RAF oder Hollywood - Christof Wackernagel - E-Book

RAF oder Hollywood E-Book

Christof Wackernagel

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Beschreibung

»Alan Parker will mich für den Film ›Midnight Express‹, Hauptrolle, ich soll einen kiffenden Ami spielen.« »Ist doch toll!«, rief Klaus. »Mach das! Damit schaffst Du Hollywood!« Ich ließ meine Butterbrezel sinken und fragte: »Seit wann geht es um Hollywood – es geht um den Kampf um Befreiung!« Christof Wackernagel ist seit seinem fünfzehnten Lebensjahr ein gefragter Schauspieler. 1977 hätte er die Möglichkeit gehabt, in einer internationalen Produktion mitzuwirken, doch er beschloss, sich stattdessen der RAF anzuschließen. »RAF oder Hollywood« erzählt die Geschichte vor Wackernagels Zeit in der RAF. So ist das Buch zwar keine Autobiografie, Abrechnung oder Bitte um Absolution, aber dennoch eine autobiografisch vorgetragene Antwort auf die Frage, warum er sich dem bewaffneten Untergrund anschloss. Wackernagel berichtet aus der jeweiligen Zeit, was ihn beeinflusste und ihn seine Meinung bilden ließ, und gibt somit stets den damaligen Zeitgeist wieder, ohne aus heutiger Sicht zu urteilen.

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Christof Wackernagel

RAF oder Hollywood

Tagebuch einer gescheiterten Utopie

© 2017 zu Klampen Verlag · Röse 21 · 31832 Springe

www.zuklampen.de

Satz: Germano Wallmann · Gronau · www.geisterwort.de

Umschlaggestaltung: © Hildendesign · München · www.hildendesign.de

Bildmotiv: © HildenDesign unter Verwendung mehrerer Motive von shutterstock.com

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-86674-680-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.

Denen, die diese Zeit nicht überlebt haben

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Dieses Buch …

Prolog

1954

1955

1956

1957

1958

1959

1960

1961

September

1962

22. Oktober

1963

1964

1965

1966

1967

22. Mai

2. Juni

1968

2. April

11. April

11. Mai

1969

Herbst

1975

Herbst

1976

2. Januar

13., 14., 15. Januar

4. Mai

8. Mai

Juni

Juli

1977

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Epilog

Anhang

Dokumente

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Der Autor

Dieses Buch …

… ist keine Autobiografie.

Es ist auch keines über die RAF. Die RAF – als solche – hat es im Übrigen nie gegeben. Die RAF – das war ihre Besonderheit, ihre Stärke wie ihre Schwäche – war ein Zusammenschluss von Individuen, in dem jedes eine eigene Vorstellung von der Idee der RAF hatte:

Deshalb kann auch jede(r) – ehemals – Beteiligte nur für sich sprechen. In den folgenden Berichten in Tagebuchform geht es um die Entwicklung eines Bewusstseins, die in den Entschluss mündete, sich bewaffnetem Widerstand anzuschließen.

Damit sie nachvollziehbar wird, habe ich diesen in vielen Jahren gewachsenen und von vielen Erfahrungen, Begegnungen und erlebten zeitgeschichtlichen Ereignissen geprägten Prozess rein subjektiv beschrieben: eins zu eins den Zustand, das Denken, das Fühlen, den Zeitgeist zu Wort kommen lassen, wie er damals war, genau so geschrieben, wie ich damals dachte, fühlte, sprach und handelte, alles so dargestellt, wie ich es nach bestem Wissen und Gewissen von damals in Erinnerung habe.1

Wie und warum ich die RAF wieder verlassen hatte, was ich danach gemacht habe, warum ich seitdem auch Gegengewalt und Gegenmacht ablehne, wie ich heute denke und was ich heute tue, habe ich in unzähligen Interviews, Talk-Shows und Artikeln bereits erklärt, es ist auf meiner Webseite2 nachzulesen und liegt in Buchform3 vor.

Prolog

10. November 1977

Irgendetwas roch seltsam. Ich schloss die Tür hinter mir und schnüffelte. Die typische Amsterdamer Vorort-Wohnung in der Pieter Calandlaan hatte einige Wochen leer gestanden und roch nach vergorenem Fisch – ich zuckte mit den Achseln und riss die Fenster auf, um ordentlich durchzulüften.

Seit zwei Monaten in der Illegalität war ich nach Amsterdam gefahren, um Fotomaterial zum Zweck der Passfälschung zu kaufen. Als ehemaliges Mitglied des Fantasia-Druckkollektivs war ich prädestiniert dafür, mich auf diesen Bereich unserer subversiven Arbeit zu konzentrieren. Und da es in der RAF außer mir einige Haschischraucher gab, konnte ich nach getaner Arbeit die Chance nicht ungenutzt vorübergehen lassen, in Amsterdam, dem Mekka aller Kiffer, Nachschub für unsere Fraktion in der Fraktion zu kaufen. Sie war zwar nicht von allen gern gesehen, wurde aber stillschweigend geduldet, zumal unsere Altvorderen, die bis vor Kurzem in der Stammheimer Festung eingesessen hatten, samt und sonders die Cannabis-Heilkräuter liebten; oft waren wir von draußen kaum nachgekommen mit den von Anwälten weitergereichten Lieferungen herrlich duftenden grünen Marokkaners oder schwarzer Afghan-Platten. Wir alle hatten uns allerdings auf die Devise der Black Panthers geeinigt: kein Kiffen während Aktionen. Leider hatte sich diese nicht gerade revolutionäre Tätigkeit in Amsterdam etwas hingezogen, trotz des umfangreichen Angebots fand ich nicht gleich das Richtige – und verpasste den letzten Zug zurück nach Deutschland.

Kein Problem. Die Rote Armee Fraktion, Weltmeister in Sachen Logistik, hatte zu diesem Zeitpunkt mindestens zwanzig Wohnungen in Europa, davon einige in Amsterdam, davon wiederum kannte ich eine, inklusive dem Versteck des Schlüssels. In gewisser Weise frohlockte ich sogar: endlich mal wieder ein ruhiger Abend ohne Gruppe und ohne Diskussionen, wie alles nach dem Desaster in Mogadischu4 und Stammheim weitergehen sollte. Ich fühlte mich nicht wohl mit unserer Propagandalüge, Baader, Ensslin und Raspe seien von den Geheimdiensten ermordet worden, obwohl wir in der Gruppe selbstverständlich von Selbstmord sprachen, schließlich hatten wir ihnen ja die Waffen ins Gefängnis geliefert. Aber warum waren diese bei den doch unübertrefflich scharfen Razzien nicht gefunden worden? Also, klar war da nichts, und ich konnte jetzt endlich ganz in Ruhe allein für mich über all diese Dinge nachdenken. Der Muff der Wohnung störte dabei nicht. Den merkwürdigen Geruch führte ich auf meine durch die vom Proberauchen beim Haschischkauf erzeugte Übersensibilität zurück, denn es war wirklich ausgezeichnetes Zeugs, das ich gekauft hatte, nach zwei Zügen war ich richtig gut stoned.

Doch kaum hatte ich es mir bei einem Glas Tee und einer Zeitung gemütlich gemacht, klingelte das Telefon. Ich stutzte – eigentlich wusste nur ein Mensch, dass ich in dieser Wohnung war, nämlich Cressida, aber mit ihr hatte ich doch eben erst telefoniert, um ihr zu sagen, dass ich über Nacht hier blieb –? Dann musste es arg dringend sein!

Am anderen Ende meldete sich ein Mann – zum Glück erkannte ich ihn: Es war Gert Schneider, der andere Neue, gerade mal eine Woche länger als ich in der Gruppe. Ich war ein wenig neidisch auf ihn gewesen, weil er zur Ausbildung in ein Palästinenserlager im Irak geschickt worden war, was ich mir viel spannender vorstellte, als hier die langweiligen Passgeschichten zu regeln.

»Charly hat Krebs«, kam er sofort zur Sache, »ich muss Zeugs gegen seine Schmerzen besorgen, der lebt nicht mehr lang.«

Diese Information war ein Schock. Charly hatte Krebs und schon so weit? Wie furchtbar – ein weiterer Schlag. Ich hatte ihn nur einmal getroffen, aber wir hatten uns durchaus verstanden, zumal auch er einen guten Joint liebte.

Nachdem Gert gekommen war, beschlossen wir, als Erstes Cressida von dem neuen Tiefschlag zu informieren und dann lecker essen zu gehen, ich wusste ein gutes Lokal in der Nähe. Da es nach den Gesetzen konspirativen Handelns verboten war, von einer Wohnung in die andere zu telefonieren, mussten wir eine Telefonzelle suchen. Für den Weg trat ich ihm meine Handgranate ab, damit er nicht wehrlos herumlief, denn ins Flugzeug nach Amsterdam hatte Gert natürlich keine Waffen mitnehmen können. In der Regel war jeder mit einer Pistole und einer Handgranate ausgerüstet, wenn er auf die Straße ging – es war allerdings noch nie eine Handgranate gezündet worden.

»Hab ich gestern noch geübt«, sagte er lachend und steckte sie ein. Es gehörte zu den täglichen Übungen eines Stadtguerilleros, die Fingermuskeln zu stärken, um den Bügel einer bereits entsicherten Handgranate möglichst lange angespannt halten zu können, falls es in einer bedrohlichen Situation einmal nötig werden sollte. »Richtig im Sand robben und dann über eine Düne werfen«, erzählte er amüsiert von dem Leben im Palästinenserlager – ansonsten schien der Alltag in der Wüste jedoch nicht so spannend zu sein, eher eintönig sogar; allzu viel hatte ich offensichtlich nicht verpasst. Auf dem Weg zur Telefonzelle berichtete er vom schrecklichen Zustand Charlys, der so furchtbare Schmerzen habe, dass er härteste Betäubungsmittel brauche, am besten Morphium und Heroin. Ich war zwar ebenso scharfer Gegner aller Suchtdrogen wie ich Befürworter von Cannabis war, aber wenn es darum ging, jemanden den Tod zu erleichtern, gab es da nichts zu diskutieren.5

Kurz vor dem Restaurant fanden wir eine Telefonzelle. Cressida war sofort am Apparat und von der Nachricht schockiert – ich wusste, dass sie Charly mochte und unterstellte ihr, dass sie eifersüchtig auf Luisa war, weil diese seine aktuelle Freundin war, aber das alles spielte in dieser lebensbedrohlichen Situation keine Rolle mehr.

»Brauchen Sie noch lange?«, fragte jemand durch die nur einen Spalt geöffnete Tür der Telefonzelle.

Ich diskutierte gerade mit Cressida, wie und wo wir am schnellsten und sichersten Stoff für Charly bekommen könnten, und Gert, der seitlich hinter mir gegenüber der Tür stand, wiegelte ab: »Wir sind gleich fertig.«

»Hände hoch!« –

Ich fuhr herum und sah Mündungsfeuer aus einer auf Gerts Bauch gerichteten Pistole, während die Tür der Telefonzelle aufgerissen wurde und dahinter eine vermummte Gestalt brüllend und mit ihrer Waffe irre fuchtelnd um sich schoss, aber bis ich meine Sig Sauer gezogen hatte und zurückschießen konnte, spuckte die Pistole vor Gerts Bauch bellend eine zweite Ladung in ihn, und während er zusammenbrach, flog die Angreiferpistole in hohem Bogen durch die zersplitternde Glastür der Telefonzelle und die beiden Schützen zogen sich zurück – ich stürmte heraus – sah mich einem Halbkreis aus knallendem Feuerwerk umgeben, das ich ziellos um mich schießend zu erwidern suchte, doch –

meine Pistole klemmte –

verblüfft sah ich auf meine Hand –

da spürte ich einen derartigen Schlag im Ellenbogen, dass es mich herum- und zu Boden riss, während mir meine Waffe aus der Hand flog und ich hart aufschlug – am Boden versuchte ich mich zu orientieren, es knallte und blitzte von allen Seiten; ich sah, wie Gert sich durch die Glassplitter der Telefonzellentür auf den Gehweg wälzte, die Hände vor dem Bauch verkrampft, sich aufbäumte, mit der linken Hand den Sicherungsbügel der Handgranate wegriss, um sie mit der rechten in Richtung Mündungsfeuer zu werfen – woraufhin ein gewaltiger Donnerschlag durch die Straßenschluchten des Amsterdamer Vorortes hallte – dem ein Geballer aus allen Rohren folgte, das kein Ende nehmen wollte – ich sah, wie Gerts Körper, der unter dem Lichtkegel einer Straßenlaterne lag, von den Einschüssen hin- und hergeschleudert wurde, spürte selbst Einschüsse an den Beinen – bis Kommandos gebrüllt wurden und die Schießerei erstarb.

Kurz darauf hörte ich ein Keuchen neben meinem Ohr, eine heisere Stimme: »Keine Bewegung«, und ich spürte die kalte Mündung einer Pistole an meiner Schläfe. Es hatte nun keinen Sinn mehr zu reagieren, ich sah, wie immer mehr Gestalten uns umringten, bis eine von ihnen ihren Fuß auf meine Brust stellte und ihren Karabiner auf mein Gesicht richtete – dann löste sich die kalte Mündung von meiner Schläfe. Gert, der schwer verletzt sein musste, schimpfte auf Englisch vor sich hin – ich versuchte meinen Kopf zu heben, um zu ihm hinübersehen zu können, da brüllte der Kerl mit dem Karabiner mich an, drehte ihn um und stieß mir den Kolben in die Schläfe – die Frage durchzuckte mich, ob mir jemand in den Kopf geschossen hatte – und es wurde dunkel.

Sirenengeheul weckte mich, aber ich schaffte es nicht, die Augen zu öffnen, dämmerte wieder weg, kam wieder zu Bewusstein, hörte Gert, der fragte: »Where is my comrade?«, dämmerte wieder weg, spürte, dass meine Kleider aufgeschnitten wurden – ich auf einer Bahre getragen wurde – kam hin und wieder zu Bewusstsein, während wir durch die Straßen fuhren, und ich spürte, dass jemand eine Spritze an meinen Arm setzte – kurz darauf durchfloss mich ein derart unvorstellbar angenehmes Wohlgefühl, dass ich, bevor ich einschlief, dachte: Wenn das der Tod sein sollte, gibt es nichts Schöneres.

Drei Tage später wachte ich im Gefängniskrankenhaus mit einer Binde um den Kopf auf und stellte angenehm überrascht fest, dass ich noch lebte. Sofort herrschte völlige Klarheit in meinem Kopf – und der merkwürdige Geruch beim Betreten der Wohnung fiel mir ein. Wahrscheinlich, erkannte ich, hatte die Amsterdamer Polizei mit Hilfe des BKA unsere Wohnung gefunden und längst beobachtet – ich hatte den Angstschweiß der Männer gerochen, die unsere Wohnung durchsucht hatten und fürchteten, dass wir überraschend auftauchen könnten: Zwei Wochen zuvor war einer ihrer Kollegen bei einer solchen Konfrontation erschossen worden.

Ich hätte nicht die Fenster aufreißen, sondern das Weite suchen sollen.

1954

Mein Vater6 war sehr fromm. Seine Mutter7 war eine glühende Katholikin; ihren Visionen von Apostel Petrus, die sie auch literarisch verarbeitete8, verdankte er seinen Name Peter. In ihren Romanen und Theaterstücken verteufelte sie genauso glühend patriarchalen Männerwahn und identifizierte sich mit den Entrechteten und Gedemütigten dieser Erde. Diese Haltung entwickelte mein Vater in seinen Inszenierungen als Intendant des Ulmer Theaters weiter, indem er christliche Werte wie Gerechtigkeit und Gleichwertigkeit aller Menschen als allgemeingültige vermittelte.

Da auch meine Mutter9 am Theater arbeitete, führten wir ein unregelmäßiges Leben. Zum Ausgleich dafür traf sich die ganze Familie, zu der noch meine ältere Schwester Sabine10 gehörte, einmal am Tag zum Essen, am Sonntag auch zum Frühstück; da gab es sogar ein weichgekochtes Ei. Wir hatten ein Esszimmer; mein Vater saß mit dem Rücken zum Fenster, ich saß rechts von ihm, meine Schwester Sabine links – ihm gegenüber meine Mutter.

Vor dem Essen wurde immer gebetet: »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast.«

Eines Tages hatte ich genug von dieser ewigen Einladung: »Wann kommt der denn endlich mal, dieser Herr Jesus?«

1955

Ich spielte mit meinem Freund Rolf auf dem Gehweg vor unserem Haus, einem vierstöckigen Neubau in der Gideon-Bacher-Straße. Er war ein Hund und ich eine Katze. Wir bellten und miauten die Passanten an, und wenn welche erschraken, lachten wir jubelnd. Einige schimpften sogar, was uns besonders freute; eine Frau gab uns Bonbons.

Ein älterer Junge kam vorbei. Er zwinkerte wichtig und winkte uns, mit ihm zu kommen. Wir folgten ihm neugierig.

In der nächsten Querstraße gab es eine Kriegsruine. Es war uns strengstens verboten, in ihr zu spielen, weil da vielleicht noch Bomben lagen, die losgehen könnten. Genau dorthin führte uns der Junge.

Davor angekommen, sah er sich sichernd nach allen Seiten um, und nachdem die Luft offenbar rein war, flüsterte er: »Los« – und wir huschten über moosbewachsene Gesteinsbrocken durch eine Mauerlücke in den Keller der Ruine. Drinnen war es kalt, glitschig und es roch muffig; Rolf und ich zitterten vor Aufregung.

»Jetzt zeig ich euch mal was«, sagte der Junge und nickte bedeutungsschwer – dabei zog er etwas aus seiner Hosentasche. Es waren an einem grauen Bändchen aufgereihte kleine rote Pappröhrchen. Während er Streichhölzer aus der Tasche zog, streckte er sie uns entgegen, damit wir sie näher betrachten konnten, und erklärte grinsend: »Des sen Judafirzle!11«

Wir lachten unsicher, wiederholten aber stolz: »Judafirzle!«

Der Junge legte sie auf den Boden, kniete sich davor und zündete ein Streichholz an. Etwas unheimlich war mir ja schon, hier, mitten zwischen den Bomben, die vielleicht hochgehen könnten, aber es war so spannend, dass ich alle Bedenken beiseiteschob. Der Junge hielt das lodernde Streichholz an das graue Bändchen, an dem sodann ein Funke entlangzischte, bis er das erste rote Pappröhrchen erreichte – das explodierte – erschrocken sprangen wir zurück – alle weiteren explodierten in rasender Schnelle hintereinander knatternd, Funken sprühend und in den düsteren Gemäuern hallend.

Offenen Mundes standen Rolf und ich da, ergriffen von dem Spektakel, dann jubelten wir – und der Junge zog geschmeichelt die nächsten Kracher aus der Tasche.

Nachdem ich die vier Stockwerke zu unserer Wohnung hochgestürmt war, berichtete ich meinen Eltern atemlos vor Begeisterung von meiner neuen Erfahrung.

Mein sonst so milder Vater12 wurde ernst. »Sag dieses Wort nicht noch einmal«, ermahnte er mich, »ich will das nie wieder hören.«

Ich hüpfte laut lachend vor ihm hin und her und rief extra auf schwäbisch, weil wir zuhause nur Hochdeutsch sprachen: »Judafirzle! Judafirzle! Judafirzle!«

»Christof!«, rief er, richtig wütend, »lass das! Ich verbiete dir das!«

Ich war kurz verunsichert – doch dann streckte ich meine Zunge heraus und wiederholte: »Judafirzle! Judafirzle!« – seine Hand landete klatschend auf meiner Wange.

Ich war so verblüfft, dass ich vergaß zu weinen.

Das hatte es noch nie gegeben.

Dann spürte ich den Schmerz und flüchtete zu meiner Mutter13, die von dem Krach alarmiert ins Zimmer gekommen war.

»Aber Peter«, sagte sie und streichelte meinen Kopf, »sei doch nicht so streng, das kann er doch noch nicht wissen.«

»Dann weiß er’s jetzt«, sagte mein Vater traurig.

1956

Familientreffen in Amsterdam. Meine Lieblingstante Yella14 und ihr Mann Otto waren aus London angereist, meine Tante Susi mit ihrem Mann aus Südwest-Afrika15, mein Opa Erich aus Brasilien. Wir fuhren alle zusammen in einem Boot durch die Grachten. Ich durfte auf dem Schoß von Yella sitzen und Kapitän spielen. Feuchter Wind streifte über mein erhitztes Gesicht, es roch aufregend, die Häuser sahen aus wie im Spielzeugland.

Mein Opa schwitzte und rauchte eine Zigarre. Das tat er oft. Er hatte eine lange Narbe auf der linken Wange, einen »Schmiss« – ich bewunderte diese Narbe und fand sie eklig zugleich. Er war einmal bei der Olympiade Schiedsrichter gewesen, das hatte ich auf einem Foto gesehen; darauf schwitzte er auch und diese Narbe war deutlich zu sehen.

Onkel Otto und mein Opa hatten sich vorher noch nie gesehen und redeten nun zum ersten Mal miteinander.

»Da zieht man extra ans andere Ende der Welt, um Ruhe vor den Nazis zu haben«, sagte mein Opa und schmauchte heftig, »und von wem wird man dort empfangen?«

Onkel Otto, der neben mir und vor meinem Opa saß, lächelte und nickte. »Ja«, sagte er, »sie sind überall und es geht ihnen gut.«

»Dabei«, fuhr mein Opa fort, »leben in Norte16 die meisten deutschen Juden, die es geschafft hatten! Deshalb bin ich ja dorthin.«

»Deshalb sind die Nazis ja auch dorthin«, versetzte Onkel Otto, wandte seinen Kopf nach hinten, bis es nicht mehr ging, und sagte: »Die Nazis können ohne die Juden nicht leben, das ist doch das Problem.« Er drehte sich wieder nach vorne und um seine Lippen kräuselten sich in seinem sowieso schon sehr zerfurchten Gesicht weitere zitternde, heruntergezogene Falten.

»Lasst doch diese Gespräche«, sagte meine Lieblingstante Yella. »Was soll der Christof denn denken?«

Ich dachte nichts, aber es war alles wahnsinnig spannend.

1957

Auf dem Eselsberg bei Ulm wohnten Inge17 und Otl18. Sie waren Freunde meiner Eltern, hatten viele gleichaltrige Kinder, und wir fuhren oft sonntags dorthin. Es gab immer selbstgemachten Kuchen und alle waren fröhlich.

Inge war wie eine Heilige, sanft und entrückt. Ihre Geschwister waren von den Nazis umgebracht worden. Sie hatten sich »Weiße Rose«19 genannt.

Otl war sehr lustig und machte gerne Quatsch mit uns Kindern. Er war Professor an der Uni auf dem Eselsberg20, die man von dem Haus der Aicher-Scholls aus sehen konnte. Alle Gebäude waren weiß und strahlten.

Die Fenster sahen merkwürdig aus, nicht normal rechteckig, sondern klobig viereckig. Ich fragte Otl, warum die Fenster so dick seien und brachte ihn damit zum Lachen. Dann erklärte er mir ganz viel, von dem ich nur verstand, dass die normalen Fenster »unmenschlich« seien. Das erschreckte mich, denn dann waren ja fast alle Fenster auf der Welt unmenschlich!

Da lachte Otl nicht mehr und nickte: »Das ist ja das Schlimme! Die Menschen müssen endlich umlernen!«

Die Volksschule, auf die ich ging, war ein Backsteinbau aus quadratischen Klassenzimmern, von denen jedes seinen eigenen Garten hatte, nur durch eine Glasscheibe vom Boden bis zur Decke getrennt. Sie war nur zwei Straßen von unserer Wohnung entfernt. Es herrschte eine helle, freundliche Atmosphäre in diesen Räumen, ich war gerne dort und es war spannend zu lernen. Außerdem gab es ein wunderschönes Mädchen, Susi, die ich später heiraten wollte. Zusammen mit meinem Freund Rolf, der zwei Häuser neben uns wohnte, ging ich jeden Morgen hin.

Vor der Schule holte ich bei dem Bäcker, dessen Laden im Parterre unseres Hauses lag, frische Brötchen, manchmal durfte ich sogar ganz alleine im Milchladen in der nächsten Querstraße Milch holen und sie meinen Eltern ans Bett bringen. Mein Vater freute sich sehr darüber und bedankte sich in wohlgesetzten Worten bei mir: »Das haben Euer Ehren aber aufs Vorzüglichste erledigt – welch außerordentliche Labsal!«

Dann verneigte ich mich und sagte: »Ich bin der schnellste Milchmann der Welt!«

»Ja«, sagte mein Vater, »wenn alle Menschen so wären, lebten wir im Paradies!«

1958

Nach dem Tod meines Vaters wohnten meine Schwester Sabine und ich lange in England bei meiner Tante Gaby, der Schwester meiner Mutter, ich durfte sogar Schule schwänzen. Sie lebte mit ihrer kinderreichen Familie in einem englischen Landhaus. Von dort aus besuchte ich so oft es ging Yella und Otto, die in einem Vorort von London lebten.

Die Häuser sahen ähnlich aus wie in Amsterdam, wie zu große Spielzeughäuser mit hölzernen, geschwungenen Fensterläden, die schmale verzierte Leisten hatten. Alle Häuser hatten ganz kleine Gärten. Das Haus der beiden war voll mit schönen alten Möbeln, die wie geschnitzt aussahen, in allen Zimmern waren die Wände bis unter die Decke vollgestellt mit Büchern. Vor dem Wohnzimmer gab es einen kleinen Wintergarten, von dem aus man in das mit Brombeeren und anderen süß-sauren grünen Beeren und Blumen vollbewachsene Gärtchen sehen konnte.

Dort saß ich mit Onkel Otto an einem kleinen Tisch mit geschwungenen Eisenfüßen und er brachte mir, obwohl Yella ihm das verboten hatte, das Rülpsen bei. Man musste nur etwas Luft schlucken und dann die geschluckte Luft herauspressen – und schon war es ein Rülpser! Für jeden gelungenen Rülpser bekam ich einen Penny, große dunkelbraune Münzen, aus denen ich einen Turm baute. Onkel Otto lachte sich jedes Mal krumm und schief, wenn ich es geschafft hatte, und sein zerknittertes Gesicht wurde noch zerknitterter. Bald war der Anreiz, ihn zum Lachen zu bringen, größer, als weitere Pennys zu verdienen.

»Warum kommst du nie nach Deutschland?«, fragte ich ihn einmal, weil ich das schon lange fragen wollte.

Onkel Otto dachte nach. »Wenn ich dir das jetzt erkläre, würde Yella sagen, du seist noch zu klein dafür. Aber du bist schon groß, du verstehst das!«

Meine Brust schwoll – und meine Ohren.

»Du siehst die vielen Bücher hier«, fuhr Onkel Otto fort und zeigte auf die rundum mit Büchern überladenen Regalwände.

»Ich liebe Bücher«, platzte es aus mir heraus, ich konnte nämlich schon lesen und schreiben.

»Gut so«, sagte Onkel Otto, »ohne Bücher kann man nicht leben.«

Ich nickte heftig, ich liebte auch Onkel Otto.

»Ich habe auch Bücher geschrieben«, setzte er seine Erklärung fort, »und als wir noch in Deutschland lebten, wurden sie dort gedruckt und verkauft. Aber dann kamen die Nazis an die Macht und verbrannten sie.«

Ich war wie vom Donner gerührt. »Aber warum?!«, rief ich. »Bücher sind doch was Tolles!«

»Weil wir Juden sind«, antwortete Onkel Otto. »Deswegen sind wir dann nach England umgezogen und haben englische Namen angenommen.«

Da war es wieder! Die Nazis21 und die Juden. Immer wieder kam das.

»Nach jüdischer Tradition bist du auch Jude«, sagte Onkel Otto lächelnd, »weil deine Mama, deine Oma, deine Uroma alle Jüdinnen waren – aber das ist gleichgültig heute, das zählt heute nicht mehr.«

»Aber warum kommst du dann heute nicht nach Deutschland?«, insistierte ich auf meiner Ausgangsfrage. »Das ist doch alles vorbei?!«

Onkel Otto lächelte traurig. »Ich hab es ja versucht«, sagte er.

Ich sah ihn fragend an.

»Eigentlich wollte ich nie mehr nach Deutschland«, begann er seinen Bericht, »aber Yella hatte so lange mit mir geredet, bis ich mich überzeugen ließ: Ihr alle unsere nächsten Verwandten lebt dort, die Nazizeit ist überwunden, wir müssen nach vorne sehen und nicht immer an die Vergangenheit denken. Es hat keinen Sinn, die Deutschen auf immer und ewig wegen der Hitlerzeit zu verdammen, man muss ihnen eine Chance geben. Ich war zwar skeptisch, denn man hörte auch viel Schlechtes aus Deutschland, aber ich wollte keine Vorurteile haben, Yella hatte recht: Man muss offen für Veränderung sein.«

Er hielt inne und sah zum Fenster hinaus. Ich saß mucksmäuschenstill da.

»Also packten wir unsere Koffer«, fuhr er fort und sah ernst aus, »setzten uns ins Auto, schifften mit der Fähre aufs Festland, fuhren durch Holland und überquerten tatsächlich bei Aachen die deutsche Grenze. Die Sonne schien, die Menschen waren freundlich und wir mussten bei der ersten Tankstelle in Deutschland Benzin nachfüllen. Der Tankwart, ich erinnere mich genau, war noch ein junger Mann, hatte eine blaue Kappe auf dem Kopf, und trug eine weit schlackernde braune Kordhose. Nachdem er gesehen hatte, dass wir eine englische Autonummer hatten, fragte er zunächst, ob wir deutsch sprechen und als ich bejahte, fragte er nach den Benzinpreisen in England. ›Hab’s mir fast gedacht‹, sagte er mit einem bitteren Lachen, nachdem ich geantwortet hatte, ›ist ja nichts im Vergleich zu unseren Preisen!‹ ›Naja‹, entgegnete ich, ›es ist halt immer ein Auf und Ab – das wird sich hier schon auch wieder ändern!‹ ›Nein, nein‹, widersprach er, zog den Zapfhahn aus dem Auto und stieß ihn heftig in die Tanksäule. Ich zog meine Brieftasche aus dem Jackett und fragte, warum. Er sah mich prüfend an – es war deutlich, dass er um einen Beschluss rang –, dann sah er sich sichernd nach allen Seiten um und winkte mich schließlich näher an sich heran. ›Man kann ja heute nicht mehr offen über die Dinge reden‹, begann er noch näher zu mir gebeugt, fast flüsternd, ›aber das weiß doch jedes Kind: Die Preise sind von den Juden diktiert, der jüdischen Weltverschwörung in New York!‹ Dann wich er zurück und stemmte seine Hände in die Hüften: ›Erst haben sie Jesus Christus umgebracht, dann Adolf Hitler und jetzt beherrschen sie die Welt!‹«

Onkel Otto sah mich an, aber ich rief nur ungeduldig: »Und dann?«

»Dann bezahlte ich«, antwortete er, »verzichtete auf das Rückgeld, setzte mich wieder ins Auto zu Yella, erzählte ihr alles und wir fuhren zurück in unser geliebtes England. Hier werden wir für immer bleiben.«

Es dauerte eine Weile, bis sich das Erzählte bei mir setzte, zu verstehen war es eh nicht. Dann begann ich zu weinen ohne zu wissen, warum.

Schließlich nahm ich seine Hand und sagte: »Ich will auch für immer in England bleiben22.«

1959

Der neue Intendant des Ulmer Theaters, Kurt Hübner23, entließ als erste Amtshandlung meine Mutter als Frau seines Vorgängers, dessen bahnbrechende Erneuerungen des Theaters (zum Beispiel das Studiotheater »Podium«, in dem das Publikum um die Bühne herumsaß, Inszenierungen des in den fünfziger Jahren in Westdeutschland verpönten Bert Brechts, oder das Engagement von späteren Theaterrevolutionären wie Peter Zadek24 und Wilfried Minks25) er von nun an auf seine Fahnen schrieb.

Meine Mutter, die junge Witwe mit zwei Kindern, fand eine Stelle beim Bayrischen Fernsehen und musste schweren Herzens ihren Beruf als Schauspielerin aufgeben. Wir zogen um in ein Reihenhäuschen mit Handtuchgarten in Obermenzig am Rande von München, direkt nach dem Ende der Autobahn, wenn man von Ulm kam. Zum Glück gab es auch dort ein schönes Mädchen, sie hieß Mucki und brachte mir bei, dass man auf den umliegenden Wiesen Sauerampfer pflücken konnte, der lecker schmeckte.

Meine neue Schule war zwar ganz in der Nähe, aber sie war düster, geduckt, und es stank nach Linoleum. Der Lehrer war alt, hässlich und streng, der Unterricht machte keinen Spaß. Das Klassenzimmer war riesig, dunkel und wirkte wie ein Kellergewölbe. An der Wand hing ein riesiges Bild des Bundeskanzlers. Er hieß Konrad Adenauer und schaute angsteinflößend ins Zimmer.

Einmal standen wir vor Beginn des Unterrichts vor dem Bild und ein Junge gab damit an, dass sein Vater den Adenauer schon einmal in echt gesehen habe und dass der überhaupt der wichtigste Mann in ganz Deutschland sei. Da musste ich furchtbar lachen, zeigte auf den vorgeschobenen Mund dieses Mannes und sagte: »Aber der sieht doch aus wie ein Affe!« – alle umstehenden Kinder lachten mit.

»Was hast du da gesagt?«, ertönte eine schneidende Stimme hinter mir. Der Lehrer war hereingekommen, ohne dass ich das gemerkt hatte. Er stand mit seiner Aktentasche in der Hand hinter mir und funkelte mich böse an.

Ich zuckte mit den Achseln. Dann zeigte ich auf das Bild: »Der kann ja nichts dafür, dass er so aussieht!«

»Jetzt reicht’s aber«, rief der Lehrer, ging wütend zu seinem auf einem Podest erhöht stehenden Schreibtisch und knallte seine Aktentasche darauf. Dann winkte er mich mit dem Zeigefinger zu sich, während alle anderen Kinder sich setzten, und befahl mir, mich vor der Klasse aufzustellen. Er öffnete die Schublade, holte etwas heraus und hielt es hinter seinem Rücken, während er zu mir herunterkam.

»Jetzt schauts mal alle her«, sagte er zur Klasse gewandt, als er neben mir stand, »was passiert, wenn man so frech ist wie der Wackernagel.«

Er befahl mir, die rechte Hand hochzuheben und die Finger flach zu strecken. Dann legte er seine linke Hand darunter und holte mit der rechten hinter seinem Rücken ein Bastrohr hervor.

»Damit du nie vergisst«, fuhr er mich mit zusammengekniffenen Lippen an, »was für ein Sauhund du bist«, schlug mit dem Bastrohr ganz vorne auf meine Finger, fast auf die Fingernägel, und zählte: »eins, zwei, drei –« bis zehn.

Es tat saumäßig weh, aber ich verkniff mir die Tränen und schwor Rache26.

1960

Meine Mutter hatte einen roten VW-Käfer, mit dem wir oft nach Ulm fuhren, um Reste unseres Umzugs zu holen. Es dauerte immer endlos, bis die hundertzwanzig Kilometer vorbei waren. Oft saß ich ganz hinten in dem Schacht des Käfers und schaute rückwärts hinaus, weil es mir langweilig war, immer zu warten, bis das nächste Schild anzeigte, dass wir wieder zehn Kilometer geschafft hatten.

Bei einer Fahrt bemerkte ich, dass ständig ein weißer VW-Käfer hinter uns fuhr. Er überholte, wenn meine Mutter überholte und er fuhr langsamer, wenn sie langsamer fuhr. Er hatte auch ein Ulmer Kennzeichen, am Steuer saß ein Mann.

»Mami!«, rief ich nach einiger Zeit, »da verfolgt uns einer mit einem VW aus Ulm!«

Meine Mutter sah in den Rückspiegel. »Stimmt«, bestätigte sie, »der ist auch aus Ulm.«

»Der ist bestimmt ein Geheimagent!«, rief ich zu ihr nach vorne, »der will dich klauen!«

Meine Mutter lachte, sah wieder in den Rückspiegel und sagte: »Wieso, der sieht doch ganz nett aus!?«

Ich sah ihn mir nochmal genau an, war weniger ihrer Meinung und wusste, dass er etwas im Schilde führte.

Ich hatte wieder einmal recht. Nachdem wir die Autobahn endlich verlassen hatten und in die Verdistraße in Obermenzing einfuhren, kletterte ich aus dem Käfer-Schacht auf den Rücksitz, weil wir die nächste Straße abbiegen mussten zu unserem Reihenhaus, da schaltete die Ampel auf rot und meine Mutter musste scharf bremsen. Hinter uns quietschten Reifen – dann krachte es – und der Mann war uns hinten reingefahren! Das hatte der absichtlich gemacht!

Wir stiegen alle aus und der Mann kam mit ausgestreckter Hand lachend auf meine Mutter zu: »Entschuldigen Sie bitte vielmals, das tut mir sehr leid, ich werde das so schnell es geht regulieren!« Sie war überhaupt nicht richtig böse auf ihn, tat fast so, als sei es ihre Schuld, weil sie gebremst hatte, und als sie die kaputten Stoßstangen anschauten, sagte der Mann plötzlich:

»Sie kommen mir so bekannt vor – sind Sie nicht Schauspielerin am Ulmer Theater?«

»Leider nicht mehr«, antwortete meine Mutter geschmeichelt. »Ich wurde entlassen, nachdem mein Mann, der Intendant, gestorben war.«

»Dann sind Sie Erika Wackernagel?!«, sagte der Mann hochachtungsvoll und streckte wieder seine Hand aus. »Mein Name ist Heiner Guter27 – welche Ehre, Sie persönlich kennen zu lernen! Wie oft habe ich Sie schon im Theater bewundert.« Und, nachdem meine Mutter errötend geseufzt hatte: »Und Sie sehen ja im richtigen Leben noch blendender aus als auf der Bühne.«

Er wohnte ganz in der Nähe, war geschieden, hatte zwei Töchter in unserem Alter, die eine dick, die andere frech, und es dauerte nicht lange, bis meine Mutter ihn heiratete und die beiden den Bau eines Hauses am anderen Ende von München planten.

Heiner Guter war in jeder Hinsicht das Gegenteil meines Vaters, er war unsensibel, verstand nichts von Kunst und lästerte über alles und jeden. Er wusste alles besser und behandelte meine Mutter schlecht. Meine Schwester Sabine und ich waren natürlich überhaupt nicht damit einverstanden, dass unsere Mami diesen grobschlächtigen Kerl28 heiratete, und wir verbündeten uns gegen ihn und seine Töchter.

Aber er konnte Häuser bauen, während mein Vater kaum einen Nagel in die Wand zu schlagen verstand. Außerdem kannte er sich in politischen Dingen aus, während mein Vater in dieser Hinsicht im Kunsthimmel über den Wolken geschwebt hatte. Er war auch mit Inge und Otl Aicher-Scholl befreundet, weil er in der Gruppe von Inges Geschwistern gewesen war, der »Weißen Rose«, die gegen die Nazis gekämpft hatte.

Ich erzählte ihm davon, dass im Klassenzimmer ein Bild von Bundeskanzler Adenauer hing, der aussah wie ein Affe, und er lachte herzhaft darüber. Als ich berichtete, dass ich vom Lehrer erwischt worden war, als ich das laut sagte, und deswegen je zehn Stockschläge auf die Finger bekommen hatte, wurde er sauer. »Hier in Bayern sitzen überall noch die Nazis drin«, sagte er, »da wird sich nie was ändern!«

Eines Tages kam meine Stiefoma aus Brasilien zu Besuch. Sie hatte immer rote Augen und sprach langsam und verschwommen. Meine Mutter war gereizt und schlecht gelaunt. »Sie hasst sie«, erklärte Sabine, »weil sie als Kind immer so tun musste, als sei das ihre echte Mutter, sonst hätte sie kein Abitur machen dürfen.«

Nachdem diese merkwürdige Frau ein paar Tage da war, zeigte mir meine Mutter unsere Mülltonne, die voll mit leeren Weinflaschen war. »Sie ist alkoholkrank«, erklärte sie mir, »das ist ganz furchtbar.« Deswegen wirkte sie immer so abwesend. »Deine wirkliche Oma war eine ganz wunderbare Frau«, betonte meine Mutter, »schade, dass du Carlamutti nie kennenlernen konntest!«

»Wie Tante Yella?«, fragte ich.

»Ja«, sagte meine Mutter, »und weil sie Jüdin war, durften wir nie über sie reden!« Sie schaute ganz traurig. »Das war furchtbar!«, sagte sie mit erstickter Stimme – und sah wieder wütend auf die leeren Weinflaschen in der Mülltonne.

Umso schöner war der Besuch von Onkel Helmut. Er war mein Patenonkel und der jüngste Bruder meiner echten Oma. So wie Yella nach England war er vor den Nazis nach Australien geflohen.

Er logierte im Hotel Königshof am Stachus, einem prächtigen Bau mit vielen Balkonen, die geschwungene verzierte Geländer hatten, mit Kronleuchtern im Restaurant, überall samtroten Brokatvorhängen, die mit goldenen Bordeln seitlich befestigt waren, und rotgoldenen weichen Teppichen, auf denen man wie auf Watte ging.

Wir saßen in der Sonne auf dem Balkon seines Zimmers, er lobte mein gesundes Aussehen und meine entzückenden Söckchen, schenkte mir fünf Mark und heimlich Schokoladeneier. Dann zeigte er seine Flugtickets: längliche Pappen, die wie ein Leporello aneinandergeklebt waren, das er so weit auseinanderfalten konnte, wie er seine Arme ausbreiten konnte. Er flog rund um die ganze Welt! Neuseeland, Bali, Indonesien, Indien, Dubai; dann Europa, wo er natürlich auch Yella und Otto besuchte, dann Amerika, um von da wieder zurück nach Australien zu kommen. Ich bewunderte ihn unendlich.

»Woher hast du denn so viel Geld, um das alles zu bezahlen?«, fragte ich.

»Das meiste sind geschäftliche Treffen29«, erklärte er, »entweder spreche ich mit Leuten, die unsere Kleider abkaufen, oder mit welchen, bei denen ich sie herstellen lasse, weil sie billiger produzieren als in Australien.«

»Und woher hattest du das Geld, um die Fabrik in Australien zu bauen?«

»Das hab ich mitgebracht«, erklärte er lächelnd.

Ich sah ihn fragend an.

»Du weißt doch«, begann er zu erzählen, »ich musste vor den Nazis fliehen. Yella war schon weg und hatte etwas vom Erbe unserer Mutter bekommen. Die Gersons hatten früher Eisenbahnen und Uniformen für das deutsche Militär produziert, davon war noch etwas übrig. Also bat ich sie um meinen Anteil; außerdem hatte ich schon einiges selbst verdient.« Er nickte in sich hinein und lächelte, seine braunen Runzeln glänzten in der Sonne. »Es musste alles ganz schnell gehen,30 einen Teil hatte ich in Form von Goldstücken und das meiste in möglichst großen Dollarscheinen, viel auch in Markscheinen. Dann nähte ich mir einen großen, dicken Gürtel, unter dem ich das Geld versteckte, den ich eng um den Bauch band und wodrüber ich meine Kleider zog. Ich legte ihn so lange nicht ab, bis ich in Sicherheit war!« Dann breitete er die Arme aus, sah mich liebevoll an und sagte in die Sonne blinzelnd auf den Stachus blickend:

»Wie wunderbar, dass das alles vorbei ist! Du hast es gut! Das freut mich für dich!«

1961

Bald zogen wir in das zu unserem genau gleich aussehende Reihenhaus meines Stiefvaters Heiner Guter mit seinen beiden Töchtern. Der einzige Vorteil war, dass man draußen besser spielen konnte, weil gegenüber des Handtuchgärtchens keine Häuser waren, sondern eine Wiese und noch etwas weiter hinten ein Flüsschen, die Würm; dort gab es viele Bäume und Büsche, wo man sich gut verstecken konnte. Es war alles sehr beengt und meine Eltern, »die Alten«, wie wir Kinder sie nannten, stritten sich dauernd; da aber fast täglich Gäste kamen, immer wieder neue, vertrugen sie sich wieder, jedenfalls, solange die Gäste da waren.

Wir Kinder wurden nie ausgeschlossen von den Gesprächen der Alten und ihrer Gäste. Eines der Hauptthemen in diesem Jahr war, dass Spione der Israelis einen alten Nazi, der nach Argentinien geflohen war, aufgestöbert und geklaut hatten.31 Alle Freundinnen und Freunde der Alten waren sich einig, dass das in Ordnung gewesen war. Der Mossad32, so hieß die Organisation der Spione, hatte ihn heimlich entführt – das hörte sich alles wahnsinnig spannend an. Auch wenn die Erwachsenen oft dummes Zeug redeten, in diesem Fall hatten sie recht. Die Zeitungen regten sich auf, dass das nicht legal gewesen sei – und darüber regten sich die Erwachsenen auf: Es habe sich nichts geändert in unserem Land, überall hätten die alten Nazis noch das Sagen, es gebe keine freie Presse. Heiner Guter, der sonst immer nur zynische Kommentare zum Besten gab, war in diesem Fall sehr ernst und höchst befriedigt. Meine Mutter nickte mit bitterem Lächeln und sagte: »Das hat der aber wirklich verdient.« Und ein andermal sagte sie: »Das ist eine Genugtuung für unsere Familie!«33

Aber das Spannendste daran war etwas anderes. Wochenlang wurde darüber geredet, auch weil es eine technische Sensation war: der Prozess gegen Adolf Eichmann34 sollte live aus Jerusalem im Fernsehen übertragen werden! Es war unglaublich, man konnte es sich kaum vorstellen, wie das gehen sollte. Das, was die Kameras aufnahmen, wurde per Funk nach Deutschland und in alle Welt gesandt und dann hier ausgestrahlt! Unvorstellbar! Alle fieberten diesem Tag entgegen; normalerweise durften wir Kinder nicht Fernsehen, obwohl – beziehungsweise weil – meine Mutter beim Fernsehen arbeitete. An diesem Tag hätten wir aber gemusst, wenn wir nicht sowieso unbedingt gewollt hätten.

Und am 11. April war es endlich so weit: Die Sonne schien, aber wir versammelten uns alle aufgeregt um den kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher im Wohnzimmer unseres Reihenhäuschens. Die Alten waren nicht zur Arbeit gegangen, wir Kinder nicht in die Schule. Und wir konnten tatsächlich hier in München-Obermenzing sehen, was im selben Moment ganz weit weg im Jerusalemer Bezirksgericht stattfand:

Von weit oben konnten wir sehen, wie ein in einen grauen Strickpulli mit einem V-Ausschnitt gekleideter Mann in einen gläsernen Käfig geführt wurde, der links in dem Gerichtssaal stand. Mit ihm zwei Bewacher – alle drei setzten sich. Er klammerte sich mit beiden Händen am Tisch fest und guckte fragend vor sich hin. Dann stand er hektisch auf und machte die Andeutung einer Verbeugung vor dem Richter. Danach nahm er wieder Platz und setzte Kopfhörer auf. Man hörte den Richter hebräisch sprechen, aber sofort legte sich eine Deutsch übersetzende Stimme darüber.

Eichmann dachte über jede Frage nur kurz nach, bevor er prompt und präzise antwortete. Es klang alles ganz selbstverständlich. Manchmal schüttelte er den Kopf, widersprach aber nicht, sondern verbesserte den Richter. Er wirkte beflissen, teilweise fast rechthaberisch.

Eigentlich sah er aus wie jeder andere. Nichts Besonderes. Ein gar nicht mal so alter Mann mit Krawatte und einem ausdruckslosen Gesicht.

Ich empfand gar nichts und mir grauste zugleich, obwohl ich nicht wusste, wovon das ausgelöst wurde.

So sah ein Nazi aus? Ein Massenmörder? Waren sie alle so?

Ich hatte schon Hitler oder Goebbels und Göring im Fernsehen gesehen, wie sie rumbrüllten und blöde gestikulierten – hatte das aber eher lächerlich und unappetitlich gefunden.

Eichmann35 war ganz anders. Völlig ruhig und unaufgeregt. Ich spürte, dass ich Herzklopfen hatte – keine Angst, aber ein dumpfes, unangenehmes Gefühl.

Völlig aufgewühlt gingen wir auf die Veranda unseres Handtuchgärtchens, nachdem die Übertragung zu Ende war. Die Alten tranken Kaffee und schwiegen vor sich hin. Ich wusste nicht, was ich denken sollte.

»Wieso ist Tante Lily36 eigentlich nicht geflohen wie Yella, Otto und Helmut?«, wollte ich plötzlich wissen.

Heiner Guter grinste böse und sah zu meiner Mutter.

Ihr war die Frage sichtlich unangenehm. »Das ist schwierig zu beantworten«, wich sie aus.

»Aber die Nazis wollten doch alle Juden umbringen«, insistierte ich, »wenn sie sie sogar selbst aus Afrika geholt haben, um sie nach Auschwitz zu bringen!«

»Wenn Hitler nicht besiegt worden wäre«, warf Heiner Guter ein, »hätten sie das auch geschafft.«

Ich wusste, dass meine Mutter Tante Lily nicht besonders mochte. Aber Tante Lily betonte immer, wie sehr meine Mutter sie als Kind geliebt habe, weil sie so gerochen habe wie ihre Schwester, die früh verstorbene Mutter meiner Mutter. Irgendetwas stimmte da nicht.

»Musste sie nicht auch einen gelben Stern tragen?«, fragte ich.

»Wieso willst du denn das jetzt plötzlich alles wissen?«, fragte meine Mutter, »das ändert doch nichts.«

»Yella und Otto kommen nie mehr nach Deutschland und Lily war sogar da, als Eichmann alle holte – das verstehe ich nicht.«

»Es gab auch Ausnahmen«, sagte Heiner Guter.

»Warum?«

»Mein Großvater«, sagte meine Mutter widerstrebend, »also dein Urgroßvater war ein hoher Soldat im Ersten Weltkrieg, deshalb hat man bei meiner Großmutter darüber hinweggesehen, dass sie Jüdin war, sie musste keinen gelben Stern tragen.«

»Weil ihr Mann den Heldentod erlitten hat«, spottete Heiner Guter.

»Aber am Ersten Weltkrieg waren doch auch die Deutschen schuld«, widersprach ich, »so habt ihr mir das jedenfalls erklärt.«

»Klar«, sagte Heiner, »deswegen hatten sie ja nichts gegen den Zweiten.«

»Aber warum sind dann Yella, Otto und Helmut geflohen und Lily nicht!?«, fragte ich und wurde sauer.

»›Wer Jude ist, bestimme ich‹«, zitierte Heiner, »das hat Göring gesagt.«

»Ja, aber warum?!«, rief ich wütend.

»Unsere Vorfahren waren zwar Juden«, fuhr meine Mutter fort, »aber das war ihnen egal, sie fühlten sich als Deutsche und haben ja auch schon für das Deutsche Reich Militäruniformen hergestellt.«

»Viele von denen waren deutscher als die deutschesten Deutschen«, spottete Heiner. »Hitler hat sie überhaupt erst drauf gebracht, dass sie Juden sind.«

»Ich will aber wissen, warum Tante Lily hiergeblieben ist!«, schrie ich und stampfte mit dem Fuß auf.

Meine Mutter sah mich traurig an. »Weil sie Tante Lily brauchen konnten«, sagte sie leise.

»Wie?!«

»Tante Lily konnte eine bestimmte Art von Stenographie, die sonst niemand konnte«, erklärte meine Mutter traurig, »dadurch war sie unentbehrlich für das Militär.«

»Was?!?«

»Ja«, sagte Heiner Guter, »sie hat für die Wehrmacht gearbeitet. Sie war Chefsekretärin der Obersten Heeresleitung.«

»Wie bitte?!?« Ich verstand gar nichts. »Tante Lily hat für die Nazis gearbeitet?!?«

Ich sah die beiden an und meine Mutter nickte: »Deswegen arbeitet sie ja heute wieder für die Bundeswehr!«

Heiner sagte nichts.

»Sie hat wirklich mit Eichmann gearbeitet?!?« Ich konnte es nicht fassen.

»So direkt nicht«, wiegelte meine Mutter ab. »Aber deswegen reden ja Yella und Otto nicht mehr mit Lily.«

»Sie hat also für die Nazis gearbeitet, während Eichmann Tante Lotte ins KZ verfrachtet hat!« Ich verstand überhaupt nichts mehr. Ich wusste nur eines: Ich wollte weder37 Deutscher noch Jude sein.

September

Direkt nach meinem zehnten Geburtstag konnte ich endlich raus aus dieser furchtbaren Volksschule. Meine Mutter schickte mich aufs Königlich Bayrische Humanistische Maximiliansgymnasium38. Es wirkte allerdings nicht weniger bedrohlich – nur vornehmer. Auf den Kapitellen der dorischen Säulen, die die mächtigen, intarsienverzierten Flügel des Portals aus dunklem Holz säumten, thronten Löwen und sahen hochmütig auf uns Kleine hinab, die die ehrfurchtgebietenden breiten und nach oben zulaufenden Stufen hinaufsteigen mussten. Im dunklen Eingang begrüßte ebenfalls auf einer Säule die Büste Max Plancks39 die Eleven, und zu den ersten Informationen über diese Eliteschule gehörte, dass der Verteidigungsminister Franz Josef Strauß40 hier sein Abitur allein deshalb mit nur 1,2 gemacht hatte, weil er in Turnen eine Vier bekommen hatte. Die Zeitungen waren voll davon, dass die Flugzeuge, die er als Verteidigungsminister für die Bundeswehr gekauft hatte, abgestürzt waren.41 Heiner Guter lachte spöttisch darüber: »Das ist ein alter Drecksack! Werd bloß nicht so wie der!« Ich wollte sowieso lieber Papst werden, und hier am Gymnasium konnte man Latein lernen.

Der Direktor war ein freundlicher älterer Herr. Jedes Kind, das neu in seine Schule kam, begrüßte er persönlich in seinem Büro. Die Eltern wurden hinausgeschickt.

Hinter seinem schwarzen, fast leeren Schreibtisch sitzend, bat er mich, davor Platz nehmen. »Ich freue mich, dass du auf unsere Schule gehen willst!«, sagte er, nachdem ich mich vorgestellt hatte. »Du solltest deinen Eltern dankbar sein, dass sie diese Entscheidung getroffen haben.« Das Maxgymnasium sei eine ganz besondere Schule mit Tradition, erklärte er, ich könne stolz sein, hier auf das Leben vorbereitet zu werden.

»Ihr werdet später die Geschicke dieses unseres Landes leiten«, sprach er zu mir, milde lächelnd, fast liebevoll, »das ist eine große Verantwortung!«

In der Klasse gab es einen Jungen, der beim Turnen blitzschnell auf alle Geräte klettern konnte. Schwupp – schon saß er oben auf dem Reck oder der großen Leiter. »Guckt mal!«, sagte ein anderer Junge und zeigte auf ihn, »das ist Fips, der Affe!« Alle lachten, aber der so Angesprochene war nicht beleidigt. Im Gegenteil: Er nannte sich von nun an selbst Fips42.

Der blaue Schal, den er immer trug, stammte von den »jungen Pionieren«43 aus der DDR. Seine Eltern hatten kurz vor dem Mauerbau »rübergemacht«, wie man es bezeichnete, wenn Leute aus dem Osten in den Westen flohen. Sein Vater war Zahnarzt und hatte in der DDR eine privilegierte Stellung, weswegen Fips dort viele Vorteile hatte, von denen andere Kinder nur träumen konnten. Deswegen war er stinksauer auf seine Eltern, dass sie ihn gezwungen hatten, dieses schöne Leben zu verlassen. Plötzlich musste er in hässlichen Auffanglagern mit ganz vielen Leuten auf ungemütlichen Feldbetten schlafen, bekam nicht mehr so gutes Essen wie in der DDR und musste im Radio Beschimpfungen der DDR anhören.

»Adenauer ist ein Verbrecher«, erklärte er, als wir in der Pause auf dem Schulhof zusammen liefen; wir waren schnell Freunde geworden. »Der Sozialismus ist viel besser als der Kapitalismus«, lernte ich von ihm. Und dass hier bei uns nicht alles mit rechten Dingen zuging, vor allem, dass die Nazis überall noch ihre Finger drin hatten, wusste ich ja schon von meinen Alten, also waren wir uns völlig einig – auch gegen alle anderen Klassenkameraden, die von diesen Dingen keine Ahnung hatten.

1962

Endlich war das neue Haus in Englschalking fertig. Es war exakt auf die Bedürfnisse der neuen Familie zugeschnitten: im Parterre über die ganze Länge des Hauses ein großes Wohnzimmer mit einer fast völlig verglasten Fensterfront zum Garten, dahinter das Elternzimmer mit eigener Küche und Bad; oben die zellenartig nebeneinanderliegenden Kinderzimmer, die große Küche mit Essbereich und das Kinderbad. Im rundum ummauerten Garten gab es ein richtiges Schwimmbad, einen »Swimmingpool«, dessen Boden so steil abfiel, das am Ende sogar die Erwachsenen nicht mehr stehen konnten; im Keller gab es eine Sauna, in deren Vorraum nicht nur eine Dusche, sondern auch ein gekacheltes Becken eingebaut war, in dem man in eiskaltes Wasser tauchen konnte.

Unseres gehörte zu den ersten drei Häusern, die hier errichtet worden waren; Heiner lästerte gewaltig über den Bauern, der im Handumdrehen zum Millionär geworden war, nachdem seine Felder von der Stadt als Bauland freigegeben worden waren. Auf der anderen Straßenseite standen Behelfsbaracken, in denen DDR- und andere Flüchtlinge aus dem Osten wohnten. Sie warfen Steine auf uns, in den Garten und zersplitterten einmal sogar eine Fensterscheibe, weil sie nun umgesiedelt wurden, damit andere Münchner Bonzen ihre Villen dort hinpflanzen konnten. Da Fips44 inzwischen mein bester Freund war und mir viel von der schlimmen Zeit nach der Flucht erzählt hatte, wusste ich, wie schwer sie es hatten und dass sie bestimmt auch nett waren – aber alle Annäherungsversuche stießen nur auf Wut und Ablehnung, und ich schämte mich für unseren Reichtum. Bald waren sie verschwunden.

Nun musste ich nicht mehr von Obermenzing aus mit Bussen und Bahnen durch die ganze Stadt ins Maxgymnasium fahren, sondern hatte nur acht Kilometer mit dem Fahrrad zurückzulegen, da ich die neu erbaute John-F.-Kennedy-Brücke über die Isar als Abkürzung direkt nach Schwabing zur »Münchner Freiheit« nehmen konnte. Außerdem konnten mich meine Freundinnen und Freunde besser besuchen, da sich ganz in der Nähe eine S-Bahn-Station befand. Das Beste war, dass mit dem Einzug ins neue Haus meine Schwester aus dem Internat zurückkam. Sie hatte mir sehr gefehlt, und nun war die Welt wieder in Ordnung.

Die Alten ließen sich nicht lumpen und veranstalteten ein rauschendes Fest zur Einweihung. Unzählige Gäste erschienen, die ich fast alle kannte, manche schon ganz lange, wie das Schauspielerpärchen Möbius45 und Böhlke46, die mein Vater noch in den fünfziger Jahren, als sie zusammen aus der DDR geflüchtet waren, engagiert und denen er eine Wohnung besorgt hatte, obwohl Homosexualität damals nicht nur verpönt, sondern auch verboten war, und die meiner Mutter immer die Treue gehalten hatten. Andere kannte ich durch Heiner, wie seine beiden Freunde aus der »Weiße-Rose«-Zeit Franz Müller47 und Hans Hirzel48, die mir viel mehr als Heiner selbst über die Weiße Rose erzählt hatten; Fernsehkollegen meiner Mutter, Architekturkollegen von Heiner, Schauspieler, Schriftsteller, Maler. In der Doppelgarage stand das Buffet, aber es wurde auch während der Party von einzelnen Gästen gekocht, meist improvisierte Fantasiegerichte, die aus Ingredienzien zusammengestellt wurden, die andere mitgebracht hatten, wobei immer eine Gruppe um den oder die Kochende herumstand, jeden Handgriff mit »Hallo!« und »Prost!« kommentierte und das Ergebnis vom Kochtopf weg direkt lautstark vor Wonne grunzend und brummend verspiesen wurde. Aus der weißen Stereoanlage der Alten, die »Schneewittchen« hieß, tönten Jazzmusik, Schlager aus den zwanziger Jahren und Musicals wie »My fair Lady«, und je später die Stunde, desto weniger bekleidet waren vor allem die weiblichen Gäste, die ihren alkoholisierten Zustand durch Sprünge in den Pool abkühlten.

Heiner hatte wasserfeste Farben vorbereitet und nach Mitternacht, als die Stimmung sich dem Höhepunkt näherte, zogen die Maler und Grafiker unter den Gästen in den Keller und bemalten die weißen Kacheln des Sauna-Vorraums. Ein farbenprächtiges und so stilvolles wie stilreiches Gesamtkunstwerk entstand. Es wurde gekrönt von Magnus49, der von unten bis oben durch den ganzen Raum eine lange, kurvenreiche Reihe Pünktchen setzte und am Schluss ganz oben eine Fliege zeichnete.

Rainer Zimnik50, dessen Bücher ich als Kind und sogar als Jugendlicher gerne gelesen hatte, schrieb an den oberen Rand des Wasserbeckens unübersehbar aus allen Perspektiven: »Lieber einen Busen in der Hand als eine Taube auf dem Dach.«

Eines Tages kam ein Neuer in die Klasse. Er hatte weit auseinanderstehende Vorderzähne, lächelte freundlich spöttisch und trug eine rote Jacke. Sein Name war Eberhard, aber er nannte sich Ebby.

Man konnte ihm gleich ansehen, dass er sich nichts sagen ließ. »Diesen ganzen Quatsch« mit Latein und Griechisch fand er überflüssig, fand es aber genauso überflüssig, deswegen »einen Aufstand zu machen«. Er konnte mit Hingabe beobachten, wie eine Ameise sich mit einem für ihre Verhältnisse riesigen Zuckerkristall abmühte, und ergötzte sich bis zur Selbstvergessenheit – genüsslich seine auseinanderstehenden Vorderzähne entblößend – an diesem Spektakel.

Nach dem Tod seines Vaters war seine Mutter von Bad Nauheim nach München umgezogen, weil sie dort einen Job als Buchhalterin in der Zuckerfabrik »Diamant« bekommen hatte; deshalb gab es bei ihm zuhause immer alle Sorten von Zucker. Luise Jost war eine energische Frau, aber Ebby hatte das geerbt, und so hatten die beiden immer Zoff miteinander. Er fand es meist »ziemlich daneben«, was seine Mutter von sich gab, aber es war ihm häufig »zu anstrengend« sich »deswegen groß zu streiten«.

Wir waren fast immer gegenteiliger Ansicht und wurden umso bessere Freunde; Fips, der wiederum unser beider Ansichten »völlig lächerlich« fand, war der Dritte im Bunde. Während Ebby und ich beim 430-Meter-Langlauf um das Maxgymnasium immer die Schnellsten waren – er stets eine Sekunde schneller als ich – und damit den Weitblick hatten, war Fips am schnellsten ganz oben und hatte den Überblick. Nur in einem waren wir uns immer einig – nämlich, wie komisch alles war: unsere Klassenlehrerin, Frau Weinzierl – allein schon der Name –, die uns Latein beibrachte, einfach nicht ernst zu nehmen, der lächerliche Dialekt der Bayern, den der Sachse Fips breitgezogen nachmachte, ihre seltsame Tracht, das Oktoberfest, das Demokratiegetue unseres humanistischen Gymnasiums und der Politiker, die Wichtigtuerei der eingebildeten Künstler, die blöden Autofahrer, die sich ganz toll fanden, bloß, weil sie ein Auto hatten, die Frauen, die sich ganz schick anzogen und dafür auch noch viel Geld ausgaben – wie konnte man nur so bekloppt sein –, manchmal nur die Gangart der Leute: alles und alle zum Totlachen! Ebby51 entblößte seine auseinanderstehenden Schneidezähne, Fips kicherte Fingernägel knabbernd in sich hinein und ich bekam Hustenanfälle.

Einer der ältesten Freunde meiner Mutter, der oft an Wochenenden kam, um lange Gespräche zu führen, war Tobias Brocher52, der genauso aussah wie der Minister Walter Scheel53, weswegen ich immer lachen musste, wenn ich ihn sah. Ich kannte ihn schon aus Ulm, wo er oft mit meinem Vater und Inge und Otl Aicher-Scholl zusammen gewesen war. Ich mochte ihn sehr; er lächelte immer freundlich und konnte so gut zuhören. Mit seiner Tochter hatte ich schon im Sandkasten gespielt – er verkörperte eine Erinnerung an meinen Vater und die Zeit in Ulm, als die Welt noch in Ordnung gewesen war. Deshalb freute ich mich immer riesig, wenn er kam.

Schon als Kind war ich immer sehr unruhig gewesen und wälzte mich ewig lange im Bett herum, bis ich einschlafen konnte. Je älter ich wurde, desto schlimmer wurde das. Keiner konnte mir helfen. Weil ich so großes Vertrauen zu ihm hatte, fragte ich ihn eines sonnigen Tages im Garten nach dem Kaffetrinken, als meine Mutter gerade das Geschirr wegräumte, ob er mir nicht einen Tipp geben könne.

Er dachte nicht lange nach, lächelte mich auf seine einnehmende, fröhlich machende Art an, beugte sich auf seinem Stuhl vor, verschränkte seine Hände und stützte seine Arme auf den Knien auf. »Das ist ganz einfach«, erklärte er, »konzentriere dich auf deine Füße, wenn du unruhig bist und bewege sie abwechselnd hin und her – guck: so!« Dann führte er mit seinem Blick den meinen auf seine Füße und zog ganz langsam erst den rechten Fuß hoch, drückte ihn genauso langsam wieder nieder, dann machte er dasselbe mit dem linken. »Du musst dich ganz stark darauf konzentrieren!«, betonte er, »das ist das Wichtigste, an nichts anderes denken als an das und es mit großer Sorgfalt tun!« Er lehnte sich zurück, verschränkte seine Hände hinter dem Kopf und zwinkerte mir mit warmer Milde zu: »Du wirst sehen, das klappt!«54

Heiner kam aus dem Wohnzimmer zurück in den Garten.

»Jetzt wollen sie einen Psychologen einsetzen, kam eben in den Nachrichten«, sagte er spöttisch; er machte nie einen Hehl daraus, dass er von Psychologie »und dem ganzen Kappes« nichts hielt. »Was meint denn der Herr Psychiater dazu?«, fragte er Tobias Brocher, der sich aber von Heiners zynischem Ton nicht aus der Ruhe bringen ließ.55

Es ging um die Unruhen, die seit einiger Zeit in Schwabing ausgebrochen waren.56 So etwas hatte es noch nie gegeben. In der Schule mussten wir uns anhören, dass man »so etwas nicht dulden« könne, »dieses Gesocks eingesperrt« gehöre und wir von der Schule fliegen würden, wenn wir so etwas auch täten. Das alles erhöhte natürlich nur unsere – also Fipsens, Ebbys und meine – Sympathien mit den Rebellen und unsere Abneigung gegen die Polizei. Ebby, der in Schwabing wohnte, hatte vor allem »das nervige Tatütata der Bullen« mitbekommen und achselzuckend den Kopf geschüttelt: »Was wollen die eigentlich, die spinnen doch alle, wegen ein bisschen Musik so einen Aufstand zu machen!« Doch wir bedauerten es sehr, da nicht mitmischen zu können – mit unseren Eltern war nicht zu reden.

Tobias Brocher dachte nach. »Ich denke«, sagte er schließlich, »es handelt sich dabei eher um ein politisches Problem als um ein psychologisches.«

Heiner war erstaunt.

»Was haben Krawallheinis mit Politik zu tun?«, fragte er.

Meine Mutter kam aus der Küche zurück und guckte besorgt; Heiner provozierte gerne und sie wollte sich die gute Stimmung nicht verderben lassen.

»Politische Fehlentwicklungen«, antwortete Brocher milde, »können auch in unbewusst herausbrechenden Formen ihren Ausdruck finden; oft sagen diese spontanen Eruptionen mehr aus als bewusst gezielte, gar kalkulierte.«

Heiner verzog das Gesicht. »Ich fürchte, damit wird diesen Saufkumpanen zu viel der Ehre angetan!«

Brocher lächelte. »Wenn man diese unbewussten, also verdrängten Probleme, die dadurch sichtbar werden, nicht ernst nimmt und nicht auf sie eingeht, werden sie sich am Ende in noch heftigeren Ausdrucksformen Bahn brechen.«

»Ja, aber dann«, warf meine Mutter ein, »ist es ja doch eine richtige Entscheidung einen Psycholgen hinzuzuziehen?«

»Im Prinzip ja«, sagte Brocher, »ich fürchte nur, dass in diesem Fall die Psychologie dazu benutzt wird, die politischen oder besser gesagt sozial-gesellschaftlichen Probleme zu verdrängen.«

»Und die wären?«, fragte Heiner.

»Darüber reden wir doch, seit die Bundesrepublik existiert«, antwortete Brocher, »der verstaubte Adenauer-Staat, die verdrängte Nazi-Zeit, die überholt autoritären Strukturen – dagegen wehren sich diese jungen Leute unbewusst57, indem sie einfach Gitarre spielen und das Leben genießen wollen.«

»Ich finde auch, dass man sich nicht alles gefallen lassen darf«, mischte ich mich ein. »Ihr schimpft doch selber immer auf die alten Nazis!«

»Ja, aber so kann man daran nichts ändern«, meckerte Heiner schroff. »Das gibt den alten Säcken eher Argumente, noch härter drauf zu hauen.«

Tobias Brocher wiegte sein graugelocktes Haupt. »Sicher nicht ändern, das stimmt, aber das Problem kenntlich machen – ich kann davor warnen, das nicht ernst zu nehmen.«

»Mach doch mal die Fontäne am Schwimmbad an«, forderte meine Mutter Heiner auf und wandte sich an Tobias Brocher: »Womit kann ich dir denn noch dienen?«

22. Oktober

Meine Tante Gaby aus England rief in aller Frühe an. Wir waren alle noch ganz verschlafen, torkelten ins Bad und aufs Klo. Ich hörte, wie meine Mutter immer wieder sagte: »Das ist ja fürchterlich«, »um Gottes willen«, »das kann doch alles nicht wahr sein«.

»Kinder«, sagte sie, nachdem das Telefonat zu Ende war, »vielleicht gibt es Krieg.« Wir waren erschrocken, konnten es uns aber nicht vorstellen. »Die Russen bedrohen die Amerikaner mit Raketen«, sagte sie, bleich im Gesicht, und Heiner sagte nichts, lästerte nicht, also war es ernst. Es war aber mehr spannend als angsterregend.

»Wir müssen jetzt erstmal warten, wie es weitergeht«, sagte meine Mutter, »wenn es schlimmer wird, schicke ich euch zu Gaby.«

Die ganzen nächsten Tage ging es um nichts anderes als die »Kubakrise«58. Alle bibberten mit John F. Kennedy59, in den Sabine verliebt war. Ich wusste nicht, was ich wollen sollte, denn ich war wahnsinnig gern bei Gaby und ihrem Mann Martin in Harwarton, dem englischen Landsitz mit dem parkartigen Garten und den vielen Kindern mit meiner Lieblingscousine Kitty; außerdem müsste ich dann nicht in die Schule – aber Krieg wollte ich auch nicht.

1963

Alle drei Jahre machte Onkel Helmut seine Weltrundreise. Sein letzter Besuch schien mir eine Ewigkeit her. Er begutachtete das neue Haus, war sehr zufrieden und lobte Heiner.

Er hatte mir eine Uhr60 mitgebracht, auf der man, durch Drehen eines gezackten Ringes, der sie umschloss, anzeigen konnte, wieviel Uhr es woanders auf der Welt war. Es war Mittagszeit, wir saßen am oberen Esstisch, während hinter der Durchreiche zu sehen und zu hören war, wie Heiner kochte. Onkel Helmut erklärte mir, wie die Uhr funktionierte: »In Australien ist es jetzt Mitternacht«, sagte er, nachdem er den Ring verstellt hatte, »hier ist Frühling, dort ist Herbst.«

Während ich begeistert an dem Ring herumdrehte, lehnte er sich zurück und setzte hinzu: »Und so wie überall eine andere Zeit herrscht, herrschen auch überall andere Verhältnisse!« Ich sah zu ihm hoch. »Diese Uhr soll dich daran erinnern, dass du in ganz wunderbaren Umständen lebst.« Ich fand es zwar grauenhaft, wie die Alten sich immer stritten, mich nervten meine Stiefschwestern und ich fand es überflüssig, wenn meine Mutter beim Essen immer betonte, wie billig sie es eingekauft hatte, aber wenn Onkel Helmut das sagte, musste etwas dran sein.

»Ich komme viel in der Welt herum«, fuhr Onkel Helmut fort, »das weißt du, und ich sehe viel Elend auf der Welt.« Er beugte sich vor, suchte meinen Blick und sagte eindringlich: »Es gibt unendlich viele arme Menschen auf der Welt, die Hunger haben – du ahnst gar nicht, in was für einem Reichtum du lebst.« Ich kannte das schon seit Kindheitstagen, wenn ich mit der Begründung aufessen sollte, dass in China Kinder hungerten – als ob sie davon satt würden, wenn ich mehr aß, als ich