Via Roma - Willemijn Dijk - E-Book

Via Roma E-Book

Willemijn Dijk

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Beschreibung

Auf den Straßen der Ewigen Stadt durch 2000 Jahre römische Geschichte

Die junge niederländische Althistorikerin Willemijn van Dijk lädt den Leser ein, sich der über 2000-jährigen Geschichte der Stadt Rom auf einem ungewöhnlichen Weg zu nähern: Sie hat 50 Straßen und Plätze gewählt, die von den Zeiten des sagenhaften Gründers Romulus bis zu den Zeiten Mussolinis und die Gegenwart führen. Neben so bekannten Sehenswürdigkeiten wie die Piazza Navona oder den Trevibrunnen besucht sie auch abgelegenere und unbekanntere Orte, die alle auf Ihre Weise ein Stück Stadtgeschichte erzählen. Ein idealer Begleiter für die nächste Rom-Reise!

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Seitenzahl: 347

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ÜBERDASBUCH

Rom hat eine über 2000-jährige Geschichte und ist zugleich eine der lebendigsten Metropolen der heutigen Zeit. Die junge niederländische Althistorikerin Willemijn van Dijk hat 50 Straßen und Plätze gewählt, die von den sagenhaften Gründern Romulus und Remus über das Mittelalter und die Renaissance bis zu Mussolini und in die Gegenwart führen. Neben so bekannten Sehenswürdigkeiten wie die Spanische Treppe, die Piazza Navona, die Fontana di Trevi oder den Petersplatz besucht sie auch abgelegenere und unbekanntere Orte, die alle auf ihre Weise ein Stück Stadtgeschichte erzählen. So gehen wir mit ihr aus dem heutigen Rom zurück in seine wechselvolle Geschichte, und zur selben Zeit entsteht aus der Vergangenheit heraus ein lebendiges Bild dieser faszinierenden Stadt. Fünf Spaziergänge mit Karten machen das Buch zu einem idealen Begleiter für die nächste Reise in die Ewige Stadt.

ÜBERDENAUTOR

WILLEMIJNVANDIJK, geboren 1984, ist Althistorikerin und Journalistin und hat zudem italienische Sprache und Literatur studiert. Rom kennt sie wie ihre Westentasche. Sie schreibt einen Blog über die Antike und ist Autorin einer Biographie des römischen Kaisers Tiberius.

WILLEMIJNVANDIJK

VIAROMA

DIEGESCHICHTEROMSIN50STRASSEN

Aus dem Niederländischen von Nathalie Lemmens

Deutsche Verlags-Anstalt

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Via Roma. De Geschiedenis van Rome in 50 Straten bei Ambo Anthos, Amsterdam.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Übersetzung dieses Buches wurde von der niederländischen Stiftung für Literatur gefördert.

Copyright © 2015 Willemijn van Dijk

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Jonas Wegerer, Freiburg

Einbandgestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Einband vorne: © Bridgeman Images, Bild-Nr.: 96886

View of the Spanish Steps or Scalinata, designed by Francesco De Santis (1693–1740) 1723–26, the Fontana della Barcaccia, designed by Pietro Bernini (1562–1629) and the church of Trinita dei Monti seen from the Via Condotti Einband hinten: © Bridgeman Images, Bild-Nr.: 702394

View of Rome over the Porta del Popolo, lithograph by J. Arnout (colour litho) by Guesdon, Alfred (1808–1876); Gabinetto Comunale delle Stampe, Rome, Italy – AUSSCHNITT

Typografie und Satz: DVA /Andrea Mogwitz

Gesetzt aus der Adobe Garamond

Karten: © OpenStreetMap.org-auteurs

ISBN 978-3-641-21283-4V001

www.dva.de

EINLEITUNG

WIEENTSTEHTEINESTADT

»Denn mag auch ganz Rom in Trümmern liegen, so kann doch nichts, was vollständig erhalten ist, damit verglichen werden.«

Magister Gregorius, Besucher Roms im zwölften Jahrhundert

WIEENTSTEHTEINE Stadt? In den meisten Reiseführern liest man, Rom sei am 21. April 753 v. Chr. gegründet worden. Eine verdächtig genaue Angabe, die oft ungeprüft übernommen wird – und gedenken nicht die Römer selbst jedes Jahr am 21. April der Gründung ihrer Stadt? Niemand scheint sich über die absurde Vorstellung zu wundern, eine Stadt könne an einem einzigen Tag gegründet werden. Natürlich finden sich in der Vergangenheit Beispiele für Kolonien, die aus dem Nichts heraus entstanden, aber selbst in diesen Fällen war die tatsächliche Gründung eher ein historischer Prozess als ein historisches Ereignis. Rom war keine Kolonie, und es wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Der mythische Charakter vieler der Geschichten, die sich um die Gründung des caput mundi ranken, lässt es bereits erahnen: Am 21. April 753 v. Chr. existierte Rom noch nicht.

Das heißt, die Stadt Rom existierte noch nicht. Das traditionell überlieferte Gründungsjahr ist eine Erfindung der Antike, welche überdies auf einem Rechenfehler zu beruhen scheint.

Ab wann spricht man eigentlich von einer Stadt? Das ist eine Frage, die auch Archäologen Kopfzerbrechen bereiten kann. Wann wird aus einer Ansammlung von Hütten ein Dorf, wann wird das Dorf zu einer Stadt? Für die Zeit, aus der noch keine Dokumente über offizielle Stadtrechte in Staatsarchiven aufbewahrt werden, wenden sich Archäologen den materiellen Überresten zu: Sie suchen nach einem ersten, am liebsten steinernen, Beweis für eine Form gemeinschaftlicher Bautätigkeit monumentalen Umfangs. Aber geht dem nicht noch etwas voraus? Kann man bereits von städtischen Merkmalen sprechen, wenn zum ersten Mal ein gewisses Gemeinschaftsgefühl erkennbar wird, welches das Tun bestimmt – das gemeinsame Verteidigen von Haus und Herd etwa oder die Aufnahme von Handel in Gestalt eines örtlichen Markts?

Auch wenn ein solches Gemeinschaftsgefühl unbestreitbar wichtig ist, um die Grundlagen für die Entstehung einer Stadt zu schaffen, kann man ein Gefühl natürlich unmöglich im archäologischen Bestand wiederfinden. Leider stehen uns für die früheste Phase von Bebauung und Aktivität im noch vollkommen unbedeutenden Rom des achten Jahrhunderts vor Christus kaum schriftliche Quellen zur Verfügung, aus denen wir ein solches Gemeinschaftsbewusstsein herauslesen könnten, zumindest keine zeitgenössischen Quellen. Ausgrabungen belegen, dass Rom in jedem Fall älter ist, als die meisten römischen Geschichtsschreiber der Antike selbst glaubten: Die frühesten Zeugnisse einer Besiedelung reichen weit zurück. Obwohl Historiker und Archäologen alles in allem nur wenig über das im frühen ersten Jahrtausend vor Christus sichtbar werdende Städtchen am Tiber wissen, ist es doch möglich, sich ein Bild von der Entstehungsgeschichte zu machen, indem man den Blick über den Gründungsmythos von Romulus, Remus und der Wölfin hinaus richtet – eine Geschichte, die zwar noch immer eine faszinierende Lektüre darstellt, aber unverkennbar vor allem darauf abzielte, Rom von Beginn an in den Mittelpunkt der Welt zu rücken.

Eine Gemeinschaft kann schlecht allein existieren. Sie gewinnt erst dann eine Daseinsberechtigung, wenn mehrere Menschen etwas gemeinsam haben (oder zu haben glauben) und sich gleichzeitig signifikant anders fühlen als die Mitglieder anderer Gruppen. Es ist insofern ein relationaler Begriff, als eine Gemeinschaft ebenso sehr durch sich selbst existiert wie durch eine oder mehrere fremde Gruppen, gegen die sie sich abgrenzen oder in denen sie sich spiegeln kann. Ein offener Blick auf die Geschichte ist daher vielleicht besser, ein Blick, der dreihundertsechzig Grad umfasst und keine Grenzen sieht. Denn wo genau stand die Wiege der Ewigen Stadt, in was für einer Welt wurde Rom geboren?

Mit dieser Frage beginnt mein Streifzug durch die Straßen der Ewigen Stadt. Ausgehend vom Tiber, frage ich mich, welche Geschichten hinter jenen marmornen Straßenschildern stecken, welches kleine Puzzlestück des gewaltigen römischen Erbes von der Gründung der Stadt bis zur Gegenwart sich jeweils in ihnen verbirgt. Die einheitlichen kleinen Schilder mit den erst seit 1798 mehr oder weniger »dauerhaften« Straßennamen vermitteln in gewisser Weise Ruhe, sie bieten einen ersten Zugriff auf das, was zunächst wie ein unbegreifliches historisches Labyrinth erscheint.

Fast jeder Rombesucher der vergangenen zweitausend Jahre stöhnte – und stöhnt heute noch – darüber, dass die unzähligen Monumente und Kunstschätze so überwältigend sind und die historischen Schichten, die sich hinter jedem Stein verbergen, einem manchmal zu viel werden können. »Was in Rom von einem verlangt wird«, schrieb der Den Haager Antikenverehrer Louis Couperus 1894 in sein Reisetagebuch, ist »zunächst eine profunde Kenntnis der Vergangenheit – sowohl der Welt- als auch der Kunstgeschichte – von Romulus bis Bernini. Darüber hinaus muss man versiert sein in den römischen Topografien, […] sodass man beispielsweise beim Betreten des Petersdoms sofort auch an den Circus Neros und die Basilika Konstantins denkt.«

Wer Rom besucht, wird nicht nur unter Monumenten und tausenden Schichten von Vergangenheit begraben. Wie schwebende Geister umkreisen zahllose Mythen, Anekdoten und volkstümliche Erzählungen die greifbaren Überreste der Antike, des Mittelalters, der Renaissance und des Barock. Geschichten über die Rivalität zwischen den Architekten Bernini und Borromini, die dem Vernehmen nach sogar in Marmor verewigt wurde, über wahnsinnige Kaiser und Päpste und ihre gefügigen Opfer, über hoffnungslose Liebe und grauenvolle Verbrechen, über Erzengel und Dämonen. Durch Jahrhunderte volkskundlicher Überlieferung und Mythenbildung bahne ich mir einen Weg und suche, mit den marmornen Straßenschildern als willkürlich mäanderndem Ariadnefaden, nach der wahren Geschichte der Vergangenheit Roms – der einzigen Stadt auf der ganzen Welt, bei der man nur urbs (»die Stadt«) zu sagen braucht, und schon weiß jeder, dass von ihr die Rede ist.

»Ob ich etwas tue, was die Mühe lohnt, wenn ich die Angelegenheiten des römischen Volkes vom Anbeginn der Stadt an ausführlich aufzeichne, weiß ich nicht recht, und wenn ich es wüsste, würde ich es wohl nicht zu sagen wagen. Denn ich sehe, dass es ein alter und vor allem ein allbekannter Stoff ist …« Mit diesen Worten beginnt Titus Livius’ Magnum Opus Ab urbe condita (Von der Gründung der Stadt an), das er um den Beginn unserer Zeitrechnung verfasste. Mehr als zweitausend Jahre Historie trennen uns von dem römischen Geschichtsschreiber, doch nirgends habe ich bessere und passendere Worte gelesen, um eine Geschichte Roms einzuleiten.

Geschichte ist niemals abgeschlossen, und eine vollständige Geschichte Roms kann per Definition nicht geschrieben werden. In diesem Buch geben die Plätze und Straßen Rhythmus und Richtung vor, rücksichtslos donnern sie an zahllosen Ereignissen und Persönlichkeiten vorbei, lassen sie links und rechts des Weges liegen. Ganz im Geiste von Livius’ Einstiegsworten möchte ich vor allem mein grenzenloses Interesse an und meine Liebe zu Rom teilen und auf meine eigene, bescheidene Manier der Ewigen Stadt die Ehre erweisen.

Wie so viele Autoren vor mir bin auch ich eine Außenstehende: Meine Schulzeit führte mich als Teenager erstmals nach Rom. Als ich mit sechzehn Jahren als Tochter frankophiler Eltern zum ersten Mal den Zug nach Italien nahm, nach Rom fuhr und in der stazione Termini ausstieg, verspürte ich die gleiche Euphorie, die Goethe am 1. November 1786 in seinem Tagebuch festhielt: »Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt!« Unter dem ersten römischen Sonnenstrahl gelobte ich mir feierlich, für einen längeren Zeitraum zurückzukommen. Ich kam zurück, mit einem Stipendium und einem riesigen Berg an Erwartungen. Und ich sollte immer wieder zurückkehren. Es war der Beginn einer Entdeckungsreise ohne festes Ziel, der Beginn eines fortwährenden Kennenlernens der tausend Gesichter Roms. Bis zum heutigen Tag übertrifft die Stadt noch immer all meine Erwartungen.

Die Verwandtschaft, die ich beim Lesen von Livius’ Worten empfinde, beruht auf der persönlichen Genugtuung, die es mir bereitet, trotz der erhabenen Gesellschaft auch selbst dazu beizutragen, Straße für Straße und Platz für Platz die Erinnerung an Rom zu bewahren. Für mich gibt es kein größeres Vergnügen, als durch die römischen Straßen zu streifen. Ich lade Sie ein, es mir gleichzutun, und nehme Sie gerne mit. Lassen Sie uns am Tiber beginnen.

I. DERTIBER

AUFDERSUCHENACHDERWIEGEROMS

NÄHERALSAN den Ufern des Tibers kann man der Geburt Roms nicht kommen. Um erste frühe Hinweise auf eine kleine Ansammlung von Hütten zu finden, die zur Ewigen Stadt heranwachsen sollte, folgen wir dem einzigen »Weg«, von dem wir mit Bestimmtheit wissen, dass er im achten Jahrhundert vor Christus schon dort war: dem Fluss, der sich quer durch das Zentrum von Rom schlängelt. Das erste Mal sah ich diesen mächtigen Strom vom Ponte Garibaldi aus unter mir dahintosen – wenngleich ich den Namen der Brücke damals noch genauso wenig kannte wie den Rest der Stadt.

Ich denke oft zurück an meine allerersten Spaziergänge durch Rom. Den Weg nicht zu kennen, orientierungslos herumzuirren, das alles steigerte noch den überwältigenden Eindruck, den die unzähligen Monumente und Ruinen auf mich machten. Heute kenne ich jede einzelne Windung dieses Flusses im Schlaf, aber damals schien der Tiber stets plötzlich irgendwo aufzutauchen. Ich weiß noch, wie sehr mich nicht nur der Gedanke beeindruckte, dem Fluss gegenüberzustehen, mit dem alles begonnen hatte, sondern auch die bizarr geformte Tiberinsel, die ich dort vor mir sah.

Der Tiber gilt bei fast allen Historikern als ein, wenn nicht gar der entscheidende Faktor, der es Rom ermöglichte, sich von seinen Nachbarn abzuheben und sie letztlich zu übertreffen. Denn Nachbarn gab es reichlich, und einige von ihnen hatten, archäologisch gesprochen, schon sehr viel mehr vorzuweisen als die »Römer«. Soweit wir wissen, lebten im Norden Etrusker, im Osten Sabiner, Volsker, Herniker und Aequer und im Süden griechische Siedler. Der Ort, an dem sich Rom erheben sollte, lag in Latium, dem Gebiet der Latiner. Eine Furt bei jener seltsam geformten Insel im Tiber bot den ersten Bauern, die sich hier dauerhaft niederließen, einen strategischen Vorteil: Sie kontrollierten nicht nur den Flussübergang, sondern darüber hinaus auch den Kreuzungspunkt zweier stark frequentierter Handelswege. In ost-westlicher Richtung verlief eine wichtige Salzroute, an die bis zum heutigen Tag die Via Salaria (von sale, Salz) erinnert. Über die Tibermündung wurde das kostbare Salz von den Salinen an der Küste ins Landesinnere transportiert. Am Fuß des Apennin werden Bauern und Hirten sehnsüchtig auf das »weiße Gold« gewartet haben, mit dem sie Tierhäute, Fleisch und andere verderbliche Waren konservieren konnten. Dort, wo später Rom entstehen sollte, kreuzte diese Salzroute die wichtigste Nord-Süd-Verbindung Italiens, die vom griechisch kolonisierten Süden des Stiefels (Magna Graecia) in das etruskische Gebiet im Norden führte, das in etwa die heutige Toskana umfasst.

Es ist aufschlussreich – nicht im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt, wohl aber darauf, wie Beurteilungen stets durch den jeweiligen Zeitgeist beeinflusst werden –, dass heutige Historiker den Fokus vor allem auf die wirtschaftlichen Vorteile der Furt am Tiber legen, an der Rom entstand, während Geschichtsschreiber aus dem alten Rom, insbesondere aus der Zeit der späten Republik (dem ersten Jahrhundert vor Christus), in ihren Analysen der Entstehung Roms gerade die militärisch-strategischen, ja sogar die moralischen Vorteile in den Vordergrund rückten. Cicero (106–43 v. Chr.) etwa schrieb, der Ort sei gewählt worden, da er so geschützt liege und gut zu verteidigen sei: nicht direkt am Meer, wo jederzeit Angriffe durch fremde Völker oder Piraten drohten (und damit auch die Gefahr des Sittenverfalls), zudem habe der nahe gelegene Palatin, einer der sieben Hügel am Tiberufer, einen leicht zu verteidigenden Siedlungsplatz geboten.

Am westlichen Hang des Palatins, dort, wo der Fuß des Hügels fast an das Wasser des Tibers heranreicht, werden die frühesten Bewohner erstmals archäologisch sichtbar. Bei Ausgrabungen stieß man dort auf die Überreste mehrerer Gruppen von Wohnhütten aus dem neunten und achten Jahrhundert vor Christus, die auf eine Verschmelzung kleiner Dörfchen hindeuten, welche sich nicht sonderlich von anderen Siedlungen im umliegenden Hügelland unterschied. Zwar reichen die Keramikfunde im Tibertal bis in das zehnte, in einigen Fällen sogar in das vierzehnte Jahrhundert vor Christus zurück, aber nun, im achten Jahrhundert, tauchen neben den Hüttengruppen auch kleine Abfallgruben voller Opfergaben auf, die einen vorsichtigen Hinweis auf frühe Formen gemeinschaftlicher ritueller Aktivitäten liefern. Das mag zunächst nicht so spannend klingen, aber es ist ein erster Strohhalm, um, archäologisch betrachtet, von Zusammengehörigkeit sprechen zu können. Religiöse Handlungen wurden offensichtlich nicht länger ausschließlich unter der Leitung des eigenen Familienoberhaupts innerhalb der Familienverbände ausgeführt, die die Hüttendörfer bewohnten; sie wurden nun auch gemeinsam mit den Nachbarn gefeiert, an Treffpunkten, die als heilig betrachtet wurden.

In den Gräbern, die in der Umgebung der Hütten (neben dem Palatin beispielsweise auch auf der Velia und dem Quirinal) entdeckt wurden, etwa in jenem Tal, in dem Touristen heute die Überreste des Forum Romanum bewundern, fanden die Archäologen hauptsächlich Keramik, aber auch Bronzeartefakte. Der Inhalt der Gräber ähnelte dem, was in jener Zeit auch an vielen anderen Orten Mittelitaliens den Toten mitgegeben wurde. Einige Grabstätten enthielten jedoch mehr Luxus- und Prestigeobjekte als andere, weshalb wir annehmen können, dass es Unterschiede in Reichtum und (sozialem) Status gab. Darüber hinaus ließen sich zwei verschiedene Bestattungsrituale feststellen: fossa- und pozzo-Gräber, also Gruben, in denen Leichname beerdigt wurden (Körperbestattung), und Löcher, in denen man Ascheurnen beisetzte (Feuerbestattung). Die meisten Archäologen gehen davon aus, dass die unterschiedlichen Rituale auf die Existenz verschiedener Gruppen hindeuten, genauer gesagt auf eine gewisse Anzahl (sieben?) separater Hügeldörfer.

Die Bauerngemeinschaft, die sich am Tiberufer niederließ, scheint ein für diese Zeit und diese Region typisches Dörfchen gebildet zu haben, dessen Einwohner die lokale dunkle, matte und eher grobe Keramik verwendeten. Weitere Keramikfunde zwischen Palatin und Tiber, auf dem Gelände, das später Forum Boarium genannt werden sollte, deuten zudem auf ein offenes Verhältnis zur Außenwelt hin: An den Ufern des Tibers, einer Handelsroute par excellence, handelte man mit Tonwaren aus der griechischen Welt, Italien und Übersee. Außerdem wurden Hinweise auf einen Herkules-Kult entdeckt, den Beschützer der Hirten und Händler. Forscher vermuten, dass die Verehrung des Herkules durch die Phönizier eingeführt wurde, bei denen Herkules unter dem Namen Melqart bekannt war. Alles in allem scheint sich das Forum Boarium bereits in der Entstehungsphase der Siedlung am Tiber zu einer Art Marktplatz entwickelt zu haben, einem Ort des Austauschs und der Handelskontakte mit nah und fern.

Ein kleines Hügeldorf auf dem Palatin mit einigen Nachbardörfern, etwa auf dem Quirinal, dem Kapitol und der Velia, wo vergleichbare Überreste aus dem neunten und achten Jahrhundert vor Christus gefunden wurden. Sie alle wurden bewohnt von bäuerlichen Selbstversorgern, die ihr Land bestellten, Vieh hielten und sich die Weiden vielleicht noch mit ein paar Hirten teilten. Die Hügeldörfer verfügten über eine gemeinschaftliche Begräbnisstätte und einen Markt, durch den sie mit fernen Orten in Verbindung standen. Es gab Unterschiede in Status und Reichtum, vollkommen egalitär war die Dorfbevölkerung nicht. Was man aber offenbar gemeinsam vollzog, waren bestimmte Kulthandlungen, Rituale, bei denen Opfergaben dargebracht wurden. Auch wenn eine Geschichte mit einem hübsch genauen Datum, dem 21. April 753 v. Chr., einer Wölfin und zwei Brüdern namens Romulus und Remus, die einander nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnten, spannender sein mag, so war dies doch, in ein paar Sätzen zusammengefasst, die Art und Weise, wie eine Weltmacht geboren wurde: langsam, schrittweise und alles in allem ziemlich unspektakulär. Das ist nicht sehr romantisch, aber selbst Livius, der den Gründungsmythos von Romulus und Remus in seinem Ab urbe condita so ausführlich und reizvoll schildert, muss ganz nebenbei einräumen, dass Rom in Wahrheit von »kleinen Anfängen« ausging.

Im Grunde gibt es für Touristen keine Möglichkeit mehr, diesen Anfängen Roms heutzutage noch irgendwo zu begegnen. In dem Gewirr aus jahrhundertealten archäologischen Überresten und grünen Bäumen auf dem Palatin ist das früheste Rom für den Laien kaum noch auszumachen, und sollte es ihm tatsächlich gelingen, sich in all den einander überlagernden Jahrhunderten zurechtzufinden, steht er deswegen noch lange nicht einem greifbaren Stückchen Rom aus der Entstehungszeit gegenüber. Es sind vor allem die Jahrhunderte später errichteten monumentalen Bauten der Kaiserzeit, deren Gerippe noch sichtbar auf der Hügelkuppe liegen. Die Hütten der ersten Bewohner, von denen ohnehin kaum mehr als Pfostenlöcher erhalten sind, wurden im wahrsten Sinne des Wortes überwuchert und überbaut. Unten auf dem Forum Boarium findet man ebenso wenig sichtbare Zeugnisse der frühesten Geschichte. Die dortigen Tempel gehören zwar zu den ältesten noch erhaltenen Bauwerken Roms, doch auch sie wurden nicht von den ersten Siedlern errichtet. Allein der Name der Furt am Fluss erinnert noch an die Marktfunktion, die das Forum Boarium seit den ersten Anfängen innehatte.

So bleibt nur ein einziges greifbares, sichtbares, fühlbares und hörbares Element, das die beinahe dreitausend Jahre, welche uns von den ersten Römern trennen, überdauert hat: der Tiber. Damals konnte er frei fließen – und daher auch regelmäßig über seine Ufer treten. Inzwischen ist er von Dämmen gezähmt und dem Willen der Stadt unterworfen. Und so sollte es in den noch in weiter Ferne liegenden Glanzzeiten des Römischen Reichs der halben Welt ergehen.

II. VIADIMONTETARPEO

DERERSTEVERRATANDERSTADT

DASSCHMALESTRÄSSCHEN schlängelt sich den Südhang des Kapitols hinauf. Eigentlich liegt die Via di Monte Tarpeo recht versteckt, doch es gibt keine Straße im Zentrum von Rom, die die Touristen noch nicht entdeckt hätten. Und so stehen die Chancen gut, links und rechts von Segway-Fahrern überholt zu werden, während wir unterwegs zu einem der schönsten Ausblicke Roms die Straße hinaufspazieren, den einzigen Weg auf den Kapitolshügel, der auf zwei Rädern zu bewältigen ist. Der Aufstieg zu Fuß ist zwar anstrengender, aber dafür hat die Belohnung, die einen oben erwartet, auch einiges zu bieten.

Wann sich die Gewohnheit eingebürgert hat, einmal oben angelangt, über die Schulter mit Münzen auf den Architrav zu zielen, der sich ein paar Meter unterhalb des Geländers befindet, ist nicht bekannt, aber es ist an dieser Stelle auch empfehlenswerter, sich einfach dem Forum Romanum zuzuwenden. Vor allem im sanften Licht eines Frühlingsabends raubt das alte Tal mit dem majestätischen Kolosseum im Hintergrund jedem Betrachter den Atem. Dort unten, zwischen den Trümmern der römischen Vergangenheit, wird der Besucher leicht von einem Gefühl der Mutlosigkeit erfasst, und durch das Gewirr der verschiedenen historischen Schichten ist es nahezu unmöglich, sich vorzustellen, wie es hier einmal ausgesehen hat. Aber von der Via di Monte Tarpeo aus, mit den Ruinen zu unseren Füßen, scheint es, als erwachte vor unseren Augen alles zum Leben, als verschmölzen alle Säulen, Mauerreste, Straßen, Bogen und Tempelfragmente zu einem perfekt zusammenhängenden Ganzen. Dem vergangenen und zu Ruinen verfallenen Versprechen grenzenloser Macht.

Wie vollzog sich der Übergang von der Handvoll Hügeldörfer am Tiber zu einer kleinen Stadt? Und wie verwandelte sich ein Tal voller Gräber in das tosende Zentrum ebendieser Stadt? In genau diese »Übergangsphase«, bei deren Erforschung Historiker bis heute weitgehend im Dunkeln tappen, verweist die sich hügelaufwärts windende Via di Monte Tarpeo. Der Mons Tarpeius erscheint bei einer Reihe römischer Autoren – unter anderem Varro, Livius und Sueton – als der »ursprüngliche Name« des Kapitols. Manchmal wird der ganze Hügel so bezeichnet, manchmal auch nur seine südwestliche Spitze. Sämtliche römischen Geschichtsschreiber und Chronisten erwähnen diesen kleinen Ausläufer des Kapitols, weil mit ihm eine recht grausige altrömische Sitte verbunden war. Denn der »Tarpejische Felsen« (die lateinischen Bezeichnungen variieren von mons, arx und saxum bis hin zu rupes) am südwestlichen Ende des Hügels war die Stelle, wo vor den Augen einer gespannt wartenden Menge »Verbrecher hinabgeworfen wurden«, wie der griechische Autor Plutarch in seinem Leben des Sulla trocken und beiläufig bemerkt.

Orte wurden im alten Rom nicht zufällig gewählt, und hinter jeder Bezeichnung verbirgt sich eine jahrhundertealte Geschichte – so jedenfalls wollen es uns die römischen Autoren gern glauben machen. Ihnen zufolge wurde der Hinrichtungsfelsen nach dem berüchtigtsten Verräter der Geschichte der Stadt benannt, einem habgierigen Menschen, der Schande über alles brachte, was Rom verkörperte. Sein Name war Tarpeia, und es handelte sich natürlich um eine Frau. Tarpeia, eine scheinbar fromme, unschuldige Person, war eine Priesterin der Göttin Vesta, eine sogenannte Vestalische Jungfrau, die ein strenges Keuschheitsgelübde abgelegt hatte, und Tochter des römischen Befehlshabers Spurius Tarpeius. Ihrem makellosen Ruf zum Trotz gelang es Titus Tatius, dem Anführer des benachbarten Volks der Sabiner, der es auf das junge römische Städtchen abgesehen hatte, sie mit der Aussicht auf Gold zu bestechen. Er brauchte Hilfe, um mit seinen Männern den inzwischen befestigten Kapitolinischen Hügel zu erstürmen, auf dem sich die römischen Truppen verschanzt hatten. Tarpeia hielt ihr Versprechen und schmuggelte den Feind in die Stadt – woraufhin sie von den Sabinern auf der Stelle mit jenen feindlichen Kriegswaffen getötet wurde, die sie selbst in die Mauern eingelassen hatte.

Jeder, der – heute genau wie im Rom der Republik und Kaiserzeit – diese Geschichte liest oder hört, weiß, dass Rom den Kampf gewinnen wird. Aus den frühesten Auseinandersetzungen mit benachbarten Völkern gingen die Römer stets als Sieger hervor, dieser Teil der Geschichte ist unbestreitbar wahr. Die Sabiner wurden geschlagen, und die Römer entdeckten den Leichnam der Verräterin, die sie an den Rand einer Niederlage gebracht hatte. Sie warfen ihren Körper von dem Felsen, der fortan ihren Namen tragen sollte. In den ersten, im fünften Jahrhundert vor Christus erlassenen römischen Gesetzen wurde festgelegt, dass Verräter und sonstige Verbrecher künftig dasselbe Schicksal erleiden sollten wie Tarpeia. Soweit uns aus schriftlichen Quellen bekannt ist, wurde der letzte Verbrecher im Jahr 43 n. Chr. vom Tarpejischen Felsen gestürzt, danach wurde diese Form der Bestrafung verboten. Der Name Mons Tarpeius überdauerte vermutlich noch eine Weile – wir finden ihn in einer Inschrift aus der Mitte des dritten Jahrhunderts wieder. Und im heutigen Straßennamen Via di Monte Tarpeo.

Die Geschichte der Tarpeia wurde uns durch zwei Männer überliefert, die im ersten Jahrhundert vor Christus geboren wurden: den Dichter Properz und den Geschichtsschreiber Livius. Wie zahllose andere Geschichten über die Zeit kurz nach der Gründung Roms trägt auch diese legendenhafte Züge – immerhin lagen die Ereignisse schon damals mehrere Jahrhunderte zurück. Sie sind elegante Lösungen für ein Problem, vor dem nicht nur die römischen Geschichtsschreiber, sondern auch ihre Nachfolger standen (und immer noch stehen): Niemand weiß genau, wie sich der Übergang von der Ansammlung einiger Bauerndörfer hin zu der kleinen, ehrgeizigen Stadt Rom vollzog. Schriftliche Zeugnisse gibt es erst seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts vor Christus, nach der Weihe des Tempels des Jupiter Optimus Maximus und dem Entstehen der Republik. Viel mehr, als dass sich die kleine Stadt Rom im sechsten Jahrhundert in Bezug auf Aussehen und Struktur nicht wesentlich von ihren griechischen Pendants, bei denen es sich ebenfalls um Aristokratien handelte, unterschied, kann niemand mit Gewissheit sagen.

Der Versuch, diese Lücke zu füllen, hat, unter anderem bei Livius, zur Konstruktion einer sogenannten »Königszeit« geführt, einer etwas mehr als zwei Jahrhunderte währenden Phase (von 753 bis 509 v. Chr.), in der stets neue Könige (rex, Plural reges) an der Spitze der Stadt standen. Livius zufolge gab es insgesamt sieben von ihnen, und diesen sieben Königen wurden unterschiedliche religiöse, politische, administrative und militärische Maßnahmen zugeschrieben, die den Grundstein legten zu dem, was sich nach und nach zu einer »ernstzunehmenden« Stadt entwickelte. Diese verschiedenen Handlungsstränge, zu denen neben der Geschichte der Tarpeia beispielsweise auch der berühmte Raub der Sabinerinnen gehört, werden inzwischen als faszinierende Dichtungen bewertet, als das Produkt einer fantasievollen, bedeutungsreichen oralen Tradition.

Natürlich haben Archäologen im Boden nach den frühesten Jahrhunderten Roms gesucht, und sie konnten, mit aller gebotenen Vorsicht, feststellen, dass Rom im sechsten Jahrhundert vor Christus tatsächlich allmählich größer und wahrscheinlich auch mächtiger wurde als die umliegenden kleinen Stadtstaaten. Dies deckt sich zumindest teilweise mit der Periode, die die alten Autoren als Königszeit bezeichnen. Was sich vor dem sechsten Jahrhundert, also in der Zeit von Livius’ ersten drei Königen, abspielte, ist schwer zu sagen. Wenn wir von den archäologischen Funden ausgehen, gleicht Rom in jener Phase noch jedem beliebigen anderen kleinen Ort in Mittelitalien. Wo es signifikante Unterschiede gibt, wirken sie sich für die aufstrebende Stadt am Tiber eher nachteilig aus: Sowohl im nördlich gelegenen Etrurien als auch südlich von Rom finden sich Orte, die viel wohlhabender waren, mehr städtische Strukturen aufwiesen und eine stärker differenzierte aristokratische Elite besaßen. Sicher gab es auch im Rom des siebten Jahrhunderts vor Christus schon eine soziale Hierarchie, wie beispielsweise aus dem Fund von Bronzewaffen in einem Grab auf dem Esquilin hervorgeht, doch sollte sich diese erst später zu einem komplexeren Gefüge entwickeln. Wie es Rom gelang, seine Nachbarn zu überflügeln, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Eine lineare Entwicklung ohne Auf und Ab wird es sicher nicht gewesen sein. Womöglich haben sich schlichtweg die landwirtschaftlichen Techniken verbessert, woraufhin der Handel aufblühte, die Bevölkerungszahl zunahm und die Hügeldörfer nach und nach zusammenwuchsen. Zunehmende gemeinschaftliche Aktivitäten, etwa bei Verteidigung, Handel, Ritualen und Kulthandlungen, entwickelten sich auf diese Weise beinahe von selbst.

Der erste Nachweis eines gemeinsamen »städtischen« Bewusstseins erscheint irgendwo in der Zeit zwischen 650 und 575 v. Chr., als das sumpfige Tal, das später zum Forum Romanum werden sollte und auf das man so wunderbar von der Via di Monte Tarpeo hinunterschauen kann, trockengelegt und befestigt wurde. Damit war der Weg für eine neue Phase in der Frühgeschichte Roms bereitet. Um von einer Ansammlung einzelner Dörfer zu einer kleinen Stadt heranzuwachsen, brauchte Rom letztlich nicht viel mehr zu tun als sich auszudehnen und zu verschmelzen. Um von einer kleinen Stadt zur Weltmacht heranzuwachsen, war jedoch mehr vonnöten. Angefangen mit ein wenig Hilfe von außen.

III. VIADELVELABRO

DIEETRUSKERINROM

DASSROMAUF (sieben) Hügeln erbaut wurde, scheint so gut wie gesichert. Nicht nur Ausgrabungen weisen in diese Richtung, auch die seltenen schriftlichen Zeugnisse sprechen von montani – »Bergbewohnern«. Diese montani sollen, dem Autor Festus zufolge, der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte, schon im frühesten Rom alljährlich ein Septimontium genanntes Fest oder Ritual gefeiert haben, was zu bestätigen scheint, dass Rom in der Tat auf sieben Hügeln entstand. Wenn man den Blick von diesen sieben Hügeln aus schweifen lässt und sich die heutigen Begrenzungen wegdenkt, erkennt man, dass sie im Grenzgebiet zwischen Latium und Etrurien (etwa der heutigen Toskana) lagen. Etwas nördlich des Tibers begann das Territorium von Veji, einer etruskischen Stadt. Es ist durchaus denkbar, dass sich die früheste Bevölkerung Roms aus Latinern, Etruskern und beispielsweise Sabinern zusammensetzte.

Einer der wenigen Orte in Rom, an denen man einen Hinweis auf die mutmaßlich etruskische Vergangenheit der Stadt findet, ist die Via del Velabro. Dabei handelt es sich um ein etwas verstecktes, unbedeutendes Sträßchen, das sich achtlos zwischen Palatin und Kapitol dahinschlängelt. Hinter dem Straßennamen aber verbirgt sich eine ferne, längst untergegangene Geschichte. Velabro oder Velabrum ist der antike Name des Tals zwischen dem Forum Romanum und dem Forum Boarium und wurde wahrscheinlich aus dem Etruskischen abgeleitet. Wenn wir die heutige Via del Velabro entlangschlendern, treffen wir unter anderem auf San Giorgio in Velabro, ein uraltes Kirchlein, das bereits unter Papst Leo II. (682–683) erbaut, aber erst während des Pontifikats des griechischen Papstes Zacharias (741–752) dem heiligen Georg geweiht wurde. Diese Kirche war übrigens nicht der erste Bau an dieser Stelle – sie wurde auf den Fundamenten einer kleinen Unterkunft griechischer Mönche errichtet, die ihrerseits wiederum auf römischen Überresten ruhte. Die Worte von Louis Couperus, der in seinem Brief aus Rom beklagte, wie viel historisches Wissen von einem Menschen verlangt werde, wenn er Rom besucht, erweisen sich auch hier wieder als treffend: Selbst in den unbekanntesten Ecken der Stadt stößt man auf ihre berühmten historischen Schichten. Gleich neben der Kirche erhebt sich stolz eine greifbarere Erinnerung an die Antike. Trotz seines guten Erhaltungszustands schenken die meisten Vorübergehenden diesem Bogen nur wenig Beachtung. Es ist der arcus constantini, besser bekannt als der Janusbogen, der Bogen des doppelköpfigen Schutzgottes der Türen und Tore, nach dem der erste Monat unseres Jahres benannt wurde. Er wurde wahrscheinlich im vierten Jahrhundert durch oder zu Ehren von Kaiser Konstantin errichtet.

Durch das Velabrum-Tal verlief im frühesten Rom der Vicus Tuscus oder die »Etruskerstraße«. Sie verband das Forum Romanum mit dem Forum Boarium, dem Viehmarkt. Heute ist nur noch das erste Stück des Vicus Tuscus zwischen dem Castor-und-Pollux-Tempel (Aedes Castoris) und der Basilica Iulia auf dem Forum zu erkennen. Danach folgte die Etruskerstraße mehr oder weniger dem Verlauf der Via di San Teodoro bis San Giorgio in Velabro. Varro, Livius und Tacitus liefern alle unterschiedliche Erklärungen für die Herkunft des Namens Vicus Tuscus – bei diesen Tusci soll es sich je nach Autor um Verbündete des Romulus gehandelt haben, die sich in dem Tal niederließen, um etruskische Flüchtlinge oder schlicht um Gastarbeiter, die für den Bau der ersten Tempel nach Rom gekommen waren. All diesen Geschichten ist gemeinsam, dass sie nach einer Erklärung für etwas suchen, was wohl für alle Zeit im Dunkeln bleiben wird: Warum kamen die Etrusker nach Rom (oder waren sie etwa schon immer dort gewesen?), und warum lebten sie gerade in diesem Teil der Stadt?

Es gab nicht nur sieben Hügel, auch die Könige, die über das frühe Rom herrschten, waren der römischen Überlieferung zufolge sieben an der Zahl. Die ersten vier, Romulus, Numa Pompilius, Tullus Hostilius und Ancus Marcius, sind historisch betrachtet insofern dunkle Gestalten, als sie hauptsächlich dem Reich der Legenden zu entstammen scheinen. Was natürlich nicht bedeutet, dass die Entwicklung Roms in den ihnen zugeschriebenen Regierungsperioden, dem achten und siebten Jahrhundert vor Christus, stillstand. Was die letzten drei Könige, Tarquinius Priscus, Servius Tullius und Tarquinius Superbus, angeht, so deutet alles darauf hin, dass sie etruskischer Abstammung waren. Ihre Herrschaft umfasst nahezu das gesamte sechste Jahrhundert vor Christus, die Phase, in der Rom zum ersten Mal als Stadt oder kleiner Stadtstaat in Erscheinung trat: Das Forum Romanum wurde trockengelegt und gepflastert, auf dem Esquilin wurde ein erster Verteidigungswall errichtet, und man begann mit dem Bau der ersten Tempel. Diese Tempel folgten der etruskischen Bautradition und wurden mit in leuchtenden Farben bemalten Terrakotta-Statuen ausgeschmückt. Auch trifft man in dieser Periode häufig auf etruskische Keramik, die dunkelgrauen, glänzenden Bucchero-Gefäße. Die Existenz eines Velabrum-Tals und einer Etruskerstraße passt in diesem Kontext als weiteres Puzzlestück perfekt ins Bild.

IV. VIADELTEMPIODIGIOVE

DERLETZTEKÖNIG

UM500 V. CHR. endete die römische Königszeit. Das Ende einer Epoche, einer ganzen Staatsform – wie geht so etwas vonstatten? Späteren Geschichtsschreibern, insbesondere Livius, zufolge wurde der letzte König, Tarquinius Superbus, 509 v. Chr. durch Lucius Junius Brutus vom Thron gestoßen. Unmittelbarer Auslöser dafür war ein Familienskandal: die Vergewaltigung der jungen, keuschen Lucretia durch Sextus, den Sohn des Tarquinius Superbus. Mehr als der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, kann dieser Vorfall, sollte er sich tatsächlich zugetragen haben, nicht gewesen sein. Die römischen Könige verfügten zwar über uneingeschränkte Macht, aber sie wurden inzwischen beraten – und eingesetzt – durch den Senat (abgeleitet von senex, »alter Mann«), ein Gremium, in dem die Häupter der vornehmsten aristokratischen Familien Roms zusammenkamen. Moderne Historiker vermuten, dass die Tarquinier nicht nur wegen ihrer Grausamkeiten und Skandale verjagt wurden, sondern vor allem, weil Tarquinius, dessen Beiname nicht umsonst Superbus, »der Hochmütige« oder »der Stolze«, war, das angesehene Beratungsgremium kaum noch berücksichtigte. Die Senatoren (zu denen auch Brutus zählte) hatten das Gefühl, kein Gehör mehr zu finden.

So konnte es zu einer Rebellion der Patrizier kommen, der Angehörigen der aristokratischen Oberschicht, die sich im Laufe des sechsten Jahrhunderts vor Christus immer deutlicher herausgebildet hatte. Unter Superbus sahen sie ihren Einfluss zugunsten der königlichen Herrschaft schwinden. Dem König war die Teilung der Macht natürlich ein Dorn im Auge: Er hatte viel mehr davon, den Fokus auf die Gesamtheit seiner Untertanen zu legen, auf die römische Gesellschaft als Kollektiv. In diesem Zusammenhang ließ Tarquinius Superbus in Rom einen großen Tempel erbauen, der Jupiter, dem höchsten Gott der Römer, geweiht war. Besser gesagt, er ließ ihn fertigstellen: Schon Tarquinius Priscus soll mit dem Bau begonnen haben. Der Tempel des Jupiter, il tempio di Giove, erhielt drei sogenannte cellae, Haupträume des Heiligtums, in denen die Götterbilder standen: In der Mitte die cella des höchsten römischen Gottes selbst sowie rechts und links davon die Räume seiner Gemahlin Juno und seiner Tochter Minerva. Wer nach dem Ursprung der Römer sucht, muss sich also fragen, ob von diesem ältesten Tempel der »Romanitas« noch etwas erhalten ist.

Die nach ihm benannte Straße in Rom, die Via del Tempio di Giove, verrät uns etwas über den ursprünglichen Standort des Tempels. Doch um ihm wirklich zu begegnen, müssen wir in die Kapitolinischen Museen. In der Esedra di Marco Aurelio, einem relativ neuen Museumssaal, sind die imposanten Steinblöcke zu sehen, die einst die Fundamente des berühmten Tempels des Jupiter Optimus Maximus bildeten. Wie unter anderem bei Plinius, Livius und Cicero nachzulesen ist, wurde der Tempel im Laufe der Zeit unzählige Male umgebaut, verschönert und restauriert (83 v. Chr. brannte er den Quellen zufolge sogar vollständig ab), doch das schmälert in keiner Weise die Einzigartigkeit dieser – in Wahrheit natürlich nicht allzu prächtig aussehenden – Grundmauern, die uns in ein Rom zurückführen, das inzwischen zwar zu einer stattlichen lokalen Macht mit einem eindrucksvollen Herrschaftsgebiet herangewachsen war, aber im Lichte der späteren Entwicklungen immer noch in den Kinderschuhen steckte. Rom am Vorabend des Sturzes der Monarchie.

Nachdem die Rebellen den König und seine Familie vertrieben hatten, gründeten sie eine Republik. Die Macht musste neu verteilt, die wichtigsten Aufgaben, die Kriegsführung und das Kommando über die Armee, die Rechtsprechung und das Leiten von Ritualen, in neue Hände gegeben werden. Die politische Macht, also die faktische Herrschaft in Rom, ging nach der Abschaffung des Königtums auf zwei Amtsträger über, die etwa anderthalb Jahrhunderte später den Titel Konsul erhalten sollten. Gemeinsam verfügten sie zwar über dieselbe Macht wie der König, doch war diese beschränkt: Sie konnten die Pläne des jeweils anderen mit ihrem Vetorecht durchkreuzen und durften ihr Amt nur ein Jahr lang bekleiden. Nach dessen Ablauf legten sie Rechenschaft über ihre Amtszeit ab, sodass sie im Nachhinein noch für eventuelle Missetaten zur Verantwortung gezogen werden konnten. Ihnen zur Seite standen zwei Quästoren, die Verwalter der Staatskasse. Senat und Volksversammlung, deren Ursprünge nicht vollständig aufgeklärt sind, die jedoch als Institution zweifellos beide schon zuvor existierten, blieben die wichtigsten beratenden Instanzen, und der Einfluss der ersten – des Rates alter Männer – wuchs weiter an. Und so war es nicht der König, der am Ende des sechsten Jahrhunderts vor Christus den Jupitertempel auf dem Kapitol einweihen durfte, diese Ehre gebührte den ersten republikanischen Führern.

Der Tempel des Jupiter Optimus Maximus sollte sich zum Zentrum des römischen Staatskultes entwickeln, nicht nur während der Republik, sondern auch in der darauf folgenden Kaiserzeit (ab 27 v. Chr.). Religion hatte im alten Rom eine ganz eigene Bedeutung, die viel öffentlicher und politischer war, als wir es uns heute vorstellen können. Beim Tempel wurden im Namen der Konsuln oder des Kaisers öffentliche Opfer dargebracht, und für die vom Schlachtfeld zurückkehrenden Heerführer bildete der Jupitertempel auf dem Kapitol das Ziel jedes offiziellen Triumphzuges durch die Stadt. Darüber hinaus diente der Tempel als Aufbewahrungsort für wichtige Archivalien und prestigeträchtige Besitztümer des Staates. Im Laufe der Jahrhunderte sollte das Römische Reich immer schneller wachsen. Und mit den dadurch erworbenen Reichtümern wurde dieses Urheiligtum Roms ständig verschönert und restauriert, sodass der Kapitolinische Tempel zum Symbol der Macht und Unantastbarkeit Roms werden konnte.

V. PIAZZADEICINQUECENTO

EINEMAUERFÜRDIEJUNGEREPUBLIK

WIEVIELEROMBESUCHER kratzen sich bei der Ankunft mit dem Zug wohl am Kopf und fragen sich: Ist das jetzt die Ewige Stadt? Ob sie nun den ganzen Weg von zu Hause per Zug zurückgelegt haben oder mit dem Leonardo-Express vom Flughafen in die Stadt gekommen sind, für fast alle beginnt Rom an der Stazione Termini und der davor liegenden vielbefahrenen Piazza dei Cinquecento. Während andere europäische Hauptstädte einen monumentalen Hauptbahnhof vorzuweisen haben, erkennt man auf den ersten Blick, dass es sich bei der Stazione Termini nicht gerade um ein jahrhundertealtes Museumsstück handelt. Es ist eines der wenigen Gebäude im Zentrum von Rom, die aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen. 1946 begann man mit dem Umbau von Mussolinis früherem Entwurf, und am 20. Dezember 1950 wurde der Bahnhof schließlich feierlich eingeweiht. Seitdem wurde er immer wieder saniert und vergrößert, sodass er sich zu einem der Bahnhöfe mit dem höchsten Passagieraufkommen in Europa entwickeln konnte. 2006 benannte man ihn offiziell nach Papst Johannes Paul II., und einige Jahre später wurde auch eine Statue des Papstes enthüllt, die seitdem die Piazza dei Cinquecento schmückt.

Der Bahnhof Termini ist nicht aus dem Nichts heraus entstanden. An der Stelle, wo heute die riesige Bahnhofshalle steht, weihte der Kirchenstaat zwischen 1856 und 1859 die ersten beiden Bahnstrecken auf seinem Territorium ein: Rom-Frascati und Rom-Civitavecchia. Rom wandelte sich endgültig zu einer modernen Stadt, als der kleine Bahnhof, den der Papst aufgrund des wachsenden Bahnverkehrs bei der Porta Maggiore hatte errichten lassen, durch eine ordentliche Bahnhofshalle ersetzt wurde. 1862 wurde die erste Stazione Centrale delle Ferrovie Romane eröffnet, doch schon bald beauftragte Papst Pius IX. den Architekten Salvatore Bianchi mit einem Neubau. 1870 verloren die Päpste ihre weltliche Macht in Rom, und so wurden die Erweiterungen und Verschönerungen des Bahnhofs unter der Flagge des Königreichs Italien fortgesetzt. Er bekam ein dem neunzehnten Jahrhundert entsprechendes Äußeres und trug fortan den Namen der nahe gelegenen Ruinen der Thermen des Diokletian (Terme di Diocleziano) – Stazione Termini war geboren. Der große Platz davor wurde nach den fünfhundert Soldaten benannt, die 1887 in der Schlacht bei Dogali in Abessinien (Äthiopien), bei der die Italiener eine Niederlage erlitten, ihr Leben verloren. Bis 1924 stand auf der Piazza dei Cinquecento ein Denkmal für die Gefallenen. Es wurde später versetzt und steht heute im Garten der Diokletiansthermen.

Die Geschichte des Bahnhofs Termini und der Piazza dei Cinquecento ist also hauptsächlich der jüngeren Vergangenheit zuzurechnen. Und doch können wir, sobald wir die Bahnhofshalle hinter uns lassen, noch einen Blick auf die frühen Anfänge Roms erhaschen. Wenn wir das Gebäude durch den Hauptausgang an der Piazza dei Cinquecento verlassen, sehen wir zu unserer Rechten die Überreste einer aus gewaltigen Steinblöcken errichteten Mauer. Ein Stadtführer würde eilends berichten, dass es sich um die Mauer von Servius Tullius handelt, die »Servianische Mauer«, erbaut im Auftrag des vorletzten Königs von Rom. Es gibt jedoch wenig Grund zu der Annahme, dass diese traditionelle Zuordnung mehr ist als eine auf wenig Beweisen gründende Mutmaßung; in keiner einzigen antiken Quelle finden sich Belege für die Theorie, dass es Servius Tullius war, der die Stadt befestigen ließ. Was wir jedoch tatsächlich nachlesen können, und zwar wiederum bei Livius, ist, dass zu Beginn des vierten Jahrhunderts vor Christus mit dem Bau der Stadtmauer begonnen wurde (genauer gesagt im Jahr 378 v. Chr.). Sie ist eines der ersten monumentalen Bauprojekte in Rom nach dem fünften Jahrhundert vor Christus – eine Phase, die unter Archäologen als Jahrhundert der Krisen bekannt ist und die etwa um das Jahr 390 v. Chr. in der Plünderung Roms durch die Gallier gipfelte, die bei so ziemlich allen antiken Autoren, die über Rom geschrieben haben, erwähnt wird.

Die Krise ist, so könnte man sagen, archäologisch umgekehrt zurückzuverfolgen: Während im Rom des sechsten Jahrhunderts vor Christus noch einige öffentliche Bauten fertiggestellt wurden und reichlich attische Keramik und Prestigegegenstände in Umlauf waren, verlieren sich im fünften Jahrhundert die Anzeichen für Wohlstand. Die Qualität der Keramik nimmt ab und manche Objekte verschwinden sogar vollständig, zumindest aus dem archäologischen Bestand. In den schriftlichen Quellen, die recht genau Aufschluss darüber geben, was zu welchem Zeitpunkt in Rom gebaut wurde, herrscht über die Zeit nach 484