Verzweiflungstaten - Megan Nolan - E-Book
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Verzweiflungstaten E-Book

Megan Nolan

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Beschreibung

Die Geschichte einer unmöglichen Liebe.

Eine junge Frau, trifft in Dublin in einer Galerie Ciaran, „den schönsten Mann der Welt", und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Sie haben eine kurze, intensive Beziehung, dann bleibt sie allein zurück, schwankend zwischen Unabhängigkeit und dem Wunsch, begehrt zu werden, auch wenn sie instinktiv spürt, dass Ciaran nicht gut für sie ist ...

Eine aufrichtige Selbstbeobachtung, die Geschichte eines weiblichen Begehrens, das sich hinwegsetzt über die eigenen Bedürfnisse – verletzlich und hypnotisch – von einer der aufregendsten neuen Stimmen der Literatur.

„Ein riesiges Talent — und eine Liebesgeschichte wie keine zweite.“ Karl Ove Knausgard.

„Hypnotisch von der ersten Seite an.“ Publishers Weekly.

„Das eindrückliche Porträt einer Beziehung, die ins Toxische übergeht, und die Erkundung von Erwachsenwerden, Verlorensein und Exzess, einem tieferen Gefühl, mit der Welt nicht in Einklang zu sein.“ The Guardian.

„Eine aufregende neue Autorin, intelligent und mutig erzählt.“ The Sunday Times.

„Die Geschichte einer obsessiven Liebe. Es beschreibt so gut, wie sich das anfühlt, sich zu verlieben, und dann auch diese ganz andere Seite, die Angst, das Hadern, die Selbstzweifel – ein starkes Debüt.“ David Nicholls.

"Das großartige Porträt einer jungen Frau, die im Namen ihres eigenen Begehrens nicht gut zu sich ist. Entwaffnend, wie sehr man sich mit ihr identifiziert.“ Stylist.

„Nolans direkte und eindrückliche Art zu schreiben schimmert unvergleichlich… sie schreibt über eine obsessive Liebe und entzaubert deren fatale Anziehung.“ The New York Times Book Review.


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Seitenzahl: 301

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Über das Buch

»Ein riesiges Talent — und eine Liebesgeschichte wie keine zweite.« Karl Ove Knausgard

»Hypnotisch von der ersten Seite an.« Publishers Weekly

»Das eindrückliche Porträt einer Beziehung, die ins Toxische übergeht, und die Erkundung von Erwachsenwerden, Verlorensein und Exzess, einem tieferen Gefühl, mit der Welt nicht in Einklang zu sein.« The Guardian

»Eine aufregende neue Autorin, intelligent und mutig erzählt.« The Sunday Times

»Die Geschichte einer obsessiven Liebe. Es beschreibt so gut, wie sich das anfühlt, sich zu verlieben, und dann auch diese ganz andere Seite, die Angst, das Hadern, die Selbstzweifel – ein starkes Debüt.« David Nicholls

»Das großartige Porträt einer jungen Frau, die im Namen ihres eigenen Begehrens nicht gut zu sich ist. Entwaffnend, wie sehr man sich mit ihr identifiziert.« Stylist

»Nolans direkte und eindrückliche Art zu schreiben schimmert unvergleichlich… sie schreibt über eine obsessive Liebe und entzaubert deren fatale Anziehung.« The New York Times Book Review

In ihrem magnetischen Debut erzählt Megan Nolan die Geschichte einer unmöglichen Liebe: Die Ich-Erzählerin, eine junge Frau, trifft in Dublin in einer Galerie Ciaran, »den schönsten Mann der Welt«, und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Sie haben eine kurze, intensive Beziehung, dann bleibt sie allein zurück, schwankend zwischen Unabhängigkeit und dem Wunsch, begehrt zu werden, auch wenn sie instinktiv spürt, dass Ciaran nicht gut für sie ist. Eine aufrichtige Selbstbeobachtung, die Geschichte eines weiblichen Begehrens, das sich hinwegsetzt über die eigenen Bedürfnisse – verletzlich und hypnotisch – von einer der aufregendsten neuen Stimmen der Literatur.

Über Megan Nolan

Megan Nolan wurde 1990 in Waterford, Irland, geboren. Texte von ihr erschienen in The New York Times, The White Review, The Sunday Times und The Guardian. »Verzweiflungstaten« ist ihr literarisches Debüt. Sie lebt in London.

Instagram @mmegannolan

Lisa Kögeböhn, geboren 1984, studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und Strasbourg. Seit 2010 übersetzt sie Romane und Sachbücher aus dem Englischen und Französischen, unter anderem Kevin Kwan und Steven Price. Sie lebt in Leipzig.

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Megan Nolan

Verzweiflungstaten

Roman

Aus dem Englischen von Lisa Kögeböhn

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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April 2012, Dublin

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

November 2012

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Weihnachten 2012, Waterford

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Januar 2013, Dublin

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

April 2013

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Oktober 2013

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Januar 2014

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Mai 2014

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

August 2014

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

September 2014

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Mai 2015, Athen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Danksagung

Impressum

Für meine Mam, Sue, und meinen Dad, Jim

Und – hast du bekommen, was du haben wolltest von diesem Leben, trotz allem?

Ja, hab ich.

Und was wolltest du?

Sagen können, dass ich geliebt werde, mich geliebt fühlen auf dieser Erde.

Raymond Carver, Spätes Fragment

In einer psychiatrischen Klinik sagte ein Mädchen von 17 Jahren zu mir, sie habe schreckliche Angst, weil die Atombombe in ihr drin sei.

RonaldD. Laing, Das geteilte Selbst

April 2012 Dublin

1

Als ich ihn zum ersten Mal sah, tat er mir furchtbar leid.

Auf der Suche nach den Getränken schaute ich mich um, ich hatte Durst, und so fing alles an.

Er stand in der Galerie vor einer Skulptur, einem grotesken Ding. Sie war rosa und sollte anscheinend so etwas wie ein mutiertes menschliches Ohr darstellen. Er war in ein Gespräch vertieft und gestikulierte wild. Da fiel mir auf, dass ich ihn gar nicht zum ersten Mal sah. Ich hatte ihm einmal in der Rathmines Library gegenübergesessen und ihn schon damals für den schönsten Mann der Welt gehalten. Wir hatten einander tief in die Augen geschaut.

Zu der Zeit hatte ich einen Freund, aber auch ohne war ich noch nie einem Mann gegenüber so offensiv gewesen. Als ich hinterher über ihn nachdachte, kam ich zu dem Schluss, dass er nur auf der Durchreise sein konnte. In Dublin, ach was, in ganz Irland gab es niemanden wie ihn, niemanden, der so aussah, dachte ich. Jemand derart Schönes konnte unmöglich unter uns leben.

Jetzt stand er keine drei Meter von mir entfernt, und ich sah ihn mir noch einmal ganz genau an.

Ciarans Haare waren blond, ein dunkelblonder Flaum wie der von Babys an der Schwelle zum Kleinkind. Er hatte große graue Augen und eine Adlernase, darunter ein perfekter, engelsgleicher Mund. Seine Lippen waren rosig und leicht verkniffen, als würde er entweder schmollen oder gleich loslachen. Er war sehr groß, und man sah seiner Haltung an, dass er schon immer versucht hatte, das zu verstecken.

Seine Hände waren feingliedrig und ebenfalls erstaunlich groß, selbst im Verhältnis zu den langen Armen, an denen sie hingen. Seine Knochen wirkten irgendwie zarter als die anderer Männer. Jeder einzelne seiner Körperteile war hübsch, aber es war irgendwas an ihrer Anordnung, das mich direkt dahinschmelzen ließ. Zum Beispiel seine Wangenknochen, die so hoch waren, dass sie seinen Augen einen grausamen Ausdruck verliehen; zum Beispiel seine langen Finger, die beim Sprechen so gezielt in die Luft griffen, als würde er unsichtbare Objekte darin anordnen.

Das Bemerkenswerte an Ciaran war nicht nur seine außergewöhnliche Schönheit, sondern die enorme Ruhe, die von ihm ausging. Diese Ruhe lag in jeder Geste, jedem Blick, jedem Lachen. Er erwartete nichts von seiner Umwelt.

Das fiel besonders in dieser Umgebung auf, inmitten von Kunst, wo dir jeder, mit dem du sprichst, ständig über die Schulter sieht und nach einem Kurator Ausschau hält. Obwohl er nicht unbedingt glücklich aussah, wirkte er geerdet, als sei sein Inneres seine ganze Welt.

2

Ist es möglich, jemanden aufgrund seines Äußeren zu lieben, ohne ihn zu kennen? Wie soll ich beschreiben, was mir damals passiert ist – ohne das Wort Liebe zu benutzen?

Ich stand in der Galerie und verspürte nicht einfach eine sexuelle Anziehung (die ich auch entfernt wahrnahm, aber eher als eine Art Hintergrundrauschen), sondern etwas, das ich nur als heftiges, tief empfundenes Mitleid beschreiben kann.

Damit meine ich gar nicht, dass ich mich ihm überlegen gefühlt hätte; während unseres gesamten gemeinsamen Lebens hielt ich Ciaran in jeder Hinsicht für besser als mich.

Mitleid soll heißen, dass mich sein Zustand, sein Menschsein, schon beim Hinschauen extrem berührte. Die Empathie, die jedes menschliche Wesen in mir hervorruft, nahm mit ihm ein Ausmaß an, das mir den Atem raubte. Selbst jetzt, selbst nach allem, was zwischen uns passiert ist, spüre ich noch, wie ergriffen ich von ihm bin.

Ciaran war nicht der erste schöne Mann, mit dem ich schlief, und auch nicht der erste Mann, der obsessive Gefühle in mir hervorrief, aber er war der erste Mann, den ich anbetete. Sein Körper sollte eine heilige Stätte für mich werden, ein Ort, an dem ich mich selbst vergessen und ganz in ihm aufgehen konnte. Ein Gegenstand absoluten Genusses, absoluter Schönheit.

Meint ihr, mir wäre nicht bewusst, dass ich seinen Körper als einen Ort bezeichne, einen Gegenstand? Meint ihr, mir wäre nicht bewusst, was es heißt, als Frau so über den Körper eines Mannes zu sprechen? Was weiß ich schon von Männerkörpern – und hat auch nur einer von ihnen ein weiteres Loblied verdient oder nötig?

3

Ciarans Blick blieb an mir hängen, er lächelte und zog die Augenbrauen hoch, als er mich erkannte – das hoffte ich zumindest. Ich ging zu ihm, und er wandte sich von seinem Gesprächspartner ab.

»Ach, du bist es«, sagte er, als wären wir verabredet.

»Genau die«, erwiderte ich albern und spürte, wie ich rot wurde, als ich mich das sagen hörte. Ich klang fürchterlich irisch und bemüht kumpelhaft. Ciarans Akzent konnte ich nicht einordnen.

»Wie heißt du eigentlich?«, fragte ich.

»Ciaran«, sagte er, und dann, als hätte er meine Gedanken gelesen: »Aber eigentlich ist nur mein Vater Ire. Ich bin Däne.«

Ich sah ihm in die Augen, und meine Scham wich dem Knistern, das in der Luft lag.

Schüchtern lächelten wir einander an.

»Wie findest du die Ausstellung?«

»Puh«, sagte ich und versuchte, Ciarans Frage so schlagfertig wie möglich zu beantworten. »Ist halt ein Raum voller Zeug … Kann ich nicht viel mit anfangen, ich bin bloß wegen der Getränke hier.«

Auf den letzten Teil, mit dem ich versucht hatte, ihn auf vertrauteres Terrain zu locken, ging er nicht ein.

»Geht es nicht genau darum? Zu verstehen: warum diese Objekte in genau diesem Raum?«, fragte er stattdessen.

Ich versuchte einen scherzhaften Unterton herauszuhören, aber er schien es ernst zu meinen.

»Was Kunst angeht, fehlen mir einfach die Grundlagen. Über andere Sachen kann ich mich unterhalten, weil ich genug davon verstehe. Aber bei so was hier fehlen mir komplett die Worte, das Bezugssystem.«

Er lächelte wieder. In seinem Blick lag jetzt definitiv etwas Sexuelles, beinahe Höhnisches. »Tja, das ist für mich eigentlich gerade das Gute an Kunst.«

»Wollen wir uns was zu trinken holen?«, fragte ich.

»Ich muss los, und die Getränke sind eh aus – hier, kannst meins haben.« Er gab mir sein fast volles Bier und nahm seine Tasche. »Hast du Lust, morgen mit mir spazieren zu gehen?«

Er deutete meinen weggetretenen Blick wohl als Zustimmung, jedenfalls schrieb er seine Telefonnummer auf eine Serviette und reichte sie mir.

»Gut«, sagte er, und weg war er.

4

Ich wohnte in einer kleinen Erdgeschosswohnung in Ranelagh und ließ nachts das Fenster offen, damit ich hineinklettern konnte, wenn ich meinen Schlüssel verloren hatte, was häufig vorkam. Am ersten Abend nach dem Auspacken hatte ich auf dem Bett gesessen und den Blick über Andenken und Krimskrams schweifen lassen. Zeichnungen und Briefchen von früheren Affären und Freunden, Postkarten, Fotos, Porzellanfiguren und alte Aschenbecher. Ich brauchte diese Dinge, verteilte sie in jeder neuen Wohnung als allererstes auf Wände und Regale, doch jetzt war ich allein, und sie kamen mir albern vor. Sie wirkten wie Requisiten für ein schlechtes Theaterstück, als wollten sie eine Persönlichkeit heraufbeschwören, wo keine war.

Als ich zum ersten Mal allein wohnte, spaltete ich mich so grundlegend von mir selbst ab wie nie zuvor.

Auf der einen Seite gab es mein öffentliches Leben, in dem ich arbeiten, tanzen und trinken ging und unter Menschen immer lustig und energiegeladen war; in dem ich in Bars mit Männern flirtete und manchmal mit ihnen nach Hause ging; in dem ich allen erzählte, wie gern ich allein wohnte, und sie mir glaubten, weil ich so glücklich war.

Und ich war wirklich glücklich, wenn ich glücklich wirkte. Ich kann mich nicht verstellen, meine Gefühle sind bloß nie kohärent, nie von einer Stunde zur nächsten dieselben.

Auf der anderen Seite gab es das Leben in meinem Apartment, wo ich versuchte, mich durch Selbstfolter gefügig zu machen und zur Ruhe zu zwingen. Ich konnte nicht allein und glücklich sein, und weil ich wusste, dass das ein Zeichen von Schwäche war, zwang ich mich, es so lange auszuhalten, bis es nicht mehr ging, selbst wenn ich manchmal Angst hatte, verrückt zu werden. Mit anderen Menschen zusammen zu sein gab mir das Gefühl, in meinem Dasein bestätigt zu werden. Deshalb wollte ich auch verliebt sein. Wer verliebt ist, braucht nicht die ununterbrochene körperliche Anwesenheit des Geliebten. Liebe allein reicht, die beschissenen Momente zu überstehen und mit Sinn zu füllen, die du sonst mit dem vergeblichen Versuch verschwenden würdest, endlich ein normaler Mensch zu sein, in deinem Loch von einer Wohnung auf und ab zu tigern, den Wein ja nicht vor sieben Uhr abends aufzumachen.

Verliebtheit ist ein Segen, verleiht dir eine Art Gnade. Ein Freund von mir hat mal gesagt, er stelle sich beim Arbeiten immer vor, sein Vater oder Gott würde ihn beobachten, damit er etwas schafft. Genau so wirkte Verliebtheit auf mich, wie ein Schutzschild, ein höherer Zweck, die Verheißung von etwas außerhalb meiner selbst.

Am Abend, an dem ich Ciaran kennenlernte, betrank ich mich heftiger als je zuvor. Für mich gab es zwei Arten des Trinkens. Bei der einen war ich normalerweise allein und hatte nicht das Bedürfnis, betrunken zu sein, sondern wollte einfach die Zeit weniger trostlos herumbekommen. Es war ein langsames Betrinken, vielleicht alle halbe Stunde ein Glas Wein, insgesamt nicht übermäßig viel, wenn auch nie weniger als eine Flasche, und zeichnete sich durch rührseliges Selbstmitleid aus, das gelegentlich in Autoaggression kippte.

Die zweite Art des Trinkens war wesentlich exzessiver, extrem ausgelassen und manisch; an solchen Abenden gab ich massenhaft Geld aus, das ich nicht hatte, weil mir – noch mehr als sonst – jegliche Zeit jenseits der Gegenwart absolut unwirklich vorkam und die Bedürfnisse im Jetzt so dringlich waren.

Der Exzess dieser Abende war nie deprimierend, sondern gehörte zum Jungsein ohne Verpflichtungen und Stabilität einfach dazu. Meist war vorher klar, in welche Richtung der Abend gehen würde, es lag schon Übermut in der Luft, wenn wir mit dem Trinken anfingen. Gierig stürzten wir die ersten Drinks hinunter, konnten es kaum erwarten, dass Lockerheit und Euphorie einsetzten. Es gab Dinge, die wir, anders als erwartet, immer noch nicht erreicht hatten.

An solchen Abenden lernte ich manchmal Leute kennen, die anders waren als ich, Leute, die aus reichen Familien stammten und in Wohnungen wohnten, die sie von ihren Eltern so selbstverständlich geschenkt bekommen hatten wie wir Normalsterblichen Bettelarmbänder und Buchgutscheine zum Geburtstag. Einer von ihnen, Rogers, ein kleiner, drahtiger Typ mit Porzellanteint und wippender blonder Wiedersehen-mit-Brideshead-Tolle, brach ungefähr gleichzeitig mit mir das Studium ab. Ein paar Monate später traf ich ihn zufällig auf einer Party und fragte ihn, was er mache. Ich war ziemlich überrascht, als ich hörte, dass er inzwischen einen mittleren Managementposten in einer großen PR-Firma hatte, denn wir waren beide gerade einmal neunzehn und ohne Abschluss. Ich hangelte mich immer noch von einem schlecht bezahlten Nebenjob zum nächsten.

Als ich ihn ganz naiv fragte, wie er das angestellt hätte, zwinkerte er mir zu und sagte: »Der Name Rogers hat eben Gewicht in dieser Stadt.« Dieser Spruch war an sich schon abstoßend genug, wurde aber erst richtig absurd, als mir ein gemeinsamer Freund eröffnete, dass die Firma in Wirklichkeit seinen Eltern gehörte. Der Name Rogers hat eben Gewicht in der Familie Rogers, dachte ich von da an jedes Mal, wenn ich ihn sah, mit wachsendem Neid.

Wie die meisten meiner Freunde war ich eine gute Trinkerin, soll heißen, ich vertrug viel, trank gerne und wurde in betrunkenem Zustand nie unangenehm.

Es war für mich ein Dauerzustand. Leicht verkatert war ich eigentlich jeden Morgen, richtig schlimm vielleicht zweimal die Woche. Wenn es schlimm war, vertrödelte ich ganze Tage im Bett, scrollte lust- und ziellos durch mein Handy, gefangen in einer beruhigenden Endlosschleife. Ich blinzelte durch die Vorhänge in die Vier-Uhr-Nachmittagssonne und beschloss, lieber drinnen zu bleiben, bis es dunkel wurde. Ich hatte solche Angst.

Ich habe mal einen Fragebogen ausgefüllt, mit dem man den Grad seiner Alkoholabhängigkeit bestimmen konnte. Die letzte Frage im dritten Abschnitt, in dem es um lebensbedrohlichen Alkoholismus im Endstadium ging, lautete: »Kommt es häufig vor, dass Sie am Morgen nach einem Alkoholexzess völlig verängstigt sind?« Als ich das las, dachte ich: Völlig verängstigt, das trifft es genau.

Völlig verängstigt. Das war der perfekte Ausdruck für diese leicht ältliche Angst, mit der ich morgens aufwachte. Sie erinnerte mich an filmische Darstellungen tattriger alter Frauen am Rande der Demenz, die sich nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr im Haus zurechtfinden; genau diese Form von vager, aber vollkommener Verunsicherung und Verwirrtheit. Ich wachte andauernd völlig verängstigt auf.

William Faulkner reiste im Endstadium seines Alkoholismus nach New York, um Freunde zu besuchen und ins Theater zu gehen. Nach zehn Tagen heftigen Trinkens verschwand er plötzlich. Ein Freund fuhr zu seinem Hotel, um nach ihm zu sehen, und nachdem er erfolglos an seine Zimmertür gehämmert und ihn gerufen hatte, bestand er darauf, dass die Hotelangestellten aufschlossen. Er platzte ins Zimmer und fand Faulkner halb bewusstlos und stöhnend auf dem Badezimmerboden.

Ein seltsamer, beißender Geruch hing in der Luft. Trotz eisiger Temperaturen standen alle Fenster offen. In der Nacht war Faulkner aufgestanden, weil er sich übergeben musste, und gegen ein Heizungsrohr gefallen. Er hatte augenblicklich das Bewusstsein verloren und nicht gespürt, wie sich das Rohr über Stunden in seinen Rücken brannte. Als er schließlich gefunden wurde, hatte er bereits Verbrennungen dritten Grades.

Im Krankenhaus rief man seinen Arzt, Dr. Joe, und der fragte ihn: »Warum tun Sie das?«

Angeblich reckte Faulkner das Kinn und erwiderte: »Weil ich will!«

Sein Verleger Bennett besuchte ihn.

»Bill«, sagte er, und ich stelle mir vor, wie er auf seine Hände starrte, weil er seinem Freund nicht in die Augen sehen konnte, und ganz leicht mitleidig den Kopf schüttelte. »Warum tust du das? Ausgerechnet im Urlaub?«

Faulkner schnaubte empört und baute sich im Bett zu voller Größe auf. »Bennett«, sagte er, »weil ich nun mal Urlaub hatte.«

Warum tust du das? Weil ich will.

Nicht weil es mir so viel Spaß macht, sondern: weil ich mich dafür entscheide.

Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.

Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes?

Römer, 7:15–25

Am Abend, an dem ich Ciaran kennenlernte, trank ich, bis ich kotzte und die Blutgefäße um meine Augen platzten, und ich fuhr vor dem Spiegel sanft mit dem Finger darüber und wusste, das war der Anfang.

5

Mir waren auch vorher schon schlimme Dinge zugestoßen, schlimmer als das, was mit Ciaran auf mich zukommen sollte. Schmutzige Stationen im Leben einer versehrten Frau. Aber ich will nicht zu früh darüber sprechen, denn das ruft sofort das Desinteresse der aufgeklärten Leserschaft auf den Plan. Weibliches Leid ist billig und wird billig von Frauen benutzt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Unter all den weiblichen Todsünden rangiert der Wunsch nach Aufmerksamkeit sicherlich ganz weit oben.

Alles Leid, das ich vor Ciaran ertragen musste, ertrug ich wie ein Kind. Das soll nicht heißen, dass es nicht einschneidend gewesen wäre, das war es durchaus, oder dass ich es nicht verstanden hätte, das tat ich durchaus. Aber vor Ciaran betrachtete ich Leid als etwas mit einem tieferen Sinn. Selbst die unerklärlichsten Tragödien waren für mich mit einer noch unbekannten Absicht aufgeladen.

In meiner Wahrnehmung hatten Menschen entweder Glück oder Pech, und ich war eine, die Glück hatte. Selbst in meinen depressivsten Phasen war mir das stets bewusst. Mein Elend schien dem Wissen zu entspringen, nicht gut genug für mein objektiv glückliches Leben zu sein.

Ich war nicht religiös genug, um zu sagen: »Nichts geschieht ohne Grund« oder »Gott lädt uns nicht mehr auf, als wir tragen können«, aber mein Gefühl kam diesen Sätzen ziemlich nahe. Es besagte, dass jedes Leben ein Skript und ein Schicksal hat. Es besagte, dass Unglück, ganz egal wie groß, uns schließlich unserer ureigenen, unausweichlichen Bestimmung zuführen wird.

In meinem Verständnis würde mich jede meiner Handlungen unweigerlich ans Ziel führen, und mein Ziel war die Liebe. Die Liebe war mein großer Trost, würde die Felder meines Lebens mit einem Mal in Flammen setzen und nichts zurücklassen. Für mich war sie der große Gleichmacher, eine Kraft, die mich reinigen und ihrer durch ihr bloßes Auftreten würdig machen konnte. Seit meiner frühen Kindheit hatte es keine Religion mehr in meinem Leben gegeben, stattdessen hatte ich einen tiefen Glauben an die Liebe entwickelt.

Lacht mich bitte nicht aus, weil ich als Frau so etwas sage. Ich höre mich selbst reden.

6

Am nächsten Morgen schrieb ich ihm, und wir verabredeten uns für zwei Uhr vor dem Naturkundemuseum. Ich duschte heiß und spuckte nach dem Zähneputzen Blut ins Waschbecken. Ich hatte einen üblen Kater, aber ohne mich krank zu fühlen; es war dieser angenehme Zustand des Nichtganznüchternseins. Und ich war froh darüber. Verkatert durchs Leben zu gehen ist anstrengend, aber nüchtern ist es schließlich auch kein Spaziergang. Benebelt und betäubt vom Kater wirst du durch den Tag getragen, ohne diesem groß Beachtung zu schenken, bist viel zu sehr von Wehwehchen und Nachdurst abgelenkt, als dass dich irgendwas sonst stören könnte.

Ich hatte seit Mittag des vorigen Tages nichts mehr gegessen und wurde auf dem Hinweg leicht zittrig. Ich versuchte, mich an sein Gesicht zu erinnern, und musste feststellen, dass meine heftige Verknalltheit das nicht zuließ. Zwar konnte ich mir einzelne Teile in Erinnerung rufen, aber sobald ich sie zusammensetzen wollte, entschwebten sie in einer flimmernden Wolke. Ich lachte nervös und schüttelte den Kopf, voller Zuneigung für mich selbst. Ich liebe mich verliebt. Ich finde meine Gefühle spannend und menschlich, habe ausnahmsweise mal Verständnis für mein eigenes Tun.

Als ich ankam, wartete er schon, streifte über den Rasen und schaute sich in Tierform geschnittene Hecken an. Ich ging zu ihm und berührte ihn am Ellbogen, spürte seine Wärme unter der abgetragenen rostfarbenen Strickjacke. Das war mir schon bei der Vernissage aufgefallen – er trug Klamotten, die an seinem Körper zwar unweigerlich elegant wirkten, sich jedoch am Rand des Zerfalls befanden. Sie waren nicht bloß modisch zerschlissen, sondern sahen aus, als hätten sie jegliche Funktionalität als Kleidungsstück ein für alle Mal eingebüßt. Genügsamkeit – das gefiel mir unwillkürlich. Mein Vater hat mal gesagt, die Eigenschaft, die er an einem Menschen am meisten bewundere, sei Genügsamkeit, und seitdem achte ich darauf.

Wir umarmten uns zur Begrüßung, und ich spürte durch die abgetragenen Schichten, wie dünn er war. Er wirkte auf mich leicht anders als am Vorabend. Zwar strahlte er noch immer eine starke Ruhe aus, aber jetzt lag eine gewisse Anspannung in seinem Gesicht. Ich fragte mich, ob er nervös war. Meine eigene Nervosität war in erster Linie darauf zurückzuführen, dass ich nicht mehr betrunken war. Bisher hatten alle meine romantischen Beziehungen angefangen, wenn ich betrunken war, die meisten durch Zufall.

Der Ort war schlecht gewählt für ein erstes Date. Wir mussten herumlaufen und uns auf andere Dinge statt aufeinander konzentrieren. Zwischen Kommentaren zu den Ausstellungsstücken herrschte immer wieder Schweigen, aber wir unterhielten uns genug, um flüsternd ein paar grundlegende Informationen auszutauschen. Ich erfuhr, dass er vor einem Jahr nach Dublin gezogen war, um Zeit mit seinem kranken Vater verbringen zu können, dem es inzwischen besser ging. Vorher hatte er als Kunstkritiker in der Nähe von Kopenhagen gewohnt. Hier versuchte er, Essays zu schreiben, verdiente sein Geld jedoch als Werbetexter und Rezensent für eine Zeitschrift.

Das wiederkehrende Schweigen verunsicherte mich so sehr, dass ich fürchtete, jeden Augenblick loszuprusten. Dabei war es wenig hilfreich, dass wir uns im Museum befanden, einem schäbigen, dunklen, wunderschönen alten Gebäude, dessen Ausstellungsstücke teilweise unfreiwillig komisch wirkten. Meine Freunde und ich kamen manchmal her und lachten uns über die uralten, extrem stümperhaft ausgestopften Tiere kaputt. Doch Ciaran ging mit solcher Konzentration durch die Räume, dass ich mir doof vorkam in meiner Albernheit.

Während er sich die Schmetterlinge ansah, musterte ich ihn so lange und unauffällig wie möglich. Ich wollte ihm nah sein. Ich ging zu ihm, nahm ihn wieder am abgewetzten Ellbogen und fragte ihn, ob wir nicht etwas essen gehen wollten.

Draußen, nachdem wir unter weiterem Schweigen die Treppe hinuntergegangen waren, drehte er sich zu mir um und sagte: »Also, das war ja mal ein schlechtes Museum.« Sein völliger Ernst dabei brachte mich zum Lachen, und er lachte mit.

Den Rest des Tages verbrachten wir gemeinsam und unterhielten uns ausführlicher. Er beschrieb mir seine Heimatstadt und meinte, er sei nicht traurig gewesen, sie zu verlassen. Ich erzählte ihm, dass ich die Uni abgebrochen hatte und mich seitdem mit vielen komischen Jobs über Wasser hielt. Ich sagte, ich würde auch schreiben, mit dem demütig gesenkten Blick einer Heiligen, das Gesicht abgewandt, in der Angst, aber zugleich auch leisen Hoffnung, dass mein Gegenüber nachfragte. Bei den meisten Männern war diese Angst unbegründet, und Ciaran bildete da keine Ausnahme. Er nickte knapp und wechselte das Thema.

Abends gingen wir an den Quays spazieren, dann musste er los, weil er noch in seinem Atelier zu tun hatte. Er küsste mich und hielt danach mein Gesicht umfasst, betrachtete es zufrieden und sagte, wir würden uns bald wiedersehen.

Als wir in entgegengesetzte Richtungen losgingen, schaute ich über die Schulter zurück, er tat das Gleiche, und ich wurde von einer euphorischen Leichtigkeit erfasst. Wir lachten, ich drehte mich wieder um und rannte los – ich konnte nicht anders, das Gefühl war zu heftig. Ich rannte und rannte, kam aus dem verblüfften Lachen gar nicht mehr heraus, dachte an seinen Kuss und dass ich niemand anderen mehr küssen wollte als ihn.

Im Nachhinein wundert mich am meisten, wie gemächlich der Tag mit ihm verlaufen war. Wir hatten uns gut verstanden, einander sympathisch gefunden, uns offenkundig zueinander hingezogen gefühlt, aber die Unterhaltung hatte sich an keinem Punkt verselbstständigt. Der Augenblick, den ich mit allen anderen vor ihm erlebt hatte, wenn man spürt, wie alles sich auf einmal fügt, einen Rhythmus findet, war nicht eingetreten.

Ich glaube, selbst damals, im allerersten Taumel, als ich im April-Sonnenuntergang an den Quays entlangrannte, war mir das bewusst. Mir war egal, ob er lustig war, was er von mir hielt oder welche Bücher wir beide gelesen hatten.

Ich liebte ihn vom ersten Augenblick an, und es gab nichts, was er oder irgendwer sonst daran hätte ändern können.

7

Vor Ciaran hatte ich schon einige Männer ausprobiert. Ich probierte damals generell vieles. Ich war in einem seltsamen Alter. Plötzlich war ich nicht mehr der knapp-volljährige-aber-versierte Teenager, der so viel Macht über Männer ausgeübt hatte. Aber ich war auch noch längst nicht die beherrschte Erwachsene, die sie mit ihrer Unabhängigkeit hätte beeindrucken können.

Ich war beliebt, weil ich zwar attraktiv, aber nicht einschüchternd attraktiv war. Ich war gut gelaunt, umgänglich und konnte manchmal auch gemein sein, aber auf eine witzige Art. Ich sah aus wie eine Frau und vögelte wie eine, aber redete, trank und konsumierte Drogen wie ein Kerl. Ich konnte einen DJ mit schlaksigem, weichem Körper mit nach Hause nehmen und am Morgen danach ohne einen Hauch von peinlicher Romantik oder Pflichtgefühl mit ihm durch die Stadt streifen. Wir konnten in unseren falschen Pelzmänteln Kaffee oder ein verschwörerisches, verfrühtes Bier trinken, ehe wir getrennte Wege gingen und ich ihn am selben Abend in einem anderen Club mit einem der echten Mädchen wiedersah, großen, spindeldürren Mädchen, die neben dem Kunststudium modelten. Eigentlich wäre ich wohl gern eins dieser echten Mädchen gewesen, wusste nur nicht, wie, wusste nicht, wie ich Typen anders näherkommen sollte, als mit ihnen zu feiern. Ich hatte durchaus meine Reize, nur nicht die, die ich gerne gehabt hätte, und ich wusste nicht, wie ich das ändern sollte.

Mein Leben als Partygirl schwand dahin. Ich schlief mit zu vielen vergebenen Männern, kotzte in zu viele Wohnzimmer. Ich war nicht mehr angenehm lustig, sondern nur noch krampfhaft lustig, und irgendwann sowieso zu alt für das Ganze.

Ich stieg auf wesentlich ältere Männer um. Kopflos wie ich war, stolperte ich ganz einfach in ihr Leben. Bei ihnen kam es weniger darauf an, ob ich tatsächlich schön, außergewöhnlich, interessant war. Natürlich war ich an sich noch sehr jung, wenn auch nicht mehr jung genug, um die Partyqueen zu spielen. Aber jung genug, um allein dadurch unwiderstehlich für sie zu sein, Projektionsfläche für alles, wozu sie den Zugang verloren zu haben glaubten. So einen Mann hatte ich bei einer Buchpremiere getroffen, kurz bevor ich Ciaran kennenlernte. Er war Lektor bei einem kleinen Lyrik-Verlag und Amerikaner. Er trug eine komische dicke Brille und Pullunder und sprach mit durchdringend lauter Stimme, was ihm nicht bewusst zu sein schien, wodurch er mir aber überhaupt erst auffiel. Während der langatmigen Reden zur Feier der Buchveröffentlichung redete er permanent und derart unbekümmert mit einem Freund, dass ich lachen musste. Sein Freund antwortete demonstrativ im Flüsterton, doch der Lektor schien den Wink nicht zu verstehen und posaunte fröhlich weiter sein gedehntes Kalifornisch in die Gegend. Er bemerkte meinen Blick, grinste mich an, und dann verbrachten wir den Rest des Abends damit, uns gemeinsam zu betrinken.

Es war immer wieder faszinierend, dass es Männer gab, die gar nicht mal sonderlich attraktiv waren, aber meinten, und das vermutlich auch noch zu Recht, sie könnten tun, was sie wollten, und haben, wen sie wollten. Ich für meinen Teil berechnete grundsätzlich mit wissenschaftlicher Präzision die relative Schönheit derer, auf die ich ein Auge geworfen hatte, und hielt mich fern von all jenen, die meine zu offensichtlich überboten. Und dann gab es Typen wie diesen, die durch die Welt spazierten und völlig unbekümmert nach allem die Finger ausstreckten, was glänzte. Sie hielten es nicht für nötig, einen ausgewogenen Deal anzustreben, sondern gingen einfach auf dich zu, wenn es hoch kam, mit einem verlegenen Grinsen, und dieses Anspruchsdenken war so abwegig und beneidenswert, dass es fast schon wieder charmant war.

»Ich hab quasi eine Freundin«, stöhnte er in meinen Mund, nachdem er mich an die Wand gedrückt hatte.

»Okay«, entgegnete ich, verdrehte die Augen und küsste ihn wieder.

Als er mich ein paar Wochen später zum ersten Mal mit nach Hause nahm, verlor ich augenblicklich die Oberhand, die zu haben ich mir eingebildet hatte. Er war reich. Schwere Stoffe und Beigetöne dominierten seine riesige Dreizimmerwohnung am Merrion Square. Ein schläfriger kleiner Corgi namens Dots blinzelte uns vom Sofa entgegen. So gut sich Jugend und Schönheit auch anfühlen mochten, wie gleichbedeutend mit echter Macht beides oft zu sein schien, gegen Geld kam weder das eine noch das andere an.

Er nahm mich mit in sein Bett, wo ich ungewohnt schüchtern blieb. Die Exklusivität der Wohnung wirkte bedrückend, meine billige Kaufhausunterwäsche geschmacklos. Schließlich zog er mich ganz aus und legte mich auf den Rücken, kniete sich über mich und zog geduldig meine Hände weg, die immer wieder schützend an die Stellen wanderten, die mir am peinlichsten waren. Das tat er so lange, bis ich damit aufhörte und unter seinem Blick still dalag. Er sah so glücklich aus, als er mich musterte. Er berührte jeden einzelnen Körperteil und küsste mich sanft auf die Stirn.

»Das wollte ich schon so lange«, sagte er. »Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe.«

»Ich auch«, sagte ich, obwohl ich genau wusste, dass ich es nicht so meinte. Ich hatte nicht mit ihm schlafen wollen. Ich hatte niemals mit ihm schlafen, sondern immer nur weiter mit ihm reden, beim Aufwachen seine Nachrichten lesen, mit ihm lachen wollen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten unsere keuschen Kaffeedates endlos so weitergehen können, denn ich wusste, das hier, der Sex, wäre das Ende.

Es fühlte sich schon irgendwie gut an, weil er so erregt war meinetwegen, aber alles, was er mit mir anstellte, machte mich traurig. Alles, was er tat, war ein weiteres Ende. Danach schlief er ein, und ich klammerte mich an seinen beruhigend handfesten und zugleich weichen Bauch – väterlich, völlig anders als die ganzen schlaksigen Indie-Typen – und weinte.

Am nächsten Morgen wachte ich vor ihm auf und ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Auf dem Weg durch die Wohnung fielen mir Dinge auf, die ich am Abend vorher in betrunkenem Zustand nicht gesehen hatte. Ein Zimmer war vom Boden bis unter die Decke mit Büchern gefüllt, und es fühlte sich sehr tröstlich und verlässlich an, zu ihnen aufzublicken. In verschiedenen Ecken des Zimmers standen Sessel, wo zwei Menschen in einträchtigem Schweigen den ganzen Tag lesen konnten, ehe sie wieder zueinanderfanden, um den Abend zusammen zu verbringen. Ich streichelte Dots, die freudig hechelte, und sah aus dem Fenster hinaus in den Park und stellte mir vor, wie es wäre, jeden Morgen und Abend mit ihr dort spazieren zu gehen, eine immer gleiche Routine, ein Leben, in dem man wusste, was man nach dem Aufwachen zu tun hatte.

Ich ging zurück ins Schlafzimmer und entdeckte erst ein Paar High Heels und dann einen Parfumflakon und Avène-Feuchtigkeitscreme neben dem Bett, auf der Seite, wo ich geschlafen hatte. Seine Freundin, dachte ich, könnte im Alter meiner Mutter sein. Das hier war ein Leben, ein richtiges, echtes Leben, in das ich mich verirrt hatte, in dem ich meine schmutzigen Spuren hinterließ. Noch nie hatte ich mich so wenig wie ein Mensch gefühlt, so austauschbar, minderwertig, ganz und gar auf meine Funktion beschränkt. Er rief mir ein Taxi für den Heimweg, und ich wusste, ich würde nie wieder von ihm hören, und genauso war es.

8

Damals kellnerte ich in einem hippen Burgerladen, immer unter Strom von dem vielen Gerenne und den Häufchen Koks, die wir bei Doppelschichten auf dem Klo schnieften. Meine Freundin Lisa und ich wohnten zusammen in einem Haus, das wir wegen seiner seltsamen niedrigen Holzdecken, die immer näher zu kommen schienen, »Skihütte« getauft hatten. Lisa und ich hatten uns in unserer ersten Woche in Dublin kennengelernt, als wir uns beide am Rand einer grauenvollen Erstsemesterveranstaltung herumdrückten, bis sich unsere Blicke erleichtert begegneten. Sie kam aus einem noch verschlafeneren Kaff als ich, zumindest, wenn man die von sich selbst überzeugten Dubliner fragte, in deren Augen alle, die nicht aus einem ihrer hoffnungslos provinziellen Vororte stammten, Landeier waren, durch Inzucht degenerierte Bauern.

Wir waren sofort vertraut miteinander und blieben es auch, als ich überstürzt das College schmiss. Als sie sagte, sie wolle tanzen gehen, musste ich erstaunt feststellen, dass sie das wörtlich meinte und nicht als Euphemismus fürs Trinken benutzte. Obwohl ich wesentlich mehr trank als sie, ließ sie mich das zum Glück nie spüren, mehr noch, sie gab mir das Gefühl, es überhaupt nicht zu bemerken. Sie war wie ein staunendes Kind, gesellig und selten allein. Sie schien keinerlei Bedürfnis nach Anonymität oder ungestörtem Alleinsein zu haben. Ich bewunderte diese Eigenschaft, diese Unbeschwertheit und Arglosigkeit, gerade weil mein eigenes Bedürfnis nach Gesellschaft so völlig anders beschaffen war, an tausend Bedingungen geknüpft, ein Pulverfass, wenn es nicht erfüllt wurde.

Wir zogen zusammen, als sie mit dem College fertig war und wir beide Vollzeit kellnerten, oder so nah an Vollzeit, wie es unseren Chefs in den Kram passte. Freie Tage verbrachten wir in Decken gekuschelt auf unserer durchgesessenen Couch, hörten Radio, kritzelten in unsere Notizbücher, schrieben E-Mails oder »recherchierten«, was in meinem Fall hieß, dass ich die Wikipedia-Seiten mehr oder minder unbekannter Serienmörder durchforstete und Details notierte, die mir ins Auge stachen: »Während er das Mädchen festhielt, gab er seinem Opfer Die Schatzinsel zu lesen und sah sich den Film Hook mit ihr an« oder: »Als Jugendlicher konnte der Killer nur zum Orgasmus kommen, indem er Löcher in Fotografien von Frauen schnitt.«

Wir tranken starken Tee mit dem Beutel im Becher und rauchten eine Selbstgedrehte nach der anderen, und manchmal lösten wir am Abend Kreuzworträtsel zusammen. Wir kochten uns Mahlzeiten aus Dosenbohnen und welkem Grünzeug mit massenhaft Knoblauch, gehackten Tomaten und Sardellen. Wir schlugen ein Ei in nahezu alles, ließen es im fertigen Essen stocken und stippten übrig gebliebenes Brot hinein, das eine von uns von der Arbeit mitgebracht hatte. Obwohl ich ganz anders als Lisa ständig rastlos war, mich immer angespannt fragte, was als Nächstes kommen mochte, beruhigte mich unser häusliches Miteinander. Ich fand es bewundernswert, wie sie eine anonyme Wohnung zu einem Zuhause machen konnte – keine Woche nach unserem Einzug hatte sie sogar die schrecklich feuchtkalte Toilette mit Bildern und Figürchen an der Wand in einen gemütlichen Raum verwandelt.