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Kein Kuchen ist auch keine Lösung. Das Wetter in Irland ist schlecht und die Geschäfte laufen schleppend für Emilys kleinen Foodtruck. Das schlägt auf die Stimmung – und nicht nur auf ihre. Superintendent Tony Doyle ist mürrisch, ihre Freundin Sinéad ungewöhnlich frostig. Da hilft es nicht, dass Emily eigentlich eine Entscheidung treffen müsste, die ihr gesamtes Leben erneut auf den Kopf stellen könnte. Um sich abzulenken, meldet sie sich für einen Backkurs bei der berühmten Fernseh-Konditorin Antonella Dawson an. Emily ist zwar kein Talent in der Küche, aber was soll schon passieren? Wie sich herausstellt: so einiges ...
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Veröffentlichungsjahr: 2025
IMPRESSUM
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
IMPRESSUM
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Batheyer Str. 115-117, 58099 Hagen, 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Kuchen ist auch keine Lösung.
»Eins, zwei, drei, knack, links das Eigelb, rechts das Eiweiß. Die Eigelbe stellen wir beiseite, daraus können wir später noch eine kleine Crème Brûlée zaubern. So, versucht es mal.«
Emily starrt fassungslos auf die perfekt manikürte Hand von Antonella Dawson, die gerade mit einer einzigen Bewegung ein Ei getrennt hat. Nie im Leben wird sie das hinbekommen. Selbst mit zwei Händen wäre das schon Herausforderung genug.
»Na los, traut euch«, fordert die Profibäckerin auf und Emily fragt sich nicht zum ersten Mal an diesem Vormittag, ob es wirklich so eine gute Idee war, sich spontan für den Backkurs »Cake Heroes« anzumelden. In der CookAdemy an der Old Dublin Road in Galway war spontan ein Platz freigeworden und da sie gerade nichts Besseres zu tun hatte, hatte sie die Gelegenheit genutzt.
In ihrem früheren Job als Buchhalterin bei Chatsworth Publishing in London hätte sie jetzt alle Hände voll zu tun gehabt. Quartalsabschluss, Steuererklärungen, externe Prüfungen oder Budgetplanung waren da typisch im Frühjahr. Aber sie hatte ja nun ein neues Kapitel als Selbstständige aufgeschlagen, und während sie sich in der Weihnachtszeit mit ihrem rollenden Café namens Emily’s Delicacies vor Arbeit kaum hatte retten können, laufen die Geschäfte aktuell mehr als mau. Nur ab und zu fährt sie noch mit ihrem Foodtruck auf einen Wochenmarkt. Doch an lukrative Festivals und Touristenströme ist erst zu denken, wenn die Sonne sich wieder zeigt.
»Eier trennen? Was für eine Zeitverschwendung! Galway United hat gerade den Trainer gewechselt, zwei starke neue Stürmer gekauft und spielt eine super Saison...und ich stehe hier, rühre im Teig wie auf einem Kindergeburtstag und muss über den Quatsch auch noch schreiben!«, murrt Harold O'Keefe, der Reporter des Galway Chronicle. Weil Lucinda, die Food-Redakteurin der kleinen Redaktion, gerade mit Fieber im Bett liegt, ist er von seinem Chef dazu verdonnert worden, über den Backkurs mit der prominenten Bäckerin zu berichten.
Überhaupt ist es ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der sich hier zusammengefunden hat. Anders als Harry sind Ian und Ralph Adams freiwillig da. Die beiden sind um die sechzig, Fans von flauschigen Strickpullovern und schon seit vielen Jahren ein Paar. Finola O‘Halloran ist mit Anfang zwanzig das Küken unter den Cake Heroes und hat gerade begonnen zu studieren – eines dieser neuen Fächer an der Galway University, von denen Emily vorher noch nie etwas gehört hat. Für sie müssen die Zutaten nicht nur vegan und idealerweise glutenfrei sein, sondern auch fair gehandelt und tierversuchsfrei. Dementsprechend macht sie auch keinerlei Anstalten, ein Ei aufzuschlagen.
In dem Moment, als Antonella vor ihrer Station auftaucht, bereut Emily zutiefst, sich nicht auch als Veganerin ausgegeben zu haben.
»Eins, zwei, drei, knack!«, fordert die Kuchen-Queen sie mit strengem Blick auf. Bisher kannte sie die irische Bäckerin nur aus dem Fernsehen, genauer gesagt aus ihrer beliebten Sendung From Dough to Delight. Langes braunes Haar, immer top gestylt, dazu perfekt geschminkt und auf eine alterslose Art elegant, schien ihr das komplizierteste Rezept immer mühelos zu gelingen. Auch wenn sie in Wahrheit genauso aussieht wie auf dem Bildschirm, ist sie eindeutig weniger sympathisch. Ob es daran liegt, dass ihr die TV-Kameras fehlen, oder an dem mangelnden Talent mancher Teilnehmer, ist schwer zu sagen, aber im Laufe des Vormittags hat Emily sie immer wieder dabei beobachtet, wie sie mit glasigem Blick aus dem Fenster in den Regen starrte, als wäre sie jetzt lieber ganz woanders.
»Eins, zwei, drei, ups«, murmelt Emily und schaut betreten auf das große Stück Eierschale, das in ihrer Schüssel schwimmt.
Antonella seufzt, zupft die Manschetten ihrer grünen Seidenbluse mit den feinen, eingewebten Goldfäden zurecht, auf denen kein einziger Schokoladenfleck oder Teigkrümel zu sehen ist, anders als auf Emilys rosafarbenem Sweatshirt und der bunten Schürze aus dem Secondhandladen, und geht einen Tisch weiter.
»Die Nächste bitte. Eins, zwei …«
Margaret Malone stellt sich deutlich geschickter an als Emily. Das verwundert wenig, ist sie doch die Vorsitzende des Galway Women's Club. Emily hat die Witwe des Austernfischers Rory Malone vor einigen Monaten kennengelernt, als sie der Polizei geholfen hat, den Mord an ihrem Mann aufzuklären. Trotz allem ist sie mit der Mittfünfzigerin nie wirklich warm geworden, was weniger an Emily und mehr an Margarets herablassender Art liegt.
Nachdem Antonella jeden Teilnehmer ihres exklusiven Kurses auf die Ei-Aufschlag-Probe gestellt hat, erklärt sie die heutige Unterrichtseinheit für beendet.
»Und weil noch keine Göttin vom Himmel gefallen ist – und auch kein Gott –, habe ich noch eine kleine Hausaufgabe für euch«, verkündet sie, während sie ihr neustes Backbuch in die Höhe hält. »Auf Seite 37 findet ihr das Rezept für Victoria Sponge. Den backt ihr bitte zu Hause, mindestens zweistöckig. Die Creme macht ihr selbst, die Marmelade dürft ihr kaufen. Normalerweise hätte ich meinen Assistenten gebeten, für jeden von euch ein Glas meines eigenen Strawberry Jams mitzubringen, aber im Moment ist er restlos ausverkauft.«
»Also, wir machen unsere Marmelade auch immer selbst«, sagt Ian. »Mit Obst aus unserem eigenen Garten«, ergänzt Ralph.
Streber, denkt Emily.
»Überlegt euch, wie ihr den Kuchen gestalten wollt. Morgen geben wir den Dekorationen dann den letzten Schliff, indem ich euch zeige, wie man Zuckerblumen und Marzipanobst herstellt. Falls jemand mein Buch noch nicht haben sollte, könnt ihr das bei Trudie erwerben.«
Trudie Fitzpatrick ist die Office Managerin der Galway CookAdemy.
»Was kann ich denn für dich tun?«, flötet sie, als Emily an die geöffnete Tür ihres Büros klopft. Es sieht äußerst gemütlich aus, wie sie da auf einem großen, mit Fell überzogenen Kissen vor ihrem Rechner thront: die Beine auf einem Fußhocker und eine dampfende Tasse Tee neben sich.
»Ähm, ich würde gern Antonellas neustes Buch kaufen«, sagt Emily kleinlaut, denn ihr ist nicht entgangen, dass alle außer ihr dieses Werk bereits in ihrem Besitz haben. Selbst Harold hat sich sein Exemplar von der TV-Queen signieren lassen.
»Hier. Das macht vierunddreißig Euro. Und denkst du daran, noch die zweite Hälfte der Kursgebühr in bar mitzubringen?«
»O Gott, das hab ich völlig vergessen«, entschuldigt sich Emily, die in finanziellen Dingen sonst überkorrekt ist. »Leider habe ich gerade nicht genug Geld dabei.«
»Du kannst es mir gern morgen früh vorbeibringen«, sagt Trudie mit nachsichtigem Lächeln und rückt ihre große, rote Brille zurecht. »Aber komm bis spätestens zehn Uhr. Ihr seid der vorerst letzte Kurs diesen Monat – ich werde nur schnell das Büro aufräumen und habe dann endlich mal ein paar Tage frei. Da freue ich mich schon so lange drauf!«
»Na klar«, antwortet Emily. »Das kriege ich hin!«
Mit einem erleichterten Seufzer macht Emily den Schirm zu und schließt die Tür hinter sich. In dem gemütlichen Cottage ihrer Großmutter, in dem sie seit letztem Sommer wohnt, ist es warm und trocken. Draußen hat das Frühlingswetter Galway fest im Griff. Es wechselt unentschlossen zwischen Böen, Starkregen und feinem Nieseln hin und her. Zwar sind die heftigen Stürme, die im Winter über die Insel fegten, inzwischen abgeflaut. Die Sonne hat sich allerdings schon länger nicht mehr blicken lassen. Kein Wunder, dass es überall in der Stadt schnieft und keucht. Einfach jeder ist gerade erkältet, außer Deirdre vielleicht, die merkwürdigerweise nie krank zu werden scheint. Oder wenn, dann würde sie es einfach nicht zugeben.
»Na, Liebes, wie war's?«, fragt ihre Grandma, die sich gerade ein elegantes, kleines Hütchen auf den Kopf setzt.
»Geht so. Angeblich ist noch keine Göttin vom Himmel gefallen«, grinst Emily. »Gehst du aus?«
»Ich hab dir doch von diesem reizenden Tierarzt erzählt, den ich neulich beim Lindy Hop kennengelernt habe.«
»War der nicht verheiratet?«, glaubt sich Emily zu erinnern.
»Na und? Ich will den ja nur flott übers Parkett schieben, weiter nichts. Für seinen Hüftschwung könnte ich töten.«
»Bitte keine weiteren Leichen, von denen hatte ich in den letzten Monaten genug. Und während du dich vergnügst, backe ich in der Zwischenzeit einen Kuchen.«
»Oha«, sagt Deirdre, und schon ist sie verschwunden.
Als sie neunzig Minuten später die Form in den Ofen schiebt, weiß Emily auch, was ihre Grandma mit ihrem ominösen »Oha« gemeint haben könnte. Die geschätzte Backzeit von knapp dreißig Minuten wird nicht ausreichen, um das Chaos, das sie in Deirdres Küche angerichtet hat, zu beseitigen. Vielleicht sollte sie sich einfach damit abfinden, dass ihr Kuchen zu essen eindeutig mehr liegt als Kuchen zu backen. Dabei hat sie diesen teuren Workshop doch nur belegt, um ihre Freundin Sinéad besser entlasten zu können. Die Besitzerin des Tea & Tarts hat bisher im Alleingang die Törtchen für Emilys Foodtruck hergestellt. Ihre Pastryccini, italienisch inspirierte Backwerke im Miniaturformat, die auf der Zunge zergehen, haben sich zu echten Bestsellern entwickelt, so dass während der Marktsaison Sinéads Backofen nur selten stillsteht. Neben ihrem eigenen Café und den Waren für Emilys mobiles Cateringbusiness hat Sinéad auch noch ein aufreibendes Familienleben mit einem musizierenden Mann und drei Teenagern zu bewältigen, was Emily zunehmend ein schlechtes Gewissen bereitet. Wenn sie Antonellas Kurs erfolgreich meistert und danach noch ein bisschen übt, kann sie ihre Freundin vielleicht etwas entlasten, indem sie ein paar der einfacheren Aufgaben in der Backstube übernimmt.
Sie ist gerade dabei, das Spülbecken zu schrubben, da reißt ein leicht verbrannter Geruch sie aus ihren Gedanken. Argh, nein, Mist, der Kuchen! Okay, ein bisschen zu braun ist er geraten, aber wenn sie die obere Schicht abkratzt und alles großzügig mit Marmelade und Vanillecreme beschmiert, kann sie ihn bestimmt noch retten.
»Du musst ja nicht direkt Torten backen«, spricht sie sich selbst Mut zu. »Vielleicht reicht es fürs Erste, wenn du lernst, wie man Weihnachtsplätzchen gefahrlos vom Blech bekommt.«
Beim Gedanken an Weihnachten fällt ihr sofort wieder die Party in Sinéads Café ein. Alle ihre Freundinnen und Freunde waren gekommen und obwohl Emily bisher nur einen Bruchteil von ihnen kannte, hatte sie sich sehr willkommen gefühlt. Die Galwegians waren freundlich und interessiert. Viele hatten Emily über ihr altes Leben in London ausgefragt, und sie hatte eine Menge irischer Trinksprüche gelernt. Und dann war es tatsächlich dazu gekommen, dass Tony Doyle, Superintendent bei der lokalen Garda Siochàna, sie überraschend unter dem Mistelzweig küsste. Auch, wenn es eher unfreiwillig war, weil die johlenden Partybesucher ihn dazu animiert hatten: So viel Gefühl hatte sie ihm vorher gar nicht zugetraut. Und er küsste überraschend gut …
Leider war dann mitten im Trubel ihr Ex-Freund George aufgetaucht. Das hatte alles durcheinandergebracht. Emily stöhnt bei dem Gedanken an ihn. Als er plötzlich im Schnee vor ihr stand, hatte sie einen Augenblick lang geglaubt, er wolle sie zurückerobern. Stattdessen war er aber nur gekommen, weil er die Wohnung in London Shoreditch, in der sie gemeinsam gelebt hatten, loswerden und ihr das Vorkaufsrecht anbieten wollte. Sie weiß, dass sie ihm noch eine Antwort schuldig ist, aber eins nach dem anderen. Jetzt muss sie erstmal diesen vermaledeiten Kuchen fertigbekommen.
Emily greift nach Antonellas Backbuch.
»Anstelle von Schlagsahne bevorzuge ich eine Swiss Meringue Buttercream«, liest sie. »Trennen Sie zunächst drei Eier … Oha.«
Vorsichtig, als läge ein Neugeborenes darin, trägt Emily die Tortenglocke vor sich her. Sie öffnet die Heckklappe ihres Kastenwagens, einem mintfarbenen Citroen aus den sechziger Jahren, dessen Restaurierung ihr gesamtes Erspartes verschlungen hat, und verstaut ihr Kunstwerk in dem eingebauten Kühlschrank, bevor sie sich müde ans Steuer setzt. Es war noch ein langer Abend geworden, aber schließlich hat sie doch noch etwas halbwegs Präsentables zustande gebracht. Kursbeste unter den Cake Heroes wird sie mit ihrer Torte wohl nicht werden. Aber negativ auffallen dürfte sie damit auch nicht. Zumindest hofft sie das, wenn sie sich Antonella Dawsons strengen Blick ins Gedächtnis ruft. Immerhin hat sie ihr Gesellenstück ganz allein fertiggestellt. Deirdre ist erst weit nach Mitternacht leicht beschwipst zurück ins Cottage gekommen, hat ihr mit einem »Cheerio, Liebes!« nur einen fröhlichen Handkuss zugeworfen und ist direkt ins Bett gegangen, ohne ihr auch nur ihre Hilfe anzubieten. Sei’s drum – Emily ist bereit, sich dem professionellen Urteil ihrer prominenten Kursleiterin zu stellen.
Vorher muss sie sich aber erstens dringend noch einen Cappuccino holen und zweitens unbedingt noch im Büro der Galway CookAdemy vorbeigehen, um ihre Schulden zu bezahlen.
Sinéad sieht nur kurz auf, als Emily das Tea & Tarts betritt, und blättert dann weiter im Galway Chronicle, der vor ihr auf dem Tresen liegt. Um diese Zeit ist es unter der Woche meistens nicht so voll, so dass sich Emilys Freundin gelegentlich sogar eine kleine Verschnaufpause gönnen kann.
»Morgen, Sinéad«, sagt Emily. »Was liest du denn da Schönes?« Ohne sie anzusehen, dreht sich Sinéad direkt zur Kaffeemaschine, um ihr einen Cappuccino zu machen. Sie weiß auch ohne Ansage, was ihre Freundin am liebsten trinkt. Aber anders als sonst, holt sie die Tasse diesmal ohne den Anflug eines Lächelns aus dem Regal. Täuscht sich Emily, oder ist sie heute ungewohnt mürrisch?
»Nichts Besonderes«, murmelt Sinéad und bezieht sich damit auf die Zeitung. »Außerdem: Wen interessiert das schon?«
»Wen das interessiert? Na, mich natürlich«, sagt Emily verblüfft. Sie hat richtig gelegen: Sinéad ist ganz eindeutig mit dem falschen Fuß aufgestanden. »Alles in Ordnung bei dir? Haben die Kinder dich genervt?«
Emily hat größtes Verständnis dafür, dass ihr mit dem Café und der Familie manchmal alles zu viel wird. Für sie ist Sinéad eine echte Kämpferin. »Nee, alles gut mit meinen kleinen Monstern«, grummelt Sinéad und stellt die volle Cappuccino-Tasse unsanft vor ihr auf den Tresen. »Wie läuft’s denn bei den Profis? Backst du inzwischen auch wie eine Göttin?«
Bei den letzten Worten ahmt sie den Tonfall und eine typische Pose von Antonella Dawson nach. Emily lacht. »Wenn du wüsstest, wie meine Torten aussehen ... Soll ich dir Fotos zeigen?« Sinéad zuckt mit den Schultern. »Beeil dich lieber, sonst kommst du noch zu spät zu deinem tollen Kurs. Du willst doch Ihre Majestät Antonella nicht warten lassen?«
Ach, daher weht der Wind, denkt Emily.
»Ich hätte natürlich viel lieber bei dir gelernt – aber du weißt selbst, dass dir dafür die Zeit fehlt«, sagt sie und grinst. »Sei bloß froh! Ich kriege wirklich kaum etwas auf die Reihe. Ein Wunder, dass ich nicht längst aus dem Kurs geflogen bin. Und um ehrlich zu sein: Deine Rezepte sind viel besser als ihre.«
Doch Sinéad wirft ihr nur schweigend einen finsteren Blick zu und wischt besonders energisch mit einem Lappen über den Tresen. Das Gespräch zwischen ihnen verstummt. Emily beobachtet sie schweigend und trinkt ihren Cappuccino aus. Als sie sich verabschiedet, antwortet Sinéad mit einem sehr leisen »Bye«.
Vor dem Café überkommt Emily mit einem Mal ein Gefühl der Unsicherheit. Liegt es am Koffein oder daran, dass sie es nur ganz schlecht aushalten kann, wenn jemand nicht gut auf sie zu sprechen ist? War es ein Fehler, den Backkurs zu belegen – und vorher nicht mit Sinéad drüber zu sprechen? Warum war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass ihre Freundin etwas dagegen haben könnte? Schließlich ist und bleibt sie die beste Konditorin in ganz Galway und ist doch auch gar nicht der eifersüchtige Typ ...
Aber Sinéad scheint nicht die Einzige zu sein, die gerade nicht so gut auf Emily zu sprechen ist. Auch Tony hat sich nun schon länger nicht mehr bei ihr gemeldet. Zwar sind sie sich in den vergangenen Wochen ab und zu im Café über den Weg gelaufen, aber außer etwas belanglosem Smalltalk hat sich nicht mehr viel ergeben. Tony behauptete, bei der Garda viel zu tun zu haben, und war immer auf dem Sprung, aber Emily hatte das Gefühl, dass er ihr bewusst aus dem Weg ging. Sie vermisst seine Gesellschaft und seinen trockenen Humor. Sie hat schon überlegt, ob er ihr übelnimmt, dass sie sich bei der Weihnachtsfeier aus seiner Umarmung gelöst hatte, kaum dass George auf der Bildfläche erschienen war, aber jeder weiß doch, dass zwischen George und ihr nichts mehr ist.
Ihr Kumpel Juan ist ihr in dieser Situation auch keine Hilfe – er hat sich zu seiner Mutter nach Spanien verkrümelt, was man ihm bei diesem Wetter auch wahrlich nicht verdenken kann. Emily seufzt. So glücklich sie in den letzten Monaten in Galway auch war – wenn plötzlich keiner ihrer Freunde mehr etwas mit ihr zu tun haben will, kann sie auch genauso gut nach London zurückkehren.
»Denk später darüber nach«, ermahnt sie sich laut. »Und jetzt hör auf mit den Selbstgesprächen.«
»Bin im Urlaub« steht auf dem Schild an der Tür von Trudies Büro, vor dem Emily kurz darauf abgehetzt aufläuft. Damn it! Vor lauter Cappuccino hat sie sie doch glatt verpasst. Emily seufzt – das ist ihr jetzt richtig unangenehm, aber sie hofft, dass sie den Rest der Kursgebühr auch überweisen kann. Zu ihrer Überraschung ist allerdings auch die Tür zur Küche der CookAdemy, in der in den letzten Tagen fleißig geknetet, gespachtelt und verziert wurde, noch abgeschlossen. Antonella, die einen Schlüssel dafür besitzt, scheint noch nicht aufgetaucht zu sein. Auf dem Flur davor haben sich bereits die anderen Teilnehmer versammelt, allesamt bewaffnet mit ihren Torten. Emily muss zugeben, dass ihr eigenes Werk im Vergleich eher bescheiden ausgefallen ist. Die dreistöckige Kreation von Ian und Ralph ist da deutlich beeindruckender, auch wenn die obere Etage eine leichte Schieflage aufweist.
»Ich hab dir doch gleich gesagt, dass wir nur einen zweistöckigen Kuchen backen sollten«, zickt Ian seinen Partner an.
»Und ich hab dir gesagt, dass du fünf Stützen einsetzen sollst und nicht nur drei. Aber du weißt natürlich alles besser«, zischt Ralph zurück.
Offenbar sind heute noch mehr Leute mit schlechter Laune in den Tag gestartet. Vielleicht liegt es am Wetter.
»Worauf warten wir denn eigentlich?«, fragt Emily vorsichtig.
»Die feine Dame ist noch nicht da«, giftet Margaret Malone, deren zweifellos perfekter Kuchen in einer professionell wirkenden Kühlbox verstaut ist. »Kaum ist der letzte Kurstag, sind wir wohl nicht mehr wichtig für sie. Vielleicht gibt sie lieber ein Interview für eines dieser Klatschblätter?«
In denen du am liebsten die Hauptrolle spielen würdest, denkt Emily, hält aber diplomatisch den Mund.
»Harry, sag doch auch mal was, du kennst doch sicher den neuesten Gossip über sie!«, keift Margaret.
Doch der Reporter, dessen Victoria Sponge verdächtig nach Backmischung aussieht, tut, als hätte er es nicht gehört, und kramt in seinen Jackentaschen nach einem der stinkenden Zigarillos, die er in den Pausen so gern raucht. Emily hat er tags zuvor auch schon eine angeboten: »Hamlet. Ne britische Marke. Ist doch was für dich?« Doch Emily hat dankend abgelehnt.
»Jedenfalls muss unsere Torte schleunigst in den Kühlschrank, wenn wir die noch retten wollen. Jesus, guck dir doch an, wie das Frosting jetzt aussieht. Es ist ein Desaster!«, jammert Ian, während Ralph nur genervt mit den Augen rollt.
Währenddessen tritt Finola von der Seite vorsichtig an Emily heran. So vorsichtig, dass sie sich fast erschrickt, als Finola schließlich leise zu sprechen beginnt.
»Emily, ich mache mir langsam Sorgen. Sollen wir Antonella nicht suchen gehen?«, sagt sie mit ihrer zaghaften Elfenstimme. »Vielleicht ist sie noch draußen und redet mit Fans?«
Emily nickt. Immer wieder haben in den letzten Tagen Autogrammjäger vor dem Gebäude gelauert, so dass es gut sein kann, dass Antonella dort noch beschäftigt ist.
»Gute Idee«, sagt sie. »Wollen wir vorher noch unsere Meisterwerke irgendwo kaltstellen? Ich kann nicht garantieren, dass sich mein Vintage Cake sonst noch lange aufrecht halten kann, und ich fürchte, dass Ian implodiert, wenn sein Kuchen noch länger leiden muss.«
»Ja, wir könnten nach unten zum Kühlraum gehen. Der ist immer offen – hat sie uns doch am Anfang gezeigt«, sagt Finola.
Emily wirft einen fragenden Blick zu den anderen Cake Heroes