Einzige, worum wir Euch bitten, ist, dass Ihr uns vor denen Schutz gewährt, die möglicherweise nach Euch kommen.«

Ich könnte mir denken, dass er ihr genauso entgegengekommen wäre wie vorher der kecke Söldner, selbst wenn er von guter Herkunft war. Oder vielleicht hatte er bisher nur in Traumwelten gelebt. Na schön, aber sie war durchaus real. Jeder einzelne seiner Männer beobachtete ihn. Mochte er womöglich auch weniger Morde begangen haben als einige von ihnen – jene, die Befehle erteilen, geben auch etwas von dem Risiko ab –, so war er doch klug und gerissen genug, um ihre Aufmerksamkeit zu verdienen. Und zumindest vorerst ihren Gehorsam. Allerdings könnte das ebenso gut an dem Wohlgeruch brutzelnden Schweinefleisches gelegen haben, der in Wellen durch die offenen Türen auf den Platz hinausdrang. Selbst vom Dach aus konnte ich den Geifer an ihren Lippen sehen, das schwöre ich.

Der Hauptmann nickte mit dem Kopf, blickte dann kurz in die Runde und grinste. »Römische Gastfreundschaft! Was habe ich euch gesagt?«, rief er, und um ihn erhob sich ohrenbetäubendes Gebrüll. »Stellt den Karren auf den Hof und steckt eure Waffen weg. Heute Nacht schlafen wir auf weichen Pfühlen mit Signora Bianchini als unserer Gastgeberin. Lasst uns ihr beweisen, dass spanische Manieren es mit römischem Wohlstand aufnehmen können.«

Darauf wandte er sich wieder zu ihr um und streckte ihr die Hand hin. Und obwohl sie nicht weniger blutig und befleckt war als jene des Mannes zuvor, legte Fiammetta die ihre mit einem leichten Neigen des Kopfes freundlich hinein.

Ich freilich machte mich mal wieder ans Jonglieren. Anstelle von Bällen nahm ich, nachdem sich unsere Gäste dumm und dämlich gefressen hatten, sechs kupferne Parfümkugeln meiner Herrin und warf sie bei Kerzenschein durch die Luft, wenngleich ihr Moschusduft gegenüber dem schlechten Atem, der den vielen offen stehenden Mündern entströmte, wenig auszurichten vermochte. Betrunkene können die schlimmsten Feinde eines Zwergs sein, denn ihre Neugier schlägt leicht in Gewalttätigkeit um, doch diese hier hatten fürs Erste ihren Blutdurst gestillt und wollten nur unterhalten werden. Sie schrien und klatschten zu meinen Kunststücken, grinsten über meine Teufelsfratzen und lachten lauthals los, als ich mit einer zur Papstkrone gefalteten Serviette auf dem Kopf durchs Zimmer watschelte und jeden segnete, der sich mir näherte, um mein Gewand zu berühren. Mittlerweile waren alle so betrunken und heiser, dass sie gar nicht wussten, was ihnen sonst noch entgehen mochte. So kam es, dass Adriana ihre jungfräuliche Unschuld, der Koch seine Küchenmesser und unsere Herrin ihre Perlenkette und ihr bestes Muranoglas behielten. Zumindest in dieser Nacht.

Nicht alle jedoch überlebten sie. Spät in der Nacht flammte die Blutrünstigkeit wieder auf, und zwei Männer erstachen einander über den Esstisch hinweg. Unser Haus hatte schon erlebt, wie Kardinäle und Diplomaten den Tribut einer Kleinstadt um das Vorrecht verspielten, an dem betreffenden Abend mit meiner Herrin das Bett teilen zu dürfen, noch nie aber war jemand aus Groll darüber zu Tode gekommen, wer aus dem Weinglas und wer aus dem Silberpokal trinken musste. Innerhalb von Sekunden hatte der eine die Kehle seines Widersachers umklammert, während dieser mit einem Messer auf ihn einstach. Als der Hauptmann, halb entkleidet und mit gezücktem Schwert, aus dem Schlafzimmer herunterkam, war bereits alles vorbei: Beide Kampfhähne lagen auf dem Boden und versetzten die Rotweinlachen mit ihrem Blut. Sie waren so sturzbetrunken, dass sich am anderen Morgen wohl selbst dann keiner mehr an den Vorfall hätte erinnern können, wenn sie der Schlaf und nicht der Tod ereilt hätte. Wir wickelten sie in alte Bettlaken und stießen die Bündel die Treppe hinab in die kälteste Ecke des Kellers. Oben ging das Gelage fröhlich weiter.

Endlich waren auch die letzten Zecher erschöpft von ihren alkoholischen Exzessen. Selbst die Schweine schliefen schon im Hof oder wälzten ihre massigen Leiber grunzend im Mist über den vergrabenen Schätzen. Im Haus roch es nicht viel besser. Überall stank es nach Rülpsern und Urin; in jedem Zimmer lagen dicht gedrängt schwer atmende, schnarchende Männer, die einen in Decken gehüllt, die anderen auf bloßem Stroh und etliche einfach dort, wo sie hingefallen waren. Wenigstens konnten sie jetzt als loyale Feinde gelten. Vor unseren verschlossenen und verriegelten Türen dämmerten postierte Wachen neben geleerten Krügen. In der Küche war der Koch unter dem Spülstein eingeschlafen, während sich Adriana und die Zwillinge in die Speisekammer zurückgezogen hatten, um die Nacht über die Gefahr, die von der Verlockung ihrer hübschen Gestalten ausging, zu bannen. Ich saß weiterhin am Tisch, nagte die Schweineknochen ab und versuchte, dem Papagei meiner Herrin, den ich am frühen Abend vor dem Schicksal, in der Bratpfanne zu landen, gerettet hatte – was er mir nie danken würde –, spanische Schimpfwörter beizubringen. Von draußen drangen die Geräusche der Stadt herein wie ein erbärmlicher Chor aus der Hölle: ferner Kanonendonner, in den sich ein Stakkato aus Jammern und Geschrei mischte.

Irgendwann mitten in der Nacht kam das Grauen näher, als ein Mann in einem der benachbarten Häuser aufschrie: ein einziger, lang gezogener Schmerzensschrei, gefolgt von Stöhnen und Rufen, dann ein weiterer Schrei und noch einer, als hacke sich jemand ein Glied nach dem anderen ab. Wer sein Haus zusperrt, hat meist mehr zu retten als nur seine Haut. Wo versteckt ein reicher Kaufmann seine Münzen oder sein Weib ihre Juwelen? Wie viele Misshandlungen muss jemand einstecken, ehe er den Räubern sagt, wo sie suchen müssen? Was nützen mit Edelsteinen besetzte Ringe, wenn man keine Finger mehr hat, um sie zu tragen?

Im selben Augenblick, als die Schreie ertönten, pochte jemand an die Seitentür.

»Bucino? Adriana? Macht um Gottes willen auf …« Eine keuchende Stimme, dann ein krampfartiges Husten.

Einer der Wachtposten brummte etwas und schnarchte sogleich weiter. Ich öffnete die Tür, und Ascanio fiel mir in die Arme; er rang nach Atem, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Ich führte ihn zur Sitzbank, und er schluckte etwas verwässerten Wein, der aus dem Becher schwappte, weil der Ärmste so sehr zitterte. »Du meine Güte, Bucino«, sagte er mit einem Blick auf das Durcheinander in der Küche, »was ist denn hier passiert?«

»Der Feind hat sich hier einquartiert«, entgegnete ich leichthin und schnitt ihm ein Stück von dem übrig gebliebenen Fleisch ab. »Und wir haben ihn bewirtet.«

»Fiammetta?«

»– ist oben mit einem Hauptmann der spanischen Garde. Sie hat ihre Reize eingesetzt, um sich seinen Schutz zu erkaufen.«

Er lachte, verschluckte sich dabei und konnte vor lauter Husten kaum sprechen. »Ob sie wohl dem Tod anbietet, sie zu ficken, bevor er sie holt?« Wie jeder Mann in Rom hat auch Ascanio eine Schwäche für meine Herrin. Er war der Gehilfe von Marcantonio Raimondi, dem bedeutendsten Kupferstecher der Stadt, einem Mann, der hinreichend Statur besaß, um gelegentlich in den Genuss der Abendgesellschaften meiner Herrin zu kommen. Und wie sein Meister wusste Ascanio, wie es in der Welt zugeht. Wie viele Abende hatten wir beide zusammengesessen, während der Mächtige mit der Schönen ins Bett stieg und wir uns an den Resten ihrer Tafel labten und dabei bis tief in die Nacht über Skandale und Politik plauderten? Obgleich Rom nun für seine Weltlichkeit und Dekadenz bestraft wurde, war es für all jene, die das Talent oder den Witz hatten, mitzumachen, ein wunderbarer, aufregender Ort gewesen. Wenn auch derzeit nicht mehr …

»Woher kommst du?«

»Von Gianbattista Rosas Atelier. Die lutherischen Teufel haben alles mitgenommen. Mit knapper Not kam ich dort lebend heraus. Den ganzen Weg bin ich gerannt, wobei mein Bauch fast den Boden berührte. Ich weiß nun, wie du die Welt siehst.«

Wieder befiel ihn der Husten. Ich füllte sein Glas nach und hielt es ihm hin. Ursprünglich vom Land gekommen, verfügte er über eine schnelle Auffassungsgabe und geschickte Finger, die ihn befähigten, die Lettern für die Druckerpresse zu setzen, und wie mich hatte ihn seine Geschicklichkeit im Leben weiter gebracht, als er es sich je hätte träumen lassen. Die Bücher seines Meisters zierten die Bibliotheken der größten Gelehrten Roms, und in Rosas Werkstatt wurden die Kunstwerke jener Männer in Kupfer gestochen, die der Papst persönlich mit der Verschönerung der Decken und Wände seiner heiligen Hallen betraut hatte. Dieselbe Druckerpresse färbte auch Satire- und Klatschblätter für Pasquinos Statue auf der Piazza Navona ein. Aber vor einigen Jahren hatte sich eine gewisse Serie von Kupferstichen sogar für den Blick seiner Unheiligkeit als zu fleischlich erwiesen, woraufhin Ascanio mit seinem Meister die Gastlichkeit eines römischen Gefängnisses erfuhr, von der beide schwache Lungen zurückbehalten hatten. Scherzhaft erzählte man sich, sie mischten nun die Tinte für die blasseren Farben mit ihrem Auswurf. Das war nicht böse gemeint, denn schließlich verdienten sie ihren Lebensunterhalt mit der Verbreitung von Neuigkeiten statt mit deren Zustandekommen und waren somit weder reich noch mächtig genug, um sich auf Dauer Feinde zu machen.

»Menschenskind, hast du gesehen, was da draußen vor sich geht? Es ist ein einziges Beinhaus. Fast bis zu den Mauern hin steht die Stadt in Flammen. Diese abscheulichen Barbaren. Sie griffen sich alles, was Gianbattista besaß, und setzten noch seine Gemälde in Brand. Als ich ihn zuletzt sah, trieben sie ihn wie ein Maultier an, damit er ihnen seine Reichtümer eigenhändig zu ihren Karren trage. Ach! Verflucht noch mal!« Unter dem Spülstein gab der Koch einen Grunzlaut von sich und schleuderte einen hölzernen Löffel quer über den Boden, der Ascanio wie einen Fisch aus dem Wasser aufspringen ließ. »Ich sage dir, Bucino, wir werden alle dran glauben müssen. Weißt du, was die Leute auf den Straßen sagen?«

»Dass dies Gottes Gericht ist wegen unserer Sünden.«

Er nickte. »Während sie die Altäre zerschlagen und unsere Kirchen verwüsten, berufen sich diese stinkenden deutschen Ketzer auf den Niedergang von Sodom und Gomorrah. Ich sage dir, immerzu sehe ich diesen Verrückten von der Statue des heiligen Paulus herunter über den Papst schimpfen.«

»Siehe den Bastard von Sodom! Wegen eurer Sünden wird Rom zerstört werden«, rief ich mit der Stimme eines Bauchredners. In jüngster Zeit war er in aller Munde gewesen, der wilde Mann vom Land mit flammend rotem Haar und nacktem, sehnigem Körper, der auf die steinernen Schultern des heiligen Paulus geklettert war und, einen Totenkopf in der einen, ein Kruzifix in der anderen Hand, den Papst wegen seines schlechten Lebenswandels verdammt und vorausgesagt hatte, dass Rom binnen vierzehn Tagen geplündert werde. Prophetie mag eine göttliche Kunst sein, präzise jedoch ist sie nicht: Zwei Monate später saß er immer noch im Kerker. »Was? Glaubst du wirklich, dies wäre nicht geschehen, wenn der Papst und die Römer ihren ausschweifenden Lebensstil geändert hätten? Du solltest deine Klatschblätter genauer lesen, Ascanio. Hier stinkt es seit Jahrzehnten. Papst Klemens’ Sünden wiegen nicht schwerer als die jenes Dutzends heiliger Betrüger, die ihm vorangingen. Uns fehlt es nicht am Glauben, sondern an guter Politik. Dieser Kaiser duldet keinen Widerspruch, egal von wem, und jeder Papst, der sich mit ihm anlegte – besonders wenn er aus dem Hause Medici stammte – liefe Gefahr, in die Eier getreten zu werden.«

Er kicherte bei meinen Worten und nahm einen weiteren Schluck Wein. Draußen erhob sich aufs Neue Geschrei. War es wieder der Kaufmann? Oder diesmal der Bankier? Oder der fette Notar, dessen Haus noch imposanter war als sein Wanst und der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, Anteile von den Bestechungsgeldern abzusahnen, die er in die päpstlichen Schatullen weiterleitete. Auf der Straße hatte er eine Stimme wie ein kastrierter Geißbock, doch wenn es ans Sterben geht, klingen die Schreie der Menschen ziemlich gleich.

Ascanio schauderte. »Was hast du an so Kostbarem, dass du es nicht aufgeben würdest, Bucino?«

»Nichts außer meinen Eiern«, entgegnete ich und warf dabei zwei Duftkugeln meiner Herrin in die Luft.

»Nie um eine schlagfertige Antwort verlegen, was? Kein Wunder, dass sie dich liebt. Du magst ein hässlicher kleiner Trunkenbold sein, doch ich kenne ein Dutzend Männer in Rom, die gern mit dir tauschen würden, selbst jetzt. Du bist ein Glückspilz.«

»Das Glück der Verdammten …«, bemerkte ich trocken. Seltsam, dass nun, da wir dem Tode ganz nah waren, uns die Wahrheit so leicht über die Lippen kam. »Seit dem Tag, als meine Mutter mich erstmals erblickte und vor Entsetzen in Ohnmacht fiel«, setzte ich grinsend hinzu.

Er starrte mich einen Augenblick lang an und schüttelte dann den Kopf. »Aus dir werde ich nicht schlau, Bucino. Trotz deines verwachsenen Körpers und deines dicken Kopfes bist du ein arroganter kleiner Bastard. Weißt du, was Aretino über dich zu sagen pflegte? Dass deine schiere Existenz für Rom eine Herausforderung darstelle, weil deine Hässlichkeit wahrer sei als alle Schönheiten der Stadt. Ich frage mich, was er von dem ganzen Chaos jetzt gehalten hätte? Auch er hatte es ja kommen sehen. Genau das hat er gesagt, als er in seinem letzten prognostico den Papst herunterputzte.«

»Vielleicht besser, dass er nicht hier ist. Sonst hätten wohl schon beide Seiten seine Feder angezündet.«

Er sagte nichts, sondern ließ einfach seinen Kopf auf den Tisch sinken, als sei ihm alles zu viel. Es gab eine Zeit, da stand er bis spät in die Nacht über die Druckerpresse gebeugt und zog frisch gedruckte Klatschblätter ab, um die Stadt über ihren Stuhlgang auf dem Laufenden zu halten. Damals war er gern am Rand des Geschehens, was ihm, könnte ich mir denken, das Gefühl gab, als habe er daran teil. Aber der Gestank einer Gefängniszelle hatte seinen Geist ausgelaugt und Bitterkeit in seine Adern gepumpt. Von neuerlichem Zittern ergriffen, fuhr er hoch. »Ich muss fort.«

»Du könntest hier bleiben, zumindest für eine Weile.«

»Nein, nein, das kann ich nicht … ich – ich muss hinaus.«

»Du willst zurück an die Presse?«

»Ich … ich weiß es nicht.« Er war nun aufgestanden und lief, ein einziges zuckendes Nervenbündel, ruhelos im Raum umher. Draußen waren die Schreie unseres Nachbarn in verzweifeltes Stöhnen übergegangen. »Weißt du, was ich tun werde, sobald das hier vorbei ist? Meinen stinkenden Kadaver von hier wegschleppen. Mich irgendwo selbstständig machen. Einmal selbst etwas vom guten Leben kosten.«

Aber das gute Leben rann allenthalben dahin. Ascanios Blicke schweiften ins Ungewisse. »Du solltest mit mir kommen, Bucino. Du verstehst dich auf Buchhaltung, und deine Jongleurfinger würden sich gut zum Setzen eignen. Überleg’s dir. Selbst wenn du dies hier überstehst, so halten sich doch auch die besten Huren nur wenige Jahre. Ich habe Geld, und bei deiner Ortskenntnis könntest du bestimmt einen Schleichweg finden, um heute Nacht sicher aus der Stadt zu kommen.«

Plötzlich war ein Geräusch im Innern des Hauses zu hören. Irgendjemand war auf den Beinen und ging umher. Ehe ich ihm antworten konnte, war Ascanio schon an der Tür. Er schwitzte wieder, und sein Atem ging schwer. Ich brachte ihn zur Haustür, und weil er irgendwie ein Freund gewesen war, beschrieb ich ihm einen Schleichweg zum Viertel von San Spiritu, wo gestern noch eine Stadtmauer gestanden hatte, inzwischen aber nur ein gähnendes Loch klaffte. Falls er es bis dorthin schaffen sollte, mochte es für ihn eine Chance geben.

»Viel Glück«, sagte ich.

Den Kopf gesenkt, hielt er sich dicht an der Mauer, und als er um die Ecke bog, hatte ich das Gefühl, dass ich ihn nie wieder sehen würde.

Als ich in die Küche zurückkam, bemerkte ich unter dem Tisch einen Gegenstand, der ihm aus seiner Jacke gefallen sein musste. Ich ging auf die Knie und holte einen Beutel aus Stoff hervor, aus dem ein in scharlachrotes Leder gebundenes Büchlein glitt: Petrarcas Sonette. Sein makelloser Einband war mit goldenen Buchstaben gepunzt, mit silbernen Ecken verstärkt und einem kunstvollen silbernen Zylinderschloss versehen, um das eine Reihe von Zahlen lief. Es passte in die Bibliothek eines Gelehrten, und jeder Drucker hätte sich damit einen Namen machen können. Wahrscheinlich wäre ich Ascanio hinterhergerannt, hätte ich nicht auf den Fliesen vor der Küche Schritte vernommen. Eilends steckte ich mir das Büchlein unters Wams, eine Sekunde, bevor meine Herrin im Türrahmen stand.

Sie war in einen seidenen Morgenrock gehüllt, das Haar hing ihr in wilden Strähnen über den Rücken herab, und ihre Lippen waren gerötet und geschwollen von den Bartstoppeln des Hauptmanns. Doch ihre Augen strahlten durchaus. Es gehört zu ihren großen Talenten, den Anschein zu erwecken, als leere sie ihr Glas genauso schnell wie die Gäste, und auf diese Weise besonnen zu bleiben, während sich die Wollust der Herren längst mit dem Alkohol vermischt hatte.

»Ich habe Stimmen gehört.« Ihr Blick fiel auf die Essensreste in der Küche. »Wer war hier?«

»Ascanio, auf dem Weg zurück zu Gianbattistas Atelier. Der Maler wurde gefangen genommen, sein Werk zerstört.«

»Oh! Und Marcantonio und die Druckerpresse? Was hört man davon?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ach, ich …« Sie ging zum Tisch, setzte sich auf den Platz, den Arcanio gerade verlassen hatte, und legte ihre Handflächen auf die Tischplatte. Langsam bewegte sie den Kopf hin und her, streckte den Nacken, als kehre sie nach einem langen Schlaf wieder ins Leben zurück. Diese Gebärde kenne ich gut: Manchmal, wenn die Arbeit anstrengend oder die Nacht lang ist, möchte sie, dass ich hinter ihr auf die Bank klettere und ihr die Schultern massiere. Heute Nacht jedoch nicht.

»Wo ist Adriana?«

Ich deutete zur Speisekammer. »Hat sich zusammengekuschelt mit den Zwillingen. Virgines intactae allesamt. Obwohl ich nicht garantieren kann, für wie lange noch. Wie geht es unserem Hauptmann?«

»Schläft sehr unruhig, schlägt um sich, als befände er sich noch in der Schlacht.« Sie hielt inne. Ich fragte nicht weiter. Das tue ich nie. Vermutlich erzählt sie mir deshalb oft, was sie erlebt hat. »Du hättest ihn sehen sollen, Bucino – er war Spanier bis zu den Lenden. So sehr auf seinen Ruf bedacht, dass ihn sein eigenes Verlangen schwächte. Vielleicht ist er seiner Macht überdrüssig geworden. Ich glaube, er war beinahe froh, dass nach langer Zeit mal eine andere Person das Kommando übernahm.« Sie lächelte ein wenig, aber es wirkte nicht schelmisch. Die Schreie dürften ebenso durch die Fensterläden des Schlafzimmers gedrungen sein wie in die Küche. »Aber unter dem Schmutz ist er jung, und ich bezweifle, dass wir auf seinen Schutz lange vertrauen können. Wir müssen uns an den Kardinal wenden. Das ist unsere einzige Hoffnung. Andere werden Schönwetterfreunde sein, doch er wird uns sicher helfen, falls er noch am Leben ist – und die Truppen des Kaisers hätten Grund genug, ihn zu schonen, angesichts der Tatsache, dass er dessen Sache in der Kurie unterstützt hat.«

Wir sahen uns über den Tisch hinweg an und wogen unsere Gewinnchancen ab.

»Dann sollte ich jetzt aufbrechen«, sagte ich. »Wenn ich mich beeile, könnte ich vielleicht zurück sein, bevor das Haus wach wird.«

Sie blickte zur Seite, als sei sie sich noch nicht schlüssig, um gleich darauf mit der Hand unter den Morgenrock zu greifen und sie, zur Faust geballt, wieder vor mir auf den Tisch zu legen. Als sie diese öffnete, befanden sich darin sechs Rubine und Smaragde, deren Ränder ein wenig abgesplittert waren, da sie sie aus ihren Fassungen gebrochen hatte.

»Für unterwegs. Nimm sie. Sie können deine eigene Perlensammlung sein.«

Der Platz lag nun still da, unsere Nachbarn waren entweder tot oder wirksam geknebelt. Um mich herum lag Rom zwischen Feuer und Morgendämmerung danieder. Ein Teil der Stadt glühte wie heiße Kohlen in der Finsternis, während sich im Osten Rauchwolken ballten und einem hauchzarten grauen Himmel zutrieben, der einen weiteren idealen Tag zum Töten versprach. Wie Ascanio bewegte ich mich dicht am Boden und den Mauern entlang, ehe ich in die Hauptstraße einbog. Hier und da sah ich Leichen im Rinnstein liegen, und einmal gellte eine Stimme hinter mir her, doch sie mochte wohl einem Menschen gehören, den ein Albtraum gequält hatte. Weiter die Straße hinunter kam eine einzelne Gestalt aus der Düsternis auf mich zugewankt und schien mich nicht zu sehen. Als der Mann an mir vorüberkam, sah ich, wie er unter seinem Hemd eine blutige Masse umklammert hielt, die möglicherweise sein Gedärm war.

Der Palazzo des Kardinals befand sich in der Nähe der Via Papalis, wo sich die Stadtbevölkerung zusammenfindet, um die großen Kirchenprozessionen, die zum Vatikan ziehen, zu begaffen und zu beklatschen. Die Gegend ist überaus vornehm. Aber je größer der Reichtum, desto schlimmer die Verwüstung und jetzt entsprechend streng der Leichengeruch. Im Morgengrauen sah ich überall Körper auf dem Pflaster liegen, die einen reglos mit aufgeschlitzten Bäuchen, andere zusammengekrümmt und leise stöhnend. Wie Krähen, die den Kadavern Augen und Leber herauspicken, suchten einige Männer die Hingemetzelten systematisch nach übrig gebliebenen Wertsachen ab. Sie waren sosehr in ihr makabres Geschäft vertieft, dass sie mich nicht bemerkten. Wäre Rom noch kein Schlachtfeld gewesen, hätte ich mich mehr in Acht nehmen müssen. Obwohl ich nur die Größe eines Kindes habe, erkennen die Leute meinen watschelnden Gang schon von weitem und treiben gern allerlei grausamen Schabernack mit mir, bis sie die goldenen Tressen auf meinem Gewand entdecken – und zuweilen selbst dann. Aber an diesem frühen Morgen, im Chaos des Krieges, betrachtete man mich einfach nur als ein kleines Männchen, das weder Aussicht auf Beute versprach noch bedrohlich wirkte. Freilich dürfte das als Erklärung dafür, dass ich am Leben blieb, nicht ausreichen. Denn ich sah unterwegs auch Kinder, die man aufgespießt oder in Stücke gehauen hatte. Auch lag es nicht daran, dass ich einen klaren Kopf bewahrte, denn ich trat über die Leichen aller möglichen Leute hinweg, von denen einige, nach ihrer Kleidung zu urteilen, mehr Einfluss oder Reichtum besessen hatten, als mir jemals zuteil werden wird, wenngleich ihnen der nun wenig nützte.

Später, als die nächtlichen Schreier, die das Grauen überlebt hatten, erzählten, wie bestialisch der Feind seine Opfer geschunden hatte, um ihnen Gold und Wertsachen abzupressen, wurde klar, dass jene, die bei diesem ersten Angriff abgeschlachtet worden waren, wohl von Glück sagen konnten. Aber an diesem Morgen empfand ich das beim Anblick der vielen Toten und Verstümmelten nicht so

Doch seltsamerweise war es nicht nur schrecklich. Stellenweise mutete das Ganze beinahe wie ein wilder Mummenschanz an. In der Gegend um den Vatikan, wo jetzt die Deutschen ihr Unwesen trieben, drängte sich in den Straßen grotesk verkleidetes Gesindel. Viele Plünderer stolzierten in den Kleidern ihrer Opfer einher. Ich sah schmächtige Männer, die von schweren Atlasroben und Pelzmänteln geradezu erdrückt wurden. Sie reckten ihre Gewehrläufe in die Luft, die sie mit Perlenketten und juwelenbesetzten Armbändern umwunden hatten. Für wirkliches Aufsehen aber sorgten ihre Frauen und Kinder. Die Weiber, die den Söldnerheeren folgen, schleichen bekanntermaßen wie läufige Katzen um die Lagerfeuer. Nicht so diese Lutheranerinnen, harpyienhafte Ketzerinnen, getrieben von Gott nicht weniger als vom Krieg. Ihre Kinder empfingen und stillten sie unterwegs, dürr und knochig wie ihre Eltern mit holzschnittartigen Gesichtszügen. An den groben Körpern dieser Frauen hingen die reich bestickten Gewänder und samtenen Röcke wie Zelte herab; die mit Juwelen geschmückten Kämme steckten in verfilztem Haar, und seidene Schleppen von unschätzbarem Wert färbten sich hinter ihnen schwarz vom Blut und Straßenkot. Es war, als sehe man eine Armee von Gespenstern aus der Hölle emportanzen.

Den Männern galten die Roben hoher kirchlicher Würdenträger als begehrteste Beute. Ich sah etliche solcher »Söldner-Kardinäle« in feuerrotem Scharlach durch die Straßen schwanken; die Hüte ins Genick geschoben, hielten sie prächtige Weinkrüge in ihren Händen. Allerdings mochte niemand in Priestergewänder schlüpfen, denn selbst im Chaos herrscht eine Hierarchie, und diese Kleidungsstücke waren zu schlicht. Möglicherweise erkennen Ketzer den Teufel hinter seinem Flitterkram, doch der Glanz echten Goldes macht sie ebenso gierig wie alle anderen. Daher fand ich auf meinem Weg weder wertvolle Kelche noch juwelenbesetzte Monstranzen in den Schmutz getreten. Stattdessen waren die Abflüsse mit zerschlagenen Keramiken und zersplittertem Holz verstopft: genug zerschmetterte Madonnen und Jesusskulpturen, um die Bildhauerzunft für die nächsten fünfzig Jahre in Brot zu setzen. Und die Reliquien! Für jeden Nichtkatholiken ist die Rippe des heiligen Antonius oder der Finger der heiligen Katharina nichts als ein verblichener Knochen; an diesem Morgen waren die Straßen mit den geschändeten Skelettteilen von Heiligen geradezu übersät, um deren Fürbitte willen noch bis gestern Scharen von Pilgern fünfhundert Meilen Wanderschaft in Kauf genommen haben. Dass sie im Rinnstein irgendwelche Wunder vollbrachten, davon habe ich jedenfalls nie gehört. Die Kirche hätte sich solche Kunde flugs zunutze gemacht, um leichtgläubigen Pilgern für die Anbetung von etwas, das genauso gut der Oberschenkelknochen eines Fischhändlers oder der Finger einer Prostituierten gewesen sein könnte, ihre scudi abzuknöpfen.

Der Palazzo unseres Kardinals gehörte zu den elegantesten in Rom. Seit Jahren war meine Herrin bereits seine Favoritin und er ihr so treu wie kaum ein Ehemann seiner Frau. Er war klug und gewitzt, ein geachtetes Mitglied des engsten Beraterkreises von Papst Klemens VII., nicht weniger Politiker als Prälat und aufrichtig, bis er zuletzt in zwei Richtungen agierte, den Papst in seinen Machtspielen unterstützte und gleichzeitig die Sache des Kaisers vertrat. Allseits bekannt für seine Geschicklichkeit, hätte diese ihm theoretisch das Leben retten müssen. Theoretisch …

Den Eingang zu seinem Palazzo versperrten zwei Männer mit Gewehren. Ich hüpfte in ihre Augenhöhe, grinste und tanzte herum wie ein Mann, dessen Verstand nicht weniger gelitten hat als sein Körper. Einer der beiden, ein Hüne, glotzte mich dumm an und stupste mich mit seinem Bajonett. Ich kreischte auf, was Männer mit Waffen immer zu entzücken scheint, riss meinen Mund weit auf, steckte zwei Finger hinein und brachte einen kleinen, funkelnden Rubin zum Vorschein, den ich auf meine Handfläche legte. Darauf fragte ich, ob ich den Kardinal sprechen könne. Zuerst radebrechte ich auf Deutsch, dann auf Spanisch. Der Hüne antwortete mir in einem unverständlichen Kauderwelsch, packte mich am Arm und zwang mich, noch einmal den Mund zu öffnen, doch das, was er darin sah, bewirkte, dass er mich ganz schnell wieder losließ. Ich wiederholte die Übung, bis ein weiterer Edelstein neben dem ersten lag, und stellte meine Frage erneut. Die beiden grabschten sich die Juwelen und ließen mich durch.