Verführ mich in Paris - Marie Weißdorn - E-Book

Verführ mich in Paris E-Book

Marie Weißdorn

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Amarettoküsse und Winterzauber in Paris
Die hinreißende Lovestory in der Stadt der Liebe

Wenn Francesca eines liebt, dann den Winter in Paris. Dieses Jahr ganz besonders: Sie macht mit ihrer Kindheitsfreundin Jeanne die Stadt der Liebe unsicher, wurde gerade bei Paris Privée befördert und ihre erste Vernissage steht vor der Tür. Ein wahrgewordener Traum für die Hobby-Künstlerin. Alles wäre perfekt, hätte sie nicht auch den unverschämt attraktiven Lucas eingeladen und ihn nach seiner ehrlichen Meinung gefragt …

Wenn Lucas eines hasst, dann die Kunstszene und alles, was seine Mutter sonst noch in seiner Zukunft sieht. Allerdings passt die so offene und fröhliche Francesca überhaupt nicht zu seinem Bild der klassischen Künstlerin. Je mehr er über sie erfährt, desto mehr faszinieren ihn ihre ruhige Seite und die irrationale Liebe zu Schnee und Amaretto. Er kann einfach nicht von ihr ablassen, obwohl sie in den Augen seiner Mutter die perfekte Schwiegertochter wäre – und das geht gar nicht!

Jeder Band der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leser:innenstimmen
„Diese wortwörtlich kunstvolle Feel-Good-Romance konnte ich nicht mehr aus den Händen legen.
„Eine absolut hinreißende Wintergeschichte!
„Paris, Kunst und Weihnachten – eine grandiose Kombination!
„Die zuckersüße Geschichte zweier Menschen mit viel Schnee und Leidenschaft

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 499

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses E-Book

Wenn Francesca eines liebt, dann den Winter in Paris. Dieses Jahr ganz besonders: Sie macht mit ihrer Kindheitsfreundin Jeanne die Stadt der Liebe unsicher, wurde gerade bei Paris Privée befördert und ihre erste Vernissage steht vor der Tür. Ein wahrgewordener Traum für die Hobby-Künstlerin. Alles wäre perfekt, hätte sie nicht auch den unverschämt attraktiven Lucas eingeladen und ihn nach seiner ehrlichen Meinung gefragt …

Wenn Lucas eines hasst, dann die Kunstszene und alles, was seine Mutter sonst noch in seiner Zukunft sieht. Allerdings passt die so offene und fröhliche Francesca überhaupt nicht zu seinem Bild der klassischen Künstlerin. Je mehr er über sie erfährt, desto mehr faszinieren ihn ihre ruhige Seite und die irrationale Liebe zu Schnee und Amaretto. Er kann einfach nicht von ihr ablassen, obwohl sie in den Augen seiner Mutter die perfekte Schwiegertochter wäre – und das geht gar nicht!

Jeder Band der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Erstausgabe Dezember 2021

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-114-2 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-414-3

Covergestaltung: ARTC.ore Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motven von shutterstock.com: © aslysun, © Zaretska Olga, © Mybona, © ONYXprj, © Vega_7 Lektorat: Claudia Wuttke

E-Book-Version 15.12.2023, 09:16:41.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier

Website

Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein

Newsletter

Facebook

Instagram

TikTok

YouTube

Verführ mich in Paris

Für Jule, weil du mich für die Verführung begeistert hast.

Prolog

„Nun, Lucas, was halten Sie von dieser fantastischen Arbeit? Ich bin sehr interessiert an Ihrer völlig unvoreingenommenen Meinung, ihr Merchands habt immer so fundierte, aber auch frische Meinungen zu großen Werken wie diesem. Ein herausragendes Stück des Kubismus des neunzehnten Jahrhunderts, nicht wahr?“

Lucas zwang sich zu einem Lächeln. „Es tut mir leid, Sie zu korrigieren, Madame Laurent“, sagte er freundlich. „Aber tatsächlich ist Modiglianis Kunst keiner der üblichen zeitgenössischen Strömungen des vorletzten Jahrhunderts zuzuordnen. Sie enthält kubistische Elemente, aber auch symbolistische und expressionistische.“

„Ach, wirklich?“ Die Dame Ende fünfzig rückte ihre Designerbrille zurecht, ein grässlich buntes Ding mit riesigen Gläsern, mit der sie gut in diese exzentrische Gesellschaft hineinpasste. „Spannend, sehr spannend. Aber natürlich habe ich von Sylvies Sohn nicht weniger erwartet als diese Sachkenntnis, immerhin haben Sie doch schon einen guten Teil Ihres Kunststudiums abgeschlossen, richtig?“

Er nickte lächelnd, wie man es von ihm erwartete. „Das vierte Semester geht zu Ende, Madame.“

„Schön, sehr schön. Da haben Sie mit Ihren zwanzig Jahren noch einiges vor sich, Lucas!“

Oh, wenn sie nur wüsste, wie viel noch vor ihm lag. Drei Jahre an der Sorbonne. Hunderte Tage wie dieser. Hunderte Ausstellungen. Hunderte dieser lästigen Gespräche. Was würde er nicht dafür geben, in diesem Moment in Ruhe auf seinem Sofa zu sitzen und das Basketballspiel zu schauen. Aber leider war er ein Merchand.

Er sah an dem mitten im Raum ausgestellten Modigliani-Landschaftsgemälde vorbei – zum Glück hatte Madame Laurent ihn nicht vor einem der Dutzenden Akte angehalten, die die Wände der alten Fabrikhalle schmückten – und ließ den Blick über die Menge schweifen. Die gesamte Kunstszene von Paris war hier versammelt. Jeder der anwesenden Nicht-Laien hatte schon einmal mit ihm zu Abend gegessen. Seine Mutter gab viel auf ihre weitreichenden Kontakte.

Um genau zu sein, gab sie auf nichts mehr.

Er entdeckte sie beim Direktor der Location. Mit einem Sektglas in der einen und großen Gesten der anderen Hand sprach Sylvie Merchand auf ihn ein, und als sie zufällig seinen Blick kreuzte, lächelte sie so strahlend wie immer, wenn sie gerade einen guten Deal gemacht hatte.

Er schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an und nickte ihr kurz zu, während sein Herzschlag sich sofort beschleunigte.

Heute sage ich es ihr. Wirklich.

Sein innerer Schweinehund setzte gerade zu einer amüsierten, stummen Erwiderung an, da betrat ein neuer Gast die Halle und Lucas hätte nicht erleichterter sein können.

„… persönlich teile ich ja vor allem die Leidenschaft Ihrer Mutter für geschmackvolle Akte, Lucas. Aber bitte, erläutern Sie mir doch die Abweichungen vom Kubismus in diesem Gemälde und …“

„Pardon, Madame Laurent“, unterbrach er seine reizende Gesprächspartnerin. „Da kommt eine Freundin von mir, ich muss sie begrüßen.“

„Oh, natürlich, junge Liebe braucht Zeit und Aufmerksamkeit!“

Dieser Satz entlockte ihm das erste leise Lachen seit zwei Stunden. Élian würde erst ihn, dann die Knalltüte im pinken Kleid da vorne und dann noch mal ihn einen Kopf kürzer machen, würden sie es auch nur in Betracht ziehen, etwas miteinander anzufangen. Und dann würde er Mathéo dieselbe Freude gewähren. Wie große Brüder eben so sind, wenn es um die kleine Schwester geht.

„Bonsoir, Mademoiselle“, begrüßte er seine beste Freundin Louanne grinsend und blieb mit verschränkten Armen vor ihr stehen. „Muss ich an der Schleife da ziehen, um dieses Knallbonbon zu entschärfen?“

Lou klimperte mit den langen Wimpern und drehte sich einmal um sich selbst. Dabei glitzerte der eng anliegende Stoff auch noch. „Um mich zu entschärfen, musst du dir was Besseres einfallen lassen. Aber ich bestehe darauf, dass du dabei diesen heißen Anzug trägst.“

Vielsagend hob er die Augenbrauen und zog seine Krawatte zurecht. „Königsblau ist einfach genau meine Farbe, den muss mir jemand mit sehr gutem Geschmack geschenkt haben.“

„Oh ja.“ Lou strich sich grinsend die langen, hellbraunen Locken zurück. „Du musst schließlich später meine Mitspielerinnen ablenken.“

Schlagartig wich seine Freude über ihr Erscheinen einem leichten Unbehagen. „Keine Chance, Lou. Ich gehe nicht mehr mit dir ins Casino, so ein Hausverbot brauche ich nicht noch mal!“

„Hey, sag das nicht zu früh! Du hast gesagt, du machst alles, wenn ich heute mit zu der Ausstellung komme.“

„Alles, nur das nicht.“

„Komm schon, das wird lustig!“

„Ansichtssache. Im Gegensatz zu dir verliere ich da dauernd.“

„Spaß hast du trotzdem.“

„Ja, aber nein.“

„Oh Mann, Lucas! Sei kein Spielverderber.“

„Du hast ‚Ja, Lucas, halt mich vom Spielen ab‘ irgendwie falsch ausgesprochen.“

Missmutig pustete Lou sich eine Strähne aus dem Gesicht und verdrehte die Augen. „Na gut, ich diskutiere später mit dir weiter, wenn du ein bisschen Blubberwasser getrunken hast.“ Prompt nahm sie einem der vorbeilaufenden Kellner zwei Gläser vom Tablett und reichte ihm eines. „Prost! Auf den mutigen Lucas. Warst du heute schon mutig?“

Themenwechsel konnte sie.

Obwohl Lucas das prickelnde Zeug absolut nicht mochte, nahm er einen großen Schluck. Damit war die lächerliche Flöte auch schon wieder leer.

„Das nehme ich als Nein“, stellte Lou fest und tauschte galant ihr volles gegen sein leeres Glas.

„Wie soll ich es ihr denn bitte sagen?“, fragte er tonlos. „Soll ich einfach zu ihr gehen und verkünden: Hey, Maman, ich breche mein Studium ab?“

„Ja. Klingt doch simpel.“

Sie wusste genau, dass es das nicht war. Nicht für einen Merchand wie ihn. Seit seiner Geburt hatte festgestanden, dass es für ihn nur diesen Weg gab, nur dieses Studium. Ein ums andere Mal hatte ein betuchter Sammler an ihrem Esstisch gescherzt, er habe das künstlerische Wissen schon mit der Muttermilch aufgesogen.

Leider war da was dran. Seit der Grundschule war er bei beinahe jeder Ausstellung dabei, und er hatte die Zeit lange genossen. Die Zeit mit seinen Eltern, mit der berühmten Galeristin und dem gefeierten Künstler. Die Zeit, die zu Hause fehlte, an den Feier- oder Nachmittagen, die er und Julie so oft bei Lou und Élian verbracht hatten.

Abwesend schaute er zu seiner jüngeren Schwester hinüber. Sie stand bei einer kleinen Gruppe und unterhielt sich angeregt mit zwei jungen Männern im Anzug. Lucas setzte eine gedankliche Notiz, diese Kerle genauer im Auge zu behalten. Aber Julie wirkte glücklich. Sie ging in dieser Szene auf, stürzte sich voller Elan und Spaß in neue Projekte. Er hoffte, dass sie sich das bewahrte.

„Mon Dieu.“ Lou schlug eine Hand vor den Mund. „Wow. Wenn man hier reinkommt, sieht man ja erst die Akte vor lauter Nacktheit nicht. Ich weiß, ich wollte unbedingt wissen, über welche Bilder du dich in den letzten Tagen so aufgeregt hast, aber … meine Güte.“

Abwesend hob er eine Schulter. „So schlimm sind sie nicht. Modigliani hatte schon ein gutes Auge für den weiblichen Ausdruck von Ekstase und Sinnlichkeit. Akte sind nur nicht jedermanns Sache.“

Lou stieß ihm den Ellbogen in die Seite. „Es ist gruselig, wenn du so redest, Lucas. Den weiblichen Ausdruck von Ekstase.“

Lucas seufzte und rieb sich über die Stirn. „Pardon. Ich versuche, es abzustellen. Ist nur nicht so leicht. Da ist all dieses Wissen in meinem Kopf und … es geht nicht weg.“

„Hey, schon gut.“ Jetzt rieb Lou deutlich sanfter über die Stelle, die sie gerade noch malträtiert hatte. „Das weiß ich doch, Lucas. Mach dir keine Gedanken.“

Sie hatte leicht reden. Denn sein Kopf war nun mal voll damit. Mit Informationen, die er einfach nicht vergessen konnte, wie verrückt es ihn auch machte. Mit Wissen, das er in den letzten Jahren zu hassen gelernt hatte.

Denn er wollte es nicht mehr. Er wollte nicht mehr etwas tun, das ihn nicht erfüllte, nur um seine Mutter glücklich zu machen. Er wollte etwas anderes.

„Oh-oh, das ist das Grübelgesicht. Nicht gut.“ Lou hakte sich bei ihm unter und zog ihn weiter. Zu spät bemerkte er, wohin genau, da schaute seine Mutter ihnen schon entgegen.

„Lou, was soll das?“

„Dein Gewissen hat mir befohlen, dafür zu sorgen, dass du das heute endlich hinter dich bringst.“

„Mein Gewissen ist gefeuert.“

„Dein Gewissen hat den dicksten Bonus von allen verdient, damit es die Hälfte an mich weiterreichen kann. Und jetzt schön lächeln, sonst wirkt der Anzug nicht so gut.“

Er unterdrückte ein Stöhnen, aber sie hatte ja recht. Er schob es schon viel zu lange auf. Bald würden die Fristen ablaufen. Er bedeutete Lou zu warten und ging hinüber zu seiner Mutter.

„Lucas, Schatz.“ Seine Mutter legte ihm eine Hand auf den freien Arm und deutete mit der anderen zu dem neben ihr stehenden Direktor. „Direktor Amérin und ich sprachen gerade von dir. Ich habe ihm berichtet, wie gern du das nächste Praktikum unter seinen Fittichen absolvieren würdest, und er freut sich, dir diese einmalige Chance zu ermöglichen.“

Plötzlich fühlten sich ihre Finger selbst durch den Anzug eisig kalt an. Fantastisch, jetzt plante sie auch noch seine Praktika für ihn. Er schluckte gegen die Trockenheit in seiner Kehle an, aber sie wollte nicht verschwinden. Also räusperte er sich. „Das ist sehr freundlich, Monsieur Amérin“, erwiderte er beherrscht, fixierte aber seine Mutter. „Maman, kann ich dich kurz allein sprechen?“

„Oh, gleich, Lucas. Wir müssen erst noch die Eckdaten für dieses Praktikum besprechen.“

„Nein, müsst ihr nicht.“

Sowohl seine Mutter als auch der Direktor hoben erstaunt die Augenbrauen, aber Lou nickte ihm aufmunternd zu. Vermutlich war es ohnehin sicherer, wenn auch andere es hörten. Also holte er tief Luft und sprach weiter: „Ich werde das nächste Praktikum nicht antreten.“

Sylvie Merchand lachte gekünstelt auf und nahm einen Schluck Sekt. „Lucas, rede keinen Unsinn.“

„Das ist kein Unsinn. Ich werde das Kunststudium nicht fortsetzen.“

Bei diesen Worten kam Bewegung in seine Mutter. Schlagartig stand sie aufrechter, knallte ihr Glas etwas zu heftig auf einen Stehtisch und zog ihn am Arm zwei Schritte zur Seite.

„Lucas, darüber macht man keine Witze“, zischte sie.

Ein Teil von ihm fühlte sich klein unter ihrem harten Blick, wollte die Worte zurücknehmen und weiter dem einfachen, vorgezeichneten Weg folgen.

Aber seitdem er dieses verfluchte Studium begonnen hatte, war dieser Wunsch immer mehr verblasst.

Er hob das Kinn. „Das ist kein Witz. Ich …“

„Natürlich ist das ein Witz!“, unterbrach seine Mutter ihn, winkte lächelnd jemandem hinter ihm zu und fixierte ihn dann wieder. „Du hast nichts als Bestnoten und mit meinen Kontakten stehen dir alle Türen offen. In ein paar Jahren wirst du deinen Master machen und dann ist alles gut.“

„Alles gut, ja“, wiederholte er tonlos. „Für dich, Maman. Nicht für mich.“

Sie runzelte die Stirn. „Was, in aller Welt, redest du da?“

Er ballte die Fäuste. Er liebte seine Mutter, sehr, aber wo ihre Sturheit und Überzeugungskraft sie in ihrem Beruf weiterbrachte, verzweifelte er selbst nun nicht zum ersten Mal daran. „Ich meine es so, Maman. Ich werde das Kunststudium abbrechen und ein anderes beginnen.“

„Ach ja? Und welches?“

Kurz zögerte er. Doch er erkannte ehrliches Interesse in ihren Augen. Vielleicht würde dieses Gespräch nicht so schlimm werden wie befürchtet. „Architektur“, antwortete er. Es fühlte sich so gut an, es auszusprechen, dass ein befreites Lächeln auf seine Lippen glitt. „In einem meiner Wahlmodule im letzten Jahr waren so viele interessante architektonische Aspekte dabei, dass ich verstanden habe, was ich wirklich machen möchte, Maman. Also werde ich …“

„Auf keinen Fall.“ Sylvie Merchand schnaubte, als sie ihm einfach das Wort abschnitt. „Bitte, Lucas. Du bist ein Merchand. Wir folgen unserer künstlerischen Leidenschaft in der siebten Generation. Dieser Abbruch wird nicht passieren, solange ich hier noch etwas zu sagen habe. Nimm dir ein paar Tage frei und überdenke das noch mal, das Wissen um das Praktikum wird dir sicher dabei helfen.“

Ja, so viel zu nicht so schlimm.

Die Enttäuschung bohrte sich wie kleine Eissplitter in seine Brust. Er ballte die Fäuste und holte einmal tief Luft. „Nein, Maman. Das ist es ja gerade: Du hast dazu nichts mehr zu sagen. Ich habe lange darüber nachgedacht und meine Entscheidung getroffen.“

Wieder schnaubte sie. „Eine tolle Entscheidung ist das, in der du all die Möglichkeiten auf eine glorreiche Zukunft einfach außer Acht lässt!“

Er presste die Lippen aufeinander. Nein, dachte er. Wenn, dann habe ich bisher meine Möglichkeiten außer Acht gelassen.

„Hast du zumindest einen nicht völlig an den Haaren herbeigezogenen Grund für diesen plötzlichen Sinneswandel?“, fragte sie kalt.

Und er begriff, dass sie es nie verstehen würde.

„Der Grund interessiert dich doch gar nicht“, stellte er somit bitter fest, und sie hob wissend die Augenbrauen.

„Aha. Nun, Lucas, wenn dir eine vernünftige Begründung einfällt, teile sie mir doch bitte mit.“ Kopfschüttelnd machte Sylvie einen Schritt zurück in Richtung des Direktors, hielt noch einmal inne und sagte: „Ich werde dir das Praktikum dennoch beschaffen. Du kannst es in ein paar Monaten immer noch annehmen, wenn du einsiehst, dass es keinen Grund für diesen Abbruch gibt, und wieder zur Vernunft gekommen bist. Jetzt entschuldige mich, die Kunst wartet.“

„Ja“, erwiderte er dumpf. „Die wartet immer.“

Seine Mutter schenkte ihm noch einen kalten Blick. Darin lag dieselbe Enttäuschung, die auch er fühlte. Wie ähnlich sie sich doch waren. Ha, ha.

Wo ist das Blubberwasser, wenn man es mal …

Er hatte den Gedanken noch nicht beendet, da tauchte ein Sektglas vor ihm auf. Lou wartete, bis er es geext hatte, ehe sie mit einem schiefen Lächeln fragte: „Wie lief es?“

Er schluckte, schüttelte sich kurz von der ganzen Kohlensäure und hob die Schultern. „Wie erwartet.“

Lou nickte. „Und was machen wir jetzt?“

Er tippte unruhig mit dem Fuß auf den Boden, denn er spürte in sich diese wirre Mischung aus Enttäuschung, Unruhe und dieser seltsamen Kälte, die sich immer weiter ausbreitete und es ihm erstaunlich leicht machte, die nächsten Sätze zu sprechen.

„Jetzt fahren wir zu mir, damit ich den ganzen Mist unterschreiben und mich morgen neu einschreiben kann, um danach nie wieder eine dämliche Vernissage besuchen zu müssen“, sagte er mit einem schiefen Lächeln. „Und dann suchen wir uns ein verdammtes Casino.“

Kapitel 1

Zwölf Jahre später

„Zu spät? Was soll das heißen? Élian, du kommst nie zu spät!“

„Ich weiß. Tut mir leid, hier kam … etwas dazwischen.“

Grinsend stieg Lucas die letzten Stufen des Metro-Ausgangs hoch und nahm das Handy vom einen ans andere Ohr. Er konnte sich gut vorstellen, was bei seinem besten Freund dazwischengekommen war: Eine blonde Halbfranzösin namens Jeanne, die er nun prompt im Hintergrund rufen hörte.

„Das klingt ja nicht, als hättet ihr es schon aus dem Schlafzimmer rausgeschafft“, stellte er fest und wich einem rennenden Jugendlichen aus, der wohl gerade seine Metro verpasste. „Ist in den nächsten Minuten damit zu rechnen oder schmeißt ihr einfach beide eure Abendpläne über den Haufen? Ich dachte, du schleifst mich heute zu dieser ominösen Veranstaltung mit, weil Jeanne ein Interview hat.“

„Ja, hat sie auch, wir …“ Ein schrilles Élian, mach schon, los, los, los! unterbrach die folgende Erklärung.

Betont schockiert sog Lucas die kalte Winterluft ein. „Nein. Sag, dass das nicht wahr ist. Jeanne ist auch zu spät? Als Deutsche? Puh, ich weiß nicht, ob ich sie je wieder ernstnehmen kann.“

„Halbdeutsch. Aber freu dich mal nicht zu früh“, erwiderte Élian, dann erklangen ein Rumps und das Klappern von Schlüsseln. „Ich bin unterwegs. Such einfach schon nach Francesca.“

„Ach, die kommt auch? Wir …“

Die Verbindung brach ab.

Stirnrunzelnd nahm Lucas das Handy runter und schaute auf das Display, auf dem nun wieder sein Chat mit Élian erschien.

É. Dupont: Du musst morgen mit mir zu einer Veranstaltung kommen, Jeannes Interview wurde vorverlegt. 18 Uhr, Metrostation Temple, hinter der Kirche Sainte-Élisabeth.

Hm. Vielleicht hätte er doch noch einmal genauer nachfragen sollen, anstatt nur mit einem Daumen hoch zu antworten. Aber gestern war er zum einen viel zu begeistert gewesen, dass Élian sich endlich auch wieder an den Pariser Metrostationen orientierte, zum anderen hatte ein Fachplaner eines anderen Architekturbüros falsche Daten gesendet und ohnehin war auf der Baustelle des Samaritaine gerade die Hölle los. Nach der Nachtschicht gestern hatte Lucas sich auf einen entspannten Abend mit Élian gefreut. Wenn Franci auch kam, war diese Veranstaltung allerdings vielleicht doch größer als gedacht …

Aber gut. Er wartete lieber irgendwo drinnen mit Franci als bei dem schneidenden Novemberwind mitten auf der Straße. Hierher in das 19. Arrondissement bräuchte Élian von seiner Wohnung aus ohnehin nur eine Viertelstunde.

Er schob das Handy in die Hosentasche, klappte den Kragen seines Mantels hoch und bog in die Rue du Temple ein. Sein Atem stieg in weißen Wölkchen vor ihm auf, so kalt war es, aber noch hatte es nicht geschneit. Das hinderte die Pariser natürlich nicht daran, schon Ende November Unmengen an leuchtender Weihnachtsdekoration in alle Straßen zu hängen. Als könnten sie mit an den Fassaden hochkletternden Weihnachtsmännern und blinkenden Sternen und Schneeflocken den richtigen Schnee anlocken. Lucas wären weiße Weihnachten nur recht, und in diesem Jahr standen die Chancen darauf auch gut.

Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er an die legendäre Schneeballschlacht zurückdachte, die er sich vor fünfzehn Jahren mit den drei Dupont-Geschwistern geliefert hatte. Im Nachhinein betrachtet hatten Mathéo und er damals vielleicht etwas übertrieben und es war gerechtfertigt, dass Élian und Lou Schnee in jeglicher Form seitdem nicht mehr allzu begeistert gegenüberstanden. Allerdings könnte sich das in diesem Jahr zumindest bei Élian auch wieder ändern – immerhin hatte Jeanne ihn seit ihrer Ankunft vor drei Monaten auch aus seiner mürrischen Arbeitsphase rausgeholt.

Zwei Wochen wohnten die beiden jetzt schon zusammen. Da Jeanne eigentlich nicht vorgehabt hatte, für immer in Paris zu bleiben, war sie zuvor bei ihrer Kindheitsfreundin Francesca untergekommen. Eben diese Freundin entdeckte Lucas nun ein Stück die Straße runter. Inmitten einer Menge aus schwarzen und braunen Wintermänteln stach sie mit ihrem königsblauen und der gleichfarbigen Baskenmütze deutlich hervor. Dieses Outfit hätte auch Lou für sie aussuchen können.

Zögernd verlangsamte Lucas seine Schritte. Das waren echt viele Leute, die da auf dem Bürgersteig vor einer breiten Fensterfront zusammenstanden, und trotz der größtenteils farblich schlichten Jacken wirkten sie alle so, als hätte er seine Sneakers besser zu Hause gelassen.

Gerade spielt er mit dem Gedanken, doch noch an der Metro auf Élian zu warten und ihm die Krawatte zu klauen, die er sicher tragen würde – immerhin hatte er ihn nicht vorgewarnt –, da schaute aber Franci auf und entdeckte ihn. Erleichtert lächelte sie, sagte noch etwas zu ihrem Gesprächspartner und kam dann auf ihn zu.

„Bonsoir, Lucas! Wie schön, dass du es auch geschafft hast“, begrüßte sie ihn strahlend.

„Bonsoir“, erwiderte er, beugte sich zu ihr runter und gab ihr zwei Küsschen auf die vor Kälte geröteten Wangen. „Es … freut mich auch.“ Denke ich, fügte er in Gedanken hinzu, machte einen Schritt zurück und musterte sie. Unter dem Mantel ragte der Saum eines weißen Kleides hervor, dazu trug sie mörderisch hohe Schuhe und große Ohrringe. Sie passte zu dieser feinen Gesellschaft. „Allerdings muss ich wohl den Türsteher bestechen, um so underdressed da reinzukommen, gerade neben dir. Du siehst fantastisch aus, Franci.“

„Danke sehr.“ Sie hob einen Mundwinkel und pustete sich den dunklen Pony aus der Stirn, während sie ebenfalls an ihm hinuntersah. „Das gebe ich gern zurück. Mit dieser Aktentasche könntest du jedenfalls Élian als Geschäftsmann nacheifern.“

Er lachte auf und klopfte auf die braune Ledertasche, die an dem breiten Riemen über seiner Schulter hing. „Notiz an mich: neue Tasche kaufen. Mich kriegen keine zehn Pferde jeden Tag in einen Anzug.“

„Äußerst schade“, betonte Franci lächelnd. „Also kommst du gerade nicht von einem sonntäglichen Geschäftsessen?“

„Nein. Ich musste noch ein paar Pläne zur Baustelle bringen, damit die Arbeit am Montag weitergehen kann. Dem Fachplaner ist der Fehler erst vor einer Stunde aufgefallen, also habe ich das lieber heute gemacht, als morgen um vier aufstehen zu müssen.“ Denn dann würde er es nicht mehr zum Joggen schaffen, setzte er in Gedanken nach.

„Ach ja! Jeanne hat mir erzählt, dass du am Umbau des Samaritaine-Kaufhauses an der Seine mitarbeitest. Ich liebe diese alte Fassade.“

Lucas seufzte so gequält, wie er nur konnte. „Ja, das ist bei mir inzwischen tagesabhängig. Heute hasse ich sie, weil der Denkmalschutz die Bauplanung nicht gerade leichter macht, morgen werde ich sie hoffentlich wieder lieben.“

„Ist gut. Gib mir ein Zeichen, wenn du wieder mit mir davon schwärmen kannst.“

„Wird gemacht“, versprach er ernsthaft und erhielt ein Nicken zur Antwort.

Der kalte Wind pfiff durch die Straße, während sie so beieinanderstanden. Sie hatten sich bisher erst zweimal gesehen, einmal in einer Bar nicht weit von hier und dann nach Jeannes Einzug bei Élian, jeweils mit Lou und ihren besten Freunden. Unter sich gewesen waren sie noch nie, aber er mochte Franci und sie würden sich die Zeit schon vertreiben.

„Élian verspätet sich übrigens. Ihm und Jeanne ist etwas dazwischengekommen“, wechselte er das Thema.

„Ah ja.“ Franci hob vielsagend die Augenbrauen. „Das will schon was heißen, wenn Jeanne nicht pünktlich ist. Aber vermutlich kommt sie trotzdem noch rechtzeitig zu ihrem Termin, das ist so etwas wie ihre Superkraft. Wollen wir schon mal reingehen?“ Sie schob demonstrativ die Hände in die Manteltaschen und nickte in Richtung der versammelten Menschen. „Da läuft die Heizung.“

„Heizung klingt toll.“

Franci nickte, wandte sich um und ging zurück zu der Menge.

Langsam folgte Lucas ihr, und während er die Szenerie in sich aufnahm, regte sich ein schlechtes Gefühl in seinem Magen. Hier draußen vor der Fensterfront standen etwa zwanzig Männer und Frauen, die meisten mit einem Glas Wein in der Hand und dicken Ringen an den Fingern. Ausnahmslos jeder, an dem sie vorbeikamen, grüßte Franci mit dem typischen aufgesetzten Lächeln. Sie nickte freundlich in die Runde und drängte weiter zur offenstehenden Tür, hinter der sie in einem lang gestreckten Raum fünf weitere Gäste erwarteten – zusammen mit seiner schlimmsten Befürchtung.

Auch wenn sie die Kälte draußen zurückließen, gefror ihm sein Lächeln. Dicht hinter dem Eingang blieb er stehen und hielt sich mühsam von einem lauten Fluch ab. Der hätte jetzt gutgetan. Fluchen tat immer gut. „Sag mal, Franci. Wie stehst du so zu Auftragskillern, hast du da eine Nummer für mich?“

Irritiert hielt Franci inne und hob die Augenbrauen. „Ich fürchte, da muss ich passen.“

„Ärgerlich. Dann muss ich mich wohl selbst um Élian kümmern“, stellte Lucas ernst fest und warf einen Blick zurück nach draußen. Gott, hoffentlich erkannte ihn nur niemand hier. „Ich Trottel hätte einfach nachfragen sollen“, murmelte er unzufrieden.

Aus dem Augenwinkel erkannte er, dass seine Begleiterin ihn nun eher unsicher als irritiert musterte, doch er war noch voll damit beschäftigt, sich für seine Nachlässigkeit zu verfluchen. Natürlich nahm er Élian nicht übel, dass er sich nicht allein so einen Blödsinn angucken wollte, von dem er noch nicht einmal eine Ahnung hatte. Aber warum, um Himmels willen, musste er dann ausgerechnet ihn hierherlocken?

Deshalb hatte er also in seiner Nachricht nur von einer Veranstaltung gesprochen. Schlauer Mistkerl.

„Und das auch noch am Sonntag“, murrte er. „Er weiß doch, dass das der Tag vor dem Montag ist.“

Franci räusperte sich. „Nun ja, Élian vergisst auch dauernd, Feierabend zu machen, da kann man die Wochentage schon mal durcheinanderwerfen.“

„Hm.“

„Du wirkst nicht begeistert?“

Er sah zu ihr, lachte freudlos und deutete zu der langen Wand ihnen gegenüber. „Wir sind auf einer Vernissage. Wer wäre da begeistert? Inmitten von schnöseligen Besuchern, die zu viel Geld für ein bisschen hingeklatschte Farbe ausgeben? Davon hab ich echt schon genug gesehen.“

Franci folgte seiner Geste mit dem Blick zu den großflächigen Leinwänden, die beleuchtet von hellen Spots dort ausgestellt waren. Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und schien nach den richtigen Worten zu suchen. Doch bevor sie zum Sprechen kam, riss etwas anderes Lucas‘ Aufmerksamkeit an sich.

Jemand tippte ihn an.

Verdammt.

„Monsieur Merchand? Lucas, sind Sie es wirklich?“

Gut, das hier war seine schlimmste Befürchtung. Als er sich umdrehte, stand er vor einer Frau Mitte sechzig mit einer gewaltigen Designerbrille, die ihre Augen wie die beste Lupe vergrößerte, und einem Strahlen, als hätte sie ihr lang vermisstes Gebiss wiedergefunden. „Madame Laurent“, grüßte er und zwang die eingefrorene Freundlichkeit zurück auf seine Züge.

„Lucas, nein, wie lang ist das her! Sind es schon mehr als zehn Jahre? Ich bin gerade erst gekommen, aber mit Ihnen hätte ich auf dieser zauberhaften Vernissage nicht gerechnet. Kennen Sie die Künstlerin, die man uns hier vorstellen möchte? Wie geht es Ihren Eltern, was macht die Galerie? Ach, ich wollte schon lange mal wieder bei den Merchands vorbeischauen!“

Sie könnte gern seinen Platz beim wöchentlichen Familienessen übernehmen. „Ihnen und der Galerie geht es gut, Madame. Alles ist beim Alten.“

„Gut, gut.“ Madame Laurent tätschelte seinen Arm und hüllte ihn in eine Wolke aus schwerem Parfum. „Ich werde mich bei Ihrer Mutter melden, aber erst einmal sollten wir diesen inspirierenden Abend genießen. Ah, Lucas, schauen Sie doch nur, diese fantastische Komposition!“

Er hätte gern abgelehnt, aber der Raum war so lang und schmal, dass sie ihn nur einen Schritt vorziehen musste, und schon standen sie vor dem ersten Ausstellungsstück.

Seufzend hob er den Blick und musterte es flüchtig. Ohne einen konkreten Gedanken daran spulte sein Gehirn die wichtigsten Informationen dazu ab: Quadratische Leinwand von einem Meter Länge, mit Walnussholz gerahmt. Abstrakte Malweise – dabei kam ihm gleich wieder der dreistündige Vortrag seines ehemaligen Dozenten in den Kopf, der der Meinung war, dass jede Kunst abstrakt sei, immerhin sei jede Malerei nur ein grobes Abbild der Vorstellung des Künstlers – mit eindeutigem Fokus auf die formalen Qualitäten des Farbzusammenspiels und die Komposition der einzelnen Flächen. Grund-Kategorie des Abstrakten: eher emotional und intuitiv, und dieses Gemälde erinnerte an die Werke des tschechischen Malers Frank Kupka, obwohl dieser auch Elemente des Symbolismus nutzte, das war hier puristischer. Also doch eher der klassische, großformatige abstrakte Expressionismus. Gedeckte Farbpalette in Richtung Pastell von Olivgrün bis zu leichtem, fließendem Rosa. Vermutlich eine Mischung aus Acryl- und Ölfarbe …

Er presste die Lippen zusammen und zwang sich dazu, die Augen zu schließen und tief durchzuatmen. Er würde all dieses unnütze Wissen niemals wieder loswerden, aber jetzt war nicht der Moment, um auch noch die einzelnen Arbeits- und Farbtechniken zu analysieren und sie verschiedenen Epochen oder großen Künstlern zuzuordnen.

„Das hat schon etwas, finden Sie nicht, Lucas?“ Madame Laurent beugte sich bedrohlich weit vor. Vielleicht reichte selbst diese Brille nicht mehr, um ihre Kurzsichtigkeit auszugleichen. „Etwas Frisches und Aufregendes! Ihrer Mutter würde es sicher auch gefallen. Dieses Werk würde sich wunderbar in meinem Gästebad machen … oh! Oh, schauen Sie nur, Lucas, da kommt gerade Victoria Bernard! Ich muss sie unbedingt begrüßen, entschuldigen Sie mich!“

Na, wenn sie so nett darum bat, tat er das doch gern. Die große Brille verschwand aus seinem Sichtfeld und Lucas hatte gleich das Gefühl, wieder besser Luft zu bekommen. Er sah noch einmal zu dem Bild mit dem famosen Titel respire – atme –, und wollte sich schon abwenden, doch da stand jemand anderes neben ihm.

„Es gefällt dir nicht?“

Er sah Franci in die dunklen Augen und hatte plötzlich das Gefühl, dass sich etwas in ihm drehte. Da stand eine Erwartung in ihrem Blick, die er zuvor nicht bemerkt hatte.

„Um das festzustellen, müsste ich es erst einmal vernünftig anschauen“, erwiderte er ausweichend.

Franci nickte und fuhr sich durch den Pony. „Dann tu das doch.“

Ach, er hätte sich einfach zusammenreißen und ‚doch, natürlich gefällt es mir‘ sagen sollen. Den meisten Menschen reichte das.

Aber Franci wirkte nicht, als würde sie sich damit zufriedengeben. Also drehte er sich wieder um, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und betrachtete das Bild. Sein Blick fuhr über die verschwommenen Flächen von gräulichem Blau und die massiveren Balken in Taupe und hellem Beige, die das blasse Rosa der oberen Hälfte vom Olivgrün und von Petrol durchbrochenem Sand der unteren Partie trennten. Die unauffällig eingearbeitete Strukturpaste erinnerte an ein fliederfarbenes Kuppeldach.

Er sah so viel. Er analysierte die Balance, die Proportionen, Kontraste und Werkspuren.

Doch was er nicht sah, war das Bild.

„Und?“

Blinzelnd sah er zurück zu Franci und hob die Schultern. „Hab schon Schlechteres gesehen. Die Technik ist okay. Nichts Neues, aber okay, eben abstrakter Expressionismus. Die gedeckten Farben wirken gut, eben sehr … beherrscht.“

Francesca zögerte einen Moment, bevor sie ein schiefes Lächeln zeigte. „Das ist also deine nette Umschreibung für langweilig.“

„Hm. Möglich.“ Unentschlossen trat Lucas einen Schritt zurück, bis er wieder neben ihr stand und sie anschauen konnte statt des Gemäldes.

„Vielleicht wollte der Künstler genau das bewirken“, sagte Francesca, während sie an ihm vorbei die gedeckten Flächen und Pinselschwünge betrachtete. „Etwas Beherrschtes. Etwas Ruhiges.“

„Kann sein. Ich sehe zu viel, um das noch zu sehen.“

Der Satz klang in seinen eigenen Ohren wirr, doch Franci nickte, als würde sie den Sinn dahinter erkennen. „Also hast du …“

„Lucas, Francesca! Hier seid ihr.“

Gleichzeitig wandten sie den Kopf. Élian zog sich gerade den Schal vom Hals und öffnete den langen, eleganten Mantel, mit dem er hier natürlich wunderbar reinpasste. Außerdem kam darunter eine Krawatte zum Vorschein, ganz wie Lucas es vermutet hatte.

„Entschuldigt die Verspätung“, setzte sein bester Freund hinzu und rieb die Hände aneinander. „Ich nehme fünfzig Prozent der Schuld auf mich, der Rest geht an Jeanne.“

Lucas nickte ernst. „Klingt fair.“

„Ja, bei euch beiden wüsste ich auch nicht, wer mehr Schuld verdient hätte“, stellte Franci fest. „Sie mit dem Pünktlichkeits- oder du mit dem generellen Ordnungs-Fimmel …“

„Ich will gar nicht wissen, wie es bei denen zu Hause läuft“, raunte Lucas in Francis Richtung, aber laut genug, dass Élian es hörte. Der verdrehte prompt die Augen.

„Abgesehen davon, dass sie dauernd meine Bücher umdrehen und neue Bilder von Lou aufhängen will, obwohl der Platz wirklich langsam eng wird, läuft es wunderbar.“

„So ein paar Streitpunkte braucht jede Beziehung“, erwiderte Franci.

„Jaja, spart euch euren Sarkasmus. Das könnt ihr die Tage mit Jeanne ausmachen“, verkündete Élian und fuhr sich durch die Haare, als er sich im Raum umsah. „Und, wie läuft es so? Kommen die Bilder gut an, Franci?“

Es gibt so Momente im Leben, da ändern sechs einfache Worte sehr viel. Dieser Moment, in dem Lucas blinzelnd diesen Satz rekapitulierte und begriff, war so einer.

Franci neigte den Kopf von rechts nach links. „Das kommt ganz drauf an, wen du fragst.“

Als würde er plötzlich ganz weit weg von den beiden stehen, drangen die nächsten Worte nur gedämpft an sein Ohr.

„Ach, das wird schon. Es ist ja deine erste Vernissage. Die Kunden brauchen immer ein bisschen Zeit, bis sie begreifen, was für erstklassige Kunst sie vor sich haben“, sagte Élian und legte Franci eine Hand auf die Schulter.

„Das … die Bilder sind von dir?“, fragte Lucas tonlos.

Élian lachte leise. „Ja, das hab ich dir doch erzählt! Franci hat lange auf diese Ausstellung gewartet, zumindest redet Jeanne schon seit Wochen davon.“

Außerdem gibt es so Momente im Leben, da will man manchen eigentlich sehr netten Menschen einfach mal den Kopf waschen. „Nein, das hast du nicht erzählt“, erwiderte er, presste die Lippen aufeinander und sah zu Franci, die seinen Blick klar erwiderte.

Ach, verdammt. Wäre er doch zu Hause geblieben.

Kapitel 2

Das Klicken des Schlüssels im Schloss war reine Musik in meinen Ohren. Ich schob die Tür auf, drückte sie hinter mir wieder zu, sank dagegen und stieß tief den Atem aus.

Geschafft, hallte es durch meinen Kopf. Franci, du hast es wirklich geschafft.

Ein erschöpftes Lächeln glitt auf meine Lippen. Müde schälte ich mich aus dem königsblauen Mantel, zog die Mütze vom Kopf und den dicken Silberring vom Finger. Klirrend landete er bei den anderen in der kleinen Schale auf der Kommode, die Schuhe kickte ich kraftlos von den Füßen. Liegen. Ich wollte nur noch liegen.

Ohne das Licht einzuschalten, wankte ich durch meine große Wohnküche, am Esstisch vorbei und bis zum Sofa. Ich fiel auf das Polster und schloss die Augen. Keinen Schritt mehr hätte ich noch tun, kein Wort mehr sagen wollen. Trotzdem lächelte ich.

Denn dieser Abend war fantastisch gewesen. Noch nie hatte ich mit so vielen faszinierenden Menschen über Kunst geredet, über meine Kunst. Ich verdankte diesen Abend nur Jeannes Hartnäckigkeit – sie hatte mich regelrecht gezwungen, den Galeristen anzusprechen, als ich ihn vor zwei Monaten in einem Café erkannt hatte. Und obwohl das Fußfassen in der Pariser Kunstszene schon wieder eine Kunst für sich war, hatte die Galerie einige meiner Bilder verkauft und mir sogar eine weitere Ausstellung in Aussicht gestellt, wenn auch die kommenden Wochen zu aller Zufriedenheit verliefen. Auch der Reporter einer kleinen, aber renommierten Kunstzeitschrift war begeistert gewesen und hatte versprochen, alles dafür zu tun, dass der Bericht über meine Vernissage mit Foto abgedruckt wurde.

Aber selbst wenn es bei diesem einen glamourösen Abend bleiben sollte, würde ich dafür auf ewig dankbar sein.

Ich drehte mich auf den Rücken, starrte an die dunkle Zimmerdecke und lächelte immer noch. Im Allgemeinen machte mich gerade vieles glücklich. Die Beförderung bei Paris Privée zum Beispiel, zu der sich Élian nach ein wenig gutem Zureden von Jeanne durchgerungen hatte, um mich auch offiziell zur Programmleitung und zu seiner rechten Hand zu machen. Oder noch besser: Jeanne. Fünfzehn Jahre hatten wir uns nicht mehr gesehen, aber schon nach den paar Monaten fühlte es sich an, als wäre sie nie weg gewesen. Es war wunderbar, mit ihr wieder eine richtig gute Freundin zu haben, die mir auch so viele weitere schöne Kontakte beschert hatte, allen voran Lou … aber es war auch anstrengend. Sehr anstrengend.

Seufzend strich ich mir den Pony aus der Stirn und schloss die Augen, als die Deckenlampe vor meinem Blick verschwamm. Es war so laut, viel zu laut in meinen Gedanken. Wie immer, wenn die Erschöpfung überhandnahm und die Tage mich zu sehr forderten. Das geschah oft in den letzten Wochen. Denn ich genoss die Zeit mit Jeanne und Lou, sehr sogar. Doch ich war all die sozialen Kontakte nicht mehr gewohnt. Ich liebte den freundschaftlichen Umgang mit meinen Kollegen bei Paris Privée, war auch in den letzten Jahren manchmal mit Freunden unterwegs gewesen und gab seit einiger Zeit regelmäßig Malkurse. Doch ich brauchte auch Pausen. Ich brauchte Ruhe, und zwar viel davon. Zeit für mich allein. Zum Auftanken. Zum Malen. Und davon hatte ich derzeit nicht genug.

Die gedeckten Farben wirken gut, eben sehr … beherrscht.

Ich schmunzelte, als Lucas‘ Worte mir in den Sinn kamen. Er hatte es gut getroffen. Meine Bilder waren nicht wild, nicht knallig und aufregend. Sie waren beherrscht, harmonisch und ruhig. Sie drückten aus, wonach ich mich nach einem anstrengenden Tag sehnte, wenn mich zu viel Zeit unter Menschen stresste. Nun hingen einige davon in anderen Wohnungen und Häusern, um vielleicht etwas von dieser Stimmung an neue Betrachter weiterzugeben. Es würde …

Ein Klingeln unterbrach meine Gedanken. Irritiert zog ich das Handy aus der Tasche meines Kleides. Unter der Uhrzeit und der Warnung, dass in fünf Stunden mein Wecker gehen würde, prangte das Bild einer lachenden Jeanne.

Ich atmete noch einmal tief durch und verbannte konzentriert jede Erschöpfung aus meinen Gedanken und meiner Stimme. Dann nahm ich den Anruf an.

„Hey, große Monster-Bezähmerin.“

„Hey, große Künstlerin!“, rief Jeanne zurück.

Sie soll endlich aufhören, dich so zu nennen, hörte ich Élian bei ihr im Hintergrund murmeln. Sonst mach ich die Beförderung ganz schnell wieder rückgängig.

„Du solltest dir angewöhnen, den Ton deines Handys leiser zu stellen, Jeanne“, wandte ich lächelnd ein. „Wenn er mich sogar ohne Lautsprecher hört …“

„Jaja, ich konzentriere mich halt gern voll und ganz auf alles, was du mir erzählst.“

„Das ist sehr löblich. Sitzt er neben dir am Tisch und arbeitet?“

Jeanne seufzte. „Aber klar. An unsere Abmachung, dass er zumindest am Sonntag nichts für die Firma tut, hält er sich. Aber rate mal, wann er nach Hause gekommen ist und was er dann für ein bescheuertes Argument …“

Ein sehr gutes Argument, es ist nach null Uhr und damit nicht mehr Sonntag, tönte es aus dem Hintergrund.

„Schon klar. Der Punkt geht an dich, aber ich werde mich rächen!“, erwiderte sie. „Aber jetzt zurück zu dir, Franci. Erzähl, wie phänomenal fühlt man sich so nach seiner ersten eigenen Vernissage?“

„Gut fühlt man sich. Es war einfach fantastisch.“

„Fantastisch?“ Jeanne schwieg kurz. „Das ist alles? Ach Gott, Franci, du bist todmüde, oder? Soll ich lieber auflegen, damit du schlafen kannst?“

„Nein, alles gut!“ Schnell setzte ich mich auf und rieb mir die Augen. „Ich muss auf jeden Fall noch wissen, ob du es pünktlich zu dem Interview geschafft hast.“

Jeanne lachte. „Aber klar. Pünktlichkeit ist meine Superkraft, das weißt du doch. Es hat mich nur geärgert, dass es unbedingt heute Abend sein musste, ich wäre so unfassbar gern nachgekommen. Und dann hat sie noch gequatscht und gequatscht und gequatscht … sie hat mir echt Konkurrenz gemacht, Franci.“

„Man sollte ihr einen Orden verleihen.“

„Absolut.“

Lächelnd stand ich auf und ging zur bordeauxroten Küchenzeile. Jeanne hatte auf den Termin mit einer bekannten Reise-Bloggerin sehr lange hingefiebert und ihn eigentlich für morgen angesetzt, aber die werte Dame hatte heute Mittag beschlossen, doch morgen früh schon weiter nach Rom zu fliegen. Da das Interview mit ihr den Startschuss für Jeannes geplanten Blog von Paris Privée geben sollte, hatte sie schlecht absagen können.

„Nur keine Vorwürfe, Jeanne“, sagte ich ernst, erweckte meinen Lebens-Spender Jacques zum Leben und holte eine goldene Tasse aus dem Schrank. „Ich seh es genau vor mir, wie du missmutig aus dem Fenster starrst, weil du heute nicht dabei warst.“

„Mhm“, machte sie. Natürlich hatte ich ins Schwarze getroffen.

„Du kennst meine Bilder doch schon“, stellte ich fest. Jacques, meine Kaffeemaschine und bester Freund, mahlte derweil lautstark die Bohnen und schäumte Milch auf. „Und das ganze Gerede über Kunst hätte dich sowieso nicht interessiert. Glaub mir, manche Besucher haben mit Fachbegriffen oder Künstlern um sich geworfen, die kannte nicht mal ich. Die haben sicher mehr Bücher zu Stilrichtungen und Epochen gelesen, als ich je in die Hand nehmen werde.“

Damit entlockte ich ihr zumindest ein kleines Lachen. „Ja, du bist eben keine Kunst-Studentin, sondern eine fantastische Künstlerin voller heißer Leidenschaft!“

Beinahe hätte ich mich am ersten Schluck Cappuccino verschluckt. „Ich würde dir weiterhin feierlich einen davon überlassen, aber du bist ja jetzt versorgt.“

„Oh, worauf du Gift nehmen kannst. Wir …“

„Stopp“, unterbrach ich sie hektisch. „Ich bin für alle schmutzigen Details zu haben, aber nicht, wenn es dabei um meinen Chef geht.“

„Der Chef dankt“, ertönte es aus dem Hintergrund bei Jeanne.

Sie kicherte. „Spielverderber. Na gut. Aber zurück zum wichtigsten Thema des Abends: Ich wäre wirklich gern dabei gewesen, Franci, auch wenn ich nur sinnlose Kommentare abgegeben hätte. Hat Lucas mich dahingehend würdig vertreten?“

Schmunzelnd trank ich einen Schluck und lehnte mich an die Küchentheke. „Na ja, er war zumindest ehrlich.“

„Die gute oder die schlechte Art von ehrlich?“

„Gibt es eine schlechte Art von ehrlich?“

„Ja, und zwar die, für die er von mir einen Arschtritt bekommt.“

Ich grinste. „Der diabolische Teil von mir würde das gern sehen, aber das ist schon in Ordnung, Jeanne. Er hat mir seine ehrliche Meinung gesagt und war dabei sehr …“

Ich wollte schon ‚konstruktiv‘ sagen, da tauchte Lucas‘ ausdrucksloses Gesicht vor mir auf. Hab schon Schlechteres gesehen. Die Technik ist okay. Nichts Neues, aber okay, eben abstrakter Expressionismus.

„… ehrlich eben“, schloss ich diplomatisch. „Kunst ist nicht gemacht, um jedem zu gefallen.“

„Pff. Idiot. Der hat doch bestimmt überhaupt keine Ahnung davon.“

„Wovon soll Lucas keine Ahnung haben?“ Wieder Élians Stimme aus dem Off.

„Von Kunst, Élian. Franci ist im Gegensatz zu ihm zu höflich, um es direkt zu sagen, aber er hat heute Abend anscheinend blöde Kommentare zu ihren Bildern abgegeben.“

„Wie bitte? Das glaube ich nicht, da hast du ihn bestimmt missverstanden.“

„Jetzt macht euch darüber keine Gedanken“, wandte ich amüsiert ein. „Ich mache ihm da keinen Vorwurf. Jedes Bild wirkt auf jeden Betrachter anders, und wenn ihm meine nicht gefallen, habe ich kein Problem damit. Ich wurde heute so mit Lob überhäuft, da tut mir ein bisschen direkte Kritik vielleicht gut. Als er die Ausstellung kommentiert hat, hat er glaube ich auch noch nicht gewusst, dass sie von mir ist. Es war also nichts Persönliches.“

„Élian, hast du ihm nicht gesagt, dass das Francis Abend ist?“

„Doch! Also, glaube ich. Ich dachte, er wüsste es. Ach, Francesca, das tut mir leid. Ich hätte Lucas nicht mitnehmen sollen. Er hat ein schwieriges Verhältnis zu Kunst im Allgemeinen, aber ich wollte nicht …“

„Élian, ist schon gut“, wiederholte ich nachdrücklich. „Du solltest am besten wissen, dass ich mit Kritik umgehen kann. Ich hab dich ohne Jeannes Einfluss zwei Jahre lang ertragen.“

Jeanne lachte, Élian schnaubte.

„Pass bloß auf, dass ich sie nicht doch wieder aus meiner Wohnung werfe, wenn ich mir immer weiter solche Kommentare anhören muss …“

„Chéri, du warst nun mal ein ziemlich grummliger Kerl, bevor ich die Sonne in dein Leben gebracht habe.“

„Chérie, weißt du was, ich geh dann mal ins Bett. Francesca, wir sehen uns morgen früh.“

„Gute Nacht, Élian“, rief ich, während Jeanne dazwischenquasselte: „Sie kann doch morgen bestimmt eine Stunde später kommen, oder?“

„Jeanne …“

„Schon gut, schon gut, man kann’s ja mal probieren, Chef. Ich komm gleich nach.“

Ich trank lächelnd einen weiteren Schluck Kaffee. „Ich will dich nicht vom Kuscheln abhalten.“

„Ach, nur kein Stress. Er weiß genau, dass wir noch ein bisschen quatschen, vermutlich liest er noch eins dieser Wirtschafts-Magazine“, gab Jeanne zurück. „Wie wäre es mit einem Thema ganz weit weg vom blöden Lucas? Es sind nur noch sechsundzwanzig Tage bis Weihnachten, Franci!“

Sofort zuckte mein Blick zu den vierundzwanzig kleinen, roten Säckchen, die an einem langen Band über meinem Sofa hingen. Sie hatte recht. Nun, da die Vernissage überstanden war, rückte das große Fest immer näher.

„Schon, aber du vergisst einen wichtigen Termin davor“, wandte ich ein. „In zwei Tagen darf ich das erste Säckchen deines Adventskalenders öffnen.“

„Oh, stimmt!“ Jeanne quietschte so hoch, dass man fast meinen könnte, ich hätte ihr einen Kalender voller Geschenke gebastelt und nicht andersrum. „Ich bin so gespannt, was ihr dazu sagt.“

Ja, vermutlich freute sie sich genauso darüber wie Élian, Lou und ich. Bekanntlich schüttete unser menschliches Hirn ja beim Schenken dieselben Glückshormone aus wie beim Geschenke bekommen. Wir hatten jedenfalls alle drei nicht schlecht gestaunt, als sie uns vor einer Woche bei einem gemeinsamen Essen jeweils einen Adventskalender mit vierundzwanzig liebevoll selbst genähten und befüllten Stoffsäckchen überreicht hatte. Nicht mal Élian hatte etwas von ihrer Bastelaktion mitbekommen – sie hatte all seine Überstunden wohlweislich genutzt.

„Na, das ist doch keine Frage. Wir werden alle völlig begeistert sein und in ein paar Jahren wirst du es geschafft haben, dass sich all diese süßen deutschen Traditionen auch in Paris etablieren.“

„H-hm.“ Ich sah vor mir, wie sie grinsend den Kopf hin und her neigte. „Mit dem Titel könnte ich leben: Jeanne, die die Weihnachtsliebe nach Frankreich brachte.“

„Schön, dass du gleich ganz groß denkst.“

„Aber natürlich. Es kann doch nicht sein, dass man hier schon froh sein muss, wenn man einen Schokoladen-Kalender im Supermarkt findet. Der Dezember ist kein Dezember ohne einen Adventskranz, Adventssingen und eine Krippe. Ihr werdet schon sehen!“

„Ich freue mich sehr darauf, Jeanne“, erwiderte ich. Zweifelsfrei würde dieses Weihnachtsfest ein ganz besonderes werden. „Aber jetzt solltest du Élian bekuscheln gehen. Er ist so viel besser drauf nach einer … entspannten Nacht mit dir.“

„Heute darf die wirklich entspannt bleiben, immerhin ist nicht mehr viel von der Nacht übrig.“ Demonstrativ gähnte Jeanne in den Hörer. „Aber gut, wir sehen uns ja eh später im Büro. In der Mittagspause können wir uns dann zusammen weiter über Lucas aufregen. Ich hab dich lieb, Franci, mal nicht mehr zu lang.“

Noch bevor ich mich verabschieden konnte, tutete es in der Leitung.

Ich nahm das Handy vom Ohr und starrte kurz auf das dunkle Display, bevor ich lächelnd den Kopf schüttelte. Mit Jeanne war alles so einfach, ganz egal, wie erledigt ich mich fühlte. Selbst als sie bei mir gewohnt hatte. Sie war einer dieser wenigen Menschen, die mit meinen beiden Seiten klarkamen – mit der lauten und der leisen. Sie wusste genau, dass ich nun noch nicht schlafen würde.

Ich nahm den letzten Schluck Kaffee und stellte die Tasse in die Spülmaschine. Durch die große Fensterfront warf der Mond sein fahles Licht auf das Parkett und erleuchtete die typisch parisischen, mehrstöckigen Häuser aus hellem Stein, die die gesamte Rue du Faubourg du Temple säumten. Der Ausblick aus meiner Wohnung war auch tagsüber ein Spektakel. Doch nichts war inspirierender als die Stille der Nacht, das ruhige Alleinsein zwischen Schatten und eigenen Gedanken.

Ich öffnete die Tür zum kurzen Flur. Links lag mein Arbeitszimmer, in dem Jeanne für ein paar Wochen geschlafen hatte, rechts das Bad und mein Schlafzimmer. Ich öffnete die letzte Tür an der gegenüberliegenden Wand und sog tief den sofort zu mir strömenden Duft nach Farbe ein.

Dies war mein Paradies. Mein Ruhepol.

Die gesamte linke Wand nahm ein gigantisches, von Leinwänden befülltes Regal ein – fertiggestellte Bilder, die mein perfektionistischer Geist nicht als ausstellungswürdig empfunden hatte. Gegenüber der Tür lehnten zwei großflächige Leinwände, denen noch der letzte Schliff fehlte. Doch gerade war mir nach etwas Neuem.

Ich griff nach den im Regal bereitliegenden Kopfhörern, zog eine frische Leinwand hervor und trug sie zu der freien Wand neben dem großen Fenster. Gerade wollte ich auf dem Handy die Musik anstellen, da vibrierte es und zeigte eine Nachricht an.

J. Amions: Bonsoir, princesse. Ich hoffe, deine Vernissage verlief genau so, wie du es dir gewünscht hast.

Ich sehne mich nach dir.

Glücklich, noch von ihm zu hören, tippte ich eine kurze Antwort.

F. Martinez: Es war noch viel besser. Ich erzähle es dir, sobald du wieder hier bist.

J. Amions: Auch meine Bekannten sprechen in höchsten Tönen von diesem Abend. Ich lasse dich nicht mehr lang warten. Versprochen.

Natürlich kannte er einige der Besucher. Lächelnd schloss ich den Chat und stellte die Musik ein. Die sanften Klänge von Vivaldis Jahreszeiten beruhigten meine Gedanken. Sie kanalisierten sie.

Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Boden, atmete konzentriert ein und betrachtete eingehend das weiße aufgespannte Leinen. Farben erschienen vor mir. Formen. Beruhigende Harmonie.

Vielleicht wollte der Künstler genau das bewirken. Etwas Beherrschtes. Etwas Ruhiges.

Kann sein. Ich sehe zu viel, um das noch zu sehen.

Wenn ich ehrlich mit mir war, hatte Lucas mich den ganzen Abend beschäftigt. Élian hatte unser Gespräch unterbrochen und vor ihm hatten wir es nicht weitergeführt. Dabei hatte dieser Satz meine Neugierde geweckt.

Denn Lucas hatte zweifelsfrei Ahnung von Malerei. Ich hatte es in seinem Blick gelesen, als er meine Bilder betrachtet, die Gespräche der anderen belauscht und auf Élians nett gemeinte Kommentare mit einem verhaltenen Lächeln reagiert hatte. Hätte ich es richtig angestellt, hätte ich vielleicht wirklich noch zu einer konstruktiven Kritik aus seinem Mund kommen können.

Aber das war es nicht, was mich beschäftigte. Vielmehr hatte sich sein Blick in meine Erinnerung gebrannt, seine mühsam um Ausdruckslosigkeit bemühte Betrachtung meiner Bilder.

Ich sehe zu viel, um das noch zu sehen.

Langsam stand ich auf, griff nach den Farbtuben und legte die Pinsel bereit.

Was musste geschehen, damit ein Mensch zu viele Details eines Kunstwerkes wahrnahm – und dadurch die Fähigkeit verlor, in seiner Schönheit zu versinken?

Kapitel 3

Das entsetzlichste Dröhnen der Weltgeschichte riss Lucas aus dem Schlaf. Wirklich, ein Presslufthammer war nichts dagegen. Nach der Betreuung diverser Baustellen sprach er aus Erfahrung.

„Ich hasse dich, Lou.“ Stöhnend wälzte er sich herum, tastete über die Matratze zum Nachttisch, bekam den Wecker zu fassen, holte aus und warf ihn mit aller Kraft durch den Raum.

Es knallte einmal an der gegenüberliegenden Wand, dann auf dem Boden, und dann war Ruhe.

Missmutig stemmte er sich auf die Ellbogen hoch und sah zu dem unschuldig grün blinkenden Licht in der Ecke, das bestätigte, dass der Wurfwecker noch lebte. Lou hatte ihm das Teil letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt, weil sie die Vorstellung lustig gefunden hatte, dass er sich dann morgens gleich ein bisschen aufregen konnte. Er gab es nicht gern zu, aber das war tatsächlich ganz nett. Dass er seitdem kein einziges Mal verschlafen hatte, auch. Trotzdem stand es auf seiner To-Do-Liste, ihr dieses Jahr einen noch bescheuerteren Wachmacher zu schenken. Er hatte da auch schon etwas im Blick.

Seufzend schwang er die Beine aus dem Bett, fuhr sich durch die wirren Haare und stand auf.

„Voll motiviert in die neue Woche“, redete er sich selbst gut zu.

Zwei Minuten später zog er die Wohnungstür hinter sich zu, lief das eine Stockwerk nach unten und trat auf die Rue Louis le Grand. Am Ende dieser Straße blickte er rechts von sich auf das von Straßenlaternen und blinkenden Weihnachtssternen angeleuchtete imposante Gebäude der Pariser Oper. Gerade die mit Gold überzogenen Statuetten vor der grün angelaufenen Kupferkuppel glänzten majestätisch.

Grüßend umrundete Lucas den Wirt des Cafés an der Ecke, der gerade die Stühle vor die Tür brachte, und wandte sich nach rechts. Zwischen den ersten morgendlichen Passanten joggte er die Avenue de l‘Opéra hinab.

Konzentriert atmete er gegen die klirrende Kälte an. Aber davon würde Lucas sich nicht seine gute Laune nehmen lassen. Er hatte schon seinen Wecker gegen die Wand gedonnert, da überwog nun eindeutig die positive Energie.

Außerdem war er sehr froh, dass zumindest noch kein Schnee gefallen war. Als Élian und er sich früher schon um fünf Uhr morgens zum Joggen getroffen hatten, waren die Straßen im Winter manchmal selbst hier auf der Île de France nicht geräumt gewesen. Da sein bester Freund vor Kurzem Jeanne zuliebe angeboten hatte, ihnen allen eine Stunde mehr Schlaf – oder was die beiden sonst so morgens anstellten – zu gönnen, würden sie damit in diesem Jahr hoffentlich kein Problem haben. Lächelnd nahm Lucas die Wasserflasche in die andere Hand und wich einer Gruppe von Männern mit Aktentaschen aus. Er freute sich auf den Dezember, auf den Schnee. Der Winter in Paris brachte den Charme dieser fantastischen Stadt fast noch besser zur Geltung als der blühende Sommer.

In gemütlichem Tempo lief er an den verschiedensten Marken-Läden vorbei, in deren Schaufenstern die Weihnachtsdeko nur so blinkte. Seine Wohnung lag in einer der vielen schmalen Seitenstraßen, aber eine zentrale Lage brachte die Horden von Einkaufsbummlern in der Nähe nun mal mit sich. Die vielen Cafés machten das wieder wett. Ganz abgesehen von dem Umstand, dass er nur ein paar Minuten zur Seine, zum Châtelet und zu den Jardin des Tuileries brauchte.

Mit langen Schritten näherte er sich dem gewaltigen Mauerabschnitt, der den Louvrepalast und die dazugehörige Anlage umgab. Die zwei Meter hohen, bogenförmigen Durchgänge darin boten gerade genug Platz für einen nicht allzu ungeschickten Autofahrer, darüber folgten noch zwei Stockwerke und kleine Türmchen. Selbst die meisten Pariser verbanden mit dem Louvre nur die Glaspyramiden. Dabei gehörte viel mehr dazu.

Auch im Innenhof hatte die Weihnachtszeit längst Einzug gehalten – denn an den vielen Hütten des größten Weihnachtsmarktes von Paris lief er schon seit Mitte November jeden zweiten Tag vorbei. Aber natürlich nur morgens. Die acht Euro für eine Brezel konnte man woanders viel besser in Glühwein investieren.

Gerade hatte er die kleinere Version des Arc de Triomphe erreicht, die hier gewissermaßen die Grenze zwischen Museums- und Garten-Bereich markierte, da joggte eine weitere Gestalt aus den Schatten der Buden heraus auf ihn zu.

„Guten Morgen, Sonnenschein“, begrüßte Lucas Élian, als dieser bei ihm ankam. Er hatte die Zeit natürlich genutzt, um sich eifrig zu dehnen, nur damit sein bester Freund das Gefühl bekam, dass er schon ewig hier wartete.

„Morgen.“ Élian stellte seine Wasserflasche neben Lucas‘ am Triumphbogen ab und streckte den Kopf nach rechts und links, bis sein Nacken knackte.

„Autsch.“ Lucas verzog das Gesicht. „Das hat vor ein paar Wochen noch nicht so geklungen. Das muss das Alter sein, hm?“

„Das will ich mal nicht für dich hoffen, sonst müsstest du schon längst dran sein.“

„Tja, dann ist es jetzt wohl offiziell: Ich habe mich trotz einem Jahr Vorsprung viel besser gehalten als du.“

„Red dir das nur ein“, gab Élian schmunzelnd zurück und lockerte seine Schultern. „Ich fürchte eher, dass ich heute Nacht einen unbewussten Krieg um die Decke führen musste und mich dabei verlegen habe.“

Schockiert hob Lucas die Augenbrauen. „Verdammt! Ich habe Jeanne erst als Hoffnung für unser Sport-Pensum gesehen, aber jetzt? Erst steigert sie meine Motivation ums Hundertfache, weil wir nicht mehr mitten in der Nacht laufen, und jetzt das. Ich sehe es schon vor mir, wie ich bald ganz allein im Dunkeln hier stehe, weil dein beziehungsverwöhnter Körper das nicht mehr mitmacht …“

„Keine Chance“, wandte Élian sofort ein und schlug ihm auf die Schulter. „Gerade meinem Nacken zuliebe würde ich die Morgen mit dir niemals aufgeben, mein Bester.“

„Das will ich dir auch geraten haben, Sonnenschein.“

„Gutes Gespräch, Bärchen. Willst du weiter quatschen oder dich auch bewegen?“

„Och, jetzt so ein paar Macarons und ein schöner Kaffee …“

„Na los, lauf schon.“

Betont bedauernd seufzte Lucas, drehte sich dann grinsend um und folgte Élian auf den ebenfalls von dunklen Hütten gesäumten Weg in den Garten hinein. Nach ein paar Metern bogen sie rechts auf die von Reif überzogene Allee.

„Vielleicht schenke ich dir dieses Jahr zu Weihnachten mal nicht dasselbe wie sonst, sondern so eine Massageauflage für deinen Bürostuhl. Die gibt es bestimmt bald mal wieder im Carrefour im Angebot“, überlegte er laut.

Élian hob eine Augenbraue.

„Na ja, praktisch wäre es!“

Die zweite Augenbraue folgte.

Lucas seufzte. „Schon klar, keine Staubfänger. Ich möchte dich allerdings freundlich darauf hinweisen, dass du in deiner Wohnung inzwischen sehr stark von diesem Prinzip abgewichen bist.“

„Nein, nein!“ Mit völlig ernstem Blick hob Élian einen Zeigefinger. „Nicht ich weiche davon ab. Ich bringe nur die Toleranz dafür auf, dass meine Freundin es tut.“

Nun hob Lucas eine Augenbraue und provozierte damit das Seufzen bei seinem besten Freund.

„Jaja, ich merk das selbst. Aber weißt du was, Lucas: Wenn Jeanne eine Armee hässlicher Weihnachtsmänner in der Wohnung aufstellt, habe ich etwas davon, und zwar eine glückliche Jeanne. Wenn du mir sinnlosen Krimskrams schenkst, hast nur du etwas davon, und zwar meinen Schuhabdruck auf dem …“

„Schon gut, hab‘s kapiert!“ Grinsend bog Lucas nach rechts zwischen die Bäume, um die große Runde einzuschlagen. „Dann muss ich wohl noch einmal so tun, als würde ich tief in mich gehen.“

„Ich bitte darum.“

„Hast du denn schon Ideen für Jeanne?“

„Einige, aber leider keine, die sie vor euch allen auspacken könnte.“

„Dinge, die ich nicht wissen wollte.“

„Du hast gefragt.“

„Stimmt. Mein Fehler. Was ist mit Lou?

Élian wiegte den Kopf hin und her. „Entweder etwas für ihre neue Wohnung oder für ihr aktuelles Hobby. Aber da mache ich mir in drei Wochen genaue Gedanken, nicht dass sie bis dahin schon ein neues gefunden hat und gar nicht mehr malt.“

Lucas stockte. „Mhm. Guter Plan“, murmelte er und zögerte, bevor er zur Seite sah. Élian lief einfach weiter, als wäre nichts passiert. Dabei wussten sie beide, dass damit ein ganz bestimmtes Thema angeschnitten war.

Er räusperte sich und beschloss, es einfach hinter sich zu bringen. „Also, dieser Kurs, von dem Lou in den letzten Wochen so viel erzählt hat. Den macht sie bei Franci.“

Élian nickte.

„Und wenn Franci nicht gerade die Leute im Büro für dich rumscheucht, ist sie Künstlerin.“

„Ja. Oh Mann, Lucas.“ Sein bester Freund fuhr sich durch die dunklen Haare. „Tut mir echt leid, wie das gestern gelaufen ist. Lou geht schon ewig in Francis Kurs, ich dachte, das hättest du mitbekommen.“

„Offensichtlich nicht“, stellte er fest. „Das war nicht unser Gesprächsthema Nummer eins.“

Für gewöhnlich rechnete er es seinen Freunden hoch an, dass sie alle zusammen das Thema Kunst großflächig umschifften. Seit Lou sich in der Malerei versuchte, war das etwas schwieriger geworden. Aber zumindest gestern hätte er wirklich gern Bescheid gewusst, was ihn erwartete.

„Ich versteh ja total, dass du da nicht allein hinwolltest“, sagte er ehrlich und wollte sich zum Lächeln zwing, doch das gelang ihm nicht. „Aber ein paar mehr Infos wären nett gewesen.“

Élian schnaubte. „Hätte ich dir gesagt, dass es um Franci geht, hättest du weiter nachgefragt. Dann hätte ich dir sagen müssen, dass es sich um eine Vernissage handelt, und dann hättest du spontan keine Zeit gehabt.“

„Das …“ … war die absolute Wahrheit. „… werden wir wohl nie erfahren.“

„Klar.“ Nach einem Blick auf seine Fitnessuhr beschleunigte Élian leicht, Lucas passte sich seinem Tempo an. „Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass du den Abend schrecklich fandest. Wir haben uns zu zweit ganz gut vor allen Kunst-Gesprächen gedrückt“, stellte er fest und stieß ihn leicht in die Seite.

„Nicht ganz“, grummelte Lucas. Ihm fuhr ein Schauer über den Rücken, als er an den gezwungen ungezwungenen Dialog zurückdachte, den er später noch mit Madame Laurent hatte führen müssen.

„Gott, Lucas, jetzt tu mal nicht so, als hätte ich dich den ganzen Abend mit deiner Mutter in dieser Galerie eingesperrt.“ Ernst starrte Élian im wechselnden Schein der Laternen zu ihm rüber. „Franci hat es viel bedeutet, dass wir da waren. Du hättest vielleicht nicht ihre Bilder schlecht machen müssen, aber dafür hast du dich ja sicherlich entschuldigt …“

Stirnrunzelnd erwiderte Lucas den beschwörenden Blick seines Freundes. „Ähm … na ja. Nicht direkt“, antwortete er. „Als du dann da warst, wollte ich das Thema nicht unbedingt wieder darauf zurückbringen, was ich mir alles hätte verkneifen sollen, hätte mir irgendjemand gesagt, dass das ihre Vernissage war.“

Élian seufzte. „Wunderbar. Dann tu doch bitte uns beiden den Gefallen und entschuldige dich nachträglich bei ihr. Am besten, bevor du Jeanne das nächste Mal über den Weg läufst, und auf jeden Fall vor Weihnachten. Ich weiß, dass du es nicht böse gemeint hast und Francesca ist eigentlich auch nicht der Typ, der sich unsensibel formulierte Kritik zu Herzen nimmt – sie hat gestern noch passend bemerkt, dass sie immerhin schon lange mit mir zusammenarbeitet. Aber laut Jeanne legt Franci viel Herzblut in ihre Kunst. Nachdem ich sie gestern in der Galerie erlebt habe, muss ich Jeanne da zustimmen. Deshalb wäre eine Entschuldigung eine gute Sache, gerade weil sie nicht weiß, dass du nichts gegen ihre Bilder im Speziellen hast. Und jetzt sieh mich nicht so ungläubig an, nur weil ich einen tiefgreifenden Monolog übers Entschuldigen halte, sondern mach deine blöde Musik an und lauf schneller. Fünf Runden haben wir noch.“

Kapitel 4

„Franci! Da bist du ja endlich, ich warte schon ewig auf meine Kaffeepause.“

„Jeanne, warte, ich hab noch nicht mal meinen Mantel ausge…“

„Oh. Ja, gut. Mach das erst.“

Grinsend befreite ich meinen Arm aus ihrem Griff und schloss betont langsam die Eingangstür zu den Büroräumen von Paris Privée