Vermächtnis der Engel - Carolyn Lucas - E-Book
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Vermächtnis der Engel E-Book

Carolyn Lucas

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Beschreibung

Würdest du deiner großen Liebe verzeihen, dass er ein Engel ist? Nichts hasst die 25jährige Buchhändlerin Sarah mehr als Veränderungen. Als der charismatische Rafael in Sarahs Wohngemeinschaft einzieht, fühlt sie sich von seiner geheimnisvollen Aura magisch angezogen. Sehr schnell schlägt ihr Herz für ihn – und er erwidert ihre Gefühle. Alles scheint perfekt, bis Sarah ein verhängnisvolles Gespräch belauscht. Allem Anschein nach spielt Rafael ein falsches Spiel mit ihr. Während Sarah an ihm zweifelt, schmiedet ihr Geliebter einen riskanten Plan, damit sie miteinander glücklich werden können. Wenn er Sarah retten will, ist Rafael gezwungen, eine furchtbare Entscheidung zu fällen. Vermächtnis der Engel – ein Roman über die wahre Liebe und die Opfer, die sie fordert. *************************************************************************************************************************************** „Wunderbare Unterhaltung, die ans Herz geht …“ (Blog Ninis kleine Fluchten) „Eine spannende, kurzweilige, romantische und auch ein wenig mysteriöse Kombination aus Urban Fantasy und lustigem Frauenroman …“ (Blog Klusi liest) „Eine unerwartet fesselnde Geschichte mit mythologischem Hintergrund …“ (Blog bibliofeles) „Eine schöne Mischung aus Fantasy und Liebesroman …“ (Blog Bücherwürmchenswelt) „Ein wirklich toller Roman, flüssig und spannend geschrieben.“ (Blog Kerstin Weihe) „Frischer Wind in meiner Leseliste …“ (Blog Fantasybücherfürdich) „Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet …“ (Blog Lesendes Katzenpersonal) „Tolles Buch, Super Story, Grandiose Charaktere, verdammtes Ende …“ (Leserin)

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

Die Autorin

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Der Krieg der Engel

Die Engelskinder: Naphalim und Lilithuhim

Hintergrund und Danksagung

Carolyn Lucas

Vermächtnis der Engel

Die Geschichte von Sarah und Rafael I

Roman

Impressum

Copyright © 2022 AIKA Consulting GmbH

Berliner Straße 52

34292 Ahnatal

[email protected]

4. Auflage, März 2022

Lektorat: Stefanie Proske, www.blueten-lese.de

Korrektorat: Lektorat Schmeinck – Korrekturen mit Herz

Coverdesign: © Grit Bomhauer, www.grittany-design.de

Bildmaterial: © Despositphotos – EdwardDerule | K3star

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung der Autorin.

Für die Links zu Webseiten Dritter übernehme ich keine Haftung, da ich mir diese nicht zu eigen mache, sondern lediglich auf sie verweise, mit Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung.

Personen und Handlung sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Die Zitate sind dem Buch Henoch entnommen.

Das Buch

Würdest du deiner großen Liebe verzeihen, dass er ein Engel ist?

Nichts hasst die 25jährige Buchhändlerin Sarah mehr als Veränderungen. Als der charismatische Rafael in Sarahs Wohngemeinschaft einzieht, fühlt sie sich von seiner geheimnisvollen Aura magisch angezogen. Sehr schnell schlägt ihr Herz für ihn – und er erwidert ihre Gefühle.

Alles scheint perfekt, bis Sarah ein verhängnisvolles Gespräch belauscht. Allem Anschein nach spielt Rafael ein falsches Spiel mit ihr.

Während Sarah an ihm zweifelt, schmiedet ihr Geliebter einen riskanten Plan, damit sie miteinander glücklich werden können. Wenn er Sarah retten will, ist Rafael gezwungen, eine furchtbare Entscheidung zu fällen.

Vermächtnis der Engel – ein Roman über die wahre Liebe und die Opfer, die sie fordert.

Die Autorin

Carolyn Lucas ist das Pseudonym der Autorin Christiane Lind, unter dem sie Fantasy-Geschichten schreibt. Wie ihre Hauptfigur Sarah hat Carolyn lange Zeit in einer verschlafenen Studentenstadt in einer Wohngemeinschaft gelebt. Mit Sarah teilt sie außerdem die Zuneigung zu Katzen und Pferden sowie den Job als Buchhändlerin. Einen gefallenen Engel hat sie allerdings noch nicht kennengelernt.

Mehr auf: www.christianelind.de oder https://de-de.facebook.com/ChristianeLind

Prolog

Herbst, vor 16 Jahren

»Sarah! Sarah, sag doch was!«

Wie durch Watte hörte sie Fabiennes Stimme. Sarah wollte ihrer Freundin antworten, wollte etwas Beruhigendes sagen, aber sie brachte kein Wort heraus. Von einem Moment zum anderen hatte Sarah die Kontrolle über ihren Körper verloren und war auf den Betonboden des Schulhofs gestürzt. Sie war in das Zittern ausgebrochen, das sie kannte und fürchtete. Das Zittern, das ankündigte, dass sie bald wieder von einer Vision, wie ihr Vater es nannte, geplagt würde. Hier, auf den grauen Steinen, vor der ganzen Klasse, die sich in der großen Pause versammelt hatte. Endlich ließen die Krämpfe etwas nach, sodass Sarah Worte flüstern konnte.

»Hilf mir.« Flehend streckte sie die Hand aus. Ihr Blick, durch Tränen vernebelt, suchte nach Fabienne. »Hilf mir, bitte.«

Fabienne kniete sich neben sie, nahm Sarahs Kopf auf den Schoß und strich ihr die Haare aus der schweißfeuchten Stirn.

»Holt Hilfe. Holt Frau Schütte oder Herrn Langmeier«, schnauzte Fabienne die anderen Kinder an, die um sie herumstanden, als gäbe es etwas Spannendes zu beobachten. »Glotzt nicht. Helft uns!«

Doch ihre Mitschüler der vierten Klasse schreckten zurück, als wäre Sarah ansteckend: Sie wichen von ihr, als könnte eine Berührung dazu führen, dass sie sich ebenfalls auf dem Boden wälzen und seltsames Zeug brabbeln würden.

»Feuer. Schmerz«, murmelte Sarah. Sie spürte die kühlen Pflastersteine in ihrem Rücken, fand aber nicht die Kraft aufzustehen. Zu verwirrend waren die Worte, die ihr Kopf formulierte und die ungefiltert aus ihrem Mund drangen. »Lege unter ihn scharfe und spitze Steine und bedecke ihn mit Finsternis. Er soll für ewig dort wohnen, und bedecke sein Angesicht mit Finsternis, damit er kein Licht schaue.«

Obwohl sie sich mit aller Kraft bemühte, den Mund geschlossen zu halten, gelang es den schrecklichen Sätzen immer wieder, ihr zu entwischen. Im letzten Jahr war es schlimmer geworden. Zu jeder Zeit, an jedem Ort konnten das Zittern und die Visionen Sarah überfallen. Gestern hatte sie ihre Eltern belauscht, die überlegten, sie auf eine Schule für besondere Kinder zu schicken.

Allein.

Ohne Fabienne.

Wie sollte Sarah dort überleben? Ohne ihre Freundin wäre sie den Anfeindungen der anderen hilflos ausgeliefert.

»Die spinnt voll«, hörte Sarah jemanden sagen. Ein Kichern folgte diesen Worten, ein Kichern, dem sich bald andere anschlossen. Es klang, als wären sie erleichtert, als erlöste das Lachen sie von dem Grauen, das die Kinder spürten.

»Ich kenn die. Das hat die öfter«, erklang eine zweite Stimme. Bösartig und kalt.

Obwohl ihr weiterhin seltsame Sätze durch den Kopf strömten, erkannte Sarah den Sprecher. Finn. Seit der ersten Klasse machte er ihr das Leben schwer. Wie gern hätte sie den Mut aufgebracht, sich gegen ihn zu wehren. Aber jetzt konnte sie nur die Worte ausstoßen, die in ihr brodelten wie ein Vulkan. Sätze, die an die Oberfläche drängten, selbst wenn sie die Zähne so fest zusammenbiss, dass ihre Kiefer schmerzten.

»Wenn sich ihre Söhne untereinander erschlagen, und wenn die Väter den Untergang ihrer geliebten Söhne gesehen haben werden, so binde sie für 70 Geschlechter unter die Hügel der Erde bis zum Tag ihres Gerichts und ihrer Vollendung, bis das ewige Endgericht vollzogen wird.«

»So ein Blödsinn!« Wieder erklang Finns gehässige Stimme. Eine kurze Pause. Dann folgte ein gemeines Lachen: »Los, wir holen Wasser. Das kippen wir auf sie. Das hilft bestimmt.«

Aufstehen, ich muss aufstehen, dachte Sarah. Aber ihr Körper wehrte sich gegen ihre Wünsche, als hätte jemand anderes die Macht über ihn ergriffen. Sie spürte Tränen aufsteigen. Tränen der Erniedrigung und Tränen der Wut, weil sie keine Möglichkeit besaß, sich gegen Finns Angriff zu wehren. Schlimm genug, dass ihr furchtbarer Anfall alle Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Aber wie würden die anderen Kinder erst lachen, wenn sie nass und zappelnd hier läge. Sarah schmeckte Blut. In ihrer Angst hatte sie sich die Unterlippe zerbissen. Selbst der Schmerz erlöste sie nicht von ihrem Anfall. Auch Fabiennes Anwesenheit half nicht.

»Wenn du Sarah auch nur mit einem Tropfen Wasser bespritzt, lasse ich dich Regenwürmer fressen«, drohte Fabienne. »Du weißt, dass ich das tue.«

»Vor dir habe ich keine Angst«, antwortete Finn großspurig, aber Sarah hörte seinem Tonfall an, dass er sich vor ihrer Freundin fürchtete. Denn Fabienne hatte Finn einmal so fest auf die Nase gehauen, dass diese geblutet hatte. Das war, als er Sarah wieder einmal die Brille weggenommen hatte.

»Holt endlich Hilfe«, stieß Fabienne hervor, als Sarahs Körper sich aufbäumte wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Los.«

Keines der Kinder bewegte sich. Weder um Wasser zu holen, wie Finn es vorgeschlagen hatte, noch um Hilfe zu suchen, wie Fabienne sie zweimal aufgefordert hatte. Sie bildeten einen Kreis um Sarah und Fabienne wie eine undurchdringliche Mauer.

»Was macht ihr da?«

Kaum hörten die Kinder die Stimme der Fremden, einer Erwachsenen, da stoben sie auseinander und liefen davon. Schließlich mussten sie schon längst in den Klassenräumen sein.

»Was ist mit dir? Soll ich dir beistehen?« Die Frau ließ sich auf die Knie nieder und legte Sarah eine angenehm kühle Hand auf die Stirn. Unvermittelt hörten deren Gliedmaßen auf zu zucken, als leitete die Fremde Strom durch Sarahs Körper. »Bleib liegen.«

»Sind Sie Ärztin?«, fragte Fabienne mit ängstlicher Stimme. »Können Sie Sarah helfen?«

»Arme Kleine«, sagte die Frau, ohne auf Fabiennes Fragen einzugehen. »Wie sehr musst für die Sünden deiner Vorväter büßen.«

Mühsam gelang es Sarah, den Blick zu fokussieren. Ihr ganzer Körper schmerzte, als hätte sie viel zu viel Sport gemacht. Einen schreckerfüllten Moment fürchtete sie, blind zu werden, weil sie die Frau kaum erkennen konnte. Endlich bemerkte sie, dass sie ihre Brille verloren hatte. Mit der rechten Hand tastete sie über den Boden, bis sie das vertraute Gestell in den Fingern hielt. Sie zog die Brille zu sich heran und setzte sie auf. Trotzdem musste Sarah noch zweimal blinzeln, bis sie die Fremde deutlich sehen konnte. Die Frau musterte Sarah mit prüfendem Blick.

Sarah hielt den Atem an. War sie gestorben und im Himmel? So eine schöne Dame musste einfach ein Engel sein. Sie sah so aus wie die Frauen auf den Covern der Heftromane, die Tante Anne immer las. Langes, goldfarbenes Haar floss in weichen Wellen über schmale Schultern, ihre Augen schimmerten blau wie der Sommerhimmel. Als die Frau lächelte, blitzten strahlendweiße Zähne auf. Wie Perlen, dachte Sarah. So hieß das immer in den Romanen. Die Dame trug ein weißes Kleid aus einem glänzenden Stoff, so hell, dass es schmerzte, ihn anzuschauen.

Wäre nicht Fabienne gewesen, die neben der Frau stand und von ihr zu Sarah und wieder zu der bezaubernden Dame schaute, wäre Sarah sicher gewesen, im Himmel zu sein. So musste es eine andere Erklärung für den Engel geben.

»Komm«, sagte die Frau. Sie hielt Sarah die Hand hin. »Komm mit mir.«

Sarah blinzelte. »Ich darf nicht mit Fremden mitgehen.«

»Eigentlich eine kluge Vorschrift, aber in diesem Fall ziemlich dumm.«

Verwirrt schüttelte Sarah den Kopf und schaute Fabienne hilfesuchend an. Ihre Freundin kniete sich neben sie und griff nach Sarahs Hand.

»Du …« Die Frau sah Fabienne an. »Du wirst vergessen, was hier geschehen wird. Du wirst dich niemals an mich erinnern.«

Fabienne, die sich sonst von niemandem etwas vorschreiben ließ, nickte brav. Wie ein Roboter oder wie ein Mensch, der unter dem Einfluss geistiger Kontrolle stand. Das hatte Sarah einmal im Fernsehen gesehen. War die elegante Fremde etwa eine Außerirdische, die Sarah jetzt mit in ihr Raumschiff nehmen wollte, um abscheuliche und grausame Experimente an ihr vorzunehmen?

»Und du, Tochter der Naphalim …«, nun wandte sie sich Sarah zu. Erneut schaute sie das Mädchen kritisch an. Sarah fühlte sich, als wäre sie – wieder einmal – nicht gut genug.

»Sie … Sie irren sich«, stammelte Sarah. »Sie verwechseln mich. Meine Eltern heißen Berghort. In meiner Familie heißt niemand Nafalem.«

Daraufhin lachte die Dame, als hätte Sarah etwas sehr Witziges gesagt. Noch einmal legte sie ihre eleganten Finger auf Sarahs Stirn. Seltsamerweise fühlte die Hand sich plötzlich heiß an, als hätte die Frau Fieber. Sarah wollte ihren Kopf zurückziehen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Ein stechender Schmerz breitete sich hinter ihren Augen und dann im ganzen Kopf aus. Obwohl es furchtbar wehtat, konnte sie nicht schreien.

»Wehr dich nicht, Kleines.« Der Tonfall ihrer Stimme klang ruhig und gelassen, was Sarah nur noch mehr Angst einjagte. »Ich nehme dir fürs erste deine Bürde und die Erinnerung.«

Nachdem die Dame mit ihren Fingern ein Muster auf Sarahs Stirn gezeichnet hatte, fühlte diese sich müde und hungrig.

Für einen Moment schloss sie die Augen. Als Sarah sie öffnete, kniete vor ihr eine Frau, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.

»Ich hoffe, wir treffen uns nie wieder«, sagte die Fremde, bevor sie sich umdrehte und zu einem roten Sportwagen ging. »Ich wünsche, dass die anderen niemals von dir erfahren.«

»Wer war denn das?« Fabienne blinzelte und gähnte, als wäre sie aus einem Traum erwacht.

»Ich weiß nicht.« Sarah schüttelte den Kopf, um eine dumpfe Müdigkeit abzuwehren. »Sie hat nach dem Weg zur Reithalle gefragt.«

»Aber warum will sie dich nie wiedersehen?«

»Ich weiß nicht«, wiederholte Sarah. Als sie mit der Zunge über ihre trockene Unterlippe fuhr, schmeckte sie Blut. Hatte sie wieder einen Anfall gehabt? »Ich … ich erinnere mich nicht.«

Kapitel 1

Als er tapsende Schritte hörte, blickte Rauel in die Kristallkugel, mit der er alles überwachen konnte, was in der Zitadelle geschah. Sie zeigte ihm einen blinden Mönch in einer dunkelbraunen Kutte, der durch den schmalen Gang eilte, behände wie ein Sehender. Nur ab und zu blieb er stehen, um mit den Händen an den Steinmauern zu tasten. Die Flammen der Fackeln flackerten und verzerrten seinen Schatten zu dem eines Riesen, eines Wesens aus den Tiefen der Dunkelheit.

»Siebzehn, achtzehn, neunzehn«, zählte der Mönch leise. Bei »siebenundzwanzig« blieb er stehen und hob die Hand. Vorsichtig streckte er sie aus, um über das Holz der Tür zu streichen, die sich vor ihm befand. Er ballte die Finger zur Faust und klopfte. Sanft, aber energisch.

»Was willst du?«, fragte Rauel. Abweisend und in einem Ton, der deutlich zeigte, wie sehr er sich durch das Klopfen in seiner Ruhe gestört fühlte. »Ich arbeite. Verschwinde.«

Die Kristallkugel zeigte deutlich, wie der Mönch kurz zusammenzuckte, aber er wich nicht von seinem Auftrag ab. Zögernd öffnete er die Tür, trat zwei Schritte in den Raum, in dem es nach Pergament roch. Nach Pergament und altem Leder, wie in der Bibliothek des Klosters. Suchend streckte der Mönch den Kopf nach vorn, schnupperte, als verriete ihm seine Nase etwas über den Menschen, der in diesem Raum lebte.

»Nun rede schon.« Wieder zeigte Rauel durch den ungehaltenen Ton seiner dunklen Stimme dem Mönch deutlich, wie unerwünscht er war. »Ich habe zu tun.«

Der Mönch verneigte sich, bevor er antwortete. »Entschuldigt, Edler Rauel. Der oberste Meister möchte Euch sehen. Sofort.«

Schweigen. Dann ein Seufzen. »Sag Semjasa, ich komme gleich. Ich will nur die Kopie beenden.«

Die Feder kratzte über Pergament, als wollte sie die eben gesagten Worte unterstreichen.

Nach einer weiteren Verneigung verließ der Mönch das karge Zimmer. Rauel schaute sich in dem Raum um, als wollte der den blicklosen Augen des Mönchs nachspüren. Was dieser wohl wahrgenommen hatte?

Wenn er wüsste, wie sehr meine Kammer seiner Mönchszelle gleicht, dachte Rauel. An der hinteren Wand des weiß gekalkten Raums befand sich ein schmales Bett, auf dem eine Wolldecke straff gespannt war. In der Mitte des Zimmers hatten ein Tisch und zwei Stühle ihren Platz, auch sie aus dunklem Mahagoniholz geschnitzt. Den schlichten Möbeln konnte man die Handwerkskunst ansehen, die in ihnen steckte. Auf dem Tisch befand sich ein Krug mit Quellwasser neben einer blauen Schale, die Brot und Äpfel enthielt.

Den einzigen Luxus stellte ein riesiger Bücherschrank, in dem sich Folianten stapelten. Viele von ihnen waren in Leder gebunden und mit einer Goldprägung versehen. In Rauels Bibliothek fanden sich einige der kostbarsten Bücher, die die Menschen je geschaffen hatten. Selbst einige Werke aus Alexandria hortete er, die er vor den alles vernichtenden Flammen hatte retten können. Rauel legte das Pergament, an dem er geschrieben hatte, beiseite. Mit einer fließenden Bewegung erhob er sich vom Stuhl, trank einen Schluck Wasser und ging ans Fenster. Sein Blick glitt über die hohen Mauern des Klosters, gebaut aus dunkelrotem Stein, von der Farbe des Blutes der Menschen.

Der Schnee war früh gekommen in diesem Jahr und hatte bereits das geheime Tal erreicht, in dem sich die Bruderschaft vor neugierigen Blicken verbarg. Doch im Innenhof des Klosters herrschte ewiger Frühling. Apfel- und Kirschbäume standen in voller Blüte und verbreiteten einen milden Duft. Rauel beugte sich etwas vor und konnte erkennen, dass die Gemüsebeete in diesem Jahr eine reiche Ernte einbringen würden. So wie jedes Jahr, seitdem die Naphalim in dieses Tal gezogen waren. Wie friedlich alles wirkte. Allerdings fürchtete Rauel, dass sein Frieden bald gestört würde. Was nur mochte Semjasa von ihm wollen?

Schnell kehrte er zu seinem Schreibpult zurück, um erneut in die Kristallkugel zu blicken. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem winzigen Lächeln. Wenn Semjasa ahnte, dass Rauel über diese Magie verfügte, müsste er einen hohen Preis dafür zahlen. Doch das Wissen, das er mit Hilfe der Kugel gewann, war Rauel das Risiko wert.

Er beobachtete, wie der Mönch im Gang erneut seine Schritte zählte, bevor er vor einer anderen Tür stehen blieb, die er nahezu lautlos öffnete. Mit festen Schritten betrat er das Zimmer, dessen Mobiliar sich deutlich von Rauels Kammer unterschied. Von mönchischer Bescheidenheit hielt Semjasa wenig.

Der Mönch verbeugte sich. »Herr Rauel wird Eurem Wunsch nachkommen, Edler Semjasa.«

»Danke. Lass mich allein.«

Semjasa ging zu seinem Tisch, der mit üppigen Schnitzereien verziert war. Er nahm einen Pokal und atmete tief das Aroma eines schweren Rotweins ein. Der Duft mischte sich mit dem von reifem Käse, begleitet vom würzigen Geruch des Holzes, das im Kamin brannte und eine behagliche Wärme im Raum verbreitete.

Semjasa wartete, bis der Mönch die Tür hinter sich geschlossen hatte, bevor er wieder aus dem Fenster sah. Auf seinen Wunsch hin hatten die Gärtner vor seinem Gemach nur Blumen gepflanzt, deren Anblick seine Augen erfreute. Als Semjasa einatmete, gewahrte er den süßlichen Duft der Lilien, die unter seinem Fenster blühten. Missmutig verzog er das Gesicht. Er musste den Gärtner bitten, dort weniger stark riechende Pflanzen anzusiedeln, die seine Askese nicht beeinträchtigten. So vieles bedurfte seiner Aufmerksamkeit. Mit der Leitung des Klosters war er hinreichend beschäftigt, und so hatte er es in letzter Zeit versäumt, die Außenwelt gebührend wahrzunehmen. Die Nachrichten, die ihn heute erreicht hatten, hatten ihn überrascht und ließen ihn sich durch das schneeweiße Haar streichen. Wie sehr hatte er die Ruhe und den Frieden der letzten Jahre genossen, jedoch stets in dem Wissen, dass dieser Zustand nicht von Dauer wäre. Der Krieg der Engel war nicht beendet, auch wenn er seit Jahrhunderten nur mehr schwelte und nicht brannte wie in den dunklen Zeiten.

Wo nur Rauel blieb? Semjasa unterdrückte den Ärger, der ihn überkam, weil sein Untergebener ihn warten ließ, als ahnte er, dass ein unangenehmer Auftrag auf ihn wartete. Auch Semjasa wäre es lieber gewesen, wenn er einen anderen hätte schicken können. Einen, der weniger zweifelte als Rauel. Einen, der jedem Befehl gehorchte und nicht dessen Sinn hinterfragte. Aber nur Rauel erschien ihm geeignet, die Aufgabe zu erfüllen, die sich aus den Neuigkeiten ergeben hatte.

Feste Schritte kamen näher. Nach einem kurzen Klopfen trat Rauel ein und verneigte sich. Semjasa musterte ihn. War Rauel wirklich die richtige Wahl für die schwierige Mission, die sie zu bewältigen hatten? Sein Bruder war ein Grübler, ein Denker, dessen Fragen manchmal an Häresie grenzten. Aber Rauel war auch einer der besten Kämpfer und derjenige, der die Welt außerhalb der ruhigen Mauern am umfassendsten studiert hatte. Gemeinsam mit Asael würde er alles Unheil abwenden. So zumindest hoffte Semjasa. Er drehte sich um und wies auf einen der beiden Stühle.

»Rauel. Nimm Platz.«

Beide Männer musterten sich schweigend. Wäre sein Anliegen nicht so bedeutsam gewesen, hätte sich Semjasa länger auf das stumme Kräftemessen eingelassen. Doch heute standen dringendere Themen auf der Tagesordnung als ein Sieg des Willens.

»Meine Späher haben mir berichtet, dass es eine Tochter der Ersten unter den Menschen gibt.« Semjasa genoss die Mischung aus Überraschung und Erschrecken, die sich auf Rauels Gesicht abzeichnete. Auch ihn hatte diese Neuigkeit unvermutet getroffen, aber er hatte mittlerweile Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen. »Die Lilithuhim hielten sie vor uns verborgen. Sie und alle, die vor ihr kamen.«

»Wie können sie es wagen?«, fuhr Rauel unbeherrscht auf. »Der Pakt gilt seit der großen Flut. Er fordert Offenheit von beiden Seiten. Warum haben sie uns angelogen?«

Semjasa wartete. Wenn Rauel wirklich der Richtige für die Aufgabe war, würde er herausfinden, was ungesagt blieb. Gelassen beobachtete der Meister, wie die unterschiedlichsten Emotionen auf Rauels Gesicht spielten, bis er sich in den Griff bekam.

»Soll ich …«, begann Rauel. Inzwischen hatte er sich vollkommen gefangen. Selbst Semjasa, der gelernt hatte, die kleinste Veränderung der Mimik zu deuten, konnte nicht erkennen, was sein Gegenüber dachte. »Soll ich sie töten? Bevor die Lilithuhim sie für ihre Zwecke nutzen?«

»Auf keinen Fall. Die Frau könnte die sein, von der die Prophezeiung spricht. Die, die das Orakel uns ankündigte, bevor es starb.«

»Ein Weib?« Deutlich war der Zweifel in Rauels Tonfall zu hören. Er sprang auf. »Ein Weib soll uns helfen, die Lilithuhim zu besiegen? Das ist … das ist lächerlich.«

»Warum?« Semjasa blieb ruhig, obwohl auch er sich diese Frage wieder und wieder gestellt hatte. »Wer kann eine Schlange besser verraten als eine andere Schlange?«

»Warum haben die Lilithuhim sie nicht genutzt?« Rauel blieb stehen. Vor einem Gemälde, das den Sturz der Engel zeigte. Der Künstler hatte Verzweiflung und Zorn in den Mienen und Gesten der verstoßenen Himmelsboten wunderbar eingefangen. »Wenn das Weib die Eine ist …«

»Die Lilithuhim glauben nicht an die Prophezeiung. Sie glauben an den freien Willen.« Semjasa lachte. »Nie hätte ich erwartet, dass wir aus ihrer Arroganz Gewinn ziehen könnten.«

Rauel trat näher an das Bild heran. Wie selbstgerecht der Kriegerengel wirkte, der die gefallenen Engel vertrieb. Kein Mitleid zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er seine früheren Brüder mit dem Schwert bedrohte. Die flehend erhobene Hand eines der Fallenden wirkte wie die letzte Geste eines Ertrinkenden, der gewiss ist, dass ihm keine Hilfe zuteilwird.

»Was erwartest du von mir?«, fragte Rauel schließlich, obwohl er die Antwort bereits ahnte. Noch hoffte er, dass Semjasa ihn nur um Rat fragen wollte. Er hoffte, dass der Oberste gemeinsam mit ihm einen Plan entwerfen wollte, wie sie diese Veränderung im fragilen Gleichgewicht der Mächte beherrschen könnten. »Soll ich zu den Menschen gehen?«

»Ziehe das Weib auf unsere Seite.« Semjasa trat an Rauel heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Nutze deine Macht, um sie zu einer der Unseren zu machen. Nutze alles, um sie für uns zu gewinnen.«

»Ich habe einen Eid geleistet, dem Fleisch abgeschworen«, begehrte Rauel auf, wohlwissend, dass er gegen Semjasa nicht gewinnen konnte. »Es hat unseren Vätern nichts Gutes gebracht, sich mit den Menschentöchtern einzulassen. Erinnere dich an die Strafen. Für sie … und für uns.«

»Den Eid haben wir alle abgelegt«, antwortete Semjasa mit leichtem Tadel in der Stimme. »Genau wie wir geschworen haben, dass die Gemeinschaft uns wichtiger ist als jeder Einzelne.«

Der Meister verstärkte den Druck seiner Finger auf Rauels Schulter. Unwillig schüttelte Rauel die Hand ab.

»Du musst mich nicht an meine Pflicht erinnern.« Rauel drehte sich um, um Semjasa direkt in die Augen zu sehen. Eine Weile maßen sie sich mit ihren Blicken, bis Rauel zur Seite schaute. »Warum ich? Warum nicht Ezegeel? Oder ein anderer?«

»Weil ich dir vertraue.« Ein Lächeln glitt über Semjasas Gesicht, so leicht und schnell, dass es wie ein Schatten wirkte. »Du bist nicht in Gefahr, dem Weib zu verfallen.«

»Weil ich ein Bücherwurm bin?« Ein bitteres Lachen begleitete Rauels Worte. »Ich kenne die Menschen nur aus ihren Werken. Wie kannst du sicher sein, dass ich allen Verführungen widerstehe? Nicht einmal unsere Väter vermochten das. Und sie waren so viel bedeutender als wir.«

»Weil du weißt, wie wichtig es ist, dass wir im Krieg der Engel siegen.«

»Krieg!« Rauel spuckte das Wort aus. »Wenn es denn ein Feldzug wäre. Die verfluchte Armaros. Wir hätten den Kampf bis zum Ende führen sollen. Der Pakt war von Anfang an falsch.«

»Sie haben uns hintergangen. Die Lilithuhim siegen mit List und Tücke, niemals in ehrlicher Schlacht.« Semjasa trat ans Fenster und schaute in die Berge, die ihr Tal umgaben. »Aber wir können es nicht beweisen. Wenn du das Weib auf unsere Seite ziehst, werden wir triumphieren.«

»Und wenn nicht?«

»Du darfst nicht scheitern.« Nur ein leichtes Zögern verriet Semjasas Zweifel. »Asael wird dich unterstützen.«

»Asael?« Rauel lachte laut auf. »Weiß er, wessen Nachfahre das Weib ist?«

»Nein«, sagte Semjasa harsch. »Nein. Und es wäre gut, wenn es so bliebe.«

»Traust du ihm wieder?«

»Dies wird seine Bewährungsprobe sein. Die Strafe hat lange genug gedauert.« Semjasa trat vom Fenster zurück und legte Rauel beide Hände auf die Schultern. »Ich vertraue dir. Du musst ihn aufhalten, sollte er uns betrügen.«

»Wird Asael es nicht spüren?« Nun, wo ihm keine Wahl mehr blieb, wandte sich Rauel den praktischen Fragen zu. »Wird er das Weib nicht erkennen?«

»Die Lilithuhim haben sie durch einen Schleier verborgen, den selbst ich nicht durchdringen konnte.«

»Woher weißt du dann, dass das Weib wirklich eine der Unseren ist?«, fragte Rauel leichthin, bemüht, seine Neugier zu verbergen. »Was für ein Späher hat dir von ihr berichtet?«

»Das musst du nicht wissen.« Semjasas Lächeln erreichte seine Augen nicht. »Saraqujal wird dich in alle Menschendinge einweihen. Meine Hoffnungen ruhen auf dir.«

Rauel entzog sich mit einer Drehung der Berührung des Bruders und verneigte sich. »Ich werde dich nicht enttäuschen.«

Ohne ein weiteres Wort verließ er Semjasa.

»Das hoffe ich, mein Bruder. Das hoffe ich.« Semjasa setzte sich auf seinen Stuhl und schlug einen Folianten auf. »Unser aller Überleben ruht auf deinen Schultern.«

Kapitel 2

Ich blickte erst auf die Uhr und dann nach draußen. Erst 17:00 Uhr, und es war bereits stockdunkel. Der Tag schien kein Ende zu nehmen. Wie ich die Samstagsschicht hasste. Nicht nur, dass sie das Wochenende zerstörte, nein, aus irgendeinem Grund kamen samstags noch mehr schräge Menschen als sonst in den Buchladen. Heute Morgen, kurz nachdem ich alle Rollwagen platziert hatte, war die Greisin in dem abgeschabten Persianermantel wieder einmal aufgetaucht. Wie jedes Mal verteilte sie Gesangbuchseiten auf den Büchertischen. Sie sagte nie etwas, drehte nur ihre Runde, riss eine Seite nach der anderen aus ihrem dunklen Buch und verschwand wieder. Jessica hatte mit den Schultern gezuckt, die Blätter eingesammelt und im Altpapier entsorgt, so wie jedes Mal.

Aber damit war unsere Verrücktenquote für heute noch lange nicht erfüllt. Kurz vor der Mittagspause hatte ich das Vergnügen mit einem asketisch aussehenden Brillenträger mit Halbglatze. Wahllos hatte er sich zwei Bücher aus der Schmuddelecke gegriffen und voll selbstgerechter Empörung auf sie gedeutet.

»Wie können Sie nur so etwas verkaufen?« Seine Unterlippe zitterte, sodass ich das Vergnügen hatte, einen Speichelfaden in seinem rechten Mundwinkel im Takt vibrieren zu sehen. »So einen … einen Schmutz!«

Ich verkniff mir sarkastische Bemerkungen und lächelte nur freundlich. Nach drei Jahren Arbeit im Buchhandel wusste ich, dass Diskussionen hier nichts brachten. Jede Antwort von mir würde das Gespräch nur verlängern und mir den Tag vermiesen. Nach einer ausführlichen Tirade über Pornographie, Zensur und den Schutz unschuldiger Kinderseelen vor nacktem Fleisch ging er endlich und ließ mich in Ruhe arbeiten.

Da es langsam etwas ruhiger wurde, freute ich mich auf einen Kaffee, auch wenn ich die Zigaretten vermisste. Vor einem halben Jahr war es mir als gute Idee erschienen, das Rauchen aufzugeben. Heute vermisste ich es unglaublich. Kaffee ohne Zigarette kam mir unvollständig vor.

„Willst du zuerst Pause machen?“, fragte ich meine Kollegin. „Mit den paar Leuten komme ich allein klar.“

»Was machst du am Wochenende?« Jessica drehte sich eine Zigarette.

»Ist ja nicht mehr viel davon übrig, wenn wir hier endlich rausdürfen.« Wie gesagt, ich hasste die Samstagsschicht, konnte aber das Geld gut brauchen. »Im Winter kommen mir die Tage noch länger vor.«

Jessica grinste. »Sei froh, dass Niklas noch nicht auf die Idee gekommen ist, den Laden bis 22:00 Uhr zu öffnen.«

Das fehlte mir grade noch. Schlimm genug, dass wir samstags bis 19:00 Uhr arbeiten mussten.

»Fabienne holt mich nachher ab«, antwortete ich auf Jessicas Frage. »Wir wollen ins Lumière, da läuft ein Uraltfilm über Sacco und Vanzetti, den ich un-be-dingt sehen sollte. Ich fürchte, er ist in Schwarz-Weiß und in einer absolut miesen Qualität.«

Wissend lächelten wir uns an. Meine Kollegin kannte meine Freundin und Mitbewohnerin gut genug, um zu wissen, dass mein Samstagabend verplant war. Wenn Fabienne der Meinung war, dass ich etwas unbedingt sehen, hören, essen oder tragen sollte, hatte ich keine Chance mehr, mich dagegen zu wehren.

»Morgen fahre ich zum Pferd. Abends will Dominik kochen. Montag bleibe ich den ganzen Tag im Bett und überlege mir, was in meinem Leben schiefläuft.«

Jessica nickte. Sie hatte am Montag auch frei und würde den Tag sicher ähnlich verbringen wie ich.

»Ich werde mir nachher noch einen Schmöker mitnehmen.« Ich deutete auf den Bücherstapel, den ich vor zehn Minuten aufgebaut hatte. »‹Das Haus auf der Blumeninsel‹ klingt prima für einen Montag im Bett.«

Jessica zuckte mit den Schultern. Familiengeheimnis-Romane waren nicht ihr Metier. Sie war unsere Krimi-Fachfrau und kannte dort das gesamte Spektrum. »Kommt ein Mord darin vor?«

»Wohl eher nicht.« Ich unterdrückte ein Gähnen. Dezembermüdigkeit. Von der Herbstdepression direkt in den Winterschlaf. »Hast du was Besonderes vor?«

»Das Übliche. Heute Abend erst ins Blue Note und dann tanzen. Falls ich nicht vorher eingeschlafen bin.«

»Ich suche ein Buch für meine Mutter«, unterbrach ein Mann ruppig unser Gespräch. Die Welt wäre so ein freundlicher Ort ohne Kunden.

Weihnachten rückte näher. Jessica verkaufte ihm einen der Bestseller, die feiertagsfreundlich gestern angekommen waren, sodass wir unsere Unterhaltung weiterführen konnten.

»Dienstag fängt wieder eine Neue an.« Nun gähnte auch Jessica. »Chloe oder so was Komisches. Bist du Dienstag nicht auch eingeteilt?«

Ich nickte. Schon wieder eine Kollegin, die nur ein paar Wochen bleiben würde. Solange, bis sie endlich einen festen Job fand oder zu ihren Eltern zurückkehrte, weil sie keine Stelle bekam und vom Aushilfsjob nicht leben konnte. Bei jeder Neuen fürchtete ich, dass Niklas mich rausschmeißen würde, weil ich bereits drei Jahre dabei und damit teurer als Anfängerinnen war. Was nicht hieß, dass ich reich wurde, aber ich kam über die Runden und konnte mir sogar eine Reitbeteiligung leisten. Mein Leben baute darauf auf, dass ich meinen Job behielt. Bisher hatte unser Chef weder meine Stunden reduziert noch etwas in Richtung Personalabbau gesagt. Aber das Damoklesschwert schwebte über mir, seitdem er Maike als Unterchefin eingestellt hatte. Sie und ich passten einfach nicht zusammen. Ich hätte Wetten darauf abgeschlossen, dass Maike mich loswerden wollte.

Als ich schon fürchtete, der Tag würde niemals enden, schaute Jessica auf die Uhr und hob den Daumen. Gemeinsam schoben wir die Bücherwagen in den Laden, drängelten uns an den letzten drei Kunden vorbei, die sich davon nicht stören ließen. Manchmal wollte ich sie anschreien, ob sie samstagabends nichts Besseres zu tun hätten als bis kurz vor Ladenschluss einzukaufen, aber ich brauchte den Job.

»Na, Süße, bereit für Kultur?« Ich hatte Fabienne nicht kommen sehen. Sofort besserte sich meine Laune. Und nicht nur meine. Die beiden Männer, die sich eben noch an die Schmuddelecke herangepirscht hatten, starrten meine beste Freundin an, als wäre sie ein Kalb mit zwei Köpfen. Ich musste mir das Grinsen verkneifen, konnte sie aber verstehen. Fabienne sah aus wie eine Kreuzung aus Model und Basketballspielerin. Sie war so groß wie ich, aber deutlich schlanker, mit endlos langen Beinen. Es musste an den Genen liegen, da Fabienne sich von Sport fernhielt wie der sprichwörtliche Teufel vom Weihwasser.

Wäre sie nicht seit der Schulzeit meine beste Freundin, hätte ich sie für ihre glatten schwarzen Haare gehasst. Gemeinerweise hatte sie auch noch auffallend graublaue Augen und eine Haut, die noch nie einen Pickel gesehen hatte. Kein Wunder, dass die Männer im Laden beinahe zu sabbern begannen. Fabienne merkte nichts von der geballten männlichen Bewunderung. Zu ihrer Ehrenrettung musste man sagen, dass sie wirklich nie etwas davon mitbekam.

Männer interessierten sie nur am Rande. Ihre Welt bestand aus Anti-Materie und winzigen Teilchen: Atomen, Protonen, Leptonen, Quarks, Neutrinos und wie die alle hießen. Für mich war das schon in der Schule nur Kauderwelsch gewesen. Und wenn Fabienne richtig ins Reden kam, verstand ich gar nichts mehr. Was für eine Verschwendung, pflegte meine Stiefmutter zu sagen. Das Mädchen ist schön wie ein Engel und hat nur ihre komische Wissenschaft im Kopf.

Meine beste Freundin und Mitbewohnerin hatte sich im Studium als ein echtes Genie auf ihrem Gebiet entpuppt. Weltweit erfuhr sie Anerkennung und war ständig unterwegs auf Tagungen, Konferenzen und Kongressen. Neben der Forschung engagierte sie sich gemeinsam mit mir für Naturschutz und Menschenrechte. Im Herbst hatten wir uns an einen Baum gekettet, um ihn zu retten. Das hatte leider nicht geklappt, aber es gab spektakuläre Fotos davon.

»Du bist zu gut, um wahr zu sein«, war mein Standardspruch, wenn Fabienne wieder einmal eine ihrer Missionen verfolgte. Nicht dass ich unpolitisch war, aber Fabienne verfolgte alles mit unerbittlicher Energie. Allein vom Zusehen konnte ich müde werden.

Zum Glück hatte Fabienne auch ein paar Fehler. Sonst wäre es unmöglich gewesen, sie zu mögen. Zu meinem Bedauern konnte sie nicht kochen und schaffte es niemals, Ordnung zu halten. Überall lagen Notizen von ihr herum, die ich einsammelte und auf ihrem Schreibtisch deponierte. Wenn Fabienne eine Idee kam, schrieb sie ihre Gedanken auf alles nieder: Servietten, Taschentücher, Zeitungen. Ich hatte ihr schon vorgeschlagen, mich als Sekretärin einzustellen, aber so viel zahlte ihr die Uni leider doch nicht.

Ich verabschiedete mich von Jessica, die den Laden abschließen musste, und wünschte ihr ein schönes Wochenende. Dann hakte ich mich bei Fabienne unter und hörte mir von ihr die Hintergründe des Films an. Klang nach einem anstrengenden Abend. Aber was tut man nicht alles für die beste Freundin.

Kapitel 3

Nach dem Kinobesuch hatte ich ein Bier gebraucht, damit ich nicht völlig deprimiert nach Hause gehen musste. Die Geschichte war überaus bitter und hätte mir locker den Abend verderben können. Im Theaterkeller trafen wir ehemalige Kommilitonen von Fabienne, sodass wir bis nach Mitternacht hängen blieben. Inzwischen gähnte ich nur noch, und auch Fabienne bekam glasige Augen – ein Zeichen, dass wir uns verabschieden sollten.

Die Nacht empfing uns mit einer kühlen Brise und ich zog den Schal fester. Nebel war aufgezogen wie in einem Gruselfilm, der die Stadt, in der ich seit sieben Jahren wohnte und wo ich jeden Winkel zu kennen glaubte, fremd und unheimlich wirken ließ. Ich war froh, dass wir zu zweit waren.

Eingehakt schlenderten wir durch die schmalen Straßen, vorbei an den niedrigen Fachwerkhäuschen, die unsere Stadt zum Touristenmagneten machten. Für einen Samstagabend wirkte die Innenstadt überraschend ausgestorben. Nur ab und zu kam uns jemand entgegen. Ein Schemen im Nebel, unheimlich, bis wir ihn oder sie endlich erkennen konnten.

Fabienne erzählte mir von ihren neuesten Forschungen, begeistert wie immer. Ich begriff nur jedes vierte oder fünfte Wort, nickte aber ab und zu, damit sie sich verstanden fühlte. Für mich hatten ihre Erkenntnisse immer etwas von Star Trek, Warp-Antrieb oder sowas.

Das Einzige, was ich ungefähr kapierte, war, dass ihr aktuelles Projekt die Energieprobleme und Ölabhängigkeit der Industrieländer aufheben könnte. Aber der Preis dafür wäre der Weltuntergang oder etwas in dieser Dimension. Die Energie, die Fabiennes Team erforschte, ließ Atomkraft harmlos aussehen. Mir blieb schleierhaft, wie Fabienne das mit ihrem Ökobewusstsein vereinbaren konnte. Warum konnte sie sich nicht mit etwas Ungefährlichem beschäftigen oder mit etwas, das kaum jemanden interessierte? Ständig erhielt sie Angebote von Forschungseinrichtungen aus aller Welt. Wunderbare Arbeitsbedingungen, ein Gehalt, von dem ich nicht einmal zu träumen wagte.

Aber bisher hatte sie alles abgelehnt und war hiergeblieben. Hier bei mir. Weil niemand ihr so viel Freiheit biete wie ihr jetziger Arbeitgeber, sagte sie. Ich fürchtete, dass sie nur meinetwegen blieb, weil sie auf mich aufpassen wollte. So wie sie mich schon immer beschützt hatte. Seit unserem ersten Treffen, als sie den Schulhof-Rowdy verdroschen hatte. Finn, der mir jeden Tag die Brille weggenommen hatte und das jedes Mal aufs Neue spaßig fand.

Ich wusste nicht, was ich ohne Fabienne angefangen hätte. Selbst meine Stiefmutter hatte sie zur Seite genommen, als wir gemeinsam zum Studium aufbrachen, und Fabienne gebeten, auf mich achtzugeben. Fabienne hatte Physik und Mathe und ein bisschen Chemie studiert, ich Sozialwissenschaften, weil ich für meinen großen Traum Architektur nicht den Mut aufbrachte. Ganz zu schweigen von den fehlenden Mathefähigkeiten.

Plötzlich verstummte meine Freundin. Ich merkte, wie sich ihr Rücken straffte. Ein Zeichen drohenden Unheils. Daher blieb ich stehen und konzentrierte mich, spähte und lauschte in den Nebel, der uns wie eine graue, feuchte Decke umgab. Schnell erkannte ich die Gefahr. Eine Gruppe kam uns aus den Nebelschwaden entgegen. Fünf Männer, die nebeneinander marschierten und so die Straße blockierten. Wahrscheinlich Burschenschaftler nach einer ihrer trinkfesten Zusammenkünfte. Fabienne und ich sahen uns an.

»Noch können wir umdrehen«, flüsterte ich. Ich ging Streitigkeiten lieber aus dem Weg, vor allem, wenn der Gegner betrunken und in der Überzahl war.

»Nein!« Fabienne schob die Unterlippe vor. Sie rannte stets mit dem Kopf gegen die Wand, als suchte sie den ultimativen Kick. »Ich hab keine Angst vor diesen Typen. Du etwa?«

Halbherzig schüttelte ich den Kopf. »Nee. Unsere Selbstverteidigungskurse müssen sich ja mal lohnen.«

Die Kurse waren Fabiennes Idee gewesen, weil sie abends oft lange im Labor blieb und sich nicht hilflos fühlen wollte. Mich hatten die meisten Techniken, die dort vermittelt wurden, eher abgeschreckt. Ich plante nicht, jemandem die Augen auszukratzen oder den Kehlkopf zu zertrümmern, aber wer wusste schon, was ich für Kräfte entwickelte, wenn es darauf ankäme.

Mit festem Schritt gingen wir weiter, eng aneinander gelehnt, als die Gruppe sich aus dem Nebel schälte.

---ENDE DER LESEPROBE---