Vom Dadaismus zum Surrealismus - Ré Soupault - E-Book

Vom Dadaismus zum Surrealismus E-Book

Ré Soupault

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Beschreibung

Zum 100. Geburtstag der Surrealismus-Bewegung (2019) veröffentlichen wir zwei Texte, die Dadaismus und Surrealismus im Zusammenhang zeigen. Ré Soupaults Essay Tristan Tzara, Begründer des DADA wurde am 25.12.1968 als Feature im Abendstudio des Hessischen Rundfunks gesendet, ihr Essay Wir haben uns geirrt: Die wahre Welt ist nicht, was wir geglaubt haben - Die Entstehung des Surrealismus, am 11.6.1974. Der 8. Februar 1916 gilt als das Gründungsdatum von DADA in Zürich. Hans Arp, Hugo Ball, Viking Eggeling, Richard Hülsenbeck, Marcel Janco, Hans Richter, Tristan Tzara und viele andere gründeten mitten im Ersten Weltkrieg eine Bewegung, die bis heute an Einfluß in Gesellschaft, Kunst, Film und Literatur nicht verloren hat. Im Frühjahr 1919, einige Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, schrieben Philippe Soupault und André Breton im Hotel Grands Hommes in Paris den ersten surrealistischen Text der Literaturgeschichte Les champs magnétiques (Die magnetischen Felder). Zusammen mit Louis Aragon – der Dichter Guillaume Apollinaire hatte die drei jungen Männer miteinander bekannt gemacht – begründeten sie die Surrealismus-Bewegung. Sie wurden die "drei Musketiere" genannt. Auch der Surrealismus hat an Aktualität nicht verloren.

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© 2018 Nachlass Ré Soupault/Manfred Metzner

© 2018 Verlag Das Wunderhorn GmbH

Rohrbacher Straße 18 D - 69115 Heidelberg

www.wunderhorn.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfaltigt oder verbreitet werden.

Gestaltung & Satz: Leonard Keidel

eISBN: 978-3-88423-603-1

Ré Soupault

Vom Dadaismuszum Surrealismus

Zwei Essays

Herausgegeben von Manfred Metzner

Inhalt

Vorwort des Herausgebers*

Tristan Tzara, Begründer des Dada

»Wir haben uns geirrt: Die wahre Welt ist nicht, was wir geglaubt haben.« Die Entstehung des Surrealismus

Ré Soupault (1901 - 1996) Leben/Ausstellungen/Publikationen

Personenregister

Vorwort des Herausgebers*

Ré Soupault hatte 1938 Europa verlassen und kehrte 1948 aus New York nach Basel zurück. Sie begann dort als Übersetzerin zu arbeiten und studierte bei Karl Jaspers.

Ausserdem schrieb sie Radio-Essays für schweizer und deutsche Rundfunkanstalten. In den 1920er Jahren mit dem Dadaisten Hans Richter verheiratet, ab Mitte der 1930er Jahre mit dem Surrealisten Philippe Soupault, als Übersetzerin des Gesamtwerks von Lautréamont, des Werks von Philippe Soupault und der »Magnetischen Felder«, beschäftigte sie sich über Jahrzehnte mit Dadaismus und Surrealismus.

Zum 100. Geburtstag der Surrealismus-Bewegung (2019) veröffentlichen wir zwei Texte, die Dadaismus und Surrealismus im Zusammenhang zeigen.

Ré Soupaults Essay »Tristan Tzara, Begründer des DADA« wurde am 25.12.1968 als Feature im Abendstudio des Hessischen Rundfunks gesendet, ihr Essay »›Wir haben uns geirrt: Die wahre Welt ist nicht, was wir geglaubt haben‹ – Die Entstehung des Surrealismus, am 11.6.1974«.

* Manfred Metzner lebt als Verleger in Heidelberg. Er ist Herausgeber und Nachlassverwalter des Werks von Ré Soupault. Zuletzt: Ré Soupault, Nur das Geistige zählt. Vom Bauhaus in die Welt. Erinnerungen (2018).

Tristan Tzara, Begründer des Dada

Wer den Namen Tristan Tzara hört, denkt sofort an Dada. Und umgekehrt: die Dada-Bewegung ist ohne den Namen Tristan Tzara gar nicht denkbar. Sie war sein Werk.

»Dada verdankt seine Existenz Tzaras Gabe, Reaktionen zu provozieren und die schöpferische Flamme anzufachen. Hugo Ball war der Direktor des Cabaret (Voltaire), Tzara sein Stratege und später sein Propagandist… Hinter der Brille funkelten seine schalkhaften Augen… Um seine Bekannten irrezuführen, bediente er sich eine Zeitlang eines Monokels. Nie hat ein Dichter den Klang seiner Stimme besser auszunutzen verstanden…«

So Marcel Janco über Tzara; Janco, der neben Hugo Ball und Tzara, Hans Arp und Richard Huelsenbeck zu den fünf Gründern des Dadaismus gehörte. – Aber Tzara war der Initiator. Das überschattet seine Persönlichkeit, so daß bis heute, außer in Frankreich, wenige wissen, daß der Dada-Tzara, der gegen Kunst und Literatur, gegen Dichtkunst und alle vermeintlichen Kulturwerte während des Ersten Weltkrieges zu Felde zog, dies tat, gerade weil er Dichter war. Als er am 5. Februar 1916 bei Hugo Ball im Cabaret Voltaire erschien – es war erst wenige Tage zuvor eröffnet worden – war er schon ein Dichter. Wer das nicht weiß, glaubt gern dem Zeugen, der behauptete: »Tristan Tzara wurde am 8. Februar 1916 um sechs Uhr abends im Café Terrasse in Zürich geboren, da er einen Brieföffner auf gut Glück in die Seiten eines Larousse schob und das Wort DADA fand« … dieses Wort, das ein Begriff wurde.

An diesem 8. Februar 1916 erblickte DADA das Licht der Welt, aber sein Schöpfer war bereits ein Dichter und fast zwanzig Jahre alt. Und noch weniger ist bekannt, daß er sich nach Dadas Ende – 1922 – wenn auch zögernd dem Surrealismus anschloß und bis zu seinem Tode – 1963 – ein Dichter blieb. Ja, nach dem Zweiten Weltkrieg, 1947, schrieb er seine »Dialektik der Dichtkunst«. Sein dichterisches Werk umfaßt unzählige Bände. Da er eine Sammlernatur war und jeden Brief, jede Notiz, jedes gedruckte Wort aufhob, und dieser ganze Nachlaß den Zweiten Weltkrieg überlebt hat, ist die Aufgabe seiner Biographen verhältnismäßig leicht. Claude Sernet:

»Tristan Tzara wurde am 4. April 1896 in einem kleinen rumänischen Städtchen am Fuße der Karpathen geboren… Ein Westeuropäer, der nicht über Prag oder Wien hinausgekommen ist, macht sich schwer eine Vorstellung von der Verlassenheit, der Hoffnungslosigkeit jener verlorenen Gegenden, die gewiß auf das sensible Kind, das ein Dichter werden sollte, gewirkt haben. Er hatte das Glück, daß sein Vater wohlhabend genug war, um ihn nach Bukarest in eine Privatschule zu schicken, wo in französischer Sprache unterrichtet wurde. Er gehörte zu den begabtesten Schülern, las alles, was ihm in die Hände fiel, kannte Laforgue, Corbière, Rimbaud, als seine Mitschüler kaum wußten, was die »Parnassiens« waren oder die »Symbolisten«. Er war musikalisch, liebte vor allem Bach… vielleicht weil er ein hervorragender Mathematiker war. Er machte sein Abitur und studierte in Bukarest 1914-1915 Mathematik und Philosophie. In diese Zeit fallen seine ersten Gedichte, in rumänischer Sprache geschrieben, die 1965, nach seinem Tode, in französischer Übertragung erschienen…«

Ruf

Du trugst eine Kette um den Hals als ich dich sah

Gepuderte Arme, Armspangen

Und Schlangen wanden sich auf deinen kurzen Röcken

An den Fingern

Falsche Ringe, die blitzten wie die Augen der Nachteulen

Und deine Mutter war seit drei oder vier Wochen tot.

Die Schlangen wanden sich hinauf und hinunter wie ein

Wasserspiel

Und ringelten sich länglich, um mit unschuldiger Zunge

etwas Verbotenes oder ihren eigenen Leib, wo er endet,

zu lecken.

In deiner Seele Stille, aber deine Augen weinten einen

wahren Schmerz

Ich fühlte, daß deine bezahlte Stimme

– Du sangest Trunkenheit und sie war erzwungen –

Deine leere Seele erfüllen wollte

Mit der Melodie später Stunden

Und dein Tanz in verdächtiger Absicht

Wurde kühn und gewagt – herrlich (die Jünglinge fragten: wieviel?)

Reif und schwer deine Brüste

Und wild unsere Blicke

Sängerin, Tänzerin von Talent

Laß die verkäufliche Liebe, Fluch der verdorrten Blüte

Werde wie zuvor: brav

So denkt deine Mutter mit der Einfalt des Schnees.

Du hast es gewollt, Marie, dir einen Strick um den Hals gelegt

Weil deine Mutter dich liebte

Er kam im Sonntagsdress

Und Blumen auf deinem Antlitz haben die Tränen weggewischt.

Der Mond ist rot, Marie, wie sollte die Nacht grau sein

Komm mit mir auf das Land

Dort kannst du weinen deinen ganzen Schmerz in aller Ruhe

In einer alten düstren Kammer, in einer ruhigen, sauberen Kammer

Wo du ganz nackt sein kannst

Und deinem Leid die Stärkung geben die es braucht

Vielleicht möchtest du Bücher mit Bildern um zu vergessen

Oder eine Puppe in ihrer Wiege und Krankenpflege

Im Schlitten fahren wir spazieren über das weißverschneite Feld

Und ich spiele mit deinem Katzenherzen

Im Frühling laden wir Freunde ein

Und wir verbringen Tage und Tage in Freude.

1915 hatte Tzara Rumänien verlassen, um in Zürich weiterzustudieren. Und im Februar 1916 kam jene Begegnung mit Hugo Ball, die lebensbestimmend für Tzara wurde. Wer diesem jungen Rumänen damals begegnet ist, hatte nicht vergessen, nur sind die Zeugen, die jene Zeit miterlebt haben, selten geworden.

Wir trafen kürzlich in Zürich Madame Suzanne Perrottet, eine gebürtige Genferin, Tanzlehrerin, die aus der Dalcroze-Schule kam, später Mitarbeiterin von Laban wurde und heute eine Bewegungsschule in Zürich leitet. Sie kannte die Dadaisten, interessierte sich für die Bewegung und wirkte bei Dadaveranstaltungen mit.

Ré Soupault:

Suzanne Perrottet, was machten Sie bei diesen Veranstaltungen?

Suzanne Perrottet:

Ich spielte Klavier – Schönberg – sechs kleine Stücke, wunderschöne, ganz modern-dissonant. Und an einem anderen Abend spielte ich eigene Improvisationen über musikalische Themen von Laban, die er für ein großes Ballett vorbereitete. Dann eigene Improvisationen auf Violine, auch Themen von Laban und weitere Kompositionen von mir – atonale Musik alles. Und viel später, April 1919, da habe ich hauptsächlich Schönberg, Erik Satie und andere gespielt, mit Deklamationen, es war sehr ulkig und grotesk. In einem Simultangedicht für sieben Stimmen »Sous les ponts de Paris« hatte ich eine Stimme und Tzara hatte die Regie wie ein Chef d’orchestre. Mit irisierten Farben, fließend und kühl zugleich durch das Gestrüpp der Stimmen schlängelten sich ab und zu meine Wörter »Sous le ponts de Paris«.

Ré Soupault:

Es war also nicht alles geräuschvoll und explosiv, wie man heute glaubt.

Machten die Dadaisten nicht auch Negermusik?

Suzanne Perrottet:

Ja, bei dem ersten öffentlichen Abend von Dada im Juli 1916. Ball, Huelsenbeck, Janco und Tzara saßen lässig – einer auf dem Podiumrang, einer auf dem Tisch – und diese vier fingen an, sich anzusingen mit gedehnten Tönen, Vokalen, mit rhythmischer Begleitung, ganz frei, in der Art der Negermusik, die wir ja damals noch nicht kannten.

Ré Soupault:

Welche Rolle spielte Tzara bei diesen Dada-Veranstaltungen? Hatten Sie den Eindruck, daß er besonders aktiv war?

Suzanne Perrottet:

O ja, er war der aktivste, war voller Ideen und Kampflust… war voller Ideen und Kampflust und war Meister in der Art, das Publikum zu erregen, ja sogar zu empören und er suchte das sogar, denn diese Reaktion wollte er haben. Im Gegensatz zu manchen Dadaisten, besonders in der späteren Zeit, die eigentlich nur den Wunsch hatten, möglichst großen Anstoß zu erregen ohne tieferen Sinn, so wie Spielerei, war Tzara ernst, trotz seiner äußeren Leichtigkeit.

Ré Soupault:

Wie sah er damals aus? Können Sie ihn vielleicht beschreiben?

Suzanne Perrottet:

Sehr feinfühlig, sehr intelligent… manchmal sah er träumerisch aus durch seine großen Augen, den Kopf ein wenig geneigt und konnte ganz still sein. Eine Haarsträhne fiel über sein rechtes Auge. Die Form seines Gesichtes nicht hübsch, aber charmant, die Augenbrauen und der Nasenansatz waren sehr fein gezeichnet, der Mund sinnlich, aber wenn er redete war er voller Leben.

Mir schien, es war bei ihm eine gute Verbindung zwischen Vernunft, Wille und Gefühl.