Vom Anfang bis heute - Loel Zwecker - E-Book

Vom Anfang bis heute E-Book

Loel Zwecker

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Beschreibung

Es war einmal ... eine Reise, die mit dem Urknall begann und die noch lange nicht zu Ende ist. Von der ersten Zelle zu den Goldenen Zwanzigern und vom alten Ägypten zur App ist es dabei bisweilen nur ein Katzensprung. Loel Zwecker erzählt davon anschaulich und alltagsnah, mit einem Blick für überraschende Details und verborgene Zusammenhänge: Wie im Mittelalter die Brille erfunden, in Indien die Meditation zu einer echten Macht wurde und die Waschmaschine unser Leben veränderte. Ein Buch zum Lesen und Vorlesen, das allen ab zehn Lust auf Geschichte macht. Denn Geschichte braucht Geschichten – und diese ist eine ganz besondere.

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Seitenzahl: 626

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Zum Buch

Es war einmal … eine Reise, die mit dem Urknall begann und die noch lange nicht zu Ende ist. Von der ersten Zelle zu den Goldenen Zwanzigern und vom alten Ägypten zur App ist es dabei bisweilen nur ein Katzensprung. Loel Zwecker erzählt davon anschaulich und alltagsnah, mit einem Blick für überraschende Details und verborgene Zusammenhänge: Wie im Mittelalter die Brille erfunden, in Indien die Meditation zu einer echten Macht wurde und die Waschmaschine unser Leben veränderte. Geschichte braucht Geschichten – und diese ist eine ganz besondere.

Zum Autor

Loel Zwecker, geboren 1968, ist Autor und Übersetzer. Er promovierte über das Thema Kunst und Politik und war Dozent für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zwecker schrieb für verschiedene Zeitungen und verfasste mehrere Bücher, zuletzt »Ein Schritt zurück in die Zukunft. Was wir aus der Geschichte lernen können«.

Loel Zwecker

Vom Anfang bis heute

Eine kleine Geschichte der Welt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

PENGUIN und das Penguin Logo sind Markenzeichenvon Penguin Books Limited und werden hier unter Lizenz benutzt.1. Auflage 2017Copyright © 2017 Penguin Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenUmschlag und Umschlagmotiv: bürosüd, MünchenRedaktion: Andreas Rode, MünchenSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-18783-5V003www.penguin-verlag.de

Für Suzette

INHALT

VORWORT

Was ist Geschichte? Wozu von früher erzählen?

KAPITEL EINS

Es war einmal … eine Zelle

Von der Entstehung der Erde über den Tyrannosaurus Rex zum Menschen: die ersten 4,6 Milliarden Jahre Weltgeschichte im Zeitraffer.

KAPITEL ZWEI

Pyramiden und Parfüm

Wie die alten Ägypter vor 5000 Jahren die Großbaustelle und das Luxusleben erfunden haben.

KAPITEL DREI

Die ersten Superhelden und Mathe-Weltmeister

In Mesopotamien werden Großstädte gegründet, ein umfassendes Gesetzbuch und ein spannendes literarisches Werk geschrieben. Die Wissenschaften blühen auf.

KAPITEL VIER

Der eine Gott und seine vielen verrückten Geschichten

Im 1. Jahrtausend v. Chr. finden in Palästina Erzählungen Verbreitung, in denen es um einen völlig neuartigen Gott geht: Er ist der einzige Gott, und er ist unsichtbar. Die Geschichten bilden die Grundlage für zwei Weltreligionen: das Judentum und das Christentum.

KAPITEL FÜNF

Wettkämpfer und Denker

Die alten Griechen haben viel in den Bereichen Politik, Kunst, Sport, Philosophie und beim Diskutieren und Streiten geleistet. Dabei haben sie wichtige Grundlagen unserer Kultur geschaffen.

KAPITEL SECHS

Erleuchtung und vegetarisches Essen für alle

Wie die Inder und andere Asiaten zu Buddha fanden und warum die Meditation eine echte Macht wurde.

KAPITEL SIEBEN

Der Kaiser, der Geschichtsbücher verbrennen ließ

Der erste Kaiser von China will sein Reich von Grund auf nach seinen Vorstellungen gestalten. Er regelt den Alltag seiner Untertanen mit unerbittlicher Strenge bis ins kleinste Detail und unterdrückt alte Traditionen.

KAPITEL ACHT

Die erste Supermacht

Kein Volk war so lange so reich und grenzenlos mächtig wie die Römer. Mit ihrem Rechtssystem, ihrer Infrastruktur, ihrer Kriegsmaschinerie und Unterhaltungsindustrie setzten sie Maßstäbe.

KAPITEL NEUN

Im Namen des Vaters

Im Mittelalter werden germanische Krieger und römische Kirchenmänner zu einer neuen Macht in Europa. Die Masse der Untertanen muss den Geistlichen und Adeligen bedingungslos gehorchen und ohne Bezahlung für sie arbeiten.

KAPITEL ZEHN

Im Namen Allahs

Im 7. Jahrhundert gründet Mohammed den Islam und schafft die Grundlagen für eine arabische Weltmacht. Seine Erben fördern die Wissenschaften, haben die besten Ärzte und die schönsten Paläste.

KAPITEL ELF

Ritter mit Brillen, Uhren und Bankkonten

Die wichtigsten Erfindungen des europäischen Mittelalters.

KAPITEL ZWÖLF

Totems, Traumpfade und staatliche Renten

Das Mittelalter in Afrika, Amerika, Asien und Australien.

KAPITEL DREIZEHN

Die ersten Popstars

Die Renaissance in Italien und der Humanismus: neuartige Bilder und Vorbilder für ganz Europa.

KAPITEL VIERZEHN

Was ist ein Papstesel?

Die Reformation ab 1517 führt zu einer Spaltung Europas in zwei große verfeindete Lager: die Katholiken und die Protestanten. Das hat weitreichende Folgen für die Politik und die Kultur. Europa wird in Konflikte und Kriege gestürzt.

KAPITEL FÜNFZEHN

Tropische Schönheit, Mord unter Palmen

Ab 1492 entdecken und erobern Europäer Amerika und gründen auf der ganzen Welt Kolonien. Sie beuten die ansässige Bevölkerung aus und betreiben Sklavenhandel. Ein paar mutige Geistliche und Gelehrte unternehmen etwas dagegen. Zwei asiatische Reiche schotten sich ab.

KAPITEL SECHZEHN

Im Schatten des Sonnenkönigs

Der Glanz des französischen Absolutismus ist trügerisch, denn er geht mit zahlreichen Kriegen und dem Elend der Bevölkerung einher. In England sorgt die Glorreiche Revolution von 1688 für mehr Freiheit und Bürgerrechte. Die Wissenschaften machen Fortschritte.

KAPITEL SIEBZEHN

Frauen in Männerkleidung

Das Zeitalter der Aufklärung bringt im 18. Jahrhundert freche Aktionen, soziale Netzwerke und ein neues, freieres Denken mit sich.

KAPITEL ACHTZEHN

Die Weltmacht der Flüchtlinge, Außenseiter und Glücksritter

Im Jahr 1776 gründen Einwanderer britischer Abstammung die USA. Es ist die erste moderne Demokratie der Welt, die bis heute Bestand hat.

KAPITEL NEUNZEHN

Schach dem Tyrannen!

Die Französische Revolution von 1789 ist der bis dahin blutigste Aufstand, den ein Volk gegen seine Herrscher anzettelte. Sie bringt ganz plötzlich große Veränderungen in vielen Bereichen des Lebens.

KAPITEL ZWANZIG

Ein Hit für Napoleon

Ein Offizier aus Korsika wird französischer Kaiser und gestaltet mit Kriegszügen, einem modernen Gesetzbuch und straffer Organisation Europa um.

KAPITEL EINUNDZWANZIG

Die Maschinenmenschen kommen!

Während der industriellen Revolution werden in Europa viele Erfindungen gemacht, Fabriken gebaut und moderne Kommunikationsmittel eingeführt. Der Alltag der Menschen verändert sich grundlegend. Die Außenpolitik ist durch den Imperialismus geprägt.

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts

Im Ersten Weltkrieg werden Millionen von Soldaten wie am Fließband getötet. Regierungen betreiben Propaganda, um feindliche Nationen zu verteufeln und die Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Und es wird eine ganz neue Kunst geboren.

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

Partylaune und Bürgerkrieg

Die Russische Revolution, der American Way of Life, die Goldenen Zwanziger und der Aufstieg und tragische Fall der ersten Demokratie in Deutschland.

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

Der Führer des Bösen

Hitlers »Machtergreifung« in Deutschland und der Alltag und Terror im »Dritten Reich« ab 1933. Die Nationalsozialisten ermorden Millionen von Juden und Mitglieder anderer Minderheiten.

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

Der totale Krieg

Der Zweite Weltkrieg: sechzig Millionen Tote in sechs Jahren. Das Grauen reicht von Alaska bis Australien.

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

Das Gleichgewicht des Schreckens

Nach dem Zweiten Weltkrieg bedrohen die USA mit ihren Verbündeten und die Sowjetunion und deren Partner einander mit Atomwaffen, die den gesamten Globus zerstören können. Dieser Kalte Krieg teilt die Welt über vierzig Jahre lang in zwei verfeindete Lager.

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

Was haben Mahatma Gandhi, Che Guevara und Bob Marley gemeinsam?

Ab 1945 erlangen immer mehr Kolonien in Afrika und Asien ihre Unabhängigkeit von den Kolonialmächten. Viele dieser Länder zählen zur sogenannten Dritten Welt und sind weiterhin von Armut geplagt. Sie haben besondere Helden.

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

Pille, Pop und Waschmaschinen

Die Alltagsrevolutionen, die unsere Eltern oder Großeltern miterlebt haben.

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

Wiege der Weltreligionen und Zentrum des Terrors

Der Nahe Osten ist seit einem Jahrhundert durch unterdrückerische Regime, Terrorismus und blutige Konflikte geprägt. Die Wurzeln mancher Konflikte reichen weit in die Geschichte zurück.

KAPITEL DREISSIG

Was könnte der nächste große Schritt in der Geschichte der Menschheit sein?

Die Europäische Union und Hilfsorganisationen, der Klimawandel und der Welthunger – und die Suche nach neuen Ideen und Lösungen.

Dank

VORWORT

Was ist Geschichte? Wozu von früher erzählen?

Vor ein paar Jahren fragte mich ein Freund, was das früheste Erlebnis aus meiner Kindheit sei, an das ich mich erinnern könne. Die Frage fand ich gar nicht so leicht zu beantworten. Manchmal meinen wir, etwas schon lange im Gedächtnis gespeichert zu haben, aber in Wahrheit haben wir nur kürzlich ein Foto davon gesehen, zum Beispiel von uns als Kleinkind beim Spielen mit einem Ball oder beim Buddeln mit einer Plastikschaufel am Strand. Oder unsere Eltern haben uns etwas erzählt, und wir halten das dann für unsere eigene Erinnerung. Auf die Frage meines Freundes fielen mir letztlich jedoch zwei Ereignisse aus meiner frühen Kindheit ein.

Das eine ist die Geschichte mit dem Birnenjoghurt. Als ich klein war, mochte ich besonders gern eine bestimmte Sorte Birnenjoghurt mit Obststücken drin. Einmal kam ich mit meiner Mutter vom Einkaufen heim. Ich freute mich so auf den Joghurt, dass ich ihn aus der Einkaufstasche nahm und damit in Richtung Küche rannte, um einen Löffel zu holen. Vor lauter Ungeduld riss ich den Deckel schon beim Laufen auf. Etwas Joghurt schwappte raus und tropfte auf den Steinboden. Ich rutschte darauf aus und knallte mit der Stirn genau auf die Holzstufe vor der Küche. Die Wunde blutete so stark, dass ich zum Arzt musste, um genäht zu werden.

Ich weiß nicht mehr, ob ich das Detail, dass ich auf dem Joghurt ausgerutscht bin, dazuerfunden habe, denn es klingt ein bisschen wie aus einem Zeichentrickfilm. Der Rest der Geschichte stimmt jedenfalls. Ich lief noch einige Zeit danach mit einem Verband um den Kopf herum, der so ähnlich aussah wie der Kopfschutz, den Boxer oft tragen.

Die andere frühe Erinnerung hat mit dem Hund Schnuffel zu tun, den meine Familie hatte, als ich ungefähr vier Jahre alt war. Es war ein Vizsla, ein ungarischer Jagdhund mit kurzem ockerfarbenem Haar. Einmal waren wir an einem Baggersee baden. Schnuffel schwamm sehr gern. Es gelang mir, mich an ihm festzuhalten, und er zog mich durch den ganzen See. Er war voller Energie, und ich war eigentlich nur ein lästiger Ballast für ihn; dennoch paddelte er behutsam und vorsichtig, damit er mich nicht verlor.

Meine beiden frühesten Erinnerungen haben mich zwar nicht tief greifend verändert, aber seit dem Sturz habe ich eine Narbe auf der Stirn, und vielleicht bin ich seither in der Nähe von kantigen Stufen etwas vorsichtiger mit Joghurts. Was die zweite Erinnerung betrifft, kann ich immerhin sagen, dass ich mich noch heute, über vierzig Jahre später, freue, wenn ich einen Vizsla auf der Straße sehe. Auch wegen des Erlebnisses im Baggersee sind Vizslas meine Lieblingshunde. Hätten meine Eltern damals einen Dackel gehabt, würden mir womöglich diese Hunde am besten gefallen.

Wir alle haben im Lauf unseres Lebens bestimmte Erfahrungen gemacht. Manche sind angenehm, andere weniger angenehm. Manche haben Narben hinterlassen, einige haben uns darin geprägt, wen oder was wir besonders schön oder sympathisch finden. Deshalb spielen solche Erinnerungen aus der Vergangenheit eine Rolle in unserer Gegenwart. Wir sind auch deshalb zu dem geworden, was wir sind, weil wir ganz spezielle Erfahrungen gemacht haben, an die wir uns erinnern. Erinnerungen sind sehr wichtig. Dank ihrer können wir aktuelle Situationen mit früheren vergleichen und besser einschätzen. Man stelle sich vor, wir hätten keinerlei Erinnerungen, etwa an unsere Zeit im Kindergarten, in der Grundschule oder an frühere Wohnorte. Dann wüssten wir nicht, wo wir herkommen und wer wir sind. Natürlich hat jeder unterschiedliche Erinnerungen. Außerdem reagieren Menschen auf ähnliche oder gleiche Erfahrungen jeweils anders. Aber beeinflusst werden wir alle durch sie.

Wir erinnern uns nicht immer genau an alles, aber viele von uns wissen noch, wer und wie ihre erste Liebe war, die erste Lehrerin oder das erste Popkonzert. Uns fällt eine besonders gefährliche oder schwierige Situation ein, in die wir geraten sind, und auch, wie wir wieder rausgekommen sind. Natürlich profitieren wir außerdem von den Erinnerungen anderer Leute, die uns ihre Geschichten erzählen. Sie helfen uns dabei, uns zu orientieren. Unsere Freunde und Eltern teilen ihre Erfahrungen mit uns. Da unsere Eltern älter sind als wir, können sie aus einem größeren Erfahrungsschatz schöpfen. Sie können zudem meist auf das Wissen ihrer Eltern zurückgreifen, also unserer Großeltern. Die haben ihnen schon von ihren Erlebnissen erzählt, bevor wir überhaupt auf der Welt waren. Die Kette der Erinnerungen reicht teils über Urgroßeltern und Ururgroßeltern bis zurück zu Vorfahren, die wir nicht mehr kennen. Zu Leuten, die vor hundert, zweihundert, dreihundert oder tausend Jahren lebten. So haben uns viele Dinge aus der Vergangenheit mit geformt. Sie sind Teil unserer Geschichte.

Für manche Menschen sind ihre frühesten Erinnerungen allerdings mit schlimmen Ereignissen verbunden. Sie denken vielleicht an Schreie, Explosionen, Splitter, Blut, Tote und Verletzte, die vor ihnen auf der Straße liegen. Sie erinnern sich an einen Bombenangriff auf die Stadt, in der sie im Alter von vier Jahren lebten. Oder an die lebensgefährliche Flucht auf einem kleinen Boot über das Meer aus ihrer Heimat, in der Hunger, Armut oder Bürgerkrieg herrschten. Für diese Menschen sind ihre persönlichen Erinnerungen mit solchen verbunden, die historische Bedeutung haben. Das heißt, die erinnerten Ereignisse betreffen gleichzeitig auf dieselbe oder ähnliche Weise zahlreiche Menschen. Sie haben viele Menschen in Gefahr gebracht oder ihr Leben verändert. Das sind historische Ereignisse. Das ist die Geschichte.

Manche historischen Ereignisse liegen nur ein paar Monate, Wochen oder sogar Stunden zurück. Mit den meisten haben wir nicht direkt zu tun, weil sie beispielsweise an einem anderen Ort stattfinden. Es gibt natürlich auch solche, die so dramatisch sind, dass wir uns ihnen trotz räumlicher Entfernung nicht ganz entziehen können. Dazu zählen Terroranschläge, Bürgerkriege und Flüchtlingskrisen. Diese Ereignisse konnten oder können wir über die Fernsehnachrichten, Zeitungen oder das Internet verfolgen. Ihretwegen haben wir vielleicht mehr Angst als früher, müssen am Flughafen länger vor der Sicherheitskontrolle warten. Wir sind traurig, weil anderen so etwas Schlimmes passiert, und würden gern helfen. Manche der Ereignisse haben vor Kurzem stattgefunden oder dauern noch an. Andere liegen Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende zurück. Über sie berichten uns unsere Eltern oder Großeltern – oder Geschichtsbücher.

Wenn wir an Geschichte denken, fallen uns oft Kriege ein, etwa der Zweite Weltkrieg. In ihm starben Millionen von Menschen, litten furchtbar, verloren ihre Familie oder ihr Zuhause. Sie mussten ihr Leben ganz neu ordnen. Manche von uns würden heute vielleicht woanders leben, wenn der Zweite Weltkrieg nicht stattgefunden hätte. Warum? Weil die Großeltern oder Eltern damals wegen des Krieges aus ihrer Heimat fliehen mussten und an einen anderen Ort zogen. Doch selbst historische Ereignisse, die schon Jahrhunderte her sind, spielen eine Rolle in unserem Leben. Seit den Zeiten der Französischen Revolution von 1789 hat sich beispielsweise nach und nach eine wichtige Erkenntnis durchgesetzt: nämlich dass alle Menschen gleich viel wert sind und die gleichen Rechte haben, und zwar unabhängig davon, ob sie arm oder reich sind, Bettler oder Milliardäre, Bauern oder Barone. In den Jahrhunderten davor war das anders. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung war sehr arm und ohne Macht. Die meisten Menschen mussten ihr Leben lang Befehle von Fürsten, Bischöfen und Königen befolgen. Sie lebten in Angst vor ungerechten Strafen. Das hat sich erst vor etwas über 200 Jahren geändert, und die Rechte, die wir heute genießen, haben damals viele mutige Menschen gemeinsam hart erkämpft.

Es gibt sogar noch viel ältere Entwicklungen, die sich bis heute auswirken. So hörten die Menschen vor rund 12000 Jahren nach und nach auf, ständig durch die Gegend zu ziehen und in Höhlen oder Zelten zu übernachten, also Jäger und Sammler zu sein; stattdessen begannen sie, sich an einem Ort niederzulassen und Häuser zu bauen. Als die Menschen damals sesshaft wurden, steckten sie den Rahmen für unseren aktuellen Lebensstil ab.

Unser Leben und Verhalten und das von Milliarden von Menschen wird durch Ereignisse aus der Vergangenheit mitbestimmt. Manche Ereignisse sind nur Teil unserer jeweils persönlichen Lebensgeschichte. Andere sind von historischer Bedeutung und prägen uns alle auf die eine oder andere Art und Weise. Von diesen Ereignissen werde ich in den folgenden Kapiteln berichten. Dabei werde ich gelegentlich die Geschehnisse von historischer Bedeutung mit den persönlichen Erfahrungen verschiedener Menschen verbinden.

Zur Geschichte zählen nicht nur Ereignisse wie Revolutionen und Kriege. Im Lauf der Jahrtausende wurden auch philosophische Ideen entwickelt, Religionen gegründet und Kunstwerke geschaffen, die den Alltag der Menschen bis heute durchdringen. Außerdem wurden wichtige Erfindungen gemacht. Etwa die des Faustkeils, des Lagerfeuers, der Schrift, der Pyramide, der Schminke, des Sports, der Ritterlichkeit, der Eisenbahn, der Vollnarkose, der Glühbirne, der Mode, der Popmusik und des Internets. Die meisten dieser Dinge haben bis heute Einfluss darauf, wie wir leben und denken und was wir schön finden. Sie wirken sich sogar darauf aus, welche Wünsche, Träume und Vorstellungen vom Glück wir haben.

Deshalb ist es hilfreich und spannend, mehr darüber zu erfahren, wie es zu alldem gekommen ist. Bei vielen Erfindungen und Entwicklungen von historischer Bedeutung weiß man nicht mehr so genau, wer dafür verantwortlich ist. Meist waren mehrere Menschen beteiligt. Das sind sehr oft Leute, die heute keiner oder kaum jemand mehr kennt. Manchmal haben allerdings auch einzelne Personen Berühmtheit erlangt. Das können Erfinder sein, Feldherren oder Staatsoberhäupter, Präsidenten, Könige und Kaiser wie Julius Caesar, Kleopatra, Napoleon oder Barack Obama. Es können Revolutionäre sein, Freiheitskämpfer, Entdecker, Forscher, Wissenschaftler, Philosophen, Schriftsteller, Künstler oder Filmstars.

Während ich dieses Buch schrieb, fragte ich ein paar junge Leute, die ich kenne, welche historische Persönlichkeit sie besonders interessant finden und warum. Unter den Befragten waren mein dreizehnjähriges Patenkind Malina und mein zehnjähriger Neffe Jakob. Als historische Persönlichkeiten nannten die Kinder und Jugendlichen sehr unterschiedliche Leute: den mächtigen Eroberer König Alexander den Großen, den vielseitigen Künstler und Erfinder Leonardo da Vinci, die diät- und fitnesssüchtige Kaiserin Sisi. Aus der jüngeren Geschichte war es eines der schlimmsten Staatsoberhäupter der Weltgeschichte, Adolf Hitler. Aber auch der indische Freiheitskämpfer und Friedensaktivist Mahatma Gandhi fiel ihnen ein. Auf diese und andere einflussreiche Personen und die sehr unterschiedlichen Gründe, sich für sie zu interessieren, werde ich eingehen.

Auf den folgenden Seiten tauchen prominente Persönlichkeiten auf, aber auch Menschen wie du und ich. Wir werden sogar etwas über die Generation unserer Eltern oder Großeltern hören: darüber, warum sie in den Sechzigerjahren mit Popmusik, gewagter Mode und langen Haaren gegen die Art, wie ihre Eltern lebten, rebellierten und was sie dabei auch für unser heutiges Leben taten. Wir werden einen Einblick in den Alltag von Kindern bekommen, die vor 200 oder 1000 Jahren merkwürdige und oft gefährliche Berufe hatten, wie wir sie uns kaum noch vorstellen können.

Aus der Geschichte können wir einiges darüber lernen, wie sich Menschen in verschiedenen, teils extremen Situationen verhalten. Wer über die Geschichte Bescheid weiß, lässt sich nicht mehr so leicht mit alten Tricks überlisten. Man durchschaut sie schneller – und lernt selbst neue dazu. Wenn wir die Vergangenheit kennen, verstehen wir die Gegenwart besser. Auch deshalb lohnt es sich, etwas über frühere Zeiten zu erfahren. Sind wir mit der Vergangenheit vertraut, können wir auch die Zukunft besser gestalten. Denn die Geschichte passiert ja nicht einfach nur so. Wir alle können daran mitwirken. Sei es, wenn wir uns an unserer Schule gegen Rassismus einsetzen oder wenn wir, sobald wir volljährig sind, wählen gehen. Wir können für oder gegen etwas demonstrieren, unsere Erfahrungen mit anderen teilen und über etwas diskutieren.

In den Kapiteln dieses Buches erzähle ich die Weltgeschichte von der Entstehung unseres Planeten vor rund 4,6 Milliarden Jahren bis ins 21. Jahrhundert. Auf dieser Zeitreise kommen wir durch das Altertum, das Mittelalter und die Neuzeit, die bis in die Gegenwart reicht. Manches, was mir besonders wichtig erscheint, schildere ich etwas eingehender. Einiges muss ich zusammenfassen. Aber so hoffe ich, auch größere Zusammenhänge verständlich machen zu können.

KAPITEL EINS

Es war einmal … eine Zelle

Von der Entstehung der Erde über den Tyrannosaurus Rex zum Menschen: die ersten 4,6 Milliarden Jahre Weltgeschichte im Zeitraffer.

Welches ist das erfolgreichste Lebewesen auf dem Planeten Erde? Das lässt sich natürlich kaum sagen. Was heißt schon erfolgreich? Es kommt darauf an, was man wichtig findet. Eine der Tierarten, die bisher am längsten überlebt hat, ist jedenfalls das Nashorn. Das Nashorn ist seit rund fünfzig Millionen Jahren auf unserem Planeten zu Hause. Zum Vergleich: Den Homo sapiens, das heißt den Menschen in seiner heutigen Art und Gestalt, gibt es erst seit etwa 200000 Jahren. Das Nashorn hat also fast fünfzig Millionen Jahre länger auf der Erde zugebracht als der Mensch.

Wie lässt sich der Erfolg eines Lebewesens messen, abgesehen von der Frage, wie langlebig es ist? Vielleicht daran, wie glücklich es ist? Oder wie glücklich es andere macht? Es ist schwer zu ermitteln, wie viel Freude Nashörner einander in den Savannen Afrikas und Asiens bereiten. Man weiß nicht, wie glücklich die wuchtigen Dickhäuter im Vergleich zu Menschen sind. Ein paar Dinge kann man jedoch mit Sicherheit sagen: Nashörner sehen mit ihrer Panzerung und ihren Hörnern zwar etwas kriegerisch aus, sie sind jedoch eher zurückhaltend und scheu. Sie streiten deutlich weniger miteinander, als Menschen dies tun. Nashörner gehen sorgsamer mit ihrer Umwelt um. Sie tun keiner Fliege was zuleide. Sie ernähren sich nämlich rein vegetarisch.

Die Bilanz des Nashorns ist beeindruckend. Dabei hält es nicht einmal den Weltrekord in Langlebigkeit. Was ist also das älteste Tier? Bereits vor rund 400 Millionen Jahren gab es Fische, und darunter Arten, die an Haie erinnern. Aber sie sahen recht anders aus als heutige Haie; sie hatten beispielsweise eine andere Haut. So ist das Tier, das als Art seit seinem ersten Auftreten bis heute am längsten von allen überlebt und sich dabei am wenigsten verändert hat, wohl jenes mit dem schönen Namen Feenkrebs. Diese niedlichen Tierchen mit ihrem extrem filigranen länglichen Körper und dem geschwungenen Schwänzlein sind meist nur etwa anderthalb bis drei Zentimeter groß. Sie leben in kleinen Gewässern wie Tümpeln. Die Art der Feenkrebse, auch Urzeitkrebse genannt, gibt es schon seit ungefähr 220 Millionen Jahren. Sie kam ungefähr zur gleichen Zeit auf wie jene der Dinosaurier.

Die Dinosaurier waren natürlich ungleich stärker als die Feenkrebse. Sie starben allerdings viel früher aus. Die letzten Dinosaurier verschwanden vor rund sechzig Millionen Jahren. Das heißt aber, dass sich die Art davor doch immerhin 160 Millionen Jahre lang hielt. In dieser Zeit waren die Dinosaurier die mächtigsten Tiere auf der Erde. Daher hat der berühmt-berüchtigte Tyrannosaurus Rex seinen Namen; der Name besteht aus den lateinischen Wörtern für »Tyrann«, also Gewaltherrscher, und für »König«. Dem Tyrannosaurus Rex und anderen großen Dinosauriern konnte kein anderes Lebewesen etwas anhaben. Manche der Riesen wurden über zehn Meter groß und zwanzig Meter lang. Dass sie dann doch ausstarben, ist nicht ihre Schuld. Wahrscheinlich schlug damals, vor sechzig Millionen Jahren, ein Meteorit auf der Erde ein, also einer der gigantischen Steinbrocken, die im Universum herumfliegen. Er löste Druckwellen und Flächenbrände aus. Vielleicht kam es zu Vulkanausbrüchen. Das Ganze richtete Verwüstungen an. Das Klima veränderte sich; bald herrschten Dürren. Die Nahrung für die Dinos mit ihren Riesenmägen wurde knapp. Schließlich starben die Dinosaurier aus. Nur kleinere Tiere überlebten, Tiere wie die Feenkrebse.

Die Feenkrebse waren bescheiden und geschickt genug, um diese harten Zeiten zu überbrücken. Ihr Erfolg beruht auch darauf, dass sie sich von Algen und Bakterien ernähren. Denn die findet man fast überall. Und damit sind wir bei einem weiteren Anwärter auf den Preis dafür, das erfolgreichste Lebewesen der Welt zu sein: bei der Bakterie. Genauer gesagt bei der Cyanobakterie. Diese Bakterienart ist wirklich das älteste Lebewesen der Welt. Cyanobakterien gibt es seit rund 3,5 Milliarden Jahren. Die Bakterien bestehen aus ähnlichen Zellen wie wir Menschen: Zellen aus Aminosäuren und Proteinen, also Eiweiß. Sie haben allerdings viel weniger Zellen, manchmal sogar nur eine. Die Bakterien treten in Gruppen auf. Sie sind heute in Form eines grünlichen Films bekannt, der sich in Gewässern ansammelt oder an den Wänden von Aquarien. Manchmal sind es bläulich gefärbte Ablagerungen auf Steinen. Deshalb wurden die Cyanobakterien früher Blaualgen genannt.

Cyanobakterien sind sehr zäh. Sie leben im arktischen Eis und in heißen Quellen. Sie sind auch deshalb die ältesten Erdbewohner, weil sie unter den härtesten Bedingungen klarkommen. Sogar ohne Sauerstoff. Die Bakterien waren schon auf der Welt, als die Sauerstoffkonzentration in der Erdatmosphäre noch nicht für Tiere und Menschen ausgereicht hätte. Denn über lange Zeit war die Erde von einer Mischung aus anderen Gasen umgeben, etwa Wasserstoff, Helium und Stickstoff. Ganz genau wissen wir das alles nicht. Es war ja keiner da, der es beobachten und aufschreiben hätte können. All die Informationen über die früheste Erdgeschichte beruhen auf Überlegungen und Theorien. Solche Theorien stellen Wissenschaftler auf, Geologen, Chemiker, Physiker und Astronomen. Dabei stützen sie sich zwar auf Messungen, Experimente und Berechnungen, aber auch auf Vermutungen.

Auch wie die Erde selbst entstanden ist, mussten sich die Spezialisten mithilfe von Theorien zusammenreimen. Soweit wir heute wissen, war das vor rund 4,6 Milliarden Jahren. Also gar nicht so lange nach unserer Sonne und unter deren Einfluss. Die Sonne hat sich aus Gaswolken und Staubpartikeln zusammengemischt. Solche Teile flogen nach dem Urknall, einer gigantischen Explosion, die im All vor ungefähr 13,8 Milliarden Jahren stattfand, durch das Universum. Bei der Geburt der Sonne reagierten verschiedene Stoffe und Elemente so miteinander, dass es zu vielen kleineren Explosionen kam. Diese Kernreaktionen, die Spaltung von Atomen, setzten wiederum mehr Energie und Hitze frei. Kernreaktionen machen bis heute die ungeheure Leuchtkraft des gelben Gasballs Sonne aus.

Die Erde formte sich im Prinzip auf ähnliche Weise wie die Sonne, aber mit einem völlig anderen Ergebnis. Auch bei der Erde fanden Gaswolken und Staubteilchen, die durch das Universum flogen, zusammen. Doch es kam nicht zu Explosionen und Kernreaktionen. Vielmehr bewegten sich die Teilchen im Kreis. Sie verklumpten sich zu Brocken. Weitere Brocken wurden durch die Schwerkraft angezogen und knallten auf die entstehende Erde. Da extreme Hitze herrschte, schmolzen die Metallelemente in den Brocken zusammen. Anfangs war die Erde siedend heiß; dann kühlte sie langsam ab. Erst mit der Zeit nahm sie die Form an, die sie heute hat, also die einer etwas gedellten Kugel.

Auf der neu geborenen Erde waren die Temperaturen in den ersten Milliarden Jahren sehr unterschiedlich. Mal war es heiß, dann kalt. Mal war es schrecklich trocken, dann regnete es auch mal jahrtausendelang durch. Dabei entstanden Ozeane. Erst nach einer Milliarde Jahren konnten sich die Cyanobakterien als erste Lebewesen entwickeln. Und erst ein paar Milliarden Jahre später entstanden andere Formen des Lebens.

Von der Flosse zum Bein – Geschichte in Zeitlupe: die Evolution

Die Geschichte der Erde von ihrer Entstehung bis zur Geburt des Menschen ist unvorstellbar lang. Die Phase ist durch wichtige Stationen gekennzeichnet, die man sich wie in einem Zeitraffer vor Augen führen kann. Die Etappen sind folgende: Entstehung des Planeten Erde vor rund 4,6 Milliarden Jahren; erstes Leben in Form von Mikroorganismen, den Cyanobakterien, vor 3,5 Milliarden Jahren; erste Pflanzen vor 700 Millionen Jahren; erste Tiere, und zwar wirbellose Wasserwesen, vor 500 Millionen Jahren; Fische vor 400 Millionen Jahren; Dinosaurier und Feenkrebse vor 220 Millionen Jahren; Vögel vor hundert Millionen Jahren; sogenannte Primaten, zunächst in Gestalt von Affen, vor neunzig bis 55 Millionen Jahren; Urmenschen vor fünf Millionen Jahren; aufrecht gehende Menschen vor zwei Millionen Jahren; Homo sapiens, der heutige Mensch, vor rund 200000 Jahren.

Der Mensch steht also am Ende einer ungeheuer langen Entwicklung anderer Lebewesen und Tiere. Er hat bisher nur einen winzigen Teil der Erdgeschichte miterlebt. Wenn wir uns die bisherige Geschichte des Planeten als einen Tag vorstellen würden, wäre der Mensch in seiner heutigen Gestalt erst ein paar Minuten alt.

Die Lebewesen, die die Erde bewohnen, haben sehr lange gebraucht, um zu dem zu werden, was sie heute sind. Den Vorgang nennt man Evolution. Sie ist fast so etwas wie eine Geschichte in Zeitlupe. Das Wort Evolution kommt vom lateinischen evolvere; es bedeutet so viel wie Entwicklung. Mit der Evolution sind Prozesse gemeint, die sich über viele Generationen hinziehen. Teilweise dauerten sie Tausende oder sogar Millionen von Jahren. Die Evolution ist weder geplant noch gesteuert. Sie beruht im Wesentlichen auf zwei Dingen: der Mutation und der natürlichen Selektion. Die Mutation ist eine zufällige Veränderung von Erbinformationen. Es geht also um Gene, die sich in Molekülen befinden und die sich auf Gestalt, Größe und Verhaltensweise von Lebewesen auswirken. Es ist, als ob die Natur würfelt und dann schaut, was herauskommt. So können Tiere über Jahrtausende und Jahrmillionen ihre Gestalt verändern. Sie können größer werden, Lungen statt Kiemen entwickeln und Beine statt Flossen.

Natürliche Selektion bedeutet natürliche Auswahl. Sie entscheidet mit darüber, ob sich die erwähnten spontanen Veränderungen, die Mutationen, langfristig durchsetzen können. Als einfaches Beispiel für die Evolution kann eine Mottenart dienen, deren Mitglieder jeweils unterschiedliche Muster auf ihren Flügeln haben. Manche Exemplare der Mottenart haben vielleicht auffällige helle Muster auf den ansonsten graugrünen Flügeln; andere sind fast ohne Muster. Die Falter mit den weniger auffälligen Musterungen werden in einer bestimmten Umgebung von ihren Fressfeinden, etwa Vögeln, weniger gut erkannt; denn ihre graugrünen Flügel ähneln stark dem Laub der Bäume, auf dem sie sitzen. Sie sind eine gute Tarnung. So werden diese Motten weniger oft von Vögeln gefressen als die auffällig gemusterten. Von den wenig gemusterten Motten überleben mehr, und so können sich auch mehr davon fortpflanzen. Deshalb bleiben nach einigen Generationen zumindest in dieser Umgebung nur unauffällig gemusterte Motten übrig. Die auffälligen können schließlich sogar aussterben.

In diesem Fall besteht die Evolution darin, dass sich die weniger gemusterten, also besser getarnten Exemplare der Mottenart bei der natürlichen Selektion durchgesetzt haben. Das Ganze geschieht allerdings, ohne dass die einzelnen Tiere die Evolution bemerkt hätten, geschweige denn durch eigene Leistung oder Anstrengung etwas dazu beigetragen hätten. Bei den unterschiedlich gemusterten Motten geht es nur um eine sehr kleine evolutionäre Veränderung. Wenn wir uns dieses Beispiel anschauen, können wir uns vorstellen, wie unglaublich viel Zeit für größere Veränderungen nötig war. Etwa für die Entwicklung von Flossen zu Armen, die Entwicklung vom Fisch zum Urmenschen: Sie dauerte ungefähr 400 Millionen Jahre.

Es hat dann noch einmal sehr lange gebraucht, bis der Urmensch zum heutigen Menschen wurde. Die Primaten, zu denen Affen und der später geborene Mensch gehören, gab es schon vor zig Millionen Jahren. Der Urmensch kam aber erst vor fünf Millionen Jahren auf. Der frühe Urmensch hatte einen kleinen Kopf, einen hervorstehenden Unterkiefer und ein sehr starkes Gebiss. Er lief auf allen vieren. Wie kam es dazu, dass sich vor rund zwei Millionen Jahren immer mehr Menschen auf die Hinterbeine stellten, um aufrecht zu laufen, und schließlich sogar alle?

Dazu gibt es einige Theorien. Forscher meinen, in manchen Gegenden hätten diejenigen Urmenschen, die aufrecht liefen, evolutionäre Vorteile gehabt. Sie streckten den Kopf über die hohen Gräser in der Savanne und verschafften sich einen Überblick. So konnten die aufrecht stehenden Urmenschen ihre Feinde oder Jagdbeute, Raubkatzen oder Antilopen, womöglich leichter erkennen als diejenigen Urmenschen, die auf allen vieren gingen. Sie wurden wohl weniger oft zur Beute. Außerdem hatte der Urmensch, wenn er aufrecht lief, die Hände frei, um Werkzeuge und Waffen zu tragen. Mit den Waffen konnte er sich gegen Wildkatzen wehren.

Damit sind wir bei einem weiteren wesentlichen Schritt, der in der Evolution zum heutigen Menschen führte. Er bestand darin, dass der Urmensch nach und nach die Größe seines Gehirns verdoppelte. Damit wurde er schlau genug, um immer mehr Waffen und Werkzeuge zu verwenden. Die Entwicklung führte schließlich um 200000 v. Chr. zum bereits erwähnten Homo sapiens; der Name ist lateinisch und bedeutet »weiser, kluger Mensch«. Er hatte einfach mehr im Kopf als frühere und andere Menschen. Während sich der Homo sapiens weiter ausbreitete, starben seine Verwandten aus, darunter ungefähr um 30000 v. Chr. der Neandertaler.

Die frühen Menschen lebten in relativ kleinen Gruppen zusammen. Sie übernachteten in Höhlen oder bauten sich zeltartige Konstruktionen aus Ästen oder Mammutknochen, über die sie Felle legten. Sie machten Werkzeuge und Waffen aus Stein, also Speerspitzen, Faustkeile und Messer. Sie waren Jäger und Sammler. Das heißt, sie pflügten keinen Acker, bauten nichts an, kein Gemüse, kein Getreide; und sie hielten kein Vieh. Sie lebten vielmehr von Antilopen, Hirschen und Hasen, die sie erlegten, und von wild wachsendem Obst und von Beeren, die sie von Sträuchern und Bäumen pflückten. Viele zogen umher, je nachdem wie das Wetter oder der Wildbestand waren. Schon deshalb hatten sie kaum Besitz bei sich, sondern nur das Nötigste, das sie zum Überleben brauchten: ein paar Felle gegen die Kälte und einige Speere und Steinwerkzeuge.

Im Winter froren die Jäger und Sammler oft. Umso wichtiger war der Schritt, als die Urmenschen lernten, Feuer zu machen. Dank der Erfindung des Lagerfeuers war ihnen weniger kalt, und sie blieben abends wohl länger wach. Sie saßen noch zusammen, statt sich nach Einbruch der Dunkelheit sofort unter ihr Fell zu kuscheln und bald einzuschlafen. Wir können uns vorstellen, wie der Homo sapiens in die Flammen blickte, vor sich hin sinnierte und irgendwann Lust auf Ablenkung bekam.

So spielte der Mensch mit Erde oder Holzkohle herum und merkte, dass er, wenn er sie zerrieb, farbige Krümel oder Pulver an den Fingern kleben hatte. Vielleicht versuchte er, das Ganze mit Spucke wieder wegzukriegen. Dabei wurde ihm wohl klar, dass er aus den Pigmenten, indem er sie mit Speichel, Wasser oder Fetten vermischte, Farben herstellen konnte. Mit ihnen schuf er Fels- und Höhlenmalereien. Es sind oft Bilder von der Jagd auf Rehe und Mammuts, manchmal auch auf Fantasiewesen. Das war vor ungefähr 40000 Jahren, und es war die Geburtsstunde der Kunst. Vielleicht dienten die Bilder den Menschen anfangs vor allem dazu, göttliche Wesen anzubeten. Womöglich waren sie Teil eines magischen Zaubers: Die frühen Maler dachten, sie könnten Wild, das sie demnächst erlegen wollten, vorher schon mal magisch auf dem Bild bannen. Oder sie wollten einfach nur zeigen, was sie Aufregendes auf der Jagd erlebt hatten, und sich für die Nachwelt verewigen.

Manche Jäger und Sammler stellten auch Schmuck her, andere Musikinstrumente. Die ersten Instrumente waren Flöten aus Knochen und das sogenannte Schwirrholz. Das ist ein meist ovales flaches Holzstück, das die Urmusiker an einer Schnur befestigten und durch die Luft kreisen ließen. Je nachdem wie schnell es schwirrte, machte es unterschiedlich hohe Geräusche. So konnten sich die Homo sapiens, das Schwirrholz schwingend, im Kreis drehen, tanzen und sich an dem Klang erfreuen, bis ihnen schwindelig wurde.

Wenn das Holz sang, war oft Party angesagt. Über ernste Themen verständigten sich die Menschen anfangs eher durch Brummen und Fauchen. Doch im Lauf der Zeit lernten sie, sich etwas genauer auszudrücken, ja zu sprechen. Das war ein immens wichtiger Schritt. Da der Mensch mithilfe seiner Sprache viele Informationen austauschte, konnte er schnell lernen. Er hatte durch die hoch entwickelte Sprache die Möglichkeit, Dinge zu analysieren, entsprechend auf Probleme zu reagieren und sein zukünftiges Verhalten zu planen. So konnte er sich und sein Verhalten schneller verändern, als Tiere dies im Lauf der Evolution tun.

Die erste Weltrevolution: als der Mensch sesshaft wurde

Eine der größten Veränderungen bestand darin, dass die Menschen aufhörten, als Jäger und Sammler umherzuziehen. Sie wurden sesshaft und begannen, Häuser zu bauen. Das geschah um 10000 v. Chr., und es war ein sehr großer Schritt in der Menschheitsgeschichte. Wie kam es dazu? Irgendwann merkten die Menschen wohl, dass Getreide wächst, wenn seine Samen auf die Erde fallen. Sie legten Gärten und Felder an und zimmerten Hütten. Außerdem sammelten und lagerten sie Vorräte für den Winter oder für schwere Zeiten.

Die sesshafte Lebensweise des Menschen wirkte sich auch auf die Tiere aus. Die neuen Hausbesitzer hielten Wölfe, fütterten sie und machten sie nach und nach zu Wachhunden. Sie züchteten Hausschweine, die dicker waren und mehr Fleisch lieferten als Wildschweine. Ziegen und Kühe produzierten verlässlich Milch. Nun, da es Hütten gab, hatten die Menschen die geeigneten Räume, um in einem langwierigen Prozess aus Milch Käse zu machen. Sie ließen Getreide zu Bier vergären, Honig zu Met und Trauben zu Wein. Jetzt konnte sich der Mensch erstmals in seiner Geschichte so richtig betrinken.

Nicht nur die Nahrungs- und Rauschmittel wurden immer aufwendiger hergestellt, sondern auch Geräte und Werkzeuge. Der Mensch entdeckte das Metall. Vielleicht war es ein Zufall. Womöglich machte jemand Feuer in der Nähe eines kupferhaltigen Felsens, und durch die Hitze schmolz das rötliche Kupfer; es floss aus dem Stein heraus und blieb dann, wenn es erkaltet war, als merkwürdige Form liegen wie das Blei, das wir an Silvester gießen. Jedenfalls wurde bald klar, dass das Metall, wenn man es ins Feuer hielt, weich wurde und sich Schmuck und Geräte daraus formen ließen.

Das Kupfer hatte allerdings einen Nachteil. Es blieb, auch nachdem es erkaltet war, zu weich für Waffen und Werkzeuge. Kupferschwerter erwiesen sich als nutzlos, denn gleich nach dem ersten Hieb waren sie … verbogen. So fingen ein paar findige Schmiede an zu experimentieren. Irgendwann fügte einer Zinn zum Kupfer hinzu und merkte, dass die Mischung härter war. Das war die Bronze, die ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. Verwendung fand. Aus ihr ließen sich Messer und Schwerter herstellen. Davor hatten die Menschen ihre Waffen und Werkzeuge über zwei Millionen Jahre lang aus Holz und aus Stein gemacht. Deshalb heißt die Epoche Steinzeit. Mit der neuen Mischung der Metalle begann im 3. Jahrtausend v. Chr. die Epoche der Bronzezeit.

Da der sesshafte Mensch technische Erfindungen machte und Vorräte anlegte, war er im Winter, wenn die Büsche keine Beeren tragen, weniger von Nahrungsmittelknappheit bedroht. Größere Siedlungen und Gemeinschaften entstanden. In die Hütten passte einiges an Eigentum, das die Leute nicht mehr wie früher mühsam mit sich herumschleppen mussten: Werkzeuge, Geschirr, Schmuck, verschiedene Kleidung, Spielsachen, Tische, Stühle und Schränke. So richtete sich der Homo sapiens seine Heime gemütlich ein. Die Erfindung der Inneneinrichtung war ein großer Schritt in der Geschichte der Menschheit. In den Jahrtausenden davor hatten Jäger und Sammler in unmöblierten Zelten oder kargen Höhlen auf dem Boden, auf unbequemen Felsbrocken oder Baumstämmen gesessen.

Die Leute in den Siedlungen spezialisierten sich. Einer konnte gut Tiere züchten, der Nächste ein Dach mit Strohbündeln decken. Wieder ein anderer stellte das Werkzeug her, das Handwerker brauchten. So entwickelte sich der Handel.

Es kam allerdings auch zu neuartigen Konflikten. Da immer mehr Leute auf engerem Raum zusammenlebten, stritten sie sich darum, wem welches Stück Land gehörte, wo der Nachbar sein Vieh weiden lassen durfte, wie hoch sein Zaun sein sollte und ob sein Hund nachts nicht zu laut bellte. Umso wichtiger wurde es, die Gemeinschaften gut zu organisieren, zu verwalten und irgendwie zusammenzuhalten. Hilfreich waren Gesetze, die Eigentumsverhältnisse regelten, aber auch ein gemeinsamer Glaube: Wenn mehrere Menschen den gleichen Gott in Gestalt einer Statue anbeteten und gemeinsame Begräbnisrituale hatten, fühlten sie sich zusammengehörig. Und zwar selbst dann, wenn sie einander gar nicht persönlich kannten.

All das wurde ab ungefähr 3000 v. Chr. im großen Stil eingeführt. Eine besonders wichtige Neuerung bestand darin, dass der Mensch lesen und schreiben lernte. Mithilfe der neu erfundenen Schrift konnte er sich besser organisieren, Gesetze festhalten und Wissen austauschen, etwa über Tierzüchtung, Anbaumethoden und Glaubensfragen. Nun wurden auch die ersten Geschichten darüber aufgeschrieben, was alles genau passierte und was die Menschen bewegte. All das geschah besonders früh auf einem Gebiet, das wir inzwischen den Nahen Osten nennen. Es erstreckt sich über Länder wie das heutige Syrien, Israel, den Irak und Ägypten. Um die innovativen Entwicklungen, die dort stattfanden, geht es in den nächsten Kapiteln.

KAPITEL ZWEI

Pyramiden und Parfüm

Wie die alten Ägypter vor 5000 Jahren die Großbaustelle und das Luxusleben erfunden haben.

Im 3. Jahrtausend v. Chr. machte ein Insekt aus der Familie der Mistkäfer in Ägypten eine erstaunliche Verwandlung durch. Der Käfer hat die Angewohnheit, eine Kugel aus dem Kot anderer Tiere zu formen. Er rollt die Dungkugel tags über den Boden und nimmt sie abends mit in ein Erdloch. Der Käfer ernährt sich von dem gerollten Kot, legt aber auch seine Eier hinein. Aus der Kugel schlüpfen dann irgendwann kleine Käfer und krabbeln an die Erdoberfläche.

Dieser Vorgang fiel irgendwann ein paar Ägyptern auf, die gerade auf dem Feld arbeiteten. Sie sahen die kleinen Käfer reihenweise aus der Erde schlüpfen und staunten. Sie konnten es sich nicht erklären, wie die vielen Tierchen, die da plötzlich aus der Erde kamen, zuvor hineingelangt waren. Irgendwann kam jemandem eine Idee: Im Käfer und seiner Kugel musste eine spezielle göttliche Kraft wirksam sein. Aber welche? Vielleicht konnte ja, so dachte man, das Verhalten des Käfers etwas darüber verraten.

Und tatsächlich: Nach einer Weile bemerkte jemand, dass der Käfer seine Kugel auf ähnliche Weise durch die Gegend schob, wie der Sonnengott dies laut uralten Überlieferungen mit seiner Sonnenscheibe tat. Er rollte die Scheibe von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf ihrer Himmelsbahn dahin. Die Gemeinsamkeiten zwischen Gott und Käfer reichten noch weiter. Wenn der Käfer mit seiner Dungkugel abends im Boden verschwand, glich dies dem Verhalten des Gottes: Auch er schien am Ende des Tages mit der Sonnenscheibe am fernen Horizont in die Erde abzutauchen. Am nächsten Morgen wurde die Sonne auf ebenso wundersame Weise neu aus der Erde geboren wie die kleinen Käfer. Manchmal trafen die Sonnenstrahlen auf den glatten Panzer der Käfer und wurden reflektiert. Dann funkelten die kleinen Tierchen sogar selbst ein bisschen wie die Morgensonne.

Aus diesem Schauspiel schlossen die alten Ägypter, dass der Käfer eine Erscheinung des Gottes Chepre sei. Chepre wurde als Gott der Morgensonne, der Schöpfung und der Erneuerung verehrt. Von nun an galt ausgerechnet der kleine Mistkäfer als Verkörperung des großen Sonnengotts. Um ihm zu huldigen, wurden Amulette aus Gold und bunten Steinen angefertigt, die die Form eines Käfers hatten. Diesen Schmuck konnte man als Glücksbringer um den Hals tragen. Er wurde nach dem Insekt benannt: Skarabäus.

So konnte der göttliche Käfer seine magischen Fähigkeiten entfalten. Wenn er das konnte, dann sollte das, dachten die Ägypter, den Menschen doch auch möglich sein. Künstler überlegten, wie das aussehen könnte. Sie begannen, den Sonnengott Chepre auf Wandmalereien ähnlich wie einen Menschen darzustellen. Dann hatte Chepre auf den Bildern den Körper eines Menschen, aber sein Kopf war wie ein Käfer geformt.

Im alten Ägypten waren viele Götter fantastische Mischwesen aus Mensch und Tier. Jeder konnte aus zahlreichen Göttern, die verschiedene Eigenschaften und Stärken hatten, einen Lieblingsgott auswählen. Die Wahl hing davon ab, welche Vorlieben die Menschen hatten oder in welcher Situation sie sich gerade befanden. Schwangere Frauen fühlten sich zu Taweret hingezogen. Taweret war die Schutzgöttin der Schwangeren. Sie wurde in Bildern und Statuen als Nilpferd mit dickem Bauch dargestellt. Taweret steht auf zwei Beinen wie ein Mensch. Vielleicht mussten die Ägypter damals wie wir heute schmunzeln, wenn sie die Göttin der Schwangeren als Nilpferd mit üppigen runden Formen präsentiert sahen. Womöglich waren sie aber ernst und voller Ehrfurcht. Jedenfalls gab das Bild des starken Tieres den Frauen Kraft und machte ihnen Mut.

Doch nicht nur das Nilpferd, auch der Nil selbst war göttlich. Der Fluss durchzieht ganz Ägypten der Länge nach von Süden nach Norden. Da die Wüste schon wenige Kilometer vom Nil entfernt begann, lebten fast alle Ägypter in der Nähe des Flusses. Ihm verdankten sie ihr Leben.

Ab etwa 5000 v. Chr. hatten sich immer mehr Menschen in den feuchteren fruchtbaren Gebieten am Nil angesiedelt. Dort hatten sich Gemeinschaften gebildet, erst Dörfer, dann Städte. Man baute Gerste, Linsen, Kichererbsen und Zwiebeln an, züchtete Rinder, Esel, Ziegen, Schafe und Schweine. Ein sehr wichtiges Ereignis war die jährliche Überschwemmung des Nils. Denn wenn die Fluten über die Ufer traten, verteilten sie mineralstoffreichen Schlamm auf den Feldern, der wie Dünger wirkte: War das Wasser versickert, gediehen die Pflanzen prächtig. Deshalb galt der Nil als Geschenk der Götter.

Im alten Ägypten fühlten sich die Menschen im Alltag eng mit der Götterwelt verbunden, die Teil der Natur war. Allerdings hatten die Ägypter mit ihrer Religion dasselbe Problem wie fast alle Völker: Irgendwie sehnte man sich danach, dass auch der Mensch ein bisschen göttlich sein sollte, nicht nur spezielle Tiere und Naturgewalten. Man wollte gerne einen menschlichenStellvertreter Gottes auf Erden haben. Bei den Christen sollte das Jahrtausende später Jesus werden, von dessen Wundertaten wir noch hören werden. Für die Ägypter waren schlicht ihre Könige göttlich. Entsprechend wurden sie verehrt.

Wie der Glaube Berge versetzen kann

Das Problem war, dass die Pharaonen irgendwann einmal starben. So überzeugten sie nicht ganz als göttliche Wesen; denn die sollen ja eigentlich ewig leben. Nicht einmal die berühmtesten Könige wie Pharao Narmer konnten als unzweifelhaft göttlich durchgehen. Narmer vereinte wohl um 3000 v. Chr. Unter- und Oberägypten, also den Norden und den Süden des Landes. Er schuf das ägyptische Großreich. Mit dem vereinten Ägypten beginnt offiziell die erste Dynastie der Pharaonen, das heißt die lange Reihe verschiedener Herrscherfamilien. Das alte Ägypten und seine Kultur sollten insgesamt rund 3000 Jahre Bestand haben, länger als die meisten anderen Kulturen und Reiche. Aber die Könige selbst wurden natürlich alt und gebrechlich und starben.

Was tun, um den Pharaonen trotzdem irgendwie das ewige Leben zu ermöglichen? Wenn sie schon starben, sollten sie sich wenigstens nach ihrem Tod aus dem Jenseits um ihr Land und ihre Leute kümmern können. Immerhin meinten die alten Ägypter, dass die Seele der Menschen nach ihrem Tod weiterlebt. Allerdings dachten sie auch, dass die Seele der Verstorbenen dafür weiterhin einen Körper brauche, um darin zu wohnen. Deshalb sollte der Körper des Toten irgendwie erhalten bleiben. Es galt, den Verwesungsprozess zu bremsen, der nach dem Tod eines Menschen einsetzt. Dazu wurden die Leichen der Pharaonen einer besonderen Behandlung unterzogen. Organe wie Herz und Leber, die schnell verfault wären, wurden entnommen und getrennt in Krügen aufbewahrt. Man ließ die Leichen trocknen und umwickelte sie mit Leinentüchern, die mit Harzen und pflanzlichen Extrakten getränkt waren. So entstanden die berühmten Mumien.

Ihre Herstellung, die sogenannte Mumifizierung, war eine Kunst. Anstelle der Augen setzten Spezialisten manchmal bemalte Steine ein. Dann hatten die Mumien in ihren Gräbern fast etwas von lebensgroßen Puppen. Jedenfalls blieben sie über Jahrtausende als Hülle für die Seelen erhalten. Die Ägypter wollten sichergehen, dass die Seelen im Jenseits ein bequemes Leben führten. Zu diesem Zweck legten sie den Toten die Dinge in die Grabkammern, die sie zu ihren Lebzeiten im Alltag gebraucht hatten: Ochsen und Gänse zum Essen, Brot, Bier, Knoblauch, Kleidungsstücke, Sandalen, Möbel, Medizin und sogar Abführmittel.

Eine solche Behandlung erhielten allerdings nicht nur die Pharaonen. Auch Priester und andere Ägypter kamen in den Genuss, sofern sie sich den Totenkult leisten konnten. Die Pharaonen sollten sich aber von anderen Verstorbenen als göttlich abheben. Die Leute wollten den toten König in der Nähe haben und zugleich klarmachen, dass er über alle Maßen mächtig war und seine Seele ewig weiterleben konnte. Um 2650 v. Chr. fand ein Pharao namens Djoser oder sein Architekt Imhotep die Lösung: die Pyramide. Es ist nicht ganz klar, welche Gründe für die Form entscheidend waren. Vielleicht dachte der Architekt oder der König über die Frage des ewigen Lebens nach. Dabei fiel sein Blick auf ein paar Berge in der Wüste. Er überlegte: Berge aus Stein bleiben unverrückbar für alle Zeiten erhalten. Sie könnten also das ewige Leben in sich bewahren. Daraus entstand womöglich die Idee, der Mensch könnte seine eigenen Berge bauen, in die man hineingehen kann, um mit der Ewigkeit zu verschmelzen. Pyramiden sind wie besonders schön und gleichmäßig geformte Berge. Jedenfalls ließ Djoser in Sakkara im Norden Ägyptens die erste Pyramide erbauen. Wenn man die toten Pharaonen tief im Inneren der Pyramide beisetzte, wurden sie Teil eines Berges. Dann würde ihre Seele, die auf die Bewahrung des mumifizierten Körpers im Grab angewiesen war, wohl überdauern.

Djosers Pyramide gilt als das erste Bauwerk der Welt, das ganz aus Stein ist. Auch die gleichmäßig dreieckigen Seitenflächen sind wichtig: Die Pyramiden stehen stabil auf dem Boden und zeigen mit ihrer Spitze nach oben in den Himmel, wo die Götter wohnen. Dorthin konnte ein Teil der Seelen über Schächte hinaufsteigen. Umgekehrt symbolisiert die Form der Pyramiden die Strahlen, die die ewige und übermächtige Sonne von oben nach unten sendet. Jedenfalls wurden in den Pyramiden die Könige beigesetzt, und in ihnen lebten sie, meinten die Ägypter, bis in alle Ewigkeit.

Die größte Pyramide ist die Cheops-Pyramide, auch Große Pyramide genannt. Sie steht auf der Hochebene von Gizeh, etwa zwanzig Kilometer südlich der heutigen ägyptischen Hauptstadt Kairo und in der Nähe der damaligen Hauptstadt Memphis. Die Cheops-Pyramide ist eine der drei Gizeh-Pyramiden und das Grabmal des Pharao Cheops. Sie ist rund 140 Meter hoch. Vier Jahrtausende lang blieb sie das höchste Bauwerk der Welt; erst im Mittelalter wurden Kathedralen errichtet, die höher waren. Aber immer noch nicht breiter. In der Breite misst jede Seite der Cheops-Pyramide 230 Meter, die Länge zweier Fußballfelder. Die über zwei Millionen verbauten Steine wiegen pro Stück meist um die zwei Tonnen, 2000 Kilogramm. Bei manchen Granitsteinen, zum Beispiel in der Decke der Grabkammer des Pharaos, sind es über zwanzig Tonnen. Einige der Steine sind also so schwer wie mehrere Elefanten.

Man weiß bis heute nicht genau, wie die alten Ägypter die Pyramiden hinbekommen haben. Das Baumaterial wurde in Steinbrüchen aus dem Felsen geschlagen. Diese lagen teils viele Kilometer von der Großbaustelle entfernt. Von dort mussten Arbeiter die Steine Meter für Meter in der brütenden Hitze zum Ufer des Nils schleifen, auf Schiffe verladen und zur Baustelle transportieren. Dann galt es, die Riesensteine zu Pyramiden aufzuschichten. Es ist klar, dass die Ägypter dazu Seilwinden, Rollen, Hebel und Rampen benutzt haben. Aber wie sie es genau gemacht haben, darüber rätseln Wissenschaftler bis heute. Eine Pyramide zu bauen dauerte im Durchschnitt zehn Jahre. Bei der Cheops-Pyramide zogen sich die Arbeiten sogar mehr als zwanzig Jahre hin. Ständig schufteten mehrere Tausend Arbeiter auf der Baustelle. Dazu kamen in bestimmten Bauphasen Zigtausende weitere Arbeiter. Da es noch kein Geld gab, erhielten sie als Lohn Brot und Bier. Und das gute Gefühl, Teil eines göttlichen Projekts zu sein.

Mit ihren Pyramiden haben die Ägypter einige Weltrekorde gebrochen. Über Jahrtausende waren diese Bauwerke die größten der Menschheit. Es findet sich wohl kein anderes Bauwerk in der Weltgeschichte, das mit so viel Aufwand, Organisation und Geschicklichkeit für nur eine Person errichtet worden ist. Das Grab des Pharaos ist tief im Inneren der Pyramide versteckt; es liegt am Ende von langen Gängen und Sälen in einer relativ kleinen Kammer. Darin ruht der Verstorbene in einem Steinsarkophag. Das Volk sieht weder ihn noch die Wandmalereien oder den vielen Goldschmuck.

Uns mögen die Pyramiden als nutzlos erscheinen. Für die alten Ägypter waren sie der Beweis dafür, welche Kraft im Göttlichen liegt. Tatsächlich motivierte der Pyramidenbau die Ägypter zu künstlerischen und technischen Höchstleistungen. Der Architekt musste den Überblick und das Fachwissen haben. Etwa über Mathematik, genauer gesagt über Geometrie, wie wir sie in der Schule lernen. Er rechnete die Winkel für die Pyramide aus und zeichnete Pläne. Die Vorarbeiter mussten den Arbeitern sagen, wie und mit welcher Seilwinde sie welche Steine wohin ziehen und hieven sollten. Jeder hatte eine spezielle, genau definierte Aufgabe. Diese Arbeitsteilung ist nötig, wenn man große Bauwerke errichten oder aufwendige Produkte fertigen will.

Arbeitsteilung bringt es mit sich, dass Menschen sehr unterschiedlich für ihre Tätigkeit entlohnt werden. Die Architekten, die besonders viel wissen und berücksichtigen mussten, bekamen mehr als einfache Arbeiter. Die schwitzten zwar mehr, mussten aber am wenigsten Fachkenntnisse haben und trugen weniger Verantwortung. Wie hoch man bezahlt wird, hängt allgemein davon ab, wie wichtig die spezielle Arbeit, die man macht, und die Fertigkeiten, die man hat, eingeschätzt werden. Das verändert sich zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturen immer wieder. Heute sind Manager und Bankenchefs Spitzenverdiener, weil wir den geschickten und gewinnbringenden Umgang mit Geld so wichtig finden. Im alten Ägypten waren es beispielsweise Architekten und Priester.

Priester hatten schließlich die Aufgabe, den toten Pharao mit allem zu versorgen, was er im Jenseits brauchte. Sie ließen Tempel direkt an eine Seite der Pyramiden anbauen oder ganz in deren Nähe errichten. An eine Innenwand des Tempels war eine Tür gemalt. Durch diese Scheintür konnten die Seelen der Pharaonen den Tempel betreten. Dort holten sie sich die Speisen und Getränke, die die Priester täglich für sie hinstellten. Während die Priester alles herrichteten, sprachen sie ein Gebet für den toten Pharao: »O du König da, wisse, du sollst dir nehmen dieses dein Gottesopfer, damit du dich daran sättigst an jedem Tage, Tausende von Broten, Tausende von Bier, tausend Stück vom Rindfleisch, Tausende von Gänsen, Tausende von allen süßen Dingen.«

Was die Seelen der verstorbenen Pharaonen bei ihren Mahlzeiten »übrig ließen«, durften die Priester für sich behalten. Diesen Teil des Essens bekamen sie ab, auch wenn sie selbst kein Gemüse anbauten und keine Felder bestellten. Es war ein Luxus, so viel von den Opfergaben an die Götter behalten zu dürfen. Denn die Mehrheit der Bevölkerung ernährte sich vor allem von Brot. Überhaupt ging es den Priestern sehr gut. Die Pharaonen wollten schon zu Lebzeiten sicherstellen, dass sie sich nach ihrem Tod um sie kümmern würden. Deshalb spendeten sie und andere reiche Ägypter den Priestern ganze Weinberge, Bauernhöfe, Viehzuchtbetriebe, Ackerflächen, Bergwerke und Steinbrüche. Einige Tempel gehörten zu den größten Betrieben des Landes.

Ähnlich wichtig wie die Priester war der Wesir, der Stellvertreter des Pharaos. Er war zugleich Regierungschef und oberster Richter im Land – eine Art Superminister. Der Wesir musste den Überblick über die Bauprojekte und die Landwirtschaft haben. Eigentlich wurde von ihm erwartet, dass er ein bisschen was von allem verstand. Und auf jeden Fall sollte er darüber informiert sein, wann genau die jährliche Nilschwemme zu erwarten war. Schließlich wollten die Menschen auf das Hochwasser vorbereitet sein. Man hatte beobachtet, dass die Flut ungefähr alle 365 Tage in der Zeit zwischen Juni und September kam. Die Ägypter erfanden einen Kalender für ein Jahr, das 365 Tage und zwölf Monate hatte. Von kleinen Änderungen abgesehen gilt der Kalender weltweit bis heute.

Die alten Ägypter machten noch eine andere Erfindung: die Schrift. Zusammen mit den Sumerern in Mesopotamien, die wir im nächsten Kapitel kennenlernen werden, waren die Ägypter das erste Volk der Welt, das schreiben konnte. Die Schrift wurde also erst rund 200000 Jahre, nachdem sich der Homo sapiens, der »kluge Mensch«, entwickelt hatte, erfunden. Die Schriftzeichen, die die Ägypter um 3000 v. Chr. ersannen, wurden später Hieroglyphen genannt. Das heißt »heilige Zeichen«. Weil sie Hieroglyphen hatten, konnten Beamte Anweisungen über Bewässerungsanlagen, Aussaat und Ernte verfassen. Im alten Ägypten konnte nur etwa ein Prozent der Bevölkerung schreiben, jeder Hundertste. So genossen Schreiber höchstes Ansehen. Sie wurden gut bezahlt. Anders als heute konnten damals fast nur Kinder reicher Eltern zur Schule gehen. Dort schrieben sie zur Übung Sätze wie: »Werde Schreiber, es rettet dich vor harter Arbeit und vor jeder Mühe!«

Die Hieroglyphen zu erlernen war allerdings mühsam. Sie sind eine komplizierte Mischung aus Bilder- und Lautschrift. So bedeutet das Bild einer Eule zwar »Eule«, eine Schlange ist eine »Schlange« und Wellen sind »Wasser«. Aber ein Arm mit einer Waffe kann entweder »ein Arm mit einer Waffe« bedeuten oder »stark, mächtig«. Nun kommt eine dritte mögliche Bedeutung dazu. Jedes der Hieroglyphen-Bilder kann neben seinen zwei möglichen bildhaften Bedeutungen noch für einen einzelnen Buchstaben oder Laut stehen, aus denen sich Wörter formen lassen. Das Bild einer Eule kann »Eule« bedeuten oder »m«, das Bild von Wasser auch »n«. Wenn die Ägypter ihre Hieroglyphen lasen, mussten sie die Lösung wie bei einem Rätsel aus verschiedenen möglichen Bedeutungen auswählen und kombinieren.

Heute erscheinen uns die Hieroglyphen im Vergleich zu unserer Schrift umständlich. Doch damals waren sie eine riesige Neuerung, die vieles im Alltag vereinfachte. Mithilfe der Schrift konnten die Ägypter erstmals längere Informationen, Geschichten und komplizierte Baupläne festhalten und aufbewahren. Sie konnten sie außerdem über Hunderte von Kilometern übermitteln, ohne sich Sorgen machen zu müssen, ob der Bote sich die Botschaft auf seiner langen Reise richtig merkte. Die Erfindung der Schrift ist eng mit einer weiteren wichtigen Erfindung der Ägypter verbunden: mit der Erfindung des Papyrus. Der Papyrus ist der Vorläufer des Papiers, das von ihm seinen Namen hat. Es war natürlich einfacher und schneller, etwas mit einem Pinsel auf Papyrus zu schreiben, als seine Texte auf Steintafeln zu meißeln und die durch die Gegend zu schleppen.

Hergestellt wurde Papyrus aus Grasfasern. Dabei wurden die Halme der Pflanze in Streifen von rund vierzig Zentimetern Länge geschnitten und nebeneinander auf ein Tuch gelegt. Dann kam eine zweite Schicht Streifen in der anderen Richtung darüber. Das Ganze wurde von oben mit einem Tuch zusammengepresst. Der Saft der Pflanze klebte die Schichten zusammen. Trocknen, glattreiben, fertig. So kamen Schriftrollen zustande. Die Rollen waren die Bücher und Briefe der damaligen Zeit. Im 3. Jahrtausend v. Chr. bedeutete die Erfindung des Papyrus, der leicht zu transportieren war, einen ähnlichen Durchbruch wie in unserer Zeit die Erfindung der E-Mail und SMS.

Geschminkte Pharaonen und bärtige Königinnen

Das alte Ägypten dürfte der erste Staat der Weltgeschichte mit einem klar umrissenen Gebiet und festgelegten Grenzen gewesen sein, ein sogenannter Territorialstaat. Davor hatten sich die Menschen keine Gedanken um Landesgrenzen gemacht. Dass die Grenzen Ägyptens relativ klar waren und so lange erhalten blieben, hat allerdings auch mit geografischen Umständen zu tun. Ägypten war von Wüsten umgeben, einer Art natürlichen Grenze. Das schützte das Land vor Angreifern. Der Nil diente als Hauptverkehrsader und Kommunikationsweg. Auf Booten konnte man Papyrus-Botschaften transportieren, die recht sicher verschiedene Ziele im ganzen Land erreichten.

Ägypten war zusammen mit Mesopotamien wohl das erste größere Gemeinwesen, in dem es Großstädte gab, Paläste, Gesetze, Verkehrsnetze, Kanäle, also eine Infrastruktur. Solche Staaten heißen Hochkulturen. Dazu gehören außerdem gemeinsame Vorstellungen über Götter, die Arbeitsteilung und Hierarchien in der Verwaltung. Gemäß einer Rangordnung ist genau geregelt, wer wem was befehlen darf. Natürlich existierten auch vor den alten Ägyptern Rangordnungen. Doch die waren einfacher und weniger klar festgelegt. In der Steinzeit lebten Anführer einer Gruppe, obwohl sie besonders mächtig waren, nicht sehr anders als die anderen. Sie hatten keine größeren Häuser oder Paläste, sondern höchstens dickere Muskeln. Dank ihrer Körperkraft konnten sie ihren Status als Anführer verteidigen und die anderen manchmal unterdrücken. Sie bekamen vielleicht das beste Stück Fleisch vom gemeinsam gejagten Wild. Aber sie saßen zusammen mit den anderen um dasselbe Lagerfeuer. Sie aßen keine feineren Speisen und trugen keine teurere Kleidung.

All das änderte sich mit Hochkulturen wie der ägyptischen. In Ägypten erbten Herrscher wohl erstmals in der Geschichte von ihren Eltern Macht, Reichtum und Paläste. Passend dazu bedeutete das Wort Pharao ursprünglich »großes Haus«. Auch für andere Ägypter galt: je mehr Macht, desto größer das Haus. So wurde das Luxusleben erfunden. Im Luxus lebten allerdings nur sehr wenige. Die einen hatten große Häuser aus Stein mit Dusche und Toilette, Gärten voller Palmen und Blumen, die durch Mauern von der Außenwelt abgegrenzt waren. Die anderen hausten in Holzhütten und mussten sich im Fluss waschen. Die armen Menschen aßen nicht wie die Herrscher ständig Fleisch, Fisch, Obst und feines Gebäck. Ihr Hauptnahrungsmittel war Brot. Da bei der Herstellung einiges an Wüstensand in den Teig geriet, schliff es, wenn man es kaute, die Zähne ab. So hatten viele arme Ägypter im Alter nur noch Zahnstummel im Mund.

Natürlich taten gute Pharaonen mehr, als ein »großes Haus« zu erben und Pyramiden in Auftrag zu geben. Zusammen mit ihrem Wesir mussten sie schwierige Entscheidungen treffen. Etwa darüber, wie viel Vorräte man für Dürren und Notzeiten für die Bevölkerung in Speichern anlegte, mit welchem Land man Handel treiben sollte und mit welchem Krieg führen. Unter den vielen Pharaonen ragten einige durch ihre Leistungen heraus. Der bereits erwähnte Narmer schuf um 3000 v. Chr. wohl das Großreich Ägypten. Rund 1500 Jahre später stach Königin Hatschepsut hervor.

Ihr Name bedeutet »Die Erste der vornehmen Frauen«. Rechtlich waren Frauen den Männern im alten Ägypten fast gleichgestellt. Sie konnten beispielsweise selbst Eigentum haben, erben und weitervererben. Sie durften Verträge abschließen und vor Gericht prozessieren. Frauen konnten sich ihren Ehemann im Prinzip selbst aussuchen. Daheim hatten Frauen als »Herrin des Hauses« das Sagen. Sie trafen Entscheidungen über Finanzen und Geschäfte. Warum muss man das hervorheben? Weil Frauen, die im alten Ägypten lebten, in vielem sogar mehr Rechte hatten, als das noch vor nur 150 Jahren in den meisten Ländern der Welt der Fall war, auch in Europa. Doch dass eine Ägypterin als Königin herrschte, war trotzdem sehr ungewöhnlich. Hatschepsut konnte die Macht übernehmen, weil ihr Halbbruder Pharao Thutmosis II. früh starb und es keinen männlichen Nachfolger gab. So ergriff sie die Gelegenheit und schwang sich zum Staatsoberhaupt auf.

Die Königin förderte den Handel mit dem Ausland. Sie gab zahlreiche Bauwerke in Auftrag und einige der größten Obelisken. Diese Pfeiler haben eine pyramidenförmige Spitze und stellten die Strahlen des Sonnengottes Re dar. Obelisken symbolisieren die Verbindung zwischen Erde und Himmel. Hatschepsut war auch, was die Selbstdarstellung betraf, recht umtriebig. Sie ließ sich auf Bildern und in Statuen im Lauf der Zeit auf immer merkwürdigere Weise präsentieren. Von Statue zu Statue schrumpften ihre Brüste, ihre Schultern wurden breiter und am Ende hatte sie sogar einen Bart. Irgendwann hatte sie sich in den Abbildungen in einen Mann verwandelt.