Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze - Frank O. Hrachowy - E-Book

Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze E-Book

Frank O. Hrachowy

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Beschreibung

Sie möchten keine "Hofberichterstattung" lesen und erst recht keine Marketingphrasen? Dann könnte das Buch "Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze" Ihren Geschmack treffen, denn: In diesem Buch wird der anstrengende Weg der Marke Volkswagen und der VW AG mit nahezu vergessenen Fakten, vielen aufschlussreichen Zitaten der früheren Konzernlenker sowie spannenden Hintergrundinformationen nachgezeichnet. Erinnern Sie sich beispielsweise noch ... ... an das Gerücht, demgemäß die Prototypen des VW Passat und des VW Golf von Fahrzeugingenieuren in der DDR entwickelt wurden? ... den Grund, weshalb die ersten VW Golf serienmäßig mit Trommelbremsen an der Vorderachse und ohne Bremskraftverstärker vom Band rollten? ... daran, was 1997 aus dem geheimen Entwicklungsprojekt mit dem Codename "Rose" wurde, bei dem VW und Suzuki gemeinsam einen revolutionären Kleinwagen entwickelten? ... an den berüchtigten Kostenkiller Ignacio López, dessen Wechsel von GM zu VW am Ende zur Staatsaffäre wurde? Sie möchten Ihre Erinnerung wieder auffrischen? Dann gehen Sie mit dem Autor auf einen Streifzug durch die neuere Geschichte der Marke Volkswagen und der VW AG und lassen Sie die turbulenten Geschehnisse seit 1970 nochmals an sich vorüberziehen.

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Volkswagen

Auf dem Weg zur Weltspitze

Die Geschichte der Automarke seit 1970

Impressum

Der Nachdruck, auch einzelner Teile, ist verboten. Das Urheberrecht und sämtliche weiteren Rechte sind dem Autor und dem Verlag vorbehalten. Übersetzung, Speicherung, Vervielfältigung und Verbreitung einschließlich der Übernahme auf elektronische Datenträger wie CD-Rom, Bildplatte usw. sowie Einspeicherung in elektronische Medien wie Bildschirmtext, Internet usw. ist ohne schriftliche Genehmigung des Autors und des Verlags unzulässig und strafbar.

Eine Haftung des Autors oder des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Umschlagabbildung mit freundlicher Genehmigung der Volkswagen Aktiengesellschaft

© Volkswagen Aktiengesellschaft

Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze Frank O. Hrachowy Copyright: © 2015 Frank O. Hrachowy published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de ISBN 978-3-7375-4298-2

Lektorat

Redaktion ScripTec, Sylvia Lorey

Über den Autor:

Vorwort

1960–1969: Vorgeschichte: Der Käfer im Mittelpunkt

Der VW Käfer und das Wirtschaftswunder

Kooperation mit Porsche

1970–1979: Existenzkrise und Wandel

VW am Abgrund

Die neue Modellgeneration

Das Ende der Ölkrise

Verkaufsboom und neue Märkte

V.A.G als Dachmarke

Der Wettbewerb wird härter

1980–1989: VW wächst in Europa

Dieselmotoren und Formel E

Kampf gegen die japanische Bedrohung

Dringend erwartet – der Golf II

Umweltschutz und Strukturwandel

Ärger in Amerika

»Wolfsburger Verhältnisse«

1990–1999: Markenvielfalt und neue Geschäftsfelder

Licht und Schatten: VW weltweit

Beginn einer neuen Ära

Kosten senken, Produktivität erhöhen

»Superlópez« in der Kritik

Die Schmiergeldaffäre

Neue Marken und große Pläne

2000–2009: Im Reigen der Global Player

Ferdinand Piëch will mehr

Führungswechsel in Wolfsburg

Schlechte Zahlen, schwierige Zeiten

Betriebsräte auf Reisen

Pischetsrieder geht, Winterkorn kommt

Porsche und VW

2010–2015: Auf dem Weg zur Weltspitze

Die »Strategie 2018« wird bekräftigt

Mit dem MQB zur Weltspitze

Weltweites Wachstum

Automobilindustrie am Scheideweg

Vorwort

Der von Prof. Dr. Ferdinand Porsche entwickelte VW Käfer eilte in den fünfziger und sechziger Jahren von einem Verkaufsrekord zum nächsten. So wurde der kleine Hecktriebler im Laufe der Jahre zum meistgebauten Automobil der Welt. Doch spätestens zu Anfang der siebziger Jahre zeigte sich, dass der VW Käfer nicht mehr dem Stand der Technik entsprach. Damit geriet der VW-Konzern in eine ernste, durchaus existenzbedrohende Krise. Erst mit neuen, technisch und optisch modernen Fahrzeugkonzepten konnte diese Krise überwunden werden.

Das ist lange her und aus der Marke VW ist seither ein großer Konzern geworden, der erfolgreich als Global Player agiert. Ungeachtet dessen hat der Konzernvorstand höhere Ziele, denn bis zum Jahr 2018 soll die Volkswagen AG zum größten Automobilhersteller der Welt wachsen und dabei GM sowie Toyota hinter sich lassen. Zweifellos ist das ein ambitioniertes Ziel. Doch: Ein Blick auf die Gestaltung, die stetige Neuausrichtung und die enorme Entwicklung des Konzerns seit den neunziger Jahren lassen den Anspruch auf die Weltspitze durchaus realistisch werden.

In diesem Buch werden vorrangig die wichtigsten Ereignisse der Fahrzeugmarke Volkswagen seit dem Jahr 1970 nachgezeichnet. Natürlich ist es dabei kaum möglich, über die fahrzeugproduzierende Wolfsburger Kernmarke Volkswagen zu berichten, ohne dabei die Belange des damit verknüpften Volkswagen-Konzerns oder der übergeordneten Volkswagen AG zu berühren. Dementsprechend fließen die Entwicklungen der weiteren VW-Konzernmarken in diese Darstellung am Rande mit ein. Weiterhin werden die historischen Ereignisse nicht isoliert dargestellt, vielmehr werden sie in Relation zu den politischen und sozialen Veränderungen in Europa sowie den technischen Entwicklungen der Wettbewerber gesetzt.

Als Technikhistoriker habe ich hierbei der Chronistenpflicht zu folgen und möglichst faktenorientiert und objektiv über die Geschehnisse der letzten rund 50 Jahre zu berichten. Dies geschieht durch eine neutrale chronologische Beschreibung der Ereignisse – eine Kommentierung oder Bewertung der Zusammenhänge überlasse ich dem Leser. Demgemäß werden Personen, die Enthüllungsjournalismus oder ein Schwarzbuch zu VW erwarten, in dem investigativ gewonnene Daten und Fakten reißerisch kolportiert werden, nicht bedient.

Dabei gilt, dass Geschichtsschreibung ihrem Wesen nach immer komplementär ist. Eine absolute Wahrheit kann es in der Geschichtsschreibung nicht geben, weil niemals alle Beweggründe der handelnden Personen und alle Ursachen der beschriebenen Ereignisse in der Retrospektive erfassbar sind. Meine hier vorliegende Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse kann somit keinesfalls Absolutheit beanspruchen oder sich gar die Deutungshoheit über die vergangenen Geschehnisse anmaßen.

Als Quellen meiner Recherchen dienten mir Pressemitteilungen, Berichte und Fotos aus den Medienarchiven der Hersteller. Wobei festzuhalten ist: Der Umfang und die Ernsthaftigkeit, mit der der VW-Konzern seine Historie pflegt, darf im Vergleich zu anderen Automobilherstellern als musterhaft gelten. Ausgewertet und in das vorliegende Buch eingearbeitet wurden auch die Autobiographien wichtiger Persönlichkeiten der Volkswagen-Historie, darüber hinaus Artikel renommierter Wirtschafts-, Nachrichten- und Fachmagazine sowie Tages- und Wochenzeitungen.

Gewidmet ist dieses Buch den Mitarbeitern von Volkswagen, ebenso den Personen, die sich mit der Marke VW verbunden fühlen. Darüber hinaus widme ich dieses Buch Carl Hahn, Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn, ohne deren Leistung die Volkswagen AG beziehungsweise der Volkswagen-Konzern in der heutigen Form und Stärke niemals hätte entstehen können.

Dr. Frank O. Hrachowy

Mai 2015

1960–1969: Vorgeschichte: Der Käfer im Mittelpunkt

Der VW Käfer (Typ 1) und der VW Transporter »Bulli« (Typ 2) gelten bis heute als Symbole des deutschen Wirtschaftswunders, die den Aufbau des vom Krieg zerstörten Landes begleiteten. Neben dem Eigenheim war der VW Käfer für viele Deutsche ein Lebenstraum, dessen Erfüllung nach dem Krieg im Zentrum der Lebensplanung stand. Die Erfüllung dieses Lebenstraums blieb jedoch bis zum Ende der fünfziger Jahre für die meisten Familien in weiter Ferne.

Bis dahin boten Motorräder, die neue Klasse der Kleinkrafträder und die in Mode kommenden Motorroller Möglichkeiten zur individuellen Mobilität. Als Alternative standen bald Rollermobile wie beispielsweise das Glas Goggomobil hoch im Kurs, denn sie boten nicht nur Wetterschutz, sondern waren auch ohne Autoführerschein zu fahren.

Zu Anfang der sechziger Jahre stand das Wirtschaftswunder in Westdeutschland in voller Blüte, weshalb zahlreiche Arbeitskräfte aus der Ostzone bzw. der DDR nach Westdeutschland übersiedelten. Diese »Abstimmung mit den Füßen« wurde durch den Mauerbau in Berlin im Sommer 1961 abrupt beendet und damit der Zustrom aus den im Osten liegenden Gebieten abgeschnitten. In Folge wurden Arbeitskräfte aus dem südeuropäischen Ausland angeworben. Diese »Gastarbeiter« sollten einige Jahre in Deutschland bleiben und danach wieder in ihre Heimatländer zurückkehren.

Mittlerweile konnten sich bereits Angestellte und sogar einfache Arbeiter ein gebrauchtes Automobil leisten. Die Auswirkungen bekamen vor allem die deutschen Motorradhersteller deutlich zu spüren, von denen seit Mitte der fünfziger Jahre viele aus Mangel an Nachfrage in Konkurs gegangen waren. Konkreter ausgedrückt: Der Niedergang der deutschen Zweiradindustrie hatte bereits dutzende Firmen in den Ruin gerissen und selbst Marktriesen wie NSU verabschiedeten sich vom Motorradbau, um sich dem Automobilbau zuzuwenden.

Die »Volkswagenwerk GmbH« wuchs immer stärker und wurde dem folgend im Jahr 1960 zur »Volkswagenwerk AG« umfirmiert. Wie stark der VW-Konzern zu dieser Zeit war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass sich die Volkswagenwerk AG am 1. Januar 1965 zu 50,28 Prozent an der Auto Union GmbH, die sich seit dem Jahr 1958 im alleinigen Besitz von Daimler-Benz befand, beteiligte. Durch diese Zusammenarbeit mit Daimler-Benz konnte die Volkswagenwerk AG nicht nur ihre Fertigungskapazitäten deutlich ausweiten, sie hatte damit auch Zugriff auf die bereits von Daimler-Benz neu entwickelte Motorengeneration, die für eine kleinere Modellreihe konzipiert worden war.

Bekannt wurde diese neue Motorengeneration unter dem Begriff »Mitteldruckmotor«. Durch ein vergleichsweise hohes Verdichtungsverhältnis und hohe Arbeitsdrücke sollte dieser Motor besonders sparsam sein. Das erste Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den Ingenieuren war der Audi 72, der im September 1965 auf den Markt kam und den Grundstein des Erfolgs für die Marke aus Ingolstadt legte. Auf die Weiterverwendung des Markennamens DKW wurde verzichtet, weil nach Meinung des Marketings DKW vorrangig mit Zweitaktmotoren in Verbindung gebracht wurde. Das Markenzeichen der Auto Union, die vier Ringe für die Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer, wurde jedoch beibehalten.

Schon im Jahr 1965 hatte VW-Konzernchef Heinrich Nordhoff weitere 24,97 Prozent der Aktien der Auto Union GmbH erworben, im Laufe des Jahres 1966 kamen nochmals 24,75 Prozent hinzu. Insgesamt hatte VW damit 297 Millionen Mark (ca. 150 Millionen Euro) für das finanziell angeschlagene Unternehmen Auto Union GmbH an Daimler-Benz bezahlt. Die Fertigungskapazitäten sollten als zusätzliche Produktionsstätte für den VW Käfer dienen, doch der Bau des Audi 72 zwang zum Umdenken. Historisch betrachtet war der kurzfristig aus dem DKW F 102 entwickelte Audi 72 kein überragender Markterfolg, er bildete jedoch den Ausgangspunkt für die Eigenständigkeit der Marke Audi innerhalb des VW-Konzerns.

Zur Übernahme der Auto Union GmbH fasst das Historische Notat 7 der Historischen Kommunikation der Volkswagen Aktiengesellschaft zusammen: »Als Aktivposten konnten die Fabrik mit einer Jahreskapazität von 100.000 Fahrzeugen, 11.000 Mitarbeiter, ein Vertriebssystem mit 1.200 Händlern und eine neue Motorengeneration verbucht werden. Diesem Potenzial standen auf der Passivseite ein hoher Lagerbestand und eine handfeste Finanzkrise gegenüber, denn die Auto Union baute auf vergleichsweise niedrigem Produktivitätsniveau ein zu teures und deshalb schwer verkäufliches Fahrzeug.«1

Der VW Käfer und das Wirtschaftswunder

Statt Motorrad oder Rollermobil fuhren mittlerweile viele Deutsche einen gebrauchten Käfer. Viele weitere sparten, um möglichst bald ebenfalls auf ein Auto umsteigen zu können. Der Bedarf der westdeutschen Bevölkerung an einfachen, kostengünstigen Automobilen schien unbegrenzt, ebenso wie das Wachstum der westdeutschen Wirtschaft unbegrenzt schien. Die vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard 1957 in seinem Buch Wohlstand für Alle beschriebene Vision schien sich zu erfüllen, rückten doch immer mehr Deutsche dank eines gut bezahlten, sicheren Arbeitsplatzes in die Mittelschicht auf.

Doch so groß der Erfolg des VW Käfer in der Vergangenheit war, so wurde doch von Jahr zu Jahr offensichtlicher, dass der luftgekühlte Hecktriebler nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprach. Zwar hatten die Wolfsburger Ingenieure den Käfer ständig weiterentwickelt, so dass nahezu jedes Bauteil im Laufe der Jahre verändert worden war, doch das Grundkonzept war unangetastet geblieben. Mit anderen Worten: Der VW Käfer war ein ausgereiftes Automobil, doch seine kritische Straßenlage, die unzureichende Heizleistung des luftgekühlten Motors und der im Verhältnis zu den Fahrleistungen hohe Benzinverbrauch waren nicht wegzudiskutieren.

Gleiches galt für den VW Typ 3, der bereits 1961 als größeres Modell dem Käfer zur Seite gestellt worden war. Dieses VW 1500 genannte Stufenheckmodell basierte auf der Technik des Typ 1, es war jedoch von seinem Maßen her länger und breiter als der Käfer. Der bewährte Boxermotor besaß knapp 1.500 cm3 Hubraum und war leistungsstärker geworden. Er leistete jetzt 45 PS. Wichtiger aber war, dass der Ölkühler und das Radialgebläse zur Motorkühlung umgesetzt worden waren, so dass der Motor nun sehr flach baute.

Wie beim Käfer war die Karosserie mit einem Plattformrahmen verschraubt. Optisch wirkte der Typ 3 deutlich erwachsener, vor allem aber besaß er viel mehr Stauraum als der VW Käfer. Vorne standen 200 Liter für Gepäck zur Verfügung; hinten, direkt über dem flach im Heck liegenden Motor, nochmals 180 Liter. Das wirkte wohl auf den ersten Blick recht überzeugend, doch in der Praxis boten beide Kofferräume nur Platz für flaches Stückgut. Auch von seinen Platzverhältnissen her überzeugte der Typ 3 nicht, denn der Radstand war mit dem des Typ 1 identisch. Fakt war: Obwohl der Typ 3 von seiner äußeren Erscheinung deutlich größer aussah als der VW Käfer, war er innen genauso eng.

Den Typ 3 gab es in drei Karosserieversionen zu kaufen, namentlich als Limousine, als Kombi sowie unter dem Label »Karmann-Ghia« als Coupé (Typ 14). Auf ein geplantes Cabriolet wurde für den Serienbau aus Kostengründen verzichtet. Bereits im Herbst 1963 erschien der VW 1500 S mit einer Leistung von 54 PS. Der VW 1500 S wurde im August 1965 vom VW 1600 TL (»Touren-Limousine«) mit Fließheck abgelöst, der zwar nicht stärker, dafür aber etwas breiter war.

Wie wenig dieses Modell den Erwartungen der Käufer entsprach, zeigte sich bei der Verballhornung des Kürzels »TL«, das bald als »Traurige Lösung« die Runde machte. Für kaum mehr Begeisterung sorgte der neue, vorrangig für die Deutsche Post entwickelte VW Kleintransporter Typ 147 »Fridolin«, der kostensparend aus Komponenten der bereits vorhandenen VW-Modelle entwickelt worden war.

Zum VW Typ 3 schrieb Buchautor Jerry Sloniger: » [...] die Hälfte der Wagen mußten außerplanmäßig die Werkstatt aufsuchen – für VW-Verhältnisse etwas völlig Absurdes. Nicht genug, daß dieses Auto so viel kostete wie andere, die mehr boten und schneller waren – auch sein Durst war infolge eines leicht veralteten Motorkonzeptes nicht gerade gering. Doch viel schlimmer war, wie Käuferbefragungen inzwischen ergaben, dass es sowohl hinter heimischen wie ausländischen Konkurrenten in puncto Zuverlässigkeit und Qualität zurückfiel.«2

Das Ziel war klar, VW wollte den Typ 3 in die nächsthöhere Klasse hieven, wo mit ertragreicheren Preisen und Margen kalkuliert werden konnte. Die deutsche Bevölkerung war anspruchsvoller geworden – und die neuen Ansprüche galt es nun zu bedienen. Zur zeitgenössischen Marktsituation schrieb das Nachrichtenmagazin FOCUS: »Die Mittelklasse war Mitte der 1960er Jahre zum wichtigsten Umsatzbringer fast aller deutscher Automobilhersteller geworden. Audi, BMW, Ford, Glas, Mercedes, Volkswagen und bald auch NSU, alle wollten ihren Anteil am lukrativsten Marktsegment, das sich Opel anfangs fast nur mit Borgward teilen musste.«3

Das Jahr 1967 markierte in Deutschland einen Umbruch, denn das Wirtschaftswunder stockte und die Wirtschaft schrumpfte. Die Steuereinnahmen waren niedriger ausgefallen als erwartet, während die Staatsausgaben stark gestiegen waren. Nach den Boomjahren des Aufbaus mit Wachstumsraten von teilweise über 10 Prozent rutschte die deutsche Wirtschaft plötzlich in eine Rezession. Dabei stiegen die Arbeitslosenzahlen von 0,7 Prozent 1966 auf 2,1 Prozent im Jahr 1967. Gleichzeitig stieg die Inflation, weshalb die Bundesbank die Zinsen erhöhte. Der Effekt war, dass Investitionen verschoben oder nicht getätigt wurden. Nach dem stetigen Wachstum der vergangenen Jahre musste die Volkswagenwerk AG so 1967 erstmals einen Absatzrückgang gegenüber dem Vorjahr hinnehmen.

Trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeiten wurde mit dem Bau einer der weltweit größten Test- und Prüfanlagen der Automobilindustrie begonnen. In der Nähe des kleinen Dorfes Ehra-Lessin, das rund 25 Kilometer nördlich von Wolfsburg im Landkreis Gifhorn liegt, sollte die gewaltige Anlage entstehen. Mitten in den Wald wurden über 100 Kilometer Versuchsstraßen und eine Hochgeschwindigkeitsstrecke (»Schnellbahn«) mit einer Länge von rund 21 Kilometern sowie zwei Steilkurven gebaut. Durch die Überhöhung der Steilkurven in einem Winkel von bis zu 42 Grad sollten hier zukünftig Fahrzeuge bis zu einem Tempo von 350 km/h getestet werden.

Konkurrenz für Volkswagen kam mittlerweile auch aus dem europäischen Ausland. Schon 1966 war jedes siebte in der Bundesrepublik zugelassene Auto nicht mehr deutschen Ursprungs. Aus Japan schickte sich Honda als erster asiatischer Hersteller an, seinen Kleinwagen N 360 nach Deutschland zu verschiffen. Die Bemühungen der fernöstlichen Anbieter wurden gemeinhin belächelt, zu denken gab allenfalls die Dominanz dieser meist aus dem Zweiradbau kommenden Hersteller bei den Motorradweltmeisterschaften. Ausreichend technisches Know-how schienen die japanischen Ingenieure wohl zu besitzen – wer aber sollte ein asiatisches Auto kaufen?

Doch Wettbewerb drohte nicht nur aus dem Ausland, sondern auch von Opel und Ford. Besonders Opel war in den letzten Jahren beeindruckend gewachsen, weshalb bereits 1962 ein großes neues Werk in Bochum errichtet worden war. Hier baute der Rüsselsheimer Traditionshersteller den Kompaktwagen Kadett A, der technisch in jeder Hinsicht moderner war als der VW Käfer.

Der Kadett A war ein kompakter Wagen mit klassischer Pontonform (Stufenheck), einem geräumigen Kofferraum, einem in der Fahrzeugfront montierten Motor mit Wasserkühlung und einem modernen Fahrwerk, der schneller, sparsamer und komfortabler war als der mittlerweile betagte Wolfsburger VW Käfer mit seinem luftgekühlten Boxermotor. Der heckgetriebene Kadett A lag mit seinem Preis von 5.075 Mark (ca. 2.550 Euro) zwar um 875 Mark (ca. 440 Euro) über dem VW Käfer – doch dafür gab es einen entsprechenden Mehrwert. Auch wenn es in Wolfsburg nicht gern gehört wurde: Der Kadett A war zweifellos ein moderneres Automobil als der VW Käfer.

Der offensichtliche technische Abstand zwischen den beiden Kontrahenten war Anlass für eine zum Teil recht provokative Werbekampagne von Opel, die potenziellen Kunden deutlich vor Augen führte, dass der Käfer nicht mehr den aktuellen Stand der Technik repräsentierte. Diesem Urteil schlossen sich zahlreiche Autofahrer durch einen Kauf an, so dass bis zum Jahr 1965 bereits eine halbe Million Kadett A produziert wurden. Im September 1965 rollte dann mit dem Kadett B bereits das Nachfolgemodell von den Bändern in Bochum. Der Werbeslogan für den Kadett lautete: »Opel Kadett. Das Auto«.

1968 stimmten die Zahlen bei VW wieder, die kurzzeitige Rezession war überstanden. Doch so richtig zufrieden konnte die Konzernleitung nicht sein: Der Käfer hatte zweifellos seine beste Zeit hinter sich und die Verkaufszahlen des Typ 3 lagen weit hinter denen des Typ 1. Das Ende des im Gegensatz zu seinem Vorgänger völlig glücklosen neuen Karmann Ghia 1600 (Typ 34) wurde bereits im Sommer 1968 beschlossen und die Fertigung eingestellt. Lediglich 42.505 Fahrzeuge waren gebaut worden. Kurios dabei: Der alte Karmann Ghia (Typ 14), der bereits seit 1955 im Programm war, sollte weitergebaut und sogar modellgepflegt werden.

Einen weiteren Grund für die verhaltene Stimmung lieferte das neue Mittelklassemodell VW 411, das 1968 auf den Markt gekommen war. Der ebenfalls mit luftgekühltem Boxermotor und Heckantrieb gebaute VW 411 (Typ 4) wurde seiner Rolle als Limousine der gehobenen Mittelklasse in keiner Weise gerecht, was sich in den schlechten Verkaufszahlen widerspiegelte. Bei einem Vergleichstest des Fachmagazins AUTO MOTOR UND SPORT belegte das neue Modell gar den letzten Platz aller sechs getesteten Fahrzeuge.4

Ein Fachautor brachte es auf den Punkt: »Verglich man den 411 mit allen Konkurrenten seiner Klasse, so fiel auf, daß er der einzige mit Luftkühlung und Heckmotor war; der teuerste und größte aller VWs. [...] Ansonsten war er einfach nicht auf dem Niveau der betrachteten Hubraumklasse, vor allem nicht in seinen Fahrleistungen. Und in Deutschland begann man sich laut zu fragen, ob VW weiterhin als Zentralfigur des wirtschaftlichen Aufschwungs bewertet werden könne.«5

»Der Große aus Wolfsburg« (VW-Werbeslogan) verfügte immerhin über eine moderne selbsttragende Karosserie, allerdings war er sogar teurer als der jüngst präsentierte Audi 75. Hinzu kam: Wer sich als Interessent einen VW 411 in den Ausstellungsräumen von VW ansah, ging nicht selten als Käufer eines neuen, deutlich moderner konzipierten Audi 100 wieder hinaus. Dass viele VW-Betriebe auch Fahrzeuge von Audi verkauften, machte sich in einem direkten und für die Schwestermarke VW teuren Kannibalisierungseffekt bemerkbar.

Ein Grund zur Trauer war für viele Wolfsburger der Tod von Ex-Konzernlenker Heinrich Nordhoff, der seit 1948 als Generaldirektor der Volkswagenwerk GmbH und seit dem Jahr 1960 als Vorstandsvorsitzender der Volkswagenwerk AG fungiert hatte. »Mister Volkswagen«, wie er anerkennend genannt wurde, hatte VW nach dem Krieg zur jetzigen Größe geführt. Neuer VW-Chef wurde Dr. Kurt Lotz, der am 1. Mai 1968 den Posten des Vorstandsvorsitzenden der Volkswagenwerk AG übernahm.

Kooperation mit Porsche

Volkswagen stand für Zuverlässigkeit und Solidität – als innovativ oder sportlich wurde die Marke nicht angesehen. Das wollten die Verantwortlichen ändern, weshalb schon in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre der Beschluss gefasst worden war, gemeinsam mit Porsche einen bezahlbaren Sportwagen zu bauen. Welche positiven Auswirkungen solch ein »Einstiegssportwagen« für das Markenimage mit sich bringen konnte, machte Opel mit dem neuen Modell GT vor, das 1968 auf den Markt gekommen und enthusiastisch aufgenommen worden war. Das Erfolgsrezept des Opel GT war simpel: Über biedere, ausgereifte Großserientechnik war eine attraktive Blechhülle gestülpt worden, die den Zweitürer zumindest optisch zu einem Sportwagen machte. Der Opel GT leistete dabei in seiner stärksten Version gerade einmal 90 PS (66 kW).

Diese beschlossene Kooperation von VW und Porsche barg für beide Hersteller Potenzial: Während VW damit die biedere Produktpalette durch ein Sportmodell ergänzen würde, könnte Porsche neben dem teuren Modell 911, das 1964 den Porsche 356 abgelöst hatte, ein preisgünstiges Einstiegsmodell auf den Markt bringen. Ein solches Einstiegsmodell war für Porsche dringend nötig, denn der »Sparporsche« 912, ein ausstattungsreduzierter 911er mit dem alten Vierzylindermotor des 356, wurde von den Kunden nicht wie erhofft angenommen.

Im Herbst 1969 kam schließlich der VW-Porsche 914 (Typ 47) als Zweisitzer (mit einem Notsitz zwischen Fahrer und Beifahrer) auf den Markt. Konzipiert war der VW-Porsche als Mittelmotorfahrzeug, das durch eine niedrige Gürtellinie sehr breit und durch seine Klappscheinwerfer durchaus sportlich wirkte. Charakteristisch für den VW-Porsche war sein Targa-Dach aus Kunststoff, das ihn fast zu einem Cabrio machte. Das Dach konnte nach der Demontage im hinteren Kofferraum verstaut werden. Für Gepäck blieb dann nur noch ein kleiner Stauraum in der Fahrzeugfront.

Erhältlich war der VW-Porsche in zwei Versionen: Einmal als Modell 914/4 mit dem 80 PS leistenden 1,7-Liter-Vierzylinder-Boxermotor mit Einspritzung aus dem neuen VW 411 E; darüber hinaus als 914/6 mit dem 110 PS starken 2,0-Liter-Sechszylinder-Boxermotor des Porsche 911 T. In beide Modelle wurde serienmäßig ein 5-Gang-Getriebe verbaut. Um den 914/6 als »richtigen« Porsche gelten zu lassen, wurde er direkt bei Porsche in Stuttgart-Zuffenhausen produziert, während der 914/4 bei Karmann in Osnabrück vom Band rollte.

Doch der gemeinschaftlich entwickelte Wagen hatte einen schwierigen Start, denn Verarbeitungsmängel und Rostanfälligkeit brachten den VW-Porsche schnell in Misskredit. Schlimmer aber war der Streit zwischen Porsche und VW um die Vermarktungsrechte. Aus der Not heraus wurde für den Verkauf des Modells schließlich eine neue Firma gegründet, die »VW-Porsche Vertriebs GmbH« mit Sitz in Ludwigsburg. Hinzu kam, dass der preisliche Abstand zwischen dem VW-Porsche 914/6 und dem Porsche 911 viel zu gering ausgefallen war, so dass sich nur wenige Porsche-Kunden für den stärkeren VW-Porsche entschieden. Kurz gesagt: Für Porsche hatte sich diese gemeinsame Entwicklung nicht ausgezahlt.

Und noch ein weiteres Modell kam 1969 von VW: der »Kurierwagen« (Typ 181), besser bekannt als »Kübelwagen«. Auftraggeber war die Bundeswehr, die ein Nachfolgemodell zum zweitaktenden Altmodell DKW Munga (»Mehrzweck-Universal-Geländewagen mit Allradantrieb«) benötigte. Dieses rustikale Modell fand durch seine Robustheit und das Fehlen eines festen Daches bald auch außerhalb des militärischen Einsatzes seine Käufer. Vor allem in der Alternativen- und Hippieszene der USA erreichte der Typ 181 unter dem Namen »The Thing« bald Kultstatus. Zur Konzeption und Technik des Typ 181 konkretisiert der VW-Konzern auf seinem Portal VOLKSWAGEN CLASSIC:

»Erstaunlicherweise besteht das Lastenheft nicht auf Vierradantrieb. So können die Entwicklungsingenieure in den großen Volkswagen Baukasten greifen: Vom Karmann Ghia Typ 14 kommt die überarbeitete Plattform, vom Käfer 1500 stammen die abgeänderte Vorderachse, der Motor und die Kupplung, die Lenkung und die Instrumente, vom Transporter Typ 2 T1 (und nicht von dessen Nachfolger) das Getriebe und die Hinterachse mit dem seltenen Radvorgelege, das Bodenfreiheit und Übersetzung erhöht. Optional wird ein Sperrdifferenzial angeboten. Mit diesem Paket soll auch unter militärischen Bedingungen die nötige Geländetauglichkeit gewährleistet sein.«6

1969 vergrößerte sich der Volkswagen-Konzern abermals: Die beiden Firmen Auto Union GmbH und NSU-Motorenwerke AG wurden zur Audi NSU Auto Union AG zusammengeschlossen. Nach dem Zusammenschluss hielt VW 59,9 Prozent der Firmenanteile der neuen Gesellschaft, doch bald schon waren 99,9 Prozent der Anteile im Besitz von VW. Damit stand dem VW-Konzern die komplette Fahrzeugpalette von NSU zur Verfügung. Darunter war der 1967 eingeführte, technisch und optisch futuristische NSU Ro 80 mit seinem von Felix Wankel entwickelten Kreiskolbenmotor. Wirtschaftlich interessanter aber war die nahezu fertig entwickelte Mittelklasse-Limousine K 70, die mit ihrem wassergekühlten Frontmotor einen modernen Gegenentwurf zur antiquierten VW-Modellpalette darstellte.

1970–1979: Existenzkrise und Wandel

Zweifelsohne hatte der verstorbene Heinrich Nordhoff die Volkswagenwerk AG lange Zeit auf dem richtigen Kurs gehalten. Doch schon während seiner Amtszeit wurden die Stimmen immer lauter, die sich gegen den VW Käfer aussprachen und eine Neuorientierung forderten. Diese Neuorientierung sollte nicht nur die Modellpalette umfassen, sondern das gesamte Unternehmen. Unter dem Nachfolger Kurt Lotz wurde VW dann tatsächlich in vielerlei Hinsicht moderner, dies nicht zuletzt aufgrund des sich verschärfenden Wettbewerbs.

Zur zeitgenössischen Situation in Wolfsburg erklärte Kurt Lotz: »Schon bei meiner Einarbeitung im Sommer 1967 hatte ich nach Unterlagen gefragt, aus denen hervorgehen könnte, welche Neuentwicklungen in der Schublade waren. [...] Zu meiner großen Überraschung waren die Schubladen leer. Und: neue technische Konzeptionen standen überhaupt nicht zur Diskussion. Alle Zukunftserwartungen waren auf den Erfahrungswerten des Käfers aufgebaut [...] .«7

Demgemäß rationalisierte Lotz die Fertigungsabläufe und gestand der Forschungs- und Entwicklungsabteilung mehr Geld zu. Hinzu kam eine systematische Entwicklung von Führungskräften innerhalb des VW-Konzerns. Gleichzeitig wurden die Produktions- und Verwaltungsprozesse auf die elektronische Datenverarbeitung (EDV) umgestellt. Die Maßnahmen im Bereich EDV zusammenfassend schreibt der VW-Konzern: »Auch in Forschung und Entwicklung liefert die elektronische Datenverarbeitung neue Impulse, wie der Einsatz einer automatischen Modellabtastanlage in der Karosseriekonstruktion demonstriert. In Verbindung mit Großrechnern und automatischen Zeichenmaschinen verkürzt diese Anlage die Entwicklungszeit der Karosserien erheblich.«8

Trotz aller Modernisierung stand jedoch vorerst keine Ablösung für den VW Käfer in Aussicht, vielmehr wurde er 1970 umfassend modernisiert, und zwar technisch wie optisch. Unter der Bezeichnung 1302 Limousine (Typ 11) wurde dem Typ 1 eine modernere Version zur Seite gestellt. Im Typ 11 arbeitete vorne nicht mehr die alte Doppellängslenker-Achse, sondern es wurden zeitgemäße MacPherson-Federbeine mit Querlenkern und einem Stabilisator verbaut. Hinten kam eine Schräglenker-Achse zum Einsatz.

In Verbindung mit dem um 20 mm verlängerten Radstand verbesserte sich die Straßenlage des VW Käfer augenblicklich, gerade das tückische Übersteuern reduzierte sich stark. Durch die Verlängerung des Vorderwagens um 70 mm stieg obendrein die passive Sicherheit. Das Reserverad lag nun unter der vorderen Haube, statt dort platzraubend aufrecht zu stehen. Durch diese Maßnahmen besaß der VW Käfer zum ersten Mal einen ernstzunehmenden Kofferraum.

Auch bei der Motorisierung gab sich das neue Modell moderner, wenn auch am grundsätzlichen Motorkonzept festgehalten wurde. Der luftgekühlte Boxermotor des 1302 schöpfte aus 1,3 Liter Hubraum 44 PS (32 kW), daneben wurde der stärkere 1302 S mit 1,6 Liter Hubraum und einer Leistung von 50 PS (37 kW) ins Verkaufsprogramm genommen. Durch ein Doppelkanal-Ansaugsystem verbesserte sich die Durchzugskraft der Motoren. Um die bekannten Kühlprobleme des dritten Zylinders zu lösen, wurde der Ölkühler umgesetzt. Hinzu kamen zwei Reihen Kühlluftschlitze in der Motorhaube. Als technisches Schmankerl bekam der 1302 S sogar Scheibenbremsen an der Vorderachse verbaut.

Im Zuge des offensichtlichen Misserfolgs des VW 411 wurden die Rufe der VW-Händler nach einem wettbewerbsfähigen Modell immer lauter. Diese Forderung war weder abwegig noch unzeitgemäß – im Gegenteil, denn ein konkurrenzfähiges, modernes Modell war im VW-Konzern bereits verfügbar. So der K 70, der von NSU vor der Übernahme durch VW entwickelt worden war und von der VW-Konzernleitung zurückgehalten wurde, um das Geschäft mit den eigenen Fahrzeugen nicht zu stören. Entwickelt hatten die NSU-Ingenieure den K 70 mit einem Front-Reihenmotor, Vorderradantrieb und Wasserkühlung, so dass der Wagen hinsichtlich seiner Platzverhältnisse und seiner Straßenlage die konzeptionell antiquierten Mittelklasse-Modelle aus Wolfsburg ohne Mühe in den Schatten stellte.

Wie umstritten das technisch altbackene VW-Modell 411 innerhalb der Branche und unter Autofahrern war, wurde durch die spöttische Definition des Modellnamens deutlich. VW 411 wurde übersetzt als: VW mit 4 Türen, aber 11 Jahre zu spät. Auch optisch konnte der Mittelklasse-VW nicht begeistern, denn durch seine konservative Bauweise mit Heckmotor musste der Vorderwagen sehr lang ausfallen, um zu einer passablen Kofferraumgröße zu gelangen. Der durch den langen Vorderbau optisch nicht harmonisch wirkende VW hatte dann auch gleich seinen Spitznamen weg: »Nasenbär«. Daran sollte auch das 1972 vorgenommene Facelift und die neue Bezeichnung VW 412 nichts ändern.

Aufgrund des anhaltenden Misserfolgs des VW 411 entschloss sich VW-Chef Kurt Lotz im Sommer 1970, den von NSU entwickelten Wagen unter dem Modellnamen VW K 70 (Typ 48) auf den Markt zu bringen. Dafür wurde in Salzgitter ein eigenes Werk gebaut. Verfügbar war der K 70 mit wassergekühlten 1,6-Liter-Reihenmotoren, die über eine Leistung von wahlweise 75 PS (55 kW) oder 90 PS (66 kW) verfügten. Die bereits entwickelte Kombiversion des K 70 wurde jedoch nicht auf den Markt gebracht. Der VW K 70 wurde trotz mäßiger Verkaufszahlen zu einem Meilenstein in der Geschichte des Wolfsburger Konzerns, denn er markierte die Hinwendung zu moderner Fahrzeugtechnik bei Volkswagen.

Zur Rolle des K 70 für den VW-Konzern in diesen geschäftlich schwierigen Jahren erklärte der Vorstandsvorsitzende Kurt Lotz im Rückblick: »[...] die Einführung des K 70 von NSU erfolgte ausschließlich darum, weil wir schnell einen Mittelklassewagen mit wassergekühltem Motor haben wollten, um die Öffentlichkeit psychologisch an diese veränderte Technik bei VW zu gewöhnen. Aber: das durften wir damals nicht sagen.«9

VW am Abgrund

Mit gemischten Gefühlen blickte die VW-Führung nach Nordamerika. Dort war der Käfer mittlerweile so erfolgreich, dass die »Großen Drei« Hersteller Chrysler, Ford und GM reagierten. Diese Reaktion zeigte sich einerseits in neu entwickelten eigenen Kleinwagen wie dem Chevrolet Nova, dem Ford Maverick oder dem AMC Gremlin. Darüber hinaus zeigte sich die Reaktion in selbst für amerikanische Verhältnisse ungewohnt aggressiver Werbung, die den VW Käfer diskreditierte.

Unzweifelhaft genossen der VW Käfer und der Transporter »Bulli« einen Kultstatus in den USA, sie wurden von vielen Besitzern als direkter Gegenentwurf zum rücksichtslosen amerikanischen »Bigger is better« gesehen, bei dem nur der Fortschritt zählte. Besonders in der Hippie-Szene stießen die Fahrzeuge aus Wolfsburg auf große Sympathie. Und Fakt war: Jeder siebzehnte in den USA zugelassene Wagen des Jahres 1968 stammte von VW. Doch der Schein trog, zumindest was die Gesamtzahlen anging.

In Brasilien beispielsweise, einem Land, in dem VW traditionsgemäß sehr stark vertreten war, stand der VW Käfer plötzlich auf Halde. Der Grund war, dass modernere Wettbewerbsmodelle aus Nordamerika auf den Plan getreten waren und den VW Käfer bedrängten. Hinzu kam die Aufwertung der Deutschen Mark, die den Export von Fahrzeugen ins Ausland erschwerte, weil sie damit teurer wurden. Gerade für den Export in die USA hatte das starke wirtschaftliche Folgen. Gleichzeitig machte die Stärke der Deutschen Mark Importfahrzeuge kostengünstiger. Damit kämpften die deutschen Automobilhersteller gleichzeitig an zwei Fronten.

Bei Volkswagen ging es merklich bergab, denn der VW Käfer verkaufte sich zunehmend schlechter: Waren die Jahre 1968 und 1969, in denen jeweils ein Ertrag von über 330 Millionen Mark (ca. 165 Millionen Euro) erwirtschaftet worden war, noch gute Jahre gewesen, brachte das Jahr 1970 bereits einen starken Gewinneinbruch mit sich. Hinzu kam der Kauf der Autovermietungskette »Selbstfahrer Union«10, der den Konzern belastete. Zwar war VW noch nicht in die roten Zahlen gerutscht, doch standen nur noch 190 Millionen Mark (ca. 95 Millionen Euro) Gewinn in den Büchern.

Dabei zeigte der Ertragstrend so deutlich nach unten, dass 1971 ein finanzielles Fiasko gerade noch abgewendet werden konnte. Für das Jahr 1972 wurden tiefrote Zahlen erwartet. Selbst in den USA begann der Stern des VW »Beetle« zu sinken – nicht zuletzt, weil nun auch japanische Hersteller mit modernen Kleinwagen in den Markt drängten. Die existenzbedrohende Situation spiegelte sich im Wert der VW-Aktie wider, die an der Börse immer weiter sank. Die Zukunft sah für den VW-Konzern düster aus – es wurde immer deutlicher, dass Volkswagen in großen Schwierigkeiten steckte. Für den Vorstandsvorsitzenden Kurt Lotz war offensichtlich, dass die Konzentration auf den Käfer mittlerweile zu einem Risiko für den Konzern geworden war.

Zu den Gründen, warum VW in dieser Situation keinen Kleinwagen unterhalb des Typ 1 auf den Markt brachte, schrieb Kurt Lotz in seiner Autobiographie: »Es wäre ein Fehler gewesen, in den kleinen und stagnierenden Markt eindringen zu wollen. – Das Käferrisiko wäre mit der Einführung eines Kleinwagens nicht gemindert worden. [...] Der Überlegungen Schlußpunkt: aus eigenen Kalkulationen für einen Kleinwagen wußten wir, daß daran nichts zu verdienen war.«11

Die Schuld an der desolaten Situation gaben viele der Aufsichtsräte Kurt Lotz. Hinter vorgehaltener Hand warfen sie ihm vor, den VW-Konzern mit falscher Modellpolitik und schlechter Konzernführung heruntergewirtschaftet zu haben. Neben seiner Unternehmenspolitik wurde auch sein militärisch autoritärer Führungsstil als nicht mehr zeitgemäß beanstandet. So hatte sich Lotz sowohl Feinde im Aufsichtsrat als auch im VW-Vorstand geschaffen.

Bei den Aktionären stand er ohnehin schon lange in der Kritik. Hierzu schrieb der DER SPIEGEL: »Sie kreiden Lotz gleichermaßen an, daß er Mitte 1969 bei der Fusion der Neckarsulmer NSU Motorenwerke mit der VW-Tochtergesellschaft Auto Union den Vorwurf auf sich zog, er habe die NSU-Kleinaktionäre bei der Fusion geschädigt und eine gerichtliche Sonderprüfung empörter NSU-Anteilseigner heraufbeschworen.«12

Rechtfertigend schrieb Kurt Lotz hierzu in seiner Autobiographie: »Was sich dann später so spektakulär in der Öffentlichkeit abspielte, ist nur mit dem Hintergrundspiel einer Gruppe von NSU-Aktionären zu erklären, die ihre Anteile so hoch wie möglich verkaufen wollten. VW wollte aber nicht mitpokern und Anteile kaufen, wir brauchten unsere Finanzmittel für die Einführung der neuen Modelle. Es bot sich also für uns lediglich die Lösung an, Auto Union mit NSU zu fusionieren.«13

Hinzu kam für Lotz die Misere rund um den »Superkäfer« 1302, der wegen seiner technischen Defekte und seines abnorm hohen Benzinverbrauchs in der öffentlichen Kritik stand. Über 200.000 Käfer wurden wegen dieser Produktionsmängel in die Werkstatt zurückgerufen. Im September 1971 trat Dr. Kurt Lotz schließlich von seinem Posten als Vorstandsvorsitzender der Volkswagenwerk AG zurück. Sein Nachfolger wurde Rudolf Leiding, bislang Präsident der Volkswagen do Brasil und Vorstandsvorsitzender der Audi NSU Auto Union AG. Rudolf Leiding, der zum 1. Oktober 1971 die Konzernleitung übernahm, stellte in Folge alle historisch gewachsenen Gegebenheiten infrage.

Erzrivale Opel fuhr indessen unverändert auf der Überholspur. Der moderne Rekord D rollte ab 1971 von den Rüsselsheimer Bändern – auch er wurde zu einem großen wirtschaftlichen Erfolg. Hinzu kam eine Caravan-Version mit beträchtlichem Ladevolumen, die sich ebenfalls gut verkaufte. Für das Frühjahr 1972 wurde das auf dem Opel Rekord D basierende Coupé Commodore B angekündigt. Demgemäß rollte im September 1971 bereits das zehnmillionste Opel-Automobil vom Fließband. Die Rüsselsheimer Marke war zu dieser Zeit mit 878.000 gebauten Fahrzeugen und einem Marktanteil von 20,4 Prozent der größte deutsche Automobilhersteller. 59.200 Mitarbeiter erwirtschafteten einen Jahresumsatz von 6,5 Milliarden Mark (ca. 3,3 Milliarden Euro).

Zu Anfang 1972 geriet der VW Käfer nochmals in die Schlagzeilen, denn am 17. Februar 1972 lief mit einem 1302 S das 15.007.034. Fahrzeug vom Band und löste damit Fords Tin Lizzy (Modell T) als meistgebautes Auto der Welt ab. Angesichts der finanziellen Situation von VW geriet der Festakt jedoch zur Farce, die geladenen Ehrengäste verließen auffällig schnell den Schauplatz.

Wohl wurde nach den Werksferien im August 1972 zum Modelljahr 1973 noch der 1303 eingeführt, dessen Technik jedoch weitgehend der des 1302 entsprach. Mit gewölbter Windschutzscheibe, größeren Rückleuchten (»Elefantenfüße«), einem gepolsterten Armaturenbrett sowie einer Lüftungsanlage mit zweistufig regelbarem Gebläse war der Käfer wieder einmal modellgepflegt worden. Doch das Ende der Heckmotor-Ära war absehbar, denn die Pläne für eine vollkommen neue Modellpalette wurden immer konkreter.

Geprägt wurde das Jahr 1972 bei VW durch den neuen Vorstandsvorsitzenden Rudolf Leiding, der auf der obersten Führungsetage zahlreiche Köpfe rollen ließ. Als erstes musste Entwicklungschef Werner Holste gehen, weil er in Fragen der Fahrzeugentwicklung nicht mit den Vorstellungen Leidings übereinstimmte. Schon mit dem unter seiner Verantwortung fehlentwickelten, durstigen »Superkäfer« 1302 hatte sich Holste in Misskredit gebracht. Vor allem aber hielt Rudolf Leiding den von Holste vertretenen Entwurf EA 266 als Käfer-Nachfolger für untauglich.

Als Auftragspartner für das Projekt EA 266 war die deutsche Sportwagenmarke Porsche auserkoren worden. Der dort unter der Leitung von Ingenieur Ferdinand Piëch konzipierte Kleinwagen mit der werksinternen Bezeichnung EA 266 besaß einen wassergekühlten Mittelmotor in Boxer-Bauweise, der unter der hinteren Sitzbank montiert wurde. 50 Prototypen waren bereits gebaut worden. Doch das Projekt EA 266 wurde von Leiding als zu teuer in der Fertigung und als insgesamt untauglich angesehen.

Hierzu erläuterte der Autor Jerry Sloniger, Ferdinand Piëch verteidigend: »Er [Ferdinand Piëch] konnte sich einfach nicht vorstellen, daß das VW-Management bereit sein würde, sich von seiner bisherigen Konzeption weiter zu entfernen, als bis zum Baukastenfahrwerk mit seinem Motor unter den hinteren Sitzen (der Limousine). [...] Das Projekt, das die Bezeichnung EA 266 trug, basierte auf der Vorstellung, VW würde wirklich nicht weiter vom Bestehenden abrücken; das Auftauchen eines VW-Generaldirektors mit so umfassend neuen Ansichten habe man nicht voraussehen können.«14

Obwohl bereits mehr als 250 Millionen Mark (ca. 125 Millionen Euro) in das Projekt EA 266 geflossen waren, wurde es kurzerhand beendet. Die Firma Porsche wurde angewiesen, alle bereits entwickelten Prototypen zu verschrotten. Dem folgend wurden die Prototypen auf ein Panzertestgelände verbracht, wo sie dann unter den Ketten eines »Leopard« ein Ende fanden. Indes: Mindestens ein Prototyp des Projekts EA 266 überlebte.15

Rudolf Leiding forcierte stattdessen das Projekt EA 337, das ihm mit quer eingebautem Frontmotor mit Wasserkühlung, selbsttragender Karosserie und Schrägheck deutlich fortschrittlicher erschien. Dies war der Beginn des neuen Kompaktwagens von VW. Für das Design wurde der Italiener Giorgio Giugiaro gewonnen, der für Volkswagen bereits an einem größeren, auf dem Audi 80 basierenden VW-Modell arbeitete, das vor dem Projekt EA 337 auf den Markt kommen sollte. Wie sehr sich Rudolf Leiding dabei technisch an Audi orientieren wollte, machte er mit einem derben Ausspruch offensichtlich: »Audi NSU ist unsere schönste Tochter, der wir gelegentlich einmal unter den Rock fassen wollen.«16

Rudolf Leiding musste aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage des VW-Konzerns dringend weiteres Personal abbauen – und wählte dabei ein Vorgehen, das als »Aktion 49« von sich reden machte: Jeden Monat wurden im Rahmen dieser Aktion exakt 49 vergleichsweise unproduktive Mitarbeiter entlassen. Die Zahl 49 war bewusst gewählt worden, denn ab 50 Kündigungen hätte dies als Massenentlassung gegolten und größere Konsequenzen nach sich gezogen. Weiteres Personal baute Leiding durch Frühpensionierungen ab.

Unterdessen näherte sich eine ganz andere Entwicklung ihrem Ende: das »VW Sicherheitsauto« wurde präsentiert. Anlass für den Bau dieses Versuchsfahrzeugs war, dass in den USA Vorschriften erlassen worden waren, nach denen alle Modelle für den US-Markt zukünftig mit einer Fülle von Sicherheitsvorrichtungen und -systemen ausgerüstet sein mussten. Diese Systeme umfassten beispielsweise üppige Prallpolster, neuartige Stoßfänger vorne und hinten sowie ein Rückhaltesystem durch Gurte für jeden Sitz. Ziel des US-Verkehrsministeriums war, das Überleben der Fahrzeuginsassen bis zu einem Aufprall von 80 km/h zu gewährleisten.

Unter der Ägide von VW-Forschungschef Prof. Dr. Ernst Fiala war demgemäß ein 4,73 m langes und 1.360 Kilogramm schweres Vehikel entstanden, das blockiersichere Bremsen, Scheibenwischer an den Scheinwerfern und sogar eine automatische Lenkkorrektur besaß. Ein ganz neuartiges System, bei dem beim Aufprall in Sekundenbruchteilen ein Luftsack im Lenkrad mittels einer kleinen Gasexplosion aufgeblasen werden sollte, lehnte Ernst Fiala jedoch ab. Da die angekündigten Sicherheitsmaßnahmen den Bau eines Fahrzeugs über die Maßen verteuerten, wartete die gesamte Automobilindustrie gespannt darauf, welche Systeme von der US-Behörde letztendlich verbindlich vorgeschrieben würden.

Der Sommer 1972 war geprägt von zahlreichen Unsicherheiten hinsichtlich der Frage, wohin sich die Automobiltechnik in den nächsten Jahren entwickeln könnte. So verdichtete sich das Gerücht, dass Mercedes-Benz bald einen Wankelmotor in einem Serienfahrzeug auf den Markt bringen wollte. Auch andere Hersteller, die Fertigungslizenzen dieses »Wundermotors« erworben hatten, traten mit konkreten Plänen an die Öffentlichkeit: Bei GM wurde die Markteinführung eines Wankelmodells für das Jahr 1974 geplant, ebenso bei Citroën. In Japan baute der Hersteller Toyo Kogyo für seine Modelle der Marke Mazda bereits Modelle in Großserie. 1972 sollte die Mazda-Produktion mehr als 150.000 Fahrzeuge mit Wankelmotor betragen.

Auch zahlreiche Motorradhersteller sprangen auf den fahrenden Zug und entwickelten Modelle mit Wankelmotor. So beispielsweise der japanische Hersteller Suzuki, aber ebenso BSA/Triumph in Großbritannien. Sogar die Ingenieure von Fichtel & Sachs tüftelten an einem eigenen Wankelmotor für ihre Marke Hercules. Bei NSU indes war es aufgrund der kostspieligen technischen Probleme beim Ro 80 eher ruhiger geworden – die Wankel-Euphorie war längst verflogen. Es war ein offenes Geheimnis, dass der VW-Konzern bei jedem verkauften NSU Ro 80 mehrere tausend Mark zulegte. Die Pläne des entmachteten VW-Generaldirektors Kurt Lotz, das NSU-Werk in Neckarsulm zum weltweiten Zentrum der Wankelmotor-Entwicklung zu formen, waren jedenfalls vom Tisch.

Doch nicht nur der Wankelmotor sorgte für Gesprächsstoff. Denn immer stärker wurde der Dieselmotor als alternativer Antrieb für Personenkraftwagen diskutiert. Opel hatte sich bereits mit seinen Weltrekordfahrten, die mit einem serienreifen Vierzylinder-Dieselmotor stattgefunden hatten, in der öffentlichen Wahrnehmung werbewirksam positioniert. Schon ab Herbst 1972 wollte Opel das Erfolgsmodell Rekord mit einem 60 PS starken Selbstzündermotor in den deutschen Markt einführen. Diese Entwicklung wurde von zahlreichen Fachleuten als verkehrstechnischer Rückschritt bezeichnet – ungeachtet dessen arbeiteten auch in Wolfsburg und bei Ford in Köln mittlerweile Ingenieure unter Hochdruck an einem eigenen Dieselmotor. Einzig BMW-Pressesprecher Werner Zentzytzki erklärte es kategorisch für ausgeschlossen, einen BMW mit Dieselmotor zu bauen.

Im Herbst 1972 herrschte bei Volkswagen höchste Alarmstufe, denn das im Werk Kassel neu eingeführte EDV-System »Etgas« (Ersatzteil-Gesamtabwicklungs-Systeme) stand vor dem Kollaps. Dieses computergesteuerte VW-Ersatzteillager sollte sämtliche Bestellungen erfassen und bis zur Auslieferung der Teile aus dem Lager verwalten. Der EDV-gestützte Kundendienst war teilweise schon zusammengebrochen, so dass nicht alle benötigten Ersatzteile an die Werkstätten geliefert werden konnten. Viele Händler bekamen gar keine Teile mehr, andere Händler bekamen Ersatzteile geliefert, die sie gar nicht bestellt hatten. Fachleute munkelten, dass diese EDV-Misere den VW-Konzern mindestens 100 Millionen Mark (rund 50 Millionen Euro) Umsatzeinbußen verursachte.

Verantwortlich dafür wurde VW-Verkaufschef Carl Hahn gemacht, der aufgrund seiner Arbeit für den Konzern, aber auch aufgrund seines Jet-Set-Lebensstils ohnehin in der Kritik stand. So war beispielsweise VW in der Schweiz unter seiner Ägide vom Marktführer zum Nachzügler geworden. Hinter dem Marktführer Opel folgte Toyota, dann Fiat und Ford. Erst auf Rang 5 stand VW mit seinen Verkaufszahlen. Unverblümter ausgedrückt: Es war im VW-Konzern bekannt, dass VW-Chef Leiding seinen Verkaufschef loswerden wollte. Ende Oktober trat Carl Hahn seinen Jahresurlaub an – mit seiner Rückkehr an seinen Wolfsburger Schreibtisch rechnete niemand. Diese Einschätzung sollte sich bewahrheiten.

Mittlerweile waren in der Presse die ersten Bilder des Entwicklungsprojekts EA 337 zu bestaunen. Neben den Bildern sickerten auch die ersten technischen Daten durch. So sollte der Kompaktwagen über einen quer eingebauten, wassergekühlten Frontmotor verfügen, der seine Kraft an die Vorderräder abgeben würde. Ausgerüstet werden sollte der Käfer-Konkurrent mit MacPherson-Federbeinen und Scheibenbremsen an der Vorderachse. Vorne und hinten sollten Knautschzonen für die Sicherheit der Insassen sorgen. Offensichtlich war: Dieses neue Modell hatte weder technisch noch optisch etwas mit dem alten VW Käfer gemein.

Die neue Modellgeneration

Unterdessen änderte sich die währungspolitische Situation auf der Welt dramatisch, was gerade der in Deutschland beheimatete VW-Konzern deutlich zu spüren bekam. So notierte der Dollar gegenüber der Deutschen Mark immer schwächer, was die Preise für die aus Deutschland in die USA exportierten VW-Modelle stetig in die Höhe trieb. Die Auswirkungen auf die Ertragslage der Wolfsburger waren deutlich, denn immerhin wurden rund ein Drittel der jährlich gebauten 1,9 Millionen VW-Fahrzeuge nach Nordamerika geliefert. In dieser Notlage wurde ernsthaft über den Bau eines eigenen VW-Werks in den USA diskutiert.

Während der Dollarkurs immer weiter sank und sich die Währungskrise verschärfte, erschien im Mai 1973 mit dem auf dem Audi 80 basierenden VW Passat schließlich eine ganz neue Mittelklasse-Limousine aus Wolfsburg, die jegliche optische Altbackenheit, aber auch jegliche technische Rückständigkeit abgelegt hatte. Dazu konkretisiert der VW-Konzern aus heutiger Perspektive auf seinem Portal VOLKSWAGEN CLASSIC: »Nach dem ebenfalls wassergekühlten und frontgetriebenen K 70 wird jetzt eine wesentliche Eigenentwicklung vorgestellt, der neue Passat. Aus Gründen der damals noch andauernden Konzernkrise werden die Produktionskosten durch Übernahme von Plattform und Aufbau des ein Jahr zuvor erschienenen Audi 80 (Design: Hartmut Warkuß) niedrig gehalten.«17

Optisch wurde der VW Passat als eigenständiges Fahrzeug wahrgenommen, weil der italienische Designer Giorgio Giugiaro den Audi 80 geschickt mit einem Schrägheck versah, das die Limousine nicht als Kopie wirken ließ. Der Passat verfügte im Gegensatz zu den Modellen 1600 und 411/412 über einen wassergekühlten Motor mit Zahnriemen, der nicht mehr im Heck arbeitete, sondern als moderner Fronttriebler die Vorderräder antrieb.

Die Markteinführung wurde innerhalb des VW-Konzerns mit angehaltenem Atem begleitet, denn: Der Passat bildete den »Grundstein« für alle weiteren modernen Fronttriebler-Modelle, die später mithilfe eines kostensparenden Baukastensystems gefertigt werden sollten. Durch eine hohe Anzahl von Gleichteilen, die in verschiedenen Modellen des VW-Konzerns verbaut würden, wollten die Planer die Produktionskosten drastisch senken.

Doch der Passat sollte nicht nur Grundstein sein, sondern auch finanzieller Rettungsanker. Würde der Passat in seiner Konzeption scheitern, dann wäre VW finanziell wohl kaum zu retten. Von den Autofahrern wurde der VW Passat jedoch sofort akzeptiert und vor allem auch bestellt – 750 Stück rollten dementsprechend schon zu Anfang von den Fließbändern. Im Gegensatz zu den alten Modellen 1600 und 412 war der VW Passat für den erfolgreichen Opel Ascona nun ein Wettbewerber auf Augenhöhe.

Im Zuge der Umstellung auf die kommende, mit dem Passat eingeleitete neue Modellgeneration hieß es weiter Abschied nehmen von Vertrautem. Nach 445.295 gebauten Karmann Ghia wurde im Juli 1973 die Produktion eingestellt. Zum Abschied schreibt die VW AG in ihrer Publikation DAS BUCH gleichermaßen treffend wie wehmütig über das Karmann Ghia Cabrio: »Mit seiner italienischen Eleganz kurvte es über die Farbseiten der eleganten Magazine, und wo ein Filmregisseur Jugend, Schönheit und Heiterkeit ins Bild bringen wollte, da musste der Karmann durch die Szene rollen: Der löste alle gewünschten Gefühle aus.«18

Geprägt wurde das Jahr 1973 durch die im Herbst beginnende Ölkrise, bei der die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) die Fördermengen drosselte, um die westlichen Länder politisch unter Druck zu setzen. Die dadurch steigenden Energiepreise verursachten eine Schwächung der Konjunktur und führten die westlichen Länder in eine Wirtschaftskrise, von der alle wichtigen Industrienationen betroffen waren. Parallel dazu verschärfte der steigende Ölpreis die Inflation, wodurch die US-Wirtschaft sogar in eine Stagflation (wirtschaftliche Stagnation gepaart mit Inflation) geriet. In Deutschland markierte die Ölkrise das Ende des Wirtschaftswunders.

Kurioserweise stieg in den USA die Nachfrage nach dem Käfer wieder stark an – wegen der Ölkrise wollten immer weniger Nordamerikaner einen spritschluckenden »Gas Guzzler« mit V8-Motor fahren. So wurden trotz der massiven Preiserhöhungen der VW-Fahrzeuge durch die veränderten Wechselkurse Ende 1973 in den USA mehr VW Käfer bestellt als aus Deutschland lieferbar waren. Stuart Perkins, der Präsident der Vertriebsfirma Volkswagen of America, beklagte, dass die Nachfrage um rund 15 Prozent gestiegen war, aber aufgrund des zu geringen Nachschubs aus Wolfsburg nur 6 Prozent mehr Fahrzeuge ausgeliefert werden konnten.

Im Zuge der Ölkrise stiegen nicht nur die Preise für Kraftstoff und Heizöl in ungekanntem Maße, auch wurde in Deutschland ernsthaft über ein Tempolimit auf Autobahnen diskutiert. Fakt waren die verordneten autofreien Sonntage, an denen es vom Gesetzgeber her verboten war, das Auto zu benutzen. Zur Dramatik dieser Situation schreibt die VW AG in ihrer Publikation DAS BUCH: »Die Zukunft des Autos scheint in Frage gestellt. Weltweit fallen die Verkaufszahlen in den Keller. Unter den Menschen an den Standorten von Volkswagen geht die Angst um. [...] Die Älteren beschwören die Entsetzensbilder der Massenarbeitslosigkeit herauf. Den Jüngeren wird erstmals bewusst, wie der Boden schwankt, auf dem sie leben und arbeiten.«19

In Folge traten Unternehmensleitung und Gewerkschaft in lange Verhandlungen. Dabei wurde für das Frühjahr 1974 Kurzarbeit vereinbart. Auch die Aktionäre wurden für das Jahr 1974 auf rote Zahlen vorbereitet, allerdings erhielten sie trotz unverändert im Wert fallender VW-Aktien für das Jahr 1973 noch eine Dividende von 4,50 Mark (ca. 2,25 Euro). So ging nicht nur bei VW das Jahr 1973 wirtschaftlich trostlos zu Ende, zumal eine Besserung der Krise nicht in Sicht war. Die Hoffnung lag auf den angekündigten neuen Modellen, für die der Passat den Weg bereitet hatte. Als nächster Coup wurde der Serienanlauf des Entwicklungsmodells EA 337 erwartet. Der endgültige Name für das kompakte Volkswagenmodell war mittlerweile auch schon bekannt geworden: »Golf« sollte es heißen.

Tatsächlich war es langsam an der Zeit, dieses Projekt zu einem Ende zu bringen, denn seit mehreren Jahren wurde an einem Nachfolger des VW Käfer mehr oder minder fruchtlos herumentwickelt. Die Geschichte des VW Golf hatte eigentlich schon im Mai 1968 begonnen, als VW-Konzernlenker Heinrich Nordhoff 36 Prototypen und Styling-Studien ohne Motor für einen Käfer-Nachfolger hatte konzipieren lassen. Doch es wurde bald klar, dass Nordhoff eigentlich keine rechte Notwendigkeit zur Ablösung des Typ 1 sah. Erst sein Nachfolger Kurt Lotz hatte Ende 1969 den Projektstart für ein Nachfolgemodell festgelegt, das technisch und optisch nichts mehr mit dem VW Käfer gemein haben sollte.

Unterdessen wurde das Gerücht immer lauter, dass das Ausgangsmodell des VW Golf in der DDR entwickelt worden sei. So absurd diese Behauptung klang, so machten die vorgelegten Fotographien des DDR-Ausgangsmodells doch stutzig. Unbestreitbar war beispielsweise, dass die kantig geformten Prototypen des Kompaktwagens Trabant P603 mit Fließheck und MacPherson-Fahrwerk konzeptionell sehr nahe am neuen Golf lagen. Ausgerüstet worden waren die Trabant-Prototypen mit neun verschiedenen Motoren, angefangen von alten Zweitakt- über Viertaktaggregaten bis hin zu einem Wankelmotor.

Unstrittig war auch, dass das ostzonale Politbüro die Weiterentwicklung des Fahrzeugs für den DDR-Markt offiziell 1967 gestoppt hatte – somit zeitlich genau vor dem Beginn der ersten Entwicklungsarbeiten am VW Golf.20 Eigenartig war zudem, dass auch der VW Passat den Prototypen des Fließheck-Modells 355 des zweiten großen Automobilherstellers der DDR, dem VEB Automobilwerk Eisenach, verblüffend ähnlich sah. Und seltsam war auch hier wieder der zeitliche Zusammenhang, denn obwohl die Arbeiten an den Wartburg-Prototypen weit fortgeschritten waren, war auch hier die Entwicklung auf Weisung des Politbüros 1968 plötzlich eingestellt worden.21

So machte das Gerücht die Runde, dass ein hochrangiger Mitarbeiter des Fahrzeugwerks VEB Sachsenring bzw. des VEB Automobilwerks Eisenach mit den Konstruktionsplänen in die BRD geflohen sei. Ein anderes Gerücht besagte, dass die Pläne des schon weit entwickelten Fahrzeugs heimlich an VW verkauft worden seien, um Devisen in die wirtschaftlich darbende DDR zu bringen. Andere berichteten von geheimen Testfahrten der VW-Ingenieure, die die Prototypen ausgiebig im Umland der DDR-Fahrzeugwerke testeten. Indes: Im Osten wie im Westen wurde zu diesen Gerüchten kategorisch geschwiegen [...].

Der mit dem VW K 70 und dem VW Passat eingeläutete Wandel setzte sich bei VW nicht nur fort, er steigerte sich mit der Markteinführung einer komplett neuen Modellpalette. Dem erfolgreich etablierten Passat folgte im Frühjahr 1974 das 2+2-sitzige Sportcoupé Scirocco (Typ 53 Coupé) als Nachfolger des betagten Karmann Ghia Typ 14. Straff, mit klaren Kanten und ohne Schnörkel gezeichnet, folgte der Scirocco einer neuen Ästhetik, die mit der Formgebung des Karmann Ghia nichts mehr gemeinsam hatte. Die Eleganz und Noblesse hingegen, die dem Karmann Ghia zu Eigen waren, ließ das neue Sportcoupé vermissen.

Als Mitglied der neuen Modellfamilie verfügte der Scirocco ebenfalls über einen wassergekühlten, quer eingebauten Frontmotor sowie Vorderradantrieb. Entwickelt worden war der ebenfalls von Giorgetto (Giorgio) Giugiaro gestaltete Scirocco bei Karmann in Osnabrück, wo er auch gebaut werden sollte. Die technische Basis für den Scirocco bildete der neue VW Golf, der in den Startlöchern stand und dessen Markteinführung mit Spannung erwartet wurde.