Vinh & Cyrus - Jay Boss - E-Book

Vinh & Cyrus E-Book

Jay Boss

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Beschreibung

Ein eiskalter Alpha Ein aufmüpfiger Omega Feinde auf den ersten Blick ... oder? Vinh ist vom Pech verfolgt. Ständig geht in seinem gemütlichen Café etwas Neues kaputt und seine Familie ist nur einen Schritt von der Obdachlosigkeit entfernt. Doch dann marschiert der arroganteste Alpha herein, den Vinh je getroffen hat, und macht ihm ein unmoralisches Angebot: eine Summe, die all seine Probleme beenden würde gegen Vinhs Unschuld. Cyrus ist ein Alpha durch und durch: stark, mächtig und berechnend. Seine Familie ist die reichste der Stadt und er ist daran gewöhnt, sich alles kaufen zu können, was er will. Bis er auf Vinh trifft. Der tollpatschige Omega erteilt ihm nicht nur eine deutliche Abfuhr, sondern verbannt ihn gleich für alle Zeiten aus seinem Café. Eine Frechheit! Funken fliegen zwischen den ungleichen Männern, und nach der ersten Begegnung hoffen beide, dass sie sich nie wiedersehen. Doch das Schicksal führt sie erneut zusammen ... »Das Omega-Café: Vinh & Cyrus« ist ein sinnlich-süßer M/M Omegaverse-Roman. Er hat 103.000 Wörter, was ungefähr 500 Buchseiten entspricht.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Vinh
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Vinh
Cyrus

Impressum

 

Das Omega-Café

Vinh & Cyrus

Text Copyright © 2023 Jay Boss/Regina Mars

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.

 

Jay Boss/Regina Mars

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

[email protected]

www.reginamars.de

Alle Rechte vorbehalten

 

Umschlagfotos:

Lolostock / shutterstock.com

d1sk / Adobe Stock

lauritta / Adobe Stock

Tartila / Adobe Stock

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Vinh

»Schau mal«, flüsterte Jace und balancierte ein Tablett an Vinh vorbei, auf dem sich Scones und Matcha-Macarons türmten.

Der süße Duft des Gebäcks stieg in Vinhs Nase und erinnerte ihn daran, wie leer sein Magen war. Er hatte keine Zeit gehabt, Mittagspause zu machen. Nicht, wenn das Café so voll war wie jetzt. An allen Tischen saßen Alphas und Omegas und warteten darauf, dass Jace und Vinh sie bedienten.

Kein Wunder, dass niemand nach draußen wollte: Dort rann der Regen an der Schaufensterscheibe entlang, Leute huschten vorbei, die Krägen hochgeschlagen, die Mäntel im Wind flatternd. Ihre Schuhe versanken in tiefen Pfützen und jeder, der das Café betrat, malte nasse Fußspuren auf die abgewetzten Dielen.

»Was denn?«, raunte Vinh zurück und schaufelte frisch gemahlenen Kaffee in das kleine Metallsieb der Espressomaschine. Der Kaffeeduft vermischte sich mit dem der frischen Croissants aus der Backstube und ließ seinen Magen knurren. Sobald er eine ruhige Minute hatte, würde er etwas essen. Egal, was.

»Der Alpha da hinten.« Jace grinste und sah aus wie ein hungriger Kater. Dabei war er ein Fuchs, wenn er sich verwandelte, genau wie Vinh. Die blonden Haare fielen ihm in die Stirn, als er sich zu Vinh hinüberbeugte. »Tisch 11. Sitzt allein. Schaut auf seinen Laptop. Stinkreich.«

Vinh schnaubte leise und schaltete die Espressomaschine an. Ihr Zischen und Schnauben hätte Jaces Stimme beinahe übertönt.

»Verdammt stinkreich«, sagte der. Gieriger Glanz trat in seine Augen. Verstohlen schaute er zu dem Mann hinüber und Vinh konnte nicht anders als seinem Blick zu folgen.

Hui, dachte er. Ja, dieser Alpha sah aus als hätte er Geld. Ganze Banktresore voll, um genau zu sein.

Es war der perfekt sitzende schwarze Anzug, den er trug. Der farblich darauf abgestimmte Regenschirm mit dem dezenten Goldmonogramm am Griff und der Kaschmirmantel, den der Mann ordentlich über die Lehne des Sessels gelegt hatte. Dieser Mantel war wahrscheinlich teurer als die Jahresmiete für das Café.

Darüber hinaus war der Gast ein äußerst attraktiver Alpha, muskulös, mit einem scharf geschnittenen Gesicht und kantigem Kinn. Obwohl er saß, erkannte Vinh, dass er groß war, sicher fast zwei Meter. Die schwarzen Haare trug er streng zurückgekämmt. Nur eine einzige Strähne hatte sich gelöst und fiel ihm ins Gesicht.

Vinh schauderte unwillkürlich, als er die Züge des Alphas musterte.

Kalt, dachte er. Eisig.

Aus dem attraktiven Gesicht schauten zwei hellblaue Augen und etwas darin ließ ihn an eine Nacht im Winter denken, ohne Heizung, warme Kleider oder Wolldecke.

Der Mann passte nicht in das Triple Fox Café. Überhaupt nicht. Seine gebügelte, frostige Erscheinung stach heraus, in dem gemütlichen Chaos, das hier herrschte. Er war ein Fremdkörper zwischen den wild zusammengewürfelten Holzmöbeln, den weich gepolsterten Sesseln mit den abgenutzten Bezügen und den knarrenden Holzdielen. Die Kerzenleuchter, die auf jedem Tisch standen, waren alte Schnapsflaschen, so mit Wachs überlaufen, dass man unter der bunten Schicht das Glas kaum noch erkannte.

Obwohl sie zum Rest der Einrichtung passten, wusste Vinh, warum sie wirklich hier standen: Sie hatten kein Geld für richtige Kerzenleuchter gehabt. Egal. Das warme Kerzenlicht vermischte sich aufs Angenehmste mit dem der alten Lampen an der Decke und der Lampionkette über der Theke. Alles hier war kunterbunt und gemütlich.

Nur der fremde Alpha nicht.

»Was macht einer wie der hier?«, überlegte Vinh. Er fuhr sich durch die wilden Locken und blieb hängen, obwohl er sie heute Morgen erst gekämmt hatte. »Ich meine, so ein Geschäftsmann … Der gehört in die Innenstadt. Oder sogar ins Mondseeviertel.«

Jace zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Aber ich bediene ihn, klar? So einer verirrt sich nicht alle Tage ins Triple Fox. Der ist mein Kunde.«

»Deine Beute, meinst du.« Vinh warf dem Alpha noch einen misstrauischen Blick zu. »Aber pass auf, ja? Der Kerl ist irgendwie unheimlich.«

»Ich dachte, du hast vor nichts Angst?« Jace wandte sich zum Gehen. »Keine Sorge. Ich wette, der bellt nur und beißt nicht. Na, vielleicht beißt er mich ein bisschen, wenn ich ihn nett darum bitte.«

Im Weggehen wackelte er demonstrativ mit dem Hintern, der in schwarzen Lederhosen steckte. Die, oder eher sein Hintern, waren der Grund, aus dem Jace immer mehr Trinkgeld bekam als Vinh. Vielleicht war es auch Jaces hübsches Gesicht. Oder die Tatsache, dass er mit allem flirtete, das sich in sein Blickfeld verirrte.

Vinh konnte weder flirten noch sich elegant bewegen, und sein Gesicht wurde eher als ‚freundlich‘ bezeichnet denn als ‚hübsch‘. Seine Haare waren eine Katastrophe. Er warf einen Blick in den nächstbesten Spiegel und sah, dass sie schon wieder in alle Richtungen abstanden. Die Kellnerschürze war zerknittert, die Stupsnase mit Mehl verziert und die Sommersprossen leuchteten förmlich aus seinem akazienholzfarbenen Gesicht. Keine Schönheit. Überhaupt nicht. Egal.

Vinh schüttelte den Kopf und strich die Schürze glatt. Sah er jetzt ordentlicher aus? Oh, die beiden Cappuccinos waren fertig. Er stellte sie auf sein Tablett und brachte sie den Omegas an Tisch 2. Dann nahm er drei weitere Bestellungen entgegen und kassierte Tisch 5 ab. Alles in unter fünf Minuten.

Langsam wirst du ein echtes Kellner-As, Vinh MacDonald, dachte er und stolperte prompt.

Gut, dass er ein leeres Tablett trug. So fing er sich und konnte sogar verhindern, dass es zu Boden krachte. Zwei Stammgäste zuckten zusammen. Die beiden Alpha-Wandler kamen seit der Eröffnung ins Triple Fox-Café und hatten vermutlich mehr Vinh-Pleiten erlebt, als sie zählen konnten. Von verschüttetem Kaffee zu durchs Café segelnden Macarons war alles dabei gewesen. Einmal hatte Vinh einen ganzen Tisch umgerissen und alles, was darauf war, auf dem Boden verteilt.

Er winkte den beiden Gästen zu und strahlte. »Nichts passiert.«

Sie lächelten, hielten aber ihre Tassen fest. Frechheit. Es war über eine Woche her, dass er das letzte Geschirr zerbrochen hatte. Und das war nur passiert, weil ein Kunde hereingekommen war, der ihn an Karim erinnert hatte.

Nicht an Karim denken, befahl er sich. Die schlimmsten Unfälle passieren immer, wenn du an Karim denkst.

In der Glasvitrine fand er keine Butter-Zimtschnecken mehr, also stieß er die Flügeltüren zur Küche auf und schlüpfte hindurch. Warmer Dampf und der Duft nach frischem Hefegebäck umhüllten ihn.

»Ich nehme drei Zimtschnecken mit«, rief er Masashi zu, der gerade Teig ausrollte. »Oder vier.« Er schaffte es, sich eine ganze in den Mund zu schieben. Sie war so weich und fluffig, dass er sie mit der Zunge am Gaumen zerdrücken konnte. »Hölle, ist das gut«, murmelte er mit vollem Mund.

»Was?« Masashi sah sich zu ihm um.

»Gut«, brachte Vinh hervor und schluckte und kaute hastig. »Du bist ein Genie. Kein Wunder, dass der Laden brummt.«

Masashi errötete. »Danke. Aber das liegt an uns allen, denke ich. Ohne Jace und dich wäre das Café nicht das Triple Fox.«

Vinh schluckte die letzten, köstlichen Reste herunter. »Ohne Jace und dich, meinst du. Die Gäste kommen wegen der Gerüchte, dass es hier das beste Gebäck von New Pyon gibt. Und sie bleiben, sobald sie das hübsche Gesicht von Jace sehen.«

»Sie bleiben auch wegen dir«, sagte Masashi sanft. »Du bist das Herz des Triple Fox.«

Nun wäre Vinh fast selbst errötet. »Quatsch«, murmelte er. »Ich bin der Elefant im Porzellanladen.«

»Du bringst sie zum Lachen.«

»Ja, mit meiner Ungeschicktheit.« Vinh prustete los.

Masashi schüttelte den Kopf. Er war fast so eine Schönheit wie Jace, mit der porzellanfarbenen Haut und den lackschwarzen Haaren. »Damit.« Er deutete auf Vinhs Nasenspitze. »Wenn du lachst, muss man einfach mitmachen. Sogar ich.«

»Ach.« Vinhs Ohren wurden heiß und er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Jace rettete ihn, indem er mies gelaunt in die Küche stapfte.

»Wo sind die Zimtschnecken?«, murrte er. »He, trödelst du hier rum, Vinh? Deine Tische warten.«

Vinh musterte ihn erstaunt. »Warum bist du so gemein … Bist du etwa abgeblitzt?«

Jace tat so, als wollte er ihm in den Hintern treten und schnaubte. »Dieser reiche Sack hat keine Ahnung, was ihm entgeht. Ich hätte den in den Himmel und zurück gevögelt. Die Eier hätte ich ihm leergelutscht und seinen Prügel mit meinem Loch massiert. Aber wenn der so ignorant ist …« Er betrachtete Masashi und Vinh. »Falsches Publikum, hm?«

Vinhs Ohren wurden immer heißer. »Was, warum denn?«

»Dein Kopf sieht aus, als würde er abfackeln.« Jace schnappte sich eine Zimtschnecke. »Du Unschuld vom Lande.«

Vinh war genau so ein Stadtkind wie Jace. Und es nervte, dass sein Freund ihn ständig aufzog. »Mir ist nur warm. Meine Hitze steht kurz bevor.«

»Und, wirst du sie diesmal nutzen?« Jace legte den Kopf schief.

»Nein«, murrte Vinh und wandte sich ab. »Mach lieber deinen Job, als mich zu nerven. Deine Tische warten.«

Jace schnaubte verächtlich. »Deine Tische warten schon länger, Jungfrau.«

Vinh ignorierte ihn. Mit hoch erhobenem Kopf marschierte er aus der Küche. Genau in dem Augenblick, in dem die Türglocke ging. Ein bulliger Alpha mit einem Baseballschläger in den Händen torkelte ins Café. Seine Jacke war nass vom Regen.

»Morris!«, röhrte er. Seine Augen waren rot und seine Aussprache undeutlich. Der hatte etwas eingeworfen, eindeutig. »Ich bring dich um, du Schlampe!«

Ein blasser Omega sprang auf. So hastig, dass er seinen Stuhl umwarf und darüber stolperte, als er einen Schritt rückwärts machte. Die anderen Gäste verharrten. Vinh sah die Angst in ihren Gesichtern. Zwei Alphas machten Anstalten, aufzustehen.

Langsam stellte er sein Tablett auf der Theke ab.

»Bleibt sitzen, Leute!«, rief er in die Runde. »Ich regle das!«

Cyrus

 

Kein einziges Angebot fiel zu seiner Zufriedenheit aus und nun saß er auch noch in diesem schäbigen Café fest. Was hatte Onkel Neville sich dabei gedacht, ihn herzubestellen?

Dein Onkel ist wahnsinnig geworden, Cyrus, sagte Papa stets. Er hat die Sache damals nie überwunden. Du weißt schon.

Ja, er wusste. Was gut war, denn Papa schaffte es nicht, es auszusprechen. Als echter Omega der Oberschicht kommunizierte er stets über vage Anspielungen und bedeutungsvolle Blicke.

Niemand wusste, wo Onkel Neville gerade wohnte. Und dass er Cyrus hier treffen wollte, im Zeman-Viertel, ließ nicht darauf hoffen, dass sich sein Zustand gebessert hatte. Ausgerechnet Zeman. Auf dem Weg hierher war Dreckwasser über Cyrus’ Schuhe geflossen, war er unzähligen Pfützen auf dem rissigen Bürgersteig ausgewichen. Alles hier stank nach Armut. Die Pfützen, die kaputten Rahmen der Fahrräder, die an jeden mageren Baum gekettet waren, und die Trödelläden, Matratzenlager und Spirituosengeschäfte, die die Straße säumten.

Zeman ist nicht so schlimm wie du denkst, hatte Onkel Neville behauptet. Es liegt genau auf halber Strecke zwischen dem Mondseeviertel und den Slums. Auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst: Zeman ist normal.

Normal waren saubere Straßen und Menschen, die sich Mühe mit ihrer äußeren Erscheinung gaben, dachte Cyrus und sah von seinem Laptop auf. Die Gespräche um ihn herum waren zu laut. Der Sessel, auf dem er saß, lächerlich tief, die Einrichtung schäbig und die Wandregale voll zerfledderter Bücher und Trödel. Ein Laden, der aussah, als wäre er im vorherigen Jahrhundert steckengeblieben.

Allerdings … Er musste zugeben, dass der Geruch verführerisch war. Der gesamte Innenraum duftete nach frischem Gebäck und Kaffee. Da er ohnehin etwas bestellen musste, winkte er dem Kellner. Einem von zwei Kellnern. Zwei. Für fast zwanzig Tische. In seinem Stammrestaurant hatte er stets einen persönlichen Kellner, der sich nur um seine Wünsche kümmerte.

Der blonde Kellner wirkte marginal kompetenter als sein Kollege. Der, ein braunhaariger Omega, dessen Gesicht die Definition von ‚gewöhnlich‘ war, war vorhin gestolpert und hätte beinahe zwei Alphas mit Eiskaffee übergossen.

Der blonde Kellner schlich heran wie ein Kater, der Beute witterte. Cyrus stöhnte innerlich. Natürlich. Für jemanden, der in diesem Elendsviertel lebte, musste er ein gefundenes Fressen sein.

»Hallo«, sagte der Blonde und lächelte so gierig, dass seine Eckzähne blitzten. »Willkommen im Triple Fox Café. Was darf ich dir bringen?« Provozierend kippte er sein Becken.

Cyrus warf ihm einen Blick zu, der das Lächeln schmelzen ließ wie ein Eis unter Laserbeschuss. »Was darf ich Ihnen bringen«, korrigierte er. »In Ihrer Position ist ein Mindestmaß an Höflichkeit angebracht. Oder ist es hier üblich, Kunden zu duzen wie alte Saufkumpane?«

»Äh, nein.« Der Omega blinzelte. Er war hübsch, aber den Aufwand nicht wert. Einer wie der wurde sofort schwanger und dann zahlte man sein Leben lang für ein paar Stunden Spaß. Das hatte sein Vater ihm eingebläut und der ältere Alpha sprach aus Erfahrung. Seit Cyrus die Finanzen seiner Großfamilie verwaltete, wusste er, wie viele seiner Verwandten sich kleine Fehler geleistet hatten. Und was es sie bis heute kostete.

»Ich nehme einen doppelten Espresso.« Cyrus wandte sich wieder seinem Laptop zu.

»Gerne.« Es klang alles andere als glücklich. Aber der Omega trollte sich und würde hoffentlich schnell mit seiner Bestellung zurückkommen. Cyrus widerstand der Verlockung des frischen Gebäcks. Es duftete köstlich, aber er hatte bereits zu Mittag gegessen.

Einige ergebnislose Minuten später war Onkel Neville immer noch nicht aufgetaucht. Und die Angebote, die Cyrus auf seinem Laptop sichtete, wurden nicht besser. Cyrus verschob das dreizehnte in den ‚Abgelehnt‘-Ordner, als die Tür aufflog. Mit einem dumpfen Knall krachte sie gegen die Wand. Die Glocke darüber bimmelte hektisch.

Frischer Wind streifte Cyrus’ Wange. Es roch nach Regen. Entnervt sah er auf und wollte den Neuankömmling gerade bitten, die verdammte Tür zu schließen, als er den Baseballschläger sah.

»Morris!«, röhrte der Alpha. Die Muskeln auf seinem Stiernacken traten deutlich hervor. Regen tropfte von seiner durchweichten Kleidung. »Ich bring dich um, du Schlampe!«

Natürlich. Ein Überfall. Cyrus hatte sich in die Gosse begeben, nun zahlte er die Rechnung. Seufzend klappte er den Laptop zu. Die beiden Omega-Kellner würden sich sicher nicht gegen den Eindringling wehren können und die anderen Gäste wirkten zu verschreckt, um etwas zu tun.

Meine erste Schlägerei seit der Oberstufe, dachte Cyrus bitter. Herrlich. Danke, Onkel Neville.

Er wollte sich gerade erheben, als der braunhaarige Kellner mit dem gewöhnlichen Gesicht auftauchte. Er schlüpfte hinter der Theke hervor und hob die Hände.

»Bleibt sitzen, Leute!«, rief er in die Runde. »Ich regle das!« Sein Lächeln war vollkommen unbesorgt.

Cyrus hatte noch nie jemanden mit so vielen Sommersprossen gesehen und gegen die breite Nase hätte man in seinen Kreisen längst etwas getan. Schließlich war das Aussehen eines Omegas seine mächtigste Waffe.

Unwillkürlich verharrte Cyrus. Was nun? Sicher würde dieser ordinäre Omega sich nicht mit dem Schläger anlegen. Besaß er vielleicht ungewohntes Verhandlungsgeschick oder diplomatische Fähigkeiten …

»Verzieh dich«, sagte der sommersprossige Omega und baute sich vor dem Stiernacken-Alpha auf. »Du machst den Gästen Angst.«

Der Stiernacken bemerkte den Kellner vor sich gar nicht. »Morris!«, brüllte er. Sein Blick war glasig. All seine Aufmerksamkeit war auf einen Kerl weiter hinten gerichtet, der hinter einem umgefallenen Stuhl kauerte.

Der Kellner legte eine Hand auf den Arm des Alphas. »Komm schon. Lass uns das friedlich regeln. Wenn du lieb bist und verschwindest, geb ich dir einen Kaffee aus …«

Der Alpha schwang den Schläger. Direkt dahin, wo bis vor einem Wimpernschlag noch der Kopf des Kellners gewesen war.

Was?

Der Kellner hatte sich geduckt, so schnell, dass Cyrus ihm kaum folgen konnte. Flink senkte er den Kopf und schoss vorwärts. Sein Scheitel rammte den Bauch des Alphas. Der brüllte und taumelte rückwärts. Fast hätte er den Baseballschläger verloren.

»Lass das, du Arschloch!«, röhrte er und schlug erneut nach dem Omega. Der duckte sich. Beim nächsten Schlag zielte der Alpha tief.

Und der Omega war plötzlich in der Luft. Sein schlanker Körper wirbelte herum, die Schürze flatterte und dann landete sein Absatz genau auf der Nase des Alphas. Der stolperte rückwärts und brüllte. Blut schoss aus seinen Nasenlöchern. Sein Rücken stieß gegen die Tür. Sie gab nach. Er fiel in den Regen und ging draußen auf dem Bürgersteig zu Boden. Der Omega war wieder gelandet, elegant wie eine Katze. Rasch stapfte er zur Tür, die hin- und herschwang und riss sie auf.

»Du bist im Triple Fox Café nicht mehr willkommen!« Er hob das Kinn. »Verzieh dich und lass unsere Gäste in Ruhe!«

Der Alpha hob die Hände. Er rappelte sich halb aus der Pfütze auf, in der er saß. Regen rann über sein Gesicht und seine Augen klärten sich einen Moment lang.

»Was?«, rief er. »Sorry, ich wollte nur … Ich wollte mit meinem Freund reden.«

»Ex-Freund!«, rief jemand aus dem Inneren des Cafés. Der Omega, der hinter dem umgefallenen Stuhl kauerte. »Lass mich in Ruhe!«

»Du hast ihn gehört«, sagte der braunhaarige Kellner. »Geh.«

Cyrus fragte sich, welches Tier der Omega war, wenn er sich verwandelte. Anfangs hatte er eher wie ein Kaninchen gewirkt, aber jetzt … Das Logo des Cafés fiel ihm ins Auge. Ja, ein Fuchs kam hin. Trotz seines gewöhnlichen Aussehens bewegte der Kellner sich geschmeidig und irgendwie wirkte er, als wüsste er mehr als jeder andere im Raum.

Cyrus fragte sich, was der Omega wusste. Interessiert musterte er, wie der die Tür zu machte, herumwirbelte und sich verbeugte. Die Gäste klatschten.

»Gute Arbeit, Vinh!«, rief ein schmalbrüstiger Alpha. »Wie immer!«

»Ja, netter Tritt.« Ein anderer Alpha grinste. »Wenn du jetzt noch lernen würdest, ein Tablett zu tragen, ohne dass der Kaffee runterkippt …«

»Klappe.« Der Mund des Kellners verzog sich zu einem niedlichen Schmollen. »Mir ist schon seit letzter Woche nichts mehr runtergefallen, Olaf.«

»Ja, halt die Klappe.« Olafs Freund boxte ihm auf die Schulter. »Bist du gekränkt, weil Vinh uns gerettet hat und nicht du?«

»Gar nicht.« Der Alpha wirkte verstimmt.

»Hey, du bist mein Gast, Olaf.« Der Omega stemmte die Hände in die Hüften. »Ist doch mein Job, auf dich aufzupassen. Trink deinen Kaffee, entspann dich und überlass den Rest mir.« Vinh strahlte und sein Lachen war noch niedlicher als sein Schmollmund.

Wie bitte?

Cyrus zuckte zusammen. Hatte er diesen Omega jetzt schon zweimal als ‚niedlich‘ bezeichnet? Beunruhigt wandte er den Blick ab. Glücklicherweise sah er dadurch in die Richtung, auf die keiner mehr achtete: zur Tür.

Der Stiernacken-Alpha stürmte in das Café wie eine Lawine. Den Baseballschläger schwingend trampelte er auf Vinh zu.

»Ich mach euch fertig!«, brüllte er. »Alle!«

Vinh

 

Mist. Er hätte wirklich aufpassen sollen. Das dachte Vinh, als der bullige Alpha durch die Tür donnerte, Regentropfen spritzend und brüllend.

Vinh ballte die Fäuste und machte sich bereit, als … der Bulle stolperte. Nein, ‚stolpern‘ war ein zu schwaches Wort. Er hob ab, segelte zwischen den Tischen durch und landete direkt vor Vinhs Füßen. Sein Kinn schlug auf den Boden auf. Er verdrehte die Augen und erschlaffte.

Verwundert schaute Vinh erst auf die reglose Gestalt, dann auf die Stelle, an der der Kerl gestolpert war. Der reiche Geldsack, den Jace vorhin bewundert hatte, zog seinen Regenschirm zurück. Das war es also gewesen. Die Spitze hatte den Kerl zu Fall gebracht.

Vollkommen ausdruckslos stand der Geldsack auf. Der Mann. Es war nicht nett, ihn ‚Geldsack‘ zu nennen, nicht mal in Gedanken, nachdem er Vinh geholfen hatte.

Wie wäre es mit ‚Goldstück‘?, dachte Vinh und hätte fast gekichert.

Der Geldsack-Goldstück-Alpha warf ihm einen Blick zu, eisiger als ein Bad im tiefsten Winter, und packte den Bullen am Kragen. Bevor irgendjemand reagieren konnte, hatte er ihn nach draußen geschleift. Der Bulle regte sich. Stumm sahen sie zu, wie der andere Alpha draußen mit ihm redete. Vinh verstand nicht, was er sagte. Die Tür und der Wind schluckten alle Worte. Tote Blätter jagten an den beiden vorbei. Fernes Wetterleuchten zuckte über den Anzug des reichen Alphas und den kurzgeschorenen Schädel des Bullen. Dessen Augen waren hell und rund. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Fratze nackter Panik.

»Also«, murmelte Vinh, »ich kann Störenfrieden die Fresse polieren, aber sowas kann ich nicht. Was erzählt er ihm da?«

Was immer es war, es ließ den Bullen schlotternd zurück. Irgendetwas murmelnd wandte er sich ab und rannte. So hastig, dass er stolperte. Sie sahen, wie er sich wieder fing, dann verschwand er aus Vinhs Blickfeld.

Der Goldstück-Alpha strich über seine regennassen Schultern und verzog angewidert das Gesicht.

Vermutlich ein Eisbär, dachte Vinh. Ja, das wird er sein. Oder ein Polarfuchs?

Nun, das würde er nie herausfinden. Welche Art Wandler man war, war nichts, was man jedem Dahergelaufenen erzählte.

Na ja, dachte Vinh und betrachtete das Logo ihres Cafés in der nassen Scheibe, bis auf uns natürlich. Dass Jace, Masashi und er, obwohl sie nicht verwandt waren, alle Fuchswandler waren, war zu unglaublich, um nichts daraus zu machen. Und so hatten sie das Logo mit den drei Füchsen erstellt. Einem roten, einem grauen und einem schneeweißen.

Missgelaunt stapfte der vermutliche Eisbär zurück ins Café. Vinh begrüßte ihn strahlend.

»Hey«, sagte er und klatschte dem Mann gutgelaunt auf den Oberarm. Welcher triefnass war, nach nur zwei Minuten da draußen. »Danke für deine Hilfe. Sorry, dass du nass geworden bist, weil du dich um die Flachzange da kümmern musstest. Weißt du was? Ich geb dir einen aus. Was möchtest du? Geht aufs Haus.«

Der Blick des Alphas war schwer deutbar. Er wirkte gleichzeitig brüskiert und fasziniert, aber Vinh war nicht ganz sicher, ob er ihn richtig interpretierte. Er fühlte sich unbeholfen und wurde steifer, je länger der Alpha auf ihn hinabsah.

»Ich nehme einen Eiskaffee«, sagte der Mann schließlich und Vinh hätte beinahe erleichtert geseufzt.

»Wird erledigt.« Vinh knickste albern und wollte schon davonstürmen, als ihm etwas einfiel. Er streckte dem Alpha die Hand hin. »Ich bin Vinh MacDonald. Freut mich.«

Der Alpha zögerte einen Moment lang, bevor er einschlug. Seine Hand war wärmer als erwartet, der Druck fest. »Cyrus Verdugo.«

Vinh hörte scharfes Einatmen hinter sich. Kein Wunder. Der Name Verdugo war bekannt. Er gehörte der Familie, die mehr Gebäude in der Stadt besaß als jede andere Familie. Oder Firma. Bei den Verdugos war das eh ein und dasselbe, und der weit verzweigte Clan gehörte zu den reichsten von New Pyon City.

Vinh beschloss, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. War bestimmt nervig für diesen Cyrus, ständig auf seinen Familiennamen reduziert zu werden.

»Schön, dich kennenzulernen, Cy«, sagte er. »Setz dich doch. Ich bringe dir ein Handtuch und den Eiskaffee.«

Cy nickte. Er hielt Vinhs Hand einen Augenblick zu lang fest und ein winziger Funke glomm unter Vinhs Haut auf. So ein Mist. Seine Hitze stand bevor und das waren die ersten Anzeichen. Morgen würde er ein rolliges Bündel sein.

Sobald der Alpha ihn losließ, eilte er davon. Vorbei an Jace, der sich um Morris kümmerte. Der Omega zitterte immer noch, und Jace redete beruhigend auf ihn ein.

Leider nicht lange. Als Vinh gerade den Eiskaffee mischte, tauchte Jace plötzlich neben ihm auf.

»Was ist denn mit dir los?«, raunte er. »Dein Gesicht ist knallrot.«

»Gar nicht«, log Vinh. »War halt anstrengend, den Bullen rauszuschmeißen.«

Jace lachte. »Gut, dass dein Bruder dir beigebracht hat, wie man Alphas verprügelt. Masashi und ich wären alleine verloren.«

»Blödsinn.« Letzte Woche waren Jace und er auf dem Heimweg angegriffen worden. Vinh hatte die Hauptarbeit gemacht, aber sein Freund hatte einem der Angreifer mit dem Knie die Klöten zerschmettert. »Du kannst dich gut alleine verteidigen. Hey, und wenn alles schief geht, kannst du dich immer noch aus der Sache rausflirten.«

Jace lächelte stolz. »Jepp.« Wieder musterte er Vinh. »Oh. Die Hitze naht, was?«

»Nicht so laut«, murmelte Vinh. »Das geht keinen was an.«

»Also einige der Alphas hier würde es sicher interessieren.« Jace sah sich um. »Gibt genug, die deinen süßen Arsch gern anstechen würden.«

»Mein süßer Arsch steht nicht zur Verfügung«, knurrte Vinh. »Niemandem.«

»Schade.« Jace schmollte. »Das heißt, dass Masashi und ich morgen allein den Laden schmeißen, was?«

»Ist halt so.« Sie hatten die Unterhaltung schon so oft geführt, dass Vinh müde war. Er wusste genau, was jetzt kam.

»Warum machst du es nicht wie ich?«, fragte Jace, wie jeden Monat. »Wenn du dich von einem Alpha besteigen lässt, geht es schneller vorbei. Du wärst morgen wieder einsatzbereit. Und du könntest dir noch ein paar Dollar dazuverdienen.«

»Weil ich nicht will«, knurrte Vinh. Der Eiskaffee war fertig. Gut. »Lass mich in Ruhe damit. Ich will das nicht.«

»Warum?« Jace betrachtete seine makellosen Fingernägel. »Meinst du, sowas machen nur Schlampen?«

»Nein.« Vinh seufzte. »Was du machst, machst du. Und was ich mache, mache ich.«

»Was ich mache, ist, morgen zu arbeiten.«

»Ich übernehme deine Frühschicht am Donnerstag, wenn du dann aufhörst zu nölen.« Vinh knallte den Eiskaffee auf eins der Holztabletts.

»Danke.« Jace grinste. »Das wollte ich hören.«

»Das weiß ich.« Vinh schnappte sich ein Handtuch aus dem Nebenzimmer und balancierte das Tablett zurück durch das Café. Vorbei an Leuten, um deren Bestellungen er sich später kümmern würde. Schließlich hatte keiner von denen ihn gegen einen wildgewordenen Bullen-Alpha verteidigt.

Das blaue Licht des Laptops schien in das ohnehin kühle Antlitz des fremden Alphas. Cy, erinnerte Vinh sich. Sein Name war Cy.

»Hier, dein Eiskaffee«, sagte er und stellte ihn neben den Laptop. Leider erwischte er eine Kante des Notizblocks, der dort lag. Das hohe Glas kippte. Genau auf die Tastatur des Laptops zu. Sie griffen gleichzeitig danach. Es war Vinh, der das Glas rechtzeitig erwischte. Cys Finger schlossen sich um Vinhs.

»Sorry«, stotterte Vinh. »War keine Absicht.«

Cys frostglänzende Augen musterten Vinh. »Die Daten auf diesem Laptop sind unbezahlbar.«

»Ja also, tut mir echt leid.« Vinhs Puls raste. Mist. Sie waren schon mit der Miete im Verzug. Ein Wasserschaden in der Küche hatte ihren alten Herd zerstört und sie in Schulden gestürzt. Auf keinen Fall durfte jetzt noch etwas geschehen, das sie weiter in die Scheiße ritt.

Cy schnupperte. Seine Augen wurden schmal und eine dunkle Strähne fiel ihm in die Stirn. Er war wirklich ein äußerst attraktiver Mann.

»Deine Hitze steht bevor«, raunte der Alpha und die Worte rannen durch Vinhs Körper und bündelten sich zwischen seinen Beinen.

»Nein«, keuchte er. »Ja.« Irritiert schaute er auf das Glas, das sie immer noch beide festhielten. Er spürte die Kälte des Eiskaffees und die Wärme von Cys Hand und er war so nervös, dass seine Zunge über die einfachsten Worte stolperte. »W-was geht das dich an?«

Cyrus zog den Eiskaffee näher, und damit auch Vinh. Seine Stimme war so kalt wie seine Augen.

»Ich habe einen Vorschlag, Omega.«

Cyrus

 

Nervtötend. Das war es. Er fühlte Vinhs Hand immer noch in seiner. Er hatte einen Hauch seines Dufts erhascht und er starrte seit drei Minuten auf seinen Bildschirm, ohne die Worte dort zu verstehen.

Wütend sah er auf. Das Café war zu Trubel und Chaos zurückgekehrt und es wurden wieder Zimtschnecken und Macarons verzehrt. Vinh stand neben dem Kühlschrank und bereitete Cyrus’ Eiskaffee zu. Neben ihm lehnte der blonde Omega und präsentierte dem gesamten Café seine ansprechende Rückansicht. Die enge, lederne Hose überließ der Fantasie exakt nichts. Und doch starrte Cyrus stattdessen auf Vinhs schäbige Jeans. Der Hintern darin ließ sich nur erahnen, aber was zu erkennen war, war vielversprechend.

Wann hatte er das letzte Mal solche Lust auf einen Omega verspürt? Vor vielen Jahren. Als er ein Teenager gewesen war, vielleicht. Cyrus hatte geglaubt, nicht länger ein Opfer seiner Hormone zu sein, aber offenbar hatte er sich geirrt. Irgendetwas an dem Omega reizte ihn. Was seltsam war. Vinh MacDonald war sicher nicht der hübscheste Omega, den er je getroffen hatte, bei weitem nicht. Cyrus kannte ihn erst seit wenigen Minuten und er wusste schon Folgendes: Vinh war laut, ungeschickt und hatte keinerlei Manieren. Er hatte ihn ‚Cy‘ genannt. Nicht mal Cyrus’ eigener Papa gab ihm Spitznamen.

Also. Warum kribbelten Cyrus’ Lenden, als Vinh sich bewegte und ein wenig mehr von seiner Kehrseite erahnen ließ? Der Lockenkopf neigte sich und ein Stück erhitzte Wange kam zum Vorschein. Ein Hauch der Lippen, die zum Lachen wie gemacht waren. Cyrus dachte an die Grübchen, die sich vorhin in seinen Wangen gezeigt hatten und sein Jagdtrieb erwachte. Der Teil von ihm, der nicht Mann, sondern Wolf war, streckte sich und machte sich bereit für den Angriff.

Das ist eine schlechte Idee, ermahnte Cyrus ihn. Ein unterprivilegierter Omega wie er wird sofort versuchen, schwanger zu werden. Er wird nicht die Gelegenheit verstreichen lassen, sich ein besseres Leben zu erkaufen.

Der Wolf leckte sich die Lippen.

Natürlich gibt es Kondome, dachte Cyrus. Und ich schätze, wenn ich ihn anständig entlohne, wird er weniger Anstalten machen, mich zu erpressen.

Was für eine lächerliche Situation. Er hatte nicht mehr für Sex gezahlt, seit … nun, damals. Es war nicht nötig gewesen. Die Omegas, die seine Begierde geweckt hatten, hatten sich freiwillig in seine Arme begeben. Und sie hatten es gern getan. Er wusste, wie er sie zum Schreien brachte.

Der Gedanke, dass Vinh MacDonald auf seinen Laken lag, nackt und brüllend, jagte Lustschauer durch ihn. Sicher hatte ein Junge aus Zeman Erfahrung. Vielleicht beherrschte er Tricks, von denen Cyrus’ bisherige Affären nicht einmal träumten.

Cyrus hätte beinahe gelächelt. Onkel Neville ermahnte ihn oft genug, eine Pause zu machen und sich um die schönen Dinge des Lebens zu kümmern. Das würde er. Noch heute Nacht.

Vinh kam auf ihn zu, das Tablett vorsichtig balancierend. Als er sich vorbeugte, um es abzustellen, klaffte der Ausschnitt seines Pullovers einen Hauch weiter auf und entblößte Schlüsselbeine von der Farbe gebeizten Kirschholzes. Diese lenkten Cyrus so ab, dass er beinahe nicht gemerkt hätte, wie das Glas kippte … genau auf die Tastatur seines Laptops zu.

Verdammt!

Vinh und er griffen gleichzeitig nach dem Glas. Vinh erwischte es als Erster. Cyrus erwischte Vinhs Finger. Sie waren warm, stark und samtig. Ein Tropfen Eiskaffee schwappte auf Cyrus’ Finger, verschonte aber glücklicherweise den Laptop.

»Sorry«, stotterte Vinh. »War keine Absicht.«

Cyrus musterte ihn. So nah erkannte er die Augenfarbe: hellbraun, mit rötlichen Sprenkeln durchsetzt. Fuchsaugen. Diese Augen allein hätten ihn schon verwirrt. Es lag etwas darin, eine Ahnung von etwas ganz und gar Unerreichbarem, das den Jagdtrieb seines Wolfs nur befeuerte. Aber der Todesstoß war Vinhs Duft. Würzig und köstlich, mit einer erdigen Note, kroch er in Cyrus’ Nasenlöcher. Er musste schlucken, bevor er sprechen konnte. Sein Wolf heulte. Er verbarg es hinter einer eisigen Fassade.

»Die Daten auf diesem Laptop sind unbezahlbar.«

Vinhs Finger wurden wärmer, und nun röteten sich auch die sommersprossigen Wangen. »Ja also, tut mir echt leid.«

Cyrus schnupperte. Er durfte diesen Omega nicht wissen lassen, wie sehr er ihn wollte. So sehr, dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief, als der köstliche Duft ihn erneut erwischte. Was war das? Etwas Süßes lag hinter der erdigen Note und mit einem Mal wusste Cyrus Bescheid.

»Deine Hitze steht bevor«, raunte er. Bisher war er selten in der Lage gewesen, das zu erkennen. Aber es war auch selten, dass er einen Omega so nahe an sich heranließ.

Fast hätte er gelacht vor Erleichterung. Dieser Omega war kurz davor, läufig zu sein. Kein Wunder, dass seine Anwesenheit Cyrus dermaßen erregte. Kein Wunder, dass sein Unterleib angenehm zog, als die Wangen des Omegas sich noch dunkler färbten.

»Nein«, murmelte er. »Ja.« Er sah auf seine Hände, die immer noch verborgen unter Cyrus’ weit größeren lagen. Cyrus hatte nicht vor, sie zurückzuziehen. »W-was geht dich das an?«

Cyrus zog den Eiskaffee näher, und damit auch Vinh. Als er den Mund öffnete, sprach sein Wolf durch ihn.

»Ich habe einen Vorschlag, Omega.«

»A-ach ja?« Seine Nähe schien Vinh in äußerste Irritation zu versetzen. Kein Wunder. Er war fast in Hitze, Cyrus war ein Alpha und zwischen ihren Lippen war kaum noch Platz für eine Espressotasse. Es war ganz natürlich. Sein Wolf witterte die Erregung des Omegas. Sicher war er unter der weiten Kellnerschürze ebenso hart wie Cyrus.

Cyrus musste nicht einmal darüber nachdenken. Er wollte diesen Omega und offenbar ließ er Vinh ebenfalls nicht kalt. Sicher war ein armer Schlucker wie er daran interessiert, sich etwas Geld hinzuzuverdienen.

»Fünftausend Dollar«, sagte Cyrus und ließ ihn los. Er holte sein Handy aus der Brusttasche und schaltete es ein. »Nenn mir deine Daten und ich überweise es dir sofort.«

Vinh wich etwas zurück, aber nicht so weit, dass sein Duft verschwand. Der Kerl roch von Minute zu Minute besser. »Das ist nett, aber wofür?«

»Spiel nicht die Unschuld vom Lande«, sagte Cyrus kalt. »Dafür, dass wir aus diesem schäbigen Café verschwinden und in ein Hotel gehen. Vermutlich müssen wir eine Weile fahren, bis wir eine annehmbare Unterkunft finden.«

Vinh riss die Augen auf. »Was?«

»Verstell dich nicht.« Cyrus seufzte. »Nenn mir deinen Preis. Ich habe keine Lust zu handeln. Und hör auf zu erröten wie eine Jungfrau. Du bist aus Zeman. Ich weiß, dass die Omegas hier alles für Geld tun.«

»Was?!« Vinh ballte die Fäuste. Seine Wangen färbten sich noch dunkler, aber unerwartet kroch Wut in seine Züge. »Du … du Bastard!«

Cyrus hatte nicht mit seiner Reaktion gerechnet, sonst hätte er ihm den Eiskaffee abgenommen. So hatte Vinh Zeit genug, das Glas zu schnappen und den Inhalt in Cyrus’ Schoß zu kippen. Eisige Flüssigkeit breitete sich dort aus.

»Ich hoffe, das kühlt dich ab.« Vinh stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ich bin nicht käuflich. Und das Café ist nicht schäbig … He!« Er wich zurück, als Cyrus aufstand.

Eiswürfel fielen von seiner durchnässten Hose. Heiße Wut brandete in Cyrus auf und drohte, seine beherrschte Fassade zu sprengen.

»Weißt du, was dieser Anzug gekostet hat? Sicher mehr als dieses ganze«, er legte all seine Verachtung in das Wort, »schäbige Café hier, möchte ich wetten.«

»Raus.« Vinhs Zeigefinger deutete zur Tür. »Ich dachte, du wärst in Ordnung, aber du bist genau so ein Schwein wie der Kerl eben mit dem Baseballschläger. Ab sofort hast du Hausverbot im Triple Fox.«

Cyrus überlegte, sich zu weigern, aber er hatte keine Lust, noch einen Augenblick länger zu verweilen. Vor allem nicht, wenn er nicht wusste, ob er diesen kleinen Mistkerl über das Knie oder flachlegen wollte. Weder das eine noch das andere passte zu dem Selbstbild, das er sich so gründlich aufgebaut hatte. Er selbst passte nicht in diesen Laden. Was hatte Onkel Neville sich dabei gedacht, ihn herzubestellen?

Natürlich tauchte Onkel Neville genau in diesem Moment hinter ihm auf.

»Cyrus, mein Junge«, dröhnte er. »Was ist los? Du legst dich doch nicht etwa mit dem lieben Vinh an?«

Das glückselige Strahlen seines Onkels erschien knapp neben Cyrus’ Schulter.

»Pass bloß auf.« Neville lachte und sein weißer Bart zitterte. Wann war sein Onkel so alt geworden? Und so rund? Sein Bauch wölbte sich unter der entsetzlich gemusterten Freizeitjacke in grellem Pink und noch grellerem Gelb. »Der Kleine ist nicht so harmlos, wie er aussieht. Und außerdem gibt es hier die besten Scones von New Pyon City. Du willst es dir nicht mit ihm verscherzen.«

»Zu spät.« Cyrus sammelte seine Sachen ein und warf Vinh einen warnenden Blick zu. »Gehen wir. Ich wurde soeben aus diesem schmutzbehafteten Etablissement geworfen.«

»Ich habe gestern Abend erst geputzt«, zischte Vinh. Seine braunroten Augen funkelten Cyrus an. »Und wenn du nicht sofort aufhörst, mein Café zu beleidigen, fliegst du richtig raus. Mit der Nase in die nächste Pfütze.«

»Das bezweifle ich.« Cyrus streifte seinen Mantel über und nickte Onkel Neville zu. »Falls du wirklich mit mir sprechen willst: Komm mit.«

Onkel Neville wirkte leicht irritiert, aber vor allem köstlich unterhalten.

»Was hast du gemacht?«, fragte er und eilte Cyrus hinterher, der mit schnellen Schritten hinausmarschierte. Mit einem Knallen öffnete sich sein Schirm. Dumpf prasselte der Regen darauf. Die Luft war feucht und kalt und Cyrus hatte das Gefühl, als hätte er seit Jahren nicht mehr geatmet.

»Nichts«, sagte er und trat in eine Pfütze. Verdammt! Nicht genug, dass sein Schritt nass war und nach Kaffee roch, nun war auch noch sein linker Schuh durchweicht. Nun, es hätte schlimmer kommen können. Hätte er eine hellere Hose getragen, hätte der Kaffeefleck zu falschen Rückschlüssen über seine Blasenkontrolle führen können. Wütend schritt er voran, auf der Suche nach einem Taxi. Er würde sich umziehen müssen, bevor er ins Büro zurückkehrte. »Was willst du, Onkel Neville?«

»Nicht viel, eigentlich.« Mit flinken Schritten und asthmatischem Keuchen eilte Onkel Neville neben ihm her. Der Mann ließ sich gehen. Nun, kein Wunder, bei allem, was er durchgemacht hatte. »Ich wollte nur meinen Lieblingsneffen sehen. Ich mache mir Sorgen um dich.«

»Um mich?« Cyrus hob eine Augenbraue. Er bog in eine Straße namens Kramer Avenue ein, die weit belebter war als die ranzige Straße, in der das Triple Fox lag. Ungeduldig holte er sein Handy hervor und bestellte ein Taxi. Nasse Autos rauschten an ihm vorbei und versuchten, ihn mit Schmutzwasser zu übergießen. Es war laut hier. Leider nicht laut genug, um Onkel Nevilles Stimme zu übertönen.

»Ja, um dich. Um wen soll ich mir denn sonst Sorgen machen?«

Etwas Kaltes biss in Cyrus’ Magen. Ja, um wen sonst? Onkel Neville hatte niemanden mehr. »Ich versichere dir, dass es keinen Grund gibt, sich Sorgen um mich zu machen. Es geht mir ausgezeichnet. Ich bin gesund und finanziell abgesichert. Außerdem wurde ich erst vor Kurzem befördert.«

»Ja, das hat Alphonse mir erzählt.«

Verwundert unterbrach Cyrus seine Suche nach einem leuchtenden Taxischild. »Ich wusste nicht, dass ihr Kontakt habt.«

»Wir telefonieren. Ab und zu. Er will mich überreden, in den Schoß der Familie zurückzukehren.« Onkel Nevilles Gesicht glänzte nass. Regen rann wie Tränen über seine rundlichen Wangen, die die pinkfarbene Kapuze freiließ.

Cyrus seufzte und hielt den Regenschirm über seinen Onkel. Neville war immer sein Lieblingsonkel gewesen. Sein Vorbild, vielleicht noch mehr als sein eigener Vater. Schließlich hatte Onkel Neville sich Zeit für ihn genommen, während Alphonse Verdugo lange nur eine Schattenpräsenz im Leben seines Sohnes gewesen war.

Vor vielen Jahren hatte Onkel Neville erlesene Anzüge getragen und war ein gutaussehender Mann gewesen, nach dem sich die Omegas umdrehten. Kein Vergleich zu dem seltsamen Kerl, der jetzt zu Cyrus aufsah. Onkel Neville war ihm so groß erschienen, damals. Er erinnerte sich noch an das Geräusch, das der Stoff von Nevilles Anzughose gemacht hatte, wenn er in die Hocke gegangen war, um mit Cyrus zu reden. Niemand sonst hatte sich auf Augenhöhe mit ihm begeben.

Es war wohl diese Erinnerung, die Cyrus dazu animierte, eine Hand auf Nevilles Schulter zu legen. »Reden wir. Ich lasse das Nachmittags-Meeting ausfallen, aber ich muss mich umziehen. Komm doch mit und schau dir meine neue Wohnung an.«

Neville nickte bedächtig. »Eine neue Wohnung?«

»Die Spitze des Castelo-Towers ist endlich frei geworden«, sagte Cyrus. »Ich bin vor zwei Monaten dorthin gezogen.«

»Und ich schätze, du hast alles neu eingerichtet«, sagte Neville leichthin. »In Grau, grau und grau. Mit einem Hauch Schwarz.«

»Die Wände sind cremefarben«, sagte Cyrus und zum ersten Mal an diesem Tag hätte er beinahe gelächelt.

Onkel Nevilles Mundwinkel verzogen sich. »Bitte verzeih, dass ich deine Extravaganz unterschätzt habe.«

»Selbstverständlich, liebster Onkel.« Endlich rauschte das Taxi heran. Es jagte auf den Bürgersteig zu und bremste wenige Zentimeter vor seinen Füßen. Schien, als wäre alles hier von niederer Qualität.

Das Innere des Taxis war abgenutzt und stank nach altem Rauch, aber es war trocken und warm. Onkel Neville warf sich selig seufzend neben Cyrus auf die Sitze.

»Castelo-Tower, Mondseeviertel«, sagte Cyrus und das Taxi brauste los. Immerhin fuhr es recht geschmeidig, soweit es diesem alten Hobel möglich war. Es war ein uraltes Modell. Sie mussten auf dem Rücksitz Platz nehmen, weil sich vorne tatsächlich noch Fahrer- und Beifahrersitze befanden. Er hatte geglaubt, dass alle Taxis längst ohne derartige Altlasten auskamen.

Onkel Neville wischte sich den Regen aus dem Gesicht. »Wie geht es dir, mein Junge?«

Cyrus ließ sich seine Irritation nicht anmerken. »Wie ich bereits sagte: gut. Du hast mich doch nicht etwa nach Zeman bestellt, weil du dich nach meinem Befinden erkundigen möchtest?«

»Warum denn nicht?« Onkel Nevilles Augen waren so hellblau wie Cyrus’. In jeder Generation der Familie gab es ein Paar solcher Augen und vermutlich hätte man sie bei Nevilles eigenem Sohn erwartet. Aber Linus hatte dieselben hellbraunen, fast gelben Augen gehabt wie der Großteil der Familie. Cyrus’ Magen verkrampfte sich, einen Augenblick lang, als er an seinen Cousin dachte.

Keine Angst, Cy. Ich bin doch bei …

Er atmete tief ein, genau so, wie sein Taekwondotrainer es ihm damals beigebracht hatte. Einatmen, ausatmen und beim Ausatmen den Abzug drücken. Nein, das war Roman gewesen, der Alpha, der ihm beigebracht hatte, mit Schusswaffen umzugehen.

Er wusste wieder, warum er Onkel Neville so selten sah. Der Alte hatte eine Vergangenheit im Schlepptau, an die Cyrus nie wieder denken wollte.

»Du hättest anrufen können«, sagte Cyrus und blickte an der Rücklehne und dem Gitter vorbei auf die regennasse Windschutzscheibe. Einer der Scheibenwischer war defekt, aber sie dienten ohnehin nur dazu, die Aussicht zu verbessern. Das Taxi fuhr selbständig und die Sensoren waren außen befestigt. »Dann hätte ich dir am Telefon sagen können, dass es mir gut geht, und ich hätte nicht in dieses heruntergekommene Viertel fahren müssen. Ich hätte mich nicht mit einem Schläger herumärgern müssen und dieser unverschämte Kellner hätte nicht meinen Anzug ruiniert.«

»Warum hat er das getan?«

»Kein Grund.«

»Vinh ist ein lieber Kerl, Cyrus. Ich besuche sein Café, seit sie es eröffnet haben. Er ist impulsiv, aber er würde niemanden mit Eiskaffee übergießen, der es nicht verdient hat.«

Cyrus hob eine Augenbraue und sah seinen Onkel an. »Du meinst also, ich hätte es verdient?«

Nevilles Mundwinkel zuckten. »Das weiß ich nicht. Sag du es mir.«

Cyrus wandte den Blick ab. »Ich habe ein paar unfreundliche Worte über sein Café verloren, das ist alles. Der Omega hat vollkommen überreagiert.«

Auf keinen Fall würde er sich die Blöße geben, mit der Wahrheit herauszurücken. Dass er einen Moment lang so gefangen vom Duft des Kellners gewesen war, dass er ihm Geld geboten hatte, um mit ihm zu schlafen. Mit einem gewöhnlichen, ungeschickten, sommersprossigen Unterschichts-Omega.

Vinhs Lachen tauchte in seinem Kopf auf. Breit und strahlend, nachdem Cyrus ihm mit dem Schläger geholfen hatte. Der feste Händedruck. Die unverschämte Anrede. Cy. Also wirklich. Sie kannten sich kaum. Selbst seine Familie nannte ihn Cyrus, und da kam ihm dieser dahergelaufene Kerl mit Vertraulichkeiten.

Nun, Cyrus selbst hatte sich nicht viel höflicher verhalten, als er Vinh das Angebot unterbreitet hatte. Er wusste wirklich nicht, was über ihn gekommen war. Vielleicht sollte er Ginto anrufen. Ginto war einer der wenigen Omegas, die zwischen Sex und Liebe unterscheiden konnten.

»Vinh ist sehr stolz auf das Café«, sagte Onkel Neville bedächtig. »Sie haben es erst vor einem Jahr eröffnet, er und die beiden anderen. Und sie hatten wirklich viel Pech. Erst letztens gab es einen Wasserschaden, der den Herd außer Gefecht gesetzt hat.«

Klingt, als könnte er fünftausend Dollar brauchen, dachte Cyrus.

»Du kennst dich ja ausgezeichnet im Leben dieses Trampels aus, Onkel Neville. Hast du weitere Freundschaften in Zeman geschlossen?«

»Recht viele.« Neville wirkte glücklicher, als eine Schießbudenfigur wie er es sollte. Entsetzt bemerkte Cyrus etwas, das ihm in der Aufregung vorhin entgangen war: die Beinbekleidung seines Onkels. Jogginghosen. Degoutiert wandte er den Blick ab. Neville sprach weiter. »Ich fühle mich sehr wohl dort. Heute Abend habe ich Chorprobe, und morgen werde ich einen Bekannten auf dem Flohmarkt in der Isko-Allee treffen. Wir suchen beide nach einer Erstausgabe von ‚20.000 Meilen unter dem Meer‘.«

Cyrus blinzelte. »Wie wahrscheinlich ist es, diese auf einem Flohmarkt in Zeman zu finden?«

»Vollkommen unmöglich.« Onkel Neville lachte. »Aber es geht nicht um das Finden, sondern ums Suchen. Darin liegt der wahre Spaß. Und in dem Kaffee danach, wenn wir unsere Schätze vergleichen.«

»Ist dein Bekannter ein Omega?«

»Ja, warum?«

Cyrus atmete scharf ein. »Onkel Neville, weiß dieser Omega, wer du bist?«

»Natürlich.«

»Er weiß, dass du Neville Verdugo bist?«

»Das nun nicht.« Onkel Neville wiegte den Kopf hin und her. »Seit ich hier wohne, habe ich Liams Namen angenommen. Alle kennen mich als Neville Ayroles.«

»Immerhin.« So viel gesunden Menschenverstand hatte Cyrus seinem Onkel gar nicht zugetraut. Oder hatte er es nur aus Sentimentalität seinem verstorbenen Mann gegenüber getan? »Onkel Neville, du musst vorsichtig sein. Gerade in Zeman gibt es mehr als genug Omegas, die sich jemanden wie dich angeln wollen.«

»Einen wohlgenährten Prachtburschen wie mich, meinst du?« Onkel Neville streckte seinen Bauch heraus, so dass er wie ein Ballon kurz vorm Platzen aussah. »Das kann ich ihnen nicht verübeln.«

»Einen Verdugo. Einen der reichsten Alphas der Stadt.«

»Nicht mehr. Wie du als Finanzverwalter der Familie sicher gemerkt hast, wurde mir der Geldhahn zugedreht. Bis auf eine großzügige monatliche Rente.«

»Großzügig? Der Betrag reicht kaum zum Leben.« Schlechtes Gewissen biss Cyrus. Er hatte versucht, mit Alphonse zu reden, aber der war hart geblieben. Das schwarze Schaf der Familie durfte keinen Zugang zu ihrem Vermögen haben.

»Im Mondseeviertel würde es kaum zum Leben reichen«, sagte Onkel Neville. Hinter der regennassen Scheibe wurden die Lichter weißer. Das bunte Neon-Wirrwarr von Zeman wurde abgelöst durch pseudo-viktorianische Straßenlaternen und die warm erleuchteten Schaufenster erlesener Einrichtungsgeschäfte und Restaurants. »In Zeman kann ich sehr gut von meiner Rente leben. Ich habe sogar noch etwas für Spenden übrig. Letzten Monat habe ich die letzten Tausender an das Tierheim gegeben und sie waren überglücklich.«

»Tu das nicht«, warnte Cyrus. »Wenn du dich dort als Wohltäter aufspielst, wissen bald alle, wer du bist.«

»Warum sollte das schaden?«

Das weißt du, dachte Cyrus und sein Magen war ein harter Knoten. Gerade du solltest wissen, in welche Gefahr du dich begibst.

Aber er schaffte es nicht, es auszusprechen. Es wäre grausam gewesen.

Er musste Alphonse überreden, einen Bodyguard für Neville zu engagieren. Jemanden, der so gut war, dass der ihn nicht bemerkte.

»Cyrus. Junge.« Onkel Nevilles Augen waren warm, trotz ihrer Farbe. »Es ist lieb, dass du dir Sorgen um mich machst. Aber ich mache mir viel mehr Sorgen um dich.«

»Und du hast mir immer noch nicht verraten, warum.«

»Du bist einsam.«

Verwundert sah Cyrus seinen Onkel an. »Und?«

»Junge.« Eine weiche Hand legte sich über seine, auf dem rissigen Ledersitz des Taxis. »Es geht dir nicht gut, egal, wie sehr du dir das einredest. Ich habe mit Alphonse gesprochen und er hat mir versichert, dass du weder enge Freunde noch eine Beziehung hast. Und dein Kontakt mit dem Rest der Familie ist auch eher professioneller Natur, wenn ich mich nicht irre. Alphonse schien kein Problem darin zu sehen.«

»Natürlich nicht. Schließlich gibt es keins.«

»Nicht für Alphonse.« Ein ungewohnter Ausdruck erschien im Gesicht seines Onkels: Ärger. Wo kam der auf einmal her? »Dein Vater ist zufrieden, solange sein Sohn funktioniert. Und dein Papa ebenfalls. Die Familie tut dir nicht gut, Junge. Du brauchst jemand anderen. Menschen, die dich wirklich lieben und dich nicht nur als Abbild ihrer selbst sehen. Echte Freunde. Vielleicht einen Schatz … Schau nicht so.«

Cyrus musste angewidert das Gesicht verzogen haben. Kein Wunder, bei dem Wort ‚Schatz‘. Das würde ihm sicher nie über die Lippen kommen.

»Danke, dass du dich um mich sorgst, Onkel«, sagte er und stellte fest, dass er es ernst meinte. Ein Funken Wärme glomm in ihm auf und erstarb ebenso schnell wieder. »Es ehrt dich, dass du an andere denkst, gerade in deiner Situation. Aber es gibt keinen Grund, sich zu beunruhigen. Es geht mir gut. Ich bin gern allein.«

»Bist du nicht. Du hast es längst vergessen, aber du bist ein Mensch. Ein guter Mensch. Du brauchst Liebe, du willst Liebe geben, und du warst immer wärmer als der Rest deiner Familie. Ich schätze, auch zwei Eisklumpen können versehentlich ein lebendes Wesen zeugen.«

»Alphonse ist dein Bruder.«

»Wir standen uns nie nahe«, sagte Neville. Er starrte aus der Windschutzscheibe. In seinen Zügen sah Cyrus einen Hauch des Mannes, der er einmal gewesen war. »Und das bedauere ich. Aber jeder Versuch, mich ihm gegenüber wie ein Bruder zu verhalten, wurde abgeblockt. Zu Alphonse werde ich nicht mehr durchdringen, aber vielleicht zu dir.«

»Es gibt keinen Grund zu mir durchzudringen.« Cyrus schnaubte. »Und was genau willst du tun? Mich mit einem deiner neuen Freunde aus Zeman verkuppeln?«

»Warum nicht? Die Menschen dort sind anders, aber sie halten zusammen. Sie haben das Herz, das uns fehlt.«

»Sicher. Vorhin ist ein Alpha mit einem Baseballschläger in das Café gestürmt und wollte seinen Exfreund zusammenschlagen.«

»Na ja.« Neville schnalzte mit der Zunge. »Schlechte Äpfel gibt es überall.«

»Zeman ist ein Fass voll davon.« Cyrus fuhr sich durch die Haare. »Wenn du willst, dass ich mir einen Omega suche, dann wenigstens einen von meinem Stand.«

»Die haben nicht das, was du brauchst.«

»Vielleicht. Aber sie werden mir auch keinen Eiskaffee in den Schoß kippen.«

Verwundert sah Onkel Neville ihn an und Cyrus hätte sich gern rückwirkend den Mund zugenäht.

»Das ist passiert? Du hast mit Vinh geflirtet und er hat abgelehnt?«

»Nein. Ganz und gar nicht«, sagte Cyrus, aber offensichtlich war Onkel Neville inzwischen auch noch schwerhörig geworden, denn er ging nicht darauf ein.

»Ich hätte nicht gedacht, dass er dir gefällt.« Nevilles Stimme troff vor Verblüffung. »Also, niemals, wenn man dein übliches Beuteschema bedenkt …«

Cyrus dachte an Ginto mit den hellblonden Seidenhaaren und der Stupsnase, an die er nur die besten Chirurgen gelassen hatte. An Florin, dessen Bewegungen fließend wie Seide waren und Jaron, dessen Garderobe stets farblich und stilistisch auf seine Umgebung abgestimmt war, bis hin zur Unterwäsche. Scham brannte in seiner Brust, auch wenn er sein Gesicht unter Kontrolle hielt. Welche Schande, dass Onkel Neville nun von seiner geschmacklichen Entgleisung wusste.

Onkel Neville lachte. »Junge!« Er strahlte und einen kurzen Moment lang war er wieder ganz der Alte. Nur älter, runder und offenbar verwirrt. »Das hätte ich dir nicht zugetraut! Vinh ist perfekt für dich!«

»Bitte was?« Nicht verwirrt, verbesserte er in Gedanken. Hochgradig senil.

Onkel Neville schlug ihm auf die Schulter. »Er ist der Richtige, Junge. Absolut. Ich könnte mir niemand Besseren für dich vorstellen.«

»Geht es dir gut, Onkel Neville?«

»Mir ging es seit Jahren nicht mehr so gut.« Die hellen Augen funkelten. »Ich hätte nicht gedacht, dass du an ihm interessiert bist, aber …«

»Das bin ich auch nicht.«

»Warum hat er dir dann einen Eiskaffee in den Schoß gekippt?«

Cyrus schwieg.

»Junge.« Nevilles Finger drückten seine. »Vinh ist ein lieber, guter, absolut fantastischer Kerl. Er hatte es schwer, schon immer, aber er hat sich nie davon unterkriegen lassen. Du ahnst nicht, was es bedeutet, sich unter diesen Umständen ein gutes Herz zu bewahren.«

»Ich bin sicher, dass es nicht leicht war, in Zeman aufzuwachsen …«

»Er ist aus Kjell.«

Cyrus starrte seinen Onkel an.

Kjell. Unfassbar. Es hieß, die Lebenserwartung in diesem Viertel läge bei 32 Jahren.

»Warst du schon einmal in Kjell?«, fragte Onkel Neville.

»Selbstverständlich nicht! Ich habe Berichte darüber gesehen und das hat mir schon gereicht.«

Cyrus schauderte, wenn er nur daran dachte. Tristgraue, rissig-verschmierte Betonblöcke, einer trauriger als der andere, blinde Plastikfenster, und dazwischen die armen Schweine, die dort leben mussten. Alles, was aus Kjell kam, war schlecht, vor allem die Nachrichten. Bandenkriminalität, Zwangsprostitution, Drogen … Erst vor Kurzem war einer der Blöcke ausgebrannt und hatte mehrere Dutzend Todesopfer gefordert, darunter neun Kinder.

»Grauenvoll«, murmelte er. »Zeman ist also ein Aufstieg für diesen Vinh?«

»Und was für einer«, sagte Onkel Neville düster. »Du ahnst nicht, wie es dort zugeht. Ich habe Dinge gesehen …«

»Du warst in Kjell?!«

»Ja, ein paar Mal.«

Auch das noch. Sein verwirrter Onkel schlich im Elendsviertel von New Pyon City herum. Übelkeit stieg in Cyrus auf, und das hatte nichts mit dem Holpern des minderwertigen Taxis zu tun.

»Neville«, presste er hervor, »bitte versprich mir, dass du das nie wieder tust. Geh nie wieder nach Kjell. Am besten kehrst du ganz zu uns zurück und lässt dich vorher entlausen.«

Neville lachte. Immer noch wirkte er animierter als seit Jahren. Seit über einem Jahrzehnt. »Ich verspreche dir, dass ich nie wieder nach Kjell gehe, wenn du mir versprichst, es noch einmal bei Vinh zu versuchen.«

»Bitte?« Witzig. Er musste sich verhört haben. Sein Onkel würde doch nicht wollen, dass er sich mit diesem indiskutablen Omega traf.

»Bitte versuch es noch einmal bei ihm«, sagte Onkel Neville trotzdem. »Ich weiß, dass er eine harte Nuss ist, und wenn er wirklich nicht will, dann kannst du nichts machen. Aber ich glaube, er würde dir guttun. Und du ihm eventuell auch.«

Eventuell? Onkel Nevilles Zweifel an seinen Fähigkeiten als Liebhaber waren … nun, nicht vollkommen unberechtigt. Er wusste, wie er einem Omega Freude bereitete, aber es stimmte auch, dass Cyrus kalt war. Es fiel ihm schwer, Verbindungen zu anderen Menschen aufzubauen.

»Nein.«

»Warum nicht? Ich schätze, dein erster Versuch war etwas ungehobelt, schließlich war Höflichkeit noch nie deine Stärke, aber wenn du es noch einmal versuchst …«

Ich war nicht nur höflich, sondern auch diskret, wollte Cyrus sagen, aber das wäre eine Lüge gewesen. Einem Omega aus dem Mondseeviertel gegenüber hätte er sich nie so verhalten wie gegenüber diesem Kellner aus Zeman. Nein, aus (er schauderte innerlich) Kjell.

»Wenn ich es noch einmal versuche, wird er ebenfalls Nein sagen.«

»Bist du sicher?«

»Ja.«

»Warum?«

Cyrus stutzte einen Moment lang. »Ich weiß es nicht. Aber ich bin überzeugt davon.« Gegenüber jemand anderem hätte er nie zugegeben, dass er sich auf seinen Instinkt verließ statt auf seinen Verstand. Oder, dass er absolut sicher war, dass ein mittelloser, gewöhnlicher Omega aus Zeman ihm einen Korb geben würde.

»Machen wir einen Deal.« Onkel Neville lächelte und wieder erinnerte er Cyrus daran, wer er einmal gewesen war: der Stammhalter der Verdugos. Der älteste Sohn einer der mächtigsten Familien von New Pyon City und der halben Welt. »Du bittest Vinh um ein Date, und ich setze nie wieder einen Fuß nach Kjell.«

Cyrus überlegte, abzulehnen. Es war nicht seine Schuld, dass sein Onkel sich leichtsinnig in Gefahr begab. Onkel Neville war ein erwachsener Mann und konnte selbst darüber entscheiden, ob er von einer drogensüchtigen Gang Prostituierter ausgeraubt und ermordet werden wollte. Und doch …

»Unabhängig davon, ob er Ja sagt oder nicht?« Cyrus wurde nach vorn geschleudert, als das Taxi viel zu scharf bremste. Sie waren im zivilisierten Teil der Stadt angekommen. Spiegelnde Fassaden schraubten sich in schwindelerregende Höhen und hier, im höchsten Gebäude der Stadt, lag Cyrus’ Apartment.

Die hell erleuchtete Lobby des Castelo-Towers erstreckte sich hinter den Scheiben des stinkenden Taxis. Der Portier hob eine Augenbraue, als er Cyrus in dem schrottreifen Gefährt erblickte. Doch der Mann war ein Profi. Er hob eine weiß behandschuhte Hand zum Gruße und sah weiter stur geradeaus. Regen prasselte auf die gerundete Markise, unter der er stand, und rann wie ein geöffneter Vorhang an zwei Seiten daran herunter.

»Absolut unabhängig davon, ob er Ja sagt oder nicht.« Onkel Neville strahlte. »Die einzige Bedingung ist, dass du ihn ebenso höflich um ein Date bittest, wie du es bei einem Omega aus dem Mondseeviertel tun würdest.« Er hielt Cyrus die Hand hin.

Stumm schlug der ein.

»Und falls du ihn heiratest, kehre ich sogar in den Schoß der Familie zurück«, sagte Onkel Neville.

Cyrus lachte unwillkürlich. Die Vorstellung war zu absurd. Er und Vinh MacDonald im Tempel, vor dem Priester, während hinter ihnen auf den Bänken die Familie Verdugo saß, nur durch einen Gang getrennt von dem Pöbel, von dem Vinh abstammte. Vermutlich würden die mitten in der Zeremonie Messer zücken und alle ausrauben.

»Es tut gut, dich lachen zu sehen.« Onkel Nevilles Stimme war warm. »Siehst du? Es brennt noch etwas Feuer in diesem Eisklotz.«

Cyrus schnaubte. »Du redest, als würdest du Heftromane schreiben. Außerdem hast du ein wichtiges Detail vergessen: Ich habe Hausverbot im Café. Ich werde da bestimmt nicht hineinmarschieren, nur, um wieder auf die Straße gesetzt zu werden.«

»Darum kümmere ich mich, Cyrus. Versprochen.«

Vinh

 

Der Ärger über Cys unverschämten Vorschlag loderte weiter in ihm, den ganzen Rest seiner Schicht über. Während er die Hände in warmes Spülwasser tauchte, während er klirrende Gläser mit Limonade füllte und sogar während einer zweiminütigen Pinkelpause. So sehr, dass er, kurz bevor sie schlossen, an einer Tischkante hängenblieb und ein Tablett voller schmutziger Tassen zerdepperte. Verdammt. Sie konnten es sich kaum leisten, die Stromrechnung zu bezahlen. Neue Tassen waren frühestens übernächsten Monat wieder drin.

Er sammelte die weißen Scherben ein und schaffte es auch noch, sich zu schneiden. Zum Glück nicht tief. Leise fluchend lutschte er an seinem Zeigefinger und schmeckte Blut. Draußen war es inzwischen dunkel und die meisten Tische im Café waren leer. Leise Klaviermusik kam aus den Lautsprechern, na ja aus zweien. Der dritte schepperte so fies, dass sie ihn ausgeschaltet hatten.

Jace und Masashi übernahmen heute das Aufräumen, damit Vinh rechtzeitig zu seinem zweiten Job aufbrechen konnte. Als die gürteltierförmige Uhr über der Theke sechs anzeigte, riss er sich die Schürze vom Leib, umarmte die anderen beiden Omegas zum Abschied und rannte zur Hintertür hinaus.

Im spärlich beleuchteten Hof wartete seine Vespa. Alt, aber gut aufbereitet, dank seines großen Bruders. Anh hatte eine Woche lang Überstunden in der Werkstatt geschoben, um den alten Hobel aufzupolieren, und Vinh liebte seine Vespa umso mehr, weil sein Bruder sie hergerichtet hatte. Weil er den Motor repariert und alle Beulen ausgehämmert und alle Lackschäden repariert hatte. Vinhs Vespa war tiefrot mit weißen Streifen und fast zu gut, um damit in Kjell herumzufahren. Dass sie geklaut wurde, war seine größte Sorge. Nicht nur weil er sie liebte wie … also mindestens wie ein Haustier. Sondern auch, weil er ohne sie seinen zweiten Job nicht hätte machen können. Und den brauchte er. Mehr denn je, seit so viele Dinge im Café kaputtgegangen waren.

»Hallo Schatz«, sagte er und wischte Regentropfen von der Sitzfläche. »Bereit für den nächsten Einsatz?«

 

***

 

Eine halbe Stunde später war er unterwegs auf den Straßen von Zeman, Kjell und Marbhan, eine Kiste mit der Aufschrift ‚Asia Deluxe‘ hinten auf der Vespa. Deluxe war übertrieben, aber das Essen, das er auslieferte, war echt lecker. Bun, Pho und köstlich duftende Sommerrollen.

Gut, dass er sich im Café schon mit Zimtschnecken und Tomatentaschen sattgegessen hatte, sonst wäre der würzige Geruch unerträglich gewesen. Der alte Koch im ‚Asia Deluxe‘ hatte ihm zum Schichtbeginn immer eine frische Sommerrolle zugesteckt, aber der neue war der Neffe des Chefs und genau so strikt. Wer essen wollte, musste dafür zahlen. Selbst die übriggebliebenen Mahlzeiten konnten die Lieferer nur käuflich erwerben, na, immerhin zu einem Rabatt. Vinh konnte sie sich trotzdem nicht leisten.

Geschickt kurvte er um die Autos herum, lenkte die Vespa über die nasse Straße zwischen den Häuserschluchten und genoss den sanften Regen, der in sein Gesicht wehte. Glücklicherweise waren die Sturzbäche zu einem Nieseln geworden. Leider zu einem kalten Nieseln. Als er um halb zwölf fertig mit dem Ausliefern war und heimfuhr, war er durchgefroren. Seine Regenjacke hatte ein Loch im Ärmel, und die Nässe kroch seinen Pullover hoch.

Die Straße wurde holpriger und holpriger, je näher er seinem Zuhause kam. Rechts und links von ihm türmten sich die Hochhäuser auf wie grauschwarze Riesen. Die Autos fuhren hier schneller. Wer nicht in Kjell lebte, wollte so schnell wie möglich wieder verschwinden. Heimfahren zu einem der Außenbezirke im Grünen, die hinter Vinhs Zuhause lagen.

Er sah Augen in fast jedem Hauseingang, als er die Straße hinunter tuckerte. Stricher, die auf Kunden warteten. Er hätte versucht, seine alten Schulfreunde unter ihnen zu finden, aber bei der Nässe musste er auf die Straße achten. Fast wäre er in einem knöcheltiefen Schlagloch gelandet.

Endlich kam die Lott-Siedlung in Sicht. Ihre vertraute Form, als hätte man Hunderte Umzugskisten versetzt aufeinandergestapelt, entlockte ihm einen Seufzer der Erleichterung. Der zu einem halb unterdrückten Stöhnen wurde. Jetzt, da die Arbeit ihn nicht länger ablenkte, spürte er, dass er die Schwelle zur Hitze übertrat. Seine Haut prickelte und schien zu dampfen. Das Vibrieren der Vespa jagte kleine Lustschauer durch seinen Unterleib. Und er war hart. So hart, dass es in seiner Jeans wirklich unangenehm wurde.

---ENDE DER LESEPROBE---