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Was ist eigentlich los? Nichts ist mehr so wie früher, die Zeitenwende kehrt sich im Alltag gegen uns und im großen Ganzen gegen jegliche Vernunft. Vegane Essgestörte saufen sich mit drei Litern Wasser am Tag H2-ready, um sich selbst und ein bisschen auch das Klima zu retten. Greenwashing, Pinkwashing und Brainwashing regieren die Welt, und dazwischen versuchen alle, noch rechtzeitig einen Opferstatus auf der Titanic zu beantragen. Warum wird alles, was der Mensch nach dem Jahr 2000 angefasst hat, vergeigt, verkackt oder versemmelt? Rettet uns der mähfreie Mai oder eher der Dry January vor dem Untergang, ist unser Leben noch ein Livestream, gibt's noch für 49 Euro Quality Time im öffentlichen Nahverkehr? Gehören Monogamie und Mettbrötchen zur deutschen Leitkultur? Es ist alles so verdammt undurchsichtig geworden, da wird uns ein Buch von Dietmar Wischmeyer auch nicht den Ausweg weisen, aber dem Schrecken immerhin die schönen und lustigen Seiten abgewinnen. Ein Porträt der irritierenden Gegenwart an allen Fronten des alltäglichen Lebens – und zugleich total krasse Erinnerungen an die «Ampel»-Zeit.
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Seitenzahl: 289
Veröffentlichungsjahr: 2025
Dietmar Wischmeyer
Erinnerungen an die Gegenwart
Was ist eigentlich los? Nichts ist mehr so wie früher, die Zeitenwende kehrt sich im Alltag gegen uns und im großen Ganzen gegen jegliche Vernunft. Vegane Essgestörte saufen sich mit drei Litern Wasser am Tag H2-ready, um sich selbst und ein bisschen auch das Klima zu retten. Greenwashing, Pinkwashing und Brainwashing regieren die Welt, und dazwischen versuchen alle, noch rechtzeitig einen Opferstatus auf der Titanic zu beantragen. Warum wird alles, was der Mensch nach dem Jahr 2000 angefasst hat, vergeigt, verkackt oder versemmelt? Rettet uns der mähfreie Mai oder eher der Dry January vor dem Untergang, ist unser Leben noch ein Livestream, gibt’s noch für 49 Euro Quality Time im öffentlichen Nahverkehr? Gehören Monogamie und Mettbrötchen zur deutschen Leitkultur? Es ist alles so verdammt undurchsichtig geworden, da wird uns ein Buch von Dietmar Wischmeyer auch nicht den Ausweg weisen, aber dem Schrecken immerhin die schönen und lustigen Seiten abgewinnen.
Ein Porträt der irritierenden Gegenwart an allen Fronten des alltäglichen Lebens – und zugleich total krasse Erinnerungen an die «Ampel»-Zeit.
Dietmar Wischmeyer, Autor und Kolumnist, zählt zu den erfolgreichsten Protagonisten der deutschen Humorwirtschaft. Er tourt mit wechselnden Programmen durch Deutschland, unter anderem mit Oliver Kalkofe oder Oliver Welke, tritt regelmäßig in der «heute-show» auf und ist bei radioeins, radio ffn, Radio Bremen und im WDR zu hören. Zahlreiche Preise, darunter der Deutsche Radiopreis (2014), der Deutsche Comedypreis (2017) und der Deutsche Fernsehpreis (2020). Zuletzt erschienen «Als Mutti unser Kanzler war. Erinnerungen an eine total krasse Zeit» und «Immer is was, nie is nix».
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin
Covergestaltung Anzinger und Rasp, München
Coverabbildung Willi Weber
ISBN 978-3-644-02384-0
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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… verkorkst, verschissen und versaut. Es gibt erstaunlich viele Synonyme im Deutschen für ein heftig misslungenes Projekt – sollte einem das zu denken geben? Ja, denn der hiesige Ureinwohner ist etwas zu sehr verliebt in den Misserfolg. In erster Linie in den der anderen, aber auch eigene Vorhaben werden gern mit einem Misskredit belastet, bevor sie überhaupt richtig Fahrt aufnehmen. Das hat den Vorteil, bei tatsächlichem Scheitern selbstsicher behaupten zu können: «Hab ich doch gleich gesagt!» Sollte am Jüngsten Tag, wenn der Planet sein menschliches Leben abschüttelt, ein Deutscher das Licht ausmachen, so werden das auch seine letzten Worte sein.
Bei so viel volkseigenem Pessimismus muss man sich fragen, ob nicht darin schon das Scheitern angelegt ist. Nichts, aber auch gar nichts kann mit diesen Klappstühlen hierzulande gelingen. Verkehrswende, Energiewende, Gesundheitsreform, Digitalisierung oder auch nur, dass die vermaledeite Bahn einmal pünktlich ist und die komplette Strecke unfallfrei befährt – es will einfach nichts klappen. Und wenn es doch so scheint, jetzt könnte mal was nach Plan verlaufen, dann kommt von ungefähr ein Bürokrat daher, und es ist wieder nichts draus geworden. In keinem Land gibt es so viele Beauftragte, Kontrollgremien, Einspruchsfristen und eventuell Beeinträchtigte, die einfach alles verhindern oder zumindest hinauszögern können.
Wer daran nicht von vornherein zerbricht, der wird Politiker, denn in dessen Welt ist das Vergeigen und Versemmeln der Normalfall. Die bange Frage lautet: Zieht der Job des Politikers die Pessimisten, Ins-Scheitern-Verliebte und Defätisten aller Couleur in seinen Bann? Ist das behauptete Streben nach sozialer Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Weltfrieden, Sicherheit und die Abschaffung des Solis und der kalten Progression nur so dahingefordert, um genussvoll daran zu scheitern? Oder ist das allumfassende Versemmeln im gegenwärtigen Deutschland «nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten» aus mangelndem Selbstwertgefühl? Bestrafen wir uns selbst mit einer kaputten Wirtschaft, vergammelten Infrastruktur und verbauten Zukunft für die Jahrzehnte unverdienten Wohlstands in der alten Bundesrepublik angesichts des Elends in dieser Welt? Ich finde, die Wiedervereinigung war Strafe genug, wir müssen jetzt nicht den ganzen Laden an die Wand fahren. Geht es darum, einfach nur über irgendetwas im Leben die Kontrolle zu haben – und sei es über das eigene Versagen? Die Diagnose trifft zu auf den Bahnchef, die VW-Manager und die meisten Minister der vergeigten «Fortschrittskoalition».
«Der Erfolg hat viele Väter, der Misserfolg aber ist ein Waisenkind», weiß der Volksmund, immerhin mit eigenem Schicksal, das es nicht mit anderen teilen muss. Und wird nicht Robert Habeck als trauriger Held des verlorenen Kriegs gegen das Heizen mit fossilen Brennstoffen in die Geschichte eingehen? Hätte es geklappt, wie viele hätten sich wohl den Erfolg ans Revers geheftet. So aber steht Robert Habeck allein auf weiter Flur und kann sich als Phönix aus der Asche neu erfinden. Nach einem prominenteren Versager hat man das Phänomen des heldenhaften Scheiterns als «Robert-Scott-Syndrom» benannt. Im Rennen zum Südpol gewann Roald Amundsen mit einem Monat Vorsprung, und Robert Scott, der Verlierer, erfror auf dem Rückweg dank unbeirrbarer Selbstherrlichkeit. Machte aber nichts, Scott wurde in England durch seinen als heroisch empfundenen Tod jahrzehntelang als sich selbst aufopfernder Nationalheld gefeiert. Ich sehe Olaf Scholz schon als Reiterstatue vor dem abgebrochenen Elbtower in Hamburg – allerdings auf einem toten Pferd, von dem er nicht rechtzeitig abgestiegen ist. Scheitern will auch gelernt sein, die Schuld auf andere zu schieben, wird vom Publikum nicht belohnt. Man muss bereit dazu sein, das Schicksal anzunehmen wie Robert Habeck, dann wird ein neuer Held geboren.
Die Kehrseite der Lust am Untergang ist der Alarmismus à la Fridays for Future, Letzte Generation und so weiter. Im Namen der globalen Bedrohung durch den Klimawandel werden drastische Maßnahmen gefordert. Die Akteure suhlen sich in der Aussicht auf das Ende der Welt und treffen dabei auf eine alternde Gesellschaft, der jegliche Veränderung ihrer Lebensumstände suspekt ist. Die Weisheit «Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung» ist womöglich eine notwendige, aber sicher keine hinreichende Bedingung für Veränderung. Wird die Diagnose allzu schrill vorgetragen, erzeugt sie sogar Widerstand. Und genau der beflügelt wiederum die Aktivisten in ihrem Bewusstsein, das Richtige zu tun. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Die Geschichte vom Vergeigen, Verkacken und Versemmeln hat keine Pointe. Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die von den Medien täglich gefüttert wird. Gibt es ein Entrinnen? Von dem Philosophen Paul Watzlawick stammt die Erkenntnis: «Wenn du immer wieder das tust, was du immer schon getan hast, dann wirst du immer wieder das bekommen, was du immer schon bekommen hast.» Oder um es in der Sprache des verstetigten Versagens zu formulieren: «Es sind zehn neue Verordnungen zur Vereinfachung der Bürokratie erlassen worden.»
Wo bleibt Herakles, um den Augiasstall zu fluten?
Viel Spaß bei der Lektüre dieses Buches.
In deutschen Städten und Gemeinden eröffnen Reparaturcafés, und nach neuestem EU-Reglement soll der Verbraucher ein Recht auf Schadensbeseitigung durch den Hersteller bekommen. Das ist alles sehr schön und auch volles Rohr nachhaltig. Der klassische Antipode der Wegwerfgesellschaft jedoch ist Omas Spruch: «Ach, der geht doch noch.» Wie viele zerschlissene Schlüpfer, speckschwartig glänzende Hosenböden und dreimal gestopfte Pullover verdanken dieser Nachhaltigkeitsformel wohl ihr Weiterleben? Nun ist nichts dagegen zu sagen, einen geflickten Lumpen zu tragen, statt dauernd neue Wegwerf-Fashion zu kaufen, doch Omas Credo hat eine Schattenseite. Der Ausspruch «Ach, der geht doch noch» mündet nicht automatisch in eine verlängerte Tragedauer des so adressierten Schlüpfers, sondern jener wandert in ein geheimes Arsenal, in dem die anderen «Ach-die-gehen-doch-nochs» liegen: Tassen den abgeschlagenen Ecken, Töpfe ohne Deckel, Vasen mit ’nem Sprung, angelaufenes Silberbesteck von Uroma, fadenscheinige Kissenbezüge und jede Menge Geräte, die nie wieder in den Gebrauch zurückkehren, Röhrenfernseher, Kassettendecks, Videorecorder, Anrufbeantworter – alle tadellos in Schuss und quasi neuwertig, die kann man doch nicht einfach wegwerfen!
Doch, kann man, wenn man kein Gerätemessi werden möchte. Es gibt ja auch noch jene Apparaturen, die wirklich neu sind und überhaupt gar nicht technisch überholt, aber dennoch im Arsenal verstauben: Waffeleisen, Fonduegeschirr, Raclette, Tischgrills und -springbrunnen. Dieser ganze Krempel entstammt der verlockenden Niedrigpreisofferte eines Kaffeerösters oder der Nonfoodraufe beim Discounter und verwest originalverpackt in Kellern und Garagen. Er steht gesammelt unter dem Schutzschirm des zweiten Hauptsatzes der Gedönsanhäufung, der da lautet: «Könnte man vielleicht mal brauchen» – das ist der Bruder von «Ach, der geht doch noch». Beide Geschwister sorgen zuverlässig für zugemüllte Schubladen, verstopfte Kellergelasse und offene Wunden an den Knien, wenn man mal wieder über ein Weltkulturerbe aus der Aldi-Gartenmöbelforschung gestolpert ist. Wie ist dem beizukommen, ohne zum Durchlauferhitzer der Wegwerfgesellschaft zu werden? Es ist einfacher, als man denkt. Nicht so viel kaufen und lieber zu dem werden, von dem es auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen heißt: «Die Konsumlaune unter den Verbrauchern und Verbraucherinnen ist gedämpft.» Ist doch gut. Bedenke stets: Nicht wir sind für Karstadt da, sondern Karstadt für uns – oder eben auch nicht mehr.
Für das unverdiente Glück in letzter Minute gibt es Wörter und Redewendungen zuhauf, der Dusel, das Schwein, das man noch mal gehabt hat, und den Massel, der allerdings fast nur noch in der Negation vorkommt: Vermasselt hat Dortmund den Meistertitel und noch mehr Hamburg den direkten Aufstieg. Wer zuletzt den Titel an Leverkusen abgeben musste wie der FC Bayern, steckt dagegen im Schlamassel. Damit ist das «schlimme Glück» benannt, das gleichfalls unverdient wie der Massel daherkommt, den Adressaten aber befällt wie ansteckende Räude – siehe dazu die ewige Schlammschlacht im Münchener Verein für ballorientierte Leibesübungen. Warum aber gibt es kein treffendes Wort für das Schicksal des BVB und des HSV? «Ach nee, doch nicht» trifft es zwar, ist aber etwas sperrig. Dabei kennt jeder Mensch diesen Zustand zur Genüge: die bezahlbare Wohnung, die schließlich doch der gut verdienende Single bekommen hat, Zweiter sein unter tausend Bewerbern für den einen tollen Job, trotz vielversprechenden Bewerbungsgesprächs zu lesen: «Wir haben uns für jemand anderen entschieden», oder nach dem achten Date die nüchterne SMS: «Du bist es nicht.»
Die allgegenwärtige Tragik im Leben wird sprachlich nicht angemessen gewürdigt, wohl auch, weil sie nicht zur großen Erzählung taugt. Es gibt unzählige Filme und Romane, in denen der gebeutelte Held in letzter Minute noch gerettet wird und Aschenputtel über die bösen Stiefschwestern obsiegt. Wer will schon mit ansehen müssen, wie Julia Roberts am Ende auf dem Straßenstrich landet, während Richard Gere mit einer hässlichen reichen Zippe in den Sonnenuntergang reitet. Die Märchen und das Kino sind ins Happy End verliebt, je unwahrscheinlicher, desto schöner. Das unverdiente Glück wird jedoch nur dem gegönnt, der arm, bescheiden und voller Anmut ist – also das genaue Gegenteil des FC Bayern. Und auch im Pech in letzter Minute wird nur bedauert, wer arm, bescheiden und voller Anmut ist – was weder auf den BVB noch den HSV zutrifft. So sind Pechvögel und Glückspilze hier im Schicksal vereint, vom Publikum nicht bedauert und noch weniger bewundert. Denn das Volk liebt nur strahlende Sieger, nicht jene, die einfach Sieger sind, ohne zu strahlen.
Das könnte tatsächlich funktionieren, denn es liefe wohl auf «Autonomes Parken» hinaus. Und das beherrschen selbst uralte Kaleschen schon jetzt.
Verdammter Mist, er hat schon wieder angeklopft, dabei ist es seit über hundert Tagen SEIN Kanzleramt und nicht mehr die Muttischanze. ER ist nicht mehr der Vizeschlumpf von Angela Merkel, sondern jetzt der Oberschlumpf oder vielmehr der «Vierte Sozialdemokratische Kanzler der Bundesrepublik Deutschland». Immer wenn er diese Formel vor sich hin fusselt, schießt ihm das Blut in die Adern. Wenn nur nicht dieser modrige Geruch nach Kartoffelsuppe wäre, und noch gestern hatte er zwei weitere rote Blazer in einem der vielen Schränke gefunden. Sechzehn Jahre ziehen nun mal in die Möbel, da gibt’s kein Vertun. Doch Merkel hat ihrem Vizeschlumpf mehr hinterlassen als den Muff der Uckermark, sie hat ihm gezeigt, wie man an der Macht bleibt. Regel Nummer eins: Stell dir eine Mannschaft aus den Ungeeignetsten unter den Ungeeigneten zusammen, und damit es nicht auffällt, dass es dir nur um ihre Unfähigkeit geht, nutze das politisch korrekte Wording von «Hälfte Frauen» oder «Der Osten muss repräsentiert sein». Denn die Bauern des Schachfelds haben nur eine einzige Aufgabe in ihrem kurzen politischen Leben: für dich zu gegebener Zeit das Opfer zu spielen, damit du im Amt bleibst. Lambrecht, Lauterbach, Geywitz, Schulze, er konnte aus dem Vollen schöpfen, er brauchte nicht mal die Klappstühle von den Grünen und der FDP als Opferreserve.
Der Vierte Sozialdemokratische Kanzler der Bundesrepublik Deutschland ist in diesem Moment mit sich und seiner Arbeit äußerst zufrieden. Dabei denkt er an die zweite Maxime des guten Regierens, welche ihn die Uckermärkerin gelehrt hat: «Politik ist das, was ohnehin geschieht, auch wenn du nichts tust.» Deshalb kümmert ER sich lieber gleich um seinen Nachruhm, denn auch ohne sein Zutun geriet die Welt gerade aus den Fugen. Für heute hat ER sich vorgenommen, einen weiteren Sinnspruch für die Nachwelt zu entwerfen. Zwei ewig gültige Phrasen hat ER schon ins heilige Buch der Politikerzitate eingeschrieben: «Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch», und die Weiterdrehe: «Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich.»
«Hallo, Olaf, rate mal, was diese Geste bedeutet. Nein, es ist kein Herz.»
Es ist vielleicht etwas zu führerlastig, denkt er, in den Gängen des Reichstages nennt man ihn schon den KleiFaZ, den Kleinsten Führer aller Zeiten. Nicht gut! Doch genug geschuftet für heute, jetzt nur noch Wolodymyr Selenskyj anrufen und ihm knallhart mitteilen, dass seine Anwesenheit bei der traditionellen Spargelfahrt der SPD unerwünscht ist, und dann aber ab in die Heia. Denn morgen wartet ein neuer Tag auf den Vierten Sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Merz und Scholz, zwei angeschlagene Alpharüden, hatten ein Problem: In Deutschland gibt es keine Vorwahlen wie in den USA, hier hat der Parteivorsitzende das erste Zugriffsrecht – ein ziemlich undemokratisches Verfahren, aber praktisch. Was dabei rauskommt, wenn man die Mitglieder befragt, hat man bei der SPD gesehen, als die ihre Vorsitzenden wählte. Eine davon gibt’s noch: Saskia Esken, die hätte nach alter Gepflogenheit das erste Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur gehabt. Das geht natürlich nicht, nicht Eske Saskian, die würde die SPD von außen zumachen und den Schlüssel runterschlucken. Also hatte der amtierende Kanzler das logische Zugriffsrecht auf die Kandidatur – das aber war Olaf Scholz, das Urnengift. Was tun?, sprach Zeus, die Götter sind besoffen und bekotzen den Olymp. An sich sind sowohl Escobar Saxen als auch Olaf Scholz nicht vorzeigbar im Wahllokal. Und in dem Moment besann sich eine aufmüpfige Truppe gefährdeter Mandatsträger in der SPD, und aus allen Ritzen schallte es: «Pistorius, Pistorius, du bist so ein Pfiffikus.» Na bitte, es geht doch, das sozialdemokratische Jahrhundert könnte Wirklichkeit werden.
Bei den Schwarzen – oder jetzt Cadenabbia-Blauen – hatte die verdorrte Fichte aus dem Sauberland das erste Zugriffsrecht und griff beherzt zu. Auch hier drohte Urnengift. Doch niemand sagte es ihm. Der lange Pascha hat zu lange für die Aussicht gekämpft, Kanzlerkandidat zu werden. Er hat sechzehn Jahre Merkel mit einem unteren siebenstelligen Gehalt abgewettert, hat gegen Krampenbauer den Kürzeren gezogen, ja sogar gegen die Lusche Laschet. Friedrich Merz hatte nun wahrlich das Recht, eine Bundestagswahl sogar zu verlieren, genau wie Luschet, der Grinser. Überwunden waren Daniel Günther, Hendrik Wüst und auch Boris Rhein, welche selbst in den Kartoffelsuppenbunker einziehen wollten, als das Zeitalter des Schlumpfes vorüber war.
Es gab nur eine Möglichkeit für die beiden Kämpen Scholz und Merz, sie mussten einen Pakt schließen, dass ein jeder nur gegen den anderen in die Schlacht ziehen wird. Und dazu müssten sie sich gegenseitig ihrer Gefährlichkeit in den Reden vorm Parlament versichern. «Sie, Herr Scholz, sind ein Sicherheitsrisiko!», tönte es aus dem Merz, und schon staunte die SPD, so viel Initiative hätte sie dem Schlumpf gar nicht zugetraut. «Und Sie, verehrter Merz, sind ein Sauerländer Dorftrottel!» Haha, denkt die CDU, genau wie Müntefering oder was, jetzt erst recht. Und trotz dieses ausgefuchsten Plans kam es dann doch ganz anders.
Hier sind alle gescheiterten Kanzlerkandidaten der SPD auf einem Haufen:
Kurt Schumacher vergeigt 1949 gegen Konrad Adenauer.
Erich Ollenhauer verkackt 1953 und 1957 auch gegen den Alten.
Willy Brandt versemmelt 1961 gegen Rosinenface und 1965 gegen Ludwig Erhard, gewinnt aber 1969 gegen Kurt «Adolf» Kiesinger.
Hans-Jochen Vogel vergeigt 1983 gegen die Birne.
Johannes «der Täufer» Rauverkackt 1987 ebenfalls gegen den Saumagen.
Oskar Lafontaine versemmelt 1990 auch das Rennen gegen den Oggersheimer.
Björn «der Schöne» Engholm vergeigt 1993 gegen sich selbst (Volksmund: «schleswig-holsteinisches Wort für Phimose»).
Rudolf «Teppichfliese» Scharping übernimmt und verkackt 1994 gegen Helmut Kohl.
Gerhard Schröder versemmelt 2005 gegen Mutti.
Frank «Worthülse» Steinmeier, 2009 ebenfalls.
Peer «Fahrradkette» Steinbrück, 2013 die gleiche Nummer.
Martin «der» Schulz «Zug» verkackt 2017 dann als Vierter im Bunde gegen Megamutti.
Und weil’s so schön war, auch die der CDU:
Kurt «GröKaZ» Kiesinger vergeigt 1969 die Wahl gegen Willy Brandt.
Rainer Barzel verkackt ebenfalls gegen Willy 1972.
Helmut Kohl versemmelt 1976 gegen Schmidt Schnauze.
Franz Josef Strauß vergeigt 1980 gegen die regierende Mentholzigarette.
Edmund Stoiber versemmelt 2002 gegen Gerhard Schröder.
Armin Laschet verkackt 2021 gegen Söder und Scholz.
Beinahe vergessen:
Annalena Baerbock vergeigt die Wahl gegen sich und alle anderen 2021.
Wer heute als Produkt- oder Dienstleistungsanbieter etwas auf sich hält, hängt eine 24 an seinen Firmennamen: Sarg24 holt rund um die Uhr den toten Opa ab, bei Teleblow24 kann man sich’s zu jeder Tages- und Nachtzeit fernmündlich besorgen lassen. Die moderne Zeit rast gnadenlos dahin und zertritt auf ihrem Weg die alten Momente der stillen Einkehr. Schon lange ist die klassische Mittagspause verschwunden. Wer als Einzelhändler zwischen 13 und 15 Uhr sein Geschäft verriegelte, konnte schon vor Corona den Laden dichtmachen. Angestellte, die zur Mittagszeit in einem nahegelegenen Gasthof zu Tisch sind, dabei womöglich einen Schoppen Wein ins Gedärm kippen, sind selbst im Mutterland des Savoir-vivre selten geworden. Mit einem Auge auf dem Bildschirm und einem Ohr am Telefon mümmelt der Bürohengst sein Tikka Masala aus der Pappschachtel. Nichts ist mehr heilig, Rasenmähen, Anrufen, unangemeldetes Vorbeikommen, alles zur Mittagszeit, findet niemand unanständig.
Als nächste «alte Zeit» verschwand der Feierabend, wenn in der Familie die Arbeit ruht und man nach dem Abendbrot im trauten Kreis den Tag ausklingen lässt. Letzte Bastion dieses Rituals war das ungeschriebene Gesetz, nach 20 Uhr niemanden mehr telefonisch zu belästigen. Mittlerweile klingelt, bimmelt und trötet ständig irgendein Kommunikationssuchender in die Stille des Abends hinein, gefressen wird ohnehin dauernd ohne Mahlzeit. Das lineare Fernsehen war der allerletzte Taktgeber eines geregelten Tagesablaufs. Zwischen Tagesschau und Sendeschluss blieb die wirkliche Welt außen vor oder hinter die Mattscheibe verbannt. Bedauert wurden jene, die, obwohl zu Hause, Bereitschaft hatten wie zum Beispiel Ärzte oder Kriminaler und ständig damit rechnen mussten, in ihrem Feierabend gestört zu werden. Heute ist jeder rund um die Uhr in Bereitschaft. Selbst altgediente Großtanten scheuen nicht, Verwandte per Anruf aus dem Schlaf zu schrecken, um einfach nur mal zu plaudern. Die Bezahlschranke der einzelnen Gesprächseinheit war die letzte Rettung vor ungefragten Statusmeldungen der buckligen Verwandtschaft per Fernsprechleitung.
Nirgends Ruhe zu keiner Zeit, und dabei habe ich die aktuellen Kontaktzecken WhatsApple, Tikatuka und wie sie alle heißen, noch gar nicht berücksichtigt. Es gibt kein Entrinnen. Oder doch? Ein entlegener Tourismusflecken, der am Ortseingang wirbt mit dem Schild «Kein Netz, kein WLAN, Funklochgarantie24».
Nach anfänglichem Simulieren von Ernsthaftigkeit hat die Ampelcombo endlich zu ihrem Thema gefunden, am besten formuliert in einem Titel der britischen Band Slade: «Mama weer all crazee now». Mutti ist ausgeflogen, und eine Bande total Ausgeflippter wirft das Tafelsilber aus dem Fenster. Ihr Anführer ist Olaf Scholz, der mehrfache Sieger aus Last One Laughing. Weil er aber gar nicht führt, sondern sich hauptberuflich mit Ein- und Ausatmen beschäftigt, tanzen seine Minister auf den Tischen. In Christine Lambrecht hat die Gleichstellung der Frau ihren Endpunkt gefunden, getreu der Aussage, diese sei erst erreicht, wenn auch dafür ungeeignete Frauen ganz selbstverständlich höhere Positionen besetzen. Christian Lindner versucht derweil, die FDP wieder in den Safe Space hinter der Fünf-Prozent-Hürde zu führen. Sein Megaknaller Tankgutschein ist zwar nichts geworden, aber nicht mal er selbst hätte wohl zu hoffen gewagt, dass der Tankrabatt sich als noch bescheuerter herausstellt. Wie zu erwarten – außer für das regierende Terzett – schöpfen die Mineralölkonzerne den Großteil des Steuervorteils ab, juchhu, wieder drei Milliarden versenkt. Der Bürger murrt und versteht die Welt nicht mehr – haben die da in Berlin den totalen Knall? Ja, das ist genau der Witz, und jetzt geht’s erst richtig los, das nennt sich Übergewinnbesteuerung und soll so was sein wie ein Mietendeckel für die Ölmultis, der hat ja auch prima geklappt. Neidisch, weil sie nicht bei den Großen mitspielen darf, haut die SPD-Ersatzvorsitzende Esken einen eigenen Gagavorschlag raus: Man müsse über ein befristetes Tempolimit und Fahrverbote nachdenken. Hab ich eine Millisekunde lang getan: Esken, setzen, sechs! Obwohl, damit bestünde die Chance, das SPD-Ergebnis nochmals zu halbieren. Eine schöne Idee: Für die exorbitanten Gewinne der Ölkonzerne wird der ohnehin verarschte Autofahrer zusätzlich bestraft. Saskia, du bist meine Heldin des zuverlässigen Schwachsinns.
«Einem böfferen Örben wie dem Olof hätt ich mör gor nüscht vorstellem kömm. Moch weipa so, Olof.»
Sollten den Tollhäuslern in Berlin die Ideen ausgehen, wie man mangelnde Kompetenz in Zukunft und Fortschritt mit Gagamaßnahmen übertapezieren kann, habe ich hier noch ein paar Vorschläge: Deckprämie gegen den demographischen Wandel, Übergewichtsbesteuerung für nachhaltige Ernährung, Schrankrabatt bei Ikea, Klimageld für Manuela Schwesig und mehr Rente außer für Rentner. Gute Nacht allerseits!
Die Letzte Generation wäre nicht die letzte, wenn es nicht auch das Allerletzte wäre, was sie so trieben: Festkleben war das neue Anketten. Weil die Autobahnauffahrt keine Zurrgurtösen hat, in die man eine Kette einfädeln kann, muss man notgedrungen die Pranke auf den Asphalt festkleistern. Auch das Gemälde im Museum ist nicht mit entsprechenden Protestadaptern ausgerüstet, da blieb der Generation Alleskleber schließlich nichts anderes übrig, als die Tube zu zücken.
Wie so oft hat sich auch hier bewahrheitet, dass Jugend selten originell ist. Schon vor ihnen gab es Politiker, in jüngster Zeit auch Rundfunkintendantinnen, die an ihren Sesseln klebten. Nur bei denen schritten leider nie die Ordnungskräfte ein, um die Klebeärsche in Gewahrsam zu nehmen. Zugestehen muss man den Letztgenerationären allerdings, dass sie den Klebeprotest als politische Missbilligungsäußerung gesellschaftsfähig gemacht haben. Vielleicht entdeckt sogar Claudia Roth ihre stürmischen Jahre wieder, als sie sich an Gleisen Richtung Gorleben festkettete. Als Selbstkritik könnte sie, in Kassel mit Sekundenkleber an den Herkules gepappt, ein Mahnmal der letzten Documenta werden.
Die katholische Kirche – am meisten gebeutelt durch Mitgliederschwund – blickte entspannter in die Zukunft, wären die Kirchenbänke mit Tapetenkleister eingestrichen. Überhaupt hat die Klebepraxis neben ihrem Protestcharakter noch den schönen Nebeneffekt der längeren Verweildauer ihrer Probanden. Absurd langweilige Produktionen des deutschen Regietheaters und selten dämliche Fernsehpreisverleihungen gewönnen mehr physische Zuschauerpräsenz, wenn ebenjene untrennbar mit dem Gestühl verbunden würden. Das deutsche TV-Programm zu den besten Sendezeiten macht es uns ja längst vor: Es ist schon von sich aus so klebrig, dass man keine Tube Pattex in den Fernsehsessel ausdrücken muss, um mit dem Hintern nicht mehr hochzukommen.
Am Aschermittwoch beginnt das Fasten, in düsteren Zeiten auch für Nichtkatholiken und all jene, die sich nicht turnusmäßig selbst optimieren. Was soll man machen? Die Preissteigerung lässt den Kühlschrank gähnen. Konnte man im selbst gewählten Verzicht noch ein paar Heldenpunkte sammeln, ist der aufgezwungene von nüchterner Gestalt. Das moralisierende Deutschland verspürt den ersten Bodenkontakt seit Jahrzehnten: «Friede, Freude, Windenergie, und alles wird gut» gilt seit dem 24. Februar 2022 nicht mehr. So schön und richtig es auch ist, dass das grün-pazifistische Soufflé in sich zusammenfällt, so ekelerregend ist die unverhohlene Freude derer, die schon immer gewusst haben, dass man von Tofu impotent wird und Abrüstung nichts als geistiges Sitzpissertum ist.
So viel anders sind wir Deutschen nach dem Aschermittwoch in unserer Brauchtumszone nicht geworden. Noch immer freut man sich hier am meisten, wenn andere auf die Fresse fliegen. Seht her, ihr schlichten Doofköppe aus der Ampeltruppe, das habt ihr euch schön ausgedacht, uns mit CO2-Aufschlägen das Autofahren und Heizen zu vermiesen. Plötzlich kommt ein Putin daher, und schon fällt das Wolkenkuckucksheim in sich zusammen. Was daran gerechter und besser sein soll, wenn Putin uns das Leben verteuert anstatt die Ampel, müsste man mir beizeiten mal erläutern. Ist es der gefühlte Unterschied zwischen politischer Willkür und gnadenlosem Schicksal, zwischen Koalitionspapier und der Rückkehr des Kalten Kriegs sogar in seiner heißen Form? Geradezu nostalgisch wurde in den Medien von «vorrückenden Panzerverbänden» geredet, pensionierte Brigadegeneräle erklärten uns den russischen Feldzug «wie aus dem Handbuch». Was ist hier los? Hat uns eine Zeitmaschine siebzig Jahre zurückkatapultiert, wird hier die alte handfeste Bedrohung wie aus einem James-Bond-Film gefeiert, um nicht dauernd über diese unsichtbaren Viren und das heimtückische Klima rätseln zu müssen? Putin, der Schurke, Selenskyj der Held, und wir auf der Seite der Guten? Dafür schnallen wir gern den Gürtel enger und fasten für den Sieg. Deutschland, ein einig Wintermärchen.
Deutschland ist das Heldenland der Scheindiskussionen und Spiegelfechtereien, die letzte dreht sich um die Rückkehr der Atomenergie. Erster Irrtum: Welche Rückkehr? In etlichen europäischen Ländern – und anderswo sowieso – war die Atomenergie nie weg und wird zudem die ganze Zeit nach Deutschland verkauft. Im Gegenzug schicken wir überschüssigen Windstrom zu Spitzenzeiten umsonst über die Grenze. Frankreich und Polen wird es herzlich egal sein, was Deutschland baut oder zurückbaut, solange der Verkauf von Atomstrom nicht behindert wird. Zweiter Irrtum: Selbst wenn die Bundesregierung die Renaissance der Kernenergie beschlösse, wer sollte dann bis wann wo und wie viel Kapazitäten errichten, welche tatsächlich einen nennenswerten Beitrag zum gesteigerten Stromverbrauch der dekarbonisierten Welt lieferten? Die alten Meiler sind in Kernschrott verwandelt worden, und ihre Beseitigung verschlingt Milliarden. Neubauten in Bürokratistan warten zehn Jahre auf Gegengutachten, brauchen zwanzig Jahre zur Fertigstellung, sind dann achtmal so teuer geworden wie geplant und gehen nach der Einweihung sofort kaputt. Klingt nicht nach planbarer Energieversorgung. Und wer sollte dieses Himmelfahrtskommando übernehmen? Die bisherigen Betreiber der AKW haben nach dem Einstiegs- und Ausstiegsszenario der vergangenen Jahre die Schnauze voll und bauen lieber in Polen oder Tschechien. Und selbst wenn sich ein – womöglich chinesischer – Betreiber fände, dann sieht man die Hüttendörfer und Baumhäuser in den betroffenen Gemeinden schon vor sich.
Es bedarf keiner großen intellektuellen Anstrengung, um das Gerede um die Rückkehr der Atomenergie in Deutschland als Fata Morgana zu entlarven. Deshalb bleibt als einzige Frage: Wieso wird diese Debatte dann überhaupt geführt? Mit dem Abschalten der letzten drei verbliebenen AKW ging ein greifbarer und vor allem eingrenzbarer Gegner verloren, der einer ganzen Protestgeneration ihre Identität verschafft hat. Nun mangelt es tatsächlich nicht an aktuellen Gefahren für Leib und Seele, doch wo ist der Zaun von Metaverse, vor dem man demonstrieren kann, wo sind die Castoren, mit denen Alphabet unsere Daten ins Endlager transportiert? Oder ist es wirklich so schlicht, dass der Popanz Atomkraft nur errichtet wurde, um uns damals das Diktatorengas von Putin als nachhaltig zu verkaufen?
Es gibt Begriffe, denen ein Attribut wie angewachsen vorangestellt ist, und ich frage mich, welche Lüge will man mir dort auftischen. Das bekannteste Doppel ist wohl «die einvernehmliche Trennung». Wird explizit darauf hingewiesen, was für ’ne tolle Sache die Trennung war, liegt der Verdacht nahe, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Nur eine beträchtliche Geldsumme hielt den Groll des Rausgeworfenen im Zaum. Ich warte noch auf die «einvernehmliche Hochzeit» in Promikreisen, um auch dort den Keim des Zweifels zu säen. Weiter geht’s mit dem «wohlverdienten Ruhestand», der dem Beamten regelmäßig zuteilwird, ungeachtet seiner abgeleisteten Nahtoderfahrung im Amt. Und da wären wir auch schon bei der «ehrlichen Arbeit», die nie an Schreibtischen stattfindet, sondern stets auf Gerüsten und Baustellen, und damit ein Euphemismus für mäßig bezahlte Plackerei ist. Immerhin ist sie kein «sinnloser Tod», der einen jederzeit ereilen kann, wenn man zum Beispiel nachts im Park von einem Elefanten totgetrampelt wird, statt nach jahrelangem Siechtum offenbar «sinnvoll» abzukratzen. Ist mitmenschliches Zutun für den Tod verantwortlich, könnte es ein «heimtückischer Mord» sein, in ihm wird die Vertrauensseligkeit des Opfers böswillig und hinterlistig ausgenutzt. Da erleidet man doch lieber den gewöhnlichen Mord von der Hand eines anständigen Christenmenschen.
Alle bisher genannten Begriffscluster sind althergebracht, doch auch die Gegenwart bedient sich gern des Stilelements suggerierter Wahrheit. Da haben wir die «soziale Gerechtigkeit», die offenbar eine Sonderform der Gerechtigkeit darstellt. Unter den Gräueln des Krieges leiden immer wieder «unschuldige Frauen und Kinder». Der Tod unschuldiger Männer ist entweder hinnehmbar, oder jene gibt es gar nicht, da «Männlichkeit» mit dem Attribut «toxisch» verbunden ist, wogegen Frauen hauptsächlich in der Version «starke Frauen» vorkommen. Die «klimafreundliche Bahn» muss man schon deshalb so nennen, damit man darüber ihre wesentlichen Eigenschaften vergisst: Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit und Unreformierbarkeit. Und zum Schluss gibt’s immer «tosenden Applaus», denn sonst tost nichts und niemand mehr in Dschörmeni, denn die Sitten werden, na, was wohl, naturgemäß «rauer».
Mit dem Bierdeckel fing alles an, dabei ist der gar kein Deckel, sondern ein Untersetzer. Drum hat er auch nicht die Steuern gedeckelt, sondern lediglich deren Erklärung sollte laut Friedrich Merz darauf Platz finden – selbst daraus ist nichts geworden. Trotz dieses Misserfolgs ist die Politik weiter verliebt in den Deckel. Prekaria City, unsere heitere Bundeshauptstadt, lancierte den Mietpreisdeckel, um bezahlbare Mieten zu fördern. Dabei sind die Mieten in Berlin bezahlbar. Genau das ist ja das Problem, sonst ständen ja Wohnungen leer, wenn nicht vermögende Berliner bereit wären, nahezu jeden Preis zu akzeptieren. Problematisch ist der zu geringe Bestand an kostengünstigen Wohnungen – und deren Bau hat der Mietpreisdeckel erfolgreich verhindert. Und nach dem Motto «Wenn Handauflegen gegen Hals- und Beinbruch nicht hilft, muss man die Hand eben länger drauflegen» sollte es den Mietendeckel auch bundesweit geben.
Im Nachgange des Öffiverramschens durch das 9-Euro-Ticket drohte auch hier ein Fahrpreisdeckel. Und weil’s so schön ist und vor allem so herrlich populistisch, kamen auch der Gas- und der Strompreisdeckel. Allen Deckeln – außer dem ehrenwerten Klodeckel – gemein ist die Leugnung jedweder Kostendeckung beim Angebot der Dienstleistung oder des Produkts. Doch Kosten sind keine kapitalistische Phantasterei, sondern ganz real. Unter jeden Deckel gehört ein Topf, und der sollte gut gefüllt sein, um die Differenz zu begleichen. Ist er es nicht, muss man sich einen Lügenhaushalt zurechtschustern, der nennt sich zynisch «Sondervermögen» oder Verstetigung der Nichteinhaltung des Verzichts auf Neuverschuldung. Klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Die Ü40-Menschen der letzten Warmzeit deckeln sich ihr Restleben schön, und die angeklebten Freitagsblagen dürfen die Suppe auslöffeln. Warum diese offensichtliche Hinterfotzigkeit von der betroffenen Generation nicht längst angeklagt wird, bleibt ein Rätsel. Doch wird mir plötzlich klar, warum so viele Eltern ihren Kindern applaudieren, wenn sie für den Erhalt des Planeten schwärmen. Damit sie vom Konflikt direkt vor ihrer Nase abgelenkt werden und nicht Mum and Dad anpaulen: «Ey, verdammte Schmarotzer, friert euch den Arsch ab, geht zu Fuß und fresst nur noch Silage, damit für uns noch was übrig bleibt. Oder kratzt einfach ab, ohne zu krümeln, das sind jetzt unsere Restressourcen.» Das wäre mal ’ne deutliche Ansage.
In den Fünfzigern war jeder, der gegen die Regierung auf die Straße ging, ein Kommunist, heute läuft jeder Protest Gefahr, er sei – Achtung, Floskel – «Wasser auf die Mühlen der AfD». Die Stigmatisierung der Bürger, wenn diese sich gegen staatliche Eingriffe richten, sollte eigentlich autoritären Regierungen vorbehalten sein, einer Demokratie ist sie unwürdig. Richtig wäre, wenn der gewählte Dienstleister des Volkes zuerst sein eigenes Verhalten überprüfte, bevor er auf seinen Souverän eindrischt. Es brauchte schon mehr als eine Kfz-Besteuerung für Agrarfahrzeuge, um einen ganzen Berufsstand eine Woche lang in Aufruhr zu bringen – zumal zu Hause die Arbeit nicht von selbst getan wird. Und das Gehalt läuft auch nicht weiter wie bei anderen Streikenden. Immerhin ist in den Wintermonaten nicht viel zu tun, die Arbeit auf dem Felde ruht, und nur eine komplett ahnungslose Regierung legt sich mit den Bauern an, wenn sie Zeit haben.
Über all die Jahre wurde von Berlin aus signalisiert, der Bundesnährstand bestünde aus Glyphosatspritzern, Tierquälern, Güllegrundwasservergiftern und sei überhaupt böse. Wer möchte sich schon auf Dauer einer solchen Pauschalverurteilung aussetzen? Auf der anderen Seite stammt aber ein nicht geringer Teil des bäuerlichen Einkommens aus staatlichen Zuwendungen. Es besteht das paradoxe Kommunikationsmuster, in dem widersprüchliche Nachrichten zur selben Zeit übermittelt werden, in diesem Fall Subventionen auf der einen Seite und Beschimpfungen und Bevormundungen auf der anderen. Die so in die Enge Getriebenen fangen an, wegen ihrer Ohnmacht entweder sich selbst zu verachten oder diejenigen, denen sie ihre Lage zu verdanken haben. Wenn das Verhältnis wenigstens verlässlich austariert bliebe, könnte man sich darin noch einrichten. Aber die «Rein-in-die-Kartoffeln»-«Raus-aus-den-Kartoffeln»-Politik der Ampel hat den Trecker auf die Straße getrieben. Und da kommen besonders die Grünen in Bedrängnis, denn der Trecker gehört seit den Anti-AKW- und Castor-Demos zur folkloristischen Identität der grünen Basis. Wurde der gute grüne Trecker jetzt ein böser Agrardieselverbrenner, auf dem – Achtung, Zitat vom Landwirtschaftsminister – «der feuchte Traum vom Umsturz» hockt? Wir wissen es nicht, kennen aber jene, die es anscheinend noch weniger wissen. Dummerweise bildeten die unsere Bundesregierung.
Als hätte ich es nicht längst geahnt: Schuld am finanziellen Fiasko dieser Republik sind die Beamtenwitwen. 1830 Euro beziehen sie durchschnittlich im Monat aus der Staatskasse, das sind 300 Euro mehr als ein Rentner, der fünfundvierzig Jahre lang in das marode System eingezahlt hat. Was aber hat die Beamtenwitwe dazu beigetragen? Nichts! In der Blüte ihrer Jahre hat sie sich an einen kränklichen Staatsdiener rangewanzt, ihn anfänglich durch erotische Zugeständnisse in die Knie gezwungen, um ihn schlussendlich in die Alleinverdienerehe zu drängen. Jahrzehntelang wartet sie im Verborgenen auf ihre Chance. Der vulnerable Schmachtlappen an ihrer Seite wird mit Torten und Sonntagsbraten genudelt, um seine ohnehin anfälligen Koronargefäße zu destabilisieren. Leibesertüchtigung und frische Luft werden von ihm ferngehalten, und keine zwei Jahrzehnte später ist das Bürschlein ein Schatten seiner selbst. Die sinnentleerte Beschäftigung im Staatsapparat trägt das Ihrige dazu bei, den Leib des Beamten in eine hohle Karkasse zu verwandeln. Während der Gatte zusehends schrumpft, erfreut sich die Witwe in spe ihrer properen Leibesfülle, stählt die Gesundheit durch regelmäßige Kuraufenthalte und Zumbatanz in der Volkshochschule. «Ach ja, der Gatte», heuchelt sie vor ihren Freundinnen. «Der verfällt vor meinen Augen, wir haben uns zusammen schon einen hübschen Stein für ihn ausgesucht.»
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