Venusmuscheln in Venedig - Dorothe Zürcher - E-Book

Venusmuscheln in Venedig E-Book

Dorothe Zürcher

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Beschreibung

Mandelplätzchen und Dattelmilch 1190 von Akkon bis Venedig: Die begnadete Delikatessköchin Alkmene hat die Ehre, für die Hochzeit des künftigen Königs von Jerusalem zu kochen. Inzwischen kehrt Diethelm zum Kreuzritterheer zurück, das unaufhörlich gegen die uneinnehmbaren Mauern Akkons im heutigen Israel anrennt. Zerrissen zwischen der Loyalität zu seinem Lehnsherrn und wachsenden Zweifeln am Kreuzzug, muss er eine Entscheidung treffen. Alkmene erfährt, dass der Königsanwärter das Heer für Gold verraten hat. Nicht nur sie, sondern auch Kreuzritter Diethelm und ihre gemeinsame Tochter Sophia geraten in tödliche Gefahr. Zwischen dampfenden Kesseln und duftenden Gewürzen kämpft Alkmene mit der unmöglichen Entscheidung: Kann sie mit ihren Kochkünsten Leben retten – oder muss sie vergiften, um ihre Lieben zu schützen. Es wird gebraten, gepökelt und gebrüht, verliebt, vergiftet und vergeben.

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Seitenzahl: 405

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Impressum

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Nachwort und Dank

Personenverzeichnis

Worterklärungen

Die Belagerung von Akkon – Zeitstrahl

Dorothe Zürcher

Venusmuscheln

in Venedig

Historischer Roman

Impressum:

Zürcher, Dorothe: Venusmuscheln in Venedig

Hamburg, acabus Verlag 2025

1. Auflage 2025

ISBN 978-3-86282-889-0

Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

ePub-eBook: 978-3-86282-890-6

Lektorat/Korrektorat: Amandara M. Schulzke, acabus Verlag

Umschlaggestaltung, Buchsatz,

Karte & Innengestaltung: Phantasmal Image Autorinnenfoto: Samuel Erni (für Johanna Unternährer Fotografie)Der Verlag behält sich das Text- and Data-Mining nach § 44b UrhG vor, was hiermit Dritten ohne Zustimmung des Verlages untersagt ist.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg acabus Verlag (bedey-thoms.de); [email protected]

©acabus Verlag, Hamburg 2024

Gedruckt in Deutschland

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Venusmuscheln in Venedig

Was bisher geschah:

Bittermandeln aus Byzanz und Anisbrot in Antiochia

Anno Domini 1189-1190 – im Lager vor Akkon

»Kleiner!« Der Ritter, der auf Pio zukam, trug einen gelbschwarzen Waffenrock. Ein Flame, schloss Pio daraus und zog straffer am Zügel.

»Kräftiges Pferd. Hab meines im Winter gefressen«, radebrechte der Flame in einem seltsamen Tiutsch. Er trat in Pios Weg, streckte die Hand aus, hielt sich flugs zurück, das Streitross zu berühren. »Für wie viel verkaufst du es?«

»Unverkäuflich«, nuschelte Pio. »Das gehört meinem Herrn.«

Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Ulrich von Kyburg auf den Flamen aufmerksam wurde und seine Hand auf den Schwertknauf legte.

»Welcher Herr?«

Pio schoss das Blut in den Kopf. Wusste der Flame etwas?

»Diethelm von Toggenburg«, antwortete Pio. Oder hätte er besser Herrn Ulrichs Namen nennen sollen?

»Ein Schwabe!«, sagte der Flame verächtlich. Pio konnte sich nicht erklären, warum die christlichen Krieger sich im Lager vor Akkon so feindlich gegenüberstanden. Vor einer Woche waren sie mit Herzog Friedrich von Schwaben endlich angekommen. Doch anstatt Freudenrufe und Bruderküsse hatten sie nur Missgunst und Neid empfangen.

»Wo ist dein Herr?«

Hatte sich die Kunde schon im Lager verbreitet? Diethelm von Toggenburg war verschwunden, schon zu lange.

»Mein Herr kommt nach«, sagte Pio lauter als beabsichtig. Ulrich schlenderte zu ihnen heran. Die Daumen in den Schwertgurt gehakt, zog er die Nase hoch, spuckte auf den Boden. Die Blicke der beiden kreuzten sich.

»Melde deinem Herrn, ich zahle einen guten Preis für das Ross, solange sein Fell noch glänzt und es so begierig herumtänzelt.«

Der Flame reckte sich, starrte auf die Zügel, als würde er überlegen, diese Pio zu entreißen. Ein hämisches Lächeln umspielte seine Lippen. Pio nickte eifrig. Der Flame spuckte neben Ulrich zu Boden und trollte sich.

Ulrich blickte ihm müde nach. Pio klopfte Feirefiz‘ Hals, als müsse er sich absichern, ob das Pferd noch neben ihm stehe.

»Ich kann Diethelms Schlachtross nicht mehr lange durchfüttern«, raunte Ulrich. »Du musst seine Rüstung oder das Pferd verkaufen.«

Pio schluckte. Mehr als vier Monate waren vergangen, seit Diethelm auf wackeligen Beinen und mit grauem Gesicht das Heer in Pares‘ und Alkmenes Begleitung verlassen hatte. Die beiden wollten ihn zu einem heidnischen Heiler bringen. Pio, seinem Knappen, hatte Diethelm Ross und Rüstung zum Hüten übergeben, als Pfand, damit er ins Heer zurückkehre. Seither hatte Pio viele Ritter sterben sehen.

»Noch ein paar Tage!«, bettelte Pio. Ulrich nickte ihm zu.

»Melde dich für den Bau der Belagerungskatzen.« Er musterte Pios magere Gestalt. »Oder besser für die Lagerwache. Trage dabei Diethelms Helm und dessen Handschuhe. Soll Glück bringen.«

Pio nickte, führte Feirefiz von der Tränke zur bewachten Koppel. Diethelm hatte sein Streitross täglich gestriegelt und umsorgt. Pio musste sich zugestehen, dass er dem Pferd nicht so viel Aufmerksamkeit schenkte.

»Bald wird Herr Diethelm zurückkehren«, erzählte er Feirefiz. Dieser prustete, schüttelte seine Mähne. »Er kommt zusammen mit Pares und Alkmene.«

Ein gutes Jahr war es nun her, dass Diethelm in Byzanz Alkmene zu ihnen ins Zelt gebracht hatte. Das Wasser floss in Pios Mund zusammen, wenn er daran dachte, wie sie ihm beigebracht hatte, Hasen zu marinieren oder Zimtkrapfen zu backen. Diethelm war beim Essen immer glücklicher geworden. Bevor sie im Frühling Byzanz verließen, hatte Alkmene Diethelms Kind unter dem Herzen getragen und Pares geheiratet. Auf ihrer Weiterreise hatte Pio heimlich von Alkmenes Mandelkonfekt genascht. Kaum war dieses alle gewesen, wurde Diethelm verwundet. Als hätte er Pios heimlichsten Wunsch erraten, schickte er diesen zu Alkmene zurück. Anstatt, dass diese Konfekt buk und sie zusammen warteten, bis Diethelm Jerusalem erobern würde, mussten Alkmene und Pares Hals über Kopf fliehen. Zusammen reisten sie zu Diethelm, um diesen in Antiochia todkrank anzutreffen. Pares behauptete damals, dass nur ein heidnischer Medicus Diethelm heilen könne und seither waren die drei verschwunden.

Pio seufzte. Täglich betete er zur Heiligen Muttergottes, dass die drei zu ihm zurückkehren würden. Diethelm, Pares und Alkmene, die mit ihm zusammen den köstlichsten Hasen braten würde.

• • •

1

Tyros

Anno Domini 1190, Oktober

Hummus – nährt immer

Lege Kichererbsen einen Tag in Wasser,

zerstampfe sie, mische sie mit Öl und Salz.

Füge zum Ausgleich einige Spritzer Zitronensaft hinzu.

Das Meer glitzerte im sanften Mondeslicht, darüber wölbte sich das sternenbesetzte Himmelszelt. Keine Rufe waren zu hören, nur die Takelage knarrte zum Schaukeln des Schiffes.

Alkmene, den Kopf auf einen Beutel gelegt, schlief, Sophia in ihren Armen haltend. Einzelne Strähnen hatten sich aus ihrem langen, schwarzen Haar gelöst, das lose in einen Zopf gebunden war. Diethelms Blick schweifte weg von ihnen zum Horizont, wo er Azizas feurige Augen erblickte, ihre sinnlichen Lippen. Wie er sie auf dem Bett liegen sah, in diesen transparenten Stoff eingehüllt, so schillernd und vielversprechend, wie er es sich nie erträumt hätte.

Eine Stimme in seinem Kopf befahl ihm, dass er aufhören solle, dass er sich auf ihre Reise konzentrieren solle und sein Ziel. Aber Aziza in diesem Kleid war unendlich verführerischer als jeder Gedanke an die Wirklichkeit.

Diethelm sah sich, wie er sich auf Azizas Bett setzte. Sie sprach mit dieser leicht rauen Stimme und musterte ihn gleichzeitig. Manchmal war ihm, als würde sie sprechen, damit er nicht sprach. Denn dann hätte er ihr erzählen sollen, wer er ist. Und das durfte er nicht.

Er konnte genau spüren, wie sich ihre Haut unter seinen Händen anfühlte, diese samtene, braune Haut. Jeder Augenblick gemeinsam war kostbar, denn bald würde Azizas Gatte heimkehren, dann würde ihre Liebschaft beendet sein.

Dies war vor drei Wochen geschehen.

Diethelm entfuhr ein Seufzer, was er sogleich bereute. Sophia gurgelte, schmatzte und zappelte mit ihren Armen. Diethelm tippte mit seinem Finger gegen ihren Mund. Sophia quiekte freudig auf und zappelte noch mehr, was ihm ein Lächeln abrang.

Meine Prinzessin, dachte Diethelm, wenn du nicht wärst, würde ich hier in die Fluten springen und zurückschwimmen.

Eine Dummheit, wenn er nicht elendiglich ersaufen würde, wären ihm sowieso die Tore zu Azizas Haus versperrt. Er hatte ihr versprochen, nicht wiederzukehren.

Trotzdem fühlte sich der Gedanke, in die Fluten zu springen, befreiender an als der Gedanke an seine Zukunft im Heer des Herzogs. Dort würde sein Streitross auf ihn warten, sein Knappe, seine Rüstung und sein Geburtsrecht als Grafensohn. Aber dort herrschte auch Herzog Friedrich, Diethelms Feudalherr, dem er verpflichtet war.

Vor dem Herzog und Gottvater hatte Diethelm das Gelübde abgelegt, nicht zu ruhen, bis Jerusalem, die Goldene, erobert sei und das Kreuz Christi aus den Händen der Ungläubigen befreit. Aziza hingegen hatte er versprochen, nicht nach Jerusalem zurückzukehren, und Diethelm konnte sich nicht vorstellen, wie er seinem Herzog unter die Augen treten solle.

Er kitzelte Sophias Hände, hob sie hoch und legte sie über seinen Arm. Da roch er es. Sie sollte gewickelt werden. Alkmene schlief, es war also seine Aufgabe.

»Prinzessin«, raunte er ihr zu. »Das nächste Mal wartest du, bis deine Mutter wach ist.«

Er blickte sich nach den Ledereimern um, die man an einem Seil ins Meer senken konnte. In deren Salzwasser würde er Sophia waschen. Als Diethelm darauf zusteuerte, sagte er sich, dass es am besten sei, nicht an die Zukunft zu denken. Der Himmel lenkte sein Schicksal und dieses, das musste Diethelm sich zugestehen, war ihm bis jetzt wohlgesonnen.

• • •

Eine Möwe schrie, flog im Sturzflug auf die Wellen zu, um sich wieder hochzuschwingen. Alkmene beobachtete es fasziniert. Die salzige Luft, die Gischt. Sie liebte das Meer, auch wenn eben tiefe Regenwolken darüber hingen. Hinter ihr riefen die Seeleute, knarrte die Takelage. Gleich würden sie im Hafen von Tyros anlegen. Der einzige Hafen in der Levante, der noch von Lateinern beherrscht wurde – solche mit Diethelms Glauben. Alkmenes Blick suchte den Ritter, der im Schatten der Bordwand saß, die strampelnde Sophia auf dem Schoß. Daneben lagen ihre gepackten Bündel.

Sophias Händchen kriegten einen von Diethelms Finger zu fassen, klammerten sich daran fest. Alkmene zwang sich, ihren Blick zu lösen und wieder aufs weite Meer zu richten. Da war eine Unruhe in ihr, die sie verwirrte. Sophia war vier Monate alt, hatte in Jerusalem wie im Paradies gelebt. Wegen Diethelms Liebschaft mit der Hausherrin befanden sie sich als Fliehende auf diesem Schiff. Manchmal wollte Alkmene den Ritter deswegen ins Gesicht schlagen, ihn anschreien. Dann schämte sie sich dafür, blickte auf ihre Tochter und eine Angst packte sie, dass sie Sophia nicht gerecht wurde, dass ihre Milch versiegte, dass Sophia krank wurde und starb. Eine solche sie beherrschende Angst kannte Alkmene bis jetzt nicht.

Dann musste sie Sophia halten, sie streicheln, abwarten, bis sie wieder einen vernünftigen Gedanken fassen konnte. Es war gleichgültig, wie fade der Brei schmeckte, ob das Brot richtig aufgegangen oder mit ranzigem Öl gebacken war. Weder Muskatnuss noch Rosenwasser konnten sie besänftigen. Hatte das Muttersein sie, Alkmene, so grundlegend verändert?

Als Nobler hielt es Diethelm für selbstverständlich, dass sie zu seiner Entourage gehörte und ihm folgte. Das hatte sie ihm in Jerusalem versprochen, was sie nun bereute. Wenn Tyros die einzige Stadt im weiten Umkreis war, in der Christen lebten, würde es hier auch Romäer geben. Bei diesen würde sie für Sophia und sich eine Bleibe suchen. Das war sicherer für sie beide, als Diethelm in eine unsichere Zukunft zu begleiten.

Rufe von der anderen Seite lenkten Alkmene ab. Die Reisenden erhoben sich, schulterten ihre Säcke. Diethelm stand auf, half Alkmene, die zappelnde Sophia in einem Tuch auf ihren Rücken zu binden. Er überragte sie mehr als eine Haupteslänge. In Pares‘ Kaftan und mit dem geölten Bärtchen sah er aus wie ein aramäischer Handelsmann, der mit Frau und Kind reiste. Einzig das lange Frankenschwert an seiner Seite wirkte befremdlich.

Diethelm warf sich Pares‘ rötlichen Umhang über. Pares hatte diesen zu ihrer Hochzeit getragen. An den Borten war schwarzes Garn zu geometrischen Mustern eingewoben worden, ein Augenschmaus. Diethelm packte ihre Bündel und trat hinter Alkmene. Er fasste ihre Hand und half ihr auf die Planken. Seit der Geburt Sophias hinkte Alkmene weniger, als habe ein Engel ihr mit der Mutterschaft diese Bürde erleichtert. Vorsichtig ihr Gleichgewicht haltend, gingen sie an Land.

Sogleich waren sie umringt von Händlern, die ihnen Krapfen, Schläuche mit Wein oder gebratene Fische verkaufen wollten. Ein Junge zupfte Alkmene am Ärmel, rief ihr etwas in einer fremden Sprache zu. Diethelm stellte sich schützend neben sie. Sie folgte ihm durch das Getümmel, während er sich aufmerksam umblickte. Alkmene wusste, was er suchte. Sie selbst erblickte keine Franken. Schließlich steuerte er auf einen Wachmann zu, sprach ihn zu Alkmenes Erstaunen in gebrochenem Volgare an. Sie hatte nicht gewusst, dass er Pios Sprache beherrschte. Im Grunde genommen wusste Alkmene wenig über Diethelm und nun würden sich ihre Wege bald trennen. Sophia strampelte, wurde immer unruhiger. Alkmene löste das Tragetuch und wiegte sie in den Armen.

»Sie kamen hier vorbei und segelten vor gut zwei Wochen nach Akkon weiter.«

Alkmene konnte die Aufregung in Diethelms Stimme erkennen. Endlich wusste er Genaueres über den Verbleib seiner Leute.

»Wie kommst du nach Akkon?«, fragte sie auf Arabisch. Pares‘ Sprache. Solange sie sich in dieser Sprache unterhielten, war Pares bei ihnen.

Diethelm wandte sich an den Wachmann. Alkmene strich Sophia über das Köpfchen. Sie hatten alles Silber für die Überfahrt hierher ausgegeben. Um Geld zu bekommen, müssten sie Pares‘ wertvolle Kleider verkaufen oder Arbeit finden.

Diethelm schob den Umhang beiseite, zeigte auf sein Schwert. Die beiden unterhielten sich immer angeregter. Schließlich wandte er sich wieder ihr zu.

»Hier ist jeder Christ mit einer Waffe willkommen. Der Stadtherr heißt Konrad von Montferrat, ein Markgraf aus dem Piemont. Seine Krieger werden bald nach Akkon segeln, bis dahin kann ich in der Wache dienen.«

Konrad von Montferrat? Alkmene hatte den Namen schon gehört, konnte sich aber nicht erinnern, in welchem Zusammenhang.

Erste Regentropfen fielen. Alkmene zog ihren Umhang um Sophia.

»Suchen wir uns eine Herberge«, schlug sie vor.

»Die Johanniter kümmern sich um die Pilger des Heiligen Kreuzes, um Weiber und Kinder wohl weniger.« Diethelm blickte sie entschuldigend an.

Diese Johanniter beherbergen nur gewalttätige Krieger, schlussfolgerte Alkmene. Diethelm erkundigte sich nach einer geeigneten Herberge und sie zogen durch den Regen. Unter einer Kirchenpforte hielt er an, blickte hoch. Ein lammfrommer Ausdruck legte sich über Diethelms Gesicht. Außer der Grabeskirche in Jerusalem hatten sie seit Monaten keine Kirche mehr gesehen.

»Wir sollten Gott danken, dass er seine sichere Hand über uns hält, besonders über Sophia«, erklärte er. »Und wir sollten um Vergebung unserer Sünden bitten.«

Alkmene war seiner Meinung. Es war so lange her, seit sie eine Kirche betreten hatte. Sie brauchten den Schutz des Himmels. Zögerlich musterte sie die schmucklose Kirchenfassade. Es musste eine lateinische Kirche sein, ohne Kuppel, kein Mosaik zierte die Fassade. Beteten diese Lateiner wirklich zum selben Gott wie sie?

»Ich besuche lieber eine byzantinische Kirche«, erklärte sie und drückte Sophia fester an sich. Diethelm schüttelte entschieden den Kopf, trat auf die Pforte zu und öffnete sie. Alkmene folgte ihm unschlüssig.

Jemand krächzte neben ihr. Aus einem Kleiderhaufen hatte sich eine Hand geschält und streckte sich ihr entgegen. Eine Bettlerin. Alkmene blickte Diethelm fragend an. Sie hatten keine Münzen mehr. Sie wühlte in ihrem Beutel und reichte der Frau ein Stück Fladenbrot.

»Mit Mohnsamen«, ergänzte Alkmene und trat in die Kirche. Im Inneren war es dunkel, nur eine Kerze flackerte auf dem Altar. Der Weihrauchduft hatte etwas Altbekanntes, Beruhigendes. Diethelm trat vor die Schranke vor dem Altar, kniete sich nieder und betete mit gesenktem Kopf. Alkmene blickte sich um. Keine glitzernden Mosaike erzählten vom Glanz der Apostel, keine Ikonen hingen im Raum. Das Kircheninnere war eng und düster.

Da entdeckte sie eine Marienstatue mit Kind. Sie schob Sophia auf ihre Hüfte und trat davor. Das Gesicht der Madonna zeigte raue Züge, ihr Blick war ins Leere gerichtet. Die Hände wirkten zu groß, die Kleiderfalten unwirklich, die Farben waren blass. So eine Statue konnte sie nicht anbeten. Dabei hatte sie Hilfe in einer fremden Stadt bitter nötig.

Alkmene kauerte sich hin, wiegte Sophia, wartete, bis sich Diethelm erhob. Zusammen verließen sie die Kirche, fanden die Herberge und gaben sich als Ehepaar aus. Sie hinterlegten Pares‘ kostbaren Umhang als Pfand und bekamen eine kleine Kammer. Deren schmales Fenster war mit Lederhaut bedeckt, neben der Bettstatt gab es nur einen schmalen Durchgang. Diethelm machte sich auf den Weg, um bei der Wache vorzusprechen. Alkmene stillte Sophia, wickelte sich in ihren Umhang und legte sich auf die Bettstatt. So beobachtete sie, wie ihre Tochter langsam der Schlaf übermannte. Früher hätte sie in einer solchen Herberge die Küche begutachtet, etwas gekocht. Jetzt wollte sie nur mit Sophia im Schutze einer kleinen Kammer liegen.

• • •

Diethelm mochte den Blick nicht, mit dem er vom Hauptmann gemustert wurde. Er war ein Grafensohn, ein gefragter Schwertkämpfer und bettelte hier um Arbeit. Spürte sein Gegenüber seinen Hochmut?

»Ein Alemonoi«, wiederholte dieser in seinem eigenartigen Volgare. Diethelm war froh, dass er als Knappe unter Kaiser Barbarossa in der Lombardei gekämpft und dabei dessen Dialekt aufgeschnappt hatte. »… und warum dienst du nicht im Heer deines Herzogs?«

»Ich erkrankte in Antiochia an der Ruhr und blieb dort. Mit dem nächsten Schiff fahr ich nach Akkon«, wiederholte Diethelm. Der Hauptmann spuckte auf den Boden, musterte Diethelms sauber geölte Haare und Bart, Pares’ edlen Kaftan, den er trug. Ein Fehler! Diethelm hätte seine alten Kleider anziehen sollen!

»Wo ist deine Rüstung?«

»Im Heer.«

»Die rechnen wohl nicht mit deiner Rückkehr?«

Diethelm ging nicht auf die Frage ein. Die Stadtwache trug einheitliche Lederharnische wie einfache Kriegsknechte. Einen solchen würde man ihm leihen. Sorgsam legte er seine Hand auf seinen Schwertknauf. Diese Waffe zeigte seinen Rang, das begriff selbst ein tumber Hauptmann. Doch Diethelm musste sich eingestehen, dass er gerne auch ein Beil und einen Dolch im Gurt getragen hätte.

Als hätte der Hauptmann Diethelms Gedanken gelesen, zog er Beil und Schwert, nickte Diethelm zu und ging auf ihn los. Dieser wich nach hinten aus, der lange Kaftan verhedderte sich zwischen seinen Beinen. Er hätte ihn hochbinden müssen!

Er zog sein Schwert. Mit der Spitze fuhr er den Beilstiel entlang, riss seine Waffe hoch, sodass die Beilklinge an der Parierstange hängen blieb. Diethelm sprang zur Seite. Des Gegners Schwert traf ins Leere. Gleichzeitig drehte Diethelm den Arm. Das Beil flog durch die Luft. Den nächsten Hieb sah er kommen. Mit einem gezielten Schlag drückte Diethelm das andere Schwert zur Seite, sprang neben den Hauptmann, roch seine derbe Ausdünstung. Die beiden Parierstangen verhakten sich, eine kräftige Drehung aus Diethelms Handgelenk. Es klirrte, als des Hauptmanns Schwert zu Boden fiel. Dieser japste. Diethelm trat zurück, verbeugte sich.

»Eine wendige Hand«, keuchte der Hauptmann.

»Ich genoss dieselbe Ausbildung wie der Herzog von Schwaben«, erklärte Diethelm trocken. Gerne hätte er Handgelenk und Schultern gelockert. Er war aus der Übung gekommen. Dem Hauptmann gegenüber wollte er dies nicht zeigen.

»Morgen fängst du an.« Der Hauptmann grinste. Hatte Diethelm ihn unterschätzt? »Nimm deine Sachen, dort hinten sind Schlafstuben und Waffenkammer!«

»Ich habe Weib und Kind«, erklärte Diethelm.

»Hier, bei dir?«, fragte der Hauptmann ungläubig. »Hier gibt es keinen Platz für Weiber. Da musst du dir selbst was suchen.«

Das hatte Diethelm vermutet. Er würde seine Wachkumpanen um Rat fragen. Einige würden Familie haben und wissen, wo er eine Bleibe für Alkmene und Sophia finden kann.

»Wenn ein Schiff mit Kriegern nach Akkon fährt …«, begann Diethelm.

»… dann fährst du mit denen.« Der Hauptmann winkte ab. »Bis dahin stehst du auf der Mauer.« Er grinste, als hätte er einen Witz gemacht. »Morgen bekommst du Helm und Harnisch und zeigst dem Waffenmeister deinen Schwanz.« Der Hauptmann deutete auf Diethelms Schritt. »Wir mögen keine Spione.«

Diethelm kannte das Vorgehen aus Jerusalem. Sein Glied war nicht beschnitten. Ab morgen würde er in der Stadtwache dienen.

• • •

Alkmene musste eingeschlafen sein. Es war dunkel, als Diethelm mit Brot und Kichererbsenmus zurückkehrte. Alkmene aß hungrig.

»Zu wenig Öl, genug Salz, kaum Säure«, erklärte sie. Diethelm antwortete mit einem Lächeln.

»Montferrats Leute sind aus dem Piemont oder von hier. Er ist mit Friedrich von Schwaben verwandt, hat ihn in Antiochia aufgesucht und nach Akkon geführt. Ich diene bei der Stadtwache, bis weitere Krieger nach Akkon segeln, wo wir auf den Herzog und meine Leute treffen.«

»Konrad von Montferrat befehligte die Garde der Unsterblichen.« Alkmene war eingefallen, warum sie den Namen kannte. Merapi hatte von ihm geschwärmt. »Er ist mit einer byzantinischen Prinzessin verheiratet.«

Wohnte diese hier? Gäbe es eine Möglichkeit, an deren Hof zu arbeiten?

»Frag, ob du deinen Sold vorbeziehen kannst, damit wir die Herberge bezahlen können.«

Diethelm nickte abwesend. Immer noch müde von der Reise legten sie sich schlafen. Sophia zwischen ihnen.

Kaum dämmerte es, legte Diethelm sein einfaches Gewand an und gürtete sein Schwert. Er küsste Sophia auf die Stirne und flüsterte ihr etwas auf Fränkisch ins Ohr. Er nickte Alkmene zu und verließ die Kammer.

Alkmene stillte Sophia und suchte die Küche auf, wo die Wirtsleute frühstückten. Die Wirtin machte ihr Platz, reichte ihr ungefragt warmen Brei, erkundigte sich über Sophias Alter, ihren Namen, nahm Alkmene das Kind aus den Armen und trug es herum.

Der Brei war pampig und fade. Alkmene verbat sich, eine Miene zu verziehen. Verstohlen musterte sie die rußigen Wände. Nirgends hingen Kräuterbündel, keine Tiegel mit Pasten oder Gewürzen standen herum.

»Gibt es ein romäisches Viertel in der Stadt?«, fragte sie auf Griechisch.

»Venedig hat ein Viertel, Genua auch. Die Sarazenen wohnen im Osten. Byzantiner? Viele wandern aus. Geh in den Norden, dort triffst du vielleicht welche!«

Ihr Griechisch klang schlecht, so wechselte Alkmene ins Arabische: »Der Stadtherr, Konrad von Montferrat, ist mit einer Romäerin verheiratet.«

»Der? Der wird bald heiraten. Eine Prinzessin aus der Levante.«

Alkmene stockte. Sie war ganz sicher gewesen, dass Konrad von Montferrat als Dank für seine Dienste beim Basileus eine byzantinische Prinzessin geheiratet hatte.

»Der Montferrat ehelicht in jeder Ecke, wo er hinreist, ein Weib.« Der Wirt war auf sie zugetreten und verzog sein Gesicht.

»Er hat unsere Stadt erfolgreich gegen die Ungläubigen verteidigt«, erboste sich seine Frau.

»Und dann den König von Jerusalem nicht hineingelassen, sodass der vor Akkon ziehen musste.«

»Der hätte nur geplündert. Konrad von Montferrat ist ein edler Ritter. Ein Held, durch und durch«, wandte sich die Wirtin an Alkmene.

»Ha! Und das Prinzesschen, das er nun in sein Ehebett drängen will. Ist die nicht schon verheiratet?«

»Ein Bischof wird die Ehe der Prinzessin mit ihrem Tölpel von Ehemann als null und nichtig erklären. Dank der Heirat mit ihr wird Konrad von Montferrat König!«

Das klang ziemlich verwirrend. Alkmene erhob sich, um sich zu verabschieden.

»Diese Prinzessin Isabella«, wandte sich der Wirt an Alkmene. »Die hat eine byzantinische Mutter. Die ist hier, um diese erzwungene Ehe auszuhandeln.«

»Wo kann ich diese Mutter finden?«

Fragend blickte der Wirt zu seiner Frau. »In Montferrats Burg wird sie nicht wohnen. Frag im Basar nach! Dort wissen sie so was.«

Die Wirtin drückte Sophia enger an sich, sobald Alkmene auf sie zutrat. »Du wirst mit dem Kind doch nicht in den Basar gehen!«, rief sie.

Alkmene zögerte. Es war wirklich höchst unhandlich, Sophia in den wohl engen und verstopften Gassen des Basars herumzutragen. Andererseits wollte sie die Tochter nicht fremden Leuten überlassen, schon gar nicht solchen, die pampigen Brei kochten.

»Hier wird dem Engelchen nichts geschehen«, ergänzte der Wirt.

»Sie wird bald Hunger bekommen«, antwortete Alkmene entschuldigend und schlüpfte mit Sophia aus der Küche.

Draußen regnete es. Der Winter kommt, dachte Alkmene und schaute, ob Sophia gut eingepackt war.

Gewürze, feines Tuch, Gemüse und Früchte. Alkmene liebte den Geruch des Basars. Die Gassen waren dicht gedrängt mit Menschen. Lateiner, christliche Aramäer, Moslems. Romäer erkannte Alkmene keine, hörte neben dem Arabischen und Volgare aber immer wieder Griechisch. Sie drückte Sophia an sich, die sich im Gedränge wohlzufühlen schien. An einer Ecke stapelte sich Zuckerrohr. Zwei Knechte drückten es durch eine Presse und gelblicher Saft floss heraus. Neugierig trat Alkmene näher.

»Erfreut jeden Gaumen, bringt Kraft und Lebenslust! Der Krug nur ein Viertel Dinar.« Ein Knecht blinzelte ihr zu. Alkmene hatte kein Geld. Sie schob Sophia etwas nach vorne. Der Mann reichte ihr einen Becher zum Kosten. Der Saft war nahrhaft, erstaunlich süß, mit einer feinen Säure. Alkmene nickte begeistert, erkundigte sich nach Prinzessin Isabellas Mutter und erfuhr, dass diese Maria Komnena heiße und im Palast ihres zweiten Gatten Balian von Ibelin weile. Alkmene ließ sich den Weg zum Palast beschreiben.

An Ständen mit farbigen Glasschalen vorbei drängte sie sich weiter. Da erblickte sie einen runden Torbogen, über dem der Gesalbte auf einem glänzenden Mosaik seine offene Hand den Betrachtenden entgegenstreckte. Eine romäische Kirche. Alkmene schlüpfte an den Bettlern vorbei hinein, genoss sogleich die Ruhe. Im Kerzenlicht glitzerte im Nordflügel die Ikone der Himmelskönigin. Alkmene kniete sich davor, hielt Sophias Gesicht an ihre Wange, wie die Muttergottes auf dem Bild.

»Lege deinen schützenden Mantel um meine Tochter«, flüsterte sie. Und hilf uns, eine Bleibe zu finden!« Alkmene vermeinte zu erkennen, wie die Madonna ihr zublinzelte.

Da erst vernahm sie die Stimmen in ihrem Rücken. Die beiden Frauen sprachen Griechisch, eine mit Akzent. Alkmene versuchte wegzuhören. Dann verstand sie, dass über die Sterne gesprochen wurde. Eine Sterndeuterin!

Alkmene legte Sophia vor sich auf den Boden und tastete nach dem Beutel an ihrem Brustband. Zwei Muskatnüsse hortete sie darin. Eierspeisen, Käse, Lauchgemüse, alles schmeckte mit Muskat besser. Einen Blick auf ihr Schicksal waren die Nüsse ihr wert. Fragend blickte sie zur Himmelskönigin hoch, die lieblich ins Kircheninnere blickte.

In Adrianopel war es Brauch, nach einer Geburt eine Sterndeuterin aufzusuchen. Es gehörte sich so. Alkmene nahm Sophia in die Arme und stellte sich so hin, dass sie das Gespräch der beiden Frauen nicht störte, aber sichtbar war. Bald wartete eine weitere Frau hinter Alkmene.

»Besucht Ihr sie oft?«, fragte Alkmene flüsternd.

»Jede Woche. Sie beantwortet all Eure Fragen.«

Die erste Kundin dankte mehrmals und entfernte sich unter Verbeugungen. Alkmene trat vor, kauerte sich vor die Frau, die unter einem Bildnis des Heiligen Gregors saß. Eines ihrer Augen war gänzlich weiß, mit Henna waren Spiralen auf die faltige Stirn und ihre Wange gezeichnet. Unter dem rau gewebten Schleier lugten graue Haarsträhnen hervor. Alkmene legte Sophia auf ihre Knie und eine Muskatnuss vor sich hin. Die Sterndeuterin nahm sie hoch, drehte sie in ihren Fingern.

»Ich suche für meine Tochter und mich eine Bleibe.«

»Eine Bleibe«, echote die Frau, eine gichtene Hand legte sich auf Sophias Stirn. Ihre eine Pupille rutschte hoch, sodass nun beide Augen weiß leuchteten. Erst jetzt erkannte Alkmene, dass ein glänzender Sternenhimmel aus tausenden von Mosaiksteinchen über ihnen an der Kirchendecke prangte.

»Wasser«, flüsterte die Frau. »Viel Wasser.«

»Wir kamen mit dem Schiff hierher«, bestätigte Alkmene.

»Sei ruhig!« Die Frau murmelte etwas, summte dann. »Ich sehe keine Bleibe; ich seh nur Wasser.«

Auch wenn Alkmene das Meer liebte, waren das keine guten Aussichten.

»Wasser und Feuer«, flüsterte die Frau.

»Was soll ich tun, damit wir eine Bleibe finden?«

»Das Feuer schadet ihr. Mehre das Wasser.«

Alkmene hätte gerne nachgefragt, da erschien die Pupille der Frau wieder, fixierte Sophia.

»Ich sehe das Kind in einem Palast«, sagte die Sterndeuterin nun mit klarer Stimme. »Ein Palast mit schlanken, hohen Säulen.«

»Wirklich? Welcher Palast?«

Die Frau rieb sich die Nasenwurzel, streckte die Hand aus. Alkmene reichte ihr die zweite Nuss.

»Bis dahin wird sie ein aufwühlendes Leben haben, aber sie ist stark. Achte auf genügend Wasser!«

Das wusste Alkmene schon.

»Im Palast wird sie eine Bleibe finden.« Die Frau knetete wiederum ihre Nasenwurzel, runzelte die Stirn: »Dort lebt sie mit einer reichen und schönen Mutter.«

Reich und schön? Alkmene war weder reich noch schön. Eher klein, kräftig und wohlgeformt. Aber schön?

»Ich bin die Mutter!«, rief Alkmene.

Die Frau musterte sie. »So steht es in den Sternen.«

Das war unerhört!

»Und der Vater?«

»Der Vater«, echote die Sterndeuterin, zeigte sich nun selbst überrascht. »Der Vater ist der Vater.«

Für solche Banalitäten brauchte Alkmene keine Sterndeuterin. »Wie kann …?«

Die Frau streckte ihre Hand aus. Alkmene hatte keine Nuss mehr und wenn, würde sie dieser Lügnerin keine mehr geben. Sie stand auf, hob Sophia hoch.

»Eine reiche und schöne Mutter«, wiederholte sie bitter.

»Achte auf das Wasser! Viel Wasser.«

Alkmene wirbelte herum und stolzierte aus der Kirche. Draußen lehnte sie mit schmerzender Hüfte gegen die Fassade.

»Eine Betrügerin«, erklärte sie Sophia, die mit aufgerissenen Augen an ihr vorbei in den bewölkten Himmel starrte. Die Frau hatte ihr nichts mitteilen können. Und dafür hatte sie ihre kostbaren Muskatnüsse geopfert! Alkmene atmete tief durch, starrte auf das Treiben in der Gasse, ohne dass ihr Blick hängen blieb. Sie war weder reich noch schön, aber sie war Sophias Mutter.

»Wir schauen, dass wir selbst reich werden«, erklärte Alkmene ihrer Tochter. Sie trat in die Gasse und erkundigte sich wiederum nach dem Palast der Ibelin. Vielleicht war Maria Komnena diese reiche und schöne Mutter, in deren Palast Sophia und sie eine Bleibe fanden.

• • •

»Du warst allein mit Sophia in der Stadt! Mit meiner Tochter!«

Diethelm setzte sich auf die Bettstatt. Alkmene war keine Noble. Dass sie sich unbegleitet auf die Straße wagte und sich von allen anstarren ließ, war eines. Aber Sophia solch Gefahr auszusetzen und das unter Fremden! Weder in Jerusalem noch auf ihrer Reise hierher war Alkmene allein mit Sophia durch unbekannte Gassen spaziert.

»Deine Tochter? Ich habe sie geboren.«

Diethelm vergaß oft, wie vernichtend Alkmenes Blick sein konnte. Er verkniff sich eine Antwort. Sie befanden sich in einer überfüllten Hafen-Stadt mit allerlei Gesindel und er war hier der Herr und Beschützer! Aber Alkmene blickte ihn so tadelnd an, als wäre er ein kleiner Junge.

»Maria Komnena kommt aus dem Hause unseres Basileus, durch ihre Heirat wurde sie zur Baronin. Wenn es mir gelingt, sie von meinen Kochkünsten zu überzeugen, können meine Tochter«, das »meine« hob Alkmene laut hervor, »und ich sorgenfrei an ihrem Hof - dem Hof einer reichen und schönen Mutter - leben und müssen nicht in einem verlumpten Heerlager Krankheiten einfangen.«

Diethelm schluckte, wich ihrem Blick aus. Den ganzen Tag hatte er bei Regen auf der Stadtmauer ausgeharrt. Eine unwürdige Arbeit. Dabei hatte er sich nach einer geeigneten Unterkunft für sie drei erkundigt. Leider war Tyros zurzeit der einzige lateinische Hafen in der Levante. Die Stadt war voller Flüchtlinge, Händler, herrenlosen Kriegern und eine bezahlbare Unterkunft schwer zu finden.

»Ein wohlhabender Hof mit Edeldamen. Und weshalb sollen sie dich und Sophia aufnehmen?«

»Ich habe das Gesinde ausgefragt. Für die Baronin werde ich Soutzoukos herstellen. Nüsse im Sapa-Mantel. Keine Byzantinerin kann diesen widerstehen, sie isst davon und will mich in ihrer Küche.«

Eine ziemlich abwegige Idee, fand Diethelm. Adelsleute nahmen kaum aus dem Nichts unbekanntes Gesinde in ihren Hof auf. Er schüttelte den Kopf. Alkmene sollte in der Kammer bleiben, Sophia stillen, und er sorgte für die beiden. Das war der göttliche Plan für Mann und Frau. Warum rannte sie in den Gassen umher und wollte bei Unbekannten kochen?

»Dafür brauche ich Silber.«

Das auch noch!

»Du gehst nicht in diese Küche.«

»Soll Sophia in einem Heerlager unter fremden Kriegern aufwachsen?« Ihre schrille Stimme erschreckte ihn.

»Wir haben kein Geld.«

»Ich könnte Pares‘ Kaftan eintauschen. Oder hast du deinen Sold vorbezogen?« Es klang ungewohnt unsicher aus ihrem Munde.

Alkmene drehte den Kopf zur Seite und er sah, wie sie die Tränen wegblinzelte. Pares‘ Name war gefallen, sie trauerte immer noch um ihn. Diethelm hatte den Eunuchen nicht beschützen können. Wegen Diethelms Liebschaft mit Aziza waren sie auf der Flucht und in dieser misslichen Lage. Die Schuld traf ihn wie ein Schlag. Er rückte zu ihr, legte den Arm um ihre Schultern und drückte sie sanft an sich. Seit Pares‘ Tod berührten sie sich nur noch selten.

Diethelm hatte auf ihrer Reise hierher Pares‘ Kleider getragen, in stillem Einverständnis mit Alkmene. Pares Kaftan bestand aus fein gewebter Wolle, schmiegte sich sanft an seine Haut und wärmte trotzdem. Darin fühlte er sich elegant und edel, und vor allem wurde Pares zu seiner zweiten Haut. Diethelm schluckte. Pares hätte Alkmene in eine noble Küche ziehen lassen. »Du darfst sie nicht einsperren, sonst verliert sie den Geschmack für ihre edlen Gerichte«, hörte Diethelm Pares Stimme.

»Pares wäre stolz, wenn du seinen Kaftan für diese Nüsse verkaufst«, raunte Diethelm zu seinem Erstaunen. Alkmene wischte sich das Gesicht trocken. Er blickte zu Sophia, merkte, wie er das Mädchen nicht weggeben wollte.

»Wenn Akkon erobert ist, hole ich euch.«

Sie blickte ihn ungläubig an. Jede Frau wäre dankbar dafür, bei Alkmene hatte er seine Zweifel. Aber er würde für seine Tochter sorgen. Da konnte Alkmene noch so verführerisch kochen.

Er musste zu seinen Leuten zurückkehren, vor seinem Lehnsherrn, dem Herzog, knien und ihm die Treue schwören. Mit denselben Lippen, die Aziza versprochen hatten, nie mehr nach Jerusalem zurückzukehren. Diethelm seufzte. Alkmene blickte ihn schuldbewusst an. Sie hatte ihn missverstanden.

»Nimm den Kaftan und verkauf ihn«, sagte er dumpf. Bestenfalls benötigte diese Baronin keine Köchin.

Alkmene putzte sich laut die Nase. »Sprechen wir morgen mit den Wirtsleuten. Sie sollen Sophia wie ihren Augapfel hüten, wenn ich hinausgehe, so bleibt sie geschützt im Haus.«

»Vertraust du ihnen?«

Alkmene wiegte den Kopf.

»Vertraust du ihnen, wenn ich breitbeinig, die Hand am Schwert vor sie hintrete und sie darum bitte? Auf fränkische Art.«

»Genau so.«

Sie schauten sich an und feixten wie kleine Kinder.

• • •

2

Soutzoukos – ein Gedicht für gefüllte Mägen

Koche Traubensaft ein.

Fädle Nüsse auf lange Ketten und tunke sie darin.

Wiederhole es eine Woche lang.

Die Zeit adelt die Speise.

A lkmene tunkte die auf einen Faden gereihten Nüsse in den eingedickten Saft und hing sie zum Trocknen auf. Zwei Tage lang würde sie dies tun, erinnerte sich, wie sie in der Palastküche in Adrianopel dies wochenlang getan hatten.

Das Geheimnis war die versteckte Säure im Sirup, die sich neben der Nuss und ihrem süßen Mantel erst im Abgang bemerkbar machte und danach drängte, einen weiteren Bissen zu nehmen. Es war nicht leicht gewesen, die Süße zu dosieren. Der Zuckerrohrsaft, der im Basar gepresst wurde, eignete sich. Trotzdem war Alkmene unsicher. Die Zutaten der Süßspeise waren nicht im Gleichgewicht, zu viel davon verursachte Bauchschmerzen. Soutzoukos war für gefüllte Mägen gedacht, dem Anreiz, mehr zu kosten, bis die Essenden es sich verbaten. Die süße Qual der Gesättigten. Alkmene kostete, hatte Mühe, ihre Aufmerksamkeit auf den Geschmack zu richten anstatt auf Sophia. Diese schlief in einem Korb neben ihr. Immer wieder trat die Wirtin in die Kammer, um nach ihr zu schauen, als wäre es ihr Kind.

Diethelm stand Wache auf der Mauer, störte sich daran, dass niemand wusste, wann die nächsten Schiffe nach Akkon fuhren.

»Ich bin ein fränkischer Nobler, kein Söldner im Kriegsdienst«, hatte er gebrummt. »Jetzt sollte der Montferrat seine Krieger nach Akkon einschiffen. Bald beginnen die Winterstürme und kein Schiff wird mehr fahren.«

Alkmene hatte darauf nichts zu sagen vermocht. Der Stadtherr wollte heiraten. Deshalb befand sich Maria Komnena hier und bei ihr würde sie Arbeit bekommen. Maria Komnena würde die Handschrift einer geübten Köchin erkennen, wenn sie von den Nüssen kostete.

Zwei Tage später stand Alkmene vor dem Diensteingang des Palastes und versuchte, Laufburschen auf sich aufmerksam zu machen.

»Soutzoukos – frisch hergestellt! Für die Herrin.« Einige waren bereit, die glänzenden Nussketten in den Palast zu nehmen, doch erst der dritte erlaubte Alkmene, in den Palast vor den Küchenmeister zu treten.

Dieser hatte eine schmutzige Schürze umgebunden, sein Kopf war geschoren. Er runzelte die Stirn und beäugte sie misstrauisch.

»Sou was?«, fragte er.

»Eine Süßigkeit, für die jede Byzantinerin schwärmt.« Auffordernd hielt Alkmene ihm eine Nusskette hin. Er schreckte zurück.

»Die Baronin ist seit Jahrzehnten nicht mehr in Byzanz gewesen«, brummte er.

»Ist die Baronin schön?«, fragte Alkmene, sich an die Worte der Sterndeuterin erinnernd.

»Diese Edlen sind alle schön.«

Alkmene brach eine Kette auseinander, verteilte Stücke an das umstehende Gesinde, lobte den Geschmack, verspeiste selbst ein Stückchen und strahlte. Die Ketten für die Herrin lagen in einem hübschen Holzkästchen in ihrer Hand. Sie wusste, dass die Übergabe eine heikle Angelegenheit war. Welcher Koch, der etwas auf sich hielt, wollte seiner Herrin Delikatessen einer fremden Köchin servieren? Dieser hier stellte weder Süßigkeiten her noch aß er davon. Waren seine Säfte aus dem Gleichgewicht?

»Schafgarbe-Aufguss, bevor die Sonne am höchsten steht«, sagte sie dem Küchenmeister und klopfte sich auf den Magen. Dieser starrte sie an, als würde er die Welt nicht mehr verstehen.

»Ich bringe Euch morgen welchen«, ergänzte sie und überlegte, ob sie im Basar Schafgarbe gesehen habe.

Der Koch winkte ab, versprach, Maria Komnena das Kästchen zu bringen.

»Sie hat Vorkoster«, sagte er und blickte Alkmene warnend an.

»Öffnet das Kästchen und zeigt auf die Nusskette, die ich vor Euch verspeisen soll«, erwiderte sie. Er winkte wieder ab. Alkmene erklärte, wo sie zu finden sei, wenn die Herrin eine byzantinische Köchin wünschte und verabschiedete sich.

Draußen atmete Alkmene auf, merkte erst, wie aufgeregt sie war. Wenn die Baronin anbiss, war Sophia in Sicherheit.

• • •

In der Herberge nahm sie das schreiende Mädchen wie im Schlaf entgegen, stillte sie, sah vor sich die Palastküche, die Kasserollen, Reiben, Pfannen, roch den geriebenen Pfeffer, gemörserten Koriander und merkte, wie sie sich danach sehnte.

Sie wickelte Sophia, wusch die Windeln aus und schlief bereits, als Diethelm zurückkehrte und sie aufschreckte.

»Zu wenig Wachen auf der Stadtmauer«, brummte er. »Tyros hält den einzigen lateinischen Hafen weit und breit. Dieser Konrad will König von Jerusalem werden, Saladins Heer zurückschlagen und stellt zu wenig Wachen auf die Mauer.«

Alkmene gähnte, nickte und schlief weiter.

Tags darauf tigerte Alkmene in der Herberge hin und her. Wie lange würde es dauern, bis die Baronin eine Magd vorbeischickte? Sollte sie mit einem Schafgarbenaufguss in den Palast gehen?

Sophia heulte, war kaum zu beruhigen. Alkmene half der Wirtin, einen anständigen Brei zuzubereiten, tunkte Nussketten in Weintraubensirup, falls Maria Komnena nach weiterem Soutzoukos gelüstete.

Da klopfte es an die Kammertür, eine Magd stand davor.

»Seid ihr die Köchin?«, fragte sie auf Griechisch. Eine heiße Welle durchfuhr die nickende Alkmene. So schnell hatte sie niemanden erwartet!

»Meine Herrin möchte Euch sehen.«

Die Wirtin zeigte weniger Begeisterung, auf die heulende Sophia aufzupassen als am Tag zuvor. Alkmene richtete ihre Stola, bemerkte, dass sie diese besser gewaschen hätte, und eilte der Magd nach. Sie lief wie auf Wolken. Ihr Soutzoukos war nicht im Gleichgewicht gewesen und trotzdem hatte die Baronin schnell angebissen. Den Palast kannte Alkmene, auch den Gesindeeingang. Nach einigen Schritten bog die Magd in einen Innenhof ab, betrat einen Vorraum, in dem ein prächtiger Teppich lag, und bedeutete Alkmene zu warten.

»Nein!«, ertönte eine laute Stimme aus dem Saal dahinter. Die Verbindungstür musste nur angelehnt sein. »Ich heirate diesen alten Haudegen nicht. Ich bin schon verheiratet!«

Isabelle von Jerusalem, die Tochter von Maria Komnena, schloss Alkmene aus den Worten und blickte fragend zur Magd, die so tat, als hätte sie nichts gehört.

Die dunkle Stimme, die daraufhin antwortete, konnte Alkmene nicht verstehen.

»Kein Bischof wird diese Trauung durchführen! Keiner!«, schrie die erste Stimme.

»Ich werde nicht erlauben, dass du das Erbe deines Vaters mit den Füßen trittst. Du bist aus königlichem Geblüt, Isabella«, antwortete die dunkle Stimme laut und drohend.

Etwas klirrte, dann wurde die Verbindungstür aufgerissen. Eine junge Frau stürmte an ihnen vorbei. Die braunen Haare kunstvoll hochgesteckt, das glitzernde Kleid umschmeichelte ihre schlanke Gestalt. Alkmene blickte ihr nach.

Adelsfrauen, dachte sie. Mussten ihr Leben lang keinen Finger rühren, dafür wurden sie an einen Noblen verschachert, um Geld zu mehren oder den Frieden zu wahren.

Unterdessen war die Magd in den Raum gehuscht, wenig später öffnete sie die Tür und winkte Alkmene. Diese zupfte ihre Stola zurecht und betrat ihn.

Maria Komnena war eine stattliche Frau, aufrecht thronte sie auf einem kunstvoll geschnitzten Sessel inmitten ihrer Hofdamen. Sie musterte Alkmene mit berechnendem Blick. Ein glitzernder Schleier bedeckte ihr angegrautes Haar, darunter blitzten die goldenen Ohrringe hervor. Sie war reich und schön, wie die Sterndeuterin gesagt hatte. Alkmene verbeugte sich tief.

»Die Köchin. Wo hast du gearbeitet?«, kam die Baronin direkt zum Thema.

»Beim Kephalen von Adrianopel.« Alkmene nannte Titel und Namen. »Mein Onkel war Küchenmeister, auch mein Großvater wie dessen Vater. Sie lehrten mich alles.«

»Alles«, echote die Baronin. »Wir brauchen deine Dienste. Du kannst gleich beginnen.« Sie winkte der Magd.

Alkmene schwindelte. Ihr Soutzoukos musste umwerfend geschmeckt haben! »Ich …«, stotterte sie. »Meine Tochter … Erst sollte ich meine Tochter holen.«

»Tochter?« Das schien der Baronin weniger zu gefallen. »Bist du verheiratet?«

Auf die Frage war Alkmene nicht vorbereitet. Sie zögerte. Sie war Witwe von einer Ehe, die niemand anerkannte. Sie trug keinen Witwenschleier, da es bis dahin einfacher gewesen war, Diethelm als ihren Ehemann auszugeben.

»Mein Mann arbeitet bei der Stadtwache«, erklärte sie. Sollte sie erwähnen, dass dies kein Problem sei, dass sie mit Maria Komnenas Hof reisen würde und Diethelm zurückblieb, oder klang das seltsam?

Die Baronin wechselte mit einer Hofdame einen Blick.

»Dann zeige Uns deinen Mann«, verlangte sie.

Alkmene nickte verwirrt.

»Morgen«, ergänzte die Baronin und winkte sie weg. Alkmene stolperte der Magd hinterher aus dem Palast. Sie hätte sich als Witwe ausgeben sollen! Nun wollte die Baronin Diethelm sehen. Hatte der Soutzoukos sie nicht überzeugt?

Beim Betreten der Herberge hörte sie bereits Sophia in der Küche schreien. Sie eilte hin, beruhigte das Kind, gab ihr die Brust und wartete unruhig auf Diethelm. Wie am Tag zuvor kehrte er erst spät in der Nacht zurück. Alkmene, noch wach, berichtete gleich.

»Anstatt, dass ich ihr ein zauberhaftes Gericht kredenze, will sie dich sehen«, schloss sie.

Diethelm hatte ihr mit diesem brummigen Gesichtsausdruck zugehört, den er seit Tagen trug. Nun erhob er sich und lief in ihrer kleinen Kammer hin und her. Sophia erwachte und wurde unruhig.

»Was ist los?«, fragte Alkmene, während sie Sophia in die Arme nahm. Seine Säfte schienen durcheinandergeraten. Hatte er zu scharf gegessen und sollte etwas Kühles zu sich nehmen?

Diethelm setzte sich, stand wieder auf.

»Dieser Montferrat«, sagte er, als hätte er etwas Verdorbenes gegessen. »Anfänglich hieß es, er sammle ein Heer und ziehe gegen Akkon. Dann hieß es, er sammle ein Heer, ziehe gegen Akkon, um dort zu heiraten und König von Jerusalem zu werden. Nun habe ich erfahren, dass er schon vor Akkon kämpft und seine Braut von hier aus zu ihm reisen soll. Diese ist aber verheiratet und will sich nicht scheiden lassen. Das bedeutet, im schlechtesten Fall bleiben wir den ganzen Winter lang in dieser Stadt hängen.«

Alkmene erinnerte sich an das Gespräch zwischen Maria Komnena und ihrer Tochter, der Braut. Es hatte nicht danach geklungen, dass Isabella gleich nach Akkon reisen würde.

»Was hält Prinzessin Isabellas Ehemann von Montferrats Plänen?«

»Der kämpft vor Akkon und sagt nichts. Sonst würde der bald einen Dolch im Rücken spüren. Es wird gemunkelt, Konrad von Montferrat finde keinen Bischof, der ihn mit einer verheirateten Braut verheiratet.«

Das klang schlüssig.

»Was hast du vor?«, fragte Alkmene. Diethelm strich über seinen Bart.

»Die Stadtwache ist unterbesetzt und bekommt den Sold unregelmäßig. Wenn wir alle drei dieser Baronin dienen, verlasse ich die Wache. Bestenfalls zahlt sie besser. Falls es zu einer Heirat kommt, segle ich mit der Braut.«

• • •

Tags darauf machten sie sich zu dritt auf den Weg zum Palast und wurden beim Gesindeeingang eingelassen. Kaum hatten sie den Palast betreten, geschah es. Diethelm richtete sich auf, schritt stolz mit federndem Gang daher, als sei er hier der Herr oder zumindest ein willkommener Gast.

»Du bist ein Wachmann«, flüsterte Alkmene. Er warf ihr einen verwunderten Blick zu, wirkte trotz des groben Übergewandes mit dem gestutzten Bärtchen und dem geölten Haar wie ein verkleideter Prinz.

Sie wurden zum Warten in denselben Vorraum geführt. Alkmene überlegte sich, wie sie Diethelm belehren solle. Da wurden sie bereits von einer Hofdame eingelassen.

Maria Komnena thronte wie am Vortag mit ihren Frauen im Saal. Als diese Diethelm erblickte, ging mit ihr eine wundersame Wandlung einher. Sie strich eine Haarsträhne unter den transparenten Schleier, lehnte sich sinnlich zurück.

»Dein Gatte?«, fragte sie und Alkmene erkannte, dass sie einen Fehler gemacht hatte.

Sie hinkte mit der strampelnden Sophia im Arm, war einen Kopf kleiner als Diethelm und trug eine Rida nachlässig über ihr Haupt geschlungen. In Marias Welt konnten sie kein Ehepaar sein. Einer wie Diethelm kleidete seine Gattin in Samt und Seide, sperrte sie in einen Turm und ließ sie nicht in der Küche arbeiten.

»Ja, Herrin«, antwortete Alkmene trotzdem und sie beide beugten das Haupt.

Die Baronin winkte Diethelm zu sich. Dieser trat vor sie und kniete sich so schwungvoll hin, als würde er ihr das Paradies zu Füßen legen.

Die Baronin sprach ihn an, da Diethelm kein Griechisch verstand, wechselte sie ins Arabische. Sophia wurde unruhig und Alkmene war froh, sich um die Tochter kümmern zu müssen. Schon einmal hatte sie erlebt, wie eine Edeldame Diethelm erlag. Nicht, dass sie das stören sollte, sie waren kein Paar, gaben nur vor, eines zu sein. Alkmenes Stolz war trotzdem verletzt. Sie wollte wegen ihrer Kochkünste am Hof arbeiten, nicht wegen Diethelms ritterlichen Gehabes. Dieser wurde eben über seine Kampfkünste befragt und hielt sich bei den Antworten vornehm zurück, ließ trotzdem durchblicken, dass er zu Ross gekämpft hatte, ein Schwert zu gebrauchen wusste.

Die Baronin kicherte wie ein Mädchen, die Hofdamen zupften keck ihre Schleier zurecht.

Alkmene stöhnte innerlich, stellte sich schon vor, wie sie diesen Hof fluchtartig verlassen mussten, weil die Komnena und Diethelm sich zu nahekamen, wie damals in Jerusalem, bevor Azizas Gatte auftauchte.

»Herrin«, hörte sie Diethelm in seinem noblen Arabisch antworten. »Ich würde alles für Euch tun. Aber ich schwor dem Herzog von Schwaben meine Treue.«

Die Baronin verzog keine Miene, äußerte ihr Bedauern. Diethelm zeigte sich untröstlich. Alkmene schoss das Blut ins Gesicht. Hatte er vergessen, dass sie hier arbeiten und wohnen wollten?

Die Hofdamen blickten enttäuscht, die Baronin lobte wiederholt Diethelms Erscheinen und entließ ihn graziös. Diethelm erhob sich schwungvoll.

»Die Küche«, sagte Alkmene und merkte, wie plump dies im Vergleich zu Diethelms Phrasen klang.

»Küche?« Die Baronin schien Alkmene erst jetzt wieder zu bemerkten.

»Ich sollte in der Küche beginnen«, stotterte Alkmene. Wenn Diethelm der Baronin seinen Dienst verweigerte, hieß das noch lange nicht, dass sie es auch tat! Die Baronin hatte Alkmene wegen ihres Soutzoukos gerufen.

»Du sagst es.« Die Baronin nickte einer Hofdame zu, winkte sie weg. Die drei verließen den Raum.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, funkelte Alkmene den Ritter an. Hatten sie nicht abgesprochen, zusammen der Komnena zu dienen?

»Sie ist eine Schlange«, flüsterte Diethelm. »Wir können ihr nicht trauen.«

»Sie ist eine Byzantinerin«, antwortete Alkmene. Maria Komnena hätte es nie so weit gebracht, wenn sie nicht hinterlistig und berechnend war. Was dachte sich der Ritter?

Dieser schaute Sophia an, als wolle er von ihr Abbitte bekommen. »Lieber bleibe ich ohne Sold bei der Stadtwache«, sagte er zu seiner Tochter, suchte nach Worten. »Alkmene, das ist kein guter Ort. Bleib bei mir!«

Er konnte gut reden. Glaubte er, ein schmutziges Heerlager sei besser? Sie war in einer Palastküche aufgewachsen und kannte deren Gefahren. Sie blieb hier!

Alkmene reichte ihm Sophia. »Wickle sie, bringe sie mir am Nachmittag zum Stillen zusammen mit meinen Bündeln!«

»Nein. Diese Frau hat etwas …« Diethelm suchte nach Worten. War er eifersüchtig, weil sie und Sophia nun in einem Palast wohnten? Maria Komnena hatte ihr Soutzoukos gegessen und wünschte sie als ihre Köchin.

»Wir bleiben«, erklärte Alkmene. »Löse in der Herberge mit deinem Sold Pares‘ Umhang aus! Behalte ihn!« Diethelm sah darin wunderschön aus.

Dieser schüttelte den Kopf. »Nimm du den Umhang! Für den Notfall, falls du Geld brauchst.«

Alkmene wollte widersprechen, merkte, dass keine Zeit zum Streiten war. Das würde sie mit Diethelm aushandeln, wenn er wiederkam. Unterdessen würde sie sich hier einrichten, unentbehrlich machen und Sophia ein sicheres Heim bieten. Alkmene nickte Diethelm zu und folgte der Hofdame in die Palastküche.

Simple Küche, das hatte Alkmene schon bei ihrem ersten Besuch befunden. Es fehlten die Kräuterbüschel für die Speisesalzmischungen, die Gewürztiegel, die Töpfe mit Tunken und Eingemachtem. Diese Ibelins waren geizig oder keine Feinschmecker oder beides. Nach Anweisungen der Hofdame sollte sie in der Küche auf Befehle der Herrin warten.

»Noch eine, die nur im Weg herumsteht«, brummte der Küchenmeister. Alkmene hatte nicht vor, dies zu tun. Erst machte sie ausfindig, wo die Kinder der Dienerschaft gehütet wurden. Glücklicherweise waren zwei dabei, die noch gestillt wurden. Sie kehrte in die Küche zurück, um sich über die Menüplanung zu erkundigen.

»Fische und Meeresgetier?«, fragte sie, gerne wollte sie lernen, wie man diese schmackhaft zubereitete. Im Bazar war sie an mehreren Fischständen vorbeigekommen.

»Kochen wir zur Fastenzeit. Die Herren verlangen rotes Fleisch, wenn sie anwesend sind. Jetzt kämpfen sie eingekesselt vor Akkon und niemand weiß, wann die zurückkehren. Die Damen verlangen Geflügel.« Der Küchenmeister zuckte die Schultern.

Die Ibelins waren keine Feinschmecker.

• • •

Der kalte Nachtwind schlug Diethelm ins Gesicht. Er hatte sich freiwillig für die Nachtwache gemeldet, nachdem er seine Bündel in die Schlafstuben der Stadtwache gebracht hatte. Warum in der Herberge bleiben, wenn er bei der Wache nächtigen konnte?

Das eintönige Essen, die spröden Lederrüstungen, der Gestank nach ungewaschenen Körpern. Dies alles drängte ihn zurück in sein altes Leben. Während seiner Reise hierher hatte Sophia ihn über die Trennung von Aziza getröstet. Sophia im Arm hatte er Azizas Stimme gehört, sich ihrer Erzählungen erinnert, ihrer dunklen Augen, der Berührungen und ihres ranken Körpers. Nun fürchtete er, dass die Erinnerung an sie immer blasser würden, bis Aziza selbst zu einer Traumgestalt wurde und er sich kaum noch ihres Geruchs erinnerte.

Diethelm schob seinen Helm zurecht, sodass der eingelegte Lederschutz über sein Haupt schabte.

Ein Ruf des Wachmannes nebenan riss ihn aus seinen Gedanken und er schritt zu ihm.

Zusammen starrten sie auf die dunkle Ebene vor der Stadt.

»Nichts«, brummte der andere. »Keine Heiden weit und breit. Die bedrängen das christliche Heer vor Akkon.«

Die Ritter des Heiligen Kreuzes belagerten seit über einem Jahr Akkon und waren selbst von Saladin und seinem Heer umzingelt, soviel hatte Diethelm unterdessen verstanden.

»Warum fällt der Markgraf mit seinen Kriegern dem Sultan nicht in den Rücken und entlastet damit das christliche Heer?«, fragte er.