Vom "Versehrtenturnen" zum Deutschen Behindertensportverband (DBS) - Bernd Wedemeyer-Kolwe - E-Book

Vom "Versehrtenturnen" zum Deutschen Behindertensportverband (DBS) E-Book

Bernd Wedemeyer-Kolwe

4,7

Beschreibung

Versehrtenturnen, Taubstummenturnen, Blindensport, Behindertensport, Gehörlosensport, paralympischer Sport — die Bezeichnungen mögen sich in den letzten 150 Jahren geändert haben, doch das Phänomen ist gleich geblieben: Menschen mit unterschiedlichen Formen von Beeinträchtigungen möchten sich bewegen, gemeinsam oder alleine Sport treiben und Erfolge über sich und andere feiern. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts organisierten sich in Deutschland erste Turnvereine für Menschen mit Behinderungen. Die wechselvolle Geschichte des Behindertensports von seinen Anfängen im Kaiserreich über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis in die beiden Deutschlands nach 1945 erzählt jetzt das neue Buch des Historikers und Volkskundlers Bernd Wedemeyer-Kolwe. Es wurde initiiert vom Deutschen Behindertensportverband, der in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen feiert. Damit bildet das Werk nicht nur die erste Gesamtdarstellung des deutschen Behindertensports, sondern ist auch eine der ersten unabhängigen Studien, die ein deutscher Sportverband zu seiner Geschichte in Auftrag gegeben hat.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 520

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,7 (18 Bewertungen)
13
5
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernd Wedemeyer-Kolwe

Vom „Versehrtenturnen“ zum Deutschen Behindertensportverband (DBS)

Eine Geschichte des deutschen Behindertensports

Arete Verlag Hildesheim

Die Erstellung dieses Buches wurde initiiert

vom Deutschen Behindertensportverband e.V.

Bibliografische Informationen

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2011 Arete Verlag Christian Becker

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Dies gilt auch und insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmungen und die Einspeicherung sowie Datenvorhaltung in elektronischen und digitalen Systemen.

Layout/​Satz/​Umschlaggestaltung: Composizione Katrin Rampp, Kempten

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN 978-3-942468-71-8

Vorwort

Wenn ein Verband oder Verein in einem Jubiläumsjahr ein Buch heraus gibt, sind die Erwartungshaltungen der Mitglieder eigentlich festgelegt:

Ist die jeweilige Sicht der Geschichte oder sind die Abläufe richtig und vor allem umfassend wiedergegeben? Kommen alle handelnden Personen auch angemessen vor? Sind vor allem Erreichtes und im Sport die Erfolge, Medaillen und Meisterschaften lückenlos aufgeführt?

Dieses Buch erfüllt solche Erwartungen nicht; aber das war weder Auftrag noch Idee, die am Anfang des Entstehungsprozesses dieses Buches standen.

Unter dem Motto „Wer nicht weiß, wo er herkommt, kann auch nicht seine Zukunft gestalten“ führte mein Vorgänger im Amt, Karl Hermann Haack, der ehemalige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, einen Präsidiumsbeschluss herbei, eine Studie zur Entwicklung des Behindertensports in Deutschland anfertigen zu lassen.

An dieses schwierige Themas hat sich Prof.Dr.Dr.Bernd Wedemeyer-Kolwe herangewagt, der sein Fachwissen bereits im Zusammenhang mit der Erstellung des Buches über die Geschichte des Behindertensports in Niedersachsen unterstrichen hatte.

Entstanden ist dabei (auftragsgemäß) die erste bundesweite unabhängige kritisch-historische Studie zur Geschichte des Sports für Menschen mit Behinderung. In Anbetracht einer schwierigen Quellenlage und oft nicht mehr recherchierbaren Entwicklungen ist die Buchvorlage das Ergebnis dessen, was mit wissenschaftlichen Methoden zu erarbeiten war.

Eine solche wissenschaftliche Darstellung kann zwangsläufig die Leistungen einzelner Menschen, die selbst mit starker Behinderung in den Vereinen, in den Landesverbänden und im Deutschen Behindertensportverband (DBS) in Form einer Leistung zur Selbsthilfe die Geschichte vor Ort ganz konkret mitgeschrieben haben, nicht angemessen würdigen. Dies wäre Auftrag einer Chronik des deutschen Behindertensports. Diese zu schreiben zählt gewiss mit zu den zukünftigen Aufgaben unseres Verbandes.

Wäre eine Chronik doch in der Lage, alle diejenigen zu nennen und ihnen zu danken, um ihnen ihren Platz in der Verbandsgeschichte einzuräumen, den sie als Sportlerinnen und Sportler, Übungsleiter, Trainer, Betreuer, Ärzte, Physiotherapeuten, Mitgliedern von Leitungsgremien oder einfach „nur“ Helferinnen und Helfer mit den Verantwortlichen in den Geschäftsstellen in den vergangenen Jahrzehnten ausgefüllt haben. Das geschah überwiegend in ungezählten Stunden ehrenamtlicher Arbeit, die die positive Entwicklung innerhalb des Behindertensports erst möglich gemacht hat.

Unvollständig wären diese Aufzählungen auch, wenn hier nicht die zunehmende Unterstützung unseres Sports durch „Hilfe von außen“ in Politik, Gesellschaft und bei den Sponsoren Erwähnung finden würde.

Danke.

Friedhelm Julius Beucher

Präsident des Deutschen Behindertensportverband e.V.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Einleitung

I Die Vorgeschichte des modernen Behindertensports

1. Zivilbehindertensport im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

2. Kriegsversehrtensport im und nach dem Ersten Weltkrieg

3. Behindertensport im Nationalsozialismus von 1933 bis 1939

4. Versehrtensport im Zweiten Weltkrieg (1939–1945)

4.1 Versehrtensport in der Wehrmacht

4.2 Versehrtensport in der SS

4.3 Das Reichsversehrtensportabzeichen

II Die Entwicklung des Versehrten- und Behindertensports in den westdeutschen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland (1945–1990)

1. Die Situation der Menschen mit Behinderungen in den ersten Nachkriegsjahren und in der frühen Bundesrepublik

2. Sport und Versehrtensport in den unmittelbaren Nachkriegsjahren

2.1 Die Anfänge des vereinsorganisierten Versehrtensports

2.2 Die Gründung und Etablierung der Landesverbände

2.2.1 Organisation und Betreuung der frühen Versehrtensportgruppen

2.2.2 Die Gründung der Landesverbände

2.2.3 Aufgaben der Landesverbände

2.2.4 Mitgliederprofile und Mitgliederentwicklung

3. Der Bundesverband DBS

3.1 Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Versehrtensport

3.2 Von der ADV über die DVS zum DBS

3.3 Problemlagen

3.3.1 Generationskonflikte und Vergangenheitsbewältigung

3.3.2 Interessenskonflikte und das Problem der Gruppenheterogenität

III Die Entwicklung des Versehrten- und Behindertensports in der Sowjetischen Besatzungszone/Deutschen Demokratischen Republik (1945–1990)

1. Die Situation der Menschen mit Behinderungen in den Nachkriegsjahren

2. Sport und Versehrtensport in der SBZ und in der frühen DDR

3. Von der Sektion Versehrtensport zum DVfV (1953–1959)

4. Der DVfV bis zum DTSB-Förderbeschluss (1959–1975)

5. Die letzte Phase des DVfV (1975–1989/90)

IV Der DBS nach 1990: Resümee und Ausblick

Anmerkungen

Quellen und Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Der moderne Vereins- und Verbandssport kann in unserer Gesellschaft mittlerweile auf eine fast 140-jährige Geschichte zurückblicken. Die ersten regulären Sportvereine entstanden in den 1870er-Jahren, und die ersten modernen Sportfachverbände wurden – wie der Deutsche Ruderverband, der Deutsche Radfahrerbund und der Deutsche Schwimmverband – in den 1880er-Jahren ins Leben gerufen. 1917 gründete sich mit dem Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen die erste Vorgängerorganisation des 1950 entstandenen Deutschen Sportbundes (DSB), der 2006 mit dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) fusionierte.

Die Turnbewegung indes ist noch älter. 1811 gründete Friedrich Ludwig Jahn auf der Hasenheide in Berlin den ersten Turnplatz. 1816 entstand mit der Hamburger Turnerschaft der erste Turnverein, und 1868 wurde mit der Deutschen Turnerschaft die Vorgängerorganisation des heutigen Deutschen Turnerbundes (DTB) gegründet. Der DTB ist als (Fach)Verband für Turnen, ebenso wie die anderen Fachverbände, die jeweils eine Sportart vertreten, ein Mitglied im DOSB, dessen Vereine und Verbände mit ihren über 23 Millionen Mitgliedern damit zum Teil auf eine 200-jährige Geschichte zurückblicken können.

Die Geschichte etlicher dieser Vereine und Verbände und auch des DSB ist vielfach schon Gegenstand historischer Untersuchungen gewesen. Gerade ein so populärer Vereinssport wie Fußball – aber auch andere Sportarten und Sportorganisationen – hat bislang etliche Chronisten und viele kritische Historiker zu Studien angeregt. In der Regel haben diese Verfasser Sport und Sportorganisationen als Spiegelbild der jeweiligen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse aufgefasst. Viele „Sportgeschichten“ sind deshalb auch kritische politische Geschichten geworden, die sich – wie die 2005 erschienene Studie von Niels Havemann zum „Fußball unterm Hakenkreuz“ – dezidiert mit Befindlichkeiten und, auch unheilvollen, Kontinuitäten im deutschen Sport auseinandergesetzt haben.

Eine Geschichte des deutschen Behindertensports jedoch existierte bislang nicht, obwohl der organisierte Behindertensport auf eine beinahe ebenso lange Geschichte zurückblicken kann wie die Sportorganisationen von Menschen ohne Behinderungen. Obgleich der Behindertensport in seiner Geschichte vielfach mit anderen deutschen Sportorganisationen verwoben war, er seit der Zeit nach 1945 organisatorisch fest im deutschen Sport verankert ist – von 1949 bis 1990 in beiden deutschen Staaten – und das Thema Behinderung und Behindertensport in Gesellschaft und Kultur eine gewichtige Rolle spielt, gab es lange Zeit keine historischen Untersuchungen zum Behindertensport, die sich mit den Studien zu anderen Sportverbänden und -vereinen messen lassen können.1 Möglicherweise liegt dies auch an der Komplexität des Themas, das weit über die Geschichte eines herkömmlichen Sportverbandes bzw. des Sports hinausgeht und auch in den Kontext der zum Teil immer noch verschütteten Geschichte der Menschen mit Behinderungen gehört. Und trotz des momentanen Booms der Disability History, die sich des Themas Behinderung in der Geschichte annimmt, steht deren Aufarbeitung immer noch ganz am Anfang. So wie Menschen mit Behinderungen in der deutschen Gesellschaft häufig immer noch als Außenseiter wahrgenommen werden – trotz einer geschätzten Zahl von etwa 10 Millionen, die noch um weitere 10 Millionen Menschen mit psychischer Behinderung ergänzt werden kann –, so gehört bislang auch die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte zu den Außenseiterthemen der (akademischen) Geschichtsschreibung.2

Im Jahr 2011 wird der Deutsche Behindertensportverband (DBS) 60 Jahre alt; sein Ursprungsverband, der Deutsche Versehrtensportverband (DVS), war 1951 in der BRD gegründet worden, während sein DDR-Pendant, der Deutsche Verband für Versehrtensport (DVfV), 1959 ins Leben gerufen wurde; dessen direkter Vorgänger war jedoch schon 1953 formiert worden. Das DBS-Jubiläum war zwar ein äußerer Anlass für das DBS-Präsidium, eine unabhängige kritischhistorische Studie zur Geschichte des deutschen Behindertensports in Auftrag zu geben. Aber diese Idee entstand schon ein paar Jahre zuvor als Gedankenexperiment im Rahmen einer Vorläuferstudie zur Geschichte des niedersächsischen Behindertensports, die weiter gedacht wurde. Die DBS-Studie wurde dann ab 2009 realisiert und sollte mit dem Jubiläum verkoppelt werden.

Es stellte sich aber schnell heraus, dass sich die Studie nicht nur mit den letzten 60 Jahren und damit nur mit den modernen Organisationen des Behindertensports befassen konnte, sondern dass sie – im Bewusstsein der historischen Kontinuitäten – auch die tiefen und verzweigten Wurzeln des Behindertensports abhandeln musste, die weit bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, wobei der damals so genannte Versehrtensport im Ersten und Zweiten Weltkrieg erste – auch unheilvolle – Höhepunkte besaß. Als Orientierungspunkt für die geplante Studie diente dem DBS-Präsidium dabei eine Vorläuferuntersuchung, die der Verfasser für den Behinderten-Sportverband Niedersachsen (BSN) in Arbeit hatte und die im Jahr 2010 veröffentlicht wurde. Im Resultat jedoch ist diese Geschichte des deutschen Behindertensport(verbandes) – neben Studien zum DFB, zum Deutschen Leichtathletikverband und zu Nachfolgeorganisationen im Arbeitersport – eine der ersten sporthistorischen Publikationen überhaupt, die von einem Bundessportfachverband in Auftrag gegeben wurde; auch etliche Landesfachverbände verfügen bislang noch nicht über eine selbst in Auftrag gegebene, kritisch-historische (akademische) Einzelstudie zu ihrer Geschichte.3

Die Aufarbeitung der Geschichte des Behindertensports stand vor etlichen Problemen, und das fast völlige Fehlen von geeigneten Vorläuferstudien, an denen man sich orientieren konnte, war nur eine der Schwierigkeiten. Ein anderes Problem bestand darin, dass es zum Teil äußerst schwierig war, geeignete Archivquellen und gedrucktes historisches Material ausfindig zu machen. Der Behindertensport – der Begriff wird hier für unterschiedlichste Sportgruppen aus verschiedenen Zeiten verwendet – bestand lange Zeit aus marginalen, sozial stigmatisierten und nur in den seltensten Fällen offiziell organisierten Gruppen. Derartige Gruppen hinterlassen in der Regel so gut wie kein historisches Material. Aber auch frühe Dokumente nach 1945 waren oft nur schwer auszumachen. Zwar liegen Verbandszeitschriften vor, diese sind aber erst ab 1951 (BRD) bzw. 1956 (DDR) vorhanden. Es existieren zwar etliche Landesverbands- und Vereinsfestschriften sowie mehrere Bundesverbandsfestschriften. Aber zum einen handelt es sich um ausgesprochen subjektive Literatur, in denen man häufig zwischen den Zeilen lesen muss. Und zum anderen sind derartige Schriften oft sehr schwer zu recherchieren, da sie gewöhnlich nicht von Verlagen produziert werden, in der Regel über den Buchhandel nicht bestellbar und auch in öffentlichen Bibliotheken oft nicht vorhanden sind. So ist man von wichtigen Grundinformationen und Zugängen zum Thema zunächst abgeschnitten: Wie kann man die ältesten Versehrtensportvereine ausfindig machen, wenn es keine Hinweise in der Literatur dazu gibt und wenn man nicht weiß, wo man suchen und wen man fragen soll? Und wie gelangt man an eine ausreichende Zahl von Zeitzeugen, wenn unklar ist, ob es in den jeweiligen Fällen noch lebende Vereinsbegründer gibt, wo sie zu erreichen sind und ob man sie überhaupt noch ansprechen kann?

Ein Großteil der Quellen und Literatur konnte daher nur durch Zufälle, vage Hinweise in älteren Publikationen oder Nachfragen bei Zeitzeugen und einer entsprechenden Weitervermittlung recherchiert werden, wobei die offiziell aufbewahrten Quellen in den Staats- und Stadtarchiven noch am einfachsten zu ermitteln waren. Hartnäckige Recherchen bei Vereinen und Zeitzeugen erbrachten schließlich doch noch etliches Material und sogar Nachlässe und Privatsammlungen, die zum Teil übernommen werden konnten. Zeitzeugen – der Verfasser konnte mit knapp 100 Sportlerinnen und Sportlern sprechen, von denen die älteste Zeitzeugin 1918 geboren war – ergänzten zwar auch manche Hinweise und lieferten zum Teil neue Aspekte, widersprachen aber auch in einigen Fällen mit ihren Auskünften den schriftlichen Quellen. Insgesamt ergab sich dabei ein oft diffuses, unscharfes und unvollständiges Puzzlespiel, wenn auch die Anzahl der einzelnen Puzzleteile am Ende recht groß war.

Die Studie greift mit ihrer Vorgehensweise und ihrem Duktus verschiedene Aspekte unterschiedlicher historischer Disziplinen auf: der akademischen Sportgeschichte, der Kulturgeschichte und der Disability Studies. Ein Schwerpunkt der traditionellen akademischen Sportgeschichte war immer schon die kritische Vereins- und Verbandsgeschichte, die die jeweiligen sportpolitischen Positionen und Konstellationen in den Blick nimmt und sie dann in die regionalen Vereinsentwicklungen und die übergeordneten Verbandsprozesse einbindet; dabei werden sowohl Gruppierungen als auch Persönlichkeiten in den Blick genommen.

Die Kulturgeschichte fragt nach der Selbstwahrnehmung von Menschen in historischen Zeiträumen und nach ihren an den sozialen und gesellschaftlichen Hintergründen ausgerichteten kulturellen Praktiken. Auf unser Thema bezogen bedeutet dies etwa, dass (Behinderten)Sport sowohl ein Vehikel politischer Inanspruchnahme ist als auch eine private Möglichkeit zur sozialen Identität.

Die Disability History befasst sich unter anderem damit, wie die Kategorie „Behinderung“ in den verschiedenen historischen Epochen entsteht, wer sie aus welchen Gründen konstruiert und wem sie warum zugeschrieben wird. Dabei geht es auch um die Frage nach den historischen Bedingungen von Behinderung und um die Rolle des Betroffenen in seinem privaten und politischen Umfeld. In Bezug auf den Behindertenport kann dabei etwa gefragt werden, ob der Sport von Menschen mit Behinderungen ein Versuch sozialer Anpassung, persönlicher Autonomie oder medizinischen Utilitarismusdenkens ist, oder, etwas anders gefragt, ob Behindertensport Teil einer Nützlichkeitspolitik von oben oder ein unabhängiger Aneignungsprozess seiner Akteure ist, die sich über Sport ihr eigenes Lebensumfeld selbst gestalten.4 Bei Fragestellungen dieser Art kann natürlich keine vollständige – was auch immer das bedeutet – Geschichte des deutschen Behindertensports entstehen; allein aufgrund der problematischen Quellenlage und der Vielzahl an Herangehensweisen ist dies nahezu unmöglich.

Dass diese Studie ermöglicht wurde, ist etlichen Personen und Institutionen zu verdanken. Der ehemalige Präsident des Behinderten-Sportverbandes Niedersachsen, Heiner Rust, der bereits die Vorgängerstudie zur Geschichte des niedersächsischen Behindertensports initiiert hatte, hat die Fortführung des Themas auf Bundesebene im damaligen Präsidium des DBS zur Sprache gebracht und Interesse geweckt. Der ehemalige Präsident des DBS, Karl Hermann Haack, hat sich dadurch anregen lassen und mit Engagement für eine Finanzierung gesorgt. Und der derzeitige Präsident des DBS, Friedhelm Julius Beucher, hat das Projekt mit großem Interesse weiter unterstützt und für seinen Abschluss gesorgt. Die DBS-Geschäftsstelle – hier besonders Detlev Lütkehoff – hat mir Archivmaterial herausgesucht und etliche Fragen beantwortet. Die Landesverbände – sowohl die Präsidien als auch die Geschäftsstellen – haben für mich geduldig Material recherchiert und mich mit weiterführenden Hinweisen unterstützt. Viele Vereine haben mir ihre Festschriften und Chroniken sowie auch Archivmaterial zugeschickt, Hinweise auf mögliche Zeitzeugen gegeben und mir die nötigen Kontakte vermittelt. Die Zeitzeugen haben mir bereitwillig, gern und engagiert meine Fragen – auch die ausgesprochen unbequemen – beantwortet, mir Privatunterlagen zugeschickt und zum Teil auch ihre Sammlungen überantwortet; diejenigen Zeitzeugen, deren Hinweise letztlich in das Buch eingearbeitet werden konnten, sind im Anhang namentlich aufgelistet. Ohne diese bereitwillige Hilfe der Vereine, Landesverbände und des Präsidiums, der Geschäftsstellen und der vielen Zeitzeugen hätte ich dieses Buch so nicht schreiben können. Ihnen allen sei hiermit herzlich gedankt.

Göttingen, im Mai 2011      Bernd Wedemeyer-Kolwe

I Die Vorgeschichte des modernen Behindertensports

1. Zivilbehindertensport im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

Sport und Turnen für Menschen mit Behinderungen haben in Deutschland eine ähnlich lange Geschichte wie die modernen Turn- und Sportvereine und Sportfachverbände, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden. Jedoch gab es anfangs noch keine bzw. kaum eine Kooperation oder auch Teilhabe des Behindertensports an den herkömmlichen Turn- und Sportvereinen; dies sollte erst sehr viel später entstehen. Im Gegenteil: Sport und Turnen für Menschen mit Behinderungen fanden lange Zeit nur in getrennten Bildungseinrichtungen und abgeschlossenen Vereinen statt und wurden meist abgeschottet von der Mitwelt durchgeführt. Dabei wurden Leibesübungen für Menschen mit Behinderungen zunächst lediglich in den kirchlichen und staatlichen Fürsorge- und Bildungsanstalten angeboten, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Beschulung und Ausbildung von blinden, gehörlosen und körperbehinderten Kindern und Jugendlichen gegründet worden waren.

Der Hintergrund dieser schulischen Leibesübungen lag in der damaligen Sichtweise auf Menschen mit Behinderungen generell begründet. Durch die Industrialisierung und Modernisierung im Europa des 19. Jahrhunderts entstand eine neuartige Arbeits- und Bildungswelt, in der eine intakte Arbeits- und Bildungsfähigkeit zur Bedingung für eine soziale Teilhabe an der Gesellschaft gehörte. Dabei wurden auch Menschen mit Behinderungen gleich welcher Art vorwiegend nach ihrer Fähigkeit zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt beurteilt; eine Behinderung galt als Hindernis für eine soziale und berufliche Integration. Menschen mit Behinderungen gerieten daher schnell in den Verdacht, nicht arbeits- und bildungsfähig zu sein, und viele von ihnen wurden als „unnütze Esser“, die den Staat finanziell und sozial belasteten, ausgegrenzt. Sie galten damit als Teil der „sozialen Frage“. Die nicht als arbeits- und bildungsfähig eingruppierten Menschen, die als mehrfachbehindert oder geistig beeinträchtigt eingestuft wurden, wurden in abgelegenen Verwahranstalten untergebracht. Derjenige Teil der körperbehinderten, gehörlosen und blinden Menschen, der jedoch als bildungs- und arbeitsfähig eingruppiert wurde, wurde in die, zu diesem Zweck neu entstandenen, Ausbildungs- und Bildungsstätten für Menschen mit Behinderungen eingewiesen. Dort sollten sie eine, wie es hieß, ihnen gemäße Bildung und Ausbildung erhalten, mit der ihnen später ein ihren Fähigkeiten entsprechender Arbeitsplatz zugewiesen werden konnte. Damit blieb Menschen mit Behinderungen der übliche Arbeitsmarkt versperrt, so dass viele von ihnen in einer „behindertengerechten“ Einrichtung arbeiten oder sie sich mit ihnen zugewiesenen „behindertentypischen“ Berufen wie Besenbinden oder Ähnlichem durchschlagen mussten. Nach dem Motto „Arbeit ist die beste Medizin“ sollten Menschen mit Behinderungen zwar arbeiten und damit den Sozialstaat entlasten, die völlige Integration in den Arbeits- und Bildungsmarkt blieb ihnen jedoch verwehrt.1

Die Bildungs- und Ausbildungsstätten für arbeitsfähige Jugendliche und Kinder mit Behinderungen waren die überwiegend schon im 19. Jahrhundert gegründeten Gehörlosenschulen und Blindenschulen und die sogenannten „Krüppelfürsorgeanstalten“ für Menschen mit körperlicher Behinderung. Die Zahl der potentiellen Schülerinnen und Schüler, die in eine dieser Schulen eingewiesen werden konnten, war beträchtlich; für das 19. und frühe 20. Jahrhundert muss mit weit über 100.000 Betroffenen gerechnet werden. Erwachsene Menschen mit Zivilbehinderungen waren noch zahlreicher. Zeitgenössische Statistiken rechnen für die 1910er- und 1920er-Jahre mit zwei Millionen unfall- und zivilgeschädigten, 45.000 gehörlosen und 30.000 zivilblinden erwachsenen Menschen.2 Für die als bildungsfähig eingestuften Jugendlichen und Kinder mit Behinderungen stand zwar eine wachsende Anzahl von Blinden- und Gehörlosenschulen und Fürsorgeanstalten zur Verfügung, in der Gesamtheit waren es jedoch immer noch viel zu wenig, so dass nicht alle Kinder einen Platz bekamen. So ist davon auszugehen, dass im Deutschen Reich zwischen dem späten 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ungefähr 50 bis 80 Schulen für gehörlose Kinder und Jugendliche vorhanden waren. Die Zahl der Schulheime für Kinder mit Körperbehinderungen lag im genannten Zeitraum bei etwa 40 bis 80, und für blinde Kinder und Jugendliche standen etwa 40 bis 60 Schulen zur Verfügung.3

Ähnlich wie in herkömmlichen Regelschulen gehörten Sport und Turnen neben dem üblichen Lehrprogramm zum festen Bildungskanon dieser separaten Ganztagsschulen, in denen die Kinder und Jugendlichen die meiste Zeit des Tages verbrachten. Die Funktion der Leibesübungen ging dabei allerdings über die herkömmliche pädagogische Begründung für Schulturnen im 19. Jahrhundert hinaus. Üblicherweise galt das Schulturnen mit seinem auf Drill ausgerichteten militärähnlichen Freiübungen als Mittel zur körperlichen und geistigen Disziplinierung und zur Gewöhnung an mechanisierte Arbeitsprozesse.

Für Jugendliche und Kinder mit Behinderungen wurden noch zusätzliche Argumentationen in die Debatte um Turnen und Sport geworfen: Gehörlose Kinder galten als körperlich besonders benachteiligt und wenig leistungsfähig, daher sollten gerade sie über Leibesübungen „die für Leben und Beruf nötige Spannkraft und Leistungsfähigkeit“ erwerben und dadurch die „Einordnung in die Gemeinschaft“ lernen. Kinder mit Körperbehinderungen waren allein schon aufgrund der orthopädischen und pädagogischen Zielrichtung der Schulen, der sogenannten „Entkrüppelung“, zu Turnen und Sport angehalten; vor allem nach Operationen gehörten Heilgymnastik und Rehabilitation zum festen Programm. Und bei blinden Kindern, die als bewegungsarm und körperlich anfällig galten, sollten die Leibesübungen zur Verbesserung der Raumorientierung und der Sensibilisierung des Tastsinnes beitragen.4 Die Leibesübungen selbst wurden unter der Aufsicht bewährter Turnpädagogen und ausgebildeter Sonderturnlehrer betrieben. Im Laufe der liberaleren 1920er-Jahre traten dann zur bloßen mechanischen und disziplinierenden Funktion von schulischen Leibesübungen auch in den Bildungsanstalten für die Kinder die Freude am Spiel, Bewegungsfreiheit, die Möglichkeit zum Wettkampf und das Streben nach Einzel- und Mannschaftsleistungen hinzu; Zielsetzungen, die mit dem Siegeszug des Sports im 20. Jahrhundert einhergingen und die das altväterliche und disziplinierende Turnen allmählich ablösten.

So unterschieden sich die schulischen Leibesübungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen nicht sonderlich vom Turnen und Sport in den herkömmlichen Regelschulen; ihre Ausübung und die Regeln waren lediglich an die besonderen Verhältnisse angepasst. Gerätturnen, Frei- und Ordnungsübungen, Ballspiele, Schwimmen und Leichtathletik, Gymnastik und Wandern wurden betrieben; bei Kindern mit Körperbehinderungen kamen noch Heilgymnastik und orthopädische Übungen an Apparaten hinzu, die im Hinblick auf Mechanik, Funktion und Aussehen den heutigen Fitnessgeräten ähnelten. Bald wurde in den Schulen auch Wettkampf- und Leistungssport betrieben. Ab Mitte der 1920er-Jahre wurden dabei nicht nur Sportwettkämpfe zwischen verschiedenen Körperbehindertenschulen und auch Blindenschulen durchgeführt, sondern es entstanden zudem vereinzelte Kooperationen mit regulären Sportvereinen und Athletikverbänden. So gab es Heime für körperbehinderte Kinder und Jugendliche, die regelrechte Sportmannschaften aufstellten oder eigene Sportvereine gründeten, mit denen sie an lokalen Fußballturnieren oder als Mitglied von herkömmlichen Leichtathletikfachverbänden an Vergleichskämpfen teilnahmen. Schon in der liberaleren Weimarer Republik hat es also gelegentlich die Möglichkeit gegeben, Wettkampfsport zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen durchzuführen.5

Der Sport für erwachsene Menschen mit Behinderungen war, bis auf den Sport der gehörlosen Menschen, weniger gut organisiert. Blinde und körperbehinderte Erwachsene hatten bis in die 1920er- und frühen 1930er-Jahre hinein nur gelegentlich die Möglichkeit, Leibesübungen zu betreiben. Bis dahin gab es im Grunde keine Behindertenorganisationen, die sich konsequent und regelmäßig des Sports mit Erwachsenen annahmen. Der abrupte Abbruch jeder sportlichen Tätigkeit nach der Beendigung der Ausbildung in den Bildungsanstalten für körperbehinderte und blinde Kinder und Jugendliche wurde zwar intern beklagt, der Klage über die körperliche Vernachlässigung der Erwachsenen aber folgten kaum oder keine Initiativen.6 Da Turnen und Sport nicht mehr (schulische) Pflicht und andere Dinge wichtiger waren, wurden Leibesübungen oft vernachlässigt, zumal sie nur in den seltensten Fällen als Mittel zur Persönlichkeitsbildung oder als Überwindungshilfen von Behinderung betrachtet wurden.

Es gab Ausnahmen, wenn auch nicht allzu viele. So wurden im Rahmen von Berliner Blindenselbsthilfegruppen um 1900 gelegentlich Schwimmen und Wandern durchgeführt; als Organisator fungierte etwa der 1909 gegründete Berliner Verein Blindenerholung, dessen Programm auch Leibesübungen vorsah. Hier wurden Leibesübungen offenbar als Teil der persönlichen Gesundheitsvorsorge und als Freizeitbeschäftigung verstanden. Manchmal gab es auch den einen oder anderen Späterblindeten, der bereits vor seiner Erblindung Sport betrieben hatte und auch jetzt nicht darauf verzichten wollte, so dass er seinem alten Turn- und Sportverein auch weiterhin angehörte. Regelrechte Blindensportvereine für Erwachsene blieben jedoch die Ausnahme. Für die Zeit bis 1933 sind lediglich Vereine in Kiel, Berlin und Breslau bekannt. Sie wurden in Eigeninitiative im Umfeld der dort ansässigen Blindenschulen gegründet, um den ehemaligen Schülern und Schülerinnen auch weiterhin Leibesübungen in Gemeinschaft anbieten zu können. Eine zentrale Rolle kam dabei dem 1928 gegründeten Berliner Blindensportverein (BBSV) zu, der es über Anträge an den Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen – einen Vorläufer des heutigen DOSB – erreichen konnte, dass auch blinde Jugendliche und Erwachsene seit 1928 das Turn- und Sportabzeichen bzw. auch später das Reichssportabzeichen ableisten und an Reichsjugendwettkämpfen teilnehmen konnten. Offenbar wurden diese Möglichkeiten auch vielfach genutzt. Der BBSV sollte dann nach 1950 einige Zeit lang eine gewichtige Rolle innerhalb des Berliner Versehrtensportverbandes spielen.7

Sportorganisationen für Erwachsene mit Körperbehinderung ziviler Ursache gab es ebenfalls kaum, auch wenn es hier aufsehenerregende, wenngleich singuläre Vorbilder gab, die mit ihren sportlichen Leistungen immer wieder spektakulär in die Öffentlichkeit gerückt wurden. Der prominenteste unter diesen Personen war der 1848 armlos zur Welt gekommene Carl Herrmann Unthan, der mittels konsequenter Übung und Einsatzes seiner Füße sein Leben völlig autonom zu meistern verstand und dies auch publizistisch über seine 1925 erschienene Autobiographie „Das Pediskript. Aufzeichnungen aus dem Leben eines Armlosen“ zu vermarkten verstand. Dabei führte Unthan bei Veranstaltungen öffentlich seine „Künste“ vor, wobei er auch seine selbst erlernten Schwimmtechniken immer wieder unter Beweis stellte. Unthan provozierte und spaltete, aber seine Schwimmkünste und sein Selbstbewusstsein machten körperbehinderten Schicksalsgenossen Mut, die daraufhin ebenfalls zur konsequenten Autonomie aufriefen, zu der auch selbstverständlich Sport und Körperpflege gehörten.8

Auch solche spektakulären Einzelfälle veranlassten den 1919 gegründeten Selbsthilfebund der körperbehinderten Menschen (SBK), der sich später in Reichsbund der Körperbehinderten (RBK) umbenannte, ab den späten 1920er-Jahren seine Mitglieder aufzurufen, Sportgruppen zu gründen. Der SBK hatte sich als autonome Organisation jenseits der staatlichen und kirchlichen „Krüppelhilfe“ gebildet. Er verstand sich als Elitegruppe unter den Menschen mit Körperbehinderungen und nahm lediglich gebildete bzw. bildungs- und arbeitsfähige Personen auf. Daher verfügte der SBK 1919 reichsweit auch nur über 500 und 1931 über lediglich 6.000 Mitglieder. Der Bund formulierte dabei das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Selbstbestimmung jenseits der Kasernierung in Krüppelfürsorgeanstalten und forderte die völlige Gleichstellung behinderter mit nichtbehinderten Menschen.

Zum Selbstverständnis der Mitglieder des SBK, gleichberechtigt und autonom zu sein, gehörten auch das Recht und das Bedürfnis, Sport zu treiben. Ab etwa 1928 bildeten sich daher in einigen Ortsgruppen des Bundes Sportabteilungen, die z. T. von Personen gegründet worden waren, die trotz ihrer Behinderung Mitglieder in Turn- und Sportvereinen waren und dort mit Sport gute Erfahrungen gemacht hatten. Zumindest in größeren Städten wie Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Offenbach, Nürnberg und Essen konnten sich SBK-Sportgruppen etablieren, die Schwimmen, Radsport, Kricket, Tanzen und Wandern anboten und gelegentlich sogar ausgebildete Turn- und Sportlehrer als Übungsleiter für ihre Kurse gewinnen konnten. Einige Mitglieder der SBK-Sportgruppen sollten tatsächlich auch beim lebenslangen Versehrtensport bleiben; nach 1945 gab es ehemalige SBK-ler, die den neugegründeten Versehrtensportvereinen beitraten und dort auch Funktionen im Vorstand übernahmen.9

Im Gegensatz zu den nur gering verbreiteten Sportgruppen bei zivilblinden und körperbehinderten Menschen konnte sich der Gehörlosensport als einzige Behindertensportorganisation, wie man dies heute nennen würde, auf eine relativ breit angelegte und gut institutionalisierte Sportvereins- und Verbandslandschaft stützen, die von der Organisation und vom Aufbau an der Deutschen Turnerschaft, dem Vorläufer des Deutschen Turnerbundes, bzw. an den Sportfachverbänden orientiert war.

1888 gründete sich in Berlin der erste sogenannte Taubstummen-Turnverein, dem rasch entsprechende weitere Gründungen folgten. 1910 schlossen sich 30 Vereine zum Verband Deutscher Taubstummenturnvereine zusammen, und es gab Ligaspiele und Wettkämpfe. 1920 wurde das erste eigene deutsche Turn- und Sportfest veranstaltet, und 1928 nahmen deutsche Gehörlosensportler erstmals an den 1924 eingeführten internationalen olympischen Taubstummenspielen teil. 1924 umfasste der nun Reichsausschuss Deutscher Taubstummenverbände genannte Dachverband des Gehörlosensports vier Fachverbände für Turnen und Sport, Schwimmen, Leichtathletik und Fußball sowie Wandern. Insgesamt vertrat der Dachverband etwa 40–50 Vereine mit ungefähr 2.000 Mitgliedern. Damit gehörten etwa 1,8% aller gehörlosen Erwachsenen einem Gehörlosen-Turn- und Sportverein an, was aber immer noch deutlich weniger war als der Anteil der Sportvereinsmitglieder an der damaligen Bevölkerung in der Weimarer Republik insgesamt, der etwa 7–8% betragen haben dürfte. Alles in allem blieb die Gehörlosensportorganisation dabei völlig autonom, und ihre Mitglieder waren weitgehend unter sich. Möglicherweise lag dies auch daran, dass viele gehörlose Menschen sich schon damals nicht als (bedürftige) Menschen mit Behinderungen, sondern als Teil einer eigenständigen, unabhängigen Kultur mit eigener Sprache und Gesellschaft empfanden, und das Recht und die Pflicht auf einen eigenen autonomen Gestaltungsraum beanspruchten.10

2. Kriegsversehrtensport im und nach dem Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg konfrontierte Staat und Gesellschaft zum ersten Mal mit dem Massenphänomen der Kriegsversehrten; nach zeitgenössischen Schätzungen soll es über zwei bis drei Millionen Kriegsverletzte gegeben haben. Die medizinischen Versorgungs- und die staatlichen Sozialsysteme waren komplett überfordert. Der Kriegsversehrte als politisches und soziales Symbol für einen verlorenen Krieg und als reales Bild im Alltag sollten Staat und Gesellschaft über lange Jahre hinweg nachhaltig prägen. So war eine der Hauptaufgaben der Politik die Reintegration der Kriegsversehrten in das Arbeits- und Wirtschaftsleben, wobei das Recht auf Versorgung auch hier der Pflicht zur Arbeit unterstellt wurde. Aus diesem Grund stellte die staatliche Kriegsopferversorgung, trotz vielfältiger Proteste der rasch gegründeten Selbsthilfeorganisationen der Kriegsversehrten wie etwa des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, nur eine schmale Grundrente zur Verfügung. Sie stellte keine Grundsicherung dar und reichte zum Überleben nicht aus. Denn Kriegsversehrte sollten sich nicht auf einer lebenslangen Zuwendung ausruhen, sondern einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme haben. Angesichts der Inflation, der großen Wirtschaftkrisen und der gigantischen Arbeitslosenzahlen musste die Kriegsversehrtenpolitik des Arbeitsanreizes jedoch zwangsläufig scheitern.11

Angesichts dieser drängenden sozialen Probleme blieb die Überlegung, Sport und Turnen als Rehabilitation für Kriegsversehrte einzuführen, weitgehend im Hintergrund, wenngleich es doch einige diesbezügliche Initiativen gab. Neben einigen fortschrittlichen und interessierten Sportärzten kam einer der Anstöße zum Kriegsversehrtensport von der sogenannten zivilen Krüppelfürsorge, die, wie oben schon geschildert, in ihren Heilanstalten bereits Erfahrungen mit Rehabilitation, Heilgymnastik, Orthopädie und Leibesübungen an Kindern mit Körperbehinderungen gemacht hatte und ihre Erfahrungen nun auf Kriegsversehrte zu übertragen gedachte.

Die Argumente für den Kriegsversehrtensport entsprachen denjenigen für den Sport mit Menschen mit Zivilbeschädigungen; es ging auch hier um die Wiedergewinnung der Arbeitsfähigkeit der Versehrten und damit um die Entlastung der Staatskasse. Besonders die befürchtete „Rentenjägerei“, also eine den Versehrten böswillig unterstellte erschlichene Inanspruchnahme ihrer berechtigten Kriegsrente, sollte damit vermieden werden, denn wer Sport treiben könne, so das Argument, könne auch wieder arbeiten. Die Verwundeten sollten daher körperlich so schnell rehabilitiert werden, dass zumindest für einige von ihnen sogar die Wiederverwendung für den Krieg in Frage kommen würde.

Dies war die Argumentation für die wenigen Initiativen aus Sportmedizin und Krüppelfürsorge. Doch weder die Regierung des Kaiserreiches noch die der Weimarer Republik unterstützten diese Ideen nachhaltig, geschweige denn, dass sie sie flächendeckend durchsetzten. Zwar wurde nach 1918 der Sport bei Rehabilitationsprojekten diskutiert, für die Wiedereingliederung der Kriegsversehrten in den Beruf ging es in erster Linie jedoch erst einmal um Orthopädie und Prothetik, die für die Wiedereingliederung in den Beruf wesentlich wichtiger waren. Der Sport spielte als Mittel zur Heilbehandlung dabei keine Rolle und blieb bei den Rehabilitationsmaßnahmen des Staates völlig zweitrangig. Dazu war er als Idee wahrscheinlich viel zu neu und fremd.

Möglicherweise lag dies auch an der Rolle des Sports generell in dieser Zeit. Zwar genoss der Sport hohen gesellschaftlichen Stellenwert, er wurde aber vom Staat nicht etwa mitfinanziert, sondern als gemeinnützige Angelegenheit der Turn- und Sportverbände betrachtet, die höchstens von den seit der Mitte der 1920er-Jahre eingerichteten Sportämtern der größeren Kommunen Unterstützung erhalten konnten. Und hierbei handelte es sich zunächst in erster Linie um Sportanlagen- und Schwimmbäderbau sowie um Jugendpflege und Schulturnen. Die Finanzierungsgewichtung lag damit auf Jugend- und Vereinssport, und nicht auf randständigen Ideen wie Versehrtensport. Kurz nach 1918 waren Staat und Gesellschaft einfach nicht bereit, Versehrtensport – und sei es auch nur als Heilmaßnahme – staatlich zu finanzieren. Dies hätte auch bedeutet, dass der Staat sich stärker als bisher für die Kriegsversehrten verantwortlich gefühlt hätte.12

Auch aus diesem Grund sollte sich der Kriegsversehrtensport nach 1918 nicht durchsetzen und blieb isolierten Initiativen und privaten Anstößen überlassen. So richteten – zum Teil in Zusammenarbeit mit der örtlichen Krüppelfürsorge – seit etwa 1915 einige wenige Lazarettstabsärzte, die selbst Erfahrungen mit Turnen und Sport besaßen, aus eigener Initiative in ihren Lazaretten Sportmöglichkeiten für Verwundete ein und ließen diese als Teil der Rehabilitation planmäßig üben. Hin und wieder geschah dies auch in den orthopädischen Turnhallen der Krüppelfürsorgeanstalten, die ja bereits über Fachleute und die notwendige Geräteausstattung verfügten. Art und Umfang der Initiativen blieben dabei den örtlichen Verantwortlichen überlassen.

So hatte der Sportarzt Dr.Arthur Mallwitz, der als Leichtathlet an den Olympischen Spielen 1906 und 1908 teilgenommen hatte und nach 1945 einer der wesentlichen Begründer des Versehrtensports werden sollte, ab 1917 in seinem Lazarett in der ehemaligen Heilanstalt Görden im Land Brandenburg die vorhandenen Sportanlagen ausbauen und mit Hunderten von Kriegsversehrten Turnen und Sport durchführen lassen. Mallwitz setzte dabei als Übungsleiter Sportler und Turn- und Sportlehrer ein, darunter den leichtverwundeten Olympiateilnehmer und Leichtathleten Johannes Runge. Runge war im Kaiserreich Vorsitzender der Deutschen Sportbehörde für Athletik – also des Leichtathletikverbandes – gewesen, in der Weimarer Republik Referent für Leibeserziehung bei der Reichswehr und Ministerialrat für Sport und nach 1939 schließlich Sportreferent im Oberkommando der Wehrmacht. Mallwitz ließ Ballspiele und Leicht- und Schwerathletik durchführen und veranstaltete Wettkämpfe für Kriegsversehrtensportmannschaften und führte damit das Leistungsprinzip in den Verwundetensport ein.

Weitere Lazarette mit Versehrtensportabteilungen entstanden in Ettlingen bei Nürnberg, das von Dr.Johannes Rissom, der als alter Vorturner eher Turnübungen als modernen Sport bevorzugte, geleitet wurde, sowie in München, Köln, Dresden, Magdeburg, Kassel, Karlsruhe und Heidelberg. Trotz des Echos in der Presse und bei den Turn- und Sportverbänden blieb es jedoch bei diesen wenigen Sportlazaretten, die wahrscheinlich insgesamt nicht mehr als ein paar tausend verletzte Soldaten sportlich betreut haben dürften. Vermutlich handelte es sich bei diesen Soldaten meistens um sportvorerfahrene Männer, die trotz ihrer Verwundung ihren Sport nicht aufgeben mochten. Angesichts einer Zahl von zwei bis drei Millionen Verwundeten ist diese geringe Zahl der sporttreibenden Kriegsversehrten nahezu bedeutungslos.13

An der Heimatfront nahmen sich auch einige Turn- und Sportvereine der Kriegsversehrten an und stellten spezielle Übungsriegen für Arm- und Beinamputierte auf. Da der Übungsbetrieb aufgrund der eingezogenen Männer überall zum Erliegen zu kommen drohte, konnten die Vereine mit dem Versehrtenturnen nun wieder eine Vereinsaufgabe übernehmen, die darüber hinaus auch der vielbeschworenen „Hebung der Volkskraft“ zugutekommen konnte. In diesem Sinne erfolgten auch zahlreiche Aufrufe der Deutschen Turnerschaft und der anderen Sportfachverbände an die Vereine. So entstanden in größeren Turnvereinen in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Kiel, Leipzig oder Mannheim rasch Versehrtenturnriegen, die oft von einem versehrten Vorturner geleitet wurden. Nicht zufällig wurden die Initiativen häufig in denjenigen Städten gestartet, in denen es auch Sportabteilungen in Lazaretten gegeben hatte. Um die Versehrten nicht isoliert üben zu lassen, sondern sie an der „Volksgemeinschaft“ zu beteiligen, initiierten einige Vereine sogar Wettkämpfe und Sportspiele zwischen kriegsversehrten und nichtversehrten Mannschaften.14

Allerdings blieb die Zahl der Turn- und Sportvereine mit Versehrtenriegen klein: „Trotz eifriger Werbearbeit“ kämen nicht genug Versehrte zu den Übungsstunden. Zudem seien die Teilnehmer überwiegend alte Turner und Sportler, so dass „von außen ein nennenswerter Zuzug ausgeblieben“ sei.15 Versehrte ohne sportliche Vorerfahrungen waren zum Verwundetenturnen eben kaum zu bewegen; diese Erfahrung sollten die Versehrtensportler auch nach 1945 machen. Zudem ging die berechtigte Angst um, dass eine körperliche Verbesserung zur Minderung der sowieso schon schmalen Versorgungsrente führe. Hinzu kam, dass ohnehin auch die meisten unversehrten Turner und Sportler mit spätestens 30 Jahren bzw. nach ihrer Hochzeit ihre aktive Phase beendeten, so dass man von Kriegsversehrten schwerlich mehr erwarten konnte. Zudem dürften auch Scham und Peinlichkeit, ihre versehrten Körper in der Öffentlichkeit zu zeigen, eine Rolle gespielt haben. Versehrte Turner, die weiterhin ihrem Heimatverein die Treue halten wollten, wechselten daher eher auf die Vorstandsebene, als dass sie weiter aktiv Leibesübungen betrieben. Bereits 1918 beklagte das Jahrbuch der Turnkunst, es gäbe zu wenige Turnvereine mit Versehrtenriegen und appellierte, es möchten „alle größeren Vereine recht bald solche Riegen einrichten“. Doch dies erwies sich als frommer Wunsch.16

Möglicherweise hätte der Versehrtensport das Jahr 1918 überlebt, wenn sich eigenständige Versehrtensportgruppen unter einer eigenen Dachorganisation hätten bilden können. Theoretisch hätten die Kriegsbeschädigtenverbände, die Soldatenverbände oder der Selbsthilfebund der Körperbehinderten für Zivilgeschädigte den Versehrtensport organisieren können. Aber die großen Veteranenverbände wie etwa der Stahlhelm, die schon bald (Wehr) Sport anboten, nahmen – laut Satzung – in ihre Sportgruppen keine versehrten Personen auf.17 Die Kriegsbeschädigtenverbände hingegen hatten bei ihren Kur- und Heilbehandlungsangeboten in ihren Erholungsheimen, bis auf Ausnahmen, lediglich eine passive Regeneration wie Wassertreten im Blick. Und mit den (Sport)Gruppen für Menschen mit Körperbehinderungen oder mit Zivilblinden wollten viele Kriegsversehrte aufgrund von Vorurteilen nur wenig oder überhaupt keinen Kontakt haben. Die wenigen spektakulären Einzelbeispiele von kriegsversehrten Sportlern, die später an Olympischen Spielen teilnahmen, waren für die meisten Kriegsversehrten sicherlich kein Ansporn, da sie zu weit von der eigenen Realität entfernt waren.18

Nur in wenigen Orten sollten sich Versehrtensportgruppen über das Jahr 1918 hinaus halten, und alle diese Gruppen waren nicht etwa in Turn- und Sportvereinen beheimatet, sondern sie entstanden aus anderen, ganz unterschiedlichen Gründungssituationen heraus. So gründete sich in Berlin 1922 ein „Radsportclub für Kriegs- und Zivilgeschädigte“, dem Sportler angehörten, die bereits vor ihrer Verwundung oder ihrem Unfall Erfahrungen im Radsport besaßen; bemerkenswert war hier das Nebeneinander von kriegs- und zivilbeschädigten Sportlern. In München hatte sich 1920 im Rahmen des Reichsbundes für Kriegsbeschädigte ein Verein Erholungspark für Kriegsversehrte gebildet, der auf einem Reichsbundgelände einen Erholungspark mit Schwimmbad, Turngeräten, Spielstätten und Duschen einrichtete; dieser Verein, der kurz nach seiner Gründung 45 Mitglieder besaß, existiert noch heute.19

1919 formierte sich in Aachen eine Gruppe kriegsversehrter Schwimmer, die sich im Lazarett kennengelernt hatten, und gründete mit Unterstützung eines Kriegsopferverbandes 1926 einen eigenen Sportverein. Aus diesem Verein ging nach 1945 die VSG Aachen und später die BSG Aachen hervor. In Hannover fand sich 1920 unter dem Sportarzt und Kriegsteilnehmer Dr.Wolfgang Lettenbaur eine Gruppe zusammen, die mit Unterbrechungen bis 1939 Versehrtensport betrieb. Lettenbaur arbeitete im Versorgungsamt; im Zweiten Weltkrieg war er als Versehrtensportarzt in Lazaretten tätig. 1950 fungierte er als Mitbegründer des VSV Hannover und wurde schließlich zu einem der führenden Versehrtensportfunktionsträger auf Landes- und Bundesebene.20 In Göppingen sammelte der kriegsversehrte Arzt Dr.Heinrich Zeller ab den späten 1920er-Jahren Kriegsbeschädigte um sich und übte mit ihnen privat in seinem Garten, wo er eine kleine Turnhalle baute. Aus diesen Anfängen, die die Jahre 1933 und 1945 überdauerten, sollte dann später die VSG Göppingen werden; ihr erster Vorsitzender wurde Heinrich Zeller.21 Und in Leipzig fanden sich in den 1920er-Jahren im Rahmen eines Kriegsopferverbandes einige Kriegsversehrte zu einer Sportgruppe zusammen, die ebenfalls den Zweiten Weltkrieg überdauern konnte und den Leipziger Versehrtensport mitbegründete.22

Diese Gruppen, die möglicherweise noch um die eine oder andere bislang unbekannte Gründung ergänzt werden könnten, waren zwar klein und vereinzelt. Bemerkenswert jedoch ist, dass einige von ihnen den Kern der jeweiligen späteren Versehrtensport- bzw. Behindertensportvereine nach 1945 gebildet haben. Hätte es mehr von diesen Gruppen gegeben und hätten sie sich bereits damals überregional organisieren können, dann hätte sich der Kriegsversehrtensport nach 1945 vielleicht besser und schneller formieren können.

Damit gab es zwar bis 1933 durchaus behindertensportliche Aktivitäten, doch sie waren isoliert und traten nur in Ausnahmefällen untereinander in Verbindung. Zwar gab es Behindertensport für Kinder und Jugendliche, es existierten einzelne Blindensportvereine und Sportgruppen für Menschen mit Körperbehinderungen sowie Versehrtensportgruppen für Kriegsversehrte und zudem eine in sich abgeschottete Organisation für Sport bei gehörlosen Menschen. Trotz der Tatsache, dass die historischen Wurzeln des späteren Behindertensports von diesen Initiativen ausgingen, wird man dennoch kaum von einem Phänomen „Behindertensport“ sprechen können; es gab keine gemeinsame Dachorganisation, keine gesetzlichen Bestimmungen, keine gemeinsame finanzielle Basis, keine Maßnahmen für Bildung und Ausbildung von Übungsleitern, keinen Sportverkehr und keine oder kaum Wettkämpfe untereinander sowie keine oder kaum Anbindungen an die damals existierenden Dachorganisationen des Sports.

3.Behindertensport im Nationalsozialismus von 1933 bis 1939

Im Nationalsozialismus wurde der bis dahin unsystematisch organisierte Behindertensport systematisiert und verbindlicher organisiert. Dies mutet zunächst merkwürdig an, war doch die Politik der Nationalsozialisten in Bezug auf Menschen mit Behinderungen geprägt von der Ausgrenzung und „Ausmerzung“ von körperlich und geistig „imperfekten“ Menschen. Die rassenideologische und nützlichkeitsorientierte Ideologie im „Dritten Reich“ bestimmte die Kategorien von „gesund“ und „krank“ und von „behindert“ und „nichtbehindert“. Mit der Aussonderungspolitik von Menschen mit Behinderungen und im Rahmen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurden etwa 400.000 von den Nationalsozialisten als erbkrank eingestufte Personen zwangssterilisiert. Im Zuge der sogenannten „Euthanasie“ wurden zwischen 100.000 und 275.000Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen ermordet.23

Dennoch gab es zahlreiche Menschen mit Behinderungen, die nach 1933 gefördert, in NS-Organisationen eingegliedert oder zumindest akzeptiert wurden. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch hier der Grad der Arbeits- und Bildungsfähigkeit sowie die NS-Ideologie der „Volksgemeinschaft“. Diejenigen Menschen mit Behinderungen, die für das Regime von Nutzen waren, von den Behörden nicht als „erbkrank“ eingestuft wurden und sich überdies als „rasserein“ erwiesen, wurden in gewissem Maß in die Arbeits-, Freizeit- und Bildungsprozesse eingegliedert, ohne jedoch vollständig und gleichberechtigt integriert zu werden. Vor allem ab 1939, als durch die Einberufungen zur Wehrmacht ein Arbeitskräftemangel entstand, wurden zahlreiche Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt eingegliedert und ihnen höchste Arbeitsleistungen abverlangt. Als ein bedeutsames Mittel für ihre Arbeits- und Bildungsfähigkeit wurden Leibesübungen betrachtet.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!