Verheizte Herzen - Sarah Crossan - E-Book
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Verheizte Herzen E-Book

Sarah Crossan

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Beschreibung

Ein Anruf verändert alles – Sarah Crossan zeigt in diesem atemlosen Roman in Versform, der durch den hämmernden Rhythmus seiner Sprache eine besondere Dringlichkeit erhält, die Fallstricke menschlichen Miteinanders.  Was passiert, wenn der heimliche Geliebte stirbt und man keinem zeigen darf, wie sehr man trauert? Wenn es keinen Ort gibt und keinen Menschen, der um die Qualen wissen darf? Sarah Crossan ist mit diesem Roman ein grandioses Kunststück gelungen: Sie zeigt die Leiden einer getriebenen Frau in schnellen Beats. Ana ist Anwältin, Mutter zweier Kinder und Ehefrau von Paul. Offiziell. Insgeheim gibt es da noch Connor, Anas Klienten und heimlichen Geliebten. Doch Ana erhofft sich mehr von der Affäre als verstohlene Treffen im Hotel. Als Connor unerwartet stirbt, erfährt sie das ausgerechnet von der Person, die zwischen ihnen stand – seiner Frau Rebecca. Ana soll das Testament vollstrecken. Allein gelassen mit ihrer Trauer, sucht sie die Nähe zu Rebecca. Doch während sich der Wunsch nach einer Leidensgenossin schleichend zu einer Besessenheit steigert, vernachlässigt Ana ihre eigene Familie und wandelt dabei ständig am seelischen Abgrund. War Rebecca wirklich so unerträglich, wie Connor immer behauptet hat? Und hatte er überhaupt vor, sie irgendwann zu verlassen? Ana weiß nicht, wie und ob es ihr gelingen kann, Connor und sich selbst zu verzeihen. »Ein mutiges, modernes, zutiefst unterhaltsames und bisweilen leicht subversives Werk« The Guardian

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Seitenzahl: 170

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Sarah Crossan

Verheizte Herzen

Roman

Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Sarah Crossan

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Fördervermerk

Widmung

1. Teil

2. Teil

3. Teil

4. Teil

5. Teil

Inhaltsverzeichnis

Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde im Rahmen des Programms »NEUSTART KULTUR« aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.

Inhaltsverzeichnis

Für Mum

Inhaltsverzeichnis

1. Teil

 

 

 

Der einzige Weg

hier

raus

ist jetzt Ablenkung,

darum habe ich mir

Anna Karenina

von meiner Mutter geliehen und

erlaube mir erst zu weinen,

wenn ich damit durch bin.

Zweimal.

Inhaltsverzeichnis

Es war morgens um zehn,

der Tee in meiner Tasse inzwischen kalt.

Ich wollte noch einen Keks.

Ich wollte dir schreiben.

Ich bedauerte unseren Streit.

Sehr.

Helen rief an.

»Hier ist eine Mrs Taylor für dich am Telefon.

Sie sagt, wir haben das Testament ihres Mannes aufgesetzt

und er ist verstorben. Sie klingt okay.«

Ich scrollte durch meine Mails:

Klienten, Anfragen,

Sale bei L. K. Bennett.

»Stell sie durch«, sagte ich.

Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück,

schaltete um auf sanft und hilfsbereit.

»Mrs Taylor, hier ist Ana Kelly.

Zuerst möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.«

»Sehr nett von Ihnen«, sagte sie.

Auf dem zweiten Bildschirm

suchte ich im System nach Taylor:

zweiundzwanzig Klienten.

»Sagen Sie mir den Vornamen Ihres Mannes?«

»Natürlich, Entschuldigung. Ähm …«

Sie war unsicher,

als wäre der Name unerreichbar,

schon ganz weit oben im Regal verstaut.

Aber dann.

»Connor Mooney.

Ich bin Rebecca Taylor, seine Frau.

Wir haben nicht denselben Nachnamen.«

Die Frau.

Seine Frau.

Deine Frau.

Die Frau.

Sie hatte das mit uns herausgefunden.

Das war ihre Art Kontakt aufzunehmen,

mich zu bestrafen,

denn du warst nicht tot,

wir hatten uns erst vor ein paar Tagen gesprochen.

Ich wollte dir nach dem Mittag eine Nachricht schicken.

Mich entschuldigen. Wieder mit dir versöhnen.

Rebecca rief an, weil sie von uns wusste,

und ich musste das irgendwie erklären.

Schnell. Schnell.

Denk nach. Denk nach.

»Er ist am Dienstag gestorben«, sagte sie.

»Mein Schwager hat mir zu dem Anruf geraten.«

Das ist eine Lüge, du elende Schlampenfotze,

sagte ich nicht.

Das ist eine elende Lüge, du Fotzenschlampe,

sagte ich nicht.

Ich sagte: »Oh nein, das tut mir so leid.

Das ist schrecklich.

Ich sehe mir seinen Vorgang gerade an.

Wir haben das Testament vor ein paar Jahren aufgesetzt.«

Meine Hände hatten sich nicht bewegt.

Ich überflog die Liste der Taylors.

Keith, Leonard, Meaghan-Leah.

In meinem Hals saß ein Schmerz, heiß und schwer.

Meine rechte Hand zuckte, obwohl ich mich

am Schreibtisch festhielt, um sie ruhig zu halten.

Ich glaubte ihr nicht.

»Die Beerdigung ist Freitag in zwei Wochen.«

»Danke für Ihren Anruf.

Sie haben gerade sicher anderes im Kopf.

Und bitte machen Sie sich um das Rechtliche keine Sorgen,

es sei denn, es hakt bei den Kosten für die Beerdigung.«

»Das wird kein Problem sein«, sagte sie abwehrend.

»Gut, ich rufe Sie nach der Beerdigung an.

Vielleicht könnten Sie dann

in die Kanzlei kommen.«

»Ich warte, bis ich von Ihnen höre.«

Sie sprach, als würden wir einen Zahnarzttermin vereinbaren,

mit einer Ruhe, die ich nicht verstand,

aber ähnlich allen Ehepartnern in Trauer, die ich erlebte,

stellte sie ihr Unglück während der rechtlichen Belange kurz zurück.

Ich atmete flach.

»Wissen Sie, wie Sie die Sterbeurkunde beantragen?«

»Darum kümmert sich mein Schwager.«

Sie hustete heftig ins Telefon.

Ich fragte mich, ob sie Schwarz trug.

»Als Testamentsvollstrecker Ihres Mannes

sind wir Ihnen gern bei den Formalitäten behilflich, sprechen Sie uns einfach an.«

Rebecca hustete wieder.

Ich überlegte nachzufragen, ob sie sicher war.

So ganz und gar.

Ohne jeden Zweifel.

Vielleicht war es jemand anders.

»Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, Mrs Taylor?«

Sie zögerte.

Würde sie gleich loslachen?

Das war doch alles nicht wahr. Oder?

Du würdest mich in ein paar Minuten anrufen,

panisch und ertappt.

»Nein. Aber danke«, sagte sie.

»Eine Frage noch. Wie ist er gestorben?«

Rebecca sagte es mir flüchtig.

Und ich sagte ihr brüchig, wie entsetzlich das klang

und wie unvorstellbar es war, ohne ihn zu sein.

»Ja«, sagte sie.

Ich beendete das Telefonat

und kaufte im Online-Sale ein Paar Schuhe.

Lila Nubuk. Vorne spitz.

Unpraktisch.

Überteuert.

Dann tat ich etwas

Schlimmes.

Ich arbeitete weiter.

Sag schon.

Was hättest du getan?

Es ist eisig kalt.

Ich trage einen Cardigan aus Kaschmir

über einem langen grauen Kleid,

darunter ein Hemd.

Es ist der Marks-and-Spencer-Look:

stinknormaler Kaufhauskram,

schlicht bis zur Unkenntlichkeit.

Ich habe heute auf dem Weg nach draußen

einen Blick in den Spiegel erhascht,

die Frau gehasst,

die du sehen würdest,

würdest du dich aufsetzen und umschauen.

Sähe dir das nicht ähnlich?

Herauszuspähen

und später die Trauerfeier

in einer Post-mortem-Performance nachzuspielen –

das Zappeln der Kinder,

den Gesichtsausdruck deiner Mutter,

Gedanken zu meinem Verhalten,

das volle Programm:

Deine Haare so hochgesteckt fand ich schön.

Du solltest immer Lippenstift tragen.

Konntest du von dahinten was sehen?

Seit fünfzehn Tagen habe ich nichts gegessen.

Seit zwanzig habe ich dich nicht gesehen.

Ich weiß nicht, wann mein Appetit zurückkommt.

Ich werde dich nie wiedersehen.

Ich bin so dünn wie am Anfang,

als mir meine Falschheit

auf den Magen schlug.

Du würdest sagen, ich sehe gut aus.

Aber das stimmt nicht.

Es wurde schon bemerkt.

Die Partner wirken besorgt,

als könnte ich durch das Wirrwarr meiner Klienten draufgehen.

Nora hat mir eine Flasche Floradix gekauft.

Tanya hat gefragt, ob ich schwanger sei.

Die Sonne kämpft sich durch die Wolken

und dürfte sie besiegen,

schließlich haben wir Juli.

Ich halte mich an einem Strauß weißer Nelken fest.

Du hast nie erwähnt, ob du Blumen magst,

aber bald wirst du bedeckt sein

von leuchtend blühender

sterbender Farbe

als Zeichen der Liebe.

Wie riechst du jetzt?

Hast du lange Nägel?

Der Parkplatz der St Mary’s ist voll.

Ich kann deinen Sarg nicht sehen.

Aber ich sehe Rebecca,

deine Jungs,

alle starren ins Leere.

Wir machen Pläne für den Tod,

fällen vernünftige Entscheidungen,

während wir uns am Leben laben.

Aber niemand hat die Absicht zu sterben.

Als du vor drei Jahren

in mein Büro spaziert kamst,

hättest du nie gedacht,

ich müsste mich der Trauer deiner Familie stellen

oder meiner eigenen.

Du dachtest, du hättest ewig, um Fehler zu machen

und wiedergutzumachen.

Deine Söhne tragen Anzüge,

stehen wie schwarze Orgelpfeifen in einer Reihe.

Ich drehe ihnen den Rücken zu.

Ich bin nicht für ihre Traurigkeit verantwortlich,

obwohl ich es wollte.

Wäre es nicht besser gewesen als das jetzt?

Wäre es nicht besser gewesen, wenn es nach mir gegangen wäre?

»Lässt auch Mrs Mooney ein Testament bei uns aufsetzen?«, fragte ich.

Du trugst Turnschuhe bei diesem ersten Termin,

einen Mantel, der gespendet gehörte, nicht angezogen.

»Meine Frau hat ihren Namen behalten und

für ihren Tod

sicher sorgfältig vorgesorgt.

Für meinen wahrscheinlich auch.«

Dein Lachen füllte den ganzen Raum

bis in die staubigen Ecken.

Wir gingen alles durch:

Angaben,

Anlagen,

Altersvorsorge.

Fünfzehn Minuten später wusste ich alles über dein Leben,

doch du wusstest nichts von mir,

außer wo ich studiert hatte:

Ich sah, wie dein Blick zur Wand glitt –

Urkunden und Zeugnisse,

Lorbeeren für ein Mädchen,

an das ich mich kaum erinnerte.

Sie war ehrgeizig,

mochte die Manic Street Preachers,

blies ihrem Dozenten für Rechtstheorie zum Einstieg einen.

Dummes Ding.

Am Ende ließt du dir Zeit,

maltest

mit dem Daumen

Kreise auf den Tisch

und sagtest leicht grinsend:

»Das nächste Mal komme ich dann wohl wegen der Scheidung.«

Ich steckte die Kappe auf den Stift,

gab dir Zeit, um etwas zu sagen.

Schließlich war Januar,

ein geschäftiger Monat für Trennungen und

Schnüffeleien

nach dem infernalen weihnachtlichen Zusammensein.

»Was immer Sie brauchen, wir sind für Sie da«, sagte ich.

Ich war nicht provokant.

Ich war professionell,

mit Urkunden an der Wand, die das bewiesen.

Eine Bristol-Absolventin.

»Meine Kollegin Tanya Kushner

ist eine erfahrene Anwältin für Familienrecht.

Ich kann unsere Mitarbeiterin am Empfang bitten, einen Termin für Sie zu vereinbaren.«

»Oh, Rebecca lässt mich niemals gehen.

Wie käme dann das Benzin in ihren Wagen?«

Du standst auf. »Sobald das Testament fertig ist, kommen Sie

zum Unterschreiben einfach noch mal kurz vorbei«, sagte ich.

»Für die Zeugen sorgen wir.«

»Wie großzügig! Ich kann es kaum erwarten.«

Du zogst den schäbigen Mantel wieder an.

Aus einer der Taschen ragte eine Flasche Ribena.

»Sind Sie Irin? Immerhin heißen Sie Kelly.

Oder haben Sie eine besonders gute Partie gemacht?«

»Dasselbe wollte ich Sie auch schon fragen.«

»Meine Eltern kommen aus Meath. Und Ihre?«

»Meine Mum kommt aus Cork.

Mein Dad aus Cavan.

Wo da genau, weiß kein Mensch,

aber vor irgendwas ist er wohl weggelaufen.«

»Sind wir das nicht alle?«, sagtest du zwinkernd, ehe du

einen Rückzieher vor deiner eigenen Courage machtest

und die Hand auf den Türgriff legtest.

»Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«

Ich aß allein zu Mittag, bei Subway ein paar Häuser weiter.

Eine Scheibe Gurke fiel mir in den Schoß und

ich entdeckte in meiner Strumpfhose ein Loch,

war froh, dass ich den Großteil unseres Gesprächs gesessen hatte,

war besorgt, du könntest mich bei Subway sehen.

Wie du merkst,

hast du dich schon an diesem ersten Tag

herumgeschlichen

innen drin,

alles aufgemischt.

Aber.

Eigentlich.

Habe ich nicht mehr weiter an dich gedacht, bis wir uns

zwei Wochen später

über den Weg gelaufen sind.

Rebecca war bei dir.

Und, wow,

sie hatte alles.

Woher sollen wir wissen, welche Tage

später einmal Wendepunkte sind?

So lange wir leben,

spielen wir.

Rot.

Schwarz.

Alles auf die Elf.

Inhaltsverzeichnis

An meiner Seite steht ein Mann. »Ana?«

Er ist attraktiv. Trägt einen Bart. »Mark?«

»Du lieber Himmel. Ist das klug, dass du hier bist?«

Vorbeifahrende Trauergäste suchen einen Parkplatz,

einen Weg zum Krematorium,

ohne über die Straße und

den gesamten Friedhof latschen zu müssen.

Eine Frau stapft auf uns zu und reicht Mark ein Kind,

als wäre es eine volle Einkaufstüte.

»Er muss gewindelt werden.

Ich fahre bei Sheena mit«, sagt sie zu ihm.

Ich strecke ihr die Hand hin, aber sie ist schon weg.

Wir schauen ihr nach.

»Tut mir leid«, sagt er. »Es muss …

Keine Ahnung, wie es sein muss.

Beschissen, nehme ich an.

Ich habe oft an dich gedacht.

Mich gefragt, wie es dir geht.

Aber du hättest nicht kommen sollen.

Hat Rebecca dich gesehen?«

»Spielt das eine Rolle?«, frage ich.

Er tätschelt das Kind, das irgendetwas von sich gibt,

Grummeln und Glucksen in einem.

»Ich kümmere mich besser mal um den kleinen Mann.«

Unter meinen Füßen

pappt nasses Laub auf dem Asphalt.

Die Luft riecht nach verdunstetem Regen.

In dem Block mit Sozialwohnungen

neben dem Pfarrhaus

winkt ein Mädchen aus einem Fenster im obersten Stock,

als wären wir alle ihretwegen da,

ein nacktes Baby auf dem Arm.

»Können wir uns treffen?«, frage ich.

Die Kirchglocke schlägt zwölf.

Erste Autos stehlen sich davon.

Du wirst geräuchert,

wirst in einer Stunde nur noch Asche sein.

Ich werde noch immer in diesem Kaschmircardigan stecken. In dieser Strumpfhose.

Später belade ich die Waschmaschine,

fülle das Waschpulver in einen Becher.

»Ich kann nicht«, sagt Mark. »Mich mit dir treffen, meine ich.

Ich kann nicht.«

»Du bist der einzige Mensch, der von uns wusste.

Ich kann mit niemandem sonst darüber reden.«

Er schnalzt mit der Zunge,

sieht plötzlich jung aus, angeklagt und schuldig.

»Ich muss darüber nachdenken.

Rebecca ist am Boden zerstört.«

Ehe ich fragen kann, warum das wichtig ist,

hastet er los,

seidigen Speichel

hinten auf

dem Trenchcoat.

Rebecca

am Boden

zerstört.

Überall Menschen am Boden zerstört.

Ich bestellte gerade

die nächste Flasche

Rioja an der Bar,

Tanya rief nach Erdnüssen,

und plötzlich warst du da,

Fingerspitzen auf meinem Handgelenk. »Hallo.«

Ich erkannte dich im Anzug nicht wieder,

glatt rasiert und betörend auratisch,

und war es leid, Männer abzuwehren.

Ich nahm meine Hand vom Tresen,

wollte zurück zu Tanya und unserem Komplott,

unseren Plänen, etwas Eigenes aufzuziehen:

Kanzlei Kelly & Kushner.

»Ich bin Connor. Ich war neulich bei Ihnen im Büro.«

Mir gefielen deine Brauen,

deine Zähne, die Eckzähne, die leicht hervorstanden.

»Ein Vermögensstreit!«, stieß ich aus.

»Testament«, korrigiertest du mich.

Aus dem Dickicht von Geräuschen

tauchte Rebecca plötzlich auf,

mit blassen Lippen und Patrick-Swayze-T-Shirt.

Sie hatte die Arme einer Tennisspielerin,

den Mund einer Politikerin.

»Rebecca, das ist Ana Kelly. Meine Rechtsanwältin.«

Ich war beschwipst.

Ja.

Ich war beschwipst und nichts an seinem Platz.

Ich wollte, dass du mich hältst,

mir zurück an den Tisch hilfst,

dich zu mir setzt

und alles verrätst, was du je gewesen bist.

Ich unterdrückte es, mich anzulehnen,

den Kopf an deine Brust zu legen.

Ich wollte, dass Rebecca deutlicher wird.

»Meine Freundin wartet auf ihren Wein«,

sagte ich mit Blick zu ihr.

»Wir holen uns was zu trinken und setzen uns dazu«, sagte Rebecca kühl.

»Es ist nirgends sonst was frei.«

Tanya rollte mit den Augen, tippte auf die Uber-App.

»Die sehen aus wie verschissene Muswell-Hill-Püppchen.

Ich zieh mir nicht den ganzen Abend die Vorzüge

von Ed Sheeran und Hafermilch rein.«

»Zehn Minuten«, versprach ich.

Ich hoffte, wir hätten länger.

Du kamst rüber,

die Erdnüsse in der Hand,

die ich an der Bar vergessen hatte.

Rebecca saß links von mir,

du rechts,

und sie erzählte uns von dem Haus, das ihr umgebaut hattet.

Du warst der Architekt,

sie mit der Inneneinrichtung befasst.

Es war alles »wahnsinnig anstrengend«,

aber, »ach, das war es so was von wert«.

Rebecca lächelte auf diese affektierte Art,

wenn sie sprach, die ihrem Gesicht

jegliche Eleganz austrieb;

ich starrte in mein Glas, schämte mich fremd.

Du hast sie nicht oft angeschaut,

ihre schlanken Arme nicht berührt,

stattdessen eine katholische Kindheit in Armut

beschrieben

und den anschließenden Aufstieg zum Erfolg

mit einem künstlichen irischen Akzent,

wegen dem ich noch mehr Wein bestellte.

Du warst in Harringay Ladder aufgewachsen,

hattest die St Aloysius besucht,

die seit jeher steil nach oben führt.

Ich war damals mit einem Jungen von dort zusammen,

den ich im Konfirmandenunterricht kennengelernt hatte

und der sich seinen eigenen Ständer nicht erklären konnte,

sich dafür entschuldigte und immer wieder sagte:

Er schwillt gleich wieder ab.

Er schwillt gleich wieder ab.

Und du kanntest St Michael’s Grammar,

wo ich jeden Tag aus Wood Green hingepilgert war,

um mir meine versnobte Bildung draufzuschaffen.

»Dann waren Sie damals also eine Klugscheißerin?«, sagtest du.

Ich nickte.

Tanya gähnte.

Rebecca band ihre Armbanduhr neu.

»Was waren in der Oberstufe Ihre Lieblingskneipen?«, fragtest du.

»Vor allem das Donnelly’s in der Turnpike Lane.

Da gab es nur Alk und Cracker.«

»Stimmt!«

»Und dann das unvergleichliche

O’Rafferty’s mit der illegalen Shebeen hinten im Hof.

Das war der Hit!«

»Da habe ich gejobbt!«

Du sprangst auf, um das zu verkünden.

»Der Laden war so toll!«, kreischte ich,

im Wissen, dass dein Stolz nichts damit zu tun hatte, wo du herkamst,

sondern wer du jetzt warst,

wie anders dein Leben jetzt aussah.

Und ich war deine Zeugin. Rebecca dein Preis.

»Das ist jetzt alles vernagelt, wissen Sie.

Zu vermieten. Wenn ich dran vorbeifahre,

werde ich irgendwie sentimental.«

»Wohnen Sie da in der Nähe?«, fragtest du.

»Nicht weit von dort. Beim Ally Pally. Hänge immer noch in Nord-London fest.

Na ja, ich bin zum Studium weg, dann aber wieder zurück.

Und wo wohnen Sie beide noch mal?«

Rebecca schlug die Zähne

gegen den Rand des leeren Glases.

»Hampstead Suburb Garden«, sagte sie spitz.

Als Tanya keinen Bock mehr hatte, ignoriert zu werden,

und mir einen scharfen Blick zuwarf,

machten wir uns unter einem Vorwand aus dem Staub.

»Boah, ist die langweilig«, sagte Tanya,

als sie mich zur Bushaltestelle brachte.

»Er ist eigentlich in Ordnung.«

»Ein bisschen in Ordnung bestenfalls.

Und du gefällst ihm.

Aber Hampstead Suburb Garden?

Im Grunde sind die doch aus East Finchley. Wichser.«

Trotz der Uhrzeit und meiner Absätze

ging ich einen Teil des Heimwegs zu Fuß,

die gesamte Fortis Green runter,

bis meine Ballen brannten,

und während ich mir im Flur die Schuhe auszog, dachte ich:

Connor Mooney, du gefällst mir auch.

»Entschuldige, dass ich zu spät bin«, sage ich.

»War irgendwas Wichtiges?«

Tanya kommt entsetzt aus ihrem Büro gehetzt.

»Was soll die Burka?«

»Die gab’s bei Cos.«

»Ich wusste nicht, dass die Burkas verkaufen.«

Ich ziehe mir die Strumpfhose aus

und schmeiße sie in Helens Papierkorb.

Sie hat Kopfhörer auf und noch nicht gemerkt, dass ich da bin.

»Ich hatte was zu erledigen«, sage ich.

»Schon gut. Nur Graham fand das gar nicht witzig.

Offenbar hast du einen wichtigen Termin verpasst.

Ich habe gesagt, du hättest Migräne. Hat er mir aber

nicht abgekauft.«

»Ich habe vergessen, dass wir den verlegt hatten.«

Tanya hat diesen Blick, der neu ist:

prüfend,

fast schon liebevoll.

»Dein Haaransatz wächst raus.

Du siehst kacke aus.«

Helen nimmt die Ohrstöpsel raus, sieht mich an.

»Da waren tausend Anrufe für dich.

Anscheinend sterben alle.

Und du hast einen Klienten sitzen lassen.«

Die, die dich liebten oder mochten

oder dich nur flüchtig kannten,

sind versammelt, während du verbrennst.

Ich musste genau in dem Moment fliehen,

wo du verschwindest,

wieder unsichtbar wirst.

Meine bloße Anwesenheit bei der Beerdigung

hättest du als Affront betrachtet –

dass ich mich zeigte,

so nah

an die herankam,

die du unbedingt schützen wolltest.

»Du bist nicht meine Chefin, Helen, also spiel dich nicht so auf, okay?«

Ich knalle die Bürotür zu.

Kurz darauf stößt Graham sie wieder auf.

Ein angebissenes hart gekochtes Ei in der Hand.

»Oh, Ana, hallo.

Wie schön, dass du’s zur Arbeit geschafft hast.«

»Tut mir leid. Ich rufe die Klienten gleich an.

Ich hatte was zu erledigen.«

»Da bin ich sicher.«

Er beugt sich über meinen Schreibtisch, sodass ich in sein Hemd sehen kann,

dunkle Haare auf weißer Haut bis runter zur Taille.

»Dein Handy war aus.«

»Ja. Wie schon gesagt, tut mir leid.«

Das Ei stinkt.

Graham beißt rein, Eigelb krümelt in seinen Bart.

»Wie sieht’s aus, wollen wir uns irgendwo einen Kaffee holen?«

»Nein, Graham, ganz sicher nicht.«

Er schiebt sich den letzten Rest Ei in den Mund, dreht sich um

und zeigt mir sicherheitshalber noch den Stinkefinger,

geht.

Das Bezeugen des Testaments ging schnell.

»Ich hatte gehofft, ich könnte noch etwas mit Ihnen besprechen.«

Ich schloss die Tür: »Bitte.«

Anders als bei anderen Klienten

musste ich bei dir kein Interesse heucheln.

Ich wollte alles, was du hattest.

»Dann erzählen Sie mal.«

Und das tatst du. Von dem Haus deines Großvaters in Mullingar

und dem Onkel, der es nach seinem Tod übernommen hatte,

weshalb du wenig Hoffnung hattest,

an deinen Anteil ranzukommen,

es sei denn, ich würde dir helfen. Ob ich das könnte?

»Durchaus, ich kenne einen streitlustigen Anwalt in Dublin.

Ich könnte Ihnen seine Nummer geben.

Ich kann den Fall nicht selbst übernehmen.«

Ein Doppeldecker ratterte vorbei,

Fahrgäste starrten zu uns rein, als stünden wir zur Schau.

Die Leute, die sich oben hinsetzen, habe ich nie kapiert.

Selbst als Teenager suchte ich unten beim Fahrer Schutz.

Das Oberdeck war ein wilder Ort

für Leute, die vor nichts Angst hatten

oder Stress wollten.

Die Bürotür ging auf und Tanya lugte rein.

»’tschuldigung, ich dachte, du hättest Zeit.

Ich schaff das mit dem Mittag heute nicht. Freitagsfuror.«

Sie erkannte dich und grinste. »Hallo.«

Und dann waren wir wieder allein,

auch wenn ich nicht mehr wusste,

worüber wir gesprochen hatten,

einen Blick auf meine Notizen warf.

Ein Haus in Familienbesitz. County Meath. Anwalt in Dublin.

»Hatte Ihr Großvater ein Testament?«

»Falls Sie Hunger haben, ich wollte mir gleich

ein Sandwich holen«, sagtest du.

Es war kein Date.

Es war ein Sandwich.

Um vier Uhr morgens verzichte ich schließlich auf Schlaf –

setze mich im Dunkeln aufs Sofa,

lausche dem Zwitschern der Vögel.

Licht bedrängt den Himmel

hinter der Jalousie.

Am Tag bin ich nicht wach,

Kopf auf dem Schreibtisch,

Anrufe in der Warteschleife.

Und in der Nacht bist du da,

in meinem Revier,

auf der Jagd nach mir,

der dreckig gestiefelte

Kater meines Verstands.

Du konntest nicht gehen, denn da war Rebecca.

Du konntest nicht gehen, denn da war Rebeccas Schmerz.

Du konntest nicht gehen, denn da war Rebeccas Schmerz versus meinen Schmerz.

Du konntest nicht gehen, denn.

Du konntest nicht gehen.

Du konntest nicht.

Du. Du. Du.

Der Wecker meiner Nachbarin schrillt durch die Wand.

Sie ist Krankenschwester.

Dünn. Polin.

Politesse war sie früher mal.

Weshalb ich lieber nicht frage, ob sie an Medikamente rankommt.

Ein Lieferwagen läuft im Leerlauf.

Der Wecker der Krankenschwester ermahnt sie

aufzustehen aufzustehen aufzustehen.

Erste Bewegungen.

Du konntest nicht gehen, denn mein Schmerz war egal.

Und nun sieh nur, was du getan hast.

Allen angetan hast.

Mr Young ist ein neuer Klient.

Die Furchen auf seiner Stirn sehen auch neu aus.