Verlogen, dumm und unverschämt - Christof Wackernagel - E-Book

Verlogen, dumm und unverschämt E-Book

Christof Wackernagel

0,0

Beschreibung

Dieser Essayband versammelt Texte Christof Wackernagels von 1977 bis heute, beginnend mit Reflexionen zur Rolle der RAF, deren Mitglied er war, weswegen er 10 Jahre in verschiedenen Gefängnissen verbrachte, bis hin zur Dokumentation der Situation im afrikanischen Mali, wo er 10 Jahre in der Hauptstadt Bamako lebte. Die Texte dokumentieren seine kritische Auseinandersetzung mit der Haltung der Kulturindustrie und ihrer Rolle innerhalb der gesellschaftlichen Tendenz zu einer Meinungseinebnung, die einzig das Ziel verfolgt, gesellschaftliche Verhältnisse, politische Machtpositionen und wirtschaftliches Handeln der Profitmaximierung zu zementieren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 270

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wackernagel

Verlogen, dumm und unverschämt

Christof Wackernagel

Verlogen, dumm und unverschämt

Kulturindustrie von 1977 bis heute

Essay 22

© 2015 Oktober Verlag, Münster

Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung der

Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster

www.oktoberverlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Thorsten Hartmann

Umschlag: Thorsten Hartmann

unter Verwendung mehrerer Fotos von Ingram Publishing / Getty Images

Herstellung: Monsenstein und Vannerdat

ISBN 978-3-944-36951-8

Inhalt

Vorwort

Die Geschichte wird uns freisprechenAuszüge aus der »Erklärung zur Sache« im Prozess gegen mich wegen »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung«, Frühjahr 1980 – Kollektivtext

Frankenthal-BerichtBeschreibung der Sonderhaftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal 1981

WidersprücheZur Diskussion um Begnadigung oder Amnestie von Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion

Die RAF als ProjektionsmaterialZum »Stammheim«-Film von Stefan Aust und Reinhard Hauff

»Mogadischu Fensterplatz«Zum Roman von F. C. Delius 1987

Politik als ReligionChristian Geisslers Roman »Kamalatta. Romantisches Fragment«

Dummheit lohnt sich – kleine Meditation über die Vorsilbe »ex«Der Ex-Terrorist, das sonderbare Wesen

Deutsche FreiheitZur Zensur im Fernsehen

Triumph der FormÜber Theater in der Kohl-Zeit und seine Protagonistin Andrea Breth

WendungenZur Dialektik der Emanzipationsbewegung Ende der 60er Jahre

Naturzwang, Behauptung und WahnGedanken zum Nationalismus

Verlogen, dumm und unverschämtDie Sprache des öffentlichen Lebens

Und Ödipus tötete KainDie Verfolgung und Ermordung Hanns Martin Schleyers als Gründungslegende der Bundesrepublik Deutschland

Erlaubnis zum MordenDer notwendige Krieg oder die Legende von der Alternativlosigkeit

Thesen zu Georg Büchners »Dantons Tod«Zur Inszenierung am Schauspielhaus Bochum 1989

Filmemacher aller Länder, vereinigt Euch!

Und Konrad Lorenz hat doch rechtWarum Revolutionen scheitern, die Lufthansa aber Gewinne macht

»Auge um Auge, Zahn um Zahn« oder Entschuldigung und Vergebung?Ein Brief aus Afrika 2007

Der neue alte KomplexBernd Eichingers Film »Der Baader Meinhof Komplex«

Wir sind alle Eure Kinder. Ein LeserbriefZur Rezension des Buches »Patentöchter. Im Schatten der RAF – ein Dialog« von Julia Albrecht und Corinna Ponto im Spiegel

RAF ins Museum!

Denk-KassiberKatalogbeitrag zur Ausstellung im Marbacher Literaturarchiv über Schreiben im Gefängnis

Operation gelungen – Patient tot: Sieg im Medienkrieg – die RAF hat gewonnen

Schwarzafrika, das weiße Blatt PapierZu Christoph Schlingensiefs Albtraum eines Operndorfs für einen Mörder

Überflüssige GesellschaftZu Gabriele Riedles Roman »Überflüssige Menschen«

EtikettenschwindelZu Lebensmitteln

WiderspruchZur Berichterstattung der »jungen Welt« in Sachen al-Qaida – Angriff auf Nord-Mali

Mit Wurst zur Erleuchtung

Tatort: Der Film zum Krieg»Im Schmerz geboren«:Blutrausch als gepflegte Unterhaltung

Weihnachtsüberraschungen

Schießen statt reden. Ein Spiegelbild

Katastrophenalarm!Rezension zum Buch von Stefan Engel

Vorhautbeschneidung bei Minderjährigen ist Kindesmissbrauch

Nachweise

Vorwort.

Die hier versammelten Texte dokumentieren eine Auseinandersetzung mit der Haltung der Kulturindustrie und ihrer Rolle innerhalb der gesellschaftlichen Tendenz zu einer Meinungseinebnung.

Kulturindustrie ist Funktion der menschenverachtenden Diktatur der Profitmaximierung. Sie konditioniert die Menschen, eine Politik zu akzeptieren, die über Leichen geht. Sie spiegelt ein Leben vor, das alles Lebendige abtötet.

Ihre Aufgabe ist es, bei diesem Prozess der Selbstvernichtung der Menschheit Menschen zu Marionetten zu machen. Sie ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Menschen sich das Leben zur Hölle machen, obwohl sie nach jahrtausendelanger Anstrengung endlich die materiellen Voraussetzungen geschaffen haben, das Paradies auf Erden zu verwirklichen.

Das Buch beginnt mit Dokumentationen und Reflexionen über den bis heute letzten Versuch, diesen furchtbaren Prozess umzukehren: das verzweifelte Aufbäumen der Roten Armee Fraktion als bereits aussichtslosem Ausläufer der kulturrevolutionären Bewegung der sechziger und siebziger Jahre.

Es folgen selbstkritische Betrachtungen, in denen die falschen Mittel von den richtigen Zielen unterschieden werden.

Schließlich Beispiele dafür, dass das Bewusstsein von der Ungerechtigkeit auf diesem Globus in dem Maß gewachsen ist wie die Ungerechtigkeit selbst.

Einige dieser Texte schafften es bis zur Veröffentlichung, einige führten zu Hasstiraden.

So finden sich in diesem Band veröffentlichte, vor allem aber auch nicht veröffentlichte, gar mit Schaum vor dem Mund zurückgewiesene Kommentare.

Das 1980 gegen mich geführte Verfahren wegen Mitgliedschaft in der RAF fand damals auch deshalb besonderes Medieninteresse, weil ich zehn Jahre davor noch der »deutsche James Dean« des Neuen Deutschen Films gewesen war, die Zeitungen schrieben: »Von Engelchens Welt in den Untergrund«, »RAF statt Hollywood«.

Was ich mitzuteilen hatte, wurde freilich nicht referiert. Dieses Versäumnis wird hier im ersten Beitrag dieses Bandes nachgeholt:

Auch wenn ich das Wesentliche, was ich in unserer »Erklärung zur Sache« sagte, heute nicht mehr mit den selben Worten ausdrücken würde, dokumentieren diese Überlegungen nicht nur eine damalige Haltung, sondern gewähren auch Einblicke in damals relevante Zusammenhänge und machen damit Handlungen aus diesen Jahren nachvollziehbar – ohne sie zu rechtfertigen, was man ja leider selbst heute immer noch dazu sagen muss. Vielleicht ist dieser Text sogar angesichts von IS mehr denn je virulent: »Die Geschichte wird uns freisprechen«.

Die Aktionen der RAF waren ebenfalls höchst umstritten. Hier ist eine sehr ungewöhnliche Interpretation zu lesen – die Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers als Gründungslegende der Bundesrepublik Deutschland: »Und Ödipus tötete Kain«.

Die Haftbedingungen der Gefangenen aus der RAF waren ein höchst umstrittenes Thema – hier werden sie ausführlich beschrieben im »Frankenthal-Bericht«.

Einerseits sind sich alle einig, dass Gewalt verabscheuenswert und zu verurteilen ist, andererseits kann sie sich im Fernsehen hemmungslos austoben: »›Im Schmerz geboren‹ – Der Film zum Krieg«.

Wir haben dagegen in Wirklichkeit Kultur. Die geben wir – gratis! – weiter, wir zahlen sogar fürs Weitergeben. Da brauchen wir die davon Beglückten gar nicht vorher zu fragen. Die können froh sein, dass wir uns überhaupt um ihre kulturelle Erweckung kümmern: »Schwarzafrika, das weiße Blatt Papier«.

Alle Terroristen sind krank – ihre Motive brauchen wir nicht zu diskutieren. Unsere globalen ökonomischen Verhältnisse haben nichts mit den Angriffen auf sie zu tun, aber wer Drohnen sät, wird Selbstmordattentäter ernten: »Schießen statt reden. Ein Spiegelbild«.

Hilfe, daran nicht zu verzweifeln, finden wir auf einer Salami-Verpackung: »Mit Wurst zur Erleuchtung«.

Wenn der Krieg der Vater aller Dinge ist, ist die Werbung die Mutter.

Kulturindustrie ist die Werbeabteilung der Politik. Sie ist Teil des Krieges.

Christof Wackernagel, 5.6.2015

Die Geschichte wird uns freisprechen

Auszüge aus der »Erklärung zur Sache« im Prozess gegen mich wegen »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung«, Frühjahr 1980 – Kollektivtext

die frage also, wie wir die gesetze des handelns bestimmen, ist nichts anderes als die frage nach unserer politischen identität: nach der substanz der gruppe, des kollektivs, in dem wir kämpfen, nach der notwendigkeit und möglichkeit bewaffneter proletarischer internationalistischer politik, strategie, taktik etc., von der wir hier ausgehen. die politische identität aber, um die es hier geht, ist weder ein von außen dem guerillero aufgepfropftes handeln, schließlich ist er gerade so – wie jeder andere in der gruppe – ein selbsttätiger produzent dieser gemeinsamen politischen identität, noch ist es irgendwie ein spontaneistisches bockprinzip, eine klägliche rettung des eigenen bauches oder sonst irgendein dem zufall überlassener krimineller instinkt: es ist die gewissheit und die gewußte erfahrung, daß es selbsttätiges handeln, produzieren etc. außerhalb der kollektiven struktur, die durch den befreiungskrieg wächst, nicht geben kann.

fangen wir beim territorium hier an, den gegebenen kräftever-hältnissen mit ihren eklatanten besonderheiten, schließlich kann man sich die beschaffenheit seiner feinde nicht herbeiwünschen, sie müssen so genommen, bekriegt und besiegt werden, wie sie sind.

die brd ist eine unterdrückernation, die andere nationen unterdrückt, ausbeutet, neokolonisiert und darüber zur zweitstärksten imperialistischen macht in der innerimperialistischen staatenkette hochgeklettert ist. die brd ist eine unterdrückte nation, die unter der knute der hegemonie des us-imperialismus einer andauernden militärischen besatzung ausgesetzt ist; die gipfelt in der möglichkeit – mit all ihrem derzeit nicht unrealistischen hintergrund –, daß nicht in bonn, sondern in washington über atomare vernichtung deutscher bevölkerung und landschaft im kriegsfalle entschieden werden wird, und das alles mit ihrer zweifelsohne gestiegenen polit-ökonomischen macht, oder andersherum. trotzdem, schließlich sind diese ökonomischen potenzen, mit denen schmidt heute hausieren geht, ein europäisches währungssystem installiert, eine politische integration westeuropas betreibt etc. pp., nur innerhalb dieser gesamtimperialistischen konstellation möglich geworden, also unter der hegemonie der usa. insofern erklärt sich diese so breitgefächerte konsensbildung zwischen dem nationalen großkapital und den amerikanischen multis – mit ihrer tendenziell immer engeren kapitalverpflechtung und: daß die traditionelle stiefelputzerrolle als politische kraft für die usa – eben die sozialdemokratie – nicht zwischen konkurrierenden nationalstaaten zerrissen wurde, sie wurde in der gesamtimperialistischen strukturkrise zur treibenden und vorantreibenden politischen kraft der seinerzeit schon über die trilaterale eingeleiteten restrukturierung imperialistischer herrschaft.

doch völker, die andere völker unterdrücken, können nicht selber frei sein, sagt engels. die modernen imperialistischen produktionsverhältnisse haben noch an keinem punkt der geschichte deutlicher werden lassen als heute:

wie das eine durch das andere auf sämtlichen wellenlängen der politischen ökonomie und dem politisch-militärischen zusammenwirkt, abhängigkeiten schafft, ausspielt, ausbeutung perfektioniert etc. (stichwort neue internationale arbeitsteilung, internationalisierung der produktion), und völkermord in immer neueren varianten bestialisch verfeinert. selbst jene aufrichtigen, die angetreten sind, die revolution wenigstens (und nur) von innen zu machen, sind mit der tatsache konfrontiert, daß sie sich zum handlanger nach außen machen.

das war die geburtsstunde eines proletarischen internationalis-mus, der die vorgegebenen grenzen, strukturen, mechanismen von imperialistischer herrschaft zu zerreißen hatte, das war die geburtsstunde einer politischen identität: der strategischen konzeption raf, als konsequente entwicklung aus der jugendrevolte und vietnambewegung ende der 60er jahre; das wissen, daß ohne das vorantreiben der sozialen revolution nicht nur kein krieg gegen die us-besatzer möglich ist, sondern grad so, daß es eine sozialrevolutionäre perspektive in der metropole brd, ohne den krieg gegen die us-besatzer selber aufzunehmen, nicht geben kann und geben wird, das ist die spur, die in einem jahrzehnt von dem angriff auf us-quarters in heidelberg und frankfurt bis zu haig in belgien gelegt wurde.

hier ist es auch, wo die startpflöcke zu finden sind für unsere angriffe auf buback und ponto; die gefangennahme schleyers für den austausch mit gefangenen kadern aus der guerilla, die solidarische aktion des politischen kommandos, nehmen wir schleyer, nicht nur als altnazi, das nur, weil es wenige gibt, die tradition und kontinuität dieser brd so anschaulich auf den begriff gebracht haben wie er, sondern als politischster vertreter des nationalen großkapitals, ohne dessen konsenswillen die innere balance des sozialdemokratischen modells der klassenkollaboration grad so wenig funktioniert wie reibungslose eingliederung innerhalb der imperialistischen staatenkette unter der hegemonie der usa. hier lag das strategische dynamit des kommandos siegfried hausner: in den reibungsflächen der strukturellen krise in potenziell ökonomischen gegensätzen und krisenerscheinungen, und zwar: indem sie diese zur politischen krise des imperialistischen staates macht und somit die gleichgewichte zerstört, auf denen die fundamente imperialistischer herrschaft so sicher zu stehen glaubten, mit dem großen krisenstab, einer de facto allparteien-natoregierung, einer nie so offensichtlich in erscheinung getretenen machtkonzentration aufs bka, eben als steigbügelhalter für diesen konsens, einer faschistischen reorganisierung, die jedes provinzblatt erfasst und sämtliche sozialdaten zum blockwart werden ließ, war die militärische lösung nur die flucht nach vorn für den imperialistischen staat: der damit allerdings nicht verdecken konnte, daß der hektisch zusammengeschweißte konterrevolutionäre block oben genau zu dem werden mußte, was unten an legitimationsdecke zerbrach und an legalität wegbrechen mußte, das war der preis, den dieser staat allein im voraus bezahlt hat, um elf guerillas nicht auszutauschen und danach die stammheimer gefangenen massakrieren zu können.

das nur mal als einleitung; für die offenlegung unserer strategischen bedingungen und bestimmungen hier, ohne die an eroberung der politischen macht für den kommunismus gar nicht erst gedacht werden kann, aber grad in dieser etappe des kampfes uns unterzujubeln, wir hätten es auf konfrontation mit den unteren chargen der söldner-hierarchie abgesehen, »abzuknallen des abknallens willens« etc. pp., ist selbst für dieses niveau der ideologischen kriegsführung reichlich dämlich, selbst das lieblingsblatt der deutschen bourgeoisie, die faz, war nach ’77 realistisch genug festzustellen: »die herrschenden schichten lichten sich.«

und auch in ländern, wo die antiimperialistische guerilla bereits in ein entwickelteres stadium getreten ist – die nicht dieses schwerwiegende historische handikap haben, einer arbeiterklasse, deren kader fast sämtlich vom faschismus ausgerottet wurden und die über diese ökonomische schiene marshallplan etc. in richtung klassenkollaboration gedriftet ist –, die nunmehr unmittelbar vor der einleitung eines volkskrieges, bei dem sie sich selber bereits ansätze einer revolutionären heeresstruktur geben, um dem imperialistischen staat oder besser den imperialismus repräsentierenden staat in einer schlußoffensive – wie sie im moment bspw. in el salvador läuft – vollends den garaus zu machen, selbst dort bestimmt sich der krieg mit den untenstehenden bütteln und handlangern eines bestialischen polizeiapparates nur und ausschließlich innerhalb einer strategischen offensive.

wenn es aber keine gründe für solche behauptungen gibt, alle strategischen überlegungen und praktischen angriffe sich mitten in den zentren der macht finden, aber lauter gründe dagegen, sich mit den untersten chargen zu zerreißen in sinnlosem gefecht, dann bleibt nur noch übrig die motivation und zielsetzung derer, die uns eben grad auf diesen level drücken wollen, die imperialistischen eliten, die hinter ihrer sandsack- und natodrahtrealität sehr wohl wissen, um wen es geht, sie sind es, die mörder im auftrag schicken und »söldner im dienst des kapitals« (wie marx mal zu ihnen gesagt hat), so finden wir in unserer strategie sowohl die aufhebung jener makabren spielwiese, die uns zum aufreiben und selberzerstückeln immer schon zugewiesen wurde, als auch grad den grund, warum uns gedungene mörder auf der straße, in telefonzellen, in restaurants und isolierten gefängniszellen auflauern: im rahmen der aus nato-richtlinien konzipierten selektiven eliminierung.

natürlich haben wir darüber geredet, die lage analysiert und unsere schlüsse daraus gezogen, wenn ein staat schließlich mal bestimmte grenzen überschreitet, wenn er seine politischen gefangenen als geiseln nimmt und ihre kader massakriert, wenn er brd-truppen ins afrikanische mogadischu schickt, um ein politisches kommando abzuschlachten, verfassung und grundgesetz an jedem einzelnen punkt außer kraft gesetzt hat: dann ist es schwerlich möglich, hier was anderes als faschismus zu konstatieren, noch eine weitere stufe zu den morden, die bereits damals an petra und thommy liefen: schließlich liegen dazwischen bald zehn jahre sozialdemokratischer erneuerung. doch dieser anaytische teil war für uns so neu nicht, schließlich sind wir von soviel anderem nie ausgegangen, als wir uns für den bewaffneten kampf entschlossen haben, unsere offensive war nur der kratzer an einer brüchigen (sozialdemokratischen) maske, die in der phase der restrukturierung etwas zu früh seine faschistische fratze auf das glatteis der geschichte schleudern mußte, solche frühstarter sind zwar nicht automatisch wegbereiter revolutionärer situationen, aber sicherlich eine bedingung davon, denn entweder wir nehmen es mit dieser konterrevolutionären realität auf, und zwar so, wie sie ist und nicht, wie sie so manche gern hätten, und das, solange noch zeit dazu ist, oder aber linker politik in der metropole bleibt nur die wahl zwischen farce und gräber schaufeln.

insofern haben wir uns natürlich auch keine illusionen gemacht, wie solche möglichen verhaftungssituationen laufen, schließlich stand das in jedem bürgerlichen käseblättle, wie in chile und südafrika aus morden am widerstand »selbstmorde« wurden, wie die black panthers in amerika seinerzeit auf der »flucht« oder halt in »notwehr« ermordet wurden, warum sollte es hier anders sein? daß der imperialismus in der peripherie in sog. »normalen« zeiten imperialistischer ist, wie er es zu haus sein muß, heisst nicht, daß er hier wesentlich andere, oder gar bessere wertgesetze hat, es sind je nachdem nur die methoden, die sich ändern.

aber die realität zur kenntnis nehmen, scharfgemachte killkommandos des bka auf dem ganzen westeuropäischen kontinent zu konstatieren (die schwerlich an was anderes als brasilianische todesschwadrone erinnern), heißt für eine guerilla eben nicht, jetzt auf diesem niveau die ebene des revolutionären krieges zu bestimmen, sondern gerade und noch viel mehr beharrlichkeit, anstrengung, lernvermögen aufzubringen: den angriff in die zentren und schlupfwinkel der eliten des imperialistischen staates zu tragen, denn nur hierüber läuft politisierung, mobilisierung und organisierung auch von teilen des volkes, die noch nicht unbedingt auf der, einer neuen linken zugewiesenen, spielwiese der hoffnungslosigkeit tanzen, die einfach betroffen sind von der vielschichtigen knechtung der imperialistischen realität, der strukturellen arbeitslosigkeit, forcierter rationalisierung, deklassierung, um nur ein paar stichworte zu nennen, die als sozialer sprengstoff die mitte und das ende der 8oer jahre in der metropole brd bestimmen können: als rückwirkung aus der internationalen lage, aus der entwicklung einer aufrührerischen 3. welt, die – wenn auch noch wenig homogen und mit neokolonialistischen akkumulationsund verwertungsmodellen des imperialistischen kapitals belastet ist, doch an den profitraten nagt, die hier auch den viel gerühmten klassenfrieden mitfinanziert haben; vieles ist offen, die dinge sind in bewegung, es wird nicht zuletzt an uns selber liegen, wie und wohin sie sich verändern.

doch ist das ganze auch ein zeitproblem, und halt nicht nur für die imperialistischen restrukturierer, sondern auch für uns, die wir uns der historischen verantwortung bewußt sind, um die es geht: eine welt für den kommunismus zu erobern, bevor sie in einer neuen barbarei, im atomaren fallout versinkt, die kommunistische guerilla in der metropole ist der kürzeste weg, den wir dafür finden konnten und zur methode der befreiung entwickelt haben.

um aber eine verhaftungssituation noch genauer zu bestimmen, aufzuzeigen, mit welcher differenziertheit und sensibilität wir schon zuvor in der analyse und im konsens der gruppe darangegangen sind, muß ich noch etwas tiefer in den alltag der guerilla vordringen und davon berichten, einfach weil es immer schon vorhandene faktoren gibt, die zuvor erkennbar und schon auf den begriff gebracht die konkrete Situation, wie überraschend sie dann auch über den einzelnen hereinbricht, bestimmt oder im mindesten die gesetze des handelns aus der überraschung heraus erneut hilft anzukurbeln, eben für uns: für die gruppe der raf. das eine ist das territorium holland. also überhaupt haben wir immer wieder neu für uns bestimmt, in welchem land wir uns bewaffnen und in welchem nicht.

daß wir da auch zu ergebnissen kamen, daß es länder gibt, in denen wir uns nicht bewaffnen, zeigt am besten das beispiel der verhafteten und nicht ausgelieferten guerillas aus der raf in jugoslawien. in holland mußte das natürlich gänzlich anders aussehen, nachdem über so dümmliche propaganda, wie die, die raf wolle ihren prinzen oder hätte diesen entführt, die bka-rollkommandos sich im land festgesetzt hatten, wo sie vor allem schon während der schleyerentführung den büttel für eine von der nato betriebene fahndung gemacht hatten, bis in ihr letztes landwirtschaftliches gehöft hinein; trotzdem haben wir es noch nie als unseren job verstanden, den bewaffneten kampf in holland zu führen – die widersprüche, die sie nicht lösen können, in der weise zuzuspitzen, machen diese länder schon selber –, wenn, dann sind es immer andere gründe, wegen denen wir uns in solchen ländern aufhalten. etwa struktur, internationale kontakte zur vereinheitlichung einer widerstandsfront auf dem kontinent gegen die hauptfeinde von uns allen: die achse bonn-washington etc. pp., da stehen wir im übrigen in keiner anderen tradition als die der kpd, die nach der machtergreifung hitlers und vor der militärischen besetzung hollands von dort – natürlich nicht nur von dort – den widerstand in verschiedenen bereichen organisiert hat. das heißt, es gab also noch ne ganze menge politischer gründe – außer den bereits grundsätzlich genannten –, einer konfrontation mit dem holländischen repressions-apparat auszuweichen, wenn wir auch sehr lange zuvor wußten, daß dieser holländische nationalstaat im prozeß der westeuropäischen integration von der brd ausgehöhlt wurde, allerdings nicht um sein morsches gerüst vollends zu zerstören, sondern es funktional zu machen für eine krisensteuerung vor ort, denn soviel hat diese brd schließlich aus der geschichte gelernt: mit truppen und direktiven allein aus berlin oder bonn ist es nicht getan.

das andere ist die wohnung, schließlich weiß man in so ner telefonzelle nicht nur nicht immer gleich, was so ein bulle will, vielleicht mißverständnis etc., sondern man weiß auch nicht, ist die wohnung um die ecke schon hoch oder sowas, und das ist nicht einfach die frage von wohnung etc., sondern davon, wer von uns noch hinkommen könnte (also auch exekutiert werden könnte), infos, operatives wissen etc., überhaupt die ganzen nachteile der fahndung: halt all das, was durch ne vorschnelle schießerei und vor allem bei ner erschießung eines bullen in bewegung geraten kann.

es ist also nicht nur grundsätzlich so, daß wir dieses niveau der auseinandersetzung mit dem repressionsapparat nicht wollen, sondern im normalfall schadet es uns ganz konkret, wirft uns immer ein stück zurück, politisch, strukturell etc., selbst wenn es gut ginge aus rein militärischer sicht, wenn es also einen willen der gruppe gibt, den der einzelne vermittels seiner politischen identität hier in seinem konkreten handeln verwirklicht, dann kann es nur der sein, alles ihm mögliche zu tun, der konfrontation mit der ganzen list und flexibilität unserer taktik soweit es geht und so gut es geht auszuweichen, wenn das auch durchaus seine grenze hat.

ich möchte das mal an ein paar beispielen verdeutlichen, aus anderen zuvor gelaufenen situationen, die wir gemeinsam besprochen haben, es sind erfahrungen, die in der illegalität ständig oder zumindest nicht nur einmal von jedem gemacht werden.

a. wir fuhren im auto … verkehrskontrolle … aber woran soll man das heutzutage auf die schnelle erkennen … 12-15 bullen mit mp … sie winken uns raus … was jetzt tun … durchstarten: dann gibts zwar sicher ne schießerei, aber die militärischen chancen sind dann größer davonzukommen, als wenn man anhält und mit den papieren doch hängenbleibt … in der unmittelbaren nähe ist ne wohnung gewesen, wenn es ne schießerei gegeben hat, war die sicherlich auf jeden fall hochgegangen mitsamt leuten darin … was tun? – die entscheidung lief letztlich über den faktor wohnung: also anhalten … 5 km/h zu schnell gefahren, mit etwas gequatsche und 20 dm war die Sache erledigt.

b. diese geschichte ist auch im spiegel nachzulesen, man muß sie mit schmunzeln auf den lippen erzählen … also: auf dem weg, wo schleyer angeblich zu seiner arbeit fuhr, sei eines abends von einem kleinbürger, der etwas aufgebracht und aufgehetzt sein mußte, bei der kölner polizei angerufen worden, vor seinem hochhaus stünde ein alpha mit zwei frauen davor, was wohl terroristinnen sein müßten … kölner bullen gleich mit voll einsatz hin … und was haben die frauen entgegen aller »draufknallraster« gemacht? neeein, sie haben »nicht die waffen gezückt«, sondern gleich so zwei jungsche knechte in uniform zum autoreparieren und abschleppen eingespannt … jeder im raum stelle sich die verantwortung vor, die auf ihnen gelastet hat … was wär gewesen, wenn es zu ner schießerei gekommen wäre … dann würd ja möglicherweise schleyer immer noch seinen finsteren machenschaften in den konzernhierarchien und chefetagen imperialistischer macht unbehelligt nachgehen können … das revolutionäre proletariat auf jeden fall hätt diesen fehler der raf nicht so leicht verziehen, eine sünde am proletarischen internationalismus.

daß wir in dieser spezifischen holländischen konstellation den politischen willen der gruppe verwirklicht haben: indem wir den konfrontationszeitpunkt auf dieser ebene so weit wie möglich und vertretbar rausgeschoben haben und damit den politischen willen der gruppe, ihr ziel, zu ihrem ureigensten gemacht haben, steht für mich hier außer frage, aber die konfrontation rauszuschieben, um bessere bedingungen für politisches handeln zu haben, hat nichts mit hadern zu tun oder sich die gesetze des handelns vom gegner aufzwingen zu lassen, es findet seine äußerste und allerletzte grenze da, wo das hadern und nicht-handeln zum selbstmord wird, richtiges politisches militärisches handeln heißt auch, im richtigen moment zu handeln, und dann vor allem umso entschlossener, das ist die lehre, die von der revolution in einem noch viel weitergehenden sinne nutzbar gemacht werden muß.

ich weiß, daß ich bisher nur zu einem kleinen teil gekommen bin von dem, was in diesem prozeß noch zu sagen wäre, doch dies hier ist ein prozeß, der nie aufhört, wie groß der aufwand, uns zu zerstückeln in personen, delikte, selbst in unseren sätzen, wörtern und buchstaben etc. auch sein mag.

– UNSERE SACHE IST BEWAFFNETER PROLETARISCHER INTERNATIONALISMUS IN DER METROPOLE BRD

– UM ES MIT FIDEL ZU SAGEN: DIE GESCHICHTE WIRD UNS FREISPRECHEN

WIR SIND SICHER, DASS WIR SIEGEN WERDEN.

Frankenthal-Bericht

Beschreibung der Sonderhaftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal 1981

1. die allgemeine situation, wie sie für alle gefangenen gilt:

schon aus der luft sieht das ganze aus wie ein modell in der landschaft, 5 oder 6 rechteckige kästen mit einer mauer drumrum, geschlossene blöcke, zugemauerte klotze – erst wenn man näher rankommt, kann man erkennen, daß es vier stockwerke fensterreihen gibt, die aber zu 50 % mit breiten, von oben nach unten verlaufenden betonträgern ohne querverstrebungen verschlossen sind. da alles mit einem durchgehenden einheitsgrau verputzt ist, sieht es so aus, als seien die geschlossenen wände der trakte nur von länglichen, schießschartenartigen luftschächten durchbrochen; direkt davorstehend kann man sich die fabrik vorstellen, in der die fertigbauteile hergestellt werden, wie riesige maschinen rechteckige betonstücke stanzen, aus denen dann die fassade zusammengesetzt wird, schön ein kästchen neben dem andern, eins wie das andre durch sauber verputzte verbindungslinien aneinandergeklebt. »anstaltsfremde besucher« werden von mehreren wächtern empfangen, von denen einer das übliche absonden mit gezogener (wahrscheinlich konsequenterweise auch entsicherter) pistole überwacht, eine rheinland-pfälzische spezialität, laut jumi sei das »weder eine bedrohung noch eine diskriminierung bestimmter besucher oder berufsstände«, sondern diene vielmehr der »fürsorge«, und zwar »der die durchsuchung vornehmenden beamten«. es hat ja schließlich auch noch keinen mcleod gegeben. in den gängen leicht beige abgewiegelte farben, »aufgelockert« von bildern von gefangenen an der wand, in gedämpften farben gehaltene »freizeitprodukte rehabilitierter«, auf die die beamten mit verhaltenem stolz verweisen, sie unausgesprochen als erfolg ihrer arbeit deklarierend; gummibäume in plastikkästen, adrette holztischchen mit roten, blauen und grünen stühlen davor, hübsch schräg versetzt angeordnet in reih und glied im ansonstigen nichts, wahrscheinlich damit es bei besuchen »entkrampft« ist.

die zelle mehr klinisch als knastig, alles auf beruhigung abgemischt, holzboden parkett (den man dann einmal pro woche bohnern darf – fehlt nur noch der gummibaum auf der zelle), wandfarbe nicht grell weiß, sondern gekämpft abgetönt, an der fensterfront helles braun oder mattes ocker. holztischchen (70 x 70 cm), schränkchen, stuhl und übliches einheitsbett, gekachelte, leicht abgeschrägte ecke mit den »sanitären anlagen« neben der tür, über dem waschbecken badezimmerplastikschränkchen mit spiegelschiebetüren. das erste wort, das aus der 8- bis 10-köpfigen wachmannschaft verlautet, ist, daß man mit der gegensprechanlage nicht abhören könne – und dann sieht man sie erst: über der tür der lautsprecher, darunter ein rotes lämpchen, unter dem steht: hören, und ein grünes, unter dem steht: sprechen.

das ritual, das in diesem moment stattfindet, heißt »zellenübergabe«. die wächter gebärden sich feierlich, stolz und als ob man sowas luxuriöses eigentlich nicht verdient hätte, mit verhaltenem ton wird sachlich und ernst auf das mobiliar verwiesen und mit besonderer befriedigung die hiesige spezialität gezeigt: eine vierknöpfige leiste neben der tür, ganz unten licht (»da können sie dann abends früher ausmachen, wenn sie z. b. schon um 8 ins bett gehn wollen«), darüber ein lautstärkeregler fürs radio, mit dem der gewisse hoteleffekt erzeugt werden soll (»damit können sie’s einstellen, wie’s ihnen genehm ist«), dann ein programmwahlknopf (»können sie aus zwei programmen auswählen, wenn ihnen eines nicht zusagt«), und ganz oben die »ruflampe« (»können sie jederzeit drücken und melden, was sie wünschen«) – die totale fürsorge, könnte man meinen, in wirklichkeit die totale inbeschlagnahme und fremdbestimmung, nur indirekter als anderswo, das beginnt gleich mit dem wecken:

nicht um 6:30 oder 7:00 uhr wie in anderen knästen, sondern um 5:30 uhr, und zwar durch aufflackern der neonröhre über dem kopf, wem das und das bereits eine halbe stunde früher einsetzende laute reden auf dem gang, das türenschlagen und muntere pfeifen noch nicht reicht, dem gibt ein schriller, durchdringender, in seiner aufdringlichen »freundlichkeit« umso aggressiverer dreiklangton den rest. dieses frühe, jeden normalen schlafrhythmus zerstörende wecken erzeugt eine den ganzen tag anhaltende latente müdigkeit, die die abwehrkräfte reduzieren und die gefangenen damit verfügbarer machen soll, es ist symptomatischer teil sämtlicher aufeinander abgestimmter maßnahmen des gesamten derart hintergründig und indirekt funktionierenden programms. kurz vor sechs frühstück (was heißt: brot und ungenießbarer milch»kaffee«), zwischen halb sieben und sieben hofgang (was im winter heißt: bei völliger dunkelheit im licht von scheinwerfern), um 11 mittagessen, um 16 uhr abendessen, um 22 uhr licht aus.

den ganzen tag über durchsagen, die man mithören muß: »herr schladda bidde segs acht eins ahnrufen, herr schladda bidde segs acht eins ahnrufen dringend« (fränkisch mit ansätzen zum übergang ins schwäbische), oder ein aufreizender elektronischer dauerton, dem ein wiederholtes, sicherheit und ordentliches, beamtenhaft wichtiges, alles unter kontrolle habendes, entschieden warnendes und doch seltsam mechanisch tonloses »probealarm probealarm« folgt – eine der lieblingsbeschäftigungen der zentrale hier, fast jeden tag.

mehr noch die funktion, die ständige präsenz der kontrolliertheit und der aufforderung zur einbzw. unterordnung zu demonstrieren, erfüllen die stationsspezifischen und direkt nur in die eigene zelle gelegten durchsagen.

so werden die gefangenen z. b. jeden morgen nach dem frühstück in einer art sachlichem befehlston in überlautstärke aufgefordert: »abfalleimer leeren – abfalleimer leeren: ruflampe drücken« – von der entmündigung und bevormundung mal ganz abgesehen, ist damit die demonstration des ausgeliefertseins beabsichtigt, gerade in diesen anscheinend nebensächlichen kleinigkeiten. gleichzeitig ist damit das »angebot« einer kooperation verbunden, für die, geht der gefangene auf sie ein, »belohnung« winkt (siehe auch literatur zur »behavior modification« in den usa, z. b. das »24-punkte-programm « des dr. schein u. a. in »autonomie«). das erstreckt sich dann natürlich auf alle bereiche des täglichen lebens: einkaufszettel verlangen, einkaufszettel abgeben, hofgang, mittagessen ankündigen, »fertigmachen zur freizeit«, ankündigung von sondervorführungen beim video oder kirche und natürlich immer wieder verkündigung und erläuterung der neuesten »verordnungen« oder »durchführungsbestimmungen«, die in monotonem, aber »belehrendem« ton vorgetragen werden und meist mit »ende der durchsage« enden, besonders deutlich sind die direkten einzeldurchsagen, in denen anwalt, besuch, duschen oder einzelhof angekündigt wird, sämtliche anstehenden einzelfragen erledigt werden, bis hin zur frage, ob man klopapier oder seife braucht, aber auch der monatliche tabakeinkauf oder briefmarkenbestellung.

der grund, warum sowas nicht normal mündlich an der zelle besprochen wird – wie es für eine einzelangelegenheit ja anzunehmen wäre – ist ebenso einfach wie brutal: da der gefangene davon abhängig ist, daß der wächter ihn von seinem »dienstzimmer« aus sprechen läßt – denn der gefangene muß ja im wahrsten sinne des wortes grünes licht erhalten zum sprechen, ist ja nicht wie beim sprechfunk, wo jeder selbst bestimmen kann, wann er redet –, kann der wächter struktur und inhalt des gesprächs bestimmen: gibt es z. b. eine auseinandersetzung über die herausgabe von alten zeitungen oder zu langes wartenlassen auf den hofgang oder sonst irgendwas, dreht der wächter einfach die sprechmöglichkeit ab und redet selbst so lange, bis das thema auf seiner ebene ist oder er gesagt hat, was er sagen wollte, und damit ist ende, ich konnte mal verfolgen, wie sich in der nebenzelle ein gefangener darüber beschwerte, daß er nicht in die »freizeit« durfte (als »strafe« dafür, daß er nachts »zu laut« gewesen war), und je erregter er wurde, desto früher fiel ihm der wächter ins wort und brüllte in seine zelle rein – bis der gefangene fast tobte vor wut und daraufhin (er war in einer dreierzelle) zur »strafe« in eine einzelzelle verlegt wurde. unterwirft sich der gefangene nicht, werden durch solche – und mehr derartige – mittel seine aggressionen geschürt: geraten sie ihm dann außer kontrolle und er schlägt um sich – greift jemanden an oder beschimpft jemanden –, ist das die legitimation für noch härtere maßnahmen: solange, bis sein rückgrat krumm ist.

wichtig ist noch, daß die wächter ihre rolle in diesem programm nicht bewußt spielen – sie sind werkzeuge, bzw. eben »auch nur menschen«, wie mir neulich einer sagte; d. h. es ist natürlich bequemer für sie, hinter dem schaltpult mit einem zu reden, und nicht nur diese möglichkeit, das gespräch bestimmen zu können, sondern auch die ganze atmosphäre dieses »control-unit«, hinter dem sie da sitzen, mit knöpfchen und lämpchen und oft mit videomonitoren, vermittelt jenes gewisse gefühl der partizipation an der macht, mit dem die herrschenden schon seit jeher ihre handlanger und vor allem ausführenden in den untersten rängen geködert haben, und so sind sie im gewissen sinn sogar opfer:

sie können gar nicht mehr normal von mensch zu mensch mit einem reden, können einem z. b. nicht mehr in die augen sehen; und wenn sie mal nicht mehr selbst die frage nach briefumschlägen über gegensprechanlage abwickeln können, um sie dann wortlos auszuhändigen, sondern etwas direkt sagen müssen, dann ist das nur noch etwas amtliches, gerichtsbeschlossenes oder hausordnungsverkündendes, was geradezu rituell anmutend »eröffnet« wird: langzeitfolge einer solchen praxis ist eine mutation: verlust der kommunikationsfähigkeit und ihr ersatz durch elektronik, weil sie nicht mehr gebraucht wird – früher waren es nur die fußzehen, die verkümmerten, als der mensch anfing aufrecht zu gehen – auch schon schade, aber jetzt geht’s an die substanz.

über die funktion des radios und des tv als instrument zur verhinderung eigener gedanken, kreativität oder gar widerstand wäre eine extra analyse zu schreiben, vor allem in hinblick darauf, daß das, was hier läuft – gerade in dieser funktion – nur speerspitze der gesamtgesellschaftlichen funktion der medien ist. das wird da besonders deutlich, wo sich die gefangenen für ihre drei stunden täglich, in denen sie videoaufzeichnungen sehen dürfen – und es gibt nur video, was eine zusätzliche kontroll-, auswahl- und zen-surmöglichkeit ist –, auch noch selbst die dümmsten und systemimmanentesten hollywoodschinken und unterhaltungssendungen aussuchen: es gibt keinen ort der welt, wo diese unwirklichkeit und vorspiegelung falscher tatsachen krasser – und ihre funktion der verdrängung der realittät erfüllender! – hervortritt als im knast.