Vom Leid zum Glück - Letizia Hauser Pfattner - E-Book

Vom Leid zum Glück E-Book

Letizia Hauser Pfattner

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Beschreibung

Von ihrer Mutter verstoßen, wächst Letizia als Kostkind bei verschiedenen Familien auf – ein uneheliches Kind, noch dazu mit einem "walschen " Namen. Ihre Kindheit ist geprägt von seelischer und körperlicher, auch sexueller, Gewalt. Immer wieder kommt sie zu neuen Familien, fühlt sich weitergereicht "wie eine Schüssel voll Salat". Und mit jedem Neuanfang beginnt der Kreislauf der Gewalt von vorn. Bis Letizia es endlich schafft, ihren Peinigern zu entkommen …

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Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung durch die Abteilung Deutsche Kultur der Südtiroler Landesregierung

Die Namen aller noch lebenden Personen wurden geändert. Jegliche Übereinstimmung und Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig.

© Edition Raetia, Bozen 2022

Herausgeberin: Leidlieb Pfattner

Titelbild: Unsplash

Gestaltung und Layout: Typoplus, Frangart

Lektorat: Verena Zankl

Korrektur: Silvia Oberrauch, Exlibris, Bozen

Projektleitung im Verlag: Magdalena Grüner

ISBN 978-88-7283-813-6

ISBN E-Book 978-88-7283-814-3

Unser Gesamtprogramm finden Sie unter www.raetia.com.

Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an [email protected].

Inhaltsverzeichnis

Zurück in die Kindheit

Im Werden

Ein neuer Lebensabschnitt

Lebendige Gegenwart

Nachwort

Glossar

Die Autorin

Zurück in die Kindheit

Montag, 19. Mai 2003

Aufgeschreckt vom Klingeln meines Handys erwache ich aus meinen Träumen. Wer mag mich um diese Zeit anrufen? Es ist sechs Uhr morgens. Mein Bruder Enzo in Wien? Meine Freundin Margit in Innsbruck? Anna in München? Anna ist die Witwe meines kürzlich verstorbenen Cousins Hans. Oder kommt der Anruf von einem meiner Kinder? Doris, Rudolph, Ruth, Hella, Klaus? Sie alle sind bereits erwachsen und berufstätig.

Ich hebe ab. Es ist Hella, meine jüngste Tochter. Sie ist Buslenkerin in Lana in Südtirol. Am Montag, dem 19. Mai, sagt sie, bekommt sie einen freien Tag. Sie möchte mich auf jenen Bauernhof begleiten, auf dem ich vor etwa sechzig Jahren meine Kindheit verbracht habe. So viel Zeit ist inzwischen vergangen.

Nie mehr habe ich seitdem den schönen, alten Hof besucht, den ich in den späten Kriegsjahren verlassen musste. Vieles weiß ich noch von meinem Leben als Kleinkind, als wäre es erst gestern gewesen. Aber an den Namen des Hofes, an die Namen meiner damaligen Zieheltern auf dem Hof in Passeier kann ich mich nicht mehr erinnern. Dass meine jüngste Tochter mich in die Kindheitserinnerungen begleiten will, freut mich sehr.

Doch je näher der Montag kommt, desto unsicherer fühle ich mich. Zweifel steigen in mir hoch, ob es wohl richtig ist, die Familie nach so langer Zeit zu besuchen. Ob die Zieheltern überhaupt noch am Leben sind?

Als es dann so weit ist, ist das Wetter schön. Schon in der Früh scheint die Sonne an diesem 19. Mai 2003 über Olang und über das ganze Pustertal.

Hungrig

Schon zeitig am Morgen bringt mich Sebastian, mein Lebensgefährte, nach Brixen. Doris, meine Älteste, erwartet uns bereits in ihrer Wohnung. Sie wird uns begleiten. Roland, ihr Mann, hat nicht frei bekommen an diesem Werktag, er arbeitet wie Doris in Brixen.

Sebastian fährt mit seinem Auto weiter, von Brixen über Bozen nach Lana. Hella ist sehr überrascht, dass sie uns so zeitig in der Früh schon begrüßen kann. Wir sehen uns sehr selten, telefonieren aber umso häufiger und haben die Fahrt ins Passeiertal schon oft besprochen.

Nach einer kleinen Stärkung und Rast sitzen Hella, Doris, Sebastian und ich schweigend im Auto nach Saltaus. Alle sind in Gedanken versunken darüber, was uns bevorstehen mag im Tal und auf dem Bauernhof.

Über Meran durch Riffian nach Saltaus. Eine wunderschöne Gegend, die sauber gepflegten Wiesen und Felder, die schmucken Häuser im Tal und hoch auf den steilen Hängen die Bauernhöfe. Wie Schwalbennester kleben die alten und neuen Höfe oben und trotzen jedem Gewitter auf dem Berg. Leicht lässt es sich erahnen, wie fleißig und sparsam die Menschen seit Generationen dort leben.

Am Straßenrand blühen Blumen, überall stehen Alleen von Obstbäumen. Und immer wieder muss ich an den Bauernhof denken. Wie er wohl nun heißen mag und ob wir ihn finden werden?

Einen Anhaltspunkt habe ich: den Weiler Schweinsteg bei Saltaus. Ich weiß noch, dass der Schweinsteg gerade gegenüber der Talseite war, auf der der Hof stand. Ungefähr fünfzehn Meter vor der Passerbrücke nach Schweinsteg muss ein ausgetretener Fußsteig sein, der zum Hof führt, mein Schulweg ins Tal – er ist mir in guter Erinnerung geblieben.

Gar oft bin ich auf diesem Schulsteig gegangen. Mit meinen kindlichen Sorgen, Freuden und Ängsten. Immer allein durch den Wald, bei gutem und auch bei schlechtem Wetter, meist mit leerem Magen und hungrig.

Zu spät

Der Schulweg nach Saltaus, den ich so oft gegangen bin. In die Volksschule. Es war während des Zweiten Weltkriegs, einer unruhigen Zeit.

Aber heute finde ich nirgends mehr diesen schmalen Steig neben der Brücke. Die Brücke steht noch, aber wo früher der Steig war, ist heute eine sauber angelegte Böschung mit einer Mauer. Die Menschen haben den Hang mit Sträuchern und Bäumen bepflanzt.

Nach kurzer Rast fährt Hella mit uns weiter ins Tal hinein, um kurz vor St. Martin links abzubiegen. Von dort führt ein alter Weg in die Höhe, genau in jene Richtung, wo ich meinen damaligen Pflegeplatz vermute.

Bevor es steiler bergauf geht, halten wir erneut an und Hella erkundigt sich bei einem neben dem Weg stehenden Bauernhof nach der Straße. Der Besitzer des Hofes, ein sehr freundlicher Herr, gibt uns bereitwillig Auskunft und zeigt in die Richtung, in der der Hof stehen soll. Wir erfahren auch den Namen des Hofs – und jenen meiner damaligen Zieheltern. Der Bauer und die Bäuerin, die dort oben wohnten, mich aufgezogen und versorgt haben, ruhen aber schon lange auf dem Acker der geweihten Erde.

Trauer überfällt mich, denn nach so langer Zeit muss ich erfahren, dass die alten Leute verstorben sind. Sofort steigen Schuldgefühle in mir hoch. Warum bin ich nicht früher einmal auf einen Besuch hergekommen? Ich habe ja zwei Jahre in Algund gelebt, und überhaupt war ich immer wieder in dieser Gegend. Es wäre wirklich keine Weltreise gewesen hierherzufahren, um diese zwei Menschen zu besuchen und mit ihnen zu sprechen. Nun ist es zu spät.

Der Schutzengel

Mithilfe der Auskunft des Bauers fährt meine Tochter mit uns über einen alten, holprigen Pferdefuhrweg den Hang hinauf. Es geht über Wasserabläufe und Steine immer höher. Durch kleine Täler und über bewachsene Wiesen, über furchterregende steile Abhänge – gerade unter uns sehen wir die Passeirer Straße – hinauf zu einer Wiese, die mir gut im Gedächtnis geblieben ist. Ein Vorfall von damals kommt mir – wie ein Film von gestern – wieder vor die Augen.

Es war an einem schwülen Sommertag. Auf derselben Wiese befanden sich die Bauersleute des Hofes mit ihren Gehilfen bei der Heuarbeit. Das Heu wurde auf ein Fuder geladen. Doch plötzlich brach ein heftiges Gewitter mit Blitz und Donner los. Dem Bauern war nicht mehr möglich, das Heu in den Stadel zu bringen. So blieb es dort. Und die Arbeiter suchten irgendwo Schutz vor dem Regen.

Ich hatte mich unter dem Heuwagen versteckt. Ich muss sofort eingeschlafen sein. Auf einmal hörte ich Kettenklirren und Stimmen, auch das Schnauben eines Tieres vernahm ich. Ich bekam Angst und kroch schnell aus meinem Versteck hervor. Wie staunten die Umstehenden, als sie mich erblickten. Einige standen neben mir mit Schrecken im Gesicht, andere sagten mir, man habe lange nach mir gesucht. Während sie so sprachen, zog die Kuh den Heuwagen an und brachte ihn in den Stadel. Ich hatte großes Glück, denn keine Minute später wäre ich von den Rädern überrollt worden. Ich verstand damals die Aufregung der Leute nicht.

Das ist meine früheste Erinnerung an meine Kindheit. Es war das Jahr 1942 auf dem Hof in Saltaus in Passeier.

Meines Lebens Anfang

Mein Name ist Letizia Maria Katharina Hauser. Ich wurde am 11. November 1938 in Bozen geboren. Nach einigen Tagen brachte mich mein Großvater nach Lana in Südtirol. Dort lebte auch seine Frau, meine Großmutter. Die Großeltern versorgten mich in diesen Kriegsjahren so gut wie nur möglich.

Es war für die Großeltern nicht leicht, ein kleines Baby zu betreuen. Großvater war Uhrmacher und seine Frau war damals schon kränklich. Die Schwestern und Brüder meines Großvaters, ich nannte sie Tanten und Onkel, konnten oder wollten mit mir nichts zu tun haben, da ich unerwünscht war und noch dazu von einem Italiener. Den Namen meines Vaters erfuhr ich erst viel später, mit vierundfünfzig Jahren. Er hieß Luigi. Mit meiner leiblichen Mutter hatten meine Onkel und Tanten auch sehr wenig Kontakt. Ich hatte sozusagen Schande über die Familie Hauser gebracht.

Wie ich erst viel später erfuhr, hatte meine leibliche Mutter mehr mit der Polizei zusammengearbeitet als mit den Verwandten. Sie lebte damals in der Stadt mit den sieben Hügeln, in Rom. Bei einer Offiziersfamilie diente sie als Hausangestellte.

Meine leibliche Mutter, Maria Hauser, geboren in Klausen 1920, war kaum volljährig, als sie mit mir schwanger wurde. Mein Vater wurde in Martignana di Po bei Casalmaggiore geboren. Auch er war Uniformträger und lebte in Rom. Kurz bevor ich zur Welt kam, holte mein Großvater seine Tochter nach Lana zurück. Großvater wollte nicht, dass sein Enkelkind unten in Italien auf die Welt kam. Leider war mein Großvater ein Deutscher durch und durch. Er hasste die Italiener zwar nicht, aber er mochte sie auch nicht. Deshalb bestand er darauf, dass seine Tochter ihr Kind in Bozen gebären sollte.

Ungehobelte Gestalten

Meine Tochter Hella fährt mit uns weiter bis zu dem Hof. Früher war dort ein schmaler Weg gesäumt von Eschenbäumen. Er führte direkt zum gesuchten Hof. Dieser Weg ist heute ausgebaut, sodass auch Autos darauf fahren können. In der Nähe des Hauses stand früher eine kleine Kapelle.

Ich denke an eine kleine Bank, die an der Kapelle angebracht war. Es war der Platz, wo ich meine ersten Lieder hörte. Eine gute Nachbarin bemühte sich, sie mir beizubringen. Sie sang mir vor: „Hänschen klein …“, „Wo’s Dörflein traut zu Ende geht …“ und auch: „Es wohnt ein Pfalzgraf überm Rhein …“. Als Schulkind musste ich immer weinen, wenn ich den Text über das Schicksal des dritten Töchterchens vom Pfalzgrafen hörte. So sehr erbarmte es mir.

Hinter der kleinen Kapelle stand damals eine alte Mühle. Die Unwetter hatten zweimal Teile davon fortgetragen, und der Bauer setzte sie wieder instand, denn er musste ja mahlen. Gut erinnere ich mich noch an das große Wasserrad, alles war aus Holz.

Ich war noch so klein und konnte den Zieheltern bei der Arbeit nicht helfen. So stand ich oft herum, spielte mit Fichtenzapfen oder Steinen. Mein Ziehvater hatte öfters Tagelöhner aus St. Martin, die bei der Feldarbeit halfen. Es waren zwei ungehobelte Gestalten, die auf dem Hof übernachteten.

Was ist richtig, was ist falsch?

Hella bringt uns bis zu dem Haus, das wir suchten. Ohne Zweifel war dieser Bauernhof in den Jahren 1939 bis 1946 meine erste Heimat. Hier habe ich gelebt, geweint und mich sehr gefürchtet. Von hier war ich in die Schule nach Saltaus gegangen.

Wenn ich nicht zur Schule ging, musste ich das Vieh hüten. Das tat ich sehr gerne, denn ich mochte das Vieh gut leiden. Keines der Tiere hatte mir jemals wehgetan.

Wenn ich mich an die Zieheltern erinnere, so denke ich oft an diese zwei Tagelöhner, die den Sommer über am Hof mitarbeiteten. Wie ein Spielzeug war ich für die jungen Männer. Mit einem Stück Schokolade oder Stollwerck lockten sie mich in ihre Kammer. Mit ihren Fingern untersuchten sie mich und lachten, redeten von irgendetwas, das ich nicht verstand. Ich spüre heute noch den Schmerz, den mir die Knechte mit ihren großen Penissen zufügten. Meine Schreie und mein Weinen hörte außer den beiden niemand. Der Jüngere hielt mir den Mund zu und wollte mich beruhigen. Aber der Ältere drohte mir mit furchtbaren Schlägen, sollte ich nur jemandem ein Wort erzählen.

Weil mir gelehrt wurde, immer die Wahrheit zu sagen, war die Enttäuschung umso größer, als ich erkannte, wie falsch und hinterhältig doch so mancher Erwachsene war. Auch diese beiden Knechte logen die Zieheltern an. Und diese wussten nicht den Grund, warum ich weinte und das Kleidchen blutverschmiert war. An meinen Füßen und Beinen hatte man öfters Kratzer gesehen, da ich ja im Sommer immer barfuß ging. Deshalb achtete die Ziehmutter nicht auf einige Blutflecken mehr auf meinem Kleid und dem Körper. Unterhose hatte ich ohnehin keine an, dafür einen langen schwarzen Kittel und eine Schürze, alles aus den Kleidern der Ziehmutter genäht.

Immer wieder hatte ich mit ihnen gehen müssen. Die Männer sagten, ich solle gehorchen, sonst käme ich in die Hölle und dort würde ich gebraten. Ich glaubte alles, was man mir sagte, und ich konnte nicht unterscheiden, was falsch und was richtig war.

Die Kühe und der Stier

Die große Not merkte man überall im Tal. Auch auf dem Hof, auf dem ich lebte, spürte man die harten Kriegstage.

Ich erinnere mich nicht mehr an das Essen und daran, was und wie viel meine Ziehmutter kochte. Aber dass ich oft Hunger spürte, das weiß ich noch gut. Gar oft schleckte ich von der Hundeschüssel etwas Essbares heraus. Grausen, dieses Wort kannte ich nicht, auch im späteren Leben hatte ich nie ein Problem mit dem Ekel.

Im Herrgottswinkel in der Stube stand eine hölzerne Statue, Jesus an der Geißelsäule. Er war mit einer Kette an den Händen angebracht. Die Knechte beschimpften mich und gaben mir die Schuld, dass der Christus dort hing. Als ich alleine in der Stube war, entfernte ich die Ketten von den Händen und legte sie daneben. Ich dachte mir, jetzt werden die Burschen wohl zufrieden sein. Aber es kam anders. Die Ziehmutter sah es und beschimpfte und schlug mich. Ich protestierte, aber sie hörte nicht, was ich ihr sagen wollte.

Am nächsten Tag wiederholten die Knechte das Gleiche. Sie sagten mir, ich sei schuld daran, dass Jesus so leiden musste. Und wieder löste ich die Ketten. Das ging einige Male, bis der Bauer die Knechte beim Mittagessen fragte, warum ich das tat. Daraufhin kam heraus, dass die zwei Männer Spaß mit mir trieben. Nun hatte ich zumindest in der Stube Ruhe von den Männern.

Aber wenn ich draußen wieder einmal mit den Fichtenzapfen spielte, die Fichtenzapfen waren meine Kühe, auch ein Stier musste dabei sein, so warfen mir die zwei Tagelöhner alles weg und machten meinen Stall kaputt. Oft weinte ich und ging in den nahe gelegenen Wald, um neue zu suchen.

Was sie sonst mit mir taten, darüber wurde nie geredet.

Sultan, meine erste große Liebe

Ich denke nicht nur zurück an die Menschen. Ganz besonders denke ich an den treuen Schäferhund Sultan. In den knapp acht Jahren, die ich auf dem Hof lebte, war dieser Hund lieb zu mir. Sultan beschützte mich vor den Schlägen der Menschen.

Oft wusste ich nicht einmal, warum man mir wieder eine Tracht Prügel versprach. Mein Kittel ließ sich schnell emporziehen und eine Birken-Rute war überall zu finden. Die brannte besonders auf meinem Körper. War ich in der Nähe des Hundes, so beschützte er mich mit einem Grollen und fletschte die Zähne vor meinem Peiniger.

Wie oft kroch ich in die Hundehütte, obwohl es mir die Menschen verboten hatten. Ich suchte Schutz in der Wohnung des lieben Sultan. Der Hund saß vor seiner Hütte und ließ niemanden näher an seine Behausung herantreten.

Oft spielte ich mit Sultan. Sogar auf seinen Rücken durfte ich klettern, er ließ es willig geschehen. Ich war sehr klein und mager. Manchmal leckte er mir Gesicht und Hände.

Ich verlor diesen treuen Vierbeiner bei einem schaurigen Erlebnis im Frühjahr 1945. Ein deutscher Soldat der SS streckte ihn durch eine Gewehrkugel nieder.

Sultan war meine erste große Liebe. Heute noch, nach über sechzig Jahren, denke ich oft an diesen verständnisvollen, treuen und lieben Hund.

Das Wassern

Im Sommer ging mein Ziehvater nach dem Heuschnitt auf die Wiese, um sie zu bewässern. Von einem großen Waal wurde das Wasser hinunter ins untere Feld geleitet. Ich durfte am unteren Ende der Wiese warten und mit einem Handzeichen dem Vater zu verstehen geben, wenn das Wasser bei mir angekommen war. Nun ging der gute Mann oben wieder weiter, dem Waal entlang mit Schaufel und Waalbrett, um an der nächsten Stelle das Wasser abzuleiten.

Auf diese Weise wurde die Wiese bewässert. Mit Freude sah ich, wie das Wasser immer näherkam und zwischen den Grasstoppeln hinunterrann. Jedes Mal freute ich mich auf diese Arbeit, hatte ich doch das Gefühl, dass ich gebraucht wurde. Und mein Ziehvater lobte mich hernach immer. Das tat mir wohl, darum ging ich sehr gerne mit diesem Mann auf die Wiese.

Der Pfiff des Bauers

Regnete es, wie so oft, so waren die Tagelöhner in ihrer Kammer anzutreffen, die am Futterhaus angebaut war. Sie schliefen oder machten allerlei Unfug. Nur zu den Mahlzeiten kamen auch sie in die Stube zum Essen. Da der Ältere sehr faul war bei der Arbeit, musste ihn der Bauer immer wieder ermahnen. Er konnte ihn gar nicht leiden. Nur den Jüngeren lobte er manchmal und war zufrieden mit ihm.

Im Herbst ging der Bauer öfters auf den Acker, auf dem der Mais reifen sollte. Ich durfte ihn dabei begleiten. Nächtliche Räuber, wie der Dachs, zerstörten oft so manchen schönen Maiskolben. So zündete der Bauer an den Ackerrändern alte Wäschelumpen an. Angeblich verscheuchte dieser Rauchgestank die Tiere. Dabei konnte ich zusehen, wie der Vater von einer brennenden Huder zur anderen lief.

Öfters kam es auch vor, dass ein Mann aus dem Wald herangeschlichen kam und mit meinem Ziehvater leise sprach, dabei schielten sie in alle Richtungen, ob sie ja von niemandem beobachtet würden. Der Vater erklärte mir: „Diese Männer werden verfolgt, sie müssen sich verstecken.“ Ich wusste allerdings nicht, warum und vor wem sie davonliefen.

Einmal im Wald, neben dem Steig nach Saltaus, mein Ziehvater fing gerade mit dem Sortieren der Baumstämme an, kam ein Mann in zerlumpter Kleidung aus dem Wald. Der Fremde rannte so schnell es ihm möglich war zu meinem Ziehvater. Als der Vater ihn sah, nickte er ihn heran und versteckte ihn unter Ästen und Reisig. Dabei trug er mir auf, in keinem Fall die Wahrheit zu sagen, wenn jemand nach dem Fremden fragen würde.

Kaum hatte der Bauer den letzten Satz gesprochen, stürmten zwei uniformierte Männer zwischen den Bäumen heraus, mit dem Gewehr im Anschlag. Mein Ziehvater tat sehr überrascht und die Fremden schrien ihn an, ob er einen Flüchtigen gesehen hätte. Der Vater sagte den Uniformierten: „Ja, ein Mann lief vorbei in Richtung Saltaus, mehr weiß ich nicht.“ Auch mich fragten sie mit einem weicheren Ton in der Stimme, ob ich ihn gesehen hätte. Ich nickte, sprechen konnte ich vor lauter Angst nicht.

Die Männer entfernten sich rasch in Richtung Saltaus. Der Vater arbeitete weiter mit den Fichtenzweigen. Er häufte sie schön zusammen. Es dauerte lange, und dann gab er einen Pfiff, ein Zeichen. Und der Untergegrabene kroch wieder heraus und verschwand.

Der ermordete Freund

In diesem Jahr kamen öfters Flüchtende zum Haus, um ein bisschen Essbares zu erbitten, auch um Schutz zu suchen. Ich weiß, dass meine Zieheltern diesen zerlumpten, ängstlichen Menschen immer halfen, entweder mit einer Stärkung oder sie gaben ihnen Schutz, wenn es irgendwie möglich war.