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Mein erstes Bier trank ich mit vierzehn. Wer unter meinen Leuten am meisten trinken konnte, war der Held. Ich liebte es, der Held zu sein. Während der Ausbildung zum Altenpfleger und später zum OTA war meine Welt voll in Ordnung und ich trank wie jeder andere auch. Tat ich das? Alle, die meine Trinkgewohnheiten anmahnten, hatten mal so gar keine Ahnung. Auch nach mehreren Entgiftungen, Therapien und Obdachlosigkeit hatte ich alles im Griff. Ich krieg` das schon hin! Ich brauch` keine Hilfe! Was da noch auf mich zukommen würde und wie viel Demut ich zu lernen hatte, davon hatte ich ja keine Ahnung
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Seitenzahl: 166
Veröffentlichungsjahr: 2013
www.tredition.de
Timo
Timo Schüsseler
Vom Nullpunkt in ein neues Leben
www.tredition.de
©2013 Timo Schüsseler
Ein ganz herzlicher Dank an
Angelika Knöpker für die Motivation und redaktionelle Unterstützung
Foto: Rolf Schüsseler
Vorwort: Hermann Wetterkamp, Diplom Sozialarbeiter Fachbereichsleiter quadro Ahlen
Verlag: tredition GmbH, Hamburg ISBN 978-3-8495-7433-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
Vorwort
Als mich Timo bat, ein Vorwort für sein Manuskript zu schreiben, war ich zuerst etwas unsicher. Warum fragt er ausgerechnet mich? Welche Rolle kommt mir da zu? Zur Erklärung: Ich bin Dipl. Sozialarbeiter und arbeite bei der quadro-Suchtberatung des Caritasverbandes für das Dekanat Ahlen e.V.. Timo ist bzw. war mein Klient, ich kenne ihn seit 2007, aber davon später mehr.
Zur Entscheidungsfindung nahm ich mir erst mal vor, das Manuskript zu lesen. Einen ersten, noch unfertigen Entwurf hatte ich bereits vor einiger Zeit gelesen. Mittlerweile hatte Timo weiter daran gearbeitet und eine Redakteurin hatte Korrektur gelesen.
Timo brachte mir die CD mit dem Manuskript ins Büro, und da ich bis zum Feierabend noch ein wenig Zeit hatte, fing ich im Büro schon an zu lesen. Obwohl mir die Geschichte ja eigentlich bekannt war, fesselte mich der Text gleich vom ersten Satz. Zuhause las ich, bis spät in die Nacht, das gesamte Manuskript. Timos authentische und schonungslose Art zu schreiben zieht einen sofort in seinen Bann. Dabei beschreibt er seinen Absturz so realistisch, dass vor dem inneren Auge sofort Bilder entstehen, die einen mitfühlen und mitleiden lassen. Durch seinen Stil zu schreiben, gelingt ihm dabei, bei aller Tragik, eine spannende Geschichte zu erzählen, die durch ihren streckenweise schwarzen Humor, den Leser auch zum Lachen bringen kann. Nachdem ich das Manuskript zu Ende gelesen hatte war ich mir sicher, dass ich dafür gerne ein Vorwort schreiben werde.
Timo kenne ich seit dem Sommer 2007. Damals kam er in mein Büro und berichtete, er mache zurzeit eine stationäre Reha wegen seiner Alkoholabhängigkeit. Vor der Therapie habe er täglich bis zu anderthalb Kisten Bier getrunken. Seine Wohnung sei vermüllt und er habe zeitweise Suizidgedanken. Vor mir stand ein netter, sympathischer junger Mann. Timo war gerade mal 30 Jahre alt! Er hatte eine Ausbildung als Krankenpfleger; eine zweite Ausbildung zum Operationsassistenten hatte er wegen Depressionen nicht beenden können.
Er berichtete, er wolle gerne die Nachsorgegruppe bei uns besuchen. Gleichzeitig erkundigte er sich nach einer Selbsthilfegruppe. Der Plan war gut, Timo wirkte sehr motiviert. Leider trat er die Nachsorge nicht an, meldete sich noch sporadisch ein paarmal, war aber offensichtlich schon wieder rückfällig und ich konnte ihn im Gespräch nicht mehr wirklich erreichen.
2008 tauchte er noch einmal kurz in der Beratungsstelle auf. Die angebotene Hilfe (ambulant betreutes Wohnen für Suchtkranke) kam jedoch nicht zustande, weil Timo keine weiteren Termine wahrnahm.
Kurz vor seiner Entlassung aus der dritten stationären Reha, im Februar 2009, sah ich ihn dann noch einmal. Timo hatte sich in dieser Zeit allerdings verändert. Er wirkte nicht mehr so motiviert - fast ein wenig überheblich - und ich hatte das Gefühl, er nahm seine Krankheit nicht ernst genug. Von der Nachsorgegruppe wollte er diesmal nichts wissen und auch weitere Hilfen lehnte er ab. Sein Plan war, sich schnell eine neue Wohnung und eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Während des Gespräches war zu spüren, dass Timo sich selbst etwas vormacht. Einige Wochen später tauchte er dann noch einmal bei mir auf und berichtete, jetzt wolle er doch die Nachsorgegruppe besuchen, gekommen ist er jedoch nicht. Wie schon mehrfach in der Vergangenheit schien Timo Hin und Her gerissen zu sein. Letztlich war die Sucht erneut stärker.
Wiedergesehen habe ich Timo dann erst 2011. In meiner Mittagspause in einem Supermarkt, sprach mich jemand an. Die Stimme kam mir bekannt vor, die dazugehörige Person erkannte ich jedoch nicht auf Anhieb. Timo hatte sich äußerlich stark verändert. Aus dem jungen, sympathischen sportlichen Timo war ein von seiner Alkoholsucht gezeichneter, leicht übergewichtiger Mann geworden, der offensichtlich kognitive Einschränkungen hatte. Obwohl er seit Langem kein Alkohol mehr getrunken hatte, klang seine Stimme lallend und undeutlich. Wir unterhielten uns kurz und ich erfuhr den Grund seines Zustandes. Timo hatte die Kurve nicht mehr rechtzeitig gekriegt und war dem Tod noch mal ebenso von der Schüppe gesprungen, der Alkohol hatte jedoch deutliche Spuren hinterlassen.
Auf dem Weg zurück in mein Büro ging mir die Geschichte nicht mehr aus dem Kopf. Bei aller professionellen Distanz, ist es eben doch nicht immer so einfach, mitzuerleben, welche Folgen die Krankheit „Alkoholabhängigkeit” haben kann. Solche Schicksale, wie das von Timo, sind dabei leider bittere Realität. Auch wenn wir in der Suchtberatung vielen Menschen helfen können, es gibt immer Einige, die wir nicht erreichen. Nicht umsonst sterben in Deutschland jährlich ca. 74.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholabhängigkeit bzw. ihres riskanten Alkoholkonsums. Das sind mehr als 200 Menschen pro Tag. Alkoholbedingte Unfälle sind bei dieser Zahl nicht enthalten. Timo hatte also noch Glück, nicht in dieser Statistik zu erscheinen.
Seit unserem Wiedersehen im Supermarkt sind mittlerweile gut zwei Jahre vergangen. Timo geht es wieder besser, gesund ist er deshalb aber nicht. Alkoholabhängig wird er für den Rest seines Lebens bleiben. Diese (chronische) Krankheit ist nicht heilbar. Doch es gibt Wege mit der Sucht ein gutes Leben zu führen. Dafür braucht man jedoch Geduld, (therapeutische) Unterstützung und – mit das Wichtigste – die Einsicht, dass man krank ist. Timo ist auf einem guten Weg, aber auch für ihn bedeutet das, dass er diese Krankheit in sein Lebenskonzept integrieren muss.
Seit Frühjahr 2012 habe ich wieder regelmäßig Kontakt zu Timo. Damals besuchte er mich und berichtete von seiner Idee zu diesem Buch und bat mich sein erstes Manuskript zu lesen. Beeindruckt von seiner Geschichte, entstand in der Folge die Idee, gemeinsam ein Präventionskonzept für Schulklassen zu entwickeln. Bereits der erste Test war gleich ein Erfolg. Die Schülerinnen und Schüler hörten gebannt Timos Geschichte. In der Klasse war es „mucksmäuschenstill”. Mit seiner beeindruckenden Offenheit gelang es Timo, eine emotional bewegende Atmosphäre zu schaffen. Wie von selbst entwickelt sich ein intensives Gespräch über Alkohol, Sucht und Abhängigkeit. Für uns als Suchtberatungsstelle ist Betroffenheit ganz wichtig, da wir dadurch tatsächlich deutlich mehr Kinder und Jugendliche emotional erreichen, als mit vielen anderen Präventionsbaustein.
Bei aller Tragik die hinter Timos Schicksal steckt, vor diesem Hintergrund betrachtet, erscheint seine Geschichte als Fügung. Offensichtlich musste Timo selbst erst ganz unten ankommen, um vom Alkohol los zu kommen. Gleichzeitig berührt er mit seiner dramatischen Schilderung seines „Nullpunktes” aber auch Menschen. So offen über seine Krankheit zu reden, ist bestimmt nicht immer einfach. Dazu gehört Mut und dafür gebührt Timo mein Respekt. Gleichzeitig leistet er mit seiner Geschichte einen wichtigen Beitrag zur Suchtprävention, für den ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei ihm bedanken möchte.
Dass er seine Geschichte nun auch niedergeschrieben hat und damit eine breitere Öffentlichkeit an seinem Schicksal teilhaben lässt, ist für die Präventionsarbeit sicherlich eine Bereicherung. Auch wenn Timo mit dem vorliegenden Buch nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt (muss er auch gar nicht) und seine schonungslose Art zu schreiben auch nicht jedermanns Sache ist, so hinterlässt sein Schicksal doch meist einen nachdenklichen und betroffenen Leser. Seine Geschichte lässt sich daher optimal im Unterricht im Rahmen der Suchtprävention einsetzten. Selbstverständlich ist das Buch aber auch jedem erwachsenen Leser zu empfehlen. Für eine Auseinandersetzung mit der „Volksdroge Alkohol” ist man schließlich nie zu alt. Von daher wünsche ich Timo mit der Veröffentlichung seines Buches von ganzem Herzen viel Erfolg.
Ahlen im Dezember 2013
Hermann Wetterkamp
quadro Sucht- und Drogenberatung
Caritasverband für das Dekanat Ahlen e.V.
7. September 2010
Ich werde wach, draußen ist es verdammt hell. Wie immer läuft der Fernseher noch. Ich spüre, wie einer der mich in den letzten Monaten und Jahren verfolgenden Würgeanfälle über mich hereinkommen will. Und ich weiß, dass es nur ein Mittel gibt, das helfen kann.
„ Hoffentlich ist in der Flasche Hörner-Whiskey noch was drin. Unter Würgen versuche ich aufzustehen, raus aus dem Bett, aber schaffe es gerade so auf der Bettkante zu sitzen.
Ja, das Bett, das schon Wochen nicht mehr bezogen wurde und so wie ich einfach nur abstoßend ist. Jetzt wird das Würgen zum „Fast-kotzen”, nur die Erlösung ist mir seit der Magenoperation vor zehn Jahren nicht mehr vergönnt.
Ich sitze auf der Bettkante und würge so sehr, dass ich Probleme mit dem Atmen bekomme und schwitze. Während des Würgens verkrampft mein ganzer Oberkörper und mein Magen tanzt mit meinem Zwerchfell einen Takt, der nicht auszuhalten ist. Mir hängen meine seit Tagen nicht mehr gewaschenen, stinkenden Haare ins Gesicht. Und ich bringe nur Schleim hervor, den ich in eine extra dafür schon bereitgestellte Schüssel laufen lasse.
Die Anstrengung des Würgens ist für mich vergleichbar mit einem Kilometerlauf. Nach so einem Anfall bin ich so erschöpft, dass ich gleich wieder pennen müsste, aber wie soll ich bloß den Alkohol in mich reinkriegen, damit das aufhört?
Nach zehn Minuten zwischen schlucken und Atemnot wird das Würgen weniger und ich nehme den ersten großen Schluck. Wärme macht sich in meinem Magen breit. Entspannung! Aber nur kurz. Beim Würgen muss ich husten und mein Schließmuskel kann dem Druck nur schwer standhalten. Versuche, mich hinzustellen sind genauso zum Scheitern verurteilt wie vor drei Stunden, als ich es das das letzte Mal versucht habe. Also auf allen Vieren zum Klo - hoffentlich schaff ich das rechtzeitig. Auf halben Weg Pech gehabt. Nächste Unterhose versaut. Unterhose ausgezogen, den Po irgendwie auf den Knien im Bad saubergemacht und zurück in den Wohn-Schlafraum, Alkohol auffüllen.
Sitze vorm Fernseher, kriege nichts mit und schütte angewidert abwechselnd Kräuterschnaps und Bier in mich rein. Das Bier ohne Kohlensäure, die verträgt mein Magen schon lange nicht mehr. Magen - ach ja - da war doch noch was: wann habe ich das letzte gegessen? Kann mich nicht genau daran erinnern, muss aber so vor vier oder fünf Wochen gewesen sein, na ja, Bier hat ja auch Kalorien.
„Pegel steig!”, sonst schaffe ich den Tag nicht, denke ich. Mein Oberbauch tut höllenmäßig weh, mein Husten schmerzt, bei jedem Zug an der Zigarettenkippe huste ich mir die Seele aus dem Leib. Dann noch diese verfluchten Schmerzen im linken Arm. Scheiße, wenn man sich bei einem Sturz aus dem Bett den Arm bricht und das nicht richtig verarzten lässt. Den Bruch habe ich mir in einem Moment des niedrigen Promillepegels diagnostizieren lassen. Nur der anschließenden Therapie stand der Alkohol im Weg. Ibuprofen, ein Schmerzmittel, das ich in den letzten Wochen gefressen habe wie Bonbons, habe ich auch nicht mehr.
Da fällt es mir wieder ein: heute soll ja jemand vom Sozialpsychiatrischen Dienst kommen. Schaue mich in der Wohnung um: überall leere Bier- und Schnapspullen, Müll überall und ich verwahrlost nackt im Sessel. Na prima. Okay, dann kriegt die Person eben die volle Säufer-Realität zu sehen. Bin mir im Klaren, dass es so nicht weitergeht und froh, dass sich meine hilflose Situation jetzt schlagartig ändert.
Videotextuhr sagt 8:30 Uhr, o Gott, die kommt erst um 15 Uhr. Mein Magen will auf einmal den Stoff nicht mehr, egal, wieder würgen, saufen, würgen, saufen.
Vor ca. fünf Wochen ging es mir für einen Säufer echt gut, meine „Tyrannenperle” ist endlich abgehauen, Rückzahlung vom Strom, mein einsames Leben hatte mich wieder. Mit der Kohle direkt zum Laden und mein Säuferherz frohlockte: nimm Dir, was Du begehrst, Du hast zu feiern. Kein Gemoser, kein Gezicke, keine Schläge mehr gegen den gebrochenen Arm. Ja, auch Kerle werden geschlagen. Heidewitzka lass laufen in den Hals, was geht. Als dann der stetige Entzug mich hinderte einzukaufen, habe ich ein Taxi angerufen und den Alkohol nach Hause bestellt: zwei Flaschen Kräuterschnaps und 10 Kannen Bier, aber das billigste. Taxi kostet ja auch.
Der Fahrer könne nicht bis zur Wohnungstür kommen, sagte die Dame in der Taxizentrale eines Abends. Was nun? Ah, der nette Nachbar fährt bestimmt eben für mich aus dem 7. Stock mit dem Fahrstuhl runter. Tat er auch. Prima, lass ….Hoffentlich ist es bald 15 Uhr. Leider denkt man schneller als die Zeit vergeht.
Hoffentlich reicht der Alkohol bis dahin. Noch mal ins Bett? Ne, mit so niedrigem Pegel ist an schlafen nicht zu denken. Aber ich habe ja noch eiserne Reserve. Ein guter Suchti hat immer Reserve, aber wo? Die Schmerzen und der zu niedrige Alkpegel hindern mich am ziel gerichtetem Denken. Meine Ex hat ihn immer im Schrank versteckt, also versuche ich aufzustehen. Versuch wieder gescheitert. Ich liege zusammen mit dem Sessel vor dem Schrank und komm einfach nicht hoch, keine Kraft. Mensch reiß dich zusammen, du MUSST an den Stoff. Zerre mich am umgefallenen Sessel hoch, dann am Schrank, mit letztem Einsatz komme ich an das Kräuterschnapsglück dieser Welt. Und sitze prompt wieder auf dem Boden. Glück gehabt, die Pulle blieb heile. Bis ich wieder im Sessel sitze, dauert es geschlagene 20 Minuten. So, genug Stoff wäre da, aber auch mit mehr Alkohol geht es mir nicht besser.
So wie ich alle, die mir „helfen” wollten, entweder abgewimmelt oder belabert habe. Aber jetzt brauche ich ihre Hilfe dringend. Hoffentlich kommt sie auch. Würde mich nicht wundern, wenn sie es aufgegeben hätte, so wie alle anderen auch. Würgen - wie viel muss ich diesmal reinschütten, damit wenigstens mein Magen Ruhe gibt? Muss pinkeln. Aufstehen- ne besser gleich auf allen Vieren und zum Klo gekrabbelt. Wenn man so vor dem eigenen Klo kniet und in einem klaren Moment realisiert, dass das dreckigste Klo der Stadt bei einem selber steht, das sind kurze Momente der Entrüstung auf dem Weg nach ganz unten, ach nee da bin ich ja schon.
Ich flehe um Hilfe. Kann mich beim Pinkeln kaum auf dem Klo halten. Der schwarze Urin und Kot stinken wie die Pest. Bin ich innerlich am Verwesen? Gott sei Dank hab ich noch Klopapier. Es gab mal ne Zeit, da hatte ich keins. Meine Ex war weggefahren und um mich am Trinken zu hindern, hat sie auch kein Geld bei mir gelassen. Und das Geld aus den Pfanderlösen ist natürlich für Alkoholnachschub draufgegangen. Naja, jetzt ist es ja da. Arsch sauber, aber von hier komm ich nicht an die Spülung, wie schon so oft nicht. Aber diese Klo-Realität will ich meiner Retterin dann doch ersparen und kämpfe mich unter Schmerzen, Ekel und Würgen wieder auf die Brille. Als ich das Wasser rauschen höre, bin ich erleichtert. Als ich wieder im Sessel sitze, ist fast eine Stunde vergangen für eine Verrichtung, die früher fünf Minuten gedauert hat.
Mein Pegel ist wieder abgefallen, ich bin völlig erschöpft und die Sekunden vergehen wie in Zeitlupe. Schlucken, rauchen, warten - das ist die Aufgabe. Ah, mein Pegel bessert sich, sagt mein Kopf - vielleicht doch aufräumen - nee, das klappt nicht. Was soll ich bloß tun? Ich trinke noch schneller, jetzt auch wieder Bier, mein Magen hat, wie immer bei dem Pegel, seine Gegenwehr eingestellt. Gut so, kann ja bis in die Entgiftung nicht trocken fahren. Das wäre ja auch zu gefährlich wegen Krampf und Delirium und so. Mist, wenn die kommt, komm ich vielleicht gar nicht zur Tür, um aufzumachen und wenn die dann wieder abhaut? Beim nächsten Klogang Schlüssel von außen in die Tür stecken, besser ist das. Oh, bin wieder eingepennt, nun ist es 13Uhr, jetzt muss ich wach bleiben zum Pinkeln und saufen nicht nachlassen, bin wieder kurz vorm Würgen, erst oben rein, dann unten raus. 14 Uhr: Schlüssel in der Tür, Pegel einigermaßen in Ordnung. 14.45 Uhr klopft es.
„Frau S…..?”
„Ja”
„Schließen Sie bitte selbst auf, ich schaff` es nicht zur Tür”. Ich sehe, dass es zwei Personen sind.
„Sie sind ja nackt und machen Sie mal das Fenster auf, der Gestank ist ja nicht zum Aushalten, wir warten im Hausflur.”
„Das schaffe ich nicht”.
„Anziehen müssen sie sich schon alleine”.
Scheiße, wie soll ich denn an den Kleiderschrank kommen und ist da überhaupt noch was drin? Erstmal noch zwei Schluck nehmen. Fenster mach ich so auf kipp. Gott sei dank ist die Balkontür von meinem Sessel aus zu erreichen.
“Frau S….., wir brauchen gar nicht lange reden, schaffen Sie mich bitte in die Entgiftung, ich kann nicht mehr und danach muss ich in stationär betreutes Wohnen”
„Ziehen sie sich bitte erstmal was an, aber anders geht es wirklich nicht”.
Krabbel an meinen Schrank. Gott sei dank, eine Unterhose und eine Shorts samt Shirt finde ich auch auf Knien. Im Sitzen angezogen, zurück zum Stuhl. Meine Retterinnen telefonieren, in mir entspannt sich fast alles, und ich gebe mein Schicksal in ihre Hände.
„Der Krankenwagen kommt gleich und fährt Sie in die Psychiatrie zur Entgiftung”
„Danke, Danke, Danke” - den Schnaps muss ich noch leer machen und eine rauchen. Hoffentlich kommt mein Bruder nicht, mich abzuholen, denn seinem Ansehen als Rettungsassistent will ich nicht schaden, obwohl sie über meinen Namen wissen, wer ich bin.
Die Flaschen sind leer, als zwei Rettungsassistenten angewidert meine Bude betreten.
Schnell noch meine Geldbörse mit Versichertenkarte, Schlüssel, Tabak und Feuerzeug in eine Plastiktüte gepackt und los geht’s. Ich soll zu Fuß zum Fahrstuhl, das schaff ich niemals. Die netten Rettungsassistenten stützen mich beim Laufen, und als ich im Fahrstuhl stehe, sorgen sie dafür, dass ich nicht zusammensacke. Sie stellen mich in eine Ecke und lehnen sich gegen mich. Ich bin so hilflos, dass ich nicht zum Ausdruck bringen kann, wie dankbar ich bin.
Vor dem Hochhaus stehen zig Menschen, wie immer wenn irgendwo ein Feuerwehrwagen steht. Sie begaffen den völlig fertigen Hartz-4-Alkoholiker - Asi, der da gerade abtransportiert wird. Klischee erfüllt. Ich liege im Wagen und bin sehr erleichtert. Die Fahrt dauert so erfahrungsgemäß 40 bis 50 Minuten. Wenn ich privat gefahren wurde, konnte ich noch immer mal was trinken, aber jetzt bin ich schon nach zehn Minuten auf Entzug. Kann auch etwas trinken, der Rettungsassistent gibt mir Wasser.
An der Klinik angekommen, hoffe ich, auf die Station zu kommen, wo ich schon bekannt bin. Dort bin ich hingekommen, als ich noch auf meinen eigenen Füssen stehen konnte.
Auf die teilgeschlossene Abteilung zu kommen, war ok in meinem Zustand. Aufnahmeuntersuchung durch die Ärztin: sie hat meine Akte, man kennt mich hier und ich versuche, mich wie immer souverän zu geben, was mir bei meinem Alkoholpegel auch gelingen dürfte. 2,65 Promille, da hatte ich aber früher schon mal mehr. Wieso geht’s mir dann so schlecht? Untersuchung abgeschlossen, wurde als völlig fertig und verwahrlost eingestuft. Hat sie aufgeschrieben, dass ich ins betreute Wohnen muss? Bin erstmal alleine auf dem Zimmer. Das ist auch gut so, ich stinke nach Alkohol und wochenlanger fehlender Hygiene. Habe unterschrieben, dass ich mit der Einweisung auf die teilgeschlossene Station einverstanden bin. WICHTIG, das war meine eigene, freiwillige Entscheidung. Mist, dass der Alkohol mich schon wieder fremdbestimmt. Es geht einfach nicht mehr anders.
Ich glaube, ich schätze meine verwahrloste, zerstörte, parasitäre Existenz schon richtig ein. Mist, die Fahrt war so lang, ich merke, wie ich immer mehr auf Entzug komme. Kenne mich aus damit: viel Wasser trinken beschleunigt das Entgiften und der Horror ist nicht ganz so schlimm. Leber, verlass mich nicht. Husten, Husten, Husten. Mensch die müssen mich diesmal echt durchchecken. Husten hört gar nicht auf, kriege ganz schwer Luft. Klingeln ? Ach was, das ist der Entzug, kenn` ich ja schon, gleich geht das Würgen wieder los. So, jetzt krieg` ich langsam Angst: das ist nicht wie ein normaler Entzug: immer mehr Husten, immer weniger Luft. Ich klingel.
Die Schwester kommt.
„Was kann ich für Sie tun?”
„KKKeineLLuuft”.
Auch die Ärztin fragt: „Was kann ich tun?”