Verhängnisvolle Verlockung - Nicole Jordan - E-Book

Verhängnisvolle Verlockung E-Book

Nicole Jordan

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Beschreibung

Die Demütigung, die sie einst erfuhr, kann Eleanor Pierce nicht vergessen: Ihr Verlobter Damon Staffor betrog sie mit seiner ehemaligen Geliebten. Zwei Jahre ist der Vorfall nun her – da trifft Eleanor Damon mitten in London wieder. Und noch immer fühlt sie sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Ein gefährliches Spiel der Leidenschaft beginnt ...

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Inhaltsverzeichnis
Zum Buch
Pressestimmen
Zur Autorin
Widmung
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Copyright
Zum Buch
Zwei Jahre sind vergangen, seit Eleanor ihren Verlobten Damon an der Seite einer anderen Frau sah: In trauter Zweisamkeit kutschierten sie durch den Hyde Park, und Damon schien seine Geliebte voll Stolz der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nach dieser Demütigung löste Eleanor sofort die Verlobung.
Jung, verliebt und naiv war sie damals. Heute könnte es ihr nicht noch einmal widerfahren, von einem Mann derartig enttäuscht zu werden, glaubt Eleanor - bis sie Damon wieder gegenübersteht. Mit aller Macht kehren die längst verdrängten Gefühle und Erinnerungen zurück. Zumal Damon nicht daran denkt, sich an die Gebote der Höflichkeit und des Anstands zu halten: Er kann Eleanor gar nicht schnell genug mitteilen, dass ihr momentaner Verehrer, Principe Lazzara, nicht gut genug für sie ist. Eleanor weiß nicht mehr, was sie tun soll …
Pressestimmen
»Eine starke, ans Herz gehende Geschichte über die unbedingte Liebe.« Fresh Fiction
Zur Autorin
Nicole Jordan ist eine äußerst erfolgreiche Autorin historischer Liebesromane. Ihre Bücher erscheinen regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten und wurden bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Nicole Jordan schreibt und wohnt mit ihrem Mann und ihren Pferden, der zweiten großen Liebe ihres Lebens, in Utah.
Lieferbare Titel
Spiel der SehnsuchtGlut der VersuchungSanfte Eroberung
Meinen Leserinnen - der besten Inspiration, die eine Autorin sich wünschen kann. Dieses Buch ist für euch.
Erstes Kapitel
Zeigen Sie sich niemals zu fasziniert von einem Gentleman, insbesondere dann nicht, wenn Sie es sind. Ihm Ihre Schwäche zuenthüllen, gäbe ihm die Oberhand; und eine Dame braucht alleMacht, die sie beherrschen kann, will sie am Ende triumphieren.
Eine anonyme DameRatgeber für heiratswillige junge Damen
London, September 1817
»Eleanor, meine Liebe, das Fürchterlichste, was geschehen konnte, ist eingetreten! Wrexham ist hier.«
Lady Eleanor Pierce, die am Rande des überfüllten Ballsaals stand, erstarrte angesichts der verstörenden Nachricht ihrer Tante. »»Hier? Heute Abend? In Carlton House?«
»Aber ja! Seine Ankunft wurde soeben verkündet.« Eleanors Tante und Anstandsdame, Lady Beldon, blickte äußerst missmutig drein. »Welch eine Dreistigkeit von ihm! Er sollte den Anstand besitzen, Rücksicht auf deine zarten Gefühle zu nehmen.«
Eleanor stimmte zu, dass Damon Stafford, Viscount Wrexham, der dreisteste Gentleman war, den sie kannte. Ihre zarten Gefühle indes waren gegen ein Wiedersehen mit ihm gewappnet - oder zumindest hatte sie es bis zu diesem Moment geglaubt.
Eleanor lächelte, um gefasst zu erscheinen und ihr allzu schnell pochendes Herz zu beruhigen. »Ich würde meinen, Lord Wrexham hat ein Recht, Prinnys Ball zu besuchen, Tante Beatrix. Zweifellos erhielt er, wie wir, eine Einladung.«
George, Prince of Wales und gegenwärtiger Regent Englands, lud regelmäßig in seine prächtige Londoner Residenz, Carlton House. Und manchmal stand Lady Beldon auf seiner Gästeliste, weil ihr verstorbener Gatte ein enger Jugendfreund des Regenten gewesen war.
Heute Abend drängte sich eine gleichermaßen elegante wie illustre Gästeschar in dem überheizten Herrenhaus. Ein Blick durch den Saal jedoch sagte Eleanor, dass der charmante Lebemann, der einst ihr Herz eroberte und dann darauf herumtrampelte, nirgends zu sehen war.
»Es ist unnötig, dass du dich echauffierst«, murmelte Eleanor, die sich ihre Erleichterung nicht anmerken ließ. »Wrexham steht es frei, sich in der Gesellschaft zu bewegen, wie immer es ihm gefällt.«
Ihre Tante Beatrix sah sie streng an. »Du willst ihn hoffentlich nicht in Schutz nehmen, nachdem er dich abscheulich behandelt hat.«
»Nein, gewiss nicht. Doch ich bin durchaus einer Begegnung mit ihm gewachsen, denn über kurz oder lang ließe sie sich nicht vermeiden. Er ist seit einer Woche in London, und wir bewegen uns in denselben Kreisen.«
Lady Beldon schüttelte den Kopf, bevor sie ihre Nichte besorgt ansah. »Vielleicht sollten wir gehen, Eleanor. Ich entschuldige uns bei Prinny und …«
»Ich hege keineswegs die Absicht, vor Lord Wrexham davonzulaufen, liebe Tante.«
»Dann halte dich bereit. Er könnte jeden Moment erscheinen.«
Eleanor nickte und atmete tief ein. Sie war so bereit, wie sie es nur sein konnte, den teuflisch charmanten Adligen wiederzusehen, der ihr Verlobter gewesen war.
Seit Tagen war sie vorgewarnt, dass Damon nach zweijähriger Abwesenheit wieder nach London zurückgekehrt war. Die Freundinnen ihrer Tante nämlich waren überaus bemüht, ihr den neuesten Klatsch zuzutragen. Folglich hatte Eleanor sich sorgfältig überlegt, was sie zu ihm sagen und wie sie sich verhalten würde. Sie würde sich vornehm, kühl und gänzlich gleichgültig geben, angemessen höflich, aber mehr auch nicht.
»Ich bin sehr wohl imstande, ihm mit Gelassenheit zu begegnen«, beteuerte sie. Leider straften die Schmetterlinge in ihrem Bauch sie Lügen.
Und zu allem Überfluss glaubte Tante Beatrix ihr nicht, die seiner Lordschaft bis heute nicht verziehen hatte. »Nein, meine Liebe, du solltest nicht gezwungen sein, diesen Schurken zu ertragen. Wäre er ein wahrer Gentleman, hätte er den Anstand besessen, diesem Ball fernzubleiben.«
»Er ist allen Bällen ferngeblieben«, erwiderte Eleanor gereizt. »Und das zwei Jahre lang.«
»Sei es drum, aber das war nicht lange genug! Vielmehr denke ich, er sollte ganz aus der feinen Gesellschaft verbannt werden.«
Bedauerlicherweise dürfte Damons Vergehen kaum eine solch harte Strafe rechtfertigen, dachte Eleanor. »Ich vermute, dass ein Bann etwas zu weit ginge, teure Tante.«
»Ginge er mitnichten. Und ich werde mir niemals verzeihen, dich mit dem verschlagenen Unhold bekanntgemacht zu haben.«
»Dich trifft keine Schuld. Zudem hast du uns eigentlich nicht vorgestellt, wie du sicher erinnerst.«
Ihre Tante winkte elegant ab. »Wrexham hat dich bei meiner jährlichen Hausgesellschaft kennengelernt, was dasselbe ist wie ein Bekanntmachen. Hätte ich ihn nicht in unserem Haus empfangen, wärst du nie der Verletzung und Lächerlichkeit ausgesetzt worden. Aber er war ein Freund von Marcus. Wie sollten wir erahnen, dass er sich als ein solcher Libertin erweist?«
Ja, wie?, fragte Eleanor sich.
Ihr geliebter großer Bruder hatte eine sehr hohe Meinung von Damon gehabt, bis es zur ereignisreichen Auflösung der Verlobung kam - wie sie ebenfalls. Mit seinem umwerfenden Aussehen und seinem skrupellosen, leichtsinnigen Charme verkörperte Damon die wilden Fantasien einer jeden jungen Frau, und den Alptraum einer jeden Mutter oder Anstandsdame.
Was mütterliche Qualitäten betraf, war Beatrix Attree, Viscountess Beldon, denkbar spärlich gesegnet. Dennoch hatte sie die damals erst zehnjährige Eleanor nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufgenommen und war seitdem ihre Anstandsdame. Und Beatrix liebte Eleanor genau so, wie sie überhaupt jemanden lieben konnte.
Ihre Ladyschaft war durch und durch Aristokratin mit sehr klaren Vorstellungen, was sich ziemte und was nicht. Anfänglich hatte sie Lord Wrexham trotz des Rufes, der ihm vorauseilte, manches nachgesehen, weil er einen illustren, jahrhundertealten Titel trug und noch vermögender war als ihre Nichte.
Eleanor selbst scherte sich herzlich wenig um Damons Titel oder Reichtum. Sie war schlicht von ihm fasziniert gewesen. In dem Moment, in dem sie einander erstmals begegneten, hatte es sie wie ein Blitz getroffen, und sie fühlte sich auf eine Weise zu ihm hingezogen, wie sie es zuvor nie erlebt hatte.
Sich in ihn zu verlieben, war geradezu lächerlich einfach gewesen.
Natürlich ließe sich ihre Naivität damit entschuldigen, dass sie zu jener Zeit relativ jung war, erst neunzehn Jahre alt. Und ihr Mädchenherz sehnte sich nach einer romantischen Liebe, nach einem Verehrer, der sie fiebrig machte und ihr das Gefühl gab, begehrt zu sein. Was Damon tat.
Während der wenigen Wochen, die seine Werbung und ihre Verlobung andauerten, war sie verzaubert gewesen. Sie glaubte fest, sie beide wären füreinander bestimmt und Damon der Mann ihrer Träume. Und sie hatte erwartet - gehofft - bis ans Ende ihrer Tage als seine Ehefrau glücklich zu sein. Bis zu jenem schicksalhaften Morgen vor zwei Jahren, als sie ihn sah, wie er mit seiner wunderschönen Mätresse durch den Hyde Park kutschierte. Nicht bloß gab er sich keine Mühe, seine Affäre geheim zu halten, nein, er brüstete sich auch noch damit!
Eleanor fühlte sich so verletzt und betrogen, dass sie die Verlobung umgehend löste und schwor, nie wieder mit Damon zu tun zu haben. Er hatte ihr das Herz gebrochen, sie der Peinlichkeit ausgesetzt und überdies ihren Stolz beschädigt. Bis heute konnte sie nicht umhin, einen Anflug von Wut zu empfinden. Aber sie würde nicht feige vor einem Wiedersehen mit ihm fliehen!
»Nun«, unterbrach Lady Beldon ihre Gedanken, »wenn du partout hierbleiben willst, tätest du gut daran, Prinz Lazzara an deiner Seite zu behalten, falls Wrexham die Stirn hat, sich dir zu nähern.«
»Das werde ich, Tante. Seine Hoheit ist nur kurz einige Erfrischungen für uns holen gegangen.«
Principe Antonio Lazzara di Terrasini war ein italienischer Adliger, der in Begleitung seines älteren, entfernten Cousins, Signor Umberto Vecchi, nach England gekommen war. Letzterer wurde als Diplomat an den englischen Hof gesandt. Angeblich war der Prinz hier auf der Suche nach einer Braut und hatte Lady Eleanor in die engere Wahl gezogen.
Eleanor wusste sehr wohl, dass ihre Reize wenig mit ihrem Charakter oder gar ihrem Verstand zu tun hatten. Vielmehr war sie eine ausgesprochen gute Partie, hatte sie doch ein beträchtliches Vermögen von ihrer Mutter geerbt. Zudem war sie die Tochter eines Barons und die Schwester eines Earls, seit ihr Bruder Marcus unlängst den Titel eines Verwandten erbte.
Trotzdem hatte Eleanor noch nicht entschieden, wie ernsthaft sie wünschte, als künftige Prinzessin in Betracht gezogen zu werden. Zugegeben, er war eine angenehme Erscheinung. Stattlich, gewinnend, charmant und witzig, noch dazu mit einer sinnlichen Stimme und dunklen Augen, war er der Inbegriff des romantischen Verehrers. Überdies war er, soweit man hörte, kein solcher Lebemann wie Damon.
Und nach ihrer desaströsen Verlobung mit Damon - gefolgt von einer zweiten, noch kürzeren, mit einem anderen Adligen kurz danach - wollte Eleanor unbedingt, dass ihre nächste tatsächlich mit einer Heirat endete. Allerdings war sie auch nur bereit, einen Mann zu ehelichen, den sie liebte und der ihre Liebe erwiderte.
In diesem Moment legte sich Stille über den Saal. Eleanor nahm an, dass Prinny mit seiner Entourage angekommen war. Als ihre Tante sich jedoch spürbar versteifte und »Wenn man vom Teufel spricht« murmelte, begriff sie, dass es nicht allein seine Königliche Hoheit war, die aller Aufmerksamkeit gefangennahm.
Damon Stafford, Viscount Wrexham, stand neben dem Regenten und zog alle Blicke, einschließlich Eleanors, auf sich.
Alsdann begannen die Gäste, sich vor Prinny zu verneigen, während Lord Wrexham die elitäre Gesellschaft gelassen musterte - und von ihr gemustert wurde.
Nur vage nahm Eleanor das aufgeregte Tuscheln der Damen wahr, das dem adligen Neuankömmling galt, denn sie war wie betäubt von dem charismatischen Damon, der den ganzen Saal mit seiner Präsenz auszufüllen schien.
Seine kantig maskulinen Züge waren noch genauso umwerfend, wie Eleanor sie erinnerte, obgleich sein Teint nach den Reisen durch Europa deutlich sonnengebräunter war. Sein Haar war dunkel, ohne den blauschwarzen Schimmer ihres eigenen, und seine Augen unter den strengen Brauen und dichten Wimpern waren nach wie vor vom tiefsten, verführerischsten Braun …
Eleanors Verstand verließ sie abrupt, als selbige Augen ihren begegneten.
So sehr sie sich auch für diesen Moment gewappnet hatte, erstarrte sie und wunderte sich, dass man gleichzeitig von Hitzewellen und Kälteschauern heimgesucht werden konnte. Zudem hatte sie auf einmal Mühe mit dem Atmen.
Ihn wiederzusehen hatte dieselbe Wirkung auf sie wie ihre erste Begegnung vor zwei Jahren: als schlüge ein Blitz aus heiterem Himmel ein.
Unwillkürlich legte sie eine Hand auf ihre Brust, um ihr wild pochendes Herz zu beruhigen. Was natürlich sinnlos war, zumal sie auch noch weiche Knie bekam und ihre Hände zu schwitzen begannen.
Was für eine Närrin sie gewesen war, etwas anderes zu erwarten! Kein Mann hatte sie jemals so entflammt oder solche Empfindungen in ihr auslösen können wie Damon.
Im Geiste schalt sie sich und streckte die Schultern nach hinten. Ich werde keine Szene machen, schwor sie stumm. Nicht vor all diesen Leuten.
Ein Raunen ging durch die Menge, und alle sahen zu ihr. Schließlich war allgemein bekannt, dass sie Viscount Wrexham wegen seines lockeren Lebenswandels den Laufpass gab, und nun waren sie neugierig, wie Eleanor dieses Wiedersehen aufnahm.
»Ich habe Ihnen Champagner gebracht, Donna Eleonora.«
In ihrem ganzen Leben war Eleanor noch keine Ablenkung willkommener gewesen als die samtige Stimme mit dem italienischen Akzent, die sie aus ihren Gedanken riss.
Sie wandte den Blick von Damon ab und bedachte Prinz Lazzara mit einem strahlenden Lächeln. Von der Ankunft ihres früheren Verlobten würde sie sich nicht den Abend verderben lassen.
Wenigstens heute Abend wollte sie die bittersüßen Erinnerungen an ihre glücklose Romanze weit von sich weisen.
Eleanors Entschlossenheit überdauerte beinahe zwei Stunden, bis Prinz Lazzara sie einlud, ein wenig durch den Garten zu schlendern. Froh, der Wärme und dem Gedränge in Carlton House zu entkommen, ließ Eleanor ihre Tante in der charmanten Gesellschaft des distinguierten Signor Vecchi und ging mit dem jungen Italiener hinaus.
In den höchsten Kreisen fand man Prinnys Geschmack gemeinhin fragwürdig, um es gelinde auszudrücken, aber Eleanor gab zu, dass die chinesischen Laternen im Garten etwas Märchenhaftes hatten. Das flackernde goldene Licht spiegelte sich in zahlreichen Springbrunnen und Zierteichen, was Eleanor prompt an einen anderen Abend erinnerte - und an einen anderen schimmernden Springbrunnen, der eine bedeutende Rolle in ihrer Zeit mit Damon spielte. An einem Brunnen hatte er sie erstmals geküsst.
Erst als der Prinz sie ansprach, löste sie sich aus der Erinnerung. »Warum sehen Sie immerzu auf diesen Brunnen, mia signorina?«
Ja, warum? Eleanor errötete. Sie sollte weder an Damons gestohlenen Kuss denken noch daran, dass sie ihn für seine dreiste Impertinenz in den Brunnen stieß.
»Der Anblick ist bezaubernd, finden Sie nicht?«, fragte sie harmlos.
Prinz Lazzara nickte. »In den Palastgärten bei mir zu Hause haben wir viele schöne Springbrunnen. Vielleicht haben Sie eines Tages Gelegenheit, sie zu sehen.«
Sein Lächeln deutete an, dass sich eine solche Gelegenheit ergäbe, wenn sie als seine Braut mit nach Italien käme, doch dem maß Eleanor keine allzu große Bedeutung bei. Immerhin war der Prinz bekannt für sein Talent, dem schönen Geschlecht zu schmeicheln.
»Wollen Sie mir von Ihrem Zuhause erzählen, Hoheit? Ich war noch nie in Italien, aber ich hörte, es gäbe dort sehr viele Sehenswürdigkeiten.«
Zu ihrer Erleichterung stürzte sich Don Antonio nun in einen schwärmerischen Vortrag über die Südhälfte seines Landes, die kürzlich von den herrschenden Kräften Europas zum Königreich beider Sizilien geeint wurde und deren von ihm regierter Teil am Mittelmeer lag.
Eleanor lauschte ihm höflich, allerdings nur mit einem halben Ohr, denn zu ihrem Verdruss konnte sie nicht aufhören, den Erinnerungen an Damon nachzuhängen.
Schon wenige Tage nach ihrem Kennenlernen bei ihrer Tante hatte er sich mehr Freiheiten bei ihr herausgenommen, als sie es sich jemals erträumt hätte, indem er sich einen Kuss stahl. Dass sie ihn empört in den Brunnen schubste, wo er vollständig durchnässt wurde, schien ihn auf unerklärliche Weise erst recht für sie zu begeistern.
Zwei Wochen später hatten sie sich verlobt.
Eleanor hatte da schon längst ihr Herz an ihn verloren, und das nicht weil er wohlhabend, adlig und sündhaft gut aussehend war. Auch hatte es nichts mit Damons Charme, seinem Witz oder der Mühelosigkeit zu tun, mit der er sie glauben machte, sie wäre die begehrenswerteste Frau der Welt. Was sie betörte, war, dass er sie herausforderte und sie sich bei ihm lebendig fühlte. Er linderte die Einsamkeit, die Eleanor seit ihrer Kindheit empfand.
Und sie lockte nicht bloß sein umwerfendes Aussehen, sondern vor allem die geistige Verbindung, die beinahe sofort zwischen ihnen entstand. Mit ihm konnte sie über ihre Sehnsüchte und ihre Träume sprechen, ihm ihre persönlichsten Gedanken und Geheimnisse anvertrauen.
Hingegen war Damon weit zurückhaltender gewesen, was seine eigenen Gefühle anging. Ihr war, als würde er einen Teil von sich vor der Welt, insbesondere vor ihr, verbergen.
Seinerzeit jedoch war sie zuversichtlich gewesen, die Mauern eines Tages durchbrechen zu können, die er um sich herum errichtet hatte. Und weil sie beide hinsichtlich Temperament, Witz und Leidenschaft so vollkommen zusammenzupassen schienen, war Eleanor sicher gewesen, dass der allgemein berüchtigte Herzensbrecher lernen würde, sie allein zu lieben.
Dann jedoch erfuhr sie, dass er seine langjährige Mätresse nicht aufgegeben hatte, wie er sie glauben machen wollte.
Womit er ihr Vertrauen unwiderruflich zerstört, ihren Stolz mit Füßen getreten und ihr verwundbares junges Herz gebrochen hatte.
Mit der Zeit schrumpfte ihr Schmerz zu einem bittersüßen Ziehen, das Eleanor ab und zu überkam. Heute Abend indes, als sie sich von Angesicht zu Angesicht mit Damon fand, lebte er erneut auf.
Es sollte ihr gleich sein, ob er wieder in London war oder nicht. Zwar hegte sie noch ein gewisses Maß an Wut auf ihn, doch sann sie weder auf Rache noch wünschte sie ihm Schlechtes. Stattdessen hatte sie sich gewappnet, ihm gefasst gegenüberzutreten, sollte es zu einer Begegnung kommen.
Dennoch ertappte Eleanor sich dabei, wie sie am königlichen Arm von Prinz Lazzara durch den Garten promenierte und nach dem englischen Adligen Ausschau hielt, der mit seinem Erscheinen ein solches Chaos in ihr ausgelöst hatte.
Vielleicht erschrak sie deshalb, als eine Gestalt aus dem Schatten hervortrat.
Es handelte sich um einen livrierten Diener, der von Signor Vecchi geschickt wurde, um den Prinzen zu holen. Der italienische Diplomat wollte ihn mit einigen wichtigen Leuten bekanntmachen.
Als Don Antonio ihr seinen Arm bot, damit er sie in den Ballsaal zurückbegleiten könnte, lehnte sie lächelnd ab. Sie verspürte nicht den geringsten Wunsch, allzu schnell wieder in das Haus zu gehen, in dem sie Damon treffen könnte. »Ich denke, ich bleibe noch ein wenig länger im Garten, Hoheit. Gleich dort drüben sind einige Bekannte von mir, denen ich mich anschließen kann.«
Allein wäre sie ohnehin nicht, denn mehrere kleine Gruppen von Gästen genossen die laue Abendluft, unter ihnen auch einige Damen, die Eleanor kannte. Und ihre Tante wusste schließlich, wo sie war.
Zum Glück wollte der Prinz sie weder umstimmen noch ermahnen, weil sie ohne Begleitung blieb, sondern verneigte sich galant und versprach, bald wiederzukommen. Eleanor blickte ihm nach, bevor sie sich in die entgegengesetzte Richtung wandte, um zu den anderen Damen zu gehen.
Als abermals eine Gestalt aus der Dunkelheit auftauchte, blieb ihr das Herz stehen. Die breiten Schultern erkannte sie sofort, ganz zu schweigen von dieser einzigartigen Aura von Kraft, Vitalität und Gefahr.
»Elle«, sagte Damon schlicht.
Es versetzte Eleanor einen Stich, dass er sie mit dem französischen Wort für »sie« ansprach, das er einst als Kosenamen benutzte.
Vergeblich mühte sie sich, zu atmen. Weder bekam sie Luft, noch konnte sie sprechen, da ihr Hals vollkommen ausgetrocknet war und ihr ein wenig schwindlig wurde. Damon lähmte sie und machte sie sprachlos, sie, die niemals um Worte verlegen war. Zum Teufel mit ihm!
Eleanor machte sich gerade. »Lord Wrexham«, sagte sie und nickte.
Den Kopf zur Seite geneigt, betrachtete Damon sie eindringlich. »Offenbar hast du beschlossen, mich distanziert höflich zu behandeln. Ich gestehe, das erfüllt mich mit großer Erleichterung.«
»Erleichterung? Was hattest du von mir erwartet, Mylord? Dass ich dich ohrfeige?«
Der Anflug eines Lächelns huschte über seine Züge. »Wenn ich mich recht entsinne, tatest du es bei unserer letzten Begegnung.«
Eleanor wurde rot. Das letzte Mal war sie zutiefst verwundet gewesen und hatte ihren Zorn an Damons schönem Gesicht ausgelassen, als sie die Verlobung löste.
»Selbstverständlich«, sagte er und rieb sich die linke Wange, »hatte ich deine Wut verdient.«
»Das hattest du fraglos«, pflichtete Eleanor ihm bei, wenngleich ein kleines bisschen peinlich berührt. »Aber du darfst versichert sein, dass ich heute Abend nichts Unangemessenes tun werde. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst …«
Sie machte Anstalten, an ihm vorbeizugehen, doch Damon berührte ihren Arm. »Bitte, bleib einen Moment. Ich habe eigens dafür gesorgt, dich allein zu sprechen, bevor wir uns in der Öffentlichkeit begegnen müssen.«
Als sie begriff, sah sie mit großen Augen zu ihm auf. »Du arrangiertest es, mich allein im Garten zu treffen? Du ließt Prinz Lazzara von einem Diener weglocken?« Sie merkte, dass sie ihre Stimme erhoben hatte, und flüsterte: »Welch eine Dreistigkeit!«
Damon schmunzelte reumütig. »Es ist wahr, dass ich mich der Manipulation schuldig machte, doch fand ich, wir sollten bestimmte Dinge besser untereinander klären, und ich war mir nicht sicher, was du tätest, würde ich dich inmitten der anderen Gäste ansprechen. Ich hoffe inständig, du wirst mich jetzt nicht gleich wieder in einem Brunnen versenken oder Schlimmeres.«
Eleanor zog skeptisch eine Braue hoch. »Ach ja? Hier sind reichlich Brunnen in der Nähe.«
»Dann bitte ich dich, deinen Vergeltungsdrang zumindest solange hinauszuzögern, bis du mich angehört hast.«
Was ihr schwerer fallen würde, als sie gedacht hätte. Trotzdem hielt Eleanor den Mund, als Damon fortfuhr. »Ich bezweifle, dass du mir bereitwillig vergeben möchtest, was vor zwei Jahren geschah …«
»Was in aller Welt bringt dich auf den Gedanken?«, fiel sie ihm ins Wort. »Nur weil du mich vor allen Leuten der Lächerlichkeit preisgabst und zu einem bemitleidenswerten Geschöpf machtest, denkst du, es fehlte mir sogleich an Großmut?«
»Niemand würde dich je für ein bemitleidenswertes Geschöpf halten, Elle.«
Sie erstarrte. »Ich würde es vorziehen, wenn du mich nicht bei diesem albernen Namen nennst. Die korrekte Anrede wäre ›Lady Eleanor‹.«
»Ach ja, ich hörte, dass Marcus beantragte, deinen Titel seinem neuen gemäß anzuheben. Na schön, Lady Eleanor, würdest du mir eine kurze Audienz gewähren?«
Damons Höflichkeit zerrte an ihren Nerven. »Was wünschst du mir zu sagen, Lord Wrexham? Es ist überflüssig, dich für dein widerwärtiges Benehmen zu entschuldigen, liegt es doch schon einige Zeit zurück. Die Angelegenheit ist vorbei, und ich verschwende nur noch höchst selten einen Gedanken daran.«
Auf ihre Lüge hin nahm sein Gesicht einen seltsamen Ausdruck an, den sie nicht deuten konnte. »Ich bedaure, dich verletzt zu haben, Eleanor, aber als ich das Gespräch heute Abend suchte, geschah es nicht in der Absicht, mich zu entschuldigen.«
»Und was war es dann, dass dich veranlasste, zu solcher List zu greifen?«
»Ich hoffte, wir könnten Frieden schließen, was in meinem Interesse wäre, mehr jedoch noch in deinem liegen sollte.«
»In meinem Interesse? Wie das?«
»Ich möchte nicht, dass deine Reputation unter meinen früheren Verfehlungen leidet, daher hoffte ich, wir könnten jede Unbeholfenheit meiden, wenn wir erstmals wieder gemeinsam in der Öffentlichkeit gesehen werden. Selbst wenn du mich nur schneidest, würde es den bösen Zungen reichlich Futter geben.«
»Dem stimme ich zu. Wir können uns höflich benehmen, wenn wir uns offiziell begegnen.«
»Ich dachte, wir könnten heute Abend einen Schritt weitergehen, beispielsweise indem ich dich zum Tanz auffordere. Ein schlichter Kontredance, mehr nicht«, fügte Damon hinzu, als sie misstrauisch wurde.
»Warum in aller Welt sollte ich mit dir tanzen wollen?«
»Um mögliche Gerüchte im Keim zu ersticken.«
»Ganz im Gegenteil. Würde ich mit dir tanzen, blühte der Klatsch erst richtig auf, weil es den Anschein hätte, als pflegten wir erneut vertrauten Umgang. Nein, derlei Maßnahmen sind gänzlich unnötig, Damon. Aber ich werde dich nicht schneiden, sollte ich dir begegnen. Wenn das also alles wäre …«
»Geh noch nicht.«
Obwohl die leise gesprochenen Worte weder wie eine Bitte noch wie ein Befehl klangen, blieb Eleanor sofort stehen. Die Versuchung war überwältigend, dabei behagte ihr nicht einmal, in seiner Nähe zu sein, ganz besonders nicht allein und im Dunkeln. »Ich möchte nicht mit dir allein gesehen werden«, begann sie.
»Das ließe sich umgehen.«
Zu ihrem Schrecken nahm Damon ihren Arm und zog sie wenige Meter weiter vom Kiesweg hinunter und hinter eine gestutzte Eibe.
Eleanor protestierte nicht, was sie eigentlich sollte. Vielleicht war es wirklich besser, dass sie sich zunächst unter vier Augen wiedersahen und alles »Unangenehme« hinter sich hätten, ehe sie sich in der Öffentlichkeit trafen. Aber natürlich würde sie sich nicht wortlos fügen.
»Ich verstehe beim besten Willen nicht, was du beabsichtigst«, sagte sie ziemlich schnippisch. »Wir dürften wohl alles besprochen haben, was es zu besprechen gibt.«
»Nicht doch. Nach zwei Jahren haben wir einiges nachzuholen.«
Eleanor wollte nichts nachholen. Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken, was Damon in der Zeit angestellt hatte, mit welchen Damen er sich vergnügte, oder wie einsam und verlassen sie sich gefühlt hatte, als er fortging.
»Wie ich hörte, hast du den Kontinent bereist«, rang sie sich höflich ab.
»Größtenteils ja. Die meiste Zeit verbrachte ich in Italien.«
»Und bist du nach England zurückgekommen, um hierzubleiben?«
»Zumindest für eine Weile. So sehr ich meine Reisen genoss, sehnte ich mich nach meiner Heimat.«
Neid regte sich in Eleanor, denn sie hatte sich stets gewünscht, andere Länder zu sehen. Allerdings war es höchst unanständig für eine junge Dame, ohne Begleitung durch die Welt zu reisen, wie ihre Tante beteuerte, wann immer Eleanor ihren Wunsch äußerte. Zudem war Europa ausgesprochen gefährlich gewesen, bis Napoleon vor drei Jahren besiegt wurde. Aber eines Tages würde sie mehr von der Welt sehen als ihr eigenes Land.
Sie erschrak, als Damon eine Locke auf ihrer Stirn berührte. Für einen Moment glaubte sie, er wolle das schmale Seidenband richten, das sie im Haar trug und das mit blauen Straußenfedern verziert war, die zu ihrem blassblauen Seidenkleid passten.
»Dein wunderschönes Haar. Warum zum Teufel hast du es abgeschnitten?«
Die Frage verblüffte Eleanor. Ihre kürzere Frisur entsprach durchaus der gegenwärtigen Mode, und gewiss würde sie nicht zugeben, dass sie ihre rabenschwarzen Locken aus lauter Trotz vor zwei Jahren abschnitt, weil Damon ihr langes Haar so gern gemocht hatte.
»Was kümmert es dich, Mylord?«, konterte sie. »Du hast kein Recht, dich über meine Frisur auszulassen.«
»Stimmt.«
Mit einem gelassenen Achselzucken wechselte er das Thema. »Wie geht es Marcus?«
Eleanor entspannte sich, denn solange Damon über Unkompliziertes wie ihren Bruder sprechen wollte, war alles bestens. »Es geht ihm sehr gut.«
»Wie ich erfuhr, hat er diesen Sommer geheiratet.«
»Ja, Marcus heiratete Miss Arabella Loring aus Chiswick. Zurzeit sind sie in Frankreich, wo sie Arabellas Mutter in der Bretagne besuchen, zusammen mit den jüngeren Schwestern, die sich gleichfalls kürzlich vermählt haben. Ich glaube, du kennst auch ihre Ehemänner, den Duke of Arden und den Marquess of Claybourne.«
»Ja, ich kenne beide gut. Mich erstaunt, dass sie alle drei sich so plötzlich in den Ehestand begaben. Ich hielt sie für überzeugte Junggesellen.«
»Eheschließung ist nicht ansteckend, falls dir das Sorge bereitet.«
Damon grinste. »Glaub mir, ich bin von jedwedem Wunsch zu heiraten kuriert.«
Eleanor biss sich auf die Lippe, da sie vermutete, sie wäre diejenige gewesen, die ihn kuriert hatte.
Es folgte eine längere Pause, und so wie Damon sein Gesicht verzog, bereute er seine Bemerkung. Er klang ernster, als er sagte: »Ich erfuhr außerdem, dass du dich verlobtest, kurz nachdem ich England verließ, es aber nicht von Dauer war.«
Trotzig reckte sie das Kinn. »Nein, war es nicht.« Ihre zweite Verlobung hatte sie sehr schnell gelöst, denn sie kam ohnehin nur aus Trotz und Schmerz zustande. »Ich entschied, dass ich doch nicht willens war, mich auf eine Vernunftehe einzulassen. Ich liebte ihn nicht und er mich nicht.«
Ich liebte dich noch, Damon, dachte sie.
Damons Stimme wurde noch leiser. »Es war zum Besten, dass du unsere Verlobung löstest. Ich hätte dir mein Herz nicht schenken können.«
»Konntest du nicht oder wolltest du nicht?«
»Mir scheint da kein Unterschied zu bestehen. Und du verdientest einen besseren Ehemann.«
»Ja, tat ich.«
»Und nun macht dir Prinz Lazzara den Hof.«
Eleanor zögerte. »Ich würde nicht unbedingt sagen, dass er mir den Hof macht. Der Prinz kam nach England, um sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen.«
»Und nach einer Braut zu suchen?«
»Wie man sich erzählt.«
»Mich überrascht nicht, dass er besonderes Interesse an einer schönen Erbin zeigt.«
Das war verletzend. »Denkst du, ihm ginge es einzig um mein Vermögen?«
»Gewiss nicht«, antwortete er mit einem trägen Lächeln. »Aber ich brauche dir wohl kaum deine zahlreichen Reize aufzuzählen. Ebenso wenig wie Lazzara. Der Mann wäre ein Idiot, sich nicht gleichermaßen von dir wie von deinem Vermögen angezogen zu fühlen.«
Wohingegen du dich nicht mehr zu mir hingezogen fühlst?, fragte Eleanor sich. Was sie indes laut aussprach, war: »Dir sollte gleich sein, ob er erwägt, mir den Hof zu machen.«
»Sei es drum, ich mache mir Sorgen. Er könnte von Glück reden, dich zur Frau zu bekommen, Eleanor, aber du hast einen besseren Ehemann verdient. Er ist nicht gut genug für dich.«
Sie sah ihn verwundert an. »Wie kannst du das wissen?«
»Weil ich dich kenne.«
Eleanor wusste nicht, was sie davon halten sollte, also zuckte sie mit den Schultern. »Mir scheint es ziemlich anmaßend von dir, ein Urteil über meine Verehrer zu fällen, Lord Wrexham.«
»Tja, du weißt, dass ich überaus anmaßend sein kann.«
Und ob sie das wusste, ging es Eleanor durch den Kopf, als Damon plötzlich näher kam.
Er stand keinen halben Meter entfernt vor ihr und schaute sie an. Während sein Blick sie festhielt, vollführte Eleanors Herz einen Purzelbaum. Gütiger Himmel, hatte Damon vor, sie zu küssen? Niemals würde sie den Kitzel seiner Küsse vergessen, den Geschmack seines festen, sinnlichen Munds, der sich langsam auf sie zu …
Eleanors Atmung versagte endgültig, als Damon mit der Fingerspitze über ihren Wangenbogen strich. Seine Nähe, seine Wärme, sein Duft waren zu viel. Dann, als könnte er gar nicht anders, glitt er mit einer Hand in ihren Nacken, neigte den Kopf und bedeckte ihre Lippen mit seinen.
Der köstliche Schrecken machte es ihr unmöglich, sich zu rühren. Alle Gedanken schwanden unter seinem sanften Kuss.
Unweigerlich erwiderte sie seinen Kuss, worauf Damon ihn vertiefte, als wollte er sich aufs Neue damit vertraut machen, wie sie schmeckte und sich anfühlte.
Der Zauber des Moments weckte eine Vielzahl von Empfindungen in ihr, keine jedoch könnte sie veranlassen, ihm zu entfliehen. Damon hielt sie vollständig in seinem Bann. Und die Süße, die Zärtlichkeit sowie die Hitze weckten eine Sehnsucht in ihr, die sie erbeben machte.
Auf ihr tonloses Seufzen hin zog er sie noch näher zu sich, so dass ihr Körper an seinen gedrückt war. Wehrlos ergab sie sich dem Sinnenrausch.
Dann umfasste eine seiner Hände ihren Busen, und sogleich durchfuhr sie ein Gefühl, dass sie erinnerte, wie mühelos er ihr Verlangen erregte.
Und das sie erinnerte, welchen Schmerz er ihr bereiten konnte.
Sogleich sträubte Eleanor sich gegen jede sinnliche Regung, die Damon in ihr weckte. Er hatte es schon einmal getan und ihr das Herz gebrochen.
Dieser Gedanke gab ihr die Kraft, sich umso energischer gegen ihn zur Wehr zu setzen. Sie raffte all ihre Willensstärke zusammen und stemmte die Hände gegen seine Brust, um sich aus seiner verführerischen Umarmung zu befreien.
Als Damon sie nicht gleich losließ, stieß Eleanor ihn in der Hoffnung, er würde in die Eibenhecke fallen. Anscheinend war er auf genau das vorbereitet, denn er griff lose ihre Oberarme, damit er nicht das Gleichgewicht verlor.
Unterdes setzte er den Kuss fort. Eleanor sah keine andere Möglichkeit, also holte sie mit einem Fuß aus und trat ihm gegen das weißbestrumpfte Schienbein unter der weißen Kniebundhose.
Umgehend lockerte er seine Umarmung, und Eleanor glaubte sogar, einen erstickten Schmerzenslaut zu vernehmen.
Rasch entwand sie sich ihm und wich zurück.
Atemlos mühte sie sich, ihre vernebelten Sinne zu klären, während sie zu ihm aufsah.
Wie so oft, waren seine Züge verschlossen. Aber dort war auch kein Zeichen von Triumph, wie sie es befürchtet hatte.
»Vergib mir, ich ließ mich hinreißen«, sagte er heiser.
Wie sie leider auch, gestand Eleanor sich ein. Sie war wütend auf Damon, weil er sie bezauberte, bis sie seine Küsse erwiderte, und zugleich fühlte sie sich merkwürdig leer ohne seine Berührung.
»Donna Eleanora?«, rief eine tiefe Männerstimme ganz in der Nähe.
Prinz Lazzara war zurückgekommen und suchte nach ihr!
Sie hoffte inständig, dass ihre Lippen nicht zu feucht und geschwollen waren, als sie hinter der Hecke hervorlief. »Ja, Hoheit?«
Don Antonio lächelte sie charmant an, als er sie entdeckte, doch sein Lächeln erstarb in der Sekunde, in der er Damon hinter ihr erblickte.
Mit glühenden Wangen erklärte Eleanor rasch: »Ich traf einen alten Bekannten, wie Sie sehen. Und eben erzählte ich Lord Wrexham, dass mein Bruder kürzlich geheiratet hat.«
»Lord Wrexham?«, wiederholte Prinz Lazzara, der Damon sehr streng beäugte.
Damon hingegen schien vollkommen gelassen. »Möchten Sie uns bekanntmachen, Lady Eleanor?«
Als sie es widerwillig tat, musterte der Prinz Damon von Kopf bis Fuß, und offensichtlich gefiel ihm nicht, was er sah. Dann verbeugte er sich steif und entließ Damon, indem er Eleanor seinen Arm anbot. »Wollen wir unseren Spaziergang fortsetzen, cara mia?«
Dankbar legte sie ihre Hand in seine Ellbogenbeuge, murmelte ein höfliches »Guten Abend, Sir« zu Damon und wandte sich von ihm ab.
Eleanor war ungemein erleichtert, als sie sich von Prinz Lazzara wegführen ließ. Ihr wildes Herzklopfen beruhigte sich ein wenig, obgleich sie wütend auf sich selbst war, weil sie sich nach Damons Küssen sehnte. Wie konnte das sein, wo sie doch mehr als nur einen Rest Wut und Schmerz ob seines Verrats vor zwei Jahren empfand? Wenigstens hatte es sich gut angefühlt, ihn zu treten, auch wenn ihre Zehen dabei nicht minder gelitten haben dürften als Damons Schienbein.
So oder so hatte sie das erste Wiedersehen überstanden. Zugegeben, sie hatte sich erbärmlich gehalten, aber es war vorbei.
Und zu allem Überfluss musste der Prinz nun fragen: »Ist Lord Wrexham nicht der Gentleman, mit dem Sie einst verlobt waren?«
Da war mehr als Neugier in seinem Tonfall. In seiner Frage schwang eindeutig Eifersucht mit.
»Für eine sehr kurze Zeit«, antwortete sie mit einem strahlenden Lächeln. »Meine Gefühle für Wrexham erkalteten schnell, wie ich Ihnen versichern kann. Heute bedeutet er mir nichts mehr. Ich bin über ihn hinweg. Er ist lediglich ein Freund meines Bruders.«
Trotzdem konnte Eleanor nicht umhin zu bemerken, dass ihre Beteuerungen selbst in ihren eigenen Ohren nicht zu überzeugen vermochten. Sie war nicht über Damon hinweg, was der Kuss eben bewiesen haben dürfte.
Natürlich wäre jede Frau seiner sinnlichen Attacke erlegen. Damons Küsse waren magisch, leidenschaftlich, schwindelerregend. Und das Schlimmste war, dass sie deren Nachwirkungen noch sehr deutlich spürte.
Zum Teufel mit ihm!
Ich hätte ihn fester treten sollen, dachte Eleanor. Der Schmerz hätte sie daran erinnert, wie gefährlich Damon ihr nach wie vor war.
Nun konnte sie bloß hoffen, dass es nie wieder zu einer Begegnung unter vier Augen mit ihm kam. Denn ihr war nicht zu trauen, sollte er wieder versuchen, sie zu küssen.
Und falls er es tat? Nun, allem Anschein nach könnte sie Damons verwegenem Charme abermals erliegen, und das durfte sie um keinen Preis geschehen lassen!
Zweites Kapitel
Spielen Sie hin und wieder die verzweifelte junge Dame. Ihre offenkundige Hilflosigkeit gestattet ihm, sich überlegen zu fühlen, und Gentlemen genießen es über die Maßen, überlegen zu sein.
Eine anonyme DameRatgeber für heiratswillige junge Damen
Finsterer Miene verließ Damon Carlton House, um in seine Stadtkutsche zu steigen. Er hatte erwartet, Eleanor heute Abend wiederzusehen, hatte sogar geplant, sie unter vier Augen zu sprechen - was er mit einiger Mühe arrangierte. Aber, Teufel auch, ganz gewiss hatte er nicht geplant, sie zu küssen!
Im Gegenteil. Er hatte beabsichtigt, jeden Groll zu lindern, den Eleanor noch gegen ihn hegen könnte, auf dass sie die unschöne Vergangenheit hinter sich lassen konnten. Das und herausfinden, wie ernst ihre Gefühle für Prinz Lazzara waren.
Und wieso, zur Hölle, hast du dem Drang nachgegeben, sie wieder zu küssen?, fragte Damon sich verärgert. Du hättest es besser wissen müssen, als mit glühenden Kohlen zu spielen.
Doch trotz des Risikos, sich zu verbrennen, konnte er es nicht bereuen. Ihren Mund zu berühren, war genauso, wie er es entsann … und mehr. Sie war genau, wie er sie erinnerte: voller Leben, überwältigend und mit einer Ausstrahlung, die ihn bis heute gefangennahm.
Eleanor Pierce brachte sein Blut zum Kochen, wie es keine andere Frau je gekonnt hatte und wahrscheinlich je können würde. Sie hatte ihn heute Abend berauscht wie vor zwei Jahren …
Damon fühlte das Schaukeln der Kutsche, als sein stattlicher Freund, Mr Otto Geary, sich neben ihn in die dicken Lederpolster schwang.
»Den Heiligen sei Dank, dass diese protzige Zurschaustellung vorüber ist!«, seufzte Otto, als sich die Kutsche in Bewegung setzte. »Ich flehe dich an, schlepp mich nie wieder zu solch einer ermüdenden, affektierten Abendgesellschaft.«
Immerhin konnte Damon seine Gedanken auf etwas anderes als Eleanor lenken und antwortete seinem Freund grinsend: »Du weiß sehr wohl, weshalb ich dich heute Abend hierher ›schleppte‹, nämlich damit du für wenige Stunden aus deinem Hospital kommst, wo du dich von morgens bis abends vergräbst. Andernfalls hättest du dich keinen Schritt von deinen Patienten wegbegeben, wie du es, vermute ich, in den letzten zwei Jahren auch nicht tatest, die ich fort war.«
Otto zerrte an seiner Krawatte, dass ihm sein leuchtend rotes Haar in die Stirn fiel. »Ich fühle mich vollkommen wohl damit, bei meinen Patienten vergraben zu sein. Die feine Gesellschaft hingegen, nein, ich begreife nicht, wie du sie erträgst, Damon. Ich dachte, du wärst Prinny wenig zugetan.«
»Du dachtest korrekt, nur kann seine Königliche Hoheit dir Vorteile verschaffen, die mir unerreichbar sind. Und da er meine Unterstützung zu schätzen weiß, was seine zahlreichen Vergnügungen betrifft, wird er bereitwillig deine Bemühungen fördern, um mir den einen oder anderen Gefallen zu erwidern.«
Wieder seufzte Otto. »Es ist eine verdammte Schande, dass es ein Vermögen kostet, ein Hospital zu unterhalten!«
Damon verstand recht gut, wie teuer der Unterhalt eines privaten Hospitals war, hatte er doch einen erheblichen Teil seines Vermögens investiert, um Ottos medizinische Studien zu finanzieren und ihm zu helfen, das Marlebone Hospital vor sechs Jahren im nördlichen London zu eröffnen.
Dank harter Arbeit, Hingabe und schierer Brillanz war es Otto Geary gelungen, zu einem der angesehensten Ärzte Englands zu avancieren. Nur könnte ihm die Förderung des Prinzregenten noch einiges mehr an Anerkennung einbringen und vor allem die Unterstützung und wohltätige Zuwendung der wohlhabenden englischen Gesellschaft.
»Ich bezweifle allerdings, dass die Förderung des Prinzregenten der einzige Grund war, aus dem du heute Abend hierherkamst«, sagte Otto.
Im Licht der Kutschenlaterne sah Damon, dass sein Freund ihn aufmerksam beobachtete. »Welchen anderen Grund sollte ich gehabt haben?«
»Vielleicht eine bestimmte adlige junge Dame, in die du verliebt bist?«, schlug Otto vor.
»Wann war ich jemals in eine junge Dame verliebt?«
»Vor zwei Jahren, um genau zu sein.« Als Damon ihn mit einem vernichtenden Blick bedachte, fuhr Otto nur amüsiert fort: »Du warst ungewöhnlich rastlos und reizbar während der letzten vier Tage, mein Guter. Ich bemerke es, egal wie sehr du dich bemühst, es zu verbergen. Wäre ich um eine Diagnose gebeten worden, hätte ich gesagt, deine Symptome wären unmittelbar dem bevorstehenden Wiedersehen mit Lady Eleanor geschuldet.«
Damon lächelte zynisch. »Wie zum Teufel konntest du das erraten?«
Hierauf lachte Otto. »Du vergisst, dass ich dich zu gut kenne, alter Knabe.«
Was Damon nicht abstreiten konnte. Sie waren sich vor langer Zeit unter furchtbaren Umständen begegnet, als Otto die Pflege von Damons todkrankem, sechzehnjährigem Zwillingsbruder Joshua übernahm.
»Lady Eleanor ist außerordentlich hübsch, muss ich sagen«, hakte Otto nach. »Konntest du sie heute Abend allein sprechen?«
»Ja.«
»Und? Ist das alles, was du mir verraten willst?«
»Mehr gibt es nicht zu erzählen.« Damon hatte nicht vor, seine Gefühle für Eleanor zu erklären, vor allem nicht, solange er selbst nicht sicher war, wie er heute für sie empfand.
»Du kannst unmöglich froh sein, dass Prinz Lazzara ihr den Hof macht«, sagte Otto.
Das war überaus wahr! Sobald Damon zu Ohren kam, dass Eleanor von dem italienischen Prinzen umworben wurde, war er nach England zurückgekehrt - eine Woche früher als vorgesehen. Rechtschaffen wie sein Anliegen gewesen sein mochte, sie vor den lüsternen Umtrieben des Prinzen zu beschützen, auf dass sie nicht abermals verletzt wurde, fiel es ihm doch schwer, die deutliche Regung von Eifersucht zu rechtfertigen, die ihn überkam, als er sie heute Abend mit dem gut aussehenden Adligen sah. Schließlich konnte er keinerlei Anspruch mehr auf sie erheben.
»Nein, ich bin nicht froh darüber«, gestand er zerknirscht.
Otto schürzte seine Lippen. »Du solltest achtgeben, Damon. Es täte dir gut, dich vollständig fern von der Dame zu halten. Schließlich willst du weder ihr noch sonst jemandem einen falschen Eindruck vermitteln, was deine Absichten betrifft, indem du zu viel Interesse an ihr zeigst.«
»Ich beuge mich deiner überlegenen Weisheit«, entgegnete Damon halb im Scherz, obwohl er dem Rat seines Freundes voll und ganz zustimmte.
Eleanor war verlockend, gefährlich, süchtig machend. Sie hatte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen, der so nachhaltig war, dass sie ihm in den letzten zwei Jahren nicht aus dem Kopf gehen wollte. Seit jene wenigen aufregenden Wochen mit ihr endeten, kam ihm sein Leben wie ein monotones Einerlei vor, woran weder die Reisen etwas ändern konnten noch die langgehegten Pläne, die er verwirklichte.
Stirnrunzelnd blickte er aus dem Kutschenfenster auf die dunklen Londoner Straßen. Bis heute Abend hatte er sich eingeredet, er hätte seine Gefühle für Elle überwunden. Vielleicht war das mit ein Grund, weshalb er sie küsste: Um sich zu beweisen, dass er über sie hinweg war. In dem Fall müsste er zugeben, mit seinem dämlichen Experiment exakt das Gegenteil bewiesen zu haben.
Zwischen ihnen sprühten immer noch die Funken, was seinen Entschluss, ihr fernzubleiben, ins Wanken brachte.
Ein Glück, dass Eleanor bis heute wütend auf ihn war. Gewiss würde sie ihm seinen Fehltritt während ihrer Verlobungszeit niemals vergeben.
Er bedauerte sehr, sie verletzt zu haben, und gab sich allein die Schuld an der ganzen schmerzlichen Affäre. Außerdem hatte er längst erkannt, dass er ihr nie einen Antrag hätte machen dürfen, weil er ihr nicht geben konnte, was sie wollte.
Die schwarzhaarige Schönheit mit ihrem hellen Verstand und ihrem warmen Lachen hatte ihn schlicht bezaubert. Gleich bei ihrer ersten Begegnung hatte Eleanor ihn gefesselt und ihm das Gefühl gegeben, erstmals wieder lebendig zu sein, seit er seine Familie verloren hatte. Unerklärlich jedoch war die seltsame Verbundenheit, eine Nähe, die beinahe so stark war wie die, welche er zu seinem Zwillingsbruder gespürt hatte.
Wahrscheinlich hatte er deshalb um ihre Hand angehalten. Wegen der erstaunlichen Nähe und einem solch überbordenden Verlangen nach ihr, dass er immerzu fürchtete, sich zu mehr als Küssen hinreißen zu lassen und Eleanor zu entehren, sollte er seine Leidenschaft nicht mittels einer Heirat legitimieren.
Ihre scheue, süße Liebeserklärung nach der ersten Woche hatte ihn dennoch erschrocken. Sobald er begriff, wie tief sie nach so kurzer Zeit schon für ihn empfand und wie bedenklich stark ihre Anziehung auf ihn wirkte, hatte er Schritte eingeleitet, die Sache zu beenden. Er hatte ihr keinen unnötigen Schmerz zufügen wollen, indem er zuließ, dass sie sich ernsthaft in ihn verliebte, und sich gesagt, je eher er sie dazu brachte, die Verlobung zu lösen, umso rascher würde sie sich wieder erholen.
Die Vergangenheit sollte dir eine Warnung sein, ermahnte er sich. Otto hatte Recht: Er musste sich weit von Eleanor fernhalten.Und nachdem er sie nun wiedergesehen hatte, müsste er imstande sein, sein Leben weiterzuleben.
Nur war ihm nicht wohl dabei, sie Prinz Lazzara zu überlassen, einem charmanten Schürzenjäger, der möglicherweise auf der Jagd nach einem Vermögen war, ganz sicher jedoch ein Lebemann. In Italien hatte Lazzara zahlreiche Herzen gebrochen, eine Frau aus gutem Hause sogar ruiniert und sich geweigert, sie zu ehelichen.
Damon glaubte nicht, dass Lazzara Eleanor echten Schaden zufügen könnte, denn ihre Familie war viel zu angesehen und ihre gesellschaftlichen Verbindungen waren ausgezeichnet. Was ihn sehr wohl sorgte, war, dass der Prinz sie genauso verletzen könnte wie Damon einst. Nicht auszudenken, was geschah, sollte sie sich in Lazzara verlieben, ihn heiraten und ihr Leben neben einem notorisch untreuen Gatten fristen müssen.
Aber vermutlich wollte er Eleanor bloß beschützen, um sein Gewissen zu beruhigen und wenigstens einen Teil seiner Schuld zu tilgen.
Damon war froh, dass Otto ihn von seinen Gedanken ablenkte und auf sein Lieblingsthema umschwenkte: das Hospital. Allerdings bedauerte er auch nicht, als sie schließlich vor dem Haus des Arztes in Marlebone, nahe dem Hospital, hielten, von wo aus Wrexham allein zu seinem Herrenhaus am Cavendish Square im vornehmen Mayfair weiterfuhr.
Seit Generationen war es im Besitz der Familie, und doch hatte die leere Stille, die ihn beim Eintreten empfing, schmerzlich wenig mit Damons Kindheitserinnerungen gemein. Damals, als Joshua und er noch Kinder waren, hallte immerfort Gelächter durch die Flure.
Nun hing noch die Trauer in sämtlichen Räumen, die Damon litt, als Joshua sechzehnjährig an der Schwindsucht starb.
Der Tod seines Zwillingsbruders war ein schwerer Schlag für Damon gewesen. Und als kurze Zeit später seine Eltern bei einem Unwetter auf See ums Leben kamen, blieb Damon ganz allein zurück. Seither vergrub er seine Gefühle tief in sich und achtete darauf, dass ihm kein Mensch mehr so viel bedeutete wie die, die er einst verloren hatte. Wer es dennoch unternahm, Gefühle in ihm wecken zu wollen, wurde weggestoßen.
Gleichzeitig machte ihn der Verlust seiner Familie rücksichtslos, denn was sollte er noch verlieren? In den zehn Jahren nach dem Tod seiner Eltern hatte er das Schicksal herausgefordert, wo immer er konnte, und sich den Ruf erworben, äußerst verwegen zu sein.
Ein Ruf, der ihn nie kümmerte, bis er die lebendige, wunderschöne Erbin Eleanor Pierce während ihrer ersten Saison kennenlernte, als sie ihr gesellschaftliches Debüt unter Aufsicht ihrer äußerst pedantischen Tante, Lady Beldon, gab.
Damon nahm die Lampe, die ihm der Diener reichte und stieg die breite Treppe hinauf in den ersten Stock, wo sich hinten im Flur das Herrenschlafzimmer befand. Drinnen riss er als Erstes die Fenster weit auf.
Zwei Jahre lang war das Haus unbewohnt gewesen, die Läden verriegelt und sämtliche Möbel abgedeckt. Und selbst nach gründlichem Lüften hing noch ein drückender Geruch in der Luft. Er rührte nicht von Tod und Krankheit wie der, den man in Hospitälern oder Krankenzimmern wahrnahm, und trotzdem war er ihm ähnlich genug, dass Damon ihn nicht ertrug.
Er wandte sich vom Fenster ab, zog seinen Abendgehrock aus, lockerte die Krawatte und schenkte sich einen Brandy ein. Tief in Gedanken, sank er in den Sessel vorm Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte.
Ein leises, zaghaftes Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Auf Damons »Herein« erschien sein in die Jahre gekommener Kammerdiener. »Wünschen Sie noch etwas, Mylord?«
»Nein, Cornby. Es ist schon spät. Ich sagte Ihnen doch, dass Sie nicht auf mich warten müssen.«
»Ja, das sagten Sie, Sir.«
»Aber Sie geben selten etwas auf meine Anweisungen, nicht wahr?«
»Nicht in diesem Fall, Mylord. Was für ein Bediensteter wäre ich, meine Pflicht zu vernachlässigen?«
Damon musste lächeln, denn nichts war absurder als die Vorstellung, ausgerechnet Cornby würde seine Pflicht vernachlässigen. Der alte Mann war schon sehr lange im Dienste der Staffords. Er hatte Joshua aufopfernd gepflegt, als er krank wurde. Und aus Dankbarkeit für seine Loyalität behielt Damon ihn als Kammerdiener, obwohl er längst in den Ruhestand gehen sollte.
Das Original TO ROMANCE A CHARMING ROGUE erschien bei Ballantine Books, New York.
Vollständige deutsche Erstausgabe 09/2010
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Copyright © 2010 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agenturen: Spencerhill Associates, Ltd. und Interpill Media GmbH, Hamburg Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin
eISBN: 978-3-641-03983-7
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