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150 Redensarten, in denen sich alles um Nähen und Schneidern, Spinnen und Weben, Stricken und Knüpfen, Bänder und Seile dreht. Ob wir ins Garn gehen oder ins Netz, den roten Faden suchen und aus dem Nähkästchen plaudern, ständig benutzen wir Bilder aus dem Bereich der Textilherstellung. Es macht Spaß, den Redewendungen auf den Grund zu gehen und dem heute fast vergessenen Wissen von Generationen nachzuspüren.
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Seitenzahl: 83
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Verflixt und Zugenäht
Textile Redewendungen
gesammelt und erklärt
von
Susanne Schnatmeyer
Textile Geschichten
Ebook © 2018 Susanne Schnatmeyer, Berlin
www.textilegeschichten.net
Lektorat Dr. Constanze Derham
Ein Buch der Kooperation
Schnatmeyer & Derham
www.schnatmeyerundderham.de
Gedruckte Ausgabe (mit zusätzlichen 11 Abbildungen) erschienen 2016, ISBN 978-3-00-052981-8
In der Reihe ebenfalls erschienen:
Am Rockzipfel - Redensarten rund um Kleidung und Stoff
Gedruckte Ausgabe: ISBN 978-3-00-052981-8
Ebook: ISBN 978-3-746767536
Inhalt
Spinnen
Von Kungelrunden, Spinnern und alten Knackern
Flachs
Über das Raufen, Rüffeln und schäbig sein
Fäden
Vom Schicksalsfaden zum Forenthread
Weben
Von Webfehlern und fadenscheinigen Argumenten
Nähen
Verbrämt aus dem Nähkästchen geplauderte Sticheleien
Schneider
Wenn Maßgeschneidertes unter den Tisch fällt
Wolle
Von Wollmäusen, Scherereien und Flausen im Kopf
Netze
Über das Umgarnen und Netzwerken im Web
Knoten und Knüpfen
Von Mundgeklöppeltem und Knoten im Taschentuch
Stricke und Stränge
Vom Leine ziehen, Seiltanzen und über die Stränge schlagen
Bänder und Schnüre
Vom schnurgeraden Anbändeln und Gängeln
Zu diesem Buch
Index
»Bundespräsident darf NPD-Anhänger Spinner nennen«
(dpa, 2014)
Gedanken spinnen
Wenn wir Gedanken oder Ideen spinnen, dann lassen wir eine freie Kette von Überlegungen aufeinander folgen. Solches Spinnen im Kopf geht auf die uralte textile Technik des Spinnens von Fäden zurück.
Um Garn zu erhalten, muss aus Wolle oder Pflanzenfasern erst einmal ein Faden gezogen werden. Bis zum Beginn der Industrialisierung wurde das Faserbündel, der sogenannte Rocken, mit der Hand zu Garn gedreht. Dabei halfen eine Handspindel oder ein Spinnrad. Das Spinnen war für die Menschen seit Urzeiten eine lebensnotwendige Handwerkskunst, denn nur mit genügend Garn konnte Kleidung hergestellt werden, konnten Zelte, Segel und Decken gewebt oder Netze geknüpft und Seile gedreht werden. Entsprechend haben noch heute viele Redewendungen ihren Ursprung in diesem Bereich der Textilgewinnung.
Das Bild des Spinnens wird in vielen Sprachen für Worte und für Gedanken gebraucht, die wie Fäden aus dem Kopf heraus gesponnen werden. Im Englischen steht to spin a yarn für etwas erzählen. Schon bei Luther heißt es: »Gott hat es ihnen nicht befohlen, sondern sie spinnen es aus ihrem eigen Kopfe.« Sprach jemand sehr offen und ungehobelt, so wurde das ein grobes Garn spinnen genannt.
Spinnen war meist Gemeinschaftsarbeit und wurde traditionell den Frauen zugeschrieben. Ein Spinnrocken in der Hand galt als weibliches Attribut. Lange gebräuchlich war auch die Redensart miteinander ein Garn spinnen im Sinne von: Gut miteinander können. Wer in der Gemeinschaft spann, arbeitete gut zusammen.
Spinner
»Du spinnst ja!« ruft man, wenn jemand nicht ganz bei Verstand zu sein scheint oder etwas Unwahres behauptet. Ein wunderlicher Mensch ist spinnert oder versponnen, und wenn er Hirngespinste hat, dann ist er ein Phantast und bildet sich etwas ein. Anders als beim neutralen Gedankenspinnen steht das Spinnen hier als Bild für ein unsinniges Verhalten oder unglaubwürdiges Erzählen. Wie kommt es dazu, dass Spinnen als Verrücktheit bis heute in unserer Alltagssprache fest verankert ist?
Ein Erklärungsversuch verweist auf die Geschichten, Märchen und Gerüchte, die in den Spinnstuben erzählt wurden, während die Spinnräder surrten. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden Märchen auch Spinnmärchen, Rockenmärchen oder Kunkelmärchen genannt. Solcherlei Geschichten erzählte man sich beim gemeinsamen Spinnen aus den Rohfasern, die, zum Bündel zusammengefasst und aufgesteckt, Rocken oder Kunkel hießen.
Dieses Vliesbündel, die Kunkel, wurde mit dem Kopf gleichgesetzt. So heißt es in einer Sammlung von Sinnsprüchen aus dem 19. Jahrhundert: »Meidlin hinter der Kunkel, du hast wilde Dinge im Kopf; könnte man dir sie aus dem Kopf spinnen, als du es aus der Kunkel spinnest, es würde ein verworren Gespunst.«
Das Spinnen der Fäden war außerdem von jeher im Volksglauben mit Geheimnis und Zauberei verbunden. Das Faserbündel aus dem der Faden entsprang stand für das menschliche Leben. In den Faden konnte Gutes und Böses hineingesponnen werden.
Es gab auch das Bild der Spinne, die aus sich selbst heraus spinnt. Wenn sich jemand eine Lüge ausdachte, hieß das: »Wie eine Spinne aus sich selbst Lügen spinnen« oder »Es ist sein eigen Gespunst.« Ähnlich sagen wir heute noch: »Er hat es sich aus den Fingern gesogen.«
Im Frauenzimmer-Lexikon von 1719 wird der Aberglaube erwähnt, dass Frauen beim Sieden des Garns zum Bleichen gute Lügengeschichten erzählen müssen, um es weiß zu bekommen.
Einer anderen Erklärung zufolge rührt der Bedeutungswandel des Spinnens zum Verrücktsein aus der Zeit, als in Zuchthäusern und Besserungsanstalten gesponnen werden musste. Seit 1600 gab es sogenannte Spinnhäuser, in denen auffällig gewordene Frauen durch das Spinnen wieder resozialisiert werden sollten. Aber auch Männer in Zuchthäusern mussten für den König spinnen. Dieser Spinnzwang war vor allem in der Zeit wichtig, als das Garn aufgrund der neuen Maschinenwebstühle knapp wurde.
Hirngespinst
Im Bild des Hirngespinstes klingen nicht nur die Märchen aus den Spinnstuben an. Gemeint sind auch die luftigen und unbeständigen Gewebe der Spinnennetze. Schon im Alten Testament stehen Spinnweben für Illusionen: »Sommerfäden gleich ist sein Vertrauen, ein Spinnengewebe seine Zuversicht.« Dazu passt auch eine Strophe aus »Der Mond ist aufgegangen« von Matthias Claudius:
»Wir stolzen Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.«
Seemannsgarn
Erzählen Seeleute übertriebene und unglaubwürdige Geschichten von ihren Abenteuern auf See, so werden diese Berichte Seemannsgarn genannt. Wie schon beim Spinnen im Sinne von verrückt sein steht auch hier das Garn für die Geschichten, die aus dem Kopf der Matrosen gesponnen werden und in den Bereich der Märchen geraten. Der Ausdruck Seemannsgarn kommt wohl vom Schiemannsgarn, das zum Schutz vor Verschleiß um dickeres Tauwerk gewickelt wurde. Solches Schiemannsgarn mussten die Matrosen in ruhigen Zeiten an Deck aus alten Tauen drehen. Beim Auflösen der gebrauchten Seile und eintönigen Verzwirnen zu Garn erzählten die Seeleute sicher viele wilde Geschichten. Solche maritimen Flunkereien nennen wir heute Seemannsgarn.
Spinnefeind
Wenn zwei überhaupt nicht miteinander können, wenn sie vielleicht sogar Todfeinde sind, dann sind sie sich spinnefeind. Mit Ärger in der Spinnstube hat der Ausdruck aber wohl nichts zu tun, eher mit den Spinnentieren. Einerseits drückt das Wort aus, wie sehr Spinnen bei vielen Menschen Ekel und Abwehr erregen. Zahlreiche Aberglauben ranken sich um böse Spinnen. Andererseits heißt spinnefeind auch so feind wie die Spinnen. Manche Spinnenarten fressen sich gegenseitig, wenn es der Nachkommenschaft dient. Die größeren Weibchen saugen die Männchen nach der Begattung aus und fressen sie. Umgekehrt suchen sich manchmal aber auch Spinnenmännchen ein Weibchen als Beute.
Spinnen am Morgen
»Spinne am Morgen
bringt Kummer und Sorgen.
Spinne am Mittag bringt Glück am dritten Tag.
Spinne am Abend, erquickend und labend.«
Dieses Sprichwort verstehen die meisten so: Läuft am Morgen eine Spinne über das Fensterbrett, so bringt das Unglück. Man darf das Tier dann auch töten. Am Abend aber soll eine herumkriechende Spinne Glück bringen.
Hat das Sprichwort wirklich mit Spinntieren zu tun? Dazu gibt es zwei Meinungen. Die deutsche Sprachforschung geht eher davon aus, dass es in dem Sprichwort gar nicht um Tiere geht. Vielmehr soll mit Spinnen das Fadenziehen in der Spinnstube gemeint sein. Nur wer so arm war, dass keine Felder zu bestellen oder andere Arbeit zu erledigen war, spann am Morgen. Man musste vom Verkauf des Garns leben und hatte daher Kummer und Sorgen. Wer mittags spann, war fleißig und mehrte sein Vermögen – Glück am dritten Tag. Wer nur abends am Spinnrad saß, hatte tagsüber Besseres zu tun. Das Spinnen geschah nebenher im geselligen Beisammensein, als Erholung, erquickend und labend eben.
Eine andere Deutung geht in die Richtung, dass man nur abends spinnen sollte, weil zum Spinnen kein Tageslicht notwendig war. Den Faden konnte man auch im Halbdunkel ziehen und drehen. Wer das Tageslicht also nicht für wichtigere Arbeiten nutzte, sondern stattdessen gleich morgens lieber spann, dem drohte Kummer und Sorgen.
Es gibt aber auch gute Gründe dafür, das Sprichwort nicht auf das Fadenspinnen, sondern auf die Tiere zu beziehen. In anderen Sprachen wird in dem Spruch eindeutig das Spinnentier genannt, weil anders als im Deutschen dort die Bezeichnungen für die Spinne (das Tier) und das Spinnen (Fadenspinnen) nicht identisch, sondern unterschiedlich sind.
Auf Französisch heißt die Spinne araignée, das Spinnen des Fadens heißt filer. Vom Fadenspinnen ist in der französischen Version des Sprichworts keine Rede. Es geht nur um Spinnentiere:
»Araignée du matin – grand chagrin (Kummer),
araignée du midi – grand souci (Sorgen),
araignée du soir – bon espoir (Hoffnung).«
Die Spinne wird morgens als Unglücksbote und abends als Glücksbote gesehen. In einer anderen Variante des Spruchs verheißt die Spinne auch am Morgen etwas Gutes, nämlich Arbeit und Gewinn: »Araignée du matin – Travail et gain.« Auf Englisch ist ebenfalls nur von dem Tier, spider, die Rede:
»A spider in the morning is a sign of sorrow;
A spider at noon brings worry for tomorrow;
A spider in the afternoon is a sign of a gift;
But a spider in the evening will all hopes uplift.«
Erklärungen für das Sprichwort mit den Spinnentieren gibt es einige:
Spinnen bringen in vielen Kulturen Glück und Geld. Sie sind mit ihrem Spinnennetz ein Symbol für Beutefang und bedeuteten schon in der Antike Reichtum und gutes Gelingen. Im Mittelalter gab es zum Schutz vor Krankheiten Anhänger aus Walnussschalen, in die Spinnen eingeschlossen waren.
Aberglauben zufolge gab es gute und schlechte Tageszeiten, um etwas zu erledigen. Je nach Uhrzeit bedeutet daher das Auftauchen einer Spinne etwas Gutes oder Schlechtes.
Die verschiedenen Tageszeiten sollen auch etwas mit der Fähigkeiten der Spinnen zu tun haben, Wetter anzuzeigen. Steht ein Unwetter an, weben sie keine Netze und warten im Trockenen. »Kriecht die Spinne vom Netz zum Loch, gibt’s am Tage Gewitter noch« lautet eine Bauernregel. Kommt also morgens eine Spinne ins Haus, so ist das ein Zeichen für schlechtes Wetter, die Tagesarbeit wird behindert. Draußen dagegen lassen sie auf gutes Wetter hoffen: »Wenn die Spinnen emsig weben im Freien, lässt sich dauernd schönes Wetter prophezeien.«
Andererseits heißt es in einem Lexikon über Aberglaube von 1791, eine Spinne am Morgen solle Glück bringen: »Andere meinen, dass der glücklich sei, dem morgens eine Spinne auf den Rock krieche.« Das Unglück mit den Spinnen am Morgen lässt sich also nicht klar erklären.