Verraten und verheizt - Otto Fr. Rossegg - E-Book

Verraten und verheizt E-Book

Otto Fr. Rossegg

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Beschreibung

Otto Fr. Rossegg verhört in der Slowakei als Dolmetscher für den deutschen Heimatschutz Partisanen, die, von sowjetischen Agenten angestachelt, gegen die slowakische Regierung kämpfen. Zum Wehrdienst verpflichtet, muss Odo als Volksdeutscher der Waffen-SS beitreten und wird an der Selbstfahrlafette "Hummel" ausgebildet. Als Offizier rettet er immer wieder sich und seine Kameraden aus brenzligen Situationen. Doch gesundheitlich schwer angeschlagen kommt er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Wird er seine Familie je wiedersehen?

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Otto Fr. Rossegg

Verraten undverheizt

Als Volksdeutscher bei derWaffen-SS

© 2023 Edition Förg GmbH, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Umschlagfotos: © Bundesarchiv, Bild 101I-278-0898-22 (vorne) und Privatarchiv von Otto Fr. Rossegg (hinten)

Bildnachweis: Alle Fotos im Innenteil stammen aus dem Privatarchiv von Otto Fr. Rossegg

Lektorat und Satz: Dr. Helmut Neuberger, Ostermünchen

Bildbearbeitung: Edition Förg GmbH

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-96600-027-7

eISBN 978-3-47554-962-5

Inhalt

Vorwort

Meine Heimat Slowakei

Kindheits- und Jugenderinnerungen

Partisanen

Heimatschutz

Dolmetscherdienst

Erahnte Lebensrettung

Genötigt und verführt

Abschied von der Heimat

Artillerieausbildung

Offizierslehrgang

Fronteinsatz

Scharfschützen

In Lebensgefahr

Kriegsende

Rückzug nach Westen

Amerikanische Zone

Von Freunden gerettet

Kriegsgefangenschaft

Zusammenbruch

Lager Altheim am Inn

Buntscho

Kochkünste

Zufall oder Schicksal

Hunger und Tod

Nikotinmangel

Entlausung

Umzug nach Ebensee

Die Tschechoslowaken

Frei mit Lug und Trug

Aufpäppelung

Fahrt in die Freiheit

Rettung in letzter Minute

Vater und Sohn in »Wildwest«

Zigarettenwunder und süßer Frevel

Kurioses Heizmaterial

Jenny

Endlich vereint

Epilog

Vorwort

Immer wenn ich über meine unglaublichen Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs nachdenke, dann kommt mir ein einziges Wort in den Sinn, ein Wort, das für mich das wichtigste in diesen furchtbaren Jahren geworden ist: Kameraden! Dieses Wort ist in der Notlage die einzige Hoffnung, um manchmal mit dem Leben davonzukommen. Sie kümmern sich um den anderen, auch wenn sie selbst Hilfe benötigten. Es ist erstaunlich, was die Kameradschaft für Kräfte mobilisieren kann, um nicht schlapp zu machen. Es gibt kein besseres Wort als »Kamerad«! Ich habe selbst Zuspruch und Hilfe meiner Kameraden erfahren können, ja sogar das eigene Leben wurde von ihnen gerettet. Freunde sind stets willkommen. Im Krieg jedoch sind diese meist nicht gegenwärtig und bleiben eine schöne Erinnerung an die Friedenszeiten. Da ist aber auf sie auch Verlass!

Meines Erachtens ist der Geist der Freundschaft mit dem der Kameradschaft nicht zu vergleichen. Ich will daher meinen Kriegskameraden, die mich in guten aber auch bösen Lebenslagen begleiteten, ein ehrendes Andenken und Dankbarkeit bewahren. Sie weilen leider nicht mehr unter uns, ich aber werde sie nie vergessen.

Otto Fr. Rossegg

Mein Rufname ist Odo v. St. Martin, daher werde ich meistens »Odo« und nicht »Otto« genannt.

Meine Heimat Slowakei

Über den großen Dramen des Zweiten Weltkriegs ist die Rolle, die meine Heimat, die Slowakei, in diesem Inferno gespielt hat, weithin unbeachtet geblieben, und auch heute noch ist das Wissen über dieses kleine Land trotz dessen Zugehörigkeit zu EU und NATO im Allgemeinen sehr begrenzt.

Die heutige Slowakische Republik hat eine Fläche von 49 014 km2, die von rund 5 Millionen Einwohnern bevölkert wird. Die Hauptstadt heißt seit 1918 Bratislava (früher Preßburg). Geprägt wird das Land von Gebirgen wie der Hohen Tatra, dem Hochgebirge der Westkarpaten, mit der Gerlsdorfer Spitze (2663 Meter), dem Slowakischen Erzgebirge, Neutragebirge der Mittelslowakei, dem Fatragebirge, den Belaer Alpen und den Ausläufern der Beskiden. Der Hauptfluss des Landes ist die Waag (Váh), die das Staatsgebiet durchquert und in die Donau mündet. Waldreiche Gebirgszüge setzen den Karpatenbogen im Osten fort.

Das Gebiet der heutigen Slowakei zählt zu den ältesten europäischen Siedlungsräumen und war bereits vor der letzten Eiszeit von Menschen bewohnt. Historisch nachweisbar ist die Präsenz von Kelten, Hunnen und verschiedenen germanischen Stämmen, ehe im Verlauf des 6. nachchristlichen Jahrhunderts die Slawen zur dominanten Ethnie wurden. Im Frühmittelalter war die Slowakei Teil des Mährerreiches, des ersten slawischen Großreichs. Nach dem Mongolensturm, der im 13. Jahrhundert weite Teile der Slowakei nahezu entvölkerte, wurden deutsche Siedler zur Neubesiedelung ins Land geholt, die sogenannten Karpatendeutschen. Bauernhöfe, deren Geschichte sich über 600 und mehr Jahre zurückverfolgen ließ, waren vor dem Zweiten Weltkrieg in der Slowakei keine Seltenheit, und im Mittelalter bestanden die Führungsschichten der meisten slowakischen Städte aus Deutschen. Politisch war die Slowakei seit dem Jahr 1000 Teil des Königreichs Ungarn und damit im weiteren Verlauf der Habsburgermonarchie. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gehörte das Land als »Oberungarn« dem ungarischen Königreich an.

Am 28. Oktober 1918 löste sich die Tschechoslowakei aus der österreichisch-ungarischen Monarchie, die aufgehört hatte zu existieren, und wurde ein selbständiger Staat mit den Ländern Tschechien/Mähren, Slowakei und Karpatho-Ukraine. Auch nach Abschluss der Pariser Vorortsverträge, die den Kriegszustand beendeten und den unterlegenen Mittelmächten erhebliche Lasten aufbürdeten, lebten im Süden des Landes Angehörige verschiedener Ethnien in Frieden miteinander: relativ große ungarische Minderheiten, Tschechen, Roma, Ruthenen, Juden, Polen und starke deutsche Minderheiten in den »Sprachinseln« der Ober- und Unterzips, dem Hauerland, Kaschau und Preßburg. Der Frieden endete, als Hitlerdeutschland damit begann, unter den deutschen Minderheiten einen aggressiven Nationalismus zu entfachen, der letztlich zum Untergang der Tschechoslowakei führte.

Am 29. September 1938 trat das Münchner Abkommen in Kraft, mit dem das Sudetenland an das Deutsche Reich angeschlossen wurde. Nur ein halbes Jahr später, im März 1939, besetzte die Wehrmacht die »Resttschechei«, die fortan als »Protektorat Böhmen und Mähren« unter deutsche Herrschaft geriet. Am 14. März erlangte die Slowakei ihre Selbstständigkeit und wurde ein »Schutzstaat« des Deutschen Reiches. Diese »Unabhängigkeit« wurde jedoch teuer erkauft. Die von der starken ungarischen Minderheit bevölkerten südlichen Landesteile der Slowakei wurden 1939 an Ungarn abgetreten. Dieser Gebietsverlust konnte erst nach dem Kriegsende korrigiert werden.

Im Sommer 1944 brach in der Slowakei ein Aufstand gegen die vom Deutschen Reich beeinflusste slowakische Regierung aus, der von sowjetischer Seite unterstützt wurde. Der »Slowakische Nationalaufstand« wurde nach Anfangserfolgen von deutschen Truppen niedergeschlagen. Die Slowakische Republik blieb Verbündete des Deutschen Reiches bis zur Kapitulation 1945 und beteiligte sich am Kampf gegen die Sowjetunion mit zwei motorisierten Divisionen.

Nach der Kapitulation Deutschlands und der Übernahme der Regierung durch die Kommunisten wurden mehrere Mitglieder der ehemaligen Regierung zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der ehemalige Staatspräsident, Pfarrer Jozef Tiso, fand ein grausames Ende. Drei Tage lang wurde er in einem Schaufenster dem »Volk« präsentiert und anschließend gehängt. Die Kommunisten wüteten rachedurstig im Land. Der größte Teil der deutschen Bevölkerung, die Karpatendeutschen, wurde interniert und dann vertrieben, viele fanden den Tod. Geblieben sind im Land Bürger »deutscher Nationalität«, die teils gute Beziehungen oder sich untergeordnet hatten. Sie lebten mit starken beruflichen Einschränkungen. Lehrer durften beispielsweise nicht mehr unterrichten, Beamte wurden entlassen oder zurückgestuft. Viele von ihnen sind Jahre später als »Aussiedler« nach Deutschland emigriert.

Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes 1989 verschärften sich die Spannungen zwischen Tschechen und Slowaken, und am 1. Januar 1993 erlangte die Slowakei ihre Selbstständigkeit. Nach einem Regimewechsel 1998 näherte sich die Slowakei zunehmend Europa und den USA an und wurde 2004 Mitglied der NATO und der EU. Seit 2009 ersetzt der Euro die slowakische Krone.

Kindheits- und Jugenderinnerungen

Als Kind eines österreichischen Bankdirektors und einer ungarischen Aristokratin wurde ich 1926 geboren und wuchs in einem sehr behüteten Umfeld auf. Mein Vater hatte im Ersten Weltkrieg als Offizier in der Armee Österreich-Ungarns gedient, bevor er mit 32 Jahren Bankbeamter wurde. Mit der Übernahme seiner Bank durch die Tschechische Legiobank verlor er seine Arbeit, und wir zogen aus der Dienstvilla um nach Kaschau in eine Dreizimmerwohnung, wo wir verarmt und nur mit dem Nötigsten ausgestattet lebten.

Aufschwung brachte die erfreuliche Nachricht, dass mein Vater den Posten als Generalvertretung einer Süßwarenfirma in Preßburg erhielt, um den er sich beworben hatte. 1938 durften meine Mutter und ich schließlich zu meinem Vater nach Poprad ziehen, nahe der Hohen Tatra. Da das Sudetenland inzwischen an das Deutsche Reich abgetreten worden war, musste man nun ein Visum beantragen, wenn man von Poprad zurück nach Kaschau fahren wollte, das inzwischen von Ungarn besetzt worden war.

Auf Wunsch meines Vaters wechselte ich 1940 vom Realgymnasium an die Handelsakademie in Preßburg. In den Ferien fuhr ich mit dem »Tatra-Express«, der nur aus zwei Wagen bestand, von Preßburg, meiner Studienstadt, 420 Kilometer nach Hause nach Poprad. Diese Strecke bewältigte der Diesel-Triebwagen nach einer waghalsigen Fahrt über Gebirgsserpentinen in kaum vier Stunden. Es war eine Pracht zu sehen, wie der Zug zu Tal raste. Diese Bahnlinie war ein Vorzeigeobjekt der damaligen »freien« Slowakei.

Mein Vater war immer schon ein begeisterter Jäger gewesen, und auch ich hatte unter seiner Aufsicht den Jagdschein gemacht. Ein Erlebnis ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben:

Während meiner Studienzeit nahte wieder einmal die große Silvesterjagd meines Vaters. Ich freute mich schon die ganze lange Heimfahrt aus Preßburg darauf und auf das Wiedersehen mit den Eltern. Unsere Begegnung war – wie immer bei alten Kameraden – sehr herzlich und liebevoll. Vater überraschte mich mit der Nachricht, dass unser Heger Johann Poser, der auch das benachbarte Jagdrevier des Fürsten Hohenlohe betreute, eine starke Saurotte in unserem Jagdrevier gemeldet hatte. Vater freute sich, dass er bei der anstehenden Silvesterjagd seinen Gästen auch Schwarzwild anbieten konnte. Natürlich musste dazu der genaue Einstand dieses wehrhaften Wildes festgestellt werden, was durch ein sogenanntes »Kreisen« anhand der Saufährten erkannt werden musste. Bekanntlich hält sich das Schwarzwild nicht ständig an einem Ort auf, sondern bewegt sich, je nach Nahrungsangebot, im ganzen Gebiet seines Reviers.

Am nächsten Tag fuhr uns Franz, der »Mann für alle Fälle« unseres Hauses, mit der Praga-Limousine ins Jagdrevier. Der Wagen wurde bei der Försterei geparkt, Franz freute sich auf einen Plausch mit der Förstertochter Juli, die froh war über die Abwechslung. Sie lernte fleißig für die Prüfung zur Försterin. Als solche sollte sie dann ihren Vater unterstützen.

Förster Johann bestätigte noch einmal die Sauen im Revier und fügte aber gleich hinzu: »Passen Sie gut auf, im Gebiet wurden Braunbären gesichtet!«

Mein Vater, Major a. D. Otto W. Rossegg (1950)

Aus dem Wagen holte Vater seine bewährte Steyr-Mannlicher-Büchse Kaliber 7x64, ich musste statt meines 20-er Schonzeitdrillings Vaters Krieghoff-Drilling Kaliber 12 und 7x57 mm mitnehmen.

Der tiefe Schnee führte uns an der gut beschickten Wildfütterung für das Schalenwild vorbei. In einiger Entfernung sahen wir kapitale Rothirsche und Ricken in Begleitung starker Böcke.

Vater sagte traurig: »Bald wird der Russe dieses herrliche Wild totschießen. Wir haben es gehegt und gepflegt, alles umsonst!«

Vater tat mir ehrlich leid, und mir ging es auch ans Herz. Die noch fernen Artillerieduelle am Dukla-Pass in den Karpaten hallten bereits wie ferner Gewitterdonner an den steilen Felswänden der Hohen Tatra wider.

Der Parallelweg hoch im Wald war nach dem Anstieg erreicht. Wir trennten uns, und Vater nahm den oberen Rückweg, der etwa 100 Meter über meinem breiten Pfad lag. Vorsichtig, um nur kein Geräusch zu machen, stapfte ich im wadenhohen Schnee vorwärts. Nach etwa achtzig Metern kreuzten meinen Pfad die Fährten von mindestens 15 Schwarzkitteln, die im gegenüberliegenden Hochwald verschwanden. Die Fährten waren ganz frisch, das sah ich an den noch scharfen Kanten der Tritte. Jetzt aber keinen Laut mehr und langsam zurück, denn die Sauen hatten eine hervorragende Witterung. Wenn sie mich mitbekamen, würden sie sofort ins Nachbarrevier wechseln.

Ich wich etwa 15 Meter vorsichtig zurück, als plötzlich – mir stockte der Atem – eine ausgewachsene Bärin aus der Dickung stürzte und mich mit Gebrüll attackierte. Ich war derart überrascht, dass ich gerade noch den Drilling entsichern und ohne zu zielen beide Läufe auf das schnell näher stürzende Tier abfeuern konnte. Die Bärin hatte sich wenige Meter vor mir auf die Hinterbranten aufgerichtet. Sie brüllte auf, sank auf die Vorderbranten, erhob sich wieder und mit Gebrüll taumelte sie zurück in die Dickung. Dann Stille! Meine Knie gaben nach, und ich musste mich in den Schnee setzen. Wie mein Vater es mich gelehrt hatte, lud ich sofort nach und erwartete, das Gewehr im Anschlag, den erneuten Angriff des Monsters. Aber nichts geschah.

Dieses Abenteuer wird dir niemand abnehmen, sagte ich mir, denn wer schießt schon mit 17 Jahren auf einen angreifenden Bären, der noch dazu geschützt ist? Das gibt ein Theater! Jetzt versagten meine Nerven, und als ich die Augen wieder öffnete, stand mein Vater über mir.

»Ich habe das Bärengebrüll und die Schüsse gehört und bin sofort zu dir geeilt. Was ist geschehen? Ist dir etwas passiert?«

Ich war noch nicht imstande, einen klaren Gedanken zu fassen, und mein Kopf war leer. Mühsam und stotternd versuchte ich, die Geschichte zu erzählen, doch aus meiner Kehle kamen nur undeutliche Laute. Vater sah es und winkte ab.

Nach zehn Minuten kam der Befehl meines Vaters im Kommandoton des ehemaligen Majors: »Steh auf! Jetzt sag, was geschehen ist!«

In kurzen Sätzen erzählte ich ihm, was mir widerfahren war.

»Sohn, sei ein Mann, nimm dich zusammen! Wir suchen den Bären. Die Fährte ist gut sichtbar. Aber Vorsicht – mit einem angebleiten Bären ist nicht zu spaßen!«

Noch mit etwas zittrigen Knien und entsicherter Waffe folgte ich ihm in das Dickicht, wohin der Petz verschwunden war.

Wir hatten, wenn wir im Revier waren, stets unseren Hund Amigo dabei, der hervorragend auf Schweiß abgerichtet war. Doch bei der Jagd auf Schwarzwild war er nicht dabei. So pirschten wir vorsichtig weiter, umrundeten die Dickung, und nach etwa achtzig Schritten lag die Bärin bereits verendet da.

»Vorsicht«, raunte Vater, »du musst dich erst davon überzeugen, dass der Bär wirklich verendet ist!« Er hob einen dicken Ast vom Waldboden und warf ihn auf den Bären. Keine Regung! Dann standen wir vor dem mächtigen Körper, und ich griff mit zittriger Hand in sein Fell.

Mein Lehrmeister sagte dazu: »Das hätte ich nicht gedacht, dass du so geistesgegenwärtig warst und sofort geschossen hast. Bravo, mein Sohn, Weidmannsheil! Aber jetzt kommt das Schwerste: Bären sind geschützt, und wie du weißt, dürfen sie nur bei Lebensgefahr geschossen werden. Wir müssen den Forstmeister und die Polizei benachrichtigen. Du bleibst bei der Bärin, ich fahre mit Franz und dem Heger schnell zum Forstmeister. Halte den Drilling geladen, man weiß nie, ob ihr Partner nicht in der Nähe ist. Doch der Lärm und die Schüsse haben ihn, wenn er da war, sicher verscheucht. Also, bis nachher!«

Wandern im Jagdrevier in der Hohen Tatra 1943

Nach diesen Worten eilte mein Vater den steilen Forstweg hinab.

Ich beruhigte mich langsam, und mein Atem wurde fast normal. Das hätte ins Auge gehen können, sagte ich mir. Mein Schutzengel war auf dem Posten – danke! Am Fuß einer mächtigen, windzerzausten Tanne setzte ich mich zwischen ihre Wurzeln. Wieder zwei Brenneke-Flintenlaufgeschosse und die 7,57 mm Kugel in den Läufen, harrte ich den kommenden Verwaltungsmaßnahmen entgegen, Augen und Ohren waren aufs Äußerste gespannt.

Das leise Flüstern des Winterhauchs in den Wipfeln der Tannen wirkte beruhigend auf mich, obwohl ich bei jedem Geräusch hellwach wurde und den Schaft des Drillings fester umklammerte. Ich hatte keine Angst, das hatte mir mein guter Vater und Lehrmeister eingebläut. Keine Angst haben oder zeigen! Ob beim Hund oder Wild. Die Tiere merken es und fühlen sich stärker als der Angsthase. Vorsicht und Umsicht muss man walten lassen, besonders, wenn man eine Waffe handhabt.

Jetzt vernahm ich Motorengeräusche, die sich im tiefen Schnee langsam näherten. Es wird Zeit, sagte ich mir, denn nach gut drei Stunden waren meine Knochen durchgefroren. An der Wegbiegung erschien der Geländewagen des Forstmeisters, der drei Polizeibeamte und auch meinen Vater mitbrachte. Die Untersuchungen des Tatorts und der Schüsse begannen.

Um sich keine Vorwürfe wegen Nachlässigkeit einzuheimsen, waren die Polizeibeamten äußerst akribisch. Forstmeister Hubert, ein Jagdkamerad meines alten Herrn, war mit diesem ins Gespräch vertieft. Ihm genügte ein Blick, und der alte Weidmann erkannte die Notlage, in der ich mich befunden hatte. Die polizeiliche Untersuchung ergab dasselbe. Es wurde amtlich festgestellt, dass mich die Bärin aus dem Dickicht attackiert und sich mir auf 4,7 Meter aufgerichtet genähert hatte, als sie die Kugeln erhielt. Es war eine klare Notwehrsituation gewesen und damit nicht strafbar.

Das gegerbte Bärenfell zierte im Arbeitszimmer meines Vaters die Querwand. Meine Mutter sah es nicht gern und meinte, dass der Pelz die beste Brutstätte für Motten sei. Vielleicht hatte sie recht. Der Fall wirbelte trotzdem viel Staub auf, denn ein getöteter Bär, ob in Notwehr oder nicht, rief die Tierschützer auf den Plan. Aber als Vater mit meiner Hilfe den Ablauf dieses Abenteuers der Presse übergab und die Story veröffentlichte, wurde es langsam stiller, und die Gemüter beruhigten sich wieder. Ich habe in meinem langen Leben keinen Bären mehr erlegt und eingedenk meines Erlebnisses alle Jagdangebote in Gebieten mit einer Bärenpopulation ausgeschlagen.

Partisanen

Es war August 1944. Die politische und militärische Situation in der Slowakei spitzte sich von Tag zu Tag weiter zu. Nachts brummten sowjetische Flieger, wir nannten sie »Nähmaschinen«, aus dem Osten über uns hinweg. Über der Mittelslowakei sprangen sowjetische Kommissare mit Fallschirmen ab und organisierten einen Partisanenaufstand im Rücken der an der Ostfront kämpfenden deutschen Truppen, darunter auch mein Vater, der von der deutschen Wehrmacht einberufen worden war.

Dem »Aufstand« schlossen sich auch Teile des slowakischen Militärs an, die von den Sowjets unterstützt wurden, während die Westalliierten wenig Interesse zeigten. Die Sowjets schufen damit hinter der zurückweichenden deutschen Wehrmacht eine zweite Front.

Auch das slowakische Volk suchten die sowjetischen Agenten zu beeinflussen. Diesem allerdings war es noch nie so gut gegangen wie unter der »Schirmherrschaft« des deutschen Reiches. Ich weiß, wovon ich rede, denn wir haben es miterlebt. Nahrung, Kleidung, alle Güter des täglichen Bedarfs und allerlei Geräte waren im Überfluss vorhanden, wogegen im Deutschen Reich bereits alle diese Dinge rationiert waren. Denn dem autoritär, aber nicht faschistisch regierenden Staatspräsidenten Jozef Tiso war es gelungen, die Kriegsteilnahme der Slowakei auf ein bescheidenes Kontingent zu begrenzen, während die Wirtschaft von der kriegsbedingt gestiegenen Nachfrage profitierte.

Ich war in meinem Abschlussjahr, und die Examina standen bevor. Die letzten Semesterferien verbrachte ich bei meinen Eltern. Auch mein Vater, der zur Erholung und Rehabilitation nach einer Verletzung am Bein nach Hause gekommen war, freute sich, diese Zeit mit mir zu verbringen. Es ließ sich gut plaudern mit dem alten Herrn, der seine Erlebnisse an der Front erzählte.

Da die »Hundstage« mit großer Hitze andauerten, entschloss ich mich, ins Schwimmbad zu gehen.

Gegen 15 Uhr wurde ich von der Aufsicht zum Telefon gerufen: Meine Mutter wolle mich sprechen. Nichts Gutes ahnend, hörte ich Mutter weinend sagen:

»Komm sofort nach Hause! Partisanen sind im Anmarsch auf die Stadt!«

Mit dem Fahrrad war ich in wenigen Minuten zu Hause, wo mich Mutter mit verweinten Augen empfing.

»Sie sind schon in Ružomberok (Rosenberg) und kommen mit Lastwagen. Gottlob ist der Vater zu Hause! Er ist sofort in die Stadt gefahren, um die Evakuierung von Frauen und Kindern zu organisieren. Er ist ja der höchste und dienstälteste deutsche Offizier hier. Die Wehrmacht in Polen hat er schon alarmiert, denn bei uns ist nur ein kleiner Funktrupp stationiert. Ich habe bereits das Notwendigste gepackt, tu es auch«.

Es dauerte nicht lange, und vor unserer Villa hielt ein großer Mercedes-Lastwagen, den mein älterer Freund Stefan Stürzer, ein gelernter Metzgergeselle, fuhr. Vater und ich luden die unbedingt notwendigen Sachen auf. Auf dem Lastwagen befanden sich schon mehrere deutsche Frauen mit ihren weinenden, quengelnden Kindern.

Mein Vater besaß von seinem Fronteinsatz eine deutsche Maschinenpistole, die er sich jetzt »für alle Fälle« umhängte. Mir gab er seine zweite Offizierspistole, eine Dreyse Kaliber 7,65. Mir als frischgebackenem Jungjäger war die Waffenhandhabung nichts Neues, und auf dem Schießstand traf ich meist ins Schwarze. Meine Mutter hatte schon immer in der Handtasche eine kleine Walther-Pistole Kaliber 6,5. Sie war zwar keine Jägerin, aber Besitzerin eines Waffenscheins, und als solche schoss sie ganz hervorragend auf dem Schießstand – sehr zum Stolz meines Vaters.

Vor der Abfahrt deponierten wir unsere Jagdgewehre zusammen mit dem kostbaren Gold- und Brillantschmuck der Mutter im gemauerten Tresor im Keller.

Nach dem »Los!« gab Stefan Stürzer Gas, und wir fuhren flott gegen Norden in Richtung Polen, seit 1939 deutsches »Generalgouvernement«, dessen Grenze etwa sechzig Kilometer vor uns und mit dem Bergpass unter den Graten der Hohen Tatra lag. Diese Grenze war offen, um die vor den Partisanenbanden flüchtenden Deutschen aufzunehmen.

Mithilfe des Funktrupps beschlagnahmte Vater den städtischen Autobus, der für den Abtransport der Deutschen eingesetzt wurde und voll beladen unserem Lastwagen folgte.

Der Disponent des städtischen Fuhrwesens, ein unwilliger Slowake, protestierte zwar gegen die Requirierung, aber mit meinem Vater war in solchen Lagen nicht gut Kirschen essen.

Meine Mutter saß mit zwei weiteren Frauen im Führerhaus, Vater und ich oben auf der Ladefläche des Lkws, zusammen mit einigen Soldaten des deutschen Funktrupps und den Ehemännern der mitfahrenden Frauen. Die Männer, meist Jagdkameraden meines Vaters, hatten sich ebenfalls bewaffnet, um sich bei einem etwaigen Partisanenüberfall wehren zu können.

Trotz der nach dem dritten Semester an der Akademie absolvierten »Wehrertüchtigungs-Ausbildung« in Seeboden am Millstätter See in Österreich, war mir auf dieser Fahrt etwas mulmig zumute, denn die Banden versteckten sich in dichten Wäldern und griffen überraschend an. Mein Vater, der alte Frontkämpfer und hochdekorierte Major, ermahnte mich, hinter seinem breiten Rücken Deckung zu suchen. Das tat ich gern!

Nach zügiger, ungestörter Fahrt kamen wir im polnischen Zakopane an. Hier sah ich zum ersten Mal meine heißgeliebte Hohe Tatra von der nördlichen Seite. Majestätisch! Diesen Anblick werde ich nie vergessen.

Uns empfing das Deutsche Rote Kreuz, das mit Milch bereiteten süßen Haferbrei ausgab. Den konnten weder Vater noch ich wegen unserer Laktose-Unverträglichkeit annehmen, doch die Frauen aßen ihn mit Genuss. Nach alter Tradition packte Vater aus seinem Rucksack wie bei der Jagd ein Stück Speck und Wurst mit schon etwas härterem Bauernbrot aus und versorgte damit mich und andere »milchempfindliche« Mitreisende.

Nach zwei Stunden Rast befahl mein Vater: »Männer, antreten und aufsitzen! Es geht zurück in unsere Stadt zu ihrer Verteidigung!«

Die älteren Männer, fast alle Teilnehmer des Ersten Weltkrieges, brauchten keine besonderen Instruktionen, um sich dieser prekären Lage anzupassen. Sie verabschiedeten sich von Frauen und Kindern ohne Widerspruch, stiegen auf den Lkw, und wir fuhren los. Meine Mutter hätte mich gern bei sich gehabt, doch nach meinem Protest sah sie ein, dass ich mit fast 18 Jahren an die Seite des Vaters gehörte und mitkämpfen wollte.

In unserer bedrohten Stadt reibungslos angekommen, sahen wir die slowakische Bevölkerung, Frauen und Kinder, wie verschreckte Hühner auf den Straßen herumrennen. Vater übernahm das Kommando und befahl auch den slowakischen Männern, sich zur Verteidigung der Stadt bereit zu machen.

Vor der Stadt wurde eine dünne Verteidigungslinie gebildet. Die aus Westen anrückenden, gottlob langsamen und schwer betrunkenen Partisanen wurden mit allen noch vorhandenen Jagd- und anderen Waffen erwartet. Vater behielt seine MP, ich holte meinen nach der Jägerprüfung zu Weihnachten erhaltenen 20-er-Schonzeit-Hahnendrilling mit der 5,6 mm Vierlingspatrone und nahm im eiligst ausgehobenen Graben Deckung.

Der Westwind trug ab und zu undefinierbare Geräusche aus Richtung Rosenberg herüber, die zur stärkeren Wachsamkeit zwangen. Wir waren etwa fünfzig Mann und einige Jungen, die den Militärdrill absolviert hatten, dazu altgediente Soldaten. So erwarteten wir die Partisanen.

Wir warteten und warteten. Die Telefonleitungen waren gekappt, daher gab es keine Nachricht. Der deutsche Funktrupp, der nach dem Polenfeldzug in der Stadt verblieben war und von dem sechs Männer unter das Kommando meines Majors gestellt waren, erhielt trotz mehrfacher Versuche keine Verbindung. Wir befanden uns wie »im Auge des Hurrikans«, in der Ruhe vor dem Sturm. Die Spannung war unerträglich. Die tiefe Bassstimme unseres Kommandeurs ermahnte uns, Ruhe zu bewahren. Manche Jungen wurden ungeduldig und wollten nach Hause, obwohl ein Teil ihrer Mütter bereits freiwillig evakuiert worden war. Die beruhigende Bassstimme stellte die Disziplin wieder her.

Die Geräusche wurden lauter. Langsam unterschieden wir Motorengeräusche vom lauten, abgehakten Gesang und Gegröle.

Vor der Chemiefaserfabrik »Svit«, etwa fünf Kilometer von der Stadt entfernt, hielten die Lastwagen mit den aufgesessenen »Partisanen«.

»Äußerste Wachsamkeit«, kam der Befehl. Wir 18-Jährigen wussten, dass wir mit den wenigen Verteidigern die Bande nicht würden aufhalten können. Hier bewährte sich die Voraussicht meines alten Herrn, der bereits die Hilfe der Deutschen Wehrmacht aus Polen angefordert hatte, bevor die Funkverbindung abgebrochen war.

Ein kurioses Ereignis rettete wahrscheinlich unser Leben. Mit einigen kriegserfahrenen Männern hatte mein Vater in der Nacht zuvor ein Waffendepot der slowakischen Garnison überfallen, das von einem betrunkenen Wachposten bewacht wurde. Sie erbeuteten ein leichtes Browning-Maschinengewehr, ein schweres Maschinengewehr mit Lafette, einige Handgranaten und natürlich entsprechende Munition. Die unbewaffneten Reservisten erhielten Karabiner. Mit dieser »tollen« Bewaffnung stellten sich die Karpatendeutschen in ihrer Bedrängnis der Gewalt entgegen.

Es war natürlich ein Glück, dass mein Vater als alter Kriegsteilnehmer und Offizier die Organisation der Verteidigung in seinem Reha-Urlaub übernahm. Zwei ehemalige k.u.k.-Offiziere, Oberleutnants, standen ihm hilfreich zur Seite. Er führte selbst das schwere Maschinengewehr und deckte die von den Lkws abgesprungenen Partisanen mit mehreren Garben ein, worauf Ruhe einkehrte. Unsere Jagdwaffen brauchten wir nicht einzusetzen. Dieses Störfeuer rettete uns und nicht nur das. Ich bewunderte meinen »Helden«, der immerhin schon fünfzig Lenze auf dem Buckel hatte und immer noch in der Lage war, so ein »Husarenstückchen« durchzuführen.

Bevor die Bande merken konnte, dass ihr gegenüber nur ein paar zusammengewürfelte Verteidiger lagen und sie sich trotz Suff zum Angriff entscheiden konnten, nahte die angeforderte Hilfe der Deutschen Wehrmacht. Eine motorisierte Abteilung unter Major von Polten hatte sich nach der Anforderung meines Vaters umgehend in Marsch gesetzt und war nach schneller Fahrt über die Passstraße und Bewältigung von etwa sechzig Kilometern rechtzeitig auf unsere Verteidigungslinie gestoßen. Es dauerte nicht lange, und nach kurzem Feuergefecht sahen wir die »Helden der Nation« als Gefangene in Reih und Glied an unserer Gruppe vorbeimarschieren.

Ihre Reihen waren schon etwas gelichtet worden. Die zwei slowakischen Offiziere, die diese Bande anführten, waren gefesselt. Sie wurden später der Feldgendarmerie zum Verhör überstellt.

Dieses Abenteuer war für uns noch glimpflich ausgegangen. Ich weiß nicht, was wir ohne Hilfe der Wehrmacht mit unseren wenigen Männern ausgerichtet hätten. Als Dank für die Rettung gab Vater für die Offiziere des Bataillons in unserer Villa ein Festessen, das recht »feucht« ausfiel. Ich kannte ja meinen alten Herrn und seine überaus spendable Gastfreundschaft!

Das Bataillon des Majors von Polten blieb als Sicherung gegen die Überfälle der Partisanenbanden in der Zips. Die Übergriffe, Raubzüge, Vergewaltigungen und Morde hatten zur Folge, dass die Führung der Karpatendeutschen in der Slowakei unter Dr. Karmasin auf Anweisung des Deutschen Reiches den sogenannten »Heimatschutz« ins Leben rief, dem die altgedienten Veteranen und die deutsche Jugend angehörten.

Bevor mein Vater als genesen wieder sein Pionierbataillon an der Ostfront übernahm, organisierte er mit der inzwischen eingerichteten deutschen Ortskommandantur in Poprad den Heimatschutz, dem ich naturgemäß auch angehörte. Da sich unser deutsches Sprachgebiet nicht unmittelbar im Einflussbereich des sogenannten »Nationalaufstandes« befand, der sich – wie gesagt – hauptsächlich auf die Mittelslowakei und das Hauerland mit dem Hauptort Banská Bystrica (Neusohl) konzentrierte, bekamen wir von den kriegerischen Ereignissen nicht viel zu spüren.

Große Verluste hatten vor allem die Deutschen im Hauerland zu beklagen, das dem organisierten Widerstand und dem grausamen Bandenterror ausgesetzt war. Bedauernswert war, dass sich auch Landsleute aus materiellen Gründen oder Angst den Partisanenbanden angeschlossen hatten. Sie wunderten sich dann, dass sie von deutschen Sicherheitskräften genauso behandelt wurden wie die gefassten Bandenmitglieder.

Heimatschutz

Unser organisierter Heimatschutz bestand aus alten Reservisten des ehemaligen k.u.k.-Militärs und kaum den kurzen Hosen entwachsenen Jugendlichen, die jedoch schon in deutschen Jugendgruppen militärisch geschult und ausgebildet wurden. Mit den von der entwaffneten slowakischen Garnison erbeuteten Waffen wurde unter Anleitung und Aufsicht von altgedienten Unteroffizieren fleißig im Steinbruch geübt.

Meine ausgezeichneten Schießleistungen am leichten MG wurden von Kameraden und Ausbildern bewundert. Als geprüfter Jungjäger hatte ich ja schon in früher Jugend unter der Anleitung meines Vaters die Waffen beherrschen und auch schießen gelernt, was mir nun zum Vorteil gereichte.

Die Zentrale des Heimatschutzes in Preßburg benötigte dringend Melder, die wegen der gekappten Telefonleitungen für wichtige Meldungen an die in gefährdeten Regionen errichteten Stützpunkte des Heimatschutzes eingesetzt werden mussten. Und ausgerechnet ich, der schon lange ein Leichtmotorrad »NSU-Pony« 100 ccm besaß, das aber in einem verschlossenen Verschlag in meiner Studentenbude in Preßburg stand, wurde zum Melder benannt. Ich konnte nicht widersprechen, Befehl war Befehl!

Eines herrlichen, sonnigen Morgens wachte ich in meinem Jugendzimmer im Obergeschoss auf. Mein erster Blick galt, wie stets, den majestätischen Graten der Hohen Tatra, die auch noch im Sommer in den Mulden Firnschnee aufwies. Ich liebte dieses Bild, das mir oft Kraft und Zuversicht schenkte.

Ich machte mich fertig und aß ausgiebig das von unserer »Antschi« zubereitete Frühstück. Meine liebe Mutter war bereits in Begleitung einer befreundeten Familie nach Mähren evakuiert worden, und so hauste ich allein im Haus, nur mit Betreuung unseres treuen Hausgeistes. Mit Vater war ich gelegentlich in telefonischer Verbindung, meist abends, denn Kontrolle musste sein – wie er sich liebevoll ausdrückte.

Anschließend holte ich die »Enduro«, ein tschechisches 350 ccm Jawa-Sportmotorrad, das mir am Tag zuvor anvertraut worden war, aus der Garage, startete und fuhr zur Heimatschutz-Dienststelle inmitten der Stadt in einem Wohnhaus, das ein evakuierter deutscher Lehrer als »Kommandantur« zur Verfügung gestellt hatte. Der stellvertretende Kommandant rief mich in sein Arbeitszimmer. Mit ernstem Gesicht sagte er zu mir:

»Odo (so wurde ich von allen genannt), es fällt mir schwer, aber ich muss dich mit einer Meldung, die dringend aus Preßburg eingetroffen ist, nach Hranovnica zu unserem Stützpunkt schicken. Darin wird die genaue Lage der Partisanen mitgeteilt, um auf unliebsame Überraschungen vorbereitet zu sein. Die Telefonleitungen funktionieren noch nicht. Die Aktivitäten der Banden nehmen zu. Als Begleitung gebe ich dir Kuki mit (so nannten wir einen gleichaltrigen Jungen, der zwar nicht der hellste, aber sehr pflichtbewusst war). Der ist Automechaniker und kann eventuell bei einer Panne helfen«.

Mit diesen Worten übergab er mir eine Meldetasche und wünschte mir viel Glück.

Kuki wartete schon vor dem Ausgang. Ich kannte den Weg nach Hranovnica sehr gut. Mit Vater waren wir einige Male beim dortigen Revierinhaber zur Jagd eingeladen worden. Das Dorf lag tief im Tal und konnte nur über eine gewalzte, staubige Straße erreicht werden, die in steilen Serpentinen hinunterführte.

Ich sagte zu Kuki: »Die 15 Kilometer schaffen wir noch am Vormittag, dann kannst du bei Mutti Mittagessen. Los, schwing dich hinten drauf!«

Dann startete ich den Motor und gab Gas. Aus der Stadt waren wir gleich draußen und befanden uns vor den südlich gelegenen Serpentinen. Da ich unbedingt Benzin sparen musste, denn Treibstoff war kaum zu kriegen und die Zuteilung äußerst knapp, schaltete ich den Motor ab, und wir rollten die steile Straße fast lautlos hinab. Hinter uns stieg eine riesige Staubwolke hoch, die ich mit gemischten Gefühlen beobachtete, denn sie konnte uns verraten. Kuki saß hinter mir und umklammerte mich ängstlich.

»Hast du Angst, du Hase?«, rief ich ihm zu. »Wir sind ja gleich unten!«

Kuki lockerte etwas seinen Griff um meinen Bauch und krächzte: »Nein, nein, aber es ist hier hinten etwas hart und die Straße ist voller Löcher. Nur weiter!«

Kuki hatte recht, die Straße war unter aller Kritik. Mein quer auf dem Rücken umgehängter Karabiner stieß mich bei jedem Loch liebevoll in die Nieren.

Nach weniger als einer halben Stunde erreichten wir den Stützpunkt. Als ich mich beim dortigen Kommandanten meldete, riss dieser die Augen auf, klatschte die Hände zusammen und rief aufgeregt: »Ja, um Gottes Willen, wo kommt ihr denn her? Wurdet ihr nicht beschossen?«

Ich verneinte und fragte, was eigentlich los sei. Darauf der Kommandant: »Du bringst mir die wichtige Meldung und weißt nicht, dass euer Weg hierher ein Himmelfahrtskommando ist! Die Wälder ringsum stecken voll mit berittenen Banden, die von deutschen Sicherheitskräften verfolgt werden und auf alles schießen, was eine deutsche Uniform trägt!«

Beim Deutschen Heimatschutz. Mein Vater ist Major der Pioniere, ich bin Kradmelder.

Nun wurde mir schon etwas mulmig, und auch Kuki wurde blass. Da wir beide in Sommerdrilliche der slowakischen Armee mit schwarzem Schiffchen und Hakenkreuz-Armbinde eingekleidet worden waren, gaben wir eine gute Zielscheibe ab.

Ich antwortete dem Kommandanten: »Man muss ab und zu auch etwas Glück haben, hoffentlich verlässt es uns nicht auf dem Rückweg.«

Er schlug vor, dass wir wenigstens bis zur Mittagsstunde warten sollten, dann würden die Partisanen sicher ruhen oder schon besoffen sein und schlafen. Die Rückfahrt werde so etwas ungefährlicher. Wir folgten seinem Rat und blieben etwa bis 15 Uhr in Hranovnica.

Die Sonne hatte bereits den Zenit verlassen, als wir uns verabschiedeten. Der Kommandant begleitete uns und wünschte uns viel Glück für die Rückfahrt. Er gab mir auch eine Meldung mit, die ich meinem Kommandanten abliefern sollte.

Mit mäßigem Tempo kamen wir am Fuße der scharfen Kehren an. Ich nahm mit Vollgas die erste Kurve. Jetzt bewährten sich die schlummernden Pferdestärken der »Enduro«. Im zweiten der drei Gänge ließ die Leistung der Jawa nicht nach, und wir fuhren zügig bergauf.

Ich rief Kuki zu, ja aufzupassen. Aber hätte ich das nur nicht getan! Das hätte uns fast das Leben gekostet. Durch den Motorlärm der »Enduro« hörten wir plötzlich Schüsse, und vor uns auf der staubigen Straße bildeten sich kleine Staubfontänen – Schüsse aus dem Hinterhalt!

Ich überlegte schnell: Anhalten war Selbstmord, also Vollgas weiter auf gut Glück. Offensichtlich meinte es das Schicksal gut mit uns, denn die schlecht gezielten Schüsse stieben nur etwas Staub auf.

Da fiel plötzlich ein Schuss hinter meinem Rücken. Was war das? Ich fasste nach hinten, Kuki war noch da, also war er nicht getroffen worden. Die letzte Kurve nahte. Jetzt oben auf dem ungefährlichen Abschnitt hielt ich an. Der Motor der »Enduro« war glühend heiß.

Ich wandte mich zu Kuki um, der kleinlaut hinter mir saß. Entsetzt sah ich, dass er in der Hand seine Pistole hielt.

»Hast du geschossen, du Depp?«, herrschte ich ihn an. »Du hättest mich glatt erschießen können!«

Verdattert und blass antwortete er mir: »Der Schuss ist plötzlich losgegangen, ich hatte die Waffe entsichert gehabt, für alle Fälle!«

Ich lief rot an vor Zorn: »Du Rindvieh, was hast du dir dabei gedacht? Einen Partisanen vom fahrenden Motorrad aus erschießen?« Ich konnte mich vor Wut nicht mehr zurückhalten und knallte ihm eine, dass er vom Sitz fiel.

Kuki steckte die Ohrfeige weg und flehte: »Verzeih mir diese Blödheit. Sag es bitte nicht dem Kommandanten, der schmeißt mich glatt hinaus!«

Als ich dieses flehende Häufchen Elend sah, ebbte mein Zorn ab und ich beruhigte ihn: »Keine Angst, ich werde schweigen. Hoffentlich war es dir eine Lehre, nicht mit einer entsicherten Waffe zu hantieren!«

Kuki nickte eifrig und so kindlich, dass ich trotz des Vorkommnisses lächeln musste und ihm die Hand reichte, die er dankbar ergriff.

Wortlos fuhren wir zurück. Am Stützpunkt angekommen, entschuldigte sich Kuki nochmals bei mir, und ich war heilfroh, dass ich noch lebte.

Die Fernmeldeleitungen wurden nach und nach geflickt, sodass ich zu solchen »Exkursionen« als Melder nur noch sporadisch herangezogen wurde. Man befreite mich schließlich vom Meldedienst.

Der Kommandeur war so anständig, dass er die Jawa ihrem früheren Besitzer zurückgab, obwohl dieser mit den Aufständischen sympathisierte. Dieser war so froh darüber, dass er dem Heimatschutz sein zweites Motorrad, eine 175-er CZ, zur Verfügung stellte, die er vorsorglich in der Scheune versteckt hielt. Ich bekam die Maschine zur freien Verfügung. Natürlich war sie mit der »Enduro« nicht zu vergleichen, sie erreichte nicht annähernd die Leistung der 350er. Mit diesem Motorrad hätte ich die gefährlichen Serpentinen nicht so schnell und glatt meistern können.

Mein Dienst beim Heimatschutz war ohne Kriegseinsatz, zumindest in Poprad, geblieben. Wir waren inzwischen zu einem kartenspielenden und debattierenden Klub mit eigenem Koch geworden, so etwas wie ein »bewaffnetes Café«. Immerhin stand stets eine Wache im Torbogen des Hauses, die alle zwei Stunden abgelöst wurde.

Es war schon später Abend und dunkel, als ich von einem Dienstgang zurückkehrte und den Stützpunkt durch das bewachte Tor betrat.

Aus dem dunklen Hintergrund kam plötzlich der Aufruf: »Halt, Parole!«, und bevor ich antworten konnte, fiel gleichzeitig ein Schuss, dessen Geschoss knapp an meinem Kopf vorbeiflog. Der alte Weltkriegsteilnehmer, der im Torbogen Wache stand, war, wie eine Untersuchung des Kommandeurs ergab, stark alkoholisiert. Er musste sofort seine Waffe abgeben und wurde nach Hause geschickt. Diese Angelegenheit sprach sich natürlich herum, und der Schütze wurde regelmäßig von seinen Freunden und Bekannten damit gehänselt. Diese Schande habe ich ihm gegönnt.

Dolmetscherdienst

Eines Tages besuchte ein Offizier der in Poprad stationierten Dienststelle des SD, des Sicherheitsdienstes der SS, unsere Kommandantur. Ohne Umschweife kam er zur Sache:

»In Ihrer Organisation befinden sich sprachkundige Leute. Zu unseren Aufgaben gehört auch die Säuberung des Gebiets von Partisanen, deren Sympathisanten und Sowjetspionen. Ich ersuche Sie im Namen der deutschen Schutzmacht um Abstellung eines geeigneten Dolmetschers und Übersetzers, der die landesüblichen Sprachen beherrscht. Zuwiderhandlungen führen zu unangenehmen Folgen, die Sie sicher kennen!«

Der anwesende stellvertretende Kommandeur des Heimatschutzes, ein ehemaliger k.u.k.-Hauptmann, wurde blass. Um seine Leute nicht der SS auszuliefern, entgegnete er: »Obersturmführer, sehen Sie sich um. In einer Ecke dreschen sechs Veterinäre Skat bei einem Glas Bier und Sliwowitz, die wenigen Jungen sitzen bei Schach und Dame, der Rest ist auf dem Weg als Melder oder Wache. Wie soll ich da jemanden auswählen?«

Unser Koch Walter, der uns Tag für Tag mit den wunderbaren Speisen der österreichisch-ungarisch-böhmischen Küche versorgte, jedoch nicht gerade mit Intelligenz gesegnet war, musste ausgerechnet jetzt aus seiner Küche herauskommen. Um die bedrohliche Lage zu entspannen, nannte er einen Mann, der seiner Meinung nach zum Dienst beim SD geeignet sein könnte:

»Der Odo, dieser 18-jährige Student, der von seinem Studienort Preßburg abgeschnitten ist, beherrscht vier Sprachen perfekt. Sein Vater ist Major und Kommandeur eines Pionierbataillons an der Ostfront.«

Damit wurde ich gerufen. Der stellvertretende Kommandeur empfing mich: »Odo, es steht nicht in meiner Macht, es zu verhindern. Du sollst auf Befehl der SS dem SD deine Sprachkenntnisse zur Verfügung stellen. Der Obersturmführer wird sicher mit dir zufrieden sein, und von deutscher Seite wird unsere Organisation nicht mehr behelligt werden. Es geht nicht anders!«

Als ich meinem Vater am Abend bei seinem Anruf die Neuigkeit mitteilte, schwieg er einen Augenblick, dann sagte er: »Sohn, wir haben Krieg! Jeder muss seinen Mann stehen, egal wohin er gestellt wird. Ich hätte dir einen besseren Posten gegönnt als beim SD. Halte durch, vielleicht findet sich eine andere Lösung!« Dann fügte er auf Ungarisch hinzu: »Nem fog sokáig tartani! – Es wir nicht mehr lange dauern!«

Damit riskierte er einen Prozess wegen Wehrkraftzersetzung, falls wir abgehört worden wären, doch Angst kannte mein alter Herr nicht.

Der für mich zuständige SS-Offizier musterte mich vom Scheitel bis zur Sohle: »Es scheint, dass Sie der Aufgabe genügen werden. Wir können ohne Dolmetscher keine Vernehmung durchführen. Es gibt immer mehr Bandenmitglieder, die von den Russen aufgehetzt werden und uns große Schwierigkeiten bereiten. Die Köpfe dieser Verbrecher müssen wir fassen, auch mit Ihrer Hilfe. Ihr Dienst bei uns ersetzt den in der regulären Armee der Waffen-SS. Morgen um 8 Uhr beginnt Ihre Tätigkeit, seien Sie pünktlich!«

Ich knallte die Hacken zusammen und entgegnete meinem künftigen Vorgesetzten: »Bei allem Respekt, ich trete den Dienst nicht freiwillig an, er wurde mir befohlen. Trotzdem will ich ihn so gut wie möglich erfüllen. Da ich nicht zur Waffen-SS gemustert wurde, bin ich weiterhin Angehöriger des Heimatschutzes. Ich habe noch nie an Vernehmungen teilgenommen und weiß nicht, ob ich Ihren Anforderungen genügen werde. Mein Vater ist Offizier und als Kommandeur eines Pionierbataillons an der Ostfront. Es wird sicher eine Möglichkeit für ihn und mich geben, über Feldpost oder Funk in Verbindung zu bleiben. Er muss unbedingt über meinen Einsatz informiert werden.«

Mein Gegenüber hörte mich geduldig an und entgegnete, jetzt nicht mehr im Befehlston: »Ihrem Wunsch wird entsprochen, es ist doch klar, dass Sie Verbindung halten wollen.«

Ich setzte hinzu: »Übrigens, ich bin Student und stehe kurz vor den Examina. Es kann sein, dass ich plötzlich zur Akademie gerufen werde. Hierzu möchte ich die Möglichkeit haben, meinen Dienst kurzzeitig abzubrechen.«

Ich erwartete eine schroffe Antwort auf meine gewagte Forderung, die auch prompt kam: »Junger Freund, Ihre Altersgenossen stehen an den Fronten ihren Mann, und Sie stellen hier Bedingungen, die das Wohl und Wehe unserer Existenz betreffen könnten. Schämen Sie sich nicht als Deutscher?«

Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich ihn jetzt genauer: Eisernes Kreuz II. und I. Klasse, silberne Nahkampfspange, Verwundetenabzeichen in Silber, goldenes Reichssportabzeichen, dazu der sogenannte »Gefrierfleischorden« als Teilnehmer an den Kämpfen an der Ostfront. Respekt! Da durfte er mich schon zurechtweisen. Ich knallte nochmals die Hacken zusammen und meldete mich zum Dienst bei seiner Einheit. Es blieb mir nichts anderes übrig, eine Alternative gab es nicht.

Am nächsten Tag fuhr ich mit meinem Motorrad zur Dienststelle und meldete mich pünktlich um 8 Uhr. Sie befand sich in einem von seinen vorherigen Bewohnern verlassenen Zweifamilienhaus an der Ausfallstraße der Stadt.

Der Kommandeur, Hauptsturmführer Heuer, empfing mich freundlich mit Handschlag.

»Ich brauche Ihnen sicher nicht zu erzählen, was diese Banden an Ihren Landsleuten verbrochen haben. Sie sollen dafür bezahlen! Dafür brauchen wir aber Ihre Hilfe.«

Ich hörte ihm schweigend zu. Etwas musste ich aber sagen, auch wenn es ziemlich banal klang: »Ich werde mich bemühen, Sie zufriedenzustellen, Hauptsturmführer. Was sind meine Aufgaben?«

Etwas verwundert blickte er mich wegen dieser recht unqualifizierten Frage an und antwortete: »Sie sollen uns das übersetzen, was meine Mitarbeiter den Delinquenten fragen und was dieser antwortet. Es wird vielleicht auch etwas rau zugehen, was Sie nicht stören sollte. Anders kann man diese Banden und Bestien nicht behandeln und zur Aussage zwingen. Tun Sie Ihre Pflicht als Deutscher! Einen kleinen Vorgeschmack haben Sie ja beim Heimatschutz bekommen. Sie beherrschen vier Sprachen, die hier im Lande geläufig sind. Das ist Ihr Vorteil.«

Es wurde mir ein Schreibtisch zugewiesen, und ich teilte das Zimmer mit Obersturmführer Kröger, der aus dem Ruhrgebiet stammte und von Beruf Polizeibeamter war. Nach seiner schweren Verwundung durch Lungendurchschuss war er für den aktiven Fronteinsatz nicht mehr verwendungsfähig und landete beim SD. Er war derjenige, der mich angeheuert hatte.

Zu tun gab es momentan nichts, der Nachschub an Delinquenten stockte wegen einer großangelegten »Säuberungsaktion« in den Wäldern unter der Hohen Tatra. Kröger reichte mir ein Bündel Papiere über den Tisch und sagte: »Solange nichts zu tun ist, können Sie die bisherigen Protokolle der Vernehmungen einsehen, damit Sie sich ein Bild von unserer Arbeit machen können.« Ich nahm dankend an, denn nichts zu tun zu haben wäre mir unangenehm gewesen. So begann ich in den Papieren zu blättern und die interessanten zu lesen.

Plötzlich blieb mein Blick an einem Namen hängen, den unsere Familie sehr gut kannte. Es war Herr Gerber, der öfter mit seiner Frau und Tochter bei uns zu Gast war. Sie besaßen eine Pension in Tatra Lomnitz.

Als die Kinder-Landesverschickung aus dem Deutschen Reich begann, um die Kinder aus den bombenbedrohten Städten des Ruhrgebietes und Rheinlands in Sicherheit zu bringen, meldete sich auch Gerber als Deutscher zur Übernahme einiger Kinder. Sie hatten auch ihre Lehrer dabei, die ihnen weiter Unterricht gaben. Meine Augen wurden immer größer vor Entsetzen, als ich das Schicksal dieses braven Mannes las.

In den ersten Tagen des Nationalaufstandes wurden die reichsdeutschen Kinder evakuiert, um nicht den Aufständischen und den diese unterstützenden Partisanenbanden in die Hände zu fallen. Gerber und seine Familie blieben in ihrer Pension. Einige Tage später überfiel eine Bande, die von einer sowjetischen Kommissarin befehligt wurde, den Ort und plündernd und mordend kamen sie auch zur Pension der Gerbers. Von Sympathisanten des Aufstands über die Beherbergung der deutschen Kinder informiert, wurde Gerber mitsamt seiner Familie als »Feind« verhaftet. Ohne lange zu verhandeln, befahl die Kommissarin, Gerber an das Scheunentor zu nageln. Seine Frau und die Tochter mussten dabei zusehen, wie sie ihn von unten nach oben beschoss und tötete. Die beiden Hinterbliebenen wurden von den Partisanen vergewaltigt, geschlagen und im Wald an einen Baum gefesselt. Zum Glück wurden sie am nächsten Tag von einer deutschen Wehrmachtspatrouille gefunden und befreit, die ihre Angaben protokollierte. Aufgrund ihrer Aussage konnte die Partisanengruppe von deutschen Sicherheitskräften gefasst werden. Nach kurzem Verhör und einer Gegenüberstellung wurden sie der deutschen Feldgendarmerie übergeben, die wahrscheinlich kurzen Prozess mit ihnen machte.

Ich war vom Schicksal dieser Familie tief betroffen, denn es waren gute Freunde gewesen. Kröger merkte meine Betroffenheit und fragte mich danach. Ich erzählte ihm von dieser Tragödie, die er auch schon kannte.

»Ich brauche Ihnen also nicht zu sagen, was das für Bestien sind. Da ist jeder Pardon fehl am Platz«, sagte Kröger zu mir mit Bedauern.

Aus der Niederschrift las ich von einem weiteren Fall, der sich im August 1944 ereignet hatte. Aus dem internationalen Schnellzug von Bukarest nach Berlin holten Soldaten der zu den Aufständischen übergelaufenen Garnison von Turz-St. Martin unter dem Kommando des Oberleutnants Kohn die aus Rumänien zurückkehrende deutsche Militärmission heraus. Kohn ließ auf Befehl des sowjetischen Partisanenführers Welitschko am nächsten Morgen die 22 Personen mit Maschinengewehren niedermetzeln. Diese blutige Aktion verstieß gegen das Kriegsrecht, da es sich hier um eine diplomatische Mission handelte. Kohn lebte später in der kommunistischen Ära als Oberst in der Mittelslowakei und wurde zum Nationalhelden hochstilisiert. Sein Verbrechen galt unter diesem Regime als Heldentat.