Versöhnungsprozesse in der Paartherapie - Freiderike von Tiedemann - E-Book

Versöhnungsprozesse in der Paartherapie E-Book

Freiderike von Tiedemann

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Beschreibung

Versöhnen – eine tragfähige Basis für das weitere Zusammenleben schaffen Im Verlauf einer Partnerschaft sammeln sich kleinere und größere Verletzungen an, die bei vielen Paaren nicht zur Sprache kommen und nicht bearbeitet werden. Häufig münden sie in eine innerliche Distanzierung vom Partner und führen zu Gefühlen wie Enttäuschung, Groll und Verbitterung, die die Partnerschaft langsam zu vergiften beginnen. Die Bearbeitung dieser Verletzungen ist daher ein zentraler Ansatzpunkt in der Paarberatung und -therapie und die Förderung von Versöhnungs- und Verzeihensprozessen von großer Wichtigkeit. Das Buch beinhaltet verschiedene Perspektiven zum Thema Verzeihen und Versöhnen und gibt praktische Anleitungen für die strukturierte Durchführung von Verzeihens- und Versöhnungsarbeit. Auf der beiliegenden DVD werden die aufeinander aufbauenden Schritte in konkreten Beratungsszenen mit Paaren gezeigt. Sie veranschaulichen die beschriebenen Interventionen und Vorgehensweisen und zeigen praxisnah, wie man Versöhnungsprozesse mit Paaren gezielt anleiten, fördern und begleiten kann. Mit Beiträgen von: J. Engl, A. Herzog, P. Kohlgraf, N. Klann, F. Thurmaier, F. von Tiedemann, E. Scholl, N. Wilbertz „Das Buch ist eine Fundgrube von wichtigen theoretischen Impulsen und praktischen Ideen zur Versöhnungsarbeit, illustriert durch konkrete Fall- und Videobeispiele. Die Relevanz des Themas, dessen Innovationsgehalt und die solide inhaltliche, konzeptionelle und praxisrelevante Qualität des Buches machen es zur Pflichtlektüre für alle Paarberater und Paartherapeuten, unabhängig ihrer Schulenorientierung.“ – Prof. Dr. Guy Bodenmann

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Seitenzahl: 489

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Friederike von Tiedemann (Hrsg.)Versöhnungsprozesse in der PaartherapieEin Handbuch für die paartherapeutische Praxis

Über dieses Buch

Versöhnen – eine Basis für das weitere Zusammenleben schaffen

Im Verlauf einer Partnerschaft sammeln sich kleinere und größere Verletzungen an, die bei vielen Paaren nicht zur Sprache kommen und nicht bearbeitet werden. Häufig münden sie in eine innerliche Distanzierung vom Partner und führen zu Gefühlen wie Enttäuschung, Groll und Verbitterung, die die Partnerschaft langsam zu vergiften beginnen. Die Bearbeitung dieser Verletzungen ist daher ein zentraler Ansatzpunkt in der Paarberatung und -therapie und die Förderung von Versöhnungs- und Verzeihensprozessen von großer Wichtigkeit. 

Das Buch beinhaltet verschiedene Perspektiven zum Thema Verzeihen und Versöhnen und gibt praktische Anleitungen für die strukturierte Durchführung von Verzeihens- und Versöhnungsarbeit. Auf der beiliegenden DVD werden die aufeinander aufbauenden Schritte in konkreten Beratungsszenen mit Paaren gezeigt. Die beschriebenen Interventionen und Vorgehensweisen werden veranschaulicht und praxisnah wird gezeigt, wie man Versöhnungsprozesse mit Paaren gezielt anleiten, fördern und begleiten kann. 

Mit Beiträgen von: J. Engl, A. Herzog, P. Kohlgraf, N. Klann, F. Thurmaier, F. von Tiedemann, E. Scholl, N. Wilbertz

Friederike von Tiedemann, Dipl. Psych. Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin, Lehrende für Systemisch-Integrative Paartherapie und Supervision, Leiterin des Hans Jellouschek Institutes Freiburg, Lehrtrainerin, Beraterin von Führungskräften und Teams.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2017

Coverfoto: Friederike von Tiedemann

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2017

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-679-0

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-711-7 (EPUB), 978-3-95571-713-1 (PDF), 978-3-95571-712-4 (MOBI).

Der zu Kapitel 3 gehörende Begleitfilm liegt als DVD für Sie bereit.

Sie können ihn kostenlos beim Verlag abrufen. 

Bitte schicken Sie eine E-Mail mit Ihrer Anschrift und dem Betreff „DVD von Tiedemann für E-Book“ an [email protected].

Vorbemerkung

Dieses Modulhandbuch ist geeignet, um Verzeihens- und Versöhnungsprozesse besser zu verstehen und aus diesem Verständnis heraus Ratsuchenden Anregungen für ihren Weg des Verzeihens und Sich-Versöhnens zu geben. Daher finden sich in dem Buch konkrete Interventionsbeispiele, die dazu beitragen können, den Prozess des Vergebens zu fördern. So können Paare Vorbehalte abbauen und neu zu einer intensiveren Beziehung finden.

Die teilweise verwendete Bezeichnung „Partner“ wird geschlechtsneutral verstanden, um die schriftliche Darstellung zu vereinfachen und eindeutiger zu machen. Aus dem gleichen Grund wird in manchen Kapiteln abwechselnd die weibliche oder männliche Form gewählt. Aus der Bandbreite der Lebens- und Liebesformen wird die Bezeichnung „Partnerschaft“ bevorzugt verwendet. Die Begriffe Partnerschaft, Beziehung und Ehe werden in den Beiträgen synonym gebraucht. Dies trifft auch für die Begriffe Vergeben und Verzeihen zu.

Die konkreten Beispiele zur Anleitung von Versöhnungsprozessen lassen vielleicht den Eindruck entstehen, dass dieses Modulhandbuch wie ein „Rezeptbuch“ benutzt werden kann – von jedermann. Herausgeberin und Autoren/inn/en haben auf dem Hintergrund empirischer Forschungsergebnisse und ihrer Erfahrung Vorschläge gemacht und Beispiele angeführt, die den Vergebungsprozess fördern. Sie können jedoch keine Verantwortung dafür übernehmen, wie diese Gedanken, Vorschläge und Ideen aus diesem Buch angewandt und umgesetzt werden. Die Anwendung von Vorschlägen oder konkreten Techniken aus diesem Handbuch bedarf einer klinisch-diagnostischen Einschätzung, die jeweils in der konkreten beraterisch-therapeutischen Situation vorzunehmen ist.

Ausdrücklich weisen die Herausgeberin und Autoren darauf hin, dass sie für eventuelle negative oder schädigende Folgen, die sich aus der Anwendung der Vorschläge und Anregungen dieses Modulhandbuchs ableiten lassen, nur in dem Fall übernehmen, dass im Buch eine grob fahrlässige Fehlinformation vorliegt.

Geleitworte

1. Geleitwort von Andreas Möhrle

„Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe“ (Mt 5, 23 f.)

Die Versöhnung nimmt, wie diese Textstelle aus dem Matthäus-Evangelium zeigt, einen hohen Rang in der Botschaft Jesu ein. Das Kommen des Reiches Gottes ist verbunden mit der Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen und soll deshalb auch verbunden sein mit der Versöhnung zwischen Mensch und Mensch.

„Dein Geist bewegt die Herzen, wenn Feinde wieder miteinander sprechen, Gegner sich die Hände reichen und Völker einen Weg zueinander suchen. Dein Werk ist es, wenn der Wille zum Frieden den Streit beendet, Verzeihung den Hass überwindet und Rache der Vergebung weicht“ (aus der Messliturgie). Trotz all dieser hohen Wertschätzung in der christlichen Tradition: Im konkreten Leben sind Versöhnen und Verzeihen immer noch genauso schwierig. Sie erfordern nicht nur Überwindung, Kraft und innere Stärke. Sie bedürfen auch des Einfühlungsvermögens, der Klugheit, der Geschicklichkeit und nicht selten auch des langen Atems.

Das gilt für die komplizierten und oft genug enervierenden Friedensverhandlungen zwischen Völkern und Volksgruppen. Das gilt aber auch für das Versöhnen und Verzeihen in der Familie und der Paarbeziehung. Selbst wenn nur zwei Personen beteiligt sind, ist Versöhnen und Verzeihen eben ein komplexes Geschehen, bei dem so vieles mitschwingt, bedacht und integriert sein will.

So gerät Versöhnen und Verzeihen auch für Paare mit der besten Absicht in die Spannung von Anspruch und Wirklichkeit, Wollen und Vermögen. In dieser Spannung werden Versöhnungsprozesse berechtigterweise zum Gegenstand von Beratung. Damit liegt auf der Hand, dass Versöhnen und Verzeihen ein gewichtiges Thema für die Ehe- und Familienberatung darstellen, das fachliche Aufmerksamkeit bei den Praktikerinnen und Praktikern der Beratung, aber auch in der Beratungsforschung verdient.

Der vorliegende Textband greift diesen Bedarf auf und bietet hilfreiche und weiterführende Überlegungen und Erkenntnisse zum Thema „Versöhnungsprozesse in der Paartherapie“. Es ist der Ehe- und Familienberatung nur zu wünschen, dass diese Bemühungen Frucht tragen und die Bereitschaft zur Versöhnung in der Beratung die Unterstützung erfährt, die sie benötigt, um zu gelingen und einen neuen Blick nach vorne zu ermöglichen.

Domdekan Andreas Möhrle

Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft

für Ehe-, Familien- und Lebensberatung, Telefonseelsorge und offene Tür e. V.

2. Geleitwort von Guy Bodenmann

Das Buch „Versöhnungsprozesse in der Paartherapie – ein Handbuch für die paartherapeutische Praxis“ widmet sich einem zentralen Thema der Paartherapie, welches bislang in den meisten Büchern zur Paartherapie und Behandlung von Partnerschaftsproblemen vernachlässigt wurde: Verletzungen, welche durch den Partner erfahren wurden und welche es durch Versöhnung gemeinsam zu überwinden gilt.

Zwangsläufig sammeln sich im Verlauf einer Partnerschaft kleinere und größere Verletzungen an, die häufig dem anderen zu wenig bewusst sind und dadurch bei vielen Paaren nicht zur Sprache kommen und bearbeitet werden können. Diese Verletzungen münden häufig in eine innerliche Distanzierung vom Partner und den Aufbau negativer Gefühle wie Enttäuschung, Traurigkeit und Einsamkeit oder Groll und Verbitterung, welche sich über die Jahre anstauen und die Partnerschaft langsam zu vergiften beginnen. Die Bearbeitung dieser Verletzungen ist daher ein zentraler Ansatzpunkt in der Paarberatung und -therapie und die Förderung von Versöhnungs- und Verzeihensprozessen von großer Wichtigkeit, um einerseits eine Verbesserung der aktuellen Partnerschaftsproblematik zu bewirken, andererseits aber auch, um eine nachhaltige, tragfähige Basis für das weitere zufriedenstellende Zusammenleben zu schaffen.

Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel, in welchen das Thema Verzeihen und Versöhnen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und nützliche praktische Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie mit den Paaren ganz konkret im Hinblick auf Versöhnung gearbeitet werden kann. Die Autoren dieses wichtigen Buches sind führende Paartherapeuten Deutschlands, welche auf fundiertes empirisches und klinisches Wissen und eine reiche therapeutische Erfahrung zurückgreifen und damit anschaulich und lehrreich äußerst wertvolle Handlungsanweisungen geben können. Erste Ergebnisse aus Befragungen zum Thema ergänzen diese.

Dass zudem eine DVD mit gezielten Therapieausschnitten beiliegt, ist eine erhebliche und unschätzbare Stärke dieses Buches. Die Videos sind von bester Qualität, didaktisch hervorragend gestaltet und auch für bereits erfahrene, langjährige Paartherapeuten äußerst lehrreich und inspirierend. Sie veranschaulichen beschriebene Techniken und Vorgehensweisen und zeigen anschaulich auf, wie mit den Paaren gearbeitet werden kann und welche Prozesse bei den Partnern damit angestoßen werden können.

Das Buch ist eine Fundgrube von wichtigen theoretischen Impulsen und praktischen Ideen zur Versöhnungsarbeit, illustriert durch konkrete Fall- und Videobeispiele. Die Relevanz des Themas, dessen Innovationsgehalt und die solide inhaltliche, konzeptionelle und praxisrelevante Qualität des Buches machen es zur Pflichtlektüre für alle Paarberater und Paartherapeuten, unabhängig ihrer Schulenorientierung.

Ich wünsche diesem Buch eine große und interessierte Leserschaft und hoffe, dass durch diese Schrift dem Thema der Versöhnung in der Paartherapie endlich der Stellenwert zukommen wird, den es hat – eine fundamental wichtige Bedeutung zum Gelingen von Partnerschaften.

Prof. Dr. Guy Bodenmann

Lehrstuhlinhaber am Psychologischen Institut der Universität Zürich,

Fachbereich Klinische Psychologie

mit dem Schwerpunkt Kinder, Jugendliche, Paare und Familien

3. Geleitwort von Martin Kopf

„Vergeben und Verzeihen in Paarbeziehungen“ war der Titel der Jahrestagung des Bundesverbandes Katholischer Ehe-, Familien- und Lebensberaterinnen und -berater e.V. im Jahr 2012. Das Thema trägt der täglichen Erfahrung in der Beratung Rechnung: „Beratungsarbeit ist oft Versöhnungsarbeit ... Es geht dabei ... um den Umgang mit Verletzungen, die Partner sich gegenseitig zufügen, Streit, Abwertung, Kränkung, Entzug der Liebesgefühle, sexuelle Untreue“ (Tagungsprogramm der Jahrestagung 2012). Ziel der Tagung war, den Kolleginnen und Kollegen ein praxisnahes Fortbildungsangebot zu bieten.

Wie stark leiden Frauen und Männer unter nicht bewältigten Verletzungen und Kränkungen? Wie steht es um die „Vergebungskompetenz“ von Paaren und Einzelpersonen? Zu diesen und anderen Fragen, die sich mit dem Thema „Vergeben und Verzeihen“ beschäftigen, gibt es bisher wenig belastbare empirische Daten.

Deshalb gab der Bundesverband eine für Deutschland repräsentative Umfrage bei EMNID TS zu diesem Thema in Auftrag. Etwa 1400 Personen wurden befragt, weitere Befragungen mit insgesamt etwa 750 Personen wurden durchgeführt.

Mein Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen in den Beratungsstellen und bei den für den Bereich Ehe-, Familien- und Lebensberatung Verantwortlichen in den Diözesen für die Unterstützung der Umfragen, ebenso gilt mein Dank den Diözesen, Seelsorgern und Klostergemeinschaften, die die Umfrage unterstützt haben.

Die vorliegenden Ergebnisse sollten für die beraterisch-therapeutische Praxis fruchtbar gemacht werden. Daher hat der Bundesverband erfahrene Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher therapeutischer Provenienz, die sich mit dem Thema „Vergeben und Verzeihen“ in ihrer therapeutisch-beraterischen Praxis ausdrücklich auseinandergesetzt haben, zu einer Arbeitsgruppe eingeladen. Ziel dieser Gruppe war, die Erfahrungen in der Zusammenschau mit den Ergebnissen der empirischen Erhebungen Kolleginnen und Kollegen an den Beratungsstellen und Psychotherapeut/inn/en praxisnah und leicht in Form eines Modulhandbuches zur Verfügung zu stellen.

Mit dem vorgelegten Modulhandbuch soll Fachkolleg/inn/en aus den Beratungsstellen und auch Psychotherapeut/inn/en ein übersichtliches, an der konkreten Beratungs- und Therapiepraxis orientiertes Fachbuch zur Verfügung stehen, das Anregungen dafür bietet, wie Vergebungs- und Verzeihungsprozesse wirksam gefördert werden können.

Es bestand in der Arbeitsgruppe schnell Einigkeit, von einem „Modulhandbuch“ zu sprechen: Es soll keine strikte Handlungsanweisung vorgeben, sondern Kolleginnen und Kollegen jeder therapeutisch-wissenschaftlichen Richtung anregen, sich Ideen zu holen für ihre eigene Beratungs- und Therapiepraxis, wenn „Vergeben und Versöhnen“ im Beratungsprozess Thema wird.

Wir sind dankbar, dass es gelungen ist, Kolleginnen und Kollegen für die „AG Modulhandbuch“ zu gewinnen, die ausgewiesene Fachleute sind. Besonderen Dank verdient, dass sie ehrenamtlich ihre Zeit, ihr Wissen und ihre Erfahrung zur Verfügung gestellt haben. Ihr persönliches Engagement und ihr Idealismus haben die Entstehung des Modulhandbuchs ermöglicht. Ohne ihr Entgegenkommen hätte der Bundesverband dieses Projekt nicht leisten können. Ihnen allen danke ich herzlich für ihr Engagement, ebenso den Herren Dr. Ralph Poirel und Dr. Michael Feil – Bereich Pastoral –, der Deutschen Bischofskonferenz für die ideelle und finanzielle Unterstützung.

Anschaulichkeit gewinnen die Module durch die sehr aussagekräftigen Szenen von Sequenzen aus unterschiedlichen Phasen des Beratungsprozesses. Besonders danke ich Frau Friederike von Tiedemann. Sie hat Kolleginnen und Kollegen gewinnen können, Szenen für einen Film zu spielen, für die sie das „Drehbuch“ verfasst hat. Dank gebührt ihr auch für ihre Bereitschaft, die Verantwortung als Herausgeberin zu übernehmen.

Möge das Modulhandbuch vielen Frauen und Männern, Paaren und Familien helfen, dass ihnen Vergeben und Versöhnen immer besser gelingen. Denn die Erfahrung zeigt, dass gute Versöhnungsprozesse zu einer Vertiefung der Beziehung führen: Wenn Vorbehalte sich auflösen, kann neue Nähe entstehen. Auch für die Kinder ist es eine tiefe Erfahrung, wenn sie erleben dürfen, dass die Eltern sich wieder besser verstehen. Wenn Versöhnung gelingt, ist dies auch ein Zeichen der Hoffnung für ihre eigene Zukunft, ein Vorbild, das ihnen helfen kann, sich auch in ihrem eigenen Leben um Versöhnung zu bemühen.

Freising, März 2017

Martin Kopf, Vorsitzender des Bundesverbandes Katholischer
Ehe-, Familien- und Lebensberaterinnen und -berater e.V.

1. Was ist Versöhnung, was nicht? Ein Überblick

(Andrea Herzog)

1.1 Einführung

Das Zusammenleben mit einem geliebten Partner, eine beständige und glückliche Partnerschaft zu leben – das ist für viele Menschen ein zentraler Lebenswunsch. Die emotionale Beziehung zum Ehepartner bildet die wichtigste Ressource für die persönliche Zufriedenheit und das psychische Wohlbefinden. Vertrauen, Nähe, Treue und Ehrlichkeit sind wichtige Komponenten einer Beziehung.

Beziehungen bieten jedoch auch Raum für Konflikte und hohes Potenzial für Verletzungs- und Kränkungserfahrungen. Partner fügen sich Unrecht zu, bewusst oder unbewusst, es entstehen seelische Verletzungen. Erwartungen werden enttäuscht, Ansprüche nicht erfüllt. Dies gilt vor allem für Unrechtserfahrungen, für seelische Verletzungen wie z. B. durch Fremdgehen. Gefühle von Ärger, Bitterkeit, Rache oder Zorn können zudem auch vergangene Erlebnisse immer wieder präsent werden lassen und zu Streit, Vorwürfen in Beziehungen bis hin zur Beendigung der Beziehung führen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Erfahrungen in der Kindheit oder im Laufe der Beziehung gemacht wurden. Es ist schwer, schmerzliche Erfahrungen aus der Vergangenheit hinter sich zu lassen, Streitsituationen gut zu befrieden und einen heilenden Umgang mit Verletzungen zu finden.

Jeder Mensch hat die Möglichkeit, unterschiedlich auf Verletzungen und Kränkungen zu reagieren: Er kann auf Ausgleich und Gerechtigkeit setzen, d. h. auf das Zurückzahlen von Schuld; er kann auch Vergebung gewähren, bei der es eben gerade nicht um Recht und Ausgleich geht. Vergebung stellt eine alternative Option dar, wie Menschen mit Verletzungen und deren negativen Konsequenzen umgehen sowie erlebtes Unrecht verarbeiten können.

Vergebung kann zum Erhalt der gegenseitigen Liebe der Partner beitragen. Sie kann gestörte Beziehungen wiederherstellen helfen und somit das Scheitern von Beziehungen verhindern. Vergebung kann als ein Weg der Konfliktlösung verstanden werden, da negative Gedanken, Gefühle und Handlungsimpulse gegenüber der verletzenden Person im Laufe der Zeit aufgegeben werden. Vergebung wirkt sich positiv auf die psychische und physische Gesundheit der beiden Partner aus und führt zu einer erhöhten Lebenszufriedenheit. Auch im sozialen Umfeld zeigen sich positive Auswirkungen (z. B. auf die Entwicklung von Kindern). Dabei kann Vergebung bzw. das Um-Vergebung-Bitten ein sehr schmerzhafter, langwieriger und komplexer Prozess sein, der jedoch beim Gelingen sowohl für das Opfer wie auch für den Täter ein erlösendes und heilendes Moment mit sich bringt.

Ein erfolgreicher Prozess hängt vom Engagement und Willen beider Konfliktparteien ab. Er zeigt sich unter anderem in der Bereitschaft, offen zu sein für einen ehrlichen, authentischen und ggf. langwierigen Dialog, der in manchen Phasen schwierig sein mag. In diesem Sinn wird Vergebung als interpersoneller Prozess verstanden. Das impliziert auch, dass beide Partner in irgendeiner Weise zum Konflikt beigetragen haben. Ebenso ist es für den Vergebungsprozess wesentlich, dass beide Partner aufeinander zugehen und zur Befriedung und Annäherung aktiv beitragen. Das Ziel eines (interpersonellen) Vergebungsprozesses besteht in der Wiederherstellung der verletzten Beziehung und in dem gemeinsamen Bestreben, zu einem eigenen persönlichen Frieden zu kommen. Zugleich trägt dieses Aufeinander-Zugehen dazu bei, die Sehnsucht in verletzten Beziehungen nach Vergebung, nach Wiedergutmachung und einem Neustart zu erfüllen. Vergebung ist somit Voraussetzung für Versöhnung. Gelingt Vergebung, wird dadurch die Enttäuschung über verletzende Ereignisse und Kränkungen gemildert. Ärger, Wut oder Rachegefühle werden abgebaut. Es kann Verständnis wachsen für die verletzende Handlung, wobei Verstehen nicht zu verwechseln ist mit Billigung oder Zustimmung. Vergebungsforschung ist nach Battle und Miller (Battle & Miller 2005, S. 227 ff.) hoch relevant für die Beratung von Paaren, denn das Verzeihen ist effektives Konfliktlösungsverhalten. In lang andauernden Partnerschaften ist Verzeihen eine wichtige Strategie für die Aufrechterhaltung der Beziehung (Fennel 1993, zit. n. Battle & Miller 2005). Die Länge und Qualität einer Beziehung motiviert dazu, sie zu bewahren (McCullough, Bono, & Root 2007).

Vergebung kann auch als intrapersonaler Prozess verstanden und gesehen werden. Die Entscheidung, einer Person zu vergeben, die verletzt hat, und der Verzicht auf Ärger und Wut ist ein selbstverantworteter Akt. „Vergebung ist ein Aufgeben, eine Entlastung, die der Vergebende an sich selbst vollzieht“, und dieser „rationale Prozess, (ist) eine Richtungsänderung in der Art und Weise, wie wir mit uns selbst und dem Partner umgehen wollen“. Der Vergebende macht sich selbst „das Geschenk der Freiheit“ (Retzer 2009, S. 108 ff.). Er bewältigt eigene negative Gefühle, verzichtet auf Rache und fordert keine Gerechtigkeit ein. Die Bandbreite der verletzenden Ereignisse kann dabei von den alltäglichen kleinen Kränkungen bis hin zu schwerwiegenden Kränkungen, wie z. B. Fremdgehen, reichen. Die Untersuchung von Klann, Kohlgraf und Scholl hat ergeben, dass die alltäglichen Verletzungen schwerwiegender erlebt werden als gemeinhin erwartet (Klann et al. 2016).

1.2 Abgrenzung von Vergebung, Verzeihen und sich entschuldigen

Die Begriffe Vergebung und Verzeihen werden sowohl umgangssprachlich als auch in der wissenschaftlichen Literatur oft bedeutungsgleich verwendet, was eine Begriffsdefinition und Abgrenzung schwierig macht. Verzeihen wird wesentlich häufiger verwendet. Gibt man den Begriff „Vergebung“ in Internetsuchmaschinen wie z. B. Google ein, so fällt auf, dass er vor allem im christlich-theologischen Kontext verwendet wird sowie im Zusammenhang mit politischen und völkerrechtlichen Beziehungen. Umgangssprachlich wird das Wort Vergebung kaum verwendet und wenn doch, dann im Kontext schwerwiegender Prozesse und Probleme. Das Wort Verzeihen hingegen wird bevorzugt im Kontext leichter zu bewältigender Beziehungsprobleme verwendet.

Vergebung

Der ursprünglichen Bedeutung nach meint das Wort Vergebung „etwas fortgeben, hinweggeben, in Besitz übertragen“, später auch im Sinne von eine Sache aufgeben, deren strafrelevante Verfolgung berechtigt wäre (vgl. Kämmerer 2007, S. 228). In diesem Sinn wurde es im klerikalen Gebrauch für das Erlassen von Sünden und Strafe verwendet. Im Gegensatz zur psychologischen Definition wird im theologischen Kontext eine spirituelle Dimension impliziert, die ihren Grund in einer Beziehung zu Gott hat. Das Wort Vergebung findet Anwendung für ein göttliches wie auch zwischenmenschliches Handeln. Gottes unvorstellbare Güte eröffnet einen Raum der Vergebung, unter dessen Vorzeichen Schuld eingestanden und Vergebung ausgesprochen werden kann.

Verzeihen

Das Verb verzeihen geht auf das Wort „zeihen“ und „auf einen Schuldigen hinweisen“ oder „beschuldigen“ zurück. Mit dem Präfix „ver“, der das Wort ins Gegenteil wendet, könnte man sagen: jemandem die Schuld nicht mehr anrechnen. Verzeihen kann auch die Bedeutung haben von „nachsichtig sein“, „einer menschlichen Schwäche mit Verständnis begegnen“ (Weingardt 1998, S. 2). Während dem Vergeben ein höheres moralisches Gewicht beigemessen wird und dies auch das Erlassen von Schuld in eindeutiger Weise impliziert, meint Verzeihen eher ein „nachsichtiges Darüber-Hinwegsehen“ bzw. „Entschuldigen“.

Entschuldigen, um Entschuldigung bitten

Wörtlich bedeutet „sich entschuldigen“, „einen Fehler o. Ä. als geringfügig anzusehen“ und „hingehen zu lassen“. Einen „Fehler“, ein „Versäumnis o. Ä. zu begründen“, bzw. „für einen Fehler, ein Versäumnis o. Ä. um Nachsicht, um Verzeihung zu bitten“ (DUDEN, Bd. 7 1989, S. 653). Mit der Bitte um Entschuldigung wird ein Fehler eingesehen und eingestanden. Umgangssprachlich ist mit einer Entschuldigung eine „Bitte um Entlastung von einer Schuld“ gemeint. Der Verletzte kann die Bitte um Entschuldigung annehmen oder ablehnen; er kann von der Schuld insoweit befreien, indem er diese nicht weiter nachträgt.

Ein Verhalten zu „ent-schuldigen“ bedeutet demnach, dem anderen eine Schuld nicht mehr anzurechnen und keine Wiedergutmachung bzw. keinen Schadenersatz zu erwarten. Wird die Entschuldigung verweigert, muss der Verursacher damit leben. Dass etwas wieder gut und in Ordnung ist, liegt in den Händen des Verletzten.

Im Alltag wird eine Entschuldigung auch als Höflichkeit angesehen und teilweise oberflächlich und als Floskel verwendet. So kann z. B. eine Entschuldigung ausgesprochen werden, man sieht aber nicht ein, einen Fehler gemacht zu haben, und streitet diesen ab. Die Person hat nicht verstanden, wie verletzend ihr Verhalten erlebt wurde.

Oft reicht es nicht aus, sich beispielsweise lediglich für die Auswirkungen und Folgen zu entschuldigen, nicht aber für die Taten, die dazu führten. Oder es wird eine Entschuldigung ausgesprochen für die Art und den Umgang, nicht aber für den Kern der Sache. Manchmal wird eine Entschuldigung ausgesprochen für einen Teil des verletzenden Streites, nicht aber für den gesamten Vorgang. Der „Fehler“ wird so als zu gering gesehen und die Größe der Schuld damit minimiert. Für manche Menschen ist für eine glaubwürdige Entschuldigung die Wortwahl entscheidend, anderen ist der Augenkontakt oder ein Spüren der Ernsthaftigkeit wichtig.

Eine Studie von Schmitt et al. (zit. in Frank 2004, S. 231) hat festgestellt, dass eine Entschuldigung für eine schwerwiegende Verletzung nicht ausreicht, um Vergebung zu bewirken.

Versöhnung

„Versöhnen“ geht auf das mittelhochdeutsche Wort „versuenen“ zurück und bedeutet „Frieden stiften“, „schlichten“, und „still machen“ (Grün 2006, S. 11). Versöhnung ist die Wiederaufnahme einer positiven Beziehung zwischen zwei Menschen, die in irgendeiner Weise verfeindet oder zerstritten waren. Von Vergebung grenzt sich Versöhnung dahingehend ab, dass sie immer als Prozess verstanden wird, während Vergebung nicht von der Reaktion des anderen abhängig ist. Zur Versöhnung braucht es die Vergebung; sie muss immer vorausgegangen sein. Das übergreifende Ziel ist ein verändertes Miteinander. Diese neue Qualität des Umgangs im Miteinander und Kontakt ist aber nur erreichbar, wenn „Schuld vergeben“ und die Bitte um Vergebung angenommen wird (Lehmann 2007, zit. in Schlögel 2007, S. 96).

Eine weitere Voraussetzung für Versöhnung ist, dass beide Parteien den Wunsch haben, den Konflikt zu beenden, einander erneuert vertrauen zu können und wieder in einer guten Beziehung zu leben. Die am Versöhnungsprozess Beteiligten stellen sich der Vergangenheit, indem sie ihre eigene Schuld anerkennen und die Darstellung der jeweils anderen Seite ernst nehmen. Beide gehen einen Schritt aufeinander zu und sprechen eine Vergebung aus, als Ausdruck dafür, dass sie wieder „neu“ miteinander beginnen und sich „vertragen wollen“. Die Konfliktparteien finden wieder zueinander, das „Wir“ ist wieder hergestellt.

Versöhnung ist im Gegensatz zur Vergebung also ein dialogischer, zwischenmenschlicher Prozess. Durch Versöhnung geben wir der Beziehung zum anderen eine neue Chance. Kleine Kinder beschreiben Versöhnung manchmal mit „wieder gut sein“.

1.3 Definitionen und Ansätze in der Vergebungsforschung

Im Folgenden werden aus den unterschiedlichen Definitionen und Ansätzen der Versöhnungsforschung einige Aspekte dargestellt, die für den Schwerpunkt des Themas Paarbeziehung relevant erscheinen.

Bei allen Autoren besteht Konsens darüber, dass Vergebung die Reduktion bzw. Beendigung von Hass, Groll, Wut, und Rachegefühlen auf eine Person ist, die verletzt hat. „Verzeihen ist ein Prozess, in dessen Verlauf die Motivation für Rache oder Rückzug vom verletzenden Partner sinkt und die Motivation für wohlwollendes und versöhnliches Verhalten steigt“ (Paleari et al. 2009).

Der Vergebende gibt einen Anspruch auf, den er gegenüber einem anderen Menschen hat oder zu haben glaubt. Er verzichtet also auf etwas, was ihm vermeintlich zusteht; hält dem anderen seine erlittene Verletzung wird nicht mehr vor, lässt sie innerlich los. Die Vergebung ermöglicht eine „tief greifende emotionale Entlastung“, um die „Erinnerungen zu heilen“. Vergebung „ist die einzig lebensfähige Reaktion auf die Wunden, die uns andere zufügten oder wir ihnen. Sie ist ein immens kreativer Akt, der uns aus Gefangenen unserer Vergangenheit zu Befreiten macht, die in Frieden mit ihren Erinnerungen leben“ (Studzinski 1986, zit. in Weingardt 1998, S. 81).

Im Mittelpunkt der verschiedenen Definitionen steht der Gedanke eines intra- und / oder interindividuellen Prozesses, der sich in einer positiven, prosozialen Veränderung der Emotionen, Kognitionen und des Verhaltens gegenüber dem Täter zeigt (z. B. McCullough, zit. in Enright 2006). Verzeihen ist nach Schwennen (2008, S. 150 f.) „intentional, bedingungslos, nicht notwendig und geschieht nur in dem Bewusstsein, dass der Täter verantwortlich ist“. Diese Veränderungen hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. Empathie und Reue. Vergebung spielt eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Kränkungen, Grenzüberschreitungen und Beleidigungen. Im Fokus ist das „Opfer“, das durch die Vergebung eine Veränderung der Emotionen, Gedanken und / oder Handlungen gegenüber dem „Verursacher“ erfährt. Dies gelingt sowohl durch Verringerung von negativen Gefühlen wie Unversöhnlichkeit, Verbitterung, Ärger usw. als auch durch Steigerung von positiven Gefühlen wie Liebe, Mitgefühl, Mitleid und Sympathie. Hass, Groll, Wut und Rachegefühle auf eine Person, die verletzt hat, werden also reduziert bzw. beendet, positive Gefühle wie Liebe, Verständnis und Sympathie nehmen zu.

Andere Autoren legen den Fokus mehr auf das Aufgeben und Loslassen von rachsüchtigen Leidenschaften bzw. Ressentiments. Letztere werden als eine normale menschliche Reaktion auf Unrecht und (Beziehungs-)Verletzungen gesehen, die entweder mit Vergebung oder Rache beantwortet werden können. Vergebung hat somit eine wichtige Funktion für die Schlichtung zwischenmenschlicher Konflikte, dem Durchbrechen des Täter-Opfer-Kreislaufes und bei der Bewältigung von Kränkungen (Fincham, 2000, zit. in Allemand, Sassin-Meng, Huber & Manfred Schmitt et al. 2008, S. 71). Tausch (1993) postuliert, dass der seelische Vorgang des Vergebens eine bedeutende Rolle bei der Minderung von Bitterkeitsaffekten spielt (Bonelli 2009). In der Vergebung sieht er die beste Form des Loslassens.

Ergänzend dazu unterscheidet Gerl-Falkovitz (2008, S. 3) zwischen unbedingter und bedingter Vergebung. Bedingte Vergebung setzt Reue, Einsicht und Veränderung beim Verletzenden voraus, während unbedingte Vergebung die Schuld erlässt, ohne jegliche Vorbedingungen.

1.4 Arten von Vergebung

Vergebung ist ein Prozess prosozialer Veränderungen, innerer Haltung und Gefühle gegenüber dem Verletzenden (Enright & Fitzgibbons 2000, Fincham 2002). Die Bereitschaft zu vergeben bringt positive Konsequenzen für den Vergebenden und seine sozialen Beziehungen. In der Literatur, z. B. bei Fincham et al. 2006, wird unterschieden zwischen:

Stillschweigender Vergebung

:

Groll und Ärger gegenüber dem Täter werden überwunden, aber die Vergebung wird nach außen und im Verhalten hin nicht sichtbar und spürbar.

Scheinbare Vergebung

:

Verbal und rein äußerlich wird dem Verursacher vergeben, aber innerlich wird er weiter beschuldigt.

Ambivalente Vergebung

:

Eine ambivalente Sichtweise auf den Täter, was eine eindeutige Haltung erschwert.

Echte Vergebung

:

Die verletzte Person verzichtet „auf den Schuldvorwurf und auf ihren Anspruch der Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts, ohne die erlittene Verletzung zu relativieren oder zu entschuldigen. Vergebung ist ein vorwiegend innerseelischer Prozess, der unabhängig von Einsicht und Reue des Täters vollzogen werden kann“ (Stauss 2010, S. 144 f.).

Von Tiedemann ergänzt ein Erschöpfungsverzeihen. Größere Ereignisse, z. B. schwere Schicksalsschläge und Erkrankungen oder Todesnähe, relativieren das Geschehene und somit auch den Groll und ermöglichen ein Verzeihen. Die vorhandene Kraft wird für die Bewältigung der existenziellen Situation benötigt und reicht nicht mehr aus für eine anstrengende Aufrechterhaltung der Täter-Opferansicht.

Aus meiner Erfahrung in der Beratung gibt es eine Art Pseudovergebung, die aus einer moralisch höher stehenden Position ausgesprochen wird. Der Vergebende stellt sich als „besser“ dar und der Partner muss (zeitlebens) dafür dankbar sein. Die Erinnerung an den Fehler wird aufrechterhalten, ebenso die Großzügigkeit des Vergebens. Der Vergebende bleibt jedoch weiterhin misstrauisch und wird als kleinlich bzw. nachtragend erlebt. Der Partner fühlt sich nicht befreit, weiterhin beobachtet und immer unterlegen. Er lebt in einer Art „Bringschuld“, nicht genug zu sein. Hier ist die sensible, aber auch klare Intervention gefordert, um diese Dynamik bewusst zu machen und zu ermutigen, sich den Motiven für die Pseudovergebung zuzuwenden, und auch deren Annahme durch den Verletzenden.

1.5 Was Vergebung nicht ist

Zum besseren Verständnis dessen, was Vergebung ist, ist auch zu klären, was Vergeben nicht ist (Enright 2006). Fälschlicherweise wird Vergebung nämlich oft als Schwäche, Gesichtsverlust, Begnadigung oder Kleinbeigeben angesehen und Rache als „angemessene“ Reaktion auf Unrechtserfahrungen. Auch gibt es im Alltag viele Barrieren, die Vergebung erschweren und behindern. Dazu gehören z. B. die Angst vor neuen Verletzungen, sich lächerlich zu machen, vertraute Gefühle von Wut aufzugeben oder auch nachgeben zu müssen.

Vergebung ist kein Bagatellisieren, Verharmlosen oder Kleinreden

Vergeben heißt nicht, das Geschehene zu leugnen, zu rationalisieren, wegzuschieben oder zu beschwichtigen. Das geschieht oft mit Sätzen wie: „Ach, da war nichts“, oder „Das war gar nicht so schlimm“. Solche Aussagen können darauf hindeuten, dass die eigenen Gefühle des Verletz-Seins übergangen oder beiseite geschoben werden. Vergeben heißt nicht, so zu tun, als sei alles (wieder) in Ordnung. Entscheidet sich jemand, das Bewusstsein des Unrechts für sich zu behalten und sich nicht zu wehren, trägt das Opfer durch dieses Verhalten zur Verharmlosung des Geschehenen bei. Das Unrecht wird heruntergespielt, mit Nachsicht hingenommen, verleugnet oder bagatellisiert.

„Der Übergang vom Stillhalten zu einer aktiven Beschönigung verkauft das Verzeihen“ (Dürr 2010, S. 209). Dürr beschreibt zwei Arten der Verharmlosung: Da ist die Seite des Täters, der mit der Frage: „Vergibst du mir?“ bereits eine verharmlosende Antwort implizieren kann. Er nimmt dem Opfer so die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, und entzieht sich selbst der Verantwortung und der Vergebungsbedürftigkeit. Auch das Herabsetzen der Umstände („So schlimm war es gar nicht“) ist eine Form der Verharmlosung und Bagatellisierung. Im Beschönigen einer Verletzung zeigt sich eine Art Komplizenschaft zwischen Täter und Verletztem (Crespo 2002 S. 21).

Vergeben heißt nicht, Leid gutzuheißen oder zu entschuldigen. Co-abhängige Paare ersetzen Vergebung oft vorschnell durch Entschuldigen oder Verharmlosen. Man gibt vor, überhaupt nicht verletzt worden zu sein oder zu glauben, dass der Täter einem eigentlich nicht wehtun wollte. Die Frau verharmlost den gewalttätigen Ehemann, indem sie die Schuld auf sich nimmt: „Ich habe ihn gereizt.“ Vergeben heißt jedoch, die Verletzung als solche zu benennen, auch um eine Wiederholung abzuwenden. Man kann jemandem vergeben und gleichzeitig Schadenersatz fordern. Vergeben bedeutet nicht, auf das Recht der Wiedergutmachung verzichten zu müssen (vgl. von Tiedemann, Kap. 3.7.5).

Auch von außen – z. B. von Freunden – kann bagatellisiert werden: „Stell dich nicht so an!“ Und ein von außen heruntergespieltes Verhalten kann schließlich zu einer inneren Bagatellisierung führen. Die Bewertung und Einschätzung Außenstehender wird vom Opfer als zutreffend übernommen. Es braucht Mut, für das eigene Empfinden einzustehen: „Das war schlimm, auch wenn der andere das nicht versteht“, und sich dann der möglichen und nötigen Konfrontation zu stellen.

Eine Verletzung als Nichtigkeit abzutun ist keine Vergebung und ist auch nicht so zu verstehen. Man könnte hier auch von einer Art Pseudovergebung sprechen.

Vergebung bedeutet nicht Akzeptanz und Toleranz

Vergebung bedeutet auch nicht, dass der Vergebende die verletzende Tat in irgendeiner Weise akzeptiert, gutheißt, toleriert, oder rechtfertigt. Es bedeutet nicht, dass das Paar zur Tagesordnung übergeht, so als wäre niemals etwas Schlimmes passiert. Das zugefügte Leid erfährt durch Vergebung niemals eine Abwertung oder Verkleinerung, sondern es wird als das gesehen und bewertet, was es ist: eine Verletzung. Die Vergebung ermöglicht eine neue Sicht auf die Verletzung, eröffnet neue Wege der Wahrnehmung – auf die eigene Verletzung und die Motive des Verletzenden.

Zu vergeben bedeutet nicht, zu vergessen

Die Redewendung „Vergeben und Vergessen“ legt nahe, beide Begriffe bedeuten das Gleiche oder zumindest etwas Ähnliches. Das ist allerdings ein Missverständnis. Im DUDEN (1989, Bd. 7, S. 780) wird „vergessen“ definiert als „aus dem (geistigen) Besitz verlieren“., Es ist demnach etwas, das ohne eigenen Willen und eigenes Zutun geschieht. „Bewusstes Vergessen“ könnte man wohl besser als Verdrängung bezeichnen.

Vergeben dagegen ist sehr wohl mit einem Willensakt verbunden: Jemand entscheidet sich, zu vergeben. Und: Um zu vergeben, muss man sich an das, was zu vergeben ist, erinnern.

Vergebung und Vergessen sind demnach zwei voneinander unabhängige Prozesse. Vergebung hat nicht Vergessen zur Folge, sondern es setzt eine emotionale Umwandlung der Erinnerung ein. Dabei schwächen sich die negativen Gefühle ab, die die Erinnerung begleiten. Das Erinnern kann sogar wichtig sein, um Veränderung glaubhaft wahrnehmen und Vertrauen bewusst aufbauen zu können. Vereinfacht könnte man sagen: „Nach Vergebung folgt nicht unbedingt Vergessen, aber ohne Vergeben folgt ganz gewiss kein Vergessen“ (Weingardt 1998, S. 6). Etwas nicht zu vergessen schützt zudem davor, in Zukunft ähnliche Situationen bewusst zu vermeiden oder zu lernen, besser mit ihnen umzugehen.

Es gibt aber auch die Haltung „Vergeben ja, aber nicht vergessen“, die sich oft in einer demonstrativen Gleichgültigkeit, Abneigung und Distanz gegenüber dem Verletzer zeigt. Vordergründig wird Vergebung ausgesprochen, z. B. aus Harmoniegründen. Aber innerlich löst man sich aus der Beziehung zum Verletzer, lässt ihn weiterhin für das Geschehene büßen, ja vielleicht sogar mental sterben. Das Nicht-Vergessen ist hier ein unterschwelliger Vorwurf und eine (oft lebenslange) Vergeltung. Sie kann auch zur inneren Aufforderung werden, bei passender Gelegenheit zurückzuschlagen. Die Erinnerung an die Verletzung wird wachgehalten und langfristig kann sie das Opfer schädigen und u. U. belastender werden als die ursprüngliche Verletzung selbst. Dabei ist das Ziel des Vergebens doch, dass die Verletzung nicht mehr zum Thema gemacht wird und der andere nicht mehr ausschließlich als derjenige gesehen wird, der etwas getan oder der versagt hat.

Es kann sehr schmerzhaft sein, die Erinnerung aufrechtzuerhalten, sich erinnern zu müssen und nicht vergessen zu können. Die betroffene Person hält an der Vergangenheit fest und ist in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Die Freiheit, Neues anzufangen, ist begrenzt. Im Interesse der Handlungsfähigkeit ist es also wichtig, zu vergessen. So wird das Geschehene verarbeitet und diese Integration ermöglicht und bringt Souveränität.

Vergebung kann, aber muss nicht Vergessen bedeuten. Extreme, lebensgeschichtlich bedeutsame Verletzungen sollten nicht vergessen werden. Trotzdem können sie vergeben werden. Vergebung heißt eben nicht, „etwas unter den Tisch zu kehren“ und alles in Vergessenheit geraten zu lassen. Vergessen steht einer sinnvollen und für beide – Verletzer und Opfer – entlastenden Vergebung entgegen.

Vergebung ist nicht der Satz: Ich vergebe dir!

Vergebung ist ein langer innerer Prozess und nicht das Aussprechen von Worten. Für Retzer (2009, S. 12) ist es weder nötig noch wichtig, dass derjenige, dem vergeben wird, diese Worte hört, und das unabhängig davon, ob die Beziehung weitergeführt wird oder nicht. Mit einer „öffentlichen“ Vergebungsbekundung möchten Menschen manchmal demonstrieren, dass die Verletzung sie nicht so getroffen hat. Sie zeigen sich als unverwundbar, erhaben und über den Dingen stehend. Dieses Verhalten schützt vor einer Auseinandersetzung mit dem schmerzlichen Erleben. Es hat etwas von „schnell vergeben“, um nicht den Schmerz spüren zu müssen. Eine Begegnung auf Augenhöhe mit dem Verletzer würde bzw. könnte die Person emotional überfordern.

Vergebung ist nicht Versöhnung

Zu den Zielen eines Vergebungsprozesses zwischen zwei Menschen zählt sicherlich auch ihre Versöhnung. Allerdings schließt Vergebung nicht zwangsläufig Versöhnung mit ein, auch nicht, dass die Beziehung weitergeführt bzw. wieder aufgenommen wird. Vielleicht ist der verletzende Partner dazu nicht bereit oder der Vergebende sieht am Ende des Prozesses keine Möglichkeit dafür. Aus therapeutischer Sicht kann es sogar sinnvoll sein, dass die Beteiligten künftig getrennte Wege gehen – um erneute Verletzungen zu vermeiden.

1.6 Kontextbedingungen, die Vergebung behindern können

Es gibt verschiedene Bedingungen, Ansichten oder charakterliche Eigenschaften, die Vergebung verhindern oder zumindest erschweren können. Einige wesentliche sollen im Folgenden vorgestellt werden.

Unkenntnis, Ängste und falsche Erwartungen

Es gibt Menschen, für die ist Vergeben an sich etwas Fremdes, doch auch diejenigen, denen die Thematik generell nicht unbekannt ist, sind sich nicht immer sicher, wie Vergebung sich praktizieren lässt. Das ist nicht verwunderlich, gibt es doch in Gesellschaft und Familie nur wenige Vorbilder, die Vergebung als hilfreiche Bewältigungsmöglichkeit vorleben. Auch mutet der Begriff also solcher religiös altmodisch an, was für viele Menschen problematisch ist. Zudem gibt es viele falsche Vorstellungen darüber, was Vergebung ist bzw. was sie nicht ist. So herrscht z. B. das Vorurteil, Vergebung sei nur etwas für Schwache.

Einer Vergebung könnte auch im Wege stehen, dass man nicht glaubt, der andere könne einem vergeben. Deshalb bittet man ihn gar nicht erst. Genauso gut könnte aber auch jemand, dem vergeben wird, unfähig sein, eine ausgesprochene Vergebung anzunehmen.

Gerechtigkeit – ein Widerspruch zur Vergebung?

In jedem Menschen steckt ein tief empfundenes Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Unrecht ruft nach Wiedergutmachung, nach Ausgleich, also nach einer Form der Ent-Schuldung. Vergebung steht daher für viele Menschen scheinbar im Widerspruch zu ihren moralisch-ethischen Werten. Indem man vergibt, so der Gedanke, würde man das verletzende Verhalten gutheißen und Absolution erteilen.

Vorschnelles Vergeben kann tatsächlich zu Widersprüchen mit eigenen Werten führen und auch zu einem Verlust der Selbstachtung. Dennoch stehen Vergebung und Gerechtigkeit nicht im Widerspruch. Eine Frau, die ihrem gewalttätigen Mann vergibt, kann sich dennoch entschließen, ihn anzuzeigen, auch um sich und ihre Kinder vor weiteren Gewalttaten zu schützen. Das Vergehen wird weder akzeptiert noch gebilligt, es wird als Straftat gesehen. Unrecht soll als solches erkannt, benannt und bewertet werden. Vergebung sorgt nicht für Gerechtigkeit im Sinn von Bestrafung oder Wiedergutmachung, der Vergebende befreit sich jedoch vom Ballast der Kränkung und Verletzung. Vielleicht kann das Opfer auch erkennen, dass der Täter mehr ist als seine ungerechte Tat – und trotzdem dem „ganzen“ Individuum vergeben.

Abhängigkeit und falsch verstandene Opferbereitschaft

Aus einem Gefühl der Abhängigkeit heraus, aus Angst vor Verlust zeigt sich mancher versöhnungs- und vergebungsbereit. Diese Art der (falschen) Versöhnung findet man häufig bei beziehungs- und harmoniesüchtigen Menschen. Um jeden Preis wollen sie die Beziehung aufrechterhalten, vermeiden Auseinandersetzungen und treten nicht für sich selbst ein. Wie sehr sie verletzt sind, nehmen sie gar nicht mehr wahr, aus Angst, den Partner zu verlieren, setzen sie sich nicht mit ihm auseinander. Zu verzeihen scheint einfacher zu sein, als Gefühle von Ärger und Wut zu zeigen. Diese Menschen übernehmen keine Verantwortung für die eigenen Gefühle, für ihrer Verletzung, ihren Groll und ihre Herabsetzung. Oft ist das lebensgeschichtlich begründet.

Wird jemandem mit so geringem Selbstwertgefühl vom Partner vergeben, so haben wir es hier oft mit einer Pseudovergebung zu tun: Aus einer scheinbar moralisch überlegenen Position blickt der Verzeihende auf den Verletzenden hinab. Es findet keine personale Begegnung statt, sondern derjenige, dem vergeben wird, dient dem Vergebenden nur als Mittel zur Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls.

Vor allem bei Frauen kippt Selbstlosigkeit leicht in eine falsch verstandene Versöhnungsbereitschaft um. Auch Männern kann es schwerfallen, ihre Gefühle von Wut und Ärger wahrzunehmen und für ihre Würde und Rechte einzustehen. Diese Männer erscheinen als „lieber Junge“, der „liebe Muttersohn“ oder „der Kümmerer“. So wird vielleicht ein Mann, der als lieber, fürsorglicher Kümmerer gilt, das Flirtverhalten seiner Frau auf einer Party still ertragen und nicht zu seinen Grenzen stehen. Wer um des „lieben Friedens willen“ die eigenen Verletzungen übergeht, behindert aber nur die Wahrnehmung von Grenzverletzungen. Wer die wahren Ursachen seines Ärgers nicht benennt und klein beigibt, leistet keinen Beitrag zu wirklicher Harmonie und Versöhnung, sondern legt vielmehr den Grundstein für den nächsten Streit.

1.7 Wirkfaktoren, die Vergebungsbereitschaft fördern können

Wie kann es gelingen, die Bereitschaft zum Vergeben zu erhöhen, bzw. was kann ein Verletzer dazu beitragen, die Bereitschaft des Opfers zur Vergebung zu erhöhen?

Reue

In verschiedenen Studien (z. B. McCullough et al. 1997, Neto & Mullet, 2004, zit. in Allemand 2008, S. 72) wurde übereinstimmend nachgewiesen: Wenn der Täter Reue zeigt, die Schuld bedauert und um Entschuldigung bittet, hat das besonderen Einfluss auf die Bereitschaft zur Vergebung. Ohbuchi, Kameda und Agarie (1989, zit. in Montada & Kirchhoff 2000, S. 8) stellten in einer anderen Studie fest, dass mit einer Bitte um Vergebung vier Nachrichten an das Opfer gesendet werden:

Reduktion der Verantwortlichkeit des Opfers,

Respekt für das Opfer,

Leugnung von Bösartigkeit und

Wiederherstellung von (sozialer) Gerechtigkeit.

Aufgrund dieser Überlegungen ist anzunehmen, dass nach Reuebekundungen die Bereitschaft zunimmt, dem Täter zu vergeben. Reuebekundungen können die Bewertung der Tat verändern, die moralische Bewertung mildern und die negativen Emotionen und Vergeltungsabsichten des Opfers reduzieren. Denn aufrichtige Reue und Entschuldigungen implizieren eine Übernahme der Verantwortung für die (unbeabsichtigte) Verletzung des Opfers durch den Täter. Zudem bestätigt Reue die Wahrnehmung des Opfers und verhindert dadurch Selbstverschuldungsvorwürfe. Reuezeigen hat eine wichtige Funktion für die interpersonelle Vergebung, vor allem dann, wenn die Vergebung an Wiedergutmachung geknüpft ist, wenn also von einer bedingten Vergebung die Rede ist. Aufgrund der Reuebekundungen und einer Entschuldigung des Täters kann das Opfer eher bereit sein zur Perspektivübernahme und damit zu Empathie für den Täter.

Doch auch wenn eine Verletzung positiv verarbeitet werden konnte, empfinden Opfer eine Verfehlung oft als schädigender für die Beziehung als die Täter. Im Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft sind Opfer deshalb häufig vorsichtiger oder können sich diese seltener vorstellen. Das könnte auch ein Grund sein, weshalb das vom Täter gezeigte Reueverhalten vom Opfer oft als überzogen und übertrieben gedeutet wird. Zeigt der Täter keine Reue, wehrt er vielmehr ab oder rechtfertigt er seine Tat, so nimmt die Bereitschaft zur Vergebung seitens des Opfers ab, auch wenn keine böswillige und negativ motivierte Tat zugrunde liegt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die verletzende Person wenig Einfluss auf das Vergeben hat. Sie erhöht aber die Chance auf Vergebung, wenn sie ihr Verhalten bedauert, Reue zeigt, oder zumindest Verantwortung für das Ereignis übernimmt, z. B. erklärt, warum man aus heutiger Sicht anders handeln würde, wenn man die Zeit zurückdrehen könnte.

Für viele Paare können zudem Formen der Wiedergutmachung als Zeichen der Reue hilfreich sein, vor allem dann, wenn ein Ungleichgewicht zwischen den Partnern entstanden ist. Indikator für eine notwendige Wiedergutmachung könnte sein, dass selbst bei geringstem Anlass die Tat vorgehalten wird. Wie ein ernst gemeintes Angebot, den Schaden in irgendeiner Weise wiedergutzumachen, aussehen kann, muss das Paar selbst aushandeln. Dabei ist wichtig, dass es bei diesen Verhandlungen keine Sieger und Verlierer gibt, sondern dass beide sich mit dem „Verhandlungsergebnis“ identifizieren können.

Empathie

Empathie spielt im Forschungsfeld der Vergebung eine sehr wichtige Rolle (Worthington & Wade 1999, zit. in Allemand et al. 2008, S. 72). Die Fähigkeit zu einem Perspektivenwechsel und der damit verbundenen Empathie erleichtert das Vergeben (Schwennen 2008, S. 156). „Empathisch zu sein heißt, den inneren Bezugsrahmen der anderen Person samt den damit verbundenen Emotionen wahrzunehmen.“ Empathie ist das Wahrnehmen der unbekannten, fremden Welt des Gegenübers, ist sozusagen ein emotionales Mitschwingen, „eine partielle Gefühlsansteckung“ und „in die Haut des anderen zu schlüpfen“, allerdings ohne den eigenen Standpunkt zu verlieren (Kast 2005, S. 68).

Werden die Motive, der Kontext, die Emotionen, Reaktionen und die Gedanken des Täters reflektiert, wird auch das Täterverhalten nachvollziehbarer und menschlicher. Dennoch können in manchen Fällen die Tat und deren Auswirkungen so schlimm sein, dass es (fast) unmöglich scheint, dafür Verständnis aufzubringen, zumal in diesen Fällen die Täter oft auch die Rechte und Werte der Verletzten missachtet haben.

Empathische Menschen können leichter vergeben als Personen, die weniger Empathie zeigen (Macaskill et al. 2002, zit. in Schwennen 2008, S. 157). Empathie ermöglicht dem Opfer, auch Ähnlichkeiten mit dem Täterverhalten zu entdecken. Der Täter wird nicht mehr ausschließlich als „Täter“ identifiziert, er wird als Mensch wahrgenommen, der verletzend gehandelt hat. Andere Eigenschaften wie zum Beispiel, seine liebenswürdige, hilfsbereite und fürsorgliche Seite, können auch gesehen werden. Empathie ist zudem ein verstehendes Hineinhören in sich selbst. Das Opfer könnte durch Visualisieren und Hineinspüren in das Geschehen erkennen und wahrnehmen, dass aus Sicht des Täters die emotionale Reaktion nachvollziehbar ist. Vielleicht hat das Täterverhalten primär gar nichts mit dem Opfer (Ehepartner) zu tun, sondern ist in den Ängsten, Aggressionen und erlebten Kränkungen aus früheren Beziehungen oder aus der Herkunftsfamilie begründet.

Linden (2005) sieht in der Fähigkeit zu einem Perspektivenwechsel und der damit verbundenen Selbstdistanz grundsätzlich die Möglichkeit zur Bewältigung von schwerwiegenden Paarsituationen, die durch Verletzungen und Kränkungen belastet sind. Gerade in verbindlichen Paarbeziehungen sollte Empathie leichter fallen, da der Partner einem näher steht, biografische Ereignisse bekannt und sein Denken und Fühlen leichter nachvollziehbar sind. Die Empathie des einen Partners ermöglicht dem anderen, ebenfalls empathisch zu werden.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Empathie Vergebung nicht nur erleichtert, sondern dass sie auch motivierend sein kann, um Vergebung aktiv anzustreben.

Beziehungsnähe und Einstellung zur Partnerschaft

Karreams et al. (2003) stellen fest, dass es offensichtlich einen positiven Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden von Paaren mit hohem Beziehungsengagement und der Bereitschaft zum Verzeihen gibt. In einer Studie von Schwennen & Bierhoff (2006) wurde deutlich, dass Vergeben „von einer hohen Ausprägung romantischer und altruistischer Liebe sowie von einer niedrig ausgeprägten spielerischen Einstellung zur Partnerschaft begünstigt wird“ (Schwennen 2008, zit. in Auhagen 2008, S. 159).

Die Art der Beziehung, ihre Bedeutung, Intensität, die Stärke des Vertrauens und der Nähe sind weitere Faktoren für die Vergebungsbereitschaft. Bei wichtigen und qualitativ guten Beziehungen wird positiver und wohlwollender zuerkannt, was die Versöhnungsbereitschaft erhöht. Die kognitiven Reaktionen fallen dann weniger negativ aus und sind ggf. auch neu zu interpretieren. Das kann heißen: „Der Mensch, den ich liebe, hat mich verletzt und ist an diesem Punkt schwierig, aber ich liebe ihn trotzdem. Ich kenne seine anderen Seiten und will die Beziehung aufrechterhalten.“ Die Beziehungsnähe ermöglicht es, negative Gefühle zu reduzieren und nach einer Lösung zu suchen, weil die Aufrechterhaltung der Beziehung wichtiger ist als die Verletzung. Je näher die Personen zueinander stehen, desto größer ist der Antrieb, sich zu versöhnen, zumal intensive und befriedigende Beziehungen mehr soziale und emotionale Ressourcen bieten. Zufriedene Paare zeigen ein höheres Maß an Vergebungsbereitschaft in ihrer Beziehung. Je mehr in einer Beziehung an Zeit, Gefühlen, einem gemeinsamen Freundeskreis, Aufbau einer Familie, dem Kauf eines Eigenheimes usw. investiert wurde, desto höher ist die Bereitschaft, sich gegenseitig zu vergeben.

Bei leichteren Verfehlungen und solchen, die die Beziehung nicht abwerten, wird eher über diese hinweggesehen (Fincham et al. 2002, McCullough et al. 2003, zit. nach Rusbult et al. 2005, zit. in Schwennen 2008, S. 159). Ist die Verfehlung stärker von Egoismus und Rücksichtslosigkeit dem Partner gegenüber geprägt, so verspüren Täter eher Schuld und Reue. Sie können dann ein für die Beziehung förderliches Verhalten hervorbringen, wie z. B. das Zeigen von Traurigkeit, Reue, Entschuldigung oder eine Form der Wiedergutmachung. Andererseits kann es durchaus sein, dass gerade bei einer engen Beziehung aus einer Enttäuschung heraus schlechter / weniger vergeben werden kann.

Lebenserfahrung, Alter und Geschlecht

Bedeutsam für den Verlauf des Versöhnungsprozesses sind die Erfahrungen, die der / die Partner bisher mit Versöhnung und Verzeihen gemacht haben / hat. In einer Befragung zur erlebten Vergebung bzw. Häufigkeit des Vergebens gaben 60 Prozent an, dass ihnen oft vergeben wurde. 29 Prozent machten manchmal gute Erfahrungen (Tausch 1991, zit. in Finsterbusch 1999, S. 43). Bei entsprechend positiven Erfahrungen wird eher verziehen. Wurden Beziehungsverletzungen aus der Kindheit oder früheren Beziehungen nicht verarbeitet, integriert und geheilt, ist die Gefahr groß, dass frühere Beziehungserfahrungen und Verhaltensmuster in neuen Beziehungen übernommen werden. So gaben 40 Prozent – ein vielleicht überraschend hoher Anteil – der Befragten an, Vergebung als positives Vorbild von den Eltern gelernt zu haben. Immerhin 18 Prozent gaben an, durch negative Erfahrungen in der Ehe der Eltern Vergebung als alternative Lösungsmöglichkeit gefunden zu haben (ebd. S. 61).

Die Bereitschaft älterer Menschen, zu vergeben, sieht Mullet (2005, zit. in Allemand et al. 2008, S. 72) in der prinzipiellen Offenheit, neue Erfahrungen machen zu wollen. Dies, um Situationen flexibler zu interpretieren und umfangreiche neuere Deutungsmuster für die widerfahrene Kränkung oder Verletzung zu finden. Er sieht den Grund für diese Haltung in einer größeren Lebenserfahrung. Insgesamt scheint, dass mit zunehmenden Alter auch die Vergebungsbereitschaft zunimmt (Lawler-Row et al. 2006, zit. in Allemand et al. 2010, S. 70).

Mit zunehmenden Alter sinkt die Bereitschaft, sich für Verletzungen zu rächen: Ältere Frauen und Männer haben weniger Rache- und Vergeltungswünsche; hingegen wiesen jüngere Männer signifikant höhere Rache- und Vergeltungswünsche auf (Ghaemmaghami et al. 2009, zit. in Allemand et al. 2010, S. 69). Bezüglich der Vergebensbereitschaft gibt es auch geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen betrachten den Vergebungsprozess als zentralen Punkt für gelingende Partnerschaften und sind von daher eher bereit zu vergeben. Männer haben dagegen eher Mühe, das Verzeihen als vitale Komponente in sozialen Beziehungen zu sehen (Konstan et al. 2001, zit. in Allemand 2010, S. 69).

Religiöse Einstellung

Die religiöse Dimension von Vergebung und Verzeihen wird in Kapitel 5 ausführlich diskutiert. Die religiöse Einstellung und der Wert der Vergebung in der Religion beeinflussen die Bereitschaft zur Vergebung. Moralische, christliche wie ethische Einstellungen und Werte, wie z. B. „nicht richten zu wollen“, wirken sich motivierend und positiv auf die Verzeihensbereitschaft von Paaren aus.

Gerade für religiöse Paare sind Vergebung und Vergebungsbereitschaft ein zentraler Ausdruck des Glaubens und ein Element, das aus dem christlichen Glauben in die Ehe tradiert wird (vgl. Ademaj 2009, S. 84 f.). Vergebung ist demnach ein gelebter, lebendiger und beziehungsförderlicher Bestandteil einer christlichen Ehe. Christen haben tendenziell eine positive Grundhaltung zur Vergebung – zumindest wäre das zu erwarten, da das Bewusstsein der eigenen Vergebungsbedürftigkeit konstitutiver Bestandteil der christlichen Gottesbeziehung ist. Der Glaube kann zur Vergebung motivieren, Kraft geben und gleichzeitig dazu befähigen, denn der Beziehung zu Gott und den Mitmenschen wird ein hoher Stellenwert im Leben gegeben. Der Faktor Hoffnung im Sinne von Möglichkeiten der Veränderung ist nicht außer Acht zu lassen. In einer Studie (Tausch 1993, zit. in Finsterbusch 1999, S. 61) gaben 29 Prozent der Befragten an, dass ihre religiöse Einstellung sie beim Thema Vergebung beeinflusst habe.

Veränderung des Selbstbildes

Zur Verarbeitung von Verletzungen gehört auch, dass die Tat in das Bild von sich selbst integriert wird. Die Tat ist geschehen, und nicht mehr rückgängig zu machen, sie ist unwiderruflicher Teil der Lebensgeschichte geworden. Das Geschehene ist als Teil der eigenen Persönlichkeit zu akzeptieren und sollte nicht als persönlichkeitsfremd abgewehrt werden. Dies gilt für Opfer wie Täter. Für das Opfer kann die intensive Auseinandersetzung mit den Verletzungen dazu führen, Vergebung zu gewähren, was ein wichtiger Schritt zur Bewältigung des Erlebten ist. Das Opfer kann selbst wieder Handelnder in seinem Leben werden und die Opferrolle hinter sich lassen. Auch der Täter kehrt durch die Vergebung nicht zurück in seinen vorherigen Lebenszustand, als ob nichts gewesen wäre. Es bleibt eine offene Wunde, diese hat aber die Chance, langsam zu heilen. Akzeptanz der erlittenen Verletzung und deren Integration in die eigene Lebensgeschichte und die unbedingte Übernahme von Verantwortung für die zugefügte Verletzung sind wichtige Bausteine für eine gute Gestaltung des eigenen Lebens und der Partnerschaft.

Im Vergebungsprozess werden dem vergangenen Unrecht und Geschehen der Platz zugewiesen, den sie verdienen: Teil der Lebensgeschichte zu sein, aber eben nur ein Teil. Die Identität wird nicht dadurch definiert.

Beim Selbst-Verzeihen ist der Fokus des Vergebens auf sich selbst als Täter gerichtet, der etwas schuldig geblieben ist oder Schaden angerichtet hat. Dies impliziert, sich selbst vergeben zu können, d. h. sich in der deutlich gewordenen Begrenztheit, Fehlbarkeit und Bosheit annehmen zu können. Schuldfähigkeit und die Fähigkeit, Vergebung anzunehmen, stehen in enger Beziehung zueinander (Frettlöh 2004, S. 172).

Jemand vergibt sich, was er einer anderen Person oder sich selbst angetan hat. Das beinhaltet, sich selbst gegenüber gnädig und wohlwollend zu sein und den Kampf gegen sich selbst zu beenden. Das schließt ein, sich ehrlich und realistisch anzuschauen, mit allen menschlichen Widersprüchen. Sich selbst zu vergeben bedeutet, die eigenen Einstellungen, Haltungen, das Bild von sich selbst zumindest teilweise zu verändern, indem man die Tat als eigenes Tun akzeptiert und trotzdem eine positive Einstellung sich selbst gegenüber einnimmt. Indem die Akzeptanz und Einstellung gegenüber der eigenen Fehlbarkeit zunehmen, verändert sich auch die Sicht auf den Partner.

Kommunikation

Besonders die Fähigkeit beider Partner für eine offene und ehrliche Kommunikation über die Verletzung ist für die Vergebungsbereitschaft und den Prozess der Vergebung bedeutsam. Gespräche über die emotionalen Folgen der Verfehlung können aufseiten des Täters den Wiedergutmachungswillen steigern und aufseiten des Opfers die Bereitschaft, Vergebung zu gewähren. Beide Partner können leichter neues Vertrauen in den anderen und für eine Befriedung schöpfen, wenn die Sichtweisen und Erlebnisse gehört und verstanden werden (Näheres dazu in den Kapiteln 2, 3 und 4).

Zeitliche Dimension der Vergebung

Einige Autoren (z. B. Weingardt 1998) machen deutlich, dass Vergebung Zeit braucht; Zeit, die sich in einem gewissen Maß dem Willen entzieht und eine individuelle zeitliche und seelische Dynamik besitzt. Denn trotz hilfreicher und förderlicher Faktoren lässt sich Vergebung zwar wirksam angehen, aber eigentlich kann sie nur als Prozess der Veränderung gesehen werden, der Zeit braucht. Prozessschritte zu überspringen gefährdet die Vergebung eher, als dass sie diese beschleunigt. Vergebung kann auch nicht direkt nach dem Konflikt oder dem erlittenen Unrecht stattfinden, weil die Kränkung, das Verletzt-Sein zu einer tiefen Erschütterung der Person führen kann und Zeit nötig ist, diese zu verarbeiten. Auch der Täter ist innerlich mit seiner Tat und den Folgen intensiv beschäftigt. Je länger andererseits ein Verletzt-Sein, eine Kränkung mit sich herumgetragen wird, desto schwieriger werden eine Auseinandersetzung damit und eine Klärung.

Zeit wird auch benötigt, um über die Verletzung und die eigene Involviertheit Klarheit zu bekommen. Zeitnah und sofort vergeben zu wollen birgt die Gefahr, die Auseinandersetzung sowohl mit der eigenen Verletzung als auch dem Täter vermeiden zu wollen. Welche Zeitdauer zum Vergeben nötig ist, hängt u.a. von der Schwere der Verletzung ab. In einer Befragung (Tausch 1993, zit. in Finsterbusch 1999, S. 44) zur Zeitdauer gaben 27 Prozent der Befragten an, dass sie Jahre benötigten, 24 Prozent brauchten Monate, und 23 Prozent konnten innerhalb von Tagen vergeben.

Selbstwertgefühl

Die Fähigkeit zur Vergebung hängt auch von der individuellen psychischen Struktur der vergebenden Person ab. Wer über eine gewisse psychische Stärke verfügt, sich positiv und stark fühlt, dem wird Vergebung wesentlich leichter fallen. Denn wer sich selbst wertschätzt und liebt, kann seine eigenen Schwächen und Fehler leichter akzeptieren und entwickelt so ein tieferes Verständnis für den Partner und auch mehr Nachsicht. Akzeptiert man seinen eigenen „Schatten“, seine eigenen negativen Persönlichkeitsanteile und sieht man die eigenen Konfliktbeiträge, so wird man ebenfalls eher zur Versöhnung bereit sein.

Selbst unsichere und von der Zuneigung des Partners abhängige Personen verzeihen oft schneller und häufiger, sie trauen sich weniger, die eigenen Interessen zu vertreten, sich zu wehren und die eigenen Gefühle wahrzunehmen und dafür einzustehen. Die eigenen Ansprüche nicht zu vertreten kann der Täter als Legitimation für sein Verhalten verstehen. Er kann dies als Zeichen sehen, sich so gegenüber dem Opfer verhalten zu können. Möglicherweise erschwert ihm dieses Opferverhalten auch die Übernahme der Verantwortung für seine Tat.

Sich gegen Verletzungen abzugrenzen fällt besonders Menschen mit geringem Selbstwertgefühl schwer. Sie lassen Kränkungen eher zu, erdulden mehr, wehren sich weniger erfolgreich und können die eigene Verletztheit anderen schlechter mitteilen. Rückzug aus Angst vor weiteren Verletzungen ist eine Folge. Diese Schutzmaßnahme kann von einer weiteren Distanzierung bis hin zur Vereinsamung führen, was die Unsicherheit erhöht und zu einem noch stärker verminderten Selbstwertgefühl führt. Um Verletztheit zu spüren und mitteilen zu können, braucht es Selbstwahrnehmung, und die Voraussetzung dafür ist Selbstbewusstsein.

Im Vergebungsprozess kann sich der Mensch wieder seiner eigenen Würde bewusst werden. „Ich bin jemand, der Achtung verdient und einfordert und der sich selbst achtet.“ Hat die Verletzung eine demütigende oder verletzende Botschaft, so ist es umso wichtiger, sich wieder seiner Würde zu erinnern, um Vergebung überhaupt vollziehen zu können (Crespo 2002, S. 62). Durch diese auf sich selbst gerichtete Aufmerksamkeit und Stellungnahme eröffnet sich dem Menschen im Vergebungsprozess ein höheres Maß an Autonomie, wodurch sich neue Ressourcen und Perspektiven eröffnen können. Dies kann zu einem veränderten positiven besseren Selbstwertgefühl, einer neuen Eigenpositionierung und persönlichem Wachstum führen. Zudem werden bei einem gestärkten Selbstwertgefühl Angriffe als weniger kränkend erlebt, man ist eher zum Verzeihen und Versöhnen bereit. Klar geäußerte Standpunkte und Meinungen sind ein Ausdruck des Selbstrespekts und des Respekts vor der moralischen und sozialen Ordnung. Trotzdem fällt Vergebung generell und unabhängig vom Selbstwertgefühl schwer.

Kämmerer (2010, S. 138) weist darauf hin, dass im Prozess des Vergebens ein wichtiger therapeutischer und befreiender Schritt möglich ist, selbst wenn die Entscheidung lautet, nicht zu vergeben. Eine Entscheidung gegen Vergebung und damit für seine Gefühle von Wut und Hass kann „Bewältigungskräfte freisetzen. Sie kann der Person, die Unrecht zu erleiden hatte, durchaus Selbstwirksamkeitspotenziale zurückgeben“. Die neu erlangte Autonomie kann zur Energiequelle werden, sich künftig zu wehren.

Im Beratungsprozess ist manchmal eine explizite Legitimation notwendig, negative Gefühle gegenüber dem Täter äußern zu dürfen. So kann sogar die Aufforderung, seine Rachegefühle zuzulassen und zu spüren, notwendig sein. Verschiedene Untersuchungen (z. B. Akhtar 2002) beschreiben, dass das Zeigen negativer Gefühle gegenüber einer Person, die einem gefühltes Leid zugefügt hat, eng verbunden ist mit der Fähigkeit zu Selbstrespekt und einem gesunden Selbstwertgefühl (Fincham 2000).

1.8 Zusammenhang zwischen Vergebung und psychischer Gesundheit

Die positive Wirkung erfolgreicher Vergebungsprozesse konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden (z. B. Enright & Fitzgibbons 2000; Tausch 1993 zit. in Kämmerer 2007, S. 231). Wer Verletzungen und Kränkungen verdrängt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass körperliche Erkrankungen entstehen. Andauernde Schuldzuweisungen, negative Gedanken und grübelnde Erinnerungen zeigen einen messbaren Einfluss auf Psyche und Immunsystem. Der Körper kann auf Gefühle wie Ohnmacht, Enttäuschung, Wut, Verbitterung und Verletzung mit Anspannung, Erschöpfung, Bluthochdruck, Schlafstörungen, Rückenproblemen und Kopf- und Magenschmerzen reagieren (Worthington1998). Allein schon die somatischen Symp­tome können sich negativ auf das Wohlgefühl in einer Partnerschaft auswirken. Empirische Untersuchungen zeigen, dass Verzeihen Ärger reduziert (Huang & Enright 2000, zit. in Allemand et. al. 2008, S. 71).

Umgekehrt kann sich gelingende Vergebung positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirken. Schon die Bereitschaft zu vergeben wirkt sich langfristig auf die Gesundheit und das Wohlbefinden aus, weil die Vermeidung oder Bewältigung unguter Gefühle und Gedanken (z. B. Rachegedanken, Wut und Hass) sowie dysfunktionaler Reaktionen und Verhaltensweisen (z. B. Vermeidung von Auseinandersetzungen) erleichtert (Enright & Fitzgibbons 2000, zit. in Allemand et. al 2008, S. 72).

Freedmann und Enright (1996, S. 983 ff.) beschreiben den Einfluss von Vergebung auf Aspekte der psychischen Gesundheit, z. B. Steigerung des Selbstwerts, Reduktion von Wut, Angst und Depression. Verzeihen kann chronische Rückenschmerzen lindern und vor dem Übergang von akuten zu chronischen Schmerzen schützen (Carson et al. 2005 zit. in Enright 2006, S. 64).

Andere Untersuchungen zeigen, dass Personen, die eine höhere Bereitschaft zum Verzeihen haben, über eine größere Anzahl von guten Beziehungen und ein stärkeres soziales Netz verfügen (z. B. McCollough 2000, 2004, zit. In Allemand et al. 2008, S. 71. Schwennen (2008, S. 161) beschreibt Verzeihen als „ein Geschenk für das körperliche und psychische Wohlbefinden“ und die Chance, „Frieden und Glück zu erlangen“, denn Wut und Groll können überwunden werden.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass Vergebung „Vorteile“ und „Nachteile“ hat:

„Vorteile“ von Vergebung

„Nachteile“ von Vergebung

Gesundheitliche Verbesserungen, psychisch und physisch

Aufgeben der Opferrolle (inkl. Verantwortungsübernahme, kein „Krankheitsgewinn“)

Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen

Eigene Fehler eingestehen und Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen, „Schuldfrage“ ist geklärt

Verbesserung der Partnerschaftszufriedenheit

Aufgabe von Macht à la „Du hast mich verletzt, darum musst du …“

Bereitschaft, dem Partner mit neuer Offenheit gegenüberzutreten

Verletzungen können nicht mehr als „Vorwurf“ verwendet werden

Konstruktive Auseinandersetzung mit dem Partner

Wahrgenommener Schutz vor erneuten Verletzungen entfällt (Klienten fühlen sich verletzlicher, wenn sie verzeihen)

Entlastung von kreisenden Gedanken (Grübeln)

Tabelle 1.1: Vor- und Nachteile von Vergebung

1.9 Tipps und Erfahrungen aus der Praxis

Eine persönliche Auseinandersetzung der Beraterin / des Therapeuten mit den Begriffen Vergebung und Verzeihen ist förderlich und hilfreich. Die Wortwahl „Vergebung“ oder „Verzeihen“ ist entsprechend den Werten und ggf. religiösen Ansichten der Klienten anzupassen und sorgsam zu verwenden. Die Begriffe können im Wechsel verwendet werden.

Die Wertesysteme beider Partner sind entscheidend und bedürfen besonderer Aufmerksamkeit, sie können der Vergebung im Wege stehen (z. B. männliches Selbstbild: „Wenn ich mich einfühlsam zeige, verliere ich meine männliche Position“).

Immer wieder auf die positiven Aspekte des Vergebens hinweisen: „die Klienten verführen“ (Enright 2006, S. 107).

Enge religiös oder weltanschaulich geprägte Vorstellungen können es schwer machen, Zugang zu Gefühlen, besonders von Wut und Ärger, zu finden. Hier ist vor vorschnellen, oberflächlichen Versöhnungsversuchen zu warnen.

Hinweis geben, dass Vergeben mit einer Entscheidung beginnt und damit einen (teilweise schwierigen und langwierigen) Prozess in Gang setzt / auf den Weg bringt.

Eine offene und ehrliche Kommunikation, in der jeder Partner seine Sicht und sein Erleben darlegen kann, ist hilfreich für ein empathisches Verstehen. Es ist sehr genau darauf zu achten, dass das Paar nicht in eine Spirale gegenseitiger Vorwürfe gerät.

Bei häufigen oder schweren Kränkungen, wie z. B. bei verbalem oder körperlichem Missbrauch, kann aufgrund des möglichen Schadens für das Opfer (und ggf. der Kinder) von einem Vergebungsprozess abzuraten sein. Insbesondere sind die Machtverhältnisse im Auge zu behalten, gerade bei Paarbeziehungen, in denen Gewalt vorkommt. Hier hat die Bearbeitung des Themas „Gewalt“ Vorrang.

Von der Zuneigung anderer abhängige und streng an Normen orientierte Personen neigen zu vorschnellem Verzeihen.

Manchmal führen auch latente Machtstrukturen dazu, dass sich das verletzte Opfer zu vorschnellem Verzeihen gezwungen sieht und eine Auseinandersetzung vermeidet.

Möglicherweise stellt sich heraus, dass gerade die Aufforderung zu verzeihen eine latente, lebensgeschichtlich bedingte Wut zutage fördert, die dem Verzeihen im Paarsetting entgegensteht.

Für Klienten ist der Prozess ein Willensakt, der eine Entscheidung braucht, weil deutlich ist, dass Vergebung gut und hilfreich ist, um Verletzungen loszulassen, und dass die Vorteile die Nachteile überwiegen.

Es gibt gute Argumente für das Vergeben. In der Paarberatung lohnt es sich, Vergebens- und Versöhnungsprozesse zu fördern, auch wenn dieser Prozess viel Energie und Geduld kostet. Er weist aber den Verletzungen und Kränkungen der Vergangenheit den Platz zu, den sie verdienen: Sie sind ein Teil, aber eben nur ein Teil. Die Geschehnisse der Vergangenheit sind Teil der Identität beider Partner, sie sind aber nicht bestimmend über ihr Bild von sich selbst und von ihrer Beziehung.