Versöhnung und Groll - Einar Kárason - E-Book
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Versöhnung und Groll E-Book

Einar Kárason

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Beschreibung

Eine der kriegerischsten Zeiten Islands

Island, Mitte des 13. Jahrhunderts, in einer der kriegerischsten Zeiten, die das Land je erlebt hat: Der heimtückische Mord an Snorri Sturlusson, dem berühmten Politiker und Dichter, Autor der Edda und der Egils-Saga, hat bürgerkriegsähnliche Zustände entfacht. Brutale Gewalt und zerstörerische Machtkämpfe bestimmen das Bild, zwei verfeindete Familienclans stehen sich unversöhnlich gegenüber. Island ist nunmehr gespalten, wird von der norwegischen Krone regiert. Da reicht einer der vormaligen Kriegstreiber, Gissur Thorvaldsson, dem Clan der Sturlungen die Hand zum Frieden. Eine Heirat zwischen den beiden Parteien soll den Pakt besiegeln, soll dem Land die Einheit geben und der Bevölkerung bessere Lebensbedingungen verschaffen. Aber nicht alle, die zur Hochzeit kommen, sind einverstanden mit diesem Plan ...

Ausgezeichnet mit dem Isländischen Literaturpreis.

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Seitenzahl: 219

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Einar Kárason

Versöhnung und Groll

Roman

Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die isländische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Ofsi« bei Mál og menning, Reykjavik.

Copyright © 2008 by Einar Kárason Copyright © der deutschen Ausgabe 2011 beim btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Alle Rechte vorbehalten ISBN978-3-641-05501-1 V002

www.btb-verlag.de

 

Meinen vier Töchtern gewidmet

EYJÓLFUR

Im ersten Jahr, in dem ich sozusagen Winterschlaf hielt, was später noch oft genug passieren sollte, dachte ich viel darüber nach, in welche Lage das Schicksal mich gebracht hatte. Ich gestand mir ein, dass ich niemals als wichtiger Anführer in den Kämpfen gelten würde, die hierzulande tobten, so oft ich auch davon träumte. Und dass die Familie der Sturlungen mich nie für voll nehmen würde, obwohl ich inzwischen einer von ihnen war. Ich war eben nicht in die Familie hineingeboren, noch nicht einmal entfernt mit ihnen verwandt, ich war da hineingeraten, weil ich nun mal meine Frau geheiratet hatte. Vielleicht war das von Anfang an lächerlich und absurd gewesen. Ich wuchs im Vatnsdalur auf, wo die meisten Leute sich gegen die Sturlungen verbündet hatten. Mein Vater hatte sogar Seite an Seite mit Gissur Þorvaldsson in der großen Schlacht von Örlygsstaðir gegen sie gekämpft – wer hätte da gedacht, dass ausgerechnet ich später die Tochter des Sturlungen-Oberhaupts Sturla Sighvatsson heiraten würde, der in dieser Schlacht zusammen mit seinem Vater und einigen seiner Brüder ums Leben kam?

Und den Bruder dieses gefallenen Oberhaupts, Þórður Kakali, sah ich bezeichnenderweise zum ersten Mal, als er mit einer Gruppe kampferprobter Männer auf einem Rachefeldzug in mein Heimattal ritt, um den Bruder meines Vaters zu erschlagen, ein Jahr vor der Seeschlacht in der Húnaflói-Bucht. Zu dieser Zeit hatten die Leute vor diesem blutrünstigen Sturlungen-Pack nicht weniger Angst als vor lebenslänglicher Verbannung. Die Sturlungen waren gefürchtet wie die Hölle und der Teufel.

Als Þórður Kakali sich einige Jahre später durchgesetzt und in ganz Nordisland das Sagen hatte, machten wir allerdings die Erfahrung, dass er eigentlich ein recht feiner Kerl war. Er war immer freundlich zu mir, hielt seine schützende Hand über mich und behandelte meinen Bruder Ásgrímur und mich mit Respekt. Das war alles andere als selbstverständlich. Im Laufe der Zeit konnte man sogar sagen, dass dieser großartige Mann so etwas wie unser Freund wurde. Es gab zwar jede Menge Gerede darüber, dass er nur nett zu uns war, weil er an unsere Schwester Kolfinna herankommen wollte, auf die es das halbe Land abgesehen hatte – doch auch wenn Þórður Kakali mit ihr später eine Tochter bekam, gebe ich auf solche Gerüchte nichts. Schließlich wissen alle, dass er es eingefädelt hatte, dass ich seine Nichte Þuríður Sturludóttir heiraten konnte, meine hochwohlgeborene, willensstarke Frau, von der man sagt, sie könne so rau und auch so grausam sein wie das Meer. Im Laufe der Zeit lernte Þórður Kakali mich ebenso zu schätzen wie seine Blutsverwandten aus der Familie der Sturlungen, und als er dann zum König nach Norwegen musste, erwies er mir den Freundschaftsdienst, mich zu seinem Stellvertreter hier im Skagafjörður zu ernennen.

Bald nachdem er fort war, wurde mir allerdings klar, dass die Sturlungen mich nie für voll nehmen würden. Wenn ihr derzeitiges Oberhaupt, der Skalde Sturla Þórðarson, sich mit den anderen Anführern zu Beratungen traf, holten sie mich nie dazu. Ich war wie ein Kuhfladen auf ihrem Weg. Wenn es mir gut ging, nahm ich mir immer wieder vor, mich nicht darum zu kümmern – sollten sie doch alleine ihre unausgegorenen, verhängnisvollen Pläne schmieden. Als ich jedoch später erfuhr, dass Hrafn Oddson immer bei diesen Beratungen dabei war, muss ich zugeben, dass ich nicht anders konnte, als mich ins Bett zu legen und mir die Decke über den Kopf zu ziehen. Fast hätte ich laut losgeheult. Hrafn Oddson war genauso wenig ein Blutsverwandter der Sturlungen wie ich! Eigentlich sollten wir gleichgestellt sein, schließlich hatten wir beide in die Familie eingeheiratet und dann auch noch beide Töchter des gefallenen Sturla Sighvatsson – die hatten sogar denselben Vornamen!

Doch trotzdem hielten sie Hrafn für wichtig genug, ihn dazuzuholen, egal, ob es um die Frage ging, wie man Gissur Þorvaldsson endlich um einen Kopf kürzer machen könnte, oder darum, welche Sorgen uns Þorgils Skarði bereiten könnte, bei all diesen Beratungen durften nur die blutsverwandten Sturlungen dabei sein – und Hrafn Oddson.

Und wer fragte mich? Keiner.

Als ich mich endlich aufraffte, mit meiner Frau darüber zu sprechen, tat ich so, als wäre ich froh, dass mich niemand bei diesen Beratungen dabeihaben wollte. Dann wäre ich auch nicht verpflichtet, mich an jedem Himmelfahrtskommando zu beteiligen, das sie ausheckten. Und ich wäre auch nicht für die Niederlagen verantwortlich, die daraus erwachsen konnten.

Natürlich war das demütigend und peinlich. Schließlich sollte ich doch eine Art Anführer hier im Skagafjörður sein, der Stellvertreter eines mächtigen Mannes, der außer Landes war und wohl auch nicht so bald zurückkommen würde. Meine Nachbarn, die mir eigentlich zu gehorchen hatten, merkten das schnell. Wenn ich sie zufällig traf oder hinzukam, wenn sie sich berieten, merkte ich genau, dass sie sich unsicher waren, ob sie mir überhaupt zuhören sollten. Sie mussten sich nur ansehen, da spürte ich sofort, dass sie dachten: Was bläst dieser Kerl aus dem Vatnsdalur sich eigentlich so auf? Aus eigenem Antrieb kamen sie ohnehin nie zu mir, um mich um Rat oder um meine Meinung zu fragen; keiner der anderen wichtigen Bauern wandte sich an mich, wenn es darum ging, einen Streit zu schlichten. Wegen dieser andauernden Demütigungen konnte ich kaum noch schlafen, und es ging mir immer schlechter. Es machte mich rasend vor Zorn, wie dieser Sturlungen-Clan mich missachtete, wie sie auf mich herabsahen und mir dadurch diese ganzen Sorgen einbrockten. Hinzu kam, dass ich mit keiner Menschenseele darüber reden konnte, außer vielleicht mit meinem Bruder Ásgrímur, denn meine liebe Frau Þuríður geriet sofort ins Schwärmen, sobald man ihre Familie auch nur am Rande erwähnte, da konnte ich mir ja denken, was es für ein Geschimpfe geben würde, wenn ich anfinge, mich zu beschweren. Also war es das Beste, den Mund zu halten und zu hoffen, dass die Sache sich irgendwie von allein lösen würde, bevor etwas Schlimmes passierte.

Und wenn ich gegenüber meiner Frau Þuríður doch einmal die eine oder andere Bemerkung fallen ließ, schwieg sie nur voller Verachtung und zeigte mir die kalte Schulter. Kälte – von der gibt es immer genug auf dieser Welt.

GISSUR

Der Gedanke, dass es am besten wäre, mit der Vergangenheit abzuschließen, mich mit meinen Feinden zu versöhnen und einen neuen Anfang zu wagen, war mir zum ersten Mal gekommen, als ich mit Þórður Kakali in Trondheim bei König Håkon zusammentraf. Wir bekamen die Gelegenheit, ihm die Ereignisse der letzten Jahre zu schildern, jeder aus seiner persönlichen Sicht. Das war Anfang des Jahres 1247, wenige Jahre nach der Seeschlacht in der Húnaflói-Bucht, bei der Þórður Kakali meinen wichtigsten Verbündeten, Kolbeinn den Jungen, besiegt hatte. König Håkon wollte offensichtlich herausfinden, wer die Interessen der norwegischen Krone auf Island zukünftig am geschicktesten vertreten konnte, Þórður Kakali oder ich. Dementsprechend gut hatten Þórður und ich uns auf diese Zusammenkunft vorbereitet und trafen nun aufeinander, als wir den Saal betraten, in dem König Håkon mit seinem Gefolge saß. Þórður redete mit irgendwelchen Männern und lachte, als er hineinging, und weil er so gut gelaunt zu sein schien, beschloss ich, ihn freundlich zu begrüßen, streckte die Hand aus und sagte: »Grüß dich, Þórður.«

Da gefror das Lächeln auf seinem Gesicht. Seine Hand streckte er zwar noch aus, doch sein Händedruck war kurz und kühl, was mich an eine Geschichte denken ließ, die ich früher in demselben Winter gehört hatte: König Håkon hatte Þórður angeblich gefragt, ob er auch dann in den Himmel kommen wollte, wenn ich bereits dort untergekommen wäre, und Þórður antwortete, das käme nur in Frage, wenn sehr viel Platz zwischen uns bleiben würde. Diese Sturlungen sind echt nachtragend.

Keine Ahnung, ob diese Geschichte stimmt. Das spielt eigentlich auch keine Rolle – es wurde so viel über meine Beziehung zu den Sturlungen geredet, dass es jeden Mann wahnsinnig machen würde, wenn er herausfinden wollte, was stimmte und was gelogen war.

König Håkon allerdings wollte der Sache auf den Grund gehen und bat Þórður, zuerst das Wort zu ergreifen.

Als Þórður nach vorne trat und ein großes Schriftstück herausnahm, muss ich zugeben, dass ich einen Schreck bekam. Da hatte er also wirklich eine geschriebene Rede vorbereitet – nicht mehr und nicht weniger, eine richtige aufgewickelte Schriftrolle, breit und, wie mir schien, ziemlich lang. Er begann. Es war ein beeindruckender Vortrag, das muss man ihm lassen, aber von den Sturlungen war man es ja auch nicht anders gewohnt. Ich war mir sicher, dass er diese Rede nicht selber geschrieben hatte, dazu gab es in seiner engsten Verwandtschaft zu viele gute Skalden, wie zum Beispiel Sturla Þórðarson, die für ihn schreiben würden, ohne dass ich davon etwas erfahren hätte. Þórður Kakali zählte jeden einzelnen seiner Männer auf, den ich auf dem Gewissen hatte. Er verschwieg nichts. Ich hatte seinen Vater erschlagen. Ich hatte seine Brüder erschlagen, vier oder fünf, je nachdem, was man als Bruder durchgehen ließ. Er beschrieb meine Gräueltaten so kraftvoll, dass es selbst mir kalt den Rücken herunterlief, alles mit anzuhören. Besonders ausführlich beschrieb er, wie ich bei der großen Schlacht von Örlygsstaðir seinen Bruder Sturla schwer verletzt in seinem eigenen Blut liegen sah, sofort dem nächstbesten Krieger die Axt aus der Hand riss und ausrief, mich um diese Sache persönlich kümmern zu wollen. Dann muss ich wohl die Axt mit beiden Händen und einer solchen Wucht in den Schädel des im Sterben liegenden Sturlungen-Oberhaupts geschlagen haben, dass es mich, als die Axt hinabsauste, hoch in die Luft warf. Zwischen meinen Füßen und der Erde habe man den Himmel sehen können, hatte er gesagt.

Die kriegerischen Norweger sind vieles gewöhnt, trotzdem merkte ich, wie einige der Zuhörer das Gesicht verzogen.

In diesem Stil ging es weiter. Ich bestahl die Lebenden und die Toten und zündete den Witwen meiner Feinde dann noch das Dach über dem Kopf an; ich hatte angeblich alle Eide und Verträge auf die niederträchtigste Weise gebrochen, zum Beispiel, als ich »den Skalden Sturla Þórðarson und seine Leute mit frommen Friedensworten im Borgarfjörður über den Fluss Hvítá lockte, nur um ihn dort festzusetzen und ihm mit Todesdrohungen einen Waffenstillstand zu den ungünstigsten Bedingungen aufzuzwingen«. So hatte er es, glaube ich, ausgedrückt. Und da er gerade dabei war, zählte er auch noch alle anderen Sturlungen auf, die ich getötet hatte oder töten ließ, bis hin zu dem Stolz der Familie, dem berühmten Skaldendichter und Staatsmann Snorri Sturluson, meinem ehemaligen Schwiegervater, doch als Þórður davon anfing, winkte König Håkon ab:

»Was mit dem alten Snorri passiert ist, ist meine Schuld«, sagte er, allerdings nicht, ohne mir einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen – ich wusste genau, wie übel der König es mir immer noch nahm, dass ich mich damals nicht damit begnügt hatte, Snorri aus Island fortzuschaffen und zu ihm zu bringen.

Als ich endlich an die Reihe kam, um mich gegen diese Vorwürfe zu wehren und unsere Opfer aufzuzählen, war mir klar, vor welcher Herausforderung ich stand. Ich hatte nichts Schriftliches, auf das ich mich stützen konnte, und musste doch mein Bestes geben, um die Ereignisse so glaubwürdig wie möglich aus meiner Sicht zu schildern. Denn auch diese Medaille hatte zwei Seiten. Zugegeben, ich hatte Sturla, seinen Vater Sighvatur und all die anderen erschlagen. Zu meiner Rechtfertigung konnte ich jedoch anführen, dass ich es nie darauf angelegt hatte. Ich hatte mich ihnen gegenüber nie feindselig verhalten, sie gereizt oder auch nur die winzigste Beleidigung fallen gelassen. Und wie oft hatte dagegen Sturla Sighvatsson in dieser Zeit mit wüsten Drohungen auf den Thing-Versammlungen allen anderen seinen Willen aufgedrängt? Wie oft hatten die anständigen Familien versucht, eine Allianz gegen diese Tyrannei zu schmieden? Und wie oft waren Freunde oder gar Verwandte zu mir gekommen und baten mich, teilweise mit Tränen in den Augen, zusammen mit den anderen südisländischen Anführern die Anständigen zu unterstützen; gar nicht unbedingt mit Waffengewalt, sondern zunächst nur, indem ich forderte, dass es gerecht zugehen sollte und die Leute miteinander redeten? Trotz all dem hatte ich mich immer geweigert, Partei zu ergreifen. Ich hatte mich nie in diese Streitigkeiten eingemischt, höchstens meine Vermittlung angeboten. So ging das über Jahre. Nie hatten wir Südisländer die Sturlungen provoziert oder sonst irgendwie unseren Bezirk in kriegerischer Absicht verlassen, unseren Machtbereich, der sich damals von dem Fluss Þjórsá im Osten bis zur Hellisheiði erstreckte und im Norden bis dorthin, wo das Hochland begann.

Nun führten mir meine und Þórðurs Reden klar vor Augen: Es reichte. Genug Leute waren erschlagen worden. Da standen wir nun beide vor dem norwegischen König, zwei Isländer, die sich Anführer nannten, und rechneten die Gefallenen der Kämpfe auf, die uns allen nichts als Niederlagen gebracht hatten. Denn auch die überlegene Seite konnte ihre Siege nie genießen, da sofort wie Pilze auf einem Misthaufen furchtbare Pläne von Vergeltung und Rache aufschossen, die zu erneutem Blutvergießen führten. Keiner von uns konnte je in Freiheit leben. Natürlich wäre ich gern sofort nach Hause gesegelt und hatte gehofft, dass der König mich nach dieser Zusammenkunft damit beauftragte, seine Interessen auf Island zu vertreten, doch es kam, wie es kam, und der König schickte Þórður Kakali, während ich zurückblieb und meine Friedens- und Versöhnungspläne erst einmal begraben musste. Ich wandte mich anderen Dingen zu und bereiste mit guten Gefährten die Welt bis nach Rom. All die weitläufigen, warmen, fruchtbaren Länder auf meinem Weg, die Menschen in den Städten, die majestätischen Gebäude der Ewigen Stadt und die große Kirche, die einen eigenen Anbau für nordische Männer hatte, die Schriftgelehrte werden wollten – all das bestärkte mich in der Überzeugung, dass es nur den Teufel freute, wenn wir Isländer uns bekämpften, anstatt friedlich in unserem Land zu leben. Und jetzt, wo Þórður Kakali nach Norwegen zurückberufen ist und ich auf dem Weg nach Island bin, sind diese Gedanken zu neuem Leben erwacht. Nun kann ich sie in die Tat umsetzen. So Gott will. Und der norwegische Bischof, der mit mir auf diesem Schiff ist. Und die Sturlungen, die noch am Leben sind.

EYJÓLFUR

Es war nicht verwunderlich, dass ich mich in letzter Zeit aus allem heraushielt, schließlich konnte ich kaum schlafen, ohne von grauenvollen Albträumen oder Visionen von der Art heimgesucht zu werden, wie sie wohl Heilige ertragen müssen oder die, die von ihren Feinden – den toten wie den lebendigen – verfolgt werden. Aber nun war ich diese Visionen oder Träume oder wie man das nennen mochte, los. Wenn man mit rasendem Herzen aufwachte, das ganze Bett schweißnass war und von Kopf bis Fuß alles wie nach einer Prügelei weh tat – wie konnte man da wissen, ob man überhaupt in den Armen des Schlafs geruht hatte?

Doch das war nun zum Glück vorbei. Die Dämonen hatten endlich eingesehen, dass Eyjólfur Þorsteinsson eine Nummer zu groß für sie war, schließlich nannte man mich nicht umsonst manchmal Ofsi, den Zornigen, hahaha. Ich will möglichst nicht an diese Albträume denken und nur den harmlosesten erzählen, der mich normalerweise erst heimsuchte, wenn es bereits hell geworden war und ich gerade etwas Ruhe gefunden hatte. Dieser Albtraum ging so: Ich befinde mich mit einigen Männern in wildem Galopp, auf Pferden zwar, aber in der Luft. Wir reiten himmelwärts, eine Gruppe von Männern in hellen Leinengewändern, ähnlich denen, die man Toten anlegt. Und wenn ich mich traue, genauer hinzusehen, sehe ich, dass ich selber ganz vorne in dieser Gruppe reite, mit einem ungewöhnlich friedlichen Gesichtsausdruck und dabei leichenblass.

Seitdem ich mit Þórður Kakali zu tun hatte, wollte ich wie er werden. Ich war fest entschlossen, etwas zu schaffen, das meinem Namen einen ehrenvollen Klang verlieh und alle mit Ehrfurcht erfüllte. Je besser ich ihn kennenlernte und je mehr ich ihm zu Dank verpflichtet war, desto stärker wurde dieser Wunsch. Schließlich war es nicht selbstverständlich, dass wir Freunde waren und einmal sogar Verbündete im Kampf.

Ich möchte nicht schlecht über Þórður reden, aber ich habe gehört, dass einige Leute es mit Argwohn zur Kenntnis nahmen, wie großzügig er sich mir und Hrafn Oddson gegenüber gezeigt hatte, indem er die Töchter seines gefallenen Bruders Sturla mit uns verheiratete. Schließlich gehörten sie zu den begehrtesten Frauen überhaupt, man redete über sie, als wären sie Königstöchter, und es war offensichtlich, dass sie wie solche behandelt werden wollten. Man muss dazu sagen, dass nur Hrafns Frau eine eheliche Tochter von Sturla war, doch dafür war meine Þuríður noch hübscher und bereits berühmt für ihre Schönheit und Würde, bevor mir oder irgendjemand anderem klar wurde, dass wir einander gehören sollten. Þuríður wurde oft mit ihrer Tante Steinvör verglichen, einer Frau von einer Vornehmheit und einem Selbstbewusstsein, wie es sie kein zweites Mal gab. Nachdem ich diese Steinvör kennengelernt hatte, musste ich allerdings zugeben, dass es nicht nur die Schönheit und Statur waren, die meine Þuríður mit ihrer Tante gemeinsam hatte – auch Beredsamkeit und Schlagfertigkeit schienen bei ihr in der Familie zu liegen, um nicht zu sagen Großmäuligkeit und Arroganz. Aber ich werde dafür sorgen, dass meine Frau mit mir nicht so umspringt wie Steinvör mit ihrem Mann Hálfdan, den sie derart beschimpft, dass schon das ganze Land Witze über ihn macht, über diesen edlen und feinen Mann. Das lasse ich mir nicht bieten.

Ich nicht.

NIEMALS!

Es war kein leichtes Joch, das Þórður Kakali mir auferlegt hatte, als er mir Þuríður zur Frau gab. Das darf man nicht vergessen.

Seit ich Þórður kannte, nahm ich mir immer wieder vor, einmal eine große Tat zu vollbringen, einen übermächtigen Gegner zu besiegen. Ich hatte die Prinzessin zwar bekommen, doch der Beweis, dass ich ihrer würdig war, stand noch aus. Doch bald darauf überwältigte mich der Gedanke, wie absurd und albern das war. Ich war nun mal kein Held von Þórðurs Schlage und würde auch nie einer sein. Ich fühlte mich wie der kleinste aller Kleinen, ja, wie ein Wurm, den jeder nach Belieben zertreten konnte; was bildete ich mir eigentlich ein, und wie zum Teufel kamen die darauf, ausgerechnet mich mit einer Prinzessin zu verheiraten? Und ausgerechnet, wenn mich diese Gedanken am schlimmsten plagten und ich mich eigentlich nur noch im Dunkeln verkriechen wollte, war Þuríður so rücksichtslos, meine Geistesqualen noch zu verstärken, indem sie mich mit irgendwelchen Schimpftiraden überzog, genau wie Tante Steinvör es mit ihrem Mann tat, und wenn ich dann rief:

»Ich lasse nicht zu, dass du mich behandelst wie Hálfdan! NIEMALS!«, dann grinste sie einfach. Aber sie meint das nicht böse, meine Þuríður, zum Glück nicht, ich könnte nie mit einer Frau zusammenleben, die böse ist, es ist so schon alles schwer genug. Manchmal tröstete sie mich und sagte, sie habe es nicht so gemeint, ob ich denn keinen Spaß verstünde? Ich ließ mich trösten, leckte meine Wunden, irgendwann verheilten sie, und ich stand auf und trat hinaus ins Licht. Und wenn ich dann an all die Demütigungen dachte, fiel mir wieder ein, dass ich doch Heldentaten vollbringen wollte, damit mich in Zukunft niemand, schon gar nicht die Sturlungen, für einen Versager hielte, den man gefahrlos beleidigen und verspotten konnte. Das erzählte ich dann allen, denn ich glaubte so sehr an meine Heldentaten wie daran, dass am nächsten Morgen die Sonne aufgehen würde; bis ich wieder aufhörte, an mich zu glauben und, na ja, vielleicht nicht gerade daran zweifelte, dass die Sonne am nächsten Morgen aufgehen würde, das tat sie schließlich immer, erbarmungslos, aber ich zweifelte doch daran, ob ich das überhaupt wünschenswert fand.

ÞURÍÐUR STURLUDÓTTIR

Seit meiner Kindheit wartete ich darauf, dass jemand den Tod meines Vaters rächte. Am Anfang hatte ich gar nicht so genau erfahren, unter welchen Umständen er in der großen Schlacht von Örlygsstaðir gefallen war, doch mit den Jahren wurde das Bild klarer – die Augenzeugen hörten auf, mir nur die halbe Wahrheit zu erzählen. Wie viele Abende hatte ich mich in den Schlaf geweint vor Schrecken und Scham, während ich nicht aufhören konnte, daran zu denken, wie sie über meinen verwundet am Boden liegenden Vater herfielen. Wie sie sich einen Spaß daraus machten, ihm ins Gesicht zu stechen, nur weil er hübscher war als die meisten anderen. Und wie schließlich, nachdem mein Vater so viel Blut verloren hatte, dass ihn die Kräfte verließen und jemand ihn mit einem Schild bedeckte, damit er wenigstens seine letzten Atemzüge in Frieden tun konnte, dieser hassenswerte Gissur Þorvaldsson kam, den Schild wegtrat und rief, dass er sich persönlich um diese Sache kümmern wolle. Er schlug ihm seine Streitaxt so heftig in den Kopf, dass der dumpfe Schlag das Waffengeklirr und den Lärm aller Kämpfenden übertönte.

Seit damals hatte mein Onkel Þórður sicher viel getan, damit unserer Familie Gerechtigkeit widerfuhr, doch auf den Tag, an dem Gissur wie verdient für seine Niedertracht bezahlte, wartete ich noch immer. Und als Þórður Kakali nun Island verlassen musste, um zum König nach Norwegen zu fahren, seine Macht an einige Stellvertreter übertrug und Gissur an seiner Stelle nach Island zurückkehrte, war ich mir sicher, dass die Demütigungen, die er uns angetan hatte, nun nicht mehr viel länger ungesühnt bleiben würden. Es war nur noch eine Frage des richtigen Zeitpunkts.

Þórður kam als erster auf die Idee, dass ich Eyjólfur heiraten sollte, was mir gleich von Anfang an gut gefiel, schließlich war er ein gut aussehender Mann, auf den man gemeinhin große Stücke hielt. Und als alles beschlossene Sache war, sagte Þórður mir im Vertrauen, dass mein Bräutigam uns Sturlungen ein guter Verbündeter wäre, sobald die Zeit gekommen war, an Gissur Rache zu nehmen. Doch dann passierte gar nichts. Es stellte sich lediglich heraus, dass Eyjólfur empfindlich war, unberechenbar – und so launisch wie ein Kind.

Erst fand ich Eyjólfurs Stimmungsschwankungen einfach albern, schließlich war er ja ein erwachsener Mann und hatte sich selber für mich entschieden, obwohl er eine große Auswahl hatte. Aber nun war es so, dass ihn schon die kleinste Kleinigkeit derart kränkte, dass man tagelang kein Wort aus ihm herausbekam. Er vermied meinen Blick, sah ganz verbittert aus und irgendwie erbärmlich – das Gesicht voller roter Flecken und die Augen so gerötet, dass man kaum glauben konnte, was er einst für ein schöner Mann gewesen war. Ich fand das geradezu lächerlich für einen Mann von so kriegerischer Statur, einen Mann, der manchmal so kraftvoll und fleißig, ja geradezu hitzköpfig sein konnte – zornig, wie viele sagten. Ich wartete auf den richtigen Moment, ihm zu sagen, er solle endlich aufhören zu schmollen wie eine verschmähte Altjungfer. Wenn ihm etwas nicht passte, warum ging er nicht zum Angriff über und legte sich mit den Leuten an? Ich hatte schließlich auch keine Scheu, mich mit ihm anzulegen wie mit allen anderen. Anfänglich half es sogar, wenn ich selbst so lange weiterredete, bis er sich gezwungen sah zu antworten. Aber auf Dauer nutzte auch das nichts, es führte nur dazu, dass er noch grundloser, geradezu anfallartig, beleidigt war. Eine lange Zeit konnte er gut gelaunt sein, arbeitete viel und reiste umtriebig im ganzen Bezirk herum, dann spürte ich förmlich, wie sein ganzes Wesen abkühlte, als würde sich nach einer Woche mit warmem, heiterem Wetter der Himmel beziehen. Und genauso, wie meist Kälte und schneidender Wind folgten, wenn Wolken vor die Sonne zogen, wurde auch Eyjólfur finster und kühl. Und genau wie die Sommerfarben der Heide unter bewölktem Himmel verblassten, wurde auch er ganz blass und begann, sich schweigend irgendwo herumzudrücken.

»Was ist denn los?«, fragte ich dann manchmal, »habe ich irgendetwas gesagt?« Und wusste natürlich, dass das nicht der Fall war. Das Schlimme war ja gerade, wie grundlos seine Stimmung umschlug. An einem Tag war er himmelhoch jauchzend und hatte alle Hände voll zu tun – am nächsten brachte er kein Wort hervor und kam kaum aus dem Bett, außer vielleicht, um sich irgendwo anders zu verkriechen, er aß nichts und kränkelte. Mit der Zeit hielt dieser Zustand immer länger an, Tage über Tage, und sein Schweigen begann, alle auf dem Hof anzustecken. Alle Farbe war aus seinem Gesicht verschwunden – abgesehen von diesen geröteten Augen, die mich an Leute erinnerten, die viel geweint hatten. Als ich schließlich einmal hörte, wie er auf seiner Seite der Bretterwand schluchzte, wäre ich am liebsten aufgesprungen und hätte alles kurz und klein geschlagen, was mir in die Quere kam. Doch was nützte das noch, wenn es so weit gekommen war?

Nun fand ich das ganz und gar nicht mehr zum Lachen. Ich dachte nicht mehr, dass man ihm nur sagen müsste, er solle sich nicht so anstellen; er erzählte mir von bösen schwarzen Hunden, die ihn verfolgten und legte sich erst tagelang hin, dann wochenlang und schließlich den ganzen Herbst über, bis fast zum Ersten Advent.

EYJÓLFUR

Es kam vor, dass ich mich wochenlang nicht traute einzuschlafen, da in meinen Träumen immer wieder dieselbe Erscheinung auftauchte: der abgeschlagene Kopf eines Mannes, der auf einer Wiese liegt. Er hat schwarzes Haar, ist am Hals schon halb verwest, die Haut blau angelaufen und überall verkrustetes Blut, und ich bin noch ein halbes Kind, das sich vor der Welt fürchtet, finde diesen Kopf und erstarre. Doch ich laufe nicht schreiend davon, um mich in Sicherheit zu bringen und jemandem von meinem Fund zu erzählen. Meine Beine werden so kraftlos und schwer, dass ich einfach nur dastehen kann, da sieht der Kopf mir in die Augen und fängt an zu sprechen. Ein bösartiges, verächtliches Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus, und er sagt, dass ich ein Schwachkopf und Versager sei und das auch immer bleiben werde. Als das Gesicht endlich schweigt und ich mich wieder bewegen kann, merke ich, dass es angefangen hat zu regnen. Eine Weile spüre ich die Tropfen auf meiner Haut, dann sehe ich hin und merke, dass es Blut regnet …