VERREIST, VERFOLGT, VERHEIRATET. - Melanie Steinigen - E-Book

VERREIST, VERFOLGT, VERHEIRATET. E-Book

Melanie Steinigen

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Beschreibung

Marokko: 1 Zelt, 2 Fahrräder und unzählige Abenteuer! Von der Polizei im Atlasgebirge verfolgt, in einem Lehmdorf plötzlich verheiratet, vom Sandsturm in der Wüste verschluckt, ein fataler Unfall und ausgeraubt in Marrakesch - das und noch viel mehr erleben Melli & Dani auf ihrer Fahrrad Weltreise, als sie 2019 von Deutschland aufbrechen und Marokko erreichen. Denn dort will sich Melli von ihrer verstorbenen Oma verabschieden, bevor die Weltreise über 50.000 Kilometer weiter Richtung Asien geht. Durch die Radreise zeigt sich ihr Marokko von einer ganz anderen, unbekannten und intensiveren Seite. Zusammen radeln die beiden durch dick und dünn, kommen an ihre eigenen Grenzen, lernen aber auch die unglaubliche Gastfreundschaft der Marokkaner kennen. Diese Radreise ist wahrlich das Abenteuer ihres Lebens, welches Melli und Dani viele Jahre später bis nach Japan führen wird. Diese eBook Edition enthält farbige Seiten, Fotos und Skizzen.

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Seitenzahl: 267

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Verreist, verfolgt,

verheiratet.

Eine abenteuerliche

Radreise durch Marokko

Melanie Nadja

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

IMPRESSUM

 

© 2022

Melanie Nadja

1. Auflage 2022

 

Lektorat: Daniel Kast, Klaus Landgraf

Covergestaltung: Sarah Gersema

Illustrationen: Sarah Gersema

Fotos: Daniel Kast ©vaegabond.com

 

Selfpublishingverlag

Kast Daniel, Steinigen Melanie GbR

Greiffenbergstr. 49

96052 Bamberg

[email protected]

www.vaegabond.com

www.instagram.com/vaegabondsworld

www.facebook.com/vaegabondsworld

 

Copyright © 2022

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

 

Alle Rechte, auch die der Übersetzung, der Vertonung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Werkes oder Teilen daraus, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung der Autorin in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder einem anderen Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Bis auf den Namen des Reisepartners und den der Autorin, wurden die Namen aller anderen im Buch vorkommenden Personen geändert.

Widmung

Dieses Buch ist für alle Träumer, die von der großen Reise träumen, sie aber nicht machen können. Es ist für alle Reiselustigen, die die Welt und ein anderes Leben da draußen entdecken möchten. Außerdem ist es für unsere Familie & Freunde, die uns zu jeder Zeit unterstützt haben, egal wie verrückt unsere Ideen waren. Nicht zuletzt ist dieses besondere Buch eine kleine Erinnerung an meine marokkanische Oma.

www.vaegabond.com

INHALT
IMPRESSUM
WIDMUNG
WARUM DIESES BUCH? „Was macht dieses Buch eigentlich so besonders?“
ROUTE durch Marokko
PROLOG
RAD DANI
RAD MELLI
KAPITEL I - Von der Polizei verfolgt, oder: Wie man einen echten Cop von einem unechten unterscheidet
KAPITEL II - Plötzlich verheiratet: Wie ich ganz spontan auf marokkanisch verheiratet wurde
KAPITEL III - Von der Wüste in die Not­aufnahme: unser erstes Weihnachten allein
KAPITEL IV - Nach dem Hoch kommt das Tief: Totalschaden, bestohlen und ohne Motivation
KAPITEL V - Grenzenlose Gastfreundschaft: Wie diejenigen, die wenig haben, alles geben
EPILOG
DANKSAGUNG
ÜBER MELLI UND DANI
GLOSSAR
NÜTZLICHE INFOS
GUTSCHEIN: Marokko GPX Reisedaten

WARUM DIESES BUCH?

„Was macht dieses Buch eigentlich so besonders?“

Das hier ist nicht irgendein Erfahrungsbericht in Tage­­­buchformat. Es ist eine wahre Geschichte und auch eine Herzensangelegenheit. Zum einen, weil ich durch meine verstorbene Oma einen ganz be­son­deren Bezug zum wundervollen Land Marokko habe, mit seinen unterschiedlichen Facetten und faszinierenden Landschaften. Dann natürlich, weil so eine Lang­­zeit Weltreise insbesondere, wenn man sie mit dem Fahrrad aus eigener Kraft meistert, einen selbst wesentlich verändert. So viele intensive Eindrücke, die man verarbeiten muss. So viele neue Dinge, die man lernt – über andere Bräuche, Lebensumstände und Lebenseinstellungen, über den Partner, aber auch über sich selbst. Ich radelte nicht nur über ­Landesgrenzen, sondern überschritt auch meine eigenen physischen und mentalen Grenzen. Diese Reise ist ein Prozess, der mein ganzes Leben verändert hat. Genau diese besonderen Erlebnisse möchte ich mit dir und der Welt teilen.

„Warum kommt dieses Buch erst 3 Jahre nach dem Start der Fahrrad-Weltreise?“

All diese Begegnungen mit den Einheimischen, die Verfolgungsjagd mit der Polizei oder wie ich einfach mal von heute auf morgen verheiratet wurde ... All das scheint so unglaublich und doch ist es passiert. Und das waren nur die Erlebnisse aus Marokko. Das Erlebte musste ich erst einmal für mich verarbeiten und reflektieren, das braucht Zeit.

Auf der anderen Seite ist es bei unserer Art zu reisen extrem schwierig, einen ruhigen Arbeitsplatz mit Stromanschluss zu finden. Wegen des knappen Budgets verzichten wir weitestgehend auf Unterkünfte und leben im Zelt. Da wir unterwegs ja auch unsere Reisedokus als Videos veröffentlichen, blieb da kaum Zeit ein Buch zu schreiben. Schließlich erleben wir ja nur etwas, über das man berichten kann, wenn wir auch Fahrrad fahren.

Viele Menschen, die unsere Reise auf den Sozialen Medien verfolgen und unsere Reisedokus ansehen, fragten immer wieder, wann wir denn endlich ein Buch über die Fahrrad-Weltreise veröffentlichen. Auch Daniel leistete hervorragende Überzeugungsarbeit und motivierte mich. So schaffte ich es dann doch endlich, dieses besondere Kapitel unserer Weltreise zu Papier zu bringen.

„Oh mein Gott, was wollt ihr denn in Marokko? Da ist es doch gefährlich!“

Ihr glaubt nicht, wie oft wir das gehört haben. Darauf antworte ich immer: Es ist nicht gefährlicher als nachts in Berlin oder München durch die Wohnviertel zu streifen. Überall auf der Welt gibt es schlechte, aber auch gute Menschen. Wir hatten das unfassbare Glück wunderbare Menschen kennen zu lernen, die von Herzen gaben, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen. Menschen, die eigentlich nichts besaßen. Mit dieser Geschichte möchte ich dir sagen, wie die Marokkaner, die wir kennengelernt haben ticken, möchte dich zum Nachdenken bringen und Vorurteile ausräumen. Es gibt nichts besseres, als seine eigenen Erfahrungen zu machen und offen auf Menschen zuzugehen – vorausgesetzt das Bauchgefühl stimmt.

All diese Erfahrungen gepaart mit nützlichen Informationen und Tipps über das Radreisen und auch speziell Marokko, sind in den einzelnen Kapiteln sowie am Ende dieses Buches zu finden. So gibt es zum Beispiel ein kleines Rezept, mit dem dein Campingessen zum absoluten Schmankerl wird. Am Ende dieses Buches findest du ebenso als Dankeschön für dein Vertrauen, dieses Buch zu kaufen, einen exklusiven Rabatt-Gutschein von 30 % auf unsere originalen GPX Routendaten der Marokko Reise.

Jetzt aber viel Spaß beim Lesen!

PROLOG

 

November 2019 kurz vor Mitternacht in Fes, Marokko

Mehr als 3.000 Kilometer von unserer Heimat entfernt, lagen wir wie zwei Obdachlose auf einem Gehsteig mitten in einem Wohnviertel von Fes in Marokko. Unsere beiden Fahrräder standen direkt neben uns. Auf den ersten Blick wirkten sie wie kleine Motorräder, da die Beladung schon recht … naja, sagen wir mal stattlich war. Ich linste nochmal aus meinem quietsch grünen Schlafsack heraus. Ein komisches Gefühl hatte ich schon irgendwie. Die Häuser um uns herum waren mehrstöckig, schlicht und grau. Nicht besonders hübsch. Ganz zweckmäßig eben, wie es in einer marokkanischen Großstadt von mehr als einer Millionen Einwohnern überall ist.

„Griechischer Baustil und schau mal, die Stahl­armierung steht in alle Richtungen ab. Das wird extra stehen gelassen, damit man jederzeit anbauen kann.“ Als Ingenieur nahm Dani die gesamte Umgebung mit etwas anderen Augen wahr.

Mein Blick fiel allerdings auf die schwarze Mülltüte, die mal nach rechts über die dunkle Straße wehte, um dann doch plötzlich aufzusteigen und nach links zu fliegen.

Unsere Straße wurde von ein paar alten Laternen spärlich erhellt. Wir waren nicht allein. Aus dem Augenwinkel wurden wir genau beobachtet.

Der Nachtwächter dieser Straße bot uns eine Flasche Wasser und ein paar alte, raue Decken an. Wir waren aber mit unseren alten Isomatten und den Schlafsäcken ziemlich zufrieden. „La, chukran“ – Nein, Danke. Ich lehnte höflich das Angebot ab. Im Moment wollten wir nach der ganzen Aufregung eigentlich nur eins: endlich schlafen. Kaum hatten wir die Augen geschlossen, kam ein Auto langsam um die Ecke gerollt. Helle Scheinwerfer richteten sich direkt auf uns und unser improvisiertes Nachtlager. Das Auto kam näher, parkte direkt vor uns und zwei Gestalten stiegen aus, die mit eiligen Schritten direkt auf uns zugingen. Mist! Polizisten.

 

Etliche Stunden zuvor im Schwarzwald, Deutschland

Total aufgeregt packten wir unsere Radtaschen und versuchten unsere Reiseräder in einen Karton zu quetschen. Wie sich doch unser Leben innerhalb der letzten drei Monate komplett geändert hatte! Noch während meines Studiums der Gesundheitsökonomik lernte ich Daniel kennen, der Energie- und Gebäudetechnik studierte. Innerhalb weniger Tage war klar, dass wir uns zwar nicht gesucht, aber dennoch glücklicherweise gefunden hatten. Außerdem stellten wir fest, dass wir beide leidenschaftlich gerne reisen. Nach unseren Bachelorabschlüssen hatten wir beide eine Anstellung in München. Wir pendelten mehrere Stunden am Tag, für fünf Tage die Woche, Jahr für Jahr zu unserem Arbeitsplatz. Ein ganz normaler 9 to 5 Job, wie man so schön sagt. Und doch war da etwas, das uns keine Ruhe lies. Das dringende Bedürfnis unser bisheriges Leben zu verändern.

 

Im September 2019 hatten wir einfach Nägel mit Köpfen gemacht, unsere Jobs gekündigt und unsere Wohngemeinschaft aufgelöst. Dann sind wir von Bamberg knallhart ohne Testtour losgezogen, um unseren Traum zu verwirklichen. Wir wollten eine Weltreise machen, von Deutschland nach Japan und zwar mit dem Fahrrad! Dabei ging es darum uns Zeit für uns selbst zu nehmen und die Natur um uns herum zu spüren. Auf dieser Reise wollten wir so viel wie möglich von anderen Kulturen lernen und uns dabei selbst weiterentwickeln. All die Dinge, für die wir in einer 40 Stunden Woche keine Zeit hatten.

Okay, ganz so einfach war das alles dann doch nicht. Ich machte mir sehr viele Gedanken darüber, ob es richtig war, auf eine sichere Einkommensquelle zu verzichten. Ob wir so eine lange Strecke mit dem Fahrrad durchhalten würden? Ich hatte bisher mit dem Rad nie mehr als 30 Kilometer am Stück geschafft. Ob Tag und Nacht mit dem Partner unterwegs zu sein, überhaupt ohne „Mord und Totschlag“ gut gehen könnte?

 

Ehrlich gesagt hatte das Fahrrad bisher in unserer beider Leben nie wirklich eine große Rolle gespielt. Es war einfach da. Ein einfaches Transportmittel, um von A nach B zu kommen, um Freunde zu besuchen oder um zum See zu radeln. Mehr als eine Tagestour hatten wir beide bis dato noch nie gemacht. Warum also mit dem Fahrrad um die Welt fahren?

Nein, wir hatten nicht plötzlich den Wunsch uns körperlich zu ertüchtigen.

Einen positiven Nebeneffekt auf die Gesundheit hat es natürlich und außerdem ist der ökologische Fußabdruck auf einer Radreise sehr gut.

Mit dem Fahrrad kann man einfach fahren, wohin man will, auch Schleichwege durch Naturparks und sogenannte „Abkürzungen“, die nicht immer welche sind, können mit dem Rad gemeistert werden. Das Rad braucht kein Benzin, muss nicht gefüttert werden und gehorcht anstandslos. Meistens zumindest. Naja, es muss ab und an gewartet oder repariert werden, aber das kann man ja oft problemlos selbst machen. Das sage ich jetzt so einfach, weil ich das Glück habe, dass Dani gerne schraubt und in 98,8 % der Fälle für fast alles eine Lösung findet.

 

Nachdem wir also den gruseligen Teil, alles hinter uns zu lassen, erst einmal geschafft hatten, verging die Zeit wie im Flug. Wir gewöhnten uns an das Gewicht an unseren Rädern und schafften jeden Tag ein paar Kilometer mehr. Je nachdem, wie lange wir auf uns gestellt sein wollten – ohne Zivilisation und Geschäfte – wog mein Rad inklusive Gepäck und Essen sowie Wasser zwischen 50 und 60 kg. Bei Daniel waren das zwischen 60 und 75 kg. Hört sich nach viel an. Ist es auch. Man darf nicht vergessen, dass wir bei jedem Wetter radelten, durch alle vier Jahreszeiten, Sommer wie Winter, durch Wüsten und über Berge. Klar hätten wir auch leichtere Ausrüstungsgegenstände wählen können, aber das war mit unserem begrenzten Budget leider nicht möglich.

Lenkertasche Wertsachen, Reisepass, Snacks, Pfefferspray, Handschuhe

Systemtasche auf GepäckträgerWerkzeug, Ersatzteile

Vorderradtasche rechts Elektronik, Drohne, Kamerazubehör, Laptop

Vorderradtasche linksReiseapotheke, Kulturtasche

Hinterradtasche linksKleidung bis -20°C

Hinterradtasche rechts (Camping) Zelt, Inlett, Kissen, Isomatte, Winterschuhe, Campingstuhl, Hängematte

Tonne Lebensmittel, Gemüse

Oberrohrtasche Dynamoladegerät

Rahmentasche Regenkleidung

Vorderradtasche links Reiseapotheke, Kulturtasche

Hinterradtasche linksLaptop, Regenkleidung, Kleidung bis -20°C

Schwarze Rollen Schlafsäcke

LenkertascheWertsachen, Reisepass, Snacks, Pfefferspray, Handschuhe

Vorderradtasche rechts(Küche) Kocher, Gewürze, Besteck etc.

Korb Gemüse, Obst, angebrochene Lebensmittel

Systemtasche auf GepäckträgerErsatzteile, Filmzubehör

Hinterradtasche rechts (Camping) Inlett, Kissen, Isomatte, Winterschuhe, Campingstuhl, Hängematte

 

Nach wie vor war das Radreisen für mich ein körper­licher Kraftakt, bei dem zum Glück eine Menge Endorphine ausgeschüttet wurden. Für Dani war es mit den zusätzlichen Kilos bei einer Bergetappe auch nicht so leicht, aber trotzdem kam er damit etwas besser klar als ich. Während ich anfangs meist Schlangenlinien fuhr, dann schließlich abstieg und schieben musste, saß Dani weiterhin bis zum bitteren Ende im Sattel. Mit meinen gerade mal 1,60 m musste ich mich oft so darauf konzentrieren, mein Schlachtschiff die vielen Höhenmeter hinaufzubringen, dass ich gar nicht mehr über die Steigung schimpfen konnte. Besser gesagt, keinen einzigen Ton mehr herausbringen konnte.

Gerade am Anfang der Reise konnte ich noch nicht einmal die Hand vom Lenker nehmen, sonst verlor ich jegliche Kontrolle über das monströse Gefährt unter meinem Hintern. Aber tatsächlich war die Anstrengung, ja auch der Schmerz der überanstrengten Muskeln dann meist wie weggeblasen, wenn man hinter sich blickt und vom Gipfel aus realisiert, was da der eigene Körper eigentlich gerade geschafft hat. Mit einer wundervollen Aussicht ist man der glücklichste Mensch auf Erden und isst dann sein trockenes Brot und Tomaten mit einer Hingabe und Freude, als wäre es ein 5-Sterne Menü. So war das zumindest meistens bei uns der Fall.

 

Aber zurück zu unseren weiteren Vorbereitungen im Schwarzwald. Drei Monate nach unserem Start hatten wir mit unseren Fahrrädern schon Deutschland, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und einen kleinen Teil Frankreichs durchquert. Von Straßburg aus war es nur ein Katzensprung in den Schwarzwald, wo ein Teil von Danis Familie lebt. Dort optimierten wir nun zum ersten Mal unsere Ausrüstung und sortierten einiges an Gepäck aus, was wir nicht brauchten. So standen wir nun in der Garage seines Papas und waren bereit für die nächste große Etappe unserer Weltreise.

 

Schon in den Niederlanden lachten die Leute über unsere Antwort, wenn sie uns fragten, wohin wir denn um Himmels willen mit unserem kompletten Hausstand auf dem Rad unterwegs seien.

„Nach Japan“ antworteten wir einfach nur und lachten.

„Leute, ihr wisst schon, dass ihr in die falsche Richtung fahrt, oder?!“ bekamen wir nicht nur einmal zu hören. Klar, wenn wir nur ein Jahr Zeit eingeplant hätten oder besonders schnell dort ankommen wollten, hätten wir vielleicht den direkten Google-Maps-Weg nehmen können. Aber das wollten wir ja gar nicht.

Wir waren weder auf der Flucht, noch scharf drauf, auf stinkenden Highways einen neuen Kilometer­Rekord pro Tag zu knacken. Wir ließen es langsam angehen, machten gerne Pause, wo es uns gefiel und sowieso traf man auf kleinen Straßen und Wegen viel interessantere Leute. Deswegen sah unsere Route erstmal einen kleinen Umweg über Westeuropa vor.

Da wir uns bewusst für die langsame Variante entschieden haben, wollten wir auch so unabhängig wie möglich reisen. Kostengünstig und simpel eben.

In unserem Gepäck befindet sich also alles, was wir für ein jahrelanges Leben im Zelt als Selbstversorger so brauchen. Von Werkzeug und Ersatzteilen über Reiseapotheke, Kleidung bis minus 20°C, komplettes Campingequipment mit Kochausrüstung für zwei Personen bis zu sämtlicher Elektronik für Film und Videoschnitt. Weil wir um die fünf Jahre unterwegs sein wollen, können wir uns tägliche Restaurantbesuche oder Übernachtungen in Hotels natürlich nicht leisten.

 

Marokko stand nur auf dem Plan, weil ich eine besondere Beziehung zu diesem Land habe. Ich bin eine Viertel-Marokkanerin. Hätte man ja gleich drauf kommen können, ist doch offensichtlich, oder? Nichts lag entfernter, als bei einem kleinen Mädel mit blonden langen, lockigen Haaren, blauen Augen und ganz vielen Sommersprossen daran zu denken, dass es in der Familie einen arabischen Einschlag gäbe… Aber die Welt ist bekanntlich klein.

Mein Opa war früher bei der Marine und lernte bei einer seiner Seefahrten meine Oma in Marokko kennen. Sie arbeitete damals in einem Café in Casablanca, wo mein Opa unzählige Stunden damit zubrachte, Café zu trinken, um seine Herzensdame auf sich aufmerksam zu machen.

Erst nach vier Monaten hatte sie zum ersten Mal ernsthaft Notiz von ihm genommen. Dann dauerte es ganze sieben Monate, bis er ihr Herz gewann. Die Treffen waren eher heimlich. Wenn sie zusammen waren, ging meine Oma auf der einen Straßenseite, mein Opa auf der anderen Seite. So wie es eben in Marokko 1967 noch war. Dann zog meine Oma mit nach Bayern und jedes Jahr wurde die Familie in Marokko besucht.

Es gab da die Blumen und Bienen, meine Mama und mein Onkel erblickten das Licht der Welt, dann gab’s nochmal Bienen und Blumen und irgendwann war dann auch die kleine Melli da. Als Halbmarokkanerin hat meine Mama noch diesen schönen exotischen, dunklen Teint. Das Einzige, was ich mit ihr gemeinsam habe, ist die Form meiner Nase, die Zähne und das ansteckende Lachen. Manche Leute gingen so weit, dass sie sagen, sie konnten am Telefon nicht mehr unterscheiden, wer jetzt eigentlich dran war, weil die Stimmen so ähnlich klingen.

 

Meine Oma war eine waschechte Marokkanerin. Das laute Lachen haben meine Mama und ich aller Wahrscheinlichkeit nach von ihr. Ihre krausen schwarzen Locken schienen nie grau zu werden. Das Wundermittel dagegen hieß Henna, mit dem sie sich immer mal wieder die Haare färbte. Dank Satellitenschüssel gab es bei der Oma im bayerischen Dorf auch marokkanische Fernsehsender, damit sie von Deutschland aus über ihre Heimat auf dem Laufenden gehalten wurde. Jeder im Dorf kannte sie. Sie war schon ein bunter Hund.

 

2009 ist meine Oma dann leider plötzlich während ihres Heimaturlaubs in Casablanca gestorben. Das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen, denn ich hatte ganz kurz vorher noch mit ihr telefoniert. Ich war damals mitten in der Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten und es war zu dieser Zeit Hochkonjunktur in der Praxis. Sie wollte, dass ich meinen damaligen Chef fragte, ob ich nicht spontan Urlaub bekäme und mit ihr Zeit in Casablanca verbringen könnte.

Wegen ziemlich unwichtiger Gründe bin ich dann nicht nach Marokko geflogen und habe mir deshalb zehn Jahre lang Vorwürfe gemacht. So hätte ich mich wenigstens von ihr verabschieden können. Zehn Jahre, in denen ich es auch nicht übers Herz brachte, nach Casablanca zu reisen, zu ihrem Grab und irgendwie auch zu meinen eigenen Wurzeln. Ich wusste, wenn ich schon eine Weltreise mit dem Rad machte, dann musste ich auch irgendwie Marokko mit einbinden.

 

Dani und ich hatten uns eigentlich vorgenommen über Frankreich und Spanien zu radeln. Von Spanien wollten wir die Fähre nehmen und nach Nordafrika übersetzen. Den ersten Wechsel der Jahres­zeiten auf dem Rad und im Zelt hatten wir die letzten Monate natürlich hautnah miterlebt. Die Blätter der Bäume änderten ihre Farben von Grün zu Orange und fielen schließlich ganz ab. Von Tag zu Tag wurde es kälter, Wind und Regen wurden eisig. Irgendwann klapperten meine Zähne beim Abspülen unserer Campingteller und das Wasser auf den Händen ließ mein Hirn einfrieren. Das Zähneputzen mit Eiswasser wurde zur Qual. Deswegen beschlossen wir, vom Schwarzwald aus einen Flieger zu nehmen, um dem drohenden Schnee aus dem Weg zu gehen. Der ursprüngliche Plan war, die Reise möglichst ohne Flüge zu bewältigen, in diesem Fall wollten wir allerdings eine kleine Ausnahme machen. Das Timing war mehr als perfekt, denn ansonsten würden wir erst in der Sommerhitze auf dem Landweg in Marokko ankommen. Nachdem wir einmal rundherum durch Marokko geradelt wären, würden wir sowieso wieder über Spaniens Ostküste und Frankreich zurück Richtung Deutschland kommen. So zumindest der Plan.

 

Danis grüne Augen schienen zu leuchten und er grinste mich spitzbübisch an. Unser gesamtes Equipment hatte er in gut vier Stunden wie bei Tetris erfolgreich in zwei große extra Kartons verstaut. Die für den Flug erlaubten Gepäckabmessungen und Kilos schöpfte er so restlos aus. Die Schlafsäcke passten zwar nirgends mehr rein, aber dafür hatte er schon eine andere Lösung.

Die Vorderräder wurden abmontiert und zusammen mit den Rädern in ausrangierte Radkartons verstaut. Die hatte Dani vorher noch bei einem Fahrradladen ergattert.

Ich bin ziemlich froh, dass Dani einen so großen Spaß am Tüfteln und Reparieren hat, denn im Gegensatz zu mir kann er die Räder komplett zerlegen und weiß nachher genau, wohin welche Schraube gehört. Egal wie verzwickt das Problem ist, irgendwie schafft er es doch immer einen Weg zu finden, auch wenn er nicht immer dem klassischen Lösungsansatz folgt und oft auf kreativere Maßnahmen zurückgreift.

 

Es ging los Richtung Flughafen. Ein eisiger Wind ging und wir zogen all unsere Pullover und Jacken an, die wir für die Weltreise dabei hatten. Super praktisch, denn damit war unser Gepäck leichter und wir sparten Platz in den Kartons. Unter der bunten Mütze, die ihm bis über die Ohren ging, schauten Danis kinnlange, braune Haare heraus. Innerhalb der letzten drei Monate waren sie rasant schnell gewachsen. Durch seinen Bart zogen sich braune und kupferfarbige, drahtige Haare. Manchmal nannte ich ihn wegen seiner Haarpracht liebevoll „Wurzelsepp“. Zumindest frieren würde er im Gesicht somit nicht.

Ich zog den Reißverschluss meines kuscheligen weißen Kapuzenpullis zu und warf mir meine Wanderjacke über. Um die Ohren warm zu halten, trug ich ein weiß und schwarz bedrucktes, stirnbandähnliches Tuch. Um den Hals schlang ich mir meinen aktuellen Lieblingsschal, den mir Danis Mama geschenkt hatte. Wenn wir in den konservativeren Gegenden Marokkos waren, konnte ich den Schal als Kopftuch verwenden. Ansonsten waren meine Kleidungs­stücke eher sportlich und praktisch – also nichts, was als besonders körperbetont oder aufreizend in einem muslimischen Land aufgefasst werden konnte. Während der Wintermonate würde ich dort ohnehin nicht in kurzer Kleidung unterwegs sein.

 

Am Flughafen angekommen, verabschiedeten wir uns von Danis Papa, der uns gefahren hatte. Anfangs hielt er die Idee, dass wir zwei mit dem Rad um die Welt ziehen wollten, für einen Scherz. Als dann klar wurde, dass wir es wirklich durchziehen wollten, war er Feuer und Flamme. Er kaufte sich eine große Weltkarte und verfolgt seitdem unsere Route mit kleinen Stecknadeln.

Am Gepäckschalter angekommen wickelte sich Dani seinen Schlafsack um den Bauch und zog die Winterjacke drüber. Verzweifelt stopfte er den an allen Seiten hervorquellenden grünen Sack wieder in die Jacke zurück, bis alles an Ort und Stelle war.

Ich musste lachen: „Du siehst aus, wie ein Michelin-Männchen!“

Sein Blick war todernst: „Entweder so, oder der Schlafsack muss hier bleiben.“

Das war wirklich die einzige Möglichkeit, unsere Schlafsäcke mitzunehmen. Nirgendwo sonst hatten sie Platz. Mir blieb nichts anderes übrig, als es ihm nachzumachen und ich malte mir schon die Szene aus, die gleich entstehen würde. Zwei junge Leute mit einem Fahrradhelm auf dem Kopf, einer großen und einer kleinen Radtasche in jeder Hand und der Gipfel, einen äußerst voluminösen grünen Daunenschlafsack um die Körpermitte geschlungen.

 

Die adrette Dame hinter dem Schalter runzelte die Stirn und sah leicht an uns vorbei auf die lange Schlange wartender Fluggäste.

„Na so lassen die euch sicherlich nicht ins Flugzeug rein.“

Trotzdem ließ sie uns ohne Änderung unserer wunderlichen Erscheinung mit Sack und Pack Richtung Röntgengerät ziehen. Fasziniert betrachteten wir den Inhalt unserer Taschen auf dem Bildschirm. Prompt meldete sich der Sicherheitsbeamte zu Wort.

„Was habt ihr da drinnen? Das sieht verdächtig nach Materialien für Sprengstoff aus.“

Recht schnell konnten wir dem guten Mann erklären, dass wir vorhatten, den verdächtig aussehenden Reis zu essen und die gefährlich wirkenden Expander für die Befestigung unserer Gepäckrollen am Rad brauchten. Von da an war alles ziemlich unkompliziert und auch beim Boarding gab es keinen Einspruch gegenüber unserer eigenwilligen Aufmachung.

 

Nach knapp drei Stunden Flug hatten wir den neuen Kontinent erreicht. Ich sah aus dem Fenster. Unter mir breitete sich eine majestätische Landschaft mit Bergen aus zig unterschiedlichen Facetten von Rostrot aus. Meine Finger kribbelten und die Mundwinkel waren von einem Dauergrinsen leicht angespannt.

Das letzte Mal war ich als Teenager in Marokko und das auch nur in der Gegend von Casablanca und in Agadir. Aber wenn wir mal ehrlich sind, in diesem Alter hatte ich ganz andere Dinge im Kopf, als mich näher mit dem Land und den Leuten zu beschäftigen.

Nun stand ich kurz vor meinem dreißigsten Ge­­burtstag und die Interessen hatten sich dahingehend natürlich grundlegend geändert. Ich war schon gespannt, ob mich meine marokkanischen Verwandten dort wieder erkennen würden und wollte natürlich endlich das Grab von meiner Oma besuchen.

Für Dani war es hingegen die erste Reise nach Marokko. Er hatte sich vorher rein gar nichts unter diesem Land vorstellen können. Mit einem scannenden Wildcamping-Blick schaute er aus dem Fenster: „Karges Brachland und keine schattenspendenden Bäume, das kann ja lustig werden beim Zelten“.

 

Gegen 17 Uhr landeten wir und holten unser Gepäck ab. In der großen Eingangshalle suchten wir uns eine ruhige Ecke und öffneten ein Paket nach dem anderen. Alles war noch da und nichts beschädigt. Das war schon einmal gut.

Seelenruhig schnappte sich Dani sein Werkzeug und machte sich an die Aufgabe, die Räder wieder zusammen zu schrauben. Dabei wurden wir von vielen Augenpaaren um uns herum beobachtet. Jugendliche in Sportkleidung, Frauen mit Kopftuch, Männer in Anzügen, aber auch Leute in traditionelle lange Gewänder gehüllt, die man Djellaba nennt, beobachteten neugierig unser Treiben. Es wurde schon langsam dunkel, als wir endlich den Flughafen verließen.

Fes wird im Reiseführer als eine der vier Königsstädte und die Kulturhauptstadt schlechthin bezeichnet. Von Prunk und orientalisch verzierten Häusern, wie aus Tausendundeine Nacht, merkten wir bis jetzt noch nicht viel.

 

Mit meinen Gedanken war ich schon bei unserer ersten Nacht in Marokko. Über die Plattform Couchsurfing hatten wir zuvor einen jungen Marokkaner kennengelernt, der uns zu sich nach Hause einlud. Couchsurfing ist ein Netzwerk, bei dem Reisende (zu unserer Reisezeit noch umsonst) bei einem Gastgeber, meist auf einer Couch, übernachten konnten. Im Vordergrund steht nicht die kostenlose Unterkunft, sondern der kulturelle Austausch, also dass Gastgeber und Gast voneinander lernen, etwas erfahren über die unterschiedlichen Traditionen und den Ort, an dem man gerade ist.

Fes, eine der 4 Königshauptstädte Marokkos

 

Wir kannten den Namen der Person und die Adresse der Wohnung. Unser Gastgeber wusste auch schon, dass wir bald da sein würden – allerdings hatte Google Maps Probleme, die genaue Adresse ausfindig zu machen. Wir kamen seinem Viertel immer näher, konnten ihn aber seit der Landung nicht mehr über sein Handy erreichen. Die Sache begann irgendwie komisch zu werden.

Dani gab nicht auf und während wir an den vielen Cafés vorbei radelten, kam ihm eine Idee.

Wir hielten an: „Gib mir mal ’nen Stift und ein Blatt aus deinem Notizbuch.“

Mit der Adresse auf einem Stück Papier steuerte Dani direkt in das nächste Café, das hier der soziale Treffpunkt aller männlichen Einwohner zu sein schien. Die Chancen standen einigermaßen gut, um einen Glückstreffer zu landen.

Er fragte die Männer auf Englisch, ob jemand uns sagen könne, wo diese Adresse sei. Es kamen immer mehr Marokkaner dazu und einer von ihnen fragte nach einem Foto der gesuchten Person. Zum Glück hatte der Gesuchte auf seinem Couchsurfing Profil auch ein Bild von sich, welches sich die Männer nun ansahen. Wir waren ja immerhin schon einmal in der Nähe dieser Adresse, so abwegig konnte es also nicht sein, dass wir rein zufällig auf jemanden trafen, der uns weiterhelfen konnte.

 

Tatsächlich. Ein junger Mann meldete sich zu Wort:

„Follow me. I know his friends.“ Wir sollen ihm folgen, er kenne seine Freunde.

Echt jetzt? War das wirklich so einfach? Wir wechselten einen unsicheren Blick: Ob wir ihm wohl trauen konnten? Die Alternative war wieder kilometerweit aus der Stadt hinauszuradeln und uns einen versteckten Platz für unser Zelt zu suchen. Also gaben wir dem Ganzen eine Chance.

Drei Sekunden später saßen wir wieder im Sattel, vor uns ein Rollerfahrer mit dem jungen Marokkaner auf dem Rücksitz. So radelten wir etwa fünf Minuten zwei total Fremden durch das nächtliche Fes in einer Wohngegend außerhalb vom Zentrum hinterher. Immer weiter, durch dunkle Gassen und um viele Ecken. Eigentlich mussten all unsere inneren Alarmglocken schrillen, aber wir hatten in dem Gesicht des Marokkaners etwas gesehen, das wir als Ehrlichkeit und echte Hilfsbereitschaft einstuften. So folgten wir dem Fahrer immer weiter.

 

Das nächste Café kam in Sicht und wir hielten an. Unser Mann verschwand und kam kurze Zeit später wieder mit einem anderen Marokkaner heraus, der wohl unseren Gastgeber kannte. Es wurde telefoniert. Wir bekamen die ersten Infos.

Anscheinend verspätete sich unser Gastgeber, aber er sei gegen 22 Uhr zu Hause. Wir waren erleichtert, alles war geklärt und jetzt würden wir doch noch zur Wohnung finden. Unsere Helfer schwangen sich wieder auf den Roller, wir in die Sättel und nach ein paar weiteren Minuten standen wir auch schon vor dem Haus. Es war ziemlich groß. Wie viele Menschen wohl darin lebten?

Wir verabschiedeten uns von den hilfsbereiten jungen Männern und sie fuhren wieder in die Nacht hinaus. Dann waren wir allein.

In einer halben Stunde sollte unser Gastgeber aufkreuzen. Die Zeit konnten wir locker warten und darüber sinnieren, wie unglaublich dieser Zufall doch war: Wir haben einfach wildfremde Menschen nach einer Adresse und einer bestimmten Person gefragt. Dann stellte sich heraus, dass der eine da jemanden kannte, der einen kannte, der wusste, wer die Person war und wiederrum jemanden kannte, der wusste, wie man sie erreichte und wo der Mann wohnte… Einfach nur verrückt.

 

Es war 22 Uhr. Keiner kam. Es war 22:30 Uhr. Immer noch keiner da.

Wir griffen wieder zum Telefon und versuchten unser Glück immer und immer wieder. Das war jetzt doch wieder etwas seltsam. Weitere 15 Minuten später hob unser Gastgeber dann doch ganz unvermittelt ab:

„Hey I’m sorry. I can’t come home. I’m at the police station. They locked my phone away“.

Was war denn jetzt los? Unser Gastgeber wurde auf der Wache festgehalten und hatte wohl die ganze Zeit keinen Zugriff auf sein Telefon.

Später erzählte er uns, dass er kurze Zeit vor uns einen Italiener beherbergt hatte. Die Polizei traf die beiden in einem Café, wo unser Gastgeber als fake guide bezichtigt wurde. Diese falschen Führer zocken oft mit einer üblen Masche Touristen ab und erleichtern sie um ihr Geld. Leider werden dadurch sehr viele junge Marokkaner verdächtigt, sobald sie zusammen mit einem Touristen in der Öffentlichkeit gesehen werden.

Unglücklicherweise konnte die Situation nicht mehr richtig klargestellt werden und unser Gastgeber wurde kurzerhand verhaftet. Er tat uns richtig leid. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir selbst bald im Fokus der Polizei stehen würden.

 

Blöd, unsere sichere Schlafgelegenheit inmitten einer Großstadt war dann mal erledigt. Es war bereits kurz vor 23 Uhr, was sollten wir jetzt machen?!

Neben besagtem Haus gab es eine breite Lücke zum nächsten Haus. Allerdings war der Boden übersät mit Hundekot, extrem viel Müll und Ziegelbruchstücken. Da konnten wir schlecht unser Zelt aufstellen.

Zu Beginn der Reise hatte ich noch mehr Hemmungen unser Zelt irgendwo aufzubauen, wo uns vielleicht jemand entdecken könnte. Wir wägten immer ab, wie sicher die Umgebung war und wo genau wir uns befanden. Nun waren wir aber einfach nur noch müde und wollten keinen Kilometer mehr mitten in der Nacht Fahrrad fahren.

Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Mann mit einer recht schicken Lederjacke neben uns auf. Seine Augen weiteten sich bei unserem Anblick, oder eher dem Anblick unserer bis oben hin bepackten Räder. Er lachte und schüttelte immer wieder nur den Kopf, dass wir tatsächlich vorhatten, Marokko mit dem Rad zu bereisen. Das sei doch total verrückt.

„You really want to cycle through Morocco? You are crazy!“

Wir verkniffen es uns zu sagen, dass wir mehrere Jahre auf Weltreise sein wollten und nach Marokko noch mehr als 50 andere Länder auf uns warteten. Stattdessen fragten wir ihn, wie er die Lage so einschätzte. Ob wir denn hier in der Stadt einfach unser Zelt aufschlagen könnten.

Waren wir vorhin für ihn noch verrückt, so wechselte dieser Status zu lebensmüde.

„It is too dangerous for you. Try to find a hotel.“ Das ist zu gefährlich, wir sollen uns ein Hotel suchen.

Das war jetzt ehrlich gesagt nicht das, was wir gerade hören wollten. Um mit unserem Ersparten weit zu kommen, hatten wir uns ein knappes Budget für 3 bis 5 Euro pro Tag ausgerechnet. Darin sind aber die gesamten Kosten enthalten, wie zum Beispiel die Auslandskrankenversicherung, Lebensmittel, SIM-Karten und was man alles so braucht. Übernachtungen in Hotels würden da ein großes Loch in die Reisekasse reißen. Wir waren bisher durch Europa ohne einen einzigen Hotelaufenthalt oder andere Übernachtungskosten ausgekommen. Mussten wir das jetzt hier in Marokko ändern?

 

Der Marokkaner mit der Lederjacke ging mit uns ein kleines Stück. Ein Mann in einer schmutzigen Warnweste trat uns in den Weg. Unser Begleiter erklärte uns, dass dies der Straßenwächter sei, der nachts die Straße um die Wohnblocks im Auge behielt.

Das ist doch eigentlich auch nicht schlecht, dachten wir uns. Der Wächter sprach zwar kein Englisch, aber der Mann mit der Lederjacke übersetzte für uns. Ganz wohl war den beiden wohl nicht, aber sie zeigten uns einen Flecken auf dem Gehsteig, wo wir ein paar Stunden Schlaf finden konnten. Der Nachtwächter machte sich anscheinend ziemlich große Sorgen, dass unsere schweren Bügelschlösser für die Räder nicht ausreichten. Dann verschwand er kurz in einer kleinen, schäbigen Hütte, die so groß wie zwei Telefonzellen war und kam mit einer dicken Eisenkette wieder.