Vom Dao zum Gong Fu - Christian Dewanger - E-Book

Vom Dao zum Gong Fu E-Book

Christian Dewanger

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Beschreibung

Eine kleine Reise von den philosophischen Sphären der daoistischen Kosmologie über die energetische Sicht hin bis zur Praxis des Taijiquan. Gedacht als eine Inspiration für alle, die Taijiquan oder Qigong betreiben/lernen/spielen/übern/erforschen.

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Seitenzahl: 105

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Widmung

Dieses kleine Buch ist allen meinen Lehrerinnen und Lehrern, vor allem aber allen meinen Schülerinnen und Schülern gewidmet, die meine größten Lehrerinnen und Lehrer sind. Besonderer Dank gilt Michael für seine Trainingsbereitschaft und sein Feedback, getragen vom So-Sein in Stille. Ebenso geht ein ganz besonderer Dank an Beate, die mich auch nach fast 20 Jahren noch treu begleitet und immer eine Stütze für meinen Unterricht ist. Und schließlich danke ich Helmut dafür, mich unter seine Fittiche genommen zu haben und regelmäßig mit mir in seinem Garten durch die Welt des Taijiquan zu reisen.

Inhaltsverzeichnis

Das Dao

Das Taji

Das Tian-Di-Ren

Das Taijiquan

4.1. Das Energiesystem

4.1.1. Drei Dantian, Zhong Mai, Xia Zhoutian

4.1.2. Funktionskreise – klassische Meridiane

4.2. Das Haltungssystem

4.3. Das Bewegungssystem

Das Wu Xing

5.1. Die Sonderrolle von Tŭ oder Di

5.1.1. Der Einfluss des Denkens auf die Motivation.

5.1.2. Der Einfluss des Denkens auf das Verhalten und Erleben.

5.1.3. Der Einfluss des Denkens auf die Identität.

5.1.4. Der Einfluss des Denkens auf das Unbewusste.

5.1.5. Der Einfluss des Denkens auf das Denken selbst.

5.2. Das Taijiquan im Wu Xing

Das Gong Fu

Einleitendes

Nun, mit Sicherheit vertrete ich im Taijiquan keine »Linie«, habe ich nicht in einem klaren System gelernt. Es gab und gibt gleich mehrere Lehrerinnen und Lehrer, die mich inspirier(t)en und darin begleiten, mein eigenes Taijiquan zu entwickeln. Es ist dabei schon früh eine für mich zentrale Erkenntnis gewesen: Tradierte Lernsysteme sind gut und garantieren in einem gewissen Rahmen auch Lernerfolge, aber letztlich muss jede/r ein eigenes Taijiquan kreieren. Nicht das Auswendig lernen von vorgegebenen Lehrsätzen bringt mich voran, sondern die aus der eigenen Erfahrung entspringende Einsicht.

Wenn das Taijiquan zu einer »Lebensweise« führen soll, dann reicht die Imitation anderer nicht aus. Es muss ja zur eigenen Lebensweise werden und damit tief in die eigene Sicht auf die Dinge einwirken, um täglich praktischer Teil der Lebensführung zu sein. Wir müssen es uns zu eigen machen, was eine wechselseitige Annäherung beschreibt. Einerseits ändere ich mich, indem ich Aspekte des Taijiquan aufnehme, andererseits passt sich die Ausübung des Taijiquan auch an mich an, wird sie durch meine Art des Seins geprägt. Ein Taijiquan »an sich« gibt es dabei nicht, sondern immer nur eines, das durch einen Menschen praktiziert wird.

Nun geht es mir aber nicht um eine Diskussion darüber, ob tradierte Lernsysteme besser sind und zu authentischerem Taijiquan führen oder nicht. Ich möchte nur beschreiben, woher die folgenden Ausführungen stammen. Sie entspringen eben nicht einem klassischen Lehrsystem oder geben irgendwelche Familiengeheimnisse preis. Vielmehr sind sie das äußerst subjektive (Zwischen)Ergebnis meiner ganz persönlichen Auseinandersetzung auf dem Weg des Taijiquan. Dabei habe ich nicht lange an dem Text »gearbeitet«, vielmehr schrieb er sich selbst in drei Wochen nieder, ohne dass ich beim Schreiben einen Plan gehabt hätte. Ich finde aber das Ergebnis ausreichend stimmig, um es mit anderen auf dem besagten Weg Schreitenden teilen zu wollen.

1. Das Dao

Mit dem Dao (alte Schreibweise: Tao) ist das so eine Sache. Eigentlich ist es nur ein Wort, mit dem wir etwas zu benennen versuchen, welches gar nicht in Worte gefasst werden kann. Wie will man auch das Unendliche, zeitlose Ursprungssein aller Dinge in einem endlichen Denken und endlicher, räumlich begrenzter Sprache fassen? Darum verweist das erste Kapitel des Tao Te King eben genau darauf: „Das Tao, von dem man sprechen kann, ist nicht das ewige Tao“. Dieses Erkenntnisproblem, oder besser Benennungsproblem durchzieht so gut wie alle Religionen. Im Christentum tritt es sogar als Gebot auf: „Du sollst Dir kein Bild von Gott machen“. Denn es ist klar, dass das Bild scheitern muss und das, was mit Gott gemeint ist, nicht fassen und repräsentieren kann.

Insbesondere für rational und analytisch geprägte Menschen ist es nicht unbedingt leicht, sich damit zufrieden zu geben, dass es ein nicht benennbares, nicht erfassbares Mysterium gibt. Denn ohne die Benennung, die klare Definition, ein eindeutiges Erfassen fehlt zugleich auch quasi der Beleg für die Existenz dessen, was nicht erfasst und benannt werden soll bzw. kann. Man muss sich aber auch nicht mit der einfachen Aufforderung »zu glauben« abfinden. Vielmehr können wir den Spuren nachgehen, die uns das Mysterium weist. Wir können es mehr als eine Frage erfassen denn als Antwort, obwohl es die Antwort ist. Bevor es aber allzu kryptisch wird, möchte ich versuchen, es konkret zu machen.

Das Mysterium ist im Kern die Frage nach unserer Existenz (und der der Welt), nach dem Warum dieser Existenz. Und bezüglich der Existenz ist die grundlegendste Frage die nach dem Anfang und dem Ende derselben. Wann beginnt die Existenz? Wann meine? Und wodurch? Wann und warum endet diese? Wo beginnt das Universum und wo hört es auf? Ich möchte dabei exemplarisch an zwei rational-analytischen Wegen aufzeigen, wie wir an diesen Fragen scheitern (müssen).

Ohne Frage werden Sie mir wohl zustimmen, dass Sie am Leben sind – sonst würden Sie ja gerade den Text nicht lesen können. Aber wann und wie hat Ihr Leben angefangen? Mit der Geburt? Sicher nicht, denn die Entwicklungsphasen von der Befruchtung bis hin zur Geburt sind gut bekannt und stellen bereits einen Teil ihres Lebens dar. Also begann ihr Leben mit der Befruchtung? Sie als Ergebnis der Befruchtung sind aus Samen und Eizelle hervorgegangen, ohne dass dabei etwas Drittes hinzugekommen wäre. Eizelle und Samen aber existierten ja bereits und waren lebendig. Sonst hätten sie sich ja nicht verschmelzen können. Leben und Existenz waren also auch schon vor der Befruchtung da. Wenn wir diesem Pfad zum Anfang des Lebens, welches sie als ihres erleben, weiterverfolgen, dann werden wir schlicht nicht an einen Anfang kommen können – außer vielleicht dem Urknall. Vielmehr zeichnet sich uns ein Bild eines Lebens, das in Schleifen mit sich selbst verwoben ist, in dem alles Lebendige miteinander verbunden und auseinander hervorgehend ist. Wir müssen bewusst künstliche Grenzen und Trennungen vollziehen, um daraus nachvollziehbare Prozesse und Dinge machen zu können. Das Leben selbst aber, der Umstand, dass Herzen schlagen, weil eine Energie vorhanden ist, die im Gehirn den Impuls zum Schlagen eines Muskels gibt, ist nicht greifbar. Diese Energie entzieht sich unseren Modellen. Wir wissen nicht, wo sie herkommt und warum sie da ist. Wir wissen nur, dass sie da ist, denn sonst wären wir nicht existent.

Und in diesem Sinne des Nichtwissens ist unsere Existenz eben ein Mysterium, zwar ein Fakt, aber in seiner Ursache nicht erklärbar. Darum verwenden wir »Platzhalter« wie Gott, Allah oder Dao.

Nun könnte man einwenden, dass die Entstehung des Universums ja bekannt sei und daher die Entstehung des Lebens nachvollziehbar wäre. Damit kommen wir zum zweiten Weg. Folgen wir den Naturwissenschaften und hier maßgeblich der Physik, um zu ergründen, woraus das Universum besteht, wie Materie beschaffen ist und woher diese kommt, dann stoßen wir sehr schnell an die gleichen Erkenntnisgrenzen. Und ohne jetzt die verschiedenen abenteuerlichen Befunde der Quantenphysik auszuführen, können wir eines klar festhalten: Materie ist nicht das, was wir meinen, dass sie sei. Materie ist weder fest noch stabil. Sie ist leerer Raum, in dem ab und zu virtuelle Teilchen kollabieren und zu Atomen und molekularen Verbindungen werden, die dann miteinander interagieren. Subatomare Teilchen Ihres Körpers sind ab und zu gar nicht hier, sondern irgendwo anders. Von eben diesem »irgendwo anders«, in der Physik Quantenvakuum genannt, haben wir aber keine Ahnung. Es entzieht sich unseren Sinnen.

Je tiefer wir in die Materie vordringen, umso weniger können wir ihre Substanz greifen. Ihre Herkunft ist ein Mysterium und dennoch können wir sie ganz konkret erleben.

Der Daoismus macht es sich nun einfach: Er hakt die Frage ab und erklärt, dass das Mysterium existiert, aber nicht weiter Gegenstand der Beobachtungen und des Nachdenkens sein kann. Hierfür kann nur das benannte Dao mit seinen Manifestationen zur Verfügung stehen.

Mit diesem Übergang vom nichtnennbaren hin zum nennbaren Dao vollzieht sich zugleich der Übergang von der unendlichen Einheit hin zur endlichen Polarität. Das, was hier nichtnennbares Dao genannt wird, wird in der chinesischen Kosmologie Wuji genannt, was so viel wie »endlose Leere« oder »Adualität« bedeutet, letztlich aber als das Mysterium angesehen wird. Eben dieses ist nicht nennbar, da jede Sprache endlich und begrenzt ist und die Unendlichkeit nicht fassen kann. Mit der begrifflichen Manifestation aber gibt es nun nicht nur das nichtsagbare Dao (Wu Ji) an sich, sondern auch das ausgesprochene und nennbare Dao (Tai Yi). Es gibt das Dao in diesem Sinne dann zwei Mal, einmal sichtbar und manifest und einmal unsichtbar, verborgen. Und eben das ist der Beginn der Dualität (Huang Ji), denn der Bereich des sagbaren Dao kann den Unterschied zum nichtsagbaren Dao fassen und in sich abbilden. Das Bewusstsein der großen Einheit, das Tai Yi selbst weiß um seinen Unterschied zum Wu Ji.

Abbildung 1: Vom Wuji zum Taiji – der Himmel

Durch diese Gegenüberstellung des unsagbaren und des sagbaren Dao gibt es nun zwei Dao und mit ihnen das Prinzip der Dualität. Dabei ist das unsagbare Dao verborgen, nicht sichtbar, aber beide Dao tragend und markiert damit den Kern der Yin-Qualität: das Seiende. Das sagbare Dao hingegen ist das manifestierte, sichtbare, offenkundige und gestaltbare Dao und markiert damit den Kern der Yang-Qualität: das Formende. So repräsentiert sich die Beziehung von unsagbarem und sagbaren Dao, von Wu Ji und Tai Yi im Yin und Yang der Dualität. Dabei wird immer wieder betont, dass das Yin letztlich stärker ist als das Yang, denn es ist mit dem unsagbaren, ewigen Dao verbunden, das Yang hingegen »nur« mit dem sagbaren Dao.

Diese Beziehung ist dabei von bestimmten Grundsätzen oder besser Prinzipien geleitet, den höchsten, letzten Prinzipien: Beide Dao sind in dem jeweils anderen enthalten, gehen aus diesem hervor und bewegen sich gegenseitig. Dieses philosophisch-universelle höchste, letzte Prinzip wird im Chinesischen Taiji genannt. Es symbolisiert die Verschränkung der beiden Formen des Dao einerseits und das Wirken der Prinzipien dieser Verschränkung in der manifestierten Welt andererseits. Das Yin und Yang des Huang Ji spalten sich nicht einfach voneinander ab, sondern kommen zusammen, bedingen sich wechselseitig und bringen so die Manifestationen hervor. Das Taiji ist daher mehr als Yin und Yang. Es ist die Gesetzmäßigkeit des Zusammenwirkens beider Aspekte.

Bis hierhin bewegen wir uns im »Himmel« als Symbol für die geistige Dimension, denn alles beschreibt bislang nur Prinzipien, philosophischgeistige Anschauungen. Mit dem Taiji als Ausgangspunkt der manifesten Welt kommt jedoch ein neuer Aspekt an Qualität hinzu: Wenn sich Yin und Yang bewegen, dann gibt es auch ein Bewegendes und ein Bewegtes, also ein Aktiva und ein Passiva, eine Information (im Sinne der Vorgabe einer Form) und eine Manifestation (im Sinne der tragenden Ausgestaltung der Form).

Dabei wird der geistigen Welt, also dem »Himmel«, das Aktiva zugesprochen. Aus ihr ergeben sich die Formen und Gestaltungen, die sich dann auf/in der Materie (»Erde«) als Passiva manifestieren und ausdrücken. Und so findet sich das duale Urprinzip in der materiellen Welt, der Raumzeit, der Welt, wie wir sie kennen, wieder: Als Dichotomie von Geist und Materie, Innen und Außen.

Für diese materielle Welt der Manifestationen ist gleichsam das Taiji das leitende, eben höchste, letzte Prinzip. Bis hierhin haben wir also den Weg des Himmels verfolgt, in welchem das unsagbare Dao das formgebende Aktiva und das Taiji das Passiva als dessen Ergebnis und geistige Manifestation ist. In der materiellen Welt, auf der »Erde«, stellt nun das Taiji das formgebende Agens (Yang) dar und die Materie ist das passiv ausgestaltete Sein (Yin).

2. Das Taji

Die weiteren Betrachtungen verfolgen daher nun den Weg der »Erde« und zeichnen nach, wie sich die Prinzipien aus dem Taiji entwickeln und zu konkreten Manifestationen werden, die schließlich in der Welt der 10.000 Dinge münden, womit dann tatsächlich unsere Raumzeit mitsamt all ihren Erscheinungen bezeichnet wird.

Abbildung 2: Vom Taiji zu den 10.000 Dingen – die Erde

Als erstes müssen wir sehen, dass das Taji mehr als Yin und Yang ist. Es ist das Zusammenspiel von beiden und stellt in diesem Sinne eine Trinität von Formgebenden und Seienden und dem Leben/der Welt als deren Produkt dar. Eben diese Trinität wird im daoistischen Denken als Tian-Di-Ren gesehen, als Himmel-Erde-Mensch. Dabei gibt der Himmel als Formgeber seinen Impuls in die Erde als Seiendem und daraus entspringt das Leben, der Mensch.

Wann immer wir also die Welt betrachten, betrachten wir den Himmel, die Erde und das Leben, die Existenz, welches aus beidem hervorgeht. Jede dieser drei »Dimensionen« kann dabei in Beziehung zu den jeweils anderen entweder eine Yang- oder eine Yin