Vorspeisen zum Jüngsten Gericht - Dietmar Wischmeyer - E-Book

Vorspeisen zum Jüngsten Gericht E-Book

Dietmar Wischmeyer

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Beschreibung

«Wischmeyer benutzt das Florett wie einen Vorschlaghammer – und umgekehrt!» Jürgen von der Lippe In den Städten ziehen die Preise für Latte Macchiato an, im tierfreien Nichtraucherhaushalt fällt das WLAN aus, Best-Ager purzeln tot vom Elektrorad: Die fetten Jahre sind endgültig vorbei. Dietmar Wischmeyer serviert die glutenfreie Vorspeise zum letzten Abendmahl. Schon morgen kommt die Zukunft auch zu dir. Was wird das für ein Gefühl sein, wenn dir der Pflegeroboter einen Blasenkatheder durch den Harnleiter schiebt? Ist Erotik nur noch eine Smartphone-App? Heute bringt uns Lieferando den Fertigfraß aus obskuren Schmurgelküchen, morgen räumt Sterberando den toten Opa ab. Aus den Foren des Internets kriechen bereits die Untoten ans Licht, das «postfaktische Zeitalter» hat begonnen. Dieses Buch gibt den verängstigten Deutschen eine Stimme: Unternehmer, Turbo-Landwirte, Pastorinnen, Rentner, Praktikanten, Politiker, Aktivistinnen – die ganz normalen Insassen dieser Republik erzählen vom Verschwinden ihrer gewohnten Lebenswelt. Dietmar Wischmeyer zeichnet ein bitterböses und doch zugleich heiteres wie überraschendes Sittenbild der Gegenwart – für alle, die sich fragen, ob wir noch zu retten sind. Eine Bestandsaufnahme all dessen, was uns heute bewegt.

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Dietmar Wischmeyer

Vorspeisen zum Jüngsten Gericht

Ein Nachruf auf unsere fetten Jahre

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

«Wischmeyer benutzt das Florett wie einen Vorschlaghammer – und umgekehrt!» Jürgen von der Lippe

 

In den Städten ziehen die Preise für Latte Macchiato an, im tierfreien Nichtraucherhaushalt fällt das WLAN aus, Best-Ager purzeln tot vom Elektrorad: Die fetten Jahre sind endgültig vorbei. Dietmar Wischmeyer serviert die glutenfreie Vorspeise zum letzten Abendmahl. Schon morgen kommt die Zukunft auch zu dir. Was wird das für ein Gefühl sein, wenn dir der Pflegeroboter einen Blasenkatheder durch den Harnleiter schiebt? Ist Erotik nur noch eine Smartphone-App? Heute bringt uns Lieferando den Fertigfraß aus obskuren Schmurgelküchen, morgen räumt Sterberando den toten Opa ab. Aus den Foren des Internets kriechen bereits die Untoten ans Licht, das «postfaktische Zeitalter» hat begonnen.

Dieses Buch gibt den verängstigten Deutschen eine Stimme: Unternehmer, Turbo-Landwirte, Pastorinnen, Rentner, Praktikanten, Politiker, Aktivistinnen – die ganz normalen Insassen dieser Republik erzählen vom Verschwinden ihrer gewohnten Lebenswelt. Dietmar Wischmeyer zeichnet ein bitterböses und doch zugleich heiteres wie überraschendes Sittenbild der Gegenwart – für alle, die sich fragen, ob wir noch zu retten sind. Eine Bestandsaufnahme all dessen, was uns heute bewegt.

Über Dietmar Wischmeyer

Dietmar Wischmeyer, Radiomacher, Autor und Kolumnist, zählt zu den erfolgreichsten Protagonisten der deutschen Humorwirtschaft. Er tourt jedes Jahr mit wechselnden Programmen durch Deutschland. Dietmar Wischmeyer und Oliver Kalkofe alias «Kurt» und «Ferkel» sind «Die Arschkrampen», Deutschlands ältestes Hardcore-Team. Und auch mit Oliver Welke ist er immer wieder auf Tournee, zuletzt mit dem Erfolgsprogramm «Im Herzen jung!». Im Fernsehen tritt er regelmäßig in der «heute show» auf, im Radio ist er bei radioeins, radio ffn und im WDR zu hören. Zahlreiche Preise und Ehrungen, u.a. der Deutsche Radiopreis (2014), der Deutsche Comedypreis (2012) und der Deutsche Fernsehpreis (2014).

Vorwort zum Jüngsten Gericht

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, denn Gott braucht kein Vorwort.(ca. 1. Mose 1.1) Der Mensch aber ist nicht Gott.(Dietmar Wischmeyer 1.0)

Der Deutsche – je besser es ihm geht – neigt nun mal zum Jammerlappentum. Mit der Welt um ihn herum steht es ja auch tatsächlich nicht zum Besten: Die EU ein Scherbenhaufen, die Meere voller Plastikmüll und ganz Afrika steht ante portas, um uns den Vorgarten kaputtzutreten. Der Olivenhain rund ums Mittelmeer kackt ab, die Kleinhirnträger aller Länder versammeln sich um einen Schlagmann, der ihnen die Richtung weist, ohne zu wissen, worum es geht. Aber was schert es den Rundum-sorglos-Germanen, er hat sich früher doch auch nur für andere Länder interessiert, um dort einzumarschieren oder seinen Urlaub zu verbringen.

Doch nun ist er um die ganze Welt besorgt. Das Jüngste Gericht ist nah, und es ist die Strafe für alles, was wir dem Planeten angetan haben. Wir haben Gottes Schöpfung übel mitgespielt: Den Puten Christi rührten wir Rauschgift ins Futter, seinen Ferkeln kappten wir den Schwanz, und seinem Wald, den er aufgebaut so hoch da droben, dem haben wir beim Sterben zugeschaut. Dafür werden wir uns verantworten müssen. So suhlt sich der Germane in seinen feuchten apokalyptischen Träumen und trägt stellvertretend für die ganze Menschheit das Kreuz zum Schädelberg.

Obwohl um ihn herum die kaputtesten Atomkraftwerke der Welt wohl nur darauf warten, in die Luft zu gehen, schaltet er die seinen ab. Vielleicht lassen sich so die Götter der Kernschmelze besänftigen, sie verschonen uns und blasen nicht die rostige Klitsche in Belgien hoch. Oder Gott willigt in diesen Ablasshandel ein: ein Veggieday pro Woche, nur noch Pullover aus Seetang und für den Feldhamster wird ein Flughafen dichtgemacht. Wir wissen nicht, ob diese Opfer genügen, drum geißeln wir uns sicherheitshalber noch mit Raukesalaten und Dinkelbratlingen, bevor uns der Zorn des Zebaoth vom Planeten fegt.

Der Jüngste Tag kann jederzeit über uns kommen, und wehe wir haben just an diesem unsere Kinder mit dem Monster-Spritfresser in die Waldorfkita chauffiert, obwohl uns die Carsharing-App nur achthundert Meter weiter ein BMW-Elektroauto anpries. Wieder zehn Minuspunkte eingefahren – wenn der Herr für uns eine Excel-Tabelle angelegt hat, dann sieht’s darauf allmählich finster aus. Das Einzige, was uns am Judgement Day noch retten kann, ist das uralte protestantische Lebensmotto: Du darfst alles, Hauptsache, es macht keinen Spaß. So sieht’s aus im Abendland, das so heißt, weil hier die Sonne untergeht – und sie schien uns doch gefühlt noch gestern aus dem Arsch.

Dieses Buch beinhaltet ganz unterschiedliche Eindrücke und Begegnungen aus der Endphase der satten Jahre. Neben meinen eigenen Beobachtungen lasse ich andere Menschen in ihrer eigenen Sprache zu Wort kommen. Es sind satirisch verdichtete «Zeugenaussagen» über den Gemütszustand der normalen Daseinsmitbewerber. Der Fleischfabrikant, die Pastorin, der Rentner, die Bürgerrechtlerin, das Mittelstandsehepaar und all die anderen erzählen aus ihrem Leben, als wäre der Tag der Abrechnung gekommen.

Dabei waren unsere äußeren Lebensumstände noch nie so gut wie heute. Dieser Widerspruch zwischen tatsächlichem und gefühltem Dasein erscheint wie eine Rückprojektion der unbehaglichen Zukunft. Wahrscheinlich erstmals in der Menschheitsgeschichte spitzt sich derzeit die technische Beherrschung unserer Umwelt zu, ohne dass die meisten eine Notwendigkeit darin sehen. Wozu das alles, war doch alles schön so, wie es war! Autonomes Fahren, intelligente Steckdosen, smarte Katzenklos – lasst uns zufrieden mit dem ganzen Mist und unser kurzes Leben in Ruhe an der Käsetheke zu Ende führen. Insgesamt ist man im Reinen mit seinen Daseinsbedingungen, und wenn es morgen ein Referendum darüber gäbe, ob man die Zukunft eigentlich braucht oder lieber auf ewig in der Gegenwart verharrt – ich würde nicht auf den Sieg der Zukunft wetten. Die großen Utopien sind längst gescheitert, der Sozialismus sowieso, und die Demokratie ist zur bloßen Meinungsforschung verkommen. Den Hunger in der Welt wird man nie besiegen, den eigenen allerdings schon, und zwar beim Lieblingsitaliener. Nur wer nichts zu verlieren hat, glaubt an eine bessere Welt, die Satten aber blicken voller Zweifel nach vorn.

Die Frage bleibt, wie wird man dieser Stimmung schreibend gerecht? Sollte man einen Romanhelden durch die Geisterbahn der Gegenwart schicken, mit Google Maps zwischen Scylla und Charybdis navigieren lassen? Nein, funktioniert nicht mehr! Der Schatten, den die Zukunft auf unsere Gegenwart wirft, lässt sich kaum in eine Erzählung bannen. Wer aus den Widersprüchen der ekelhaft reichen und bitterarmen, hochintelligenten und total verbohrten Welt ein schlüssiges Narrativ formen kann, ist entweder ein religiöser Fanatiker oder ein Idiot. Ein Buch jedenfalls kann das nicht, und ich schon mal gar nicht. Deshalb ist dieses Buch Stückwerk, genau wie alles, was uns heute umgibt.

In dreizehn Kapiteln mit über hundert Beobachtungen aus dem deutschen Alltag habe ich die Stimmung des gefühlten Weltuntergangs satirisch einzufangen versucht. Wer möchte, kann diesen roten Faden im Hintergrund mitlaufen lassen. Muss aber nicht sein, man kann das Buch auch häppchenweise zu sich nehmen. Es ist wie die Moderne, alles ist disparat, und doch sieht unser kleines Hirn überall Zusammenhänge.

 

Dietmar Wischmeyer

Mai 2017

1 Aperitif

Ein Aperitif wird vor dem Essen konsumiert, um den Appetit anzuregen und auf die bevorstehende Mahlzeit einzustimmen. Der Aperitif hat zudem eine soziale Funktion und dient dazu, den Gästen die Wartezeit bis zum Servieren der Speisen zu verkürzen. Wie sollte es anders sein, ist der Aperitif dieses Buches natürlich der Sprache gewidmet, und zwar der geschriebenen. Wie bewegt man sich in ihr halbwegs souverän, warum schreibt man überhaupt etwas auf, und wer soll das bloß alles lesen?

Ein Buch zu jedem Scheiß

Früher war die Sache ganz einfach: Man erlebt etwas und schreibt darüber ein Buch. Die Gräuel des Krieges, aber auch die Abenteuer auf der Suche nach den Quellen des Nils fanden so ihre Leser. Doch was soll man tun, wenn man nichts erlebt, was des Mitteilens wert wäre?

 

Das Leben selbst muss also vorab auf das daran Verwertbare hin konstruiert werden. Darum gibt es ein Buch von jemandem, der zweihundert Nächte im Zelt verbracht hat, nein, kein syrischer Flüchtling, denn das wäre ja normal, also langweilig. Nein, man muss so was Beklopptes absichtlich und ohne Not tun, sonst wird kein Buch draus, nicht mal ein Blog. Zu Fuß durch Spanien latschen in ein Kaff, das irgendeinen Hokuspokus verspricht, das ist irre. Überhaupt ist alles, was man – gegen jegliche Vernunft – zu Fuß unternimmt, per se schon mal buchverwertbar. Mit einem Esel auf Schusters Rappen von der Nordsee bis zum Bodensee. Die Jungfer Maria wenigstens saß oben auf dem Grautier, die anderen beiden latschen nebenher. Was soll der Scheiß! Jeder Afghane, der täglich bis zum nächsten Brunnen neben Meister Langohr hertraben muss, würde sich über ein Moped freuen.

Der Deutsche aber schiebt freiwillig den Esel bis zum Bodensee – und macht selbstredend ein Buch daraus. Die Arroganz, ohne Not in prekäre Situationen abzutauchen und sich damit dem vermeintlich Ursprünglichen zu widmen, ist die neueste seltsame Eigenschaft des Deutschen. Rentenversicherte Normos wandern einen Monat ohne einen Cent in der Tasche durch die Republik, um der Erfahrung der Mittellosigkeit teilhaftig zu werden. Pharisäergesindel. Wie wär’s andersrum: Vier Wochen rumtraben und jedem am Straßenrand einen Fuffi in die Hand drücken – dann macht man nicht nur selbst eine schöne neue Erfahrung, sondern auch die Mitmenschen. Seitdem jeder Ü-50 schon auf dem Kilimandscharo war und die Abspulung der Route 66 mit einer geliehenen Harley nur noch ein müdes Lächeln hervorruft, folgten die grotesken Pseudo-Abenteuer. Wie viele Opas sind eigentlich schon mit einem alten Trecker zum Nordkap getuckert, wie viele mit dem Aufsitzrasenmäher nach Mallorca? Alles Schnee von gestern. Nun entdecken die saturierten Furzkissen das authentische Abenteuer im Alltag der anderen. Wie wär’s mit «Drei Nächte vollbesoffen unter der Brücke pennen für Manager», inklusive eines Sechserträgers Single Malt. Für alle, die ein «wichtiges» Buch schreiben wollen, empfehle ich eine Woche Flüchtlingsunterkunft Bautzen plus virtuelle Abschiebeerfahrung. Braucht noch jemand ’ne Idee? «Hilfe, ich glaub, ich werde intelligent» – Die Selbsterfahrung eines Mannes, der ein Jahr lang kein Wort gelesen hat.

Hey – ein Welpenbild ganz vorn im Buch ist immer gut.

Lebendige Sprache

Deutsch ist eine lebendige Sprache, und wie allem Lebendigen droht auch ihr am Ende der Tod. Kein Mensch spricht mehr althochdeutsch, Latein ist kaum mehr als ein humanistischer Dünkel, und auch das Krimgotische ist längst verklungen. Warum also sollte man sich gegen diesen anscheinend natürlichen Prozess sträuben?

 

In der Tat wirken viele sprachkonservatorische Bemühungen, wie der Name schon sagt, eher «bemüht». Im Gegenzug muss man den Verwesungsprozess einer lebendigen Sprache auch nicht mutwillig beschleunigen. Da sind die Marketingtrottel, die dauernd von «Challenge», «Response» und «Solutions» faseln, wenn sie ebenso gut sagen könnten: «Ich bin doof und weiß nicht weiter.» Da ist der wampige Wichser auf dem Chefgestühl, der jetzt Ssie Ieh Ouhh genannt werden will. All das aufzuzählen, was den Wichtigsprech-Armleuchtern täglich einfällt, um ihre geistige Hilflosigkeit zu kaschieren, würde Bände füllen. Beschränken wir uns also auf jene Floskeln, die es bis in die Alltagssprache geschafft haben.

Da ist zuvörderst das unerträgliche «Magst du …», mit dem jede noch so kleine Handlungsanweisung in den Bereich des emotional Bedeutungsvollen erhoben wird: «Magst du die Lokustür schließen?» Keine Ahnung, ich hab noch nicht drüber nachgedacht, ob mir dabei einer abgeht, aber ich mach’s auch so, weil es mir scheißegal ist, um im Bilde zu bleiben. Handelt es sich bei der Magst-du-Pest um eine Lehnübersetzung direkt aus dem Englischen, so kam «Das ist Fakt» über den Umweg der DDR in die gesamtdeutsche Sprache. Anders als bei der altbekannten «Tatsache» ahnt man beim «Fakt» sofort, dass man hier belogen wird. Um bei den schlechten Übersetzungen zu bleiben, müssen noch der «gemachte Sinn» und das «gefürchtete Ich» erwähnt werden. Bei allem, was im Neusprech «Sinn macht», darf getrost davon ausgegangen werden, dass es in keiner Weise sinnvoll ist. Und wenn jemand behauptet: «Ich fürchte, an dem Termin kann ich nicht», so ereilt ihn weniger die altdeutsche Furcht als die Erinnerung an schludrige Synchronisationen englischer Fernsehserien à la «Inspector Barnaby» oder «Downton Abbey». Am Ende dieses Ausflugs in die «Sprachhygiene», um auch noch ein sogenanntes Unwort zu erwähnen, bleibt ein positiver Aspekt: Die Sprache ist das Kleid der Gedanken, und wer sich ohne Not mit billigen Fetzen und gefälschten Labeln behängen will, ist ein Idiot und möchte, dass es alle sehen.

Böse Wörter

Können Wörter böse sein, und wer oder was entscheidet das? Die Betroffenheit der so Bezeichneten?

 

Ist also «Neger» ein schlimmeres Wort als «Kalkleiste»? Und ist «Neger» überhaupt nur ibäh, wenn man damit direkt auf einen Menschen verweist – und deshalb folgender Satz völlig harmlos: Das Wort «Neger» sollte aus dem deutschen Sprachgebrauch gestrichen werden. Oder darf man das auf keinen Fall mehr sagen? In den letzten fünf Zeilen immerhin schon dreimal, also Schluss damit: Der Mohr hat seine Arbeit getan. Das sollte man übrigens auch nicht mehr zitieren, sonst horcht irgendwo in der Republik ein kleines Kommunalhascherl auf, rennt in die Stadtbibliothek und verbrennt alle Bücher von Friedrich Schiller, weil das «Wording» nicht mehr akzeptabel ist. Da brat mir doch einer ein Zigeunerschnitzel.

Die ach so sensiblen Politikdarsteller, die vor lauter Korrektheit und Korrektheitinnen aber auch jedes Wort in seiner schwanzhaften und weiblichen Form daherplappern, nehmen wirklich ekelige Wörter hemmungslos in den Mund. So muss man immer wieder aus Politiker- und Politikerinnenmund von der «Sonderbehandlung» hören, als hätte es diese Nazivokabel nie gegeben. Wenn es also eine Liste der bösen Wörter gäbe, stände dieses ganz oben, direkt unter der «Endlösung». Da lob ich mir doch ein munteres «Heil Hitler», da weiß man jedenfalls ohne nachzudenken gleich, woran man ist. Wörter sind nicht einfach böse, sondern werden es erst durch ihren Gebrauch und vor allem durch denjenigen, der sie gebraucht. Wenn zwei schwarze Amerikaner sich gegenseitig mit «Nigger» begrüßen, ist das etwas anderes, als wenn ein weißer Polizist in Ferguson das zu einem Schwarzen sagt. Gar nicht so lange ist es her, dass die jetzt so genannten Asylberechtigten noch Asylbewerber hießen oder, nur wenig früher, Asylanten. Als aber schlicht gestrickte Fußballfans im Stadion die Gegnermannschaft im Chor als «Asylanten» anbrüllten, war’s aus mit der Unschuld des harmlosen Wortes. Nächster Kandidat für die Umwidmung aller Werte war das «Opfer», das mit dem vorangesetzten Personalpronomen zweite Person Singular zum angesagten Beschimpfungsimperativ deutscher Schulhöfe mutierte. Wen erwischt es als Nächsten? Den Kanzlerkandidaten der SPD?

Manchmal werden auch neutrale Allerweltswörter in den Abgrund gezerrt. Ein gutes Beispiel dafür ist die «Alternative», ursprünglich nichts weiter als eine Entscheidung zwischen zwei gleichwertigen Richtungen oder Ereignissen. Die Verwässerung des Begriffs fing damit an, dass es plötzlich mehrere Alternativen zu geben schien, was vom Wortsinn her schon Unsinn ist. In den späten Siebzigern ging’s dann ganz weit in den Plural hinein, da gab es DIEALTERNATIVEN, eine hunderttausendfache Zottelhorde, die sich von Gras ernährte und der Ziege die Milch abtrotzte. Zusammengefasst wurde der Haufen in dem Singular GRÜN-ALTERNATIVELISTE. Hier klebte zum ersten Mal ein ekelerregender Moralismus am schlichten Wort, der seither alle Öko-, Friedens-, Frauen- und Käfighühnerbefreiungsfronten durchweht. Diese Alternative war nämlich dem Wortsinn nach gar keine mehr, sondern die einzig gebotene, wenn man ein bewusster Mensch auf dem gebeutelten Planeten sein wollte.

In der dialektischen Entsprechung dazu fusselte Merkel-Mom von «alternativlosen» Entscheidungen. Nun ist das in einer Demokratie eine noch größere Unverschämtheit als die moralisch aufgeschäumte Verweigerungshaltung der Generation Zottelmähne. Den bisherigen Höhepunkt in der Restverblödung erfährt das Wort durch die «Alternative für Deutschland». Dieses geistig-moralische Abklingbecken ist sicherlich vieles – Notpartei für Protestwähler, Neunazi-Reservat, sogar nachvollziehbarer Ausdruck des Volkszorns. Doch eins ist es nicht: eine Alternative für Deutschland, dann schon eher Holland.

Autorenlesung – Die Mittelstädts hören zu

Die Mittelstädts sind ein etwas in die Jahre gekommenes Ehepaar des kulturinteressierten Bürgertums. Hans-Georg ist Schuldirektor, Staatsbeamter, Rotweintrinker, etwas ungepflegtes Äußeres, spielt Tennis, besucht – wenn auch nicht ganz freiwillig – Museen und Theater. Rebecca hat früher mal als Chefsekretärin gearbeitet, der Kinder wegen aber den Beruf aufgegeben. Nun, da die Kinder aus dem Haus sind, dekoriert sie es mit Terracotta und anderem mediterranem Klimbim. Sie ist frustriert, sexuell desillusioniert und hält ihren Gatten für einen unkultivierten Waschlappen. Er würde am liebsten mit einer Jüngeren durchbrennen, findet aber erstens keine und scheut zweitens die Isolation, wenn der Pärchenfreundeskreis ihn verstößt. Beide werden nur von der Konvention, der wirtschaftlichen Verflechtung und der Bequemlichkeit zusammengehalten. Ihre Gespräche bewegen sich nahezu immer zwei Grad unterm Siedepunkt. Sie zischt, er brummt. Doch sehr schnell zerbirst die dünne Lavadecke, und ungeachtet aller Umstehenden bricht der Vulkan aus.

Er: Was ist das überhaupt für ein Pinscher, den ich mir hier anhören muss. Du weißt, dass heute Abend das erste Qualifikationsspiel zur Fußball-EM übertragen wird.

Sie: Blamier mich bitte nicht schon, bevor es losgeht.

Er: Ja, und wer ist der Knilch?

Sie: Ein vielversprechender junger Autor.

Er: Viel versprechen und nix halten, hahaha.

Sie: Merkst du gar nicht, dass außer dir niemand über deine abgestandenen Witze lacht?

Er: Wo ist denn hier die Theke, ich nehm uns ein paar Pils mit rein, sonst überlebe ich die zwei Stunden Gesülze nicht.

Sie: Hier gibt es keine Theke, das ist eine Kulturveranstaltung und keines deiner Bumstreffen.

Er: Was denn bitte schön für Bumstreffen?

Sie: Ach, tu doch nicht so, meinst du, ich weiß nicht, wo du dich jeden Freitag mit Volker und Hartmut rumtreibst?

Er: Auf der Ortsvereinssitzung der SPD.

Sie: Dass ich nicht lache, und warum riecht dein Jackett immer nach billigem Deo?

Er: Wie hieß der Dichter noch mal, den wir hier heute hören dürfen?

Sie: Ach, auf einmal ist es ein Dichter, jetzt wo deine Schweinereien ans Tageslicht kommen.

Er: Komm, lass uns reingehen, sonst kriegen wir keinen Platz mehr.

(Beide gehen rein und setzen sich in eine der letzten Reihen.)

Er: Pünktlichkeit ist nicht des Herrn Dichters zweiter Vorname, was?

Sie: Nun fang nicht schon wieder an zu stänkern. Konzentrier dich lieber auf die Lesung.

Er: Was kann mir so ein Schnösel schon erzählen, was ich nicht schon weiß.

Sie: Zum Beispiel, wie man es schafft, nicht nach verfaulten Zwiebeln zu stinken aus dem Hals.

Er: Wer wollte denn unbedingt beim Griechen essen vorher?

Sie: Ich habe aber nur einen kleinen Hirtensalat gegessen, und wer haut sich da die doppelte Portion Gyros rein und … halt, unterbrich mich nicht … säuft auch noch drei Ouzo hinterher.

Er: Es war halt etwas fettig das Fleisch.

Sie: Du widerst mich an: Frisst wie eine ausgehungerte Hyäne, obwohl ich dir heute Mittag einen Tofubratling gemacht habe.

Er: Obwohl!? Nach dem seifigen Stück Plastik hätte ich ein halbes Schwein verschlingen können vor Gier.

Sie: Das sieht dir ähnlich! Bestehst du eigentlich noch aus etwas anderem als Saufen und Fressen?

Er: Ja, Rauchen, wo sind hier eigentlich die Aschenbecher?

Sie: Du tickst wohl nicht richtig! Rauchen! – Am besten, du gehst jetzt und beschmutzt diese Veranstaltung nicht weiter mit deiner Primitivität.

Er (steht auf): Sehr schön, dann treff ich mich eben mit Volker und Hartmut, die verstehen mich im Gegensatz zu dir, MEINSCHATZ.

Sie: Aber das sage ich dir, Freundchen, wenn du deinen Puffbesuch wieder mit der EC-Karte von unserem gemeinsamen Konto bezahlst, wirst du mich kennenlernen.

Er (weggehend): Viel Spaß mit deinem Schöngeist hier, genau das Richtige für verschrumpelte Ehefrauen, guck dich doch mal um.

Sie: Hau endlich ab, bevor du hier noch kastriert wirst, du alter geiler Sack.

(Er verlässt hysterisch wiehernd den Saal.)

Sie(zu anderen Frauen): Er hat nur noch zwei Wochen zu leben, sonst würde ich mir das nicht gefallen lassen – Hodenkrebs Endstadium!

Der Witz im Angesicht des Terrors

Zur Berufskrankheit der Witzeschaffenden dieser Republik gehört es, zu allem möglichst umgehend eine Meinung zu entwickeln. Da ähnelt der Ulkarbeiter dem Politiker, der nach Anschlägen auch sofort mit den anderen Torfnasen seiner Profession um die Wette twittert. Aus der Rumpelkiste seiner Textbausteine holt er die sattsam bekannten Worthülsen hervor, er ist «in Gedanken bei den Opfern» oder fordert – wer hätte das gedacht – «Konsequenzen».

 

So stumpf kann der Witzeschaffende natürlich nicht reagieren, er mahnt gern den «Erhalt unserer offenen Gesellschaft» an oder warnt vor den «Süppchen», die von Rechten flugs «geköchelt» werden, sobald Migranten im Kreise der Verdächtigen erscheinen. Das mag alles richtig sein, doch wer hat den Herrn – es sind fast immer nur die Herren – wer hat den Herrn Satiriker überhaupt nach seiner Meinung gefragt? Kann er nicht einfach, wie die meisten anderen Berufsgruppen auch, abwarten, bis überhaupt klar ist, was geschah? Die Bäcker, die Kfz-Mechatroniker, nicht mal Margot Käßmann reißt sofort das Facebook auf und entleert sich darin. Seit den Mohammed-Karikaturen in Jyllands-Posten und erst recht seit den Anschlägen auf Charlie Hebdo ist die Satire auch bei uns zu einem überhöhten Gesamtgewissen geworden.

Seit Böhmermanns Erdoğanbewitzelung gibt’s gar kein Halten mehr: Die Satire ist das Sturmgeschütz der Demokratie – im Selbstverständnis ihrer Beiträger und im Ansehen ihres Publikums. Was für ein grandioses Missverständnis. Satire ist verletzend, ungerecht, oberflächlich, oft ekelig, dilettantisch, reimt sich nicht, ist schlecht gezeichnet oder auch einfach mal nur aus einer Laune heraus aufs Papier geschissen. Und das nicht aus Versehen, sondern der Definition nach. Was sie nicht sein darf, ist moralisierend. Was sie nicht tun kann, ist sich in den Dienst der Aufklärung stellen. Der Witz zeigt uns die Brüche in der Konstruktion der veröffentlichten Wirklichkeit – das ist seine Aufgabe, und damit hat er genug zu tun. Wenn ein Ereignis von so brutal kalkulierter Grausamkeit geschieht wie im Dezember 2016 in Berlin, dann hat die Satire noch eine weitere staatstragende Aufgabe: Klappe halten und sich nicht einreihen in die Phalanx der Experten und Bescheidwisser, die durch ihr multimediales Getöse in die Kommunikationsstrategie des Terrors bereits eingepreist sind.

Adriano Senff, 44, Publizist und Journalist

Adriano Senff (eigentlich Alfons Senf) hat seine ersten Meriten beim Trierischen Volksfreund erworben. Dort deckte er unter anderem die Meier-Kobalt-Affäre auf und empfahl sich damit für die überregionale Presse. Nach diversen Konflikten mit den jeweiligen Chefredakteuren arbeitet er seit ein paar Jahren als freier Journalist für den Boulevard-Markt. Senff «liegt» in einem hypermodernen Schreibtischstuhl, die Füße auf dem Tisch. Man sieht seine Schlangenleder-Cowboystiefel. Er telefoniert mit einem alten Kollegen von der «Women and Beef».

Die wirklich wichtigen Dinge hackte er immer noch in seine alte Hermes Baby, damit das iPad nichts davon mitbekam.

Senff: Silke-Schätzchen, sei so lieb und gib mir mal den Hans-Michael aus der Politik. Okeydokey, no problem, ich warte.

(Während er auf die Verbindung wartet, spuckt er auf seine Cowboystiefel und wienert mit dem anderen Hosenbein nach.)

Hi Hans-Michael, hier ist der Adriano, du halt dich fest, ich habe eine Knallernummer für euch. Erinnerst du dich, letztes Jahr, als wir auf dem Parteitag in Kassel waren, da hat uns so ein kleiner Fettsack zugetextet, Müller-Sowieso von der IG Nahrung, Genuss, Raststätten, jaja GASTstätten, ist doch auch egal. Genau, der Typ, der sich für erweiterte Arbeitserlaubnisse osteuropäischer Saisonarbeiter eingesetzt hat. Nun rate mal, wo ich den getroffen habe, rate wenigstens mal, du bist ein Spielverderber. Im Puff hab ich den getroffen, blöde Frage, was macht ein Mann im Puff. Was wohl. Jedenfalls er hat mich nicht wiedererkannt, ich ihn aber schon. So und jetzt kommt die Story: «Gewerkschaftsboss in Menschenhandel verwickelt». Exklusivbericht von unserem Mitarbeiter Adriano Senff und diesmal bitte richtig schreiben mit doppelt «f» am Schluss. Hör mal, was heißt hier «weit hergeholt», der Typ setzt sich politisch für die Arbeitserlaubnis von Osteuropäern ein, nur um die Nutten von dort zu pimpern, das liegt doch auf der Hand.

Wir ziehen das folgendermaßen auf: ein Bild vom halbnackten Müller-Dingenskirchen im Puff, daneben die knallharte Story von mir über Menschenhandel aus Osteuropa und einen Kasten mit der Forderung nach der erweiterten Arbeitserlaubnis. Das hat nichts miteinander zu tun? Sag mal, sei doch nicht naiv! Ja, natürlich können wir das nicht beweisen, is doch schnurzegal, wenn du alles drei zusammen auf einer Seite bringst, dann reimt sich der Leser das doch von selbst zusammen. Ist doch auch eine Superschlagzeile: «Nachschub für den eigenen Puff. Gewerkschafter besorgt die Tickets». Nein, ich habe kein Nacktfoto von ihm, warum wohl, weil ich auch nackt war, nur mit Handtuch um die Hüften, da hat man kein Handy zwischen den Beinen eingeklemmt. Ist aber kein Problem, lass mich da noch vier-, fünfmal hingehen, das kostet dich keine tausend, was, sag mal, wo lebst du denn, das ist noch billig, jedenfalls erwisch ich ihn dann todsicher. Die Story mit den Ukrainerinnen dazu, die schreib ich dir an einem Nachmittag, das meiste steht eh schon im Netz, das hau ich dir ruckzuck zusammen. Das ist dann nichts Neues? Ey, das ist dann ein echter «Adriano Senff», den du in deinem süßen kleinen Schmuddelmagazin hast, die Schreibe macht das Thema, nicht die Fakten. Hans-Michael, du bist ein hoffnungsloser Romantiker. Ja, ist gut, ich habs kapiert. Ja, du rufst mich Anfang nächster Woche wieder an. Ja, oder auf ein Bier, jaja, machs gut. Du mich auch! (auflegen) Eingebildetes Arschloch!

(AS tippt eine neue Nummer ein, während er auf die Verbindung wartet, überprüft er den geruchlichen Zustand seiner irdischen Hülle.)

Hallöchen Gitti, mein Schatz, hast du schon gehört, wer für Forstreuter in die Chefetage aufsteigt bei euch. Ja, ich weiß, alle sagen, dass Hans-Michael das Rennen macht, aber nun rate mal, wen ich letzte Woche im Puff getroffen habe. Ich hab ihn sofort erkannt, ich war schon mal mit ihm in der Sauna, ich sag nur vierzehn Grad Wassertemperatur, hahaha. Nein, er mich nicht! Die meisten von den Damen da kommen aus Osteuropa, ja wie überall. Nun kommts aber: Genau dieser Hans-Michael, den wir beide kennen, lehnt einen Artikel von mir über Menschenhandel mit Prostituierten aus Osteuropa ab. Komischer Zufall, nicht wahr. Finde ich auch. In einem Verlag wie eurem, der hauptsächlich Frauenzeitschriften herausgibt, hat das einen Geschmack, oder! Ich mach dir einen Vorschlag, du veröffentlichst den Artikel bei dir in der «Monique Woman» und lässt so nebenbei durchsickern, wie die Sache gelaufen ist, natürlich stimmt das. Du kannst dich bei Hans-Michael erkundigen, er wird dir bestätigen, dass ich ihm den Artikel angeboten habe. Nein, den Puffbesuch wird er dir natürlich nicht bestätigen, das ist doch wohl logisch. Ja, okeydokey, du hast den Artikel morgen Mittag bei dir auf dem Rechner, Honorar wie üblich. Alles klar. Gitti, du bist ein Schatz! Tschaui! (legt auf)

Strike!

2 Amuse-Gueule

Ein Amuse-Gueule ist ein appetitanregendes, kleines und somit mundgerechtes Häppchen, das zumeist gratis und vor der kalten Vorspeise im Rahmen eines Menüs serviert wird. «Ta gueule!», wie der Franzose auch verkürzend ruft, wenn er einem Mitfranzosen gebietet, endlich mal die Klappe zu halten, worüber dieser wenig «amusé» sein dürfte. Drum serviert das zweite Kapitel weniger schlundschmeichelnde Text-Häppchen, sondern versammelt all jene Blödiane, die uns ständig zutexten, uns mit ihrer Logorrhoe den Tag verderben, sich am eigenen Geschwätz aufgeilen – kurz, bei denen man hofft, eine gnädige Stimmbandverödung möge uns von ihnen befreien.

Die Stones in Bad Oeynhausen: Wolfgang Schrage berichtet

Und du immer noch Bielefeld? Wie fährst du da? Über Kreuz Löhne/Gohfeld. Kann man natürlich machen, wenn man von diese Seite kommt. Vonne andere Seite isses ja ne Katastrophe. Wie lange sitzen die da schon bei, also solange ich denken kann muss man durch Oeynhausen durch, eine Ampel, noch ne Ampel, hier nen Blitzer da nen Blitzer die reinste Katastrophe. Gott in seinem Zorn schuf Oeynhausen bei Paderborn, jetzt mal wegen dem dasses sich reimt, weiß ich auch dass das mehr Richtung Herford liegt. Mannomann, was ne Katastrophe, Bad Oeynhausen nennt sich das ja sogar, lachste dich kaputt, aber da is mir mal ne Sache passiert, hörzu, das war an nem Sonntagnachmittag, ich war mit unser Mutter in Hannover gewesen, Herrenhäuser Gärten, Steckrübenblüte oder was da los war, ich weiß es nich mehr, kann auch sein eins von diese dauernden Gartenfestivals. Das muss ich sagen, is ja auch wohl die größte Volksverarschung dies gibt, zahlste Eintritt für dass du dir rostige Kerzenständer angucken darfst, aber unser Mutter is ganz verrückt danach, wo wir schon überall waren, machste dir keinen Begriff von, Romantic Gardens in Bückeburg, British Weekend auf Rittergut Remeringhausen undundund bis nache Hottentotten balde runter im Lippischen, jedenfalls ich mit unser Mutter aufm Rückweg von Hannover, was da jetzt genau war weiß ich nich mehr, aber is ja sowieso eins wies andere.

Anne Raststätte Blauer See ich sie noch schön Eis ausgegeben, war an sich ne herrliche Fahrt bis wir nache Abfahrt Porta Westfalica kamen. Guck ma, sag ich zu unser Mutter, dahinten, was is da denn los. Sah man schon den Rückstau wos vonne A2 aufe A30 abgeht durch Oeynhausen. Ein Lkw nachen andern. Ich sag zu unser Mutter, Lkw? Is doch Sonntag da dürfen die doch gar nich fahren. Hatte ich auch gedacht. Was war aber? Waren das die Rolling Stones, Mick Jagger und seine Kumpels. Hör zu! Hatten am Abend vorher oder Freitag weiß ich jetzt nich mehr hatten die wohl im Niedersachsenstadion gespielt in Hannover und waren jetzt aufn Weg nach Hause, schätz ich mal oder dasse noch woanders spielen mussten. Und so Rockgruppen die haben ja ne Sondererlaubnis für ihre Lkw, sonst kämen die ja gar nich zurecht. Ich schätze mal, der musste jetzt über die A30 Richtung Osnabrück und weiter bis Rheine. Und je nachdem, welche Fähre er kriegen muss, ob die in Hok van Holland, dann fährt er Kreuz Schüttorf links ab oder wenn er nach Amsterdam muss weiter geradeaus über das Kreuz rüber is ja jetzt alles herrlich ausgebaut. Für Hok van Holland könnte er theoretisch auch schon Lotter Kreuz links ab, aber im Ruhrgebiet kann auch schon mal Stau sein, müsste er dann Verkehrshinweis anstellen, wenn er so viel Deutsch versteht, weiß ich natürlich nicht. Aber kann ja auch gut sein, dass die Stones noch einen Auftritt machen müssen, irgendwo in Holland, da bin ich natürlich dann überfragt, wie sie sich am Kreuz Schüttorf am sinnvollsten verhalten.

Aber jetzt waren se ja erst in Oeynhausen, der Mick Jagger und seine Jungs, musst du dir mal reintun steht hier vor mir aufe Abfahrt nach Oeynhausen, das hat die Welt noch nich gesehen. Hab ich gleich mal im Autoradio nachgeguckt, ob se irgendwo was vonne Stones spielen, war aber nich, bloß Heinz Rudolf Kunze, hab ich wieder ausgestellt. «Ei känn gätt no sätisfäkschen» dass ich das noch auf meine alten Tage erlebe. Und ich hab noch zu unser Mutter gesagt, guck dir das an, auch ein Mick Jagger steht in Oeynhausen im Stau, das is Demokratie, da träumen die in Russland von. Putin oder damals Breschnew die hätten doch Blaulicht rausgeholt und wären mit Karacho durch die Rettungsgasse geballert. Aber hier Mick, steht da mit vier große Auflieger kurz vor Oeynhausen im Stau, Hut ab. Stand groß dran an den Lkw: «Rolling Stones» in genau diese Schrift, die die immer haben. So war das.

Hör zu, geht noch weiter. Nach lass es ne Viertelstunde gedauert haben sind wir auch so weit dass wir in Oeynhausen sind, Mick is mit seine Lkw schon weiter weg, da fahren wir so von eine Ampel zur nächsten immer Stoppentgo, plötzlich seh ich rechts aufn Bürgersteig Kaugummipapier, ich voll in die Eisen, unser Mutter rausgejagt und mir das Papier gesichert. Wenn das Mick rausgeworfen hat, könnte immerhin sein, gut sagst du, kann auch genauso gut nich sein, da schmeißen ja jeden Tag x Leute ihr Kaugummipapier ausn Fenster, aber ich hätte mir ja zu Hause wer weiß was für Vorwürfe gemacht, wenn ich das nich mitgenommen hätte, könnte ja immerhin sein, dasses von Mick Jagger vonne Stones is. Ich habs zu Hause in das eine Album eingeklebt, wo lauter so Fundstücke von Prominenten drin sind: Zigarettenkippe von Helmut Schmidt, hab ich mal irgendwo in Hamburg gefunden, ich meine wer hat sonst Menthol geraucht in Hamburg, also war die Sache klar, ja ich hab da ne nette Sammlung hab ich da schon. Is so ne Art Hobby von mir. Und du immer noch Bielefeld? Wie fährst du da? Über Kreuz Löhne/Gohfeld. Du kommst aus Richtung Osnabrück, ja dann hast du mit Oeynhausen ja so weit nix zu tun. Sei froh, das is die reinste Katastrophe, hör zu …

Feuchter Sommer – Mike Rosinski, jetzt deutlich über vierzig, arbeitsloser Werbekaufmann

Rosinski arbeitete früher als Hundefrisör im Salon «Vier Voten» in Visselhövede (die Schreibweise war seine Idee, da er als gelernter Advertising-Profi und so weiter … blabla). Hauptsächlich hielt er sich aber für den größten Flachleger der Kleinstadt.

 

Verdammt, schon wieder ist ihm von dem Geschüttel auf der Harley der Pimmel eingeschlafen. Höchste Zeit, über ’ne Goldwing nachzudenken.

Rosinski: Okay, es war ein verdammt feuchter Sommer, mein Freund. Doch nicht für den guten alten Mike. Zum ersten Mal in all the years ist sein Gelege komplett trocken gefallen, if you know what I mean.

Seit zwanzig Jahren ist der große alte Mann des Hühnerbusiness on the road, auf dem Strip von Wie Äitsch Cie, Visselhövede Ciudad. Zwanzig Jahre, das sind umgerechnet twenty years, full of whiskey, chicks and Paracetamol. Doch in diesem summer lief nichts wie sonst. Big Mike war so down, dass er schon ans Heiraten dachte, nur damit der Hammer was zu nageln hat. Ich weiß nicht, mein Freund, ob du schon mal verheiratet warst. Heißes Wasser braucht round about eight minutes, um eine Nudel weich zu kochen, eine Ehe zwei Minuten länger. Und, believe me, good old Mike will nicht seine letzten aktiven Jahre mit einer weichen Makkaroni zwischen den Knien herumlaufen.

Okay, companero, wir blasen noch ein letztes Mal zur Jagd. Big Mike geht Biber schießen auf der Resterampe. Any idea, my friend, um was es beim Elternabend geht? Okay, I tell you: Es gehen immer nur die Mütter hin, you know, die Schwanzinhaber sind froh, dass das Geräusch weg ist. Sind die Altföten vor der Spielkonsole eingepennt, macht sich der Geräteträger eine Flasche Synapsenkiller auf und lässt sich fernmündlich einen blasen. Okay, gegen zweiundzwanzig Uhr kommt das Muttertier zurück in die Burg, schwerst genervt vom Scheißelabern auf dem Elternabend. Wie alle Frauen will es die Frustscheiße sofort am Leibeigenen abstreifen. Doch der liegt mit offener Bundfaltenjeans vor der Sitzlandschaft, eine Hand umklammert die leere Southern-Comfort-Pulle, die andere ein rosa Rattenjunges, das unter seiner Wampe festgewachsen ist. Jetzt ist es auch für Muttern Zeit, den Tütencappuccino wieder an die Sonne zu husten. Okay, padre, diese Ehe hat gerade eine mittelschwere Konjunkturdelle, Zeit für den Big Investor. The Dschi Äi Em, der gute alte Mike, betritt die scene. «Hallo, schöne Frau, so allein?»

Das randvoll gefrustete Ehegewürge hätte in dieser situation sogar einem notgeilen Braunbären die Tür geöffnet. Denn merk dir eins, mein Freund, erotische Attraktivität ist okay, aber was Frauen really auf den Rücken wirft, ist der Hass auf ihren Stammnagler. Keine two minutes later wälzt sich der gute alte Mike mit dem Rachegesäuge auf dem Nadelfilz vor der Porta-Möbelgarnitur. Das intensivste daran waren zwei verbrannte Kniescheiben vom billigen Polyacrylteppichboden. Scheiße, scheiße, scheiße.

Das ganze Jahr politischer Aschermittwoch

Der politische Aschermittwoch hat sich in Deutschland auf das ganze Jahr ausgedehnt. Insassen aller Parteien pöbeln herum und fordern ständig irgendeinen Schwachsinn, der schon im nächstfolgenden Gedankengang zum Scheitern verurteilt ist.

 

Grenzen dicht, Leute erschießen, Fluchtursachen bekämpfen, es darf keine Obergrenze geben, alle müssen integriert werden, blablabla. Wie, durch wen und in welchem Zeitraum das alles geschehen soll, darüber schweigt der fordernde Schlauberger sicherheitshalber, denn dann müsste man ja konkret werden. Alle Grenzen dicht? Sicher! Was nimmt man denn da am besten? Beton oder Stacheldraht? Mit Todesstreifen und Selbstschussanlagen? Gibt’s noch Unterlagen von der Volkspolizei inklusive Bauvoranfrage? Müsste man mal dringend nachsehen, wenn die Grenze noch zu Lebzeiten von Pegida abgedichtet werden soll.

Da ist das mit dem Erschießen schon leichter. Es reicht im Grunde rot-weißes Absperrband oder Freistoßspray. Nur einen Strich ziehen, und wer drübertritt: piffpaff aus die Maus. Wohin aber mit den Erschossenen? Die kann man zumindest nicht mehr so einfach zurückschicken, das riecht nach ewigem Bleiberecht. Was also dann? Hat Merkel recht, wenn sie sagt, man müsse vordringlich die Fluchtursachen bekämpfen? Wenn das der Krieg ist, dann muss man den ja wohl beenden, aber wie? Atombombe draufschmeißen auf den ganzen Kack da unten oder gibt es eine niederschwelligere Interventionsmöglichkeit mit zeitnahem Ergebnis? Gibt es nicht? Aha! Jedenfalls nicht mit Tante Uschis Reservearmee. Was soll dann das Gelaber von den zu bekämpfenden Fluchtursachen? Alles heiße Luft und Sand in die Augen der Trottel, die sich das anhören müssen.