Verbeugung vor Spiegeln - Martin R. Dean - E-Book

Verbeugung vor Spiegeln E-Book

Martin R. Dean

4,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Man könnte meinen, das Fremde sei allgegenwärtig. Jedenfalls gibt es kaum ein Thema, das von der Tagespolitik über die Medien bis zu den Stammtischen so heftig diskutiert wird, und immer geht es um die Fremden und um Abwehr, Regulierung und Integration. Martin R. Dean, als Sohn eines Vaters aus Trinidad in der Schweiz geboren, kennt die Debatte, vor allem aber kennt er die Erfahrung, die er in vielen seiner Romane fruchtbar gemacht hat. So auch in diesem Buch, in dem er das Fremde als radikale Erfahrungsmöglichkeit im Austausch unter Menschen beschreibt. In einer Art Selbstbegegnung sucht er nach Spuren der eigenen Verwandlung, wie sehr ihn das Fremde, die Begegnung mit dem anderen, auf Reisen, in der Literatur, zu dem gemacht hat, der er ist. Und er kommt zu einem überraschenden Schluss: Das Fremde, das eigentliche Kapital der Moderne, droht in den Prozessen der Globalisierung zu verschwinden. Um es wiederzugewinnen, müssen wir darauf bestehen, dass das Fremde fremd bleibt, wir müssen es aushalten. Und wir müssen vor allem »verlernen«, es uns verständlich machen zu wollen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
4,0 (16 Bewertungen)
6
4
6
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Verbeugung vor Spiegeln

© 2015 Jung und Jung, Salzburg und WienAlle Rechte VorbehaltenISBN 978-3-99027-069-1

MARTIN R. DEAN

Verbeugung vor Spiegeln

Über das Eigene und das Fremde

Fremdheit zur Welt ist ein Moment von Kunst,wer anders denn als Fremdes sie wahrnimmt,nimmt sie überhaupt nicht wahr.

Theodor W. Adorno

Das Fremde ist am Verschwinden. Die Fähigkeit, es noch auszuhalten, verkümmert in dem Maße, wie die globale Freiheit zunimmt. Das Fremde ist zum Kleingeld geworden im alltäglichen Gezänk politischer Parteien um die Ausländer, denen die Fremdheit durch »Integration« genommen werden soll. Sie sollen sein wie wir, sie sollen sich anpassen und jeden Rest abweichenden Verhaltens verlieren. Auch die Fremdheit zwischen den Geschlechtern wird durch eine Strategie, die sich an den Partnerbörsen alphabetisiert, verkleinert. Die globale Fremdheit wird durch Google Earth beseitigt, und wo in den Köpfen noch Unverstandenes lauert, wird es durch die am Kommerz schlagkräftig gewordene Rationalität getilgt.

»Ohne Weltenkenntnis fehlt’s an Herdverständnis. Ohne Globus auch kein Heimatbonus«, schreibt Botho Strauß. Heimat gibt es, in der Tat, im Überfluss. Aber was wird, wenn unser Bewusstsein nur noch Bekanntes wiederkäut? Das Wagnis der Differenz, auf das wir mit unserem Denken die letzten fünfzig Jahre gebaut haben, scheint verloren zu gehen.

Die Austreibung des Fremden bringt kein Heil, nicht mehr Vertrautheit und nicht mehr Gerechtigkeit; sie beraubt uns lediglich unserer Fähigkeit zur Toleranz. Sie nimmt uns ein Rätsel, eine Dimension der Erfahrung weg, die im Staunen, in der Überraschung oder im Schock ihren Ausdruck findet. Und in der Verwandlung.

Dem Reisenden wird heute die Fremde nicht mehr richtig fremd. Was wir an Erfahrung mit nach Hause bringen, ist oft nicht aufregender als die Souvenirs, die wir noch schnell am Flughafen kaufen. Reisen bedeutet nur mehr Auszeit von der Arbeit.

So besteht die Gefahr, dass das Ausgeschlossene zur Bedrohung wird. Dass es, gänzlich vom Eigenen abgespalten, zum Feind wird. Die grundsätzliche Einsicht Freuds, dass es keine Welt gibt, in der wir je völlig zu Hause wären, hat sich nicht durchsetzen können. Der Kampf gegen das Fremde führt vielmehr zu einem Verlust an Innenraum, in dem nichts anderes mehr Platz hat als das, was wir selber sind. Freuds Einsicht war ein Gegenmittel dazu, auch gegen das Gefühl der »Heimatlosigkeit«, das ganze Völker wie eine Krankheit heimsucht.

Erst die Fremdheit bringt den Kern des Selbst zum Vibrieren. Sie bildet das Kapital der Moderne, aus dem die Kreativität ihre künstlerischen Funken schlägt. Ihre Abwehr verdankt sich einem Ressentiment, das für Nietzsche zum Allzumenschlichen gehört. Er monierte die menschliche Schwäche, Unbekanntes auf Bekanntes zurückzuführen: »Das Bekannte ist das Gewohnte; und das Gewohnte ist am schwersten zu ›erkennen‹ […].«

Im vorliegenden Buch unternehme ich Spaziergänge durch die Gärten des Fremden, die, wie wäre es anders zu erwarten, das Eigene zum Vorschein bringen. Meine »Heimat« brauchte lange, um mir zum Gewohnten zu werden. Sie trug mir eine lebenslange Arbeit auf, nämlich das »Festland« zu verlassen, um in der Ferne mich des Eigenen zu bemächtigen Das Meer, das sich zwischen meiner Vaterinsel und dem Mutterland erstreckt, war lange der einzige Grund, von dem aus ich meine Selbsterkundung betreiben konnte. Ich musste mir Festland erschreiben. Schreibend mich meines Selbst vergewissern, indem ich es aufs Spiel setzte und mich in fiktiven Rollen weiter entwarf. In meinen Büchern gibt es keine Figur, die nicht die Sehnsucht in sich trüge nach dem, der ich, mangels fester Identitätszuschreibungen, auch gern gewesen wäre. Das andere Leben ist für den, der im Dazwischen lebt, eine stetige Versuchung. Schreiben bedeutete für mich also von Anfang an Selbsterhaltung wie Selbstverlust.

Die Gärten und die Städte

Meine früheste Erinnerung ist die ans Meer. Mein Kinderbett stand unter der Schwarzweißfotografie einer gischtenden Brandung, Wasser, dunkel an den schroffen Felsen von Toco in Trinidad aufschäumend. Kaum lag ich in den Kissen, toste es um meine Ohren. Aber mein Bett stand nicht in den Tropen, sondern in einem kleinen Aargauer Dorf. Und über mir wütete die Karibische See, die so wenig idyllisch ist, wie meine Kindheit war.

Mit meiner Mutter und dem ersten, dem leiblichen Vater – später auch mit dem zweiten – überquerte ich in einem Alter, in dem Sprechen noch kaum möglich war, auf dem Schiff mehrmals den Ozean. Am 25. November 1955, so ist der Passagierliste des englischen Schiffes zu entnehmen, stach ich mit meiner Mutter und meinem Vater Ralph von Liverpool aus in See Richtung Trinidad. Ich war damals etwas über vier Monate alt, und das Meer muss eine verschlingende Urgewalt gewesen sein. Das Tosen mein Urgeräusch, mit dem ich, unter der Fotografie liegend, Abend für Abend einschlief. Das Meeresrauschen war unheimlich und gab mir ein Gefühl der Unbehaustheit. Ich gehörte weder dahin noch dorthin, ich war im Dazwischen zuhause, das mich Nacht für Nacht zu verschlingen drohte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!