Von der Dunkelheit begehrt - Naya Mouze - E-Book
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Von der Dunkelheit begehrt E-Book

Naya Mouze

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Beschreibung

Wir springen gemeinsam, du und ich, in die Tiefen meiner Dunkelheit Finya Du hattest mich gewarnt. So oft hast du mir gesagt, deine Nähe ist gefährlich und wird mich ins Verderben stürzen. Nun bist du es, der zu Fall gebracht wurde. Ich wollte mit dir fallen, Zayn. Du hast mir versprochen, du bleibst bei mir, doch wo bist du jetzt? Ich kann dich nicht mehr spüren, dich nicht erreichen, dich nicht finden … Sag mir bitte, warum! Warum bist du so ein Egoist? Warum musst du mich unbedingt beschützen? Warum hast du mir Versprechen gegeben, die du nicht hältst? Wie soll ich mein Versprechen halten? Wie soll ich damit leben können, was dir meinetwegen passiert ist? Es sind immer dieselben Fragen, die ich dir stelle. Die mich zerreißen. Deren Antworten nur du kennst. Aber du, Zayn … Du schweigst … und bleibst mir jede einzelne schuldig. Zayn Alles was ich will, kleine Fey, ist … dass du lebst.

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Seitenzahl: 447

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Von der

Dunkelheit begehrt

∞ Leide für mich ∞

written by

Naya Mouze

Band 3 der Dunkellicht-Reihe

Table of Contents

Table of Contents

Impressum

Triggerwarnung

Widmung

Playlist

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Fortsetzung

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

3. Auflage 2025

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Sternfeder Verlag

Bildmaterial lizensiert über Adobe Stock und OpenAi

Korrektorat/Lektorat: Sternfeder Verlag

Herausgegeben von: Sternfeder Verlag, Bogenstr.8, 58802 Balve

www.sternfederverlag.de

[email protected]

Verlagslabel: Sternfeder Verlag

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors oder Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Davon ausgenommen sind kurze Auszüge, die zum Zwecke der Rezension entnommen werden.

Personen und Handlungen im Roman sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden oder verstorbenen Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

https://portal.dnb.de/opac.htm

Triggerwarnung

Du ...

Hast du noch immer nicht genug?

Willst du ernsthaft herausfinden, wie viele unterschiedliche Arten von Leid es gibt?

Wie tief Abgründe wirklich sein können?

Wie viel Schmerz es braucht, um zu zerbrechen?

In eurer Welt sagt man, alle guten Dinge sind drei. Also gut, ich werde mich eurer Welt einen Moment lang anpassen. Für dich wiederhole ich, was ich schon zwei Mal gesagt habe.

Egal, wie oft du umblätterst, ein Märchen wirst du nicht finden.

Feys und meine Geschichte besteht aus körperlicher und psychischer Gewalt, Lügen und Verlusten. Aus Rauschmitteln, beleidigenden, verletzenden Worten, hartem Sex und Grenzenlosigkeit.

Unsere Begierde und Liebe enthält Schmerz und Leidenschaft. Scheint auf den ersten Blick toxisch, auf den zweiten wird es dir bestätigt. Und vielleicht findest du ja auch noch mehr Grausamkeiten in meiner dunklen, magischen Welt.

Kommst du also nicht damit klar oder sollte es dich triggern, dann hör auf zu lesen oder lass es komplett. Unsere Geschichte ist nichts für dich.

Sind allerdings Antworten auf meine Fragen das, was du willst, dann reiche ich dir meine Hand. Ergreife sie und ich nehme dich mit.

Wir springen gemeinsam, du und ich, in die Tiefen meiner Dunkelheit …

Widmung

Für alle, die niemals aufgeben.

Für alle, die an Wunder glauben.

Für alle, die auch in der tiefsten Dunkelheit noch Licht sehen.

Playlist

Bruce Springsteen – Magic

Marilyn Manson – Tainted Love

Billy Talent – Rusted from the rain

Emma Louise – Jungle

Caesars – Jerk it out

Robin Schulz ft. Felix Jaehn – I got a feeling

Missio – Twisted

Abby Anderson – I sill love you

Natalie Taylor – In the air tonight

Prolog

Das Morgengrauen.

Es vertreibt die Dunkelheit der Nacht.

Die aufgehende Sonne küsst den Boden und erhellt deine Welt.

So magisch.

So faszinierend.

So trügerisch.

Du verlierst dich im Kunstwerk der bunten Farben, die den klaren Himmel prachtvoll färben.

Du hörst das zarte Flüstern der Natur. Lässt dich verzaubern.

Und glaubst nicht, dass etwas so Schönes jemals vergehen kann.

Du täuschst dich.

Denn selbst der malerischste Horizont kann von Wolken verschleiert werden.

Sie werden dichter, der Himmel dunkler.

Sie sind heimtückisch.

Sie beherbergen das Grauen, das niemals schläft.

Es schleicht sich an.

Still und leise wartet es auf den einen Augenblick, der deine Welt ins Schwanken bringt. Um den Zauber des Morgens zu beenden …

Kapitel 1

Finya –Angst

»Zayn, pass auf!« Meine Stimme überschlägt sich.

Sein Gesichtsausdruck wechselt in Sekundenbruchteilen von erleichtert zu erschrocken, dann erstarrt er. Ich höre mich selbst irgendetwas kreischen, das keinen Sinn ergibt. Hilflos muss ich zusehen, wie er gequält die Augen und Lippen zusammenpresst und seine Hände auf die Schläfen drückt. Der Zerax hinter ihm fixiert ihn unerlässlich mit seinen dunklen, gefühllosen Augen. Ohne darüber nachzudenken, stürze ich los, stolpere herum, auf ihn zu. Weiß nicht, was ich tun soll, versuche mein Licht zu greifen, finde es nicht. Meine Augen haften nur an ihm.

Ruckartig bleibe ich erneut wie angewurzelt stehen. Zayn blinzelt. Er holt Luft und nimmt die Hände von seinem Kopf, dann sieht er mich an. Zitternd und dennoch erleichtert atme ich auf und will weiter auf ihn zu rennen, da fällt mein Blick zurück auf das Monster. Es steht jetzt weiter von ihm entfernt. Rotes Licht umspielt die Arme des Zerax. Irgendetwas Längliches bildet sich in dessen Hand, bevor er eine drehende Bewegung mit dem Arm macht und ausholt. Noch immer panisch und mit zusammengekniffenen Augen versuche ich zu erfassen, was es ist. Bis ich es erkenne - das absolute Grauen.

Nein!

»Zayn, lauf!«, kreische ich völlig geschockt und kann mich wieder nicht von der Stelle bewegen. »Geh! Bitte! Lauf, Zayn!«

Er reagiert nicht. Es kommt nichts von ihm. Er sieht einfach nur vollkommen verwirrt zu mir. Instinktiv versuche ich erneut, nach meinem Licht zu greifen, wieder finde ich es nicht. Im nächsten Moment bleibt mein Herz stehen. Alles bleibt stehen. Die Welt, die Zeit, das Universum.

Mich erfasst eine Schockstarre, die es mir unmöglich macht, wirklich zu realisieren, was ich sehe. Ich glaube, mich weiter schreien zu hören, während sich das Schlimmste, was passieren kann, vor mir abspielt. Wie ein Horrorfilm, den man nicht stoppen kann. Ich sehe den Zerax, der auf einmal dicht hinter Zayn steht. Den Pfahl, den das Monster gerade noch in der Hand gehalten hat … Er ragt aus Zayns Brust. Obwohl sein Oberteil dunkel ist, kann ich verfolgen wie Blut aus der Wunde tritt. Zu viel Blut. Unmengen an Blut …

Ohne jegliche Gewalt über meinen Körper stehe ich da und starre ihn an. Zayn wendet seinen Blick von mir ab und sieht an sich herunter. Da ist keine Regung in seinem Gesicht. Keine einzige Emotion, die bei mir ankommt. Langsam, fast bedächtig, hebt er seine Hand an und umgreift den Stock. Wie in Zeitlupe zieht er ihn, Stück für Stück, aus seiner Brust. Immer noch kann ich nichts weiter tun, als ihn anstarren. Ich spüre Angst irgendwo in mir, die mir alles abschnürt. Verzweiflung, die mich lähmt, und kann nicht wirklich verarbeiten, was ich sehe, obwohl so viele grausame Gefühle durch mich hindurchrauschen. Mir ist kalt und gleichzeitig glüht mein ganzer Körper.

»Zayn …?«

Zögerlich hebt er seinen Kopf an. Seine hellblauen Augen blitzen kurz auf, fixieren mich, dann verlieren sie jeglichen Glanz. Er geht in die Knie, schließt eine Sekunde lang die Lider und blickt mich daraufhin wieder an. Ein kleines Lächeln umspielt plötzlich seine Lippen. Es zerfetzt alles in mir. Ich schaffe es nicht mehr zu atmen, doch meine Schockstarre endet abrupt. Wie von Sinnen hetze ich zu ihm. Will etwas sagen, ihn reden hören, doch bevor ich ihn erreiche, kippt er zur Seite und bleibt reglos auf dem Boden liegen. Auf meinen Knien landend, werfe ich mich neben ihn.

»Komm, steh auf«, dränge ich ruhig, obwohl alles in mir danach verlangt, ihn anzuschreien.

Er blinzelt mich an. Seine Pupillen weiten sich. Seine matten, hellblauen Iriden werden zu einem leeren Grün. Als würde er mit mir sprechen wollen, zucken seine Lippen, ihm entweicht aber kein Laut. Ein letzter Augenaufschlag, dann bleiben seine Lider geschlossen.

»Zayn, hey …« Ich rüttle an seinem schlaffen Körper. »Mach die Augen auf, Zayn!«

Er tut es nicht.

»Los, steh auf. Wir müssen hier weg!«

Er bleibt liegen.

Ich muss irgendetwas tun. Mein Kopf schnellt herum, sucht alles ab. Der Zerax ist verschwunden. Hier ist niemand. Wir sind allein. Keiner kann mir helfen.

»Bitte … kann mich jemand hören? Ist hier irgendwer?! Helft mir … Bitte«, hauche ich zu leise, ich bekomme kaum mehr einen Ton heraus. »Jemand muss ihm helfen.«

Meine Augen richten sich gen Himmel, in der Hoffnung, diese Welt erhört mich. Irgendwer erhört mich, doch da ist niemand. Niemand, der zu mir kommt und Zayn hilft, während er schweigt.

»Es wird alles gut. Komm mit mir. Bitte steh auf«, flehe ich den wunderschönen, verletzten Mann vor mir an, doch von ihm kommt nichts mehr.

Seine Haut wird blasser, seine Atmung flacher. Ich kann auf einmal spüren, wie seine Magie verschwindet. Wie sie schwächer wird.

»Ich … vielleicht ist jemand in der Hütte. Ich schaue nach. Halt bitte durch«, gebe ich Zayn aus meiner Verzweiflung heraus Bescheid, obwohl mir etwas sagt, auch dort werde ich niemanden finden. Trotzdem stehe ich auf und stürme zu der Tür, die ich vorhin schon nicht öffnen konnte.

»Hallo! Wir brauchen Hilfe!« Mit der Faust hämmere ich gegen das Holz. »Bitte! Ist jemand da?!«

Noch mehrmals schlage ich gegen die Bretter, doch sie öffnet sich nicht. Flach bleibt meine Hand darauf liegen, während meine Hoffnung langsam verschwindet. Ich senke meine Stirn auf meine Hand.

»Ist denn keiner da? Kiran, Mimi … irgendwer …?«, frage ich daraufhin nur noch hauchend. Grausame Schmerzen breiten sich in mir aus. Sie sind kaum erträglich. Mein Herz klopft mit jedem Schlag schmerzhaft.

Nein. Nein, das darf nicht passieren!

Erneut eile ich zurück zu Zayn. Er liegt weiterhin auf dem Boden. Ich versuche, ihn hochzuheben und mit mir zu nehmen. Ihn irgendwie aus dieser Bucht herauszubekommen und zur Simerty zu bringen, schaffe aber kaum einen Meter mit ihm. Mir wird klar, dass ich ihn nicht tragen kann, wenn er nicht halbwegs bei Bewusstsein ist und mich in irgendeiner Form unterstützt.

»Warum stehst du denn nicht auf?«, frage ich ihn leise. Wie vorhin auch schon, reagiert er nicht.

Mit geschlossenen Augen sinke ich zurück auf die Knie, hebe seinen Kopf an und bette ihn auf meine Oberschenkel. Es wird plötzlich stockdunkel. Erst beginnt es leicht zu nieseln, dann preschen Regentropfen auf uns herab. Es ist, als würde der Himmel anfangen zu trauern. In meinen Augen sammeln sich Tränen, die kurz darauf meine Wangen hinablaufen und sich mit den Tränen des Himmels vermischen. Sie sickern gemeinsam in den Boden unter uns.

Vorsichtig streife ich die nassen schwarzen Haare von Zayns Stirn und lege meine Lippen auf seine Haut. Als würde ich ihn damit heilen können, ihn damit zum Aufstehen bewegen können, was er nicht macht. Überfordert flehe ich ihn immer weiter und weiter an, mir zu sagen, was ich tun soll, doch er bleibt stumm.

Mich trifft mit einem Mal die Erkenntnis, dass er sterben wird. Er wird sterben, weil ich nichts tun kann, um ihm zu helfen. Weil ich ganz allein hier bin. In mir schnürt sich alles ab. Mein Herz gefriert mit jeder weiteren Sekunde, die vergeht und in der er einfach nichts mehr sagt und sich nicht rührt. Wippend, mit seinem Kopf auf den Beinen sitze ich irgendwann nur noch da und kann nichts greifen. Nichts erfassen. Ihm nicht helfen. Ihn nicht halten. Seine Haut ist mittlerweile eiskalt, wie die Böen, die uns umwehen, als wäre die Pforte in den Tod geöffnet worden.

»Bleib bitte bei mir. Du kannst mich nicht verlassen«, flehe ich ihn erneut an und werde von so heftigen Schluchzern geschüttelt, dass ich nicht mehr fähig bin, etwas anderes zu tun als weinen.

Ich kann ihn doch nicht einfach gehen lassen. Er kann mich nicht einfach hier zurücklassen.

Ich weine weiter. Weine um alles. Um seine Liebe, sein Lächeln, seine Wärme. Um alles, was ich verliere, wenn er nicht mehr bei mir ist. Ich bete, minuten- oder stundenlang und hasse mich, weil ich zu schwach bin, ihn zu tragen, ihn hier wegzubringen.

»Du bist stark. Mach die Augen auf. Schau mich an, Zayn, und sag mir, was ich tun muss«, hauche ich ihm Forderungen entgegen, ohne Antworten zu erhalten. Bis sich in mir auf einmal eine Ruhe ausbreitet. Sie stoppt meine Tränen und versetzt mich in eine Trance. Es ist nicht angenehm, sondern das genaue Gegenteil. Diese Trance ist das Schlimmste, was ich je gefühlt habe. Schlimmer als Einsamkeit. Nicht zu vergleichen mit Leere oder Hoffnungslosigkeit. Sie ist allumfassend und bitter. Nimmt mir meine Handlungsfähigkeit und zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Ich fühle mich, als würde ich in ein Loch ohne Boden fallen. Doch dann wird mir heiß. Eine unkontrollierbare Wut rauscht durch mich hindurch. Meine Finger verkrampfen sich im nassen Stoff von Zayns T-Shirt. Sie bringt mich wieder zum Zittern. Ich bin mit einem Mal auf alles wütend. Auf diese Welt, auf das Monster, auf mich.

Er ist mit mir hierhergekommen. Wir sind nur hier, weil er mein Mentor ist und mir etwas beibringen wollte.

Erneut fange ich an zu schluchzen. »Es tut mir leid«, entschuldige ich mich für meine Unfähigkeit. Denn würde ich mein Licht beherrschen können, wären wir niemals in diese Bucht gegangen. Das Monster hätte ihn nicht verletzen können … Mich verlässt all meine Kraft. Nochmals sehe ich in sein Gesicht. Der Regen perlt an ihm herab, seine Lippen schimmern bläulich.

Er verlässt mich …

Es ist diese eine Erkenntnis, dieser kurze Augenblick, zwischen all dem Chaos in mir, die mir letzten Endes jeglichen Lebenswillen nimmt. Mich niederreißt. Mich zerstört.

»Ich liebe dich«, flüstere ich ihm zu, streiche behutsam über seine Wange und will mich zu ihm legen, damit er nicht ohne mich in den Tod gehen kann.

Vielleicht werde ich mitgenommen …, denke ich, doch plötzlich erweckt ein Rascheln in meiner Nähe meine Aufmerksamkeit. Ich höre ein Flüstern, sanft und warm. Verstehe die Worte nicht, aber sehe ein Licht. Aus dem matschigen Boden neben mir steigt es auf, klein wie ein Glühwürmchen. Und auf einmal steht sie da, wie aus dem Nichts. Sie strahlt, sie glitzert, ist wunderschön – eine Blume. Eine, die aussieht wie Zayns, nur sind ihre Blüten schwarz und rot.

Hoffnung steigt in mir auf. Meine Handflächen kribbeln, so intensiv, dass ich sie anheben muss. Ein unglaublicher Druck entsteht in meinem Inneren, stark und mächtig.

Wie gebannt starre ich auf meine Hände, die plötzlich fliederfarben leuchten. Ich weiß nicht, was passiert. Bin wie ferngesteuert, als wäre ich nicht ich selbst. Kann keinen Gedanken fassen und meine Bewegungen nicht steuern. Meine Hände legen sich auf Zayns Brust, genau auf die Wunde, die versucht, ihn mir zu nehmen, die ihn auslöschen will. In mir entsteht ein noch stärkeres Kribbeln. Meine grässlichen Gefühle vermischen sich mit der Hoffnung, die die Blume in mir erweckt. Mit einem Schlag ist alles weiß und violett. Es greift ineinander, die Bucht um uns herum verblasst und verschwindet. Der Druck in mir ist genauso schnell weg, wie er kam.

Ich blinzle mehrmals, will verstehen, was passiert ist, glaube einen Moment lang, ich bin tot, dann erkenne ich wieder Zayn. Er liegt vor mir auf dem Boden. Nur nicht mehr an der Hütte, sondern auf dem Schotter des Vorplatzes der Simerty. Er bewegt sich noch immer nicht. Seine Augen sind weiterhin geschlossen. Er atmet kaum noch. Wie in Trance hebe ich erneut meine Hände, an denen sein Blut wie Wasserfarbe herabfließt.

Das ist zu viel. Es ist ... Irgendetwas in mir regt sich und lässt mich instinktiv handeln.

»Hilfe! Bitte! Helft mir!«, brülle ich aus Leibeskräften gegen die Geräusche des Donners über uns an.

»Du musst bei mir bleiben. Hörst du mich? Du hast mir versprochen, für mich zu leben. Wir sind an der Simerty. Du bekommst Hilfe«, rede ich auf Zayn ein, aber wieder bleibt er stumm. Kein lässiger Spruch, kein anzüglicher Kommentar - nichts.

So laut ich kann, schreie ich nochmal nach irgendwem und ziehe ihn weiter auf meine Beine. Wippe mit ihm hin und her, versuche ihn bei mir zu behalten, weil er mich nicht zurücklassen kann, jetzt, wo wir doch endlich nicht mehr in der Bucht sind.

Er darf mich nicht verlassen.

»Hallo! Hilfe!« Meine Stimme überschlägt sich. »Lass das nicht zu. Bitte, lass es nicht zu«, bete ich daraufhin kratzig und leise zu einer unsichtbaren Kraft. Ich kann ihn nicht verlieren.

Plötzlich spüre ich etwas. Jemand packt mich. Unnachgiebig umgreift irgendwer meine Arme und zerrt mich grob von Zayn weg. Ich will mich an ihn klammern, doch er entgleitet mir.

Großes Stimmengewirr. Schemenhafte Gestalten um mich herum. Alles ist durcheinander. Ich realisiere nicht mehr richtig, was los ist und sehe nichts mehr. Warum sehe ich nichts?

»Wer ist das?«, fragt jemand.

»Bringt ihn in den Krankenflügel«, ruft ein anderer.

»Macht Platz.«

»Verfluchte Scheiße … Beeilt euch!«

»Stellt sie ruhig.«

»Er muss sofort behandelt werden.«

»Ich sagte, stellt sie ruhig!«

»Loslassen! Lasst mich los! Zayn!«, kreische ich schluchzend, aber er ist weg. Ich finde ihn nicht mehr. Wie eine Irre schlage ich um mich und treffe irgendetwas, dann spüre ich ein Widerstand.

»Lasst ihn nicht sterben. Bitte nicht …«, wimmere ich dem Umriss vor mir zu, während meine Kehle sich immer weiter zuschnürt.

»Finy, schau mich an. Du musst dich beruhigen«, spricht eine männliche Stimme mit mir, aber ich kann nicht. Ich versuche Luft zu holen, aber es kommt kein Sauerstoff in meine Lungen. Ich fühle mich gefangen und so unfassbar hilflos.

»Lasst ihn nicht sterben ...« Mein ganzes Leben scheint mir nichts mehr wert zu sein, wenn ich es ohne Zayn verbringen muss.

Das schwarze Loch zieht mich in seine Tiefen. Ich glaube, ich schlage erneut um mich, sicher bin ich mir nicht.

»Das hat keinen Sinn«, höre ich jemanden hinter mir sagen.

»Es wird alles gut«, wiederholt ständig eine Stimme denselben Satz.

Nichts ist gut. Gar nichts. Ich will protestieren, weil ich zu Zayn muss. Er braucht mich, doch ich werde auf einmal so schwach und müde. Meine Beine tragen mich nicht mehr lange, aber das ist mir egal. Ich muss zu ihm. Ich muss bei ihm sein, damit er weiß, dass ich da bin. Dass ich ihn niemals allein lasse.

Irgendetwas hüllt mich weiter ein. Es fühlt sich falsch an, gleichzeitig ist es wie Balsam. Krampfhaft versuche ich, die Augen offen zu halten, um mitzubekommen, was passiert, aber meine Augenlider werden immer schwerer. Ich schaffe es nicht mehr. Schaffe es nicht mehr, etwas zu erfassen. Meine Muskeln werden ganz schwach, ich kann mich nicht mehr bewegen.

Müde. Ich bin so fürchterlich müde. Mein Kopf ist plötzlich wie leergefegt, ich höre auf mich zu wehren …Vielleicht schlafe ich ein. Vielleicht sterbe ich auch. Ich weiß es nicht. Es ist mir egal, denn alles um mich herum ist nur noch schwarz.

Kapitel 2

Finya – Ein Licht für dich

Zweiundsiebzig Stunden.

So lange sitze ich schon hier, auf dem Boden, und starre das dunkle Holz an. Die Tür, aus der niemand herauskommt. Zweiundsiebzig Stunden, in denen mir keiner gesagt hat, wie es Zayn geht. Ich bin nicht fähig, mich zu bewegen oder wirklich etwas zu erfassen, außer Mimi. Sie sitzt neben mir und hat ihren Kopf auf meine Schulter gelegt. Wann sie gekommen ist, weiß ich nicht genau. Auch Kiran war hier, ich glaube, mich daran zu erinnern, er hat gesagt, er geht rauchen.

Vier Tage.

Ich öffne die Tür, nachdem Kalaina mir gesagt hat, ich darf endlich zu Zayn. Es ist still in dem Krankenzimmer. Mein Blick fällt auf das Bett, in dem er liegt. Leise trete ich weiter ein, bis ich bei ihm ankomme. Mimi und Kiran folgen mir.

Zayn sieht aus, als würde er schlafen, die Heilerin meinte allerdings, er befindet sich in einer Art Koma, wie man es auch aus der Menschenwelt kennt. Obwohl ich außer einem weißen Verband keine weiteren Verletzungen erkenne, schockt mich sein Anblick. Außerdem sind vier Tage vergangen und ich sehe keine Geräte, die ihm irgendwelche Nährstoffe zukommen lassen oder ihn überwachen.

»Woher weiß man, wie es ihm geht? Er braucht doch etwas zu essen und zu trinken.« Fragend sehe ich zu meinen Freunden.

»Braucht er nicht. Er braucht Magie«, erklärt mir Kiran.

»Und Kalaina hat als Heilerin die Fähigkeit zu spüren, wie es anderen Wesen geht, ob sie ihnen helf … ob sie Medizin brauchen und wann«, fügt Mimi noch hinzu. Ich weiß, sie wollte eigentlich sagen, ob sie es schaffen oder sterben.

»Okay«, gebe ich leise zurück, nehme einen der Stühle und ziehe ihn an Zayns Bett. Dann setze ich mich. »Ich bin jetzt bei dir, Zayn. Falls du mich hören kannst … Ich bin wieder bei dir und ich werde nicht mehr weggehen.«

Sieben Tage.

» … sie liegen verborgen in einer kleinen Truhe, auf dem Grund des Meeres. Der Schatz kann nur von dem gefunden werden, der nie eine Sünde beging …«

Das Geräusch der sich öffnenden Tür lässt mich aufsehen. Ich klappe das dicke Buch auf meinem Schoß zu. Mimi kommt herein und stellt einen Teller Früchte auf den Tisch.

»Wirst du heute etwas mehr essen?« Besorgt blickt sie auf mich herab.

Ich nicke, wobei ich weiß, ich bekomme sowieso nichts herunter. Meine Lüge laut aussprechen will ich nicht.

»Tu es, bitte. Ich weiß, es ist schwer, aber ein bisschen musst auch du im Magen haben, um dich zu stärken.« Beinahe flehend sieht sie mich an.

Wie mechanisch greife ich nach einer der aufgeschnittenen Früchte und esse sie. Nach was sie schmeckt, weiß ich nicht, es ist mir gleichgültig. Ein kleines Lächeln bildet sich auf Mimis Gesicht.

»Danke«, flüstert sie, bevor ihr trauriger Blick zu Zayns Bett gleitet und ihre Augen glasig werden. Sie schluckt schwer, dann schaut sie zurück zu mir. »Er wird aufwachen, Finya. Ich spüre das.«

Meine Lider schließen sich einen Moment. »Ja … Ja, das wird er.«

Dreiundzwanzig Tage.

Ich sitze auf einem Stuhl und starre auf seine über der Bettdecke liegende Hand. Bin selbst in eine Decke gewickelt, die mich allerdings nicht wärmt. Ich studiere sie, die schwarzen Linien, Bilder und Schattierungen auf seinem Arm, der sich nicht bewegt.

Ich erinnere mich daran, wie ich sie das erste Mal betrachten konnte, an der Bucht, als er mich überzeugen wollte, es wäre alles real, was mir passiert ist. Ich war so geblendet und fasziniert von seiner Dunkelheit und der Gefahr, die von ihm ausging. Von der Stärke, die er ausgestrahlt hat … von der aber, seit dreiundzwanzig Tagen, kaum mehr etwas übrig ist.

Achtundsechzig Tage.

Es sind achtundsechzig Tage und Nächte vergangen, die ich nur an Zayns Krankenbett verbracht habe. An denen »Magic« von »Bruce Springsteen« in Dauerschleife, fast das einzige Geräusch um mich herum war … denn seit achtundsechzig Tagen ist er nicht aufgewacht.

Seine Augen sind geschlossen. Er sieht aus, als würde er schlafen, ganz friedlich und ruhig. Er ist wunderschön, doch viel zu blass. Um seinen Oberkörper ist noch immer der Verband gewickelt, der die Wunde verdeckt, die nicht heilen will. Er hat sie nur wegen mir. Er hat mich gerettet und dafür ist er es jetzt, der leidet.

Was würde ich alles tun, um sein verschmitztes, schiefes Grinsen nochmal zu sehen. Seine Wärme zu fühlen, seine Küsse auf meiner Haut, einfach seine Lippen zu spüren und die Impulse, die sie in mir auslösen. Er fehlt mir so sehr.

Mein Herz zieht sich so schmerzhaft zusammen, dass mir Tränen in die Augen steigen. Krampfhaft versuche ich, sie wegzublinzeln, denn es sind eigentlich keine mehr übrig, und doch brennen sie in meinen Augen wie Säure. Ich senke den Kopf und lege meine Hand auf Zayns.

»Du musst zurückkommen«, hauche ich schwach. Wie bei jeder Berührung seiner Haut, schlagen die grausamen Bilder an der Bucht auf mich ein. Ich lasse sie zu. Den Ausdruck in seinen blauen Augen, als ihm bewusst wurde, was passiert ist, und sein kleines glückliches Lächeln, das nicht zu dem Gefühl in mir passt, das mich seitdem auffrisst.

»Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum war es okay für dich? Warum musstest du mich beschützen?« Diese ganzen Fragen zerfressen mich, weil ich keine Antwort auf sie finde. Weil sie mir keiner beantworten kann … Weil sie schlafen, wie Zayn … mit ihm.

Neunundsechzig Tage.

Ich versuche mich zu erinnern. Was ist passiert, nachdem ich bei Zayn ankam? Nachdem er sich in meinen Armen nicht mehr bewegt hat? Ich weiß es nicht. Was Collin mir erzählt hat, fehlt. Sie mussten mich ein paar Stunden ruhigstellen, meinte er. Aber er hat auch gesagt, Zayn wird wieder gesund … vor neunundsechzig Tagen.

Bisher hat sich an seinem Zustand nur nichts verändert und das jagt mir eine Angst ein, die ich kaum mehr ertragen kann. Ich ertrage mein Leben nicht mehr. Ertrage es nicht, dass ich an allem schuld bin.

Mich hat keiner gefragt, was geschehen ist, oder woher Zayn die Wunde hat. Oder aber, ich kann mich daran nicht mehr erinnern, wie an den ganzen Rest. Irgendwie werde ich auch, außer von meinen Freunden, völlig ignoriert. Es ist mir recht, wenn ich dadurch bei Zayn bleiben kann. So kann ich ihm beistehen, denn vielleicht spürt er mich. Vielleicht weiß er, dass ich bei ihm bin … Auch wenn diese kleine Hoffnung kaum mehr greifbar ist. Dennoch will ich sie nicht verlieren. Ich kann nicht, denn es würde bedeuten, dass ich ihn aufgebe, weil keiner ihm helfen kann, genauso wenig wie mir. Deshalb würde es auch nichts bringen, mit jemandem zu reden.

Was soll ich ihnen sagen? Was sollen sie mir sagen? Niemand kann diese Kälte in mir vertreiben. Sie ist da und sie vergeht nicht. Die Versuche, mich zum Sprechen zu bringen sind sinnlos.

Trotzdem bleiben Mimi und Kiran hartnäckig. Mimi unauffälliger als Kiran, der seither so etwas wie mein persönlicher Wachhund ist. Ständig versucht er, mich zu überreden, etwas zu essen. Ich bekomme nur kaum etwas herunter, wenn Zayn so regungslos vor mir liegt. Mimi hingegen stellt das Essen immer auf dem Tisch neben mir ab. Mittlerweile schweigend, denn auch ihr gehen wohl langsam die Worte aus.

»Wenn man all das Zerstörerische ignoriert, dann erkennt man, wie zerbrechlich die Magie in Wahrheit ist«, höre ich andauernd Zayns Worte. Wenn ich ihn ansehe, glaube ich zu verstehen, was er mir damals sagen wollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits geahnt, dass er nicht nur über diese Welt und ihre Magie spricht, sondern auch über sich selbst. Leider wird es mir erst jetzt wirklich bewusst.

»Finy, du musst echt mal hier raus. Er bringt mich um, wenn er aufwacht und du wie ein Geist aussiehst«, versucht mich Kiran erneut dazu zu bringen, endlich mal an die frische Luft zu gehen.

Ich sehe zu ihm.

Seine Augen blicken mich besorgt an. »Du weißt, dass ich recht habe«, fügt er mahnend noch hinzu.

Ja, vermutlich hat er das. Ich habe mich seit dem Angriff nicht mehr im Spiegel angesehen und kann nur erahnen, wie schlimm ich wirklich aussehen muss. Es ist mir wirklich egal.

»Aber was ist, wenn er aufwacht und ich nicht hier bin?« Meine Stimme klingt kratzig vom vielen Schweigen. Es sind die ersten Worte seit Tagen, die ich überhaupt mit irgendwem rede, außer mit mir selbst. Denn etwas anderes sind die Gespräche zwischen Zayn und mir nicht.

»Wenn er aufwacht, wirst du die Erste sein, die es erfährt. Joel und Mimi bleiben bei ihm. Er wird nicht allein sein«, versichert er mir.

Von Kiran sehe ich zu Zayn und wieder zurück. Dann zwinge ich mich, aufzustehen. Mehr widerwillig, aber ich will nicht diskutieren. Wenn ich einfach mitgehe, kann ich schneller wieder hier sein.

Meine Beine sind wackelig und kurzzeitig wird mir schwummrig. Ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen, doch Kiran merkt es trotzdem und greift nach meinem Arm, damit ich nicht umfalle.

»Finy, tu mir bitte den Gefallen und iss irgendwas. Ich kann doch nicht tatenlos zusehen, wie du nach und nach vor Sorge und Schuldgefühlen stirbst. Dein Körper wird das nicht mehr lange mitmachen.« Sanft streicht er mir über die Wange, während ich mich am Bettrand abstütze. Gern würde ich etwas fühlen, doch da ist nichts und deshalb erwidere ich auch nichts.

»Wenn du es nicht für mich und dich tust, dann tu es für ihn. Du weißt, er würde ausrasten, wenn er wüsste, wie du dich verhältst.«

Meine Kehle schnürt sich wieder zusammen. Das würde er und ich wäre so glücklich darüber …denn es würde bedeuten, er ist bei mir, doch das ist er nicht. Sein Körper ist hier, aber Zayn nicht.

Meinen Schwindel und Kiran ignorierend, beuge ich mich zu Zayn und gebe ihm einen Kuss auf seine kalten Lippen. »Ich bin gleich wieder zurück. Versprochen«, flüstere ich fast tonlos.

Er reagiert wieder nicht. Ein weiterer Stich fährt in meine Brust. Ich würde alles dafür tun, seine Stimme zu hören. Er soll mir irgendetwas erzählen, mich anschreien, mich reizen, mich um Fassung ringen lassen, mich einschüchtern, wie nur er es kann … Doch er bleibt still.

Bevor ich wieder in Tränen ausbrechen kann, wende ich mich ab und folge Kiran auf den Gang. Gemeinsam laufen wir in Richtung des hinteren Gartens. Der Weg dorthin ist grässlich. Alle Schüler, an denen wir vorbeigehen, starren uns an. Mitleidig, als würden sie annähernd verstehen, wie ich mich fühle.

Diese Heuchler. Insgeheim wollten sie doch die ganze Zeit, dass ich leide. Es hat sie nie interessiert, was ihre Blicke und Kommentare in mir auslösen. Jetzt brauche ich die, die sie mir zuwerfen, auch nicht mehr. Sie können niemals nachempfinden, was in mir los ist. Keiner wird das können.

Die frische Luft ist ungewohnt, aber angenehm warm. Es hat aufgehört zu regnen. Der Himmel ist lediglich bedeckt. Die ganze Zeit über hat es geregnet, seit wir hier angekommen sind. Es kommt mir vor, als würde die Welt mit mir zusammen um Zayn trauern. Ich sehe die Hecke neben mir an, die immer so schön bunt gestrahlt hat und deren Blumen mir immer gefolgt sind, um meine Aufmerksamkeit zu erhalten. Doch auch sie haben ihre Blüten geschlossen. Sie lassen ihre Köpfe hängen. Ein gräulicher Schleier liegt über ihren sonst so kräftigen Farben. Es wirkt alles farblos, trist und trostlos im Vergleich zu dem, wie es einmal war.

»Finy, der Rektor meinte, ich soll dich fragen, wie du es geschafft hast, Zayn zur Schule zurückzubringen.« Kiran reißt mich aus meinen Gedanken.

Wie sind wir zurückgekommen? Das Bild der Blume auf meinem Schreibtisch schießt mir aus irgendeinem Grund in den Kopf, gefolgt von hellem lila Licht und meinem unendlichen Wunsch, Zayn zu helfen. Alles zusammen war so stark …

Plötzlich fällt es mir wieder ein. Das, was ich vergessen hatte. Die Blume, die ausgesehen hat wie unsere und meine Hand auf Zayns Brust. Er war es.

»Ich glaube, das konnte ich nur, weil Zayn seine Magie auf mich übertragen hat. Ich habe mir nichts mehr gewünscht, als ihn in Sicherheit zu bringen und plötzlich waren wir auf dem Vorplatz«, erkläre ich monoton, während wir über die matschige Wiese laufen.

»Bist du dir sicher, dass es nicht deine eigene Kraft war?«, hakt er vorsichtig nach.

»Ja, bin ich mir. Es hat sich anders angefühlt.« Diese Kraft war mächtiger. Es konnte nur Zayns sein.

»Okay …« Er redet nicht mehr weiter.

Ich schaue zu ihm auf, und ihn wohl das erste Mal seit Langem wirklich an. Kiran sieht müde aus. Ausgelaugt. Mir fallen jetzt erst seine Augenringe auf. Er muss sich genauso große Sorgen machen wie ich, aber darüber habe ich nicht ein einziges Mal nachgedacht. Er kümmert sich ständig um mich und ist immer lieb und nett zu mir. Ich bin ein schrecklicher Mensch.

»Geht’s dir gut?«, frage ich aufrichtig besorgt und bleibe neben der nächsten Blumenwand stehen, die genauso schlecht aussieht, wie ich mich fühle.

Kiran zieht den Kragen seines Mantels zusammen, dann schiebt er seine Hände in die Jackentaschen. »Ich denke schon … ja. Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme klar«, antwortet er und lächelt mich traurig an.

Er tut mir so leid … und es tut mir leid, dass ich so egoistisch war und nur auf mich selbst und Zayn geachtet habe. Kiran ist sein bester Freund. Es muss für ihn genauso schwer sein wie für mich. Er hat seine lockere Art verloren, auch wenn er versucht, es zu verbergen. Wie egoistisch bin ich?

Ohne noch etwas zu sagen, lege ich meine Arme um Kirans Nacken und drücke ihn an mich, um ihn fest zu umarmen. Er versteift sich kurz überrascht, erwidert die Umarmung daraufhin aber. Es tut gut. Mir tut es gut und ihm ebenfalls, auch wenn er es niemals zugeben würde.

»Es tut mir leid, Kiran«, nuschle ich leise. Fest umschließt er meinen Körper, vergräbt sein Gesicht an meiner Schulter und nickt. Ein leichtes Beben erfasst ihn, genauso wie mich. Ich muss ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er weint. Still, nur für sich.

Eine Zeitlang klammert er sich an mich, wie ich mich an ihn klammere. Ich lasse ihn nicht los, weil ich weiß, auch wenn er stark ist, braucht er jemanden, der ihn tröstet, wenn es Zayn nicht tun kann. Ich sage nichts und lasse ihn mit dieser kleinen Aufmerksamkeit mehr spüren als tausend Worte es sagen könnten. Kiran ist mein Freund und ich habe ihn gern. Er hat am allerwenigsten verdient zu leiden.

Irgendwann löst er sich von mir, hebt seine Hände und wischt sich übers Gesicht. Erst danach sieht er mich mit glasigen Augen an. »Danke.«

Ich versuche, ihn anzulächeln, doch es fühlt sich seltsam an. Dafür lächelt er schwach, nickt und wir gehen schweigend weiter. Unser Weg endet an dem kleinen Teich mit den roten Weiden. Dort angekommen fällt mir Kirans Frage von vorhin wieder ein.

War ich es vielleicht doch selbst, die uns hierher zurückgebracht hat und gar nicht Zayns Magie?

Plötzlich verspüre ich den überwältigenden Drang, ausprobieren zu müssen, ob ich mein Licht selbst heraufbeschwören kann. »Kiran, ich würde gern etwas versuchen.«

Überrascht zieht er seine Augenbrauen hoch. »Was willst du tun?«

Ich erkläre ihm kurz mein Vorhaben und bitte ihn, ein wenig Abstand zu halten, aus Angst, ich könnte ihn bei meinem Versuch verletzen. Er geht ein paar Schritte zurück, setzt sich auf die weiße Bank und zündet sich eine Zigarette an, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Mit meinem Blick auf den Teich gerichtet, stelle ich mich ans Ufer und erinnere mich an den Moment zurück, bevor diese Kreaturen an der Hütte uns angegriffen haben. Entschlossen schließe ich meine Augen und lasse die Erinnerung in mir aufleben - Zayn hinter mir. Seine rauchige Stimme, die mir zuflüstert und die Stärke seiner Arme, die mich umschließen. Die Wärme und das Kribbeln, das seine Hände auf meiner Haut in mir auslösen. Ich konzentriere mich auf all diese glücklichen Gefühle, rede im Geiste mit ihm, als wäre er hier und finde ein kleines Leuchten in mir. Es wächst kribbelnd in mir heran, ganz langsam, bis jede Dunkelheit und Sorge von Zayns verdrehter Art, mich zu lieben, ausgefüllt wird. Seine Liebe durchflutet mich.

Meine Hände heben sich automatisch nach oben. In Gedanken erschaffe ich eine Kugel, die der Sonne ähnelt, nur weißer und heller. Ich nehme Kirans erstauntes Aufatmen neben mir wahr, und da fühle ich ein Kitzeln in meinen Handflächen. Vorsichtig öffne ich meine Lider und erkenne genau das gleiche Bild vor mir, das ich in Gedanken gezeichnet habe. Eine Sonne tanzt zwischen meinen Händen. Sie ist klein, aber so hell, dass sie mich fast blendet.

Ich kann sie kontrollieren …

Kurzzeitig bin ich völlig überrumpelt. Die Lichtkugel flackert. Ich zwinge mich dazu, sie nicht erlöschen zu lassen, denn sie ist dafür viel zu stark und schön, wie Zayn.

Mit einer leichten Bewegung meiner Arme und Hände werfe ich das Licht Richtung Wasser und stelle mir vor, wie es in kleinen Sternschnuppen auf die glatte Oberfläche rieselt, bevor es verglüht. Genau das geschieht. Mein Licht tanzt. Hell und kräftig.

Es ist faszinierend und magisch, und ich kann fast nicht glauben, dass ich dieses Bild erschaffen kann, es erschaffen habe. Doch ich rede mir ein, dass Zayn es sehen kann. Vielleicht kann er es wirklich spüren, dort wo sich sein Geist gerade befindet. Vielleicht findet er dadurch zu mir zurück.

Es ist eine Vorstellung, die mir Hoffnung gibt. Ein kleines Licht in der Dunkelheit.

Weitere Tage vergehen.

Kiran, Mimi und Joel haben so lange auf mich eingeredet, bis ich nun wirklich täglich nach draußen gehe. Ich habe sogar eine Kleinigkeit gegessen. Die Zeit vergeht irgendwie viel zu schnell und trotzdem scheint sie stillzustehen.

Vor zwei Tagen hat mich Mr. Bulmetter zu sich geholt und mir erklärt, ich müsse an den bevorstehenden Prüfungen teilnehmen. Er kann mir aber einen Aufschub gewähren, damit ich mich stärken kann. Er meinte, ich hätte schon die letzten bestanden, weil ich selbstlos gehandelt und Zayn zurückgebracht habe, aber diesmal kann er kein Auge mehr zudrücken, denn es wäre nicht fair gegenüber meinen Mitschülern. Mir waren die Prüfungen wirklich egal und sind es mir immer noch. Dennoch habe ich mich bei ihm bedankt.

Jetzt stehe ich wieder im Garten neben der weißen Bank am Teich. Hier stehe ich mittlerweile täglich. Denn ich will mein Licht leuchten lassen. Ich brauche etwas, an dem ich mich festhalten kann. Ich will daran festhalten, dass es bei Zayn ankommt.

Mein Blick wandert über die blassroten Weiden, das dunkle Wasser und die dicken grauen Wolken über mir. Dieser Ort war mal einer meiner Lieblingsplätze. Jetzt, da ich aber allein hier stehe, kommt er mir gar nicht mehr magisch vor. Er scheint, genau wie die Blume auf meinem Schreibtisch, seine Magie verloren zu haben …

Kapitel 3

Zayn – Hölle

Fuck …

Meine Muskeln verkrampfen sich. Verzweifelt versuche ich, meine Hände zu heben, aber schaffe es nicht. Etwas blockiert mich. Hindert mich.

Angestrengt will ich irgendetwas erkennen, doch mein Blick ist weiterhin nach unten gerichtet. Ich bekomme es nicht zusammen, meinen Kopf anzuheben. Mir ist unheimlich kalt und trotzdem fühle ich mich, als würde ich verbrennen … bin mehr bewusstlos als wirklich bei Verstand. Es ist dunkel. Es ist immerzu dunkel. Da ist nichts anderes. Egal, wann und wie oft ich die Augen öffne.

Als ich es das nächste Mal versuche, nehme ich endlich etwas wahr. Etwas Silbernes. Die Ringe an meinen Handgelenken. Sie elektrisieren, leuchten daraufhin Violett. Blocker. Ein unerträglicher Schmerz rast in jede Zelle meines Körpers und verbrennt mich erneut. Er foltert mich. Lässt Bilder in mir aufleben, die mich innerlich umbringen. Blut. Mum. Namenlose Tote. Peitschenhiebe. Meine Lunge wird zerquetscht. Meine Arme pochen. Mein Körper zerreißt. Alles verdreht. Schwarz. Luft. Kein Schmerz. Leere. Brennende Wunden. Schläge. Schnitte. Finya. Ihre Tränen. Ihr Lachen. Ihr Schmerz. Ich glaube, ich schreie, erfasse es aber nicht. Dann ist es still und leer in meinem Kopf. Ist es vorbei?

Kraftlos lasse ich mich nach hinten gegen die raue Steinwand fallen, als nichts mehr geschieht. Ich stoße Luft aus, die ich anscheinend angehalten habe. Mein Verstand wird klarer.

Ein paar Sekunden ... viel zu wenig Zeit. Scheiße, ich habe nur diese. Ich muss atmen, mich ausruhen, meine Gedanken sortieren. Wo bin ich? Bilde ich mir diesen Ort ein? Ist das hier ein Kerker? Sitze ich tatsächlich in einem verdammten Kerker? Bin ich wirklich angekettet wie ein Tier und werde gefoltert wie ein Verbrecher? Wie fast mein ganzes Leben lang? Ist er hier? Wo ist Finya? Wie lange bin ich schon in diesem Loch?

Tag und Nacht verschwimmen miteinander. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Mein Blick flackert. Die dunklen Umrisse, die ich erkenne, verblassen. Wieder Schmerzen. Innerlich. Äußerlich. Alles beginnt von vorn.

Gott … Fuck. »Bring mich doch endlich um, verdammte Scheiße!«

Mein Herz setzt aus. Dunkelheit.

∞∞∞∞

Unter Schmerzen atme ich aus. Ich habe einen Moment Kontrolle. Einen Augenblick habe ich sie wieder.

Blinzelnd suche ich meine Umgebung ab. Alles dunkel ... Wo bin ich?

Ich versuche, mich zu konzentrieren und suche nach Auren. Niemand ist bei mir. Ich bin allein. Da ist keine Aura, außer meiner eigenen. Mir wird wieder bewusst, was passiert ist. Es scheinen Ewigkeiten vergangen zu sein. Sind es wirklich Ewigkeiten?

Wieder frage ich mich, wie lange ich hier schon sitze, habe aber keine Antwort darauf. Ich kann es nicht erfassen. Da sind immer nur Schmerzen zwischen grausamen Bildern und dem unendlichen Wunsch bei Finya zu sein.

Geht es ihr gut? Konnte ich sie retten? Ist sie entkommen? Lebt sie noch? Diese Fragen quälen mich ununterbrochen, denn ihr geschockter Gesichtsausdruck ist das Letzte, an was ich mich erinnere, bevor alles schwarz wurde und ich hier gelandet bin.

Wo verflucht ist meine Fey?Es ist mir völlig egal, was mit mir passiert und ob ich für immer hier sitzen muss, wenn ich dadurch sicherstellen kann, dass es ihr gutgeht.Scheiße, bitte lass es ihr gutgehen. Sie kann sich doch nicht wehren. Dieser Zerax. Ich konnte sie nicht mehr beschützen, nachdem er mich angegriffen hat. Sie war ganz allein. Niemand war bei ihr, dem ihr Leben mehr wert ist als sein eigenes. Vollkommen schutzlos. Ist ihr etwas passiert? Lass ihr nichts passiert sein!

Wut über mich selbst steigt in mir auf, weil ich zu schwach war, bei ihr zu bleiben. Ihr nicht mehr helfen und sie nicht mehr beschützen konnte. Ich zerre an meinen Ketten. Ein beißender Schmerz durchfährt mich und lässt mich innehalten. Er ist kaum erträglich. Wieder tauchen diese verfluchten Bilder vor mir auf. Meine tote Mutter. Meine tote Stiefmutter. Finya, die mich so unsagbar gequält ansieht. Mein Vater ... Irgendwo vermischt sich alles. Meine Haut glüht, als würde ich angezündet werden, während mein Kopf dröhnt.

»Behalte die Kontrolle, Zayn«, mahne ich mich selbst, weil ich nicht erneut abrutschen will.

Fuck, ich muss hier weg. Ich muss mich versichern, dass es meinem Mädchen gut geht.

Wie so viele Male schon versuche ich zu erfassen, wo genau ich mich befinde, erkenne aber nichts. Meine Augen sind völlig überanstrengt, mir tut jeder verfickte Knochen weh.

Warum werde ich nicht einfach bewusstlos? Wieso kann ich nicht einfach sterben? Beides ist mir nicht gegönnt. Ich muss in der Hölle sein. Ich habe es wohl nicht anders verdient.

Wieder erfasst mich ein teuflischer Schmerz. Diesmal schreie ich, weil ich ihn nicht mehr aushalte. Das Echo prallt von den Wänden zu mir zurück und reißt mich in einen Strudel voller irren, verletzenden und folternden Fetzen, die teilweise meine Erinnerungen sind und teilweise hoffentlich frei erfunden.

Gott … Bitte … Stopp …

Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Meine Zähne pressen sich aufeinander. Ich versuche wieder und wieder mich loszureißen. Keine Chance. Ich komme nicht weg. Muss es über mich ergehen lassen. Meine Atmung geht stoßweise, als ich meine eigenen verklingenden Laute höre. Ich sacke nach vorn. Die Ketten hindern mich daran, auf den Boden zu kippen. Die Stille, die mich jetzt umgibt, ist angenehm. Friedlich.

Bin ich endlich tot?

Ich will mich gerade mit dem Gedanken anfreunden, dass es wirklich so ist und dieses erlösende Gefühl in mir zulassen, da höre ich etwas. Ein Knistern. Leise. Sanft. Es zwingt mich, die Augen zu öffnen. Verwirrt sehe ich mich um. Der schwarze Nebel, der mich umgeben hat, legt sich. Mein Blick bleibt an etwas hängen, das sich in der Ecke vor mir befindet. Wieder ein Geräusch. Es klingt wie ein Rauschen. Wie Wasser, das sanft über nassen Sand fließt. Wie leichte Wellen. So angenehm. So beruhigend.

Meine Augen wollen sich wieder schließen, um diese leisen Töne zu genießen, doch da ist der kleine Punkt, der gerade noch mehrere Meter von mir entfernt war, plötzlich direkt vor mir. Auf Augenhöhe schwebt er über dem Boden. Er ist ganz klein, nur ein schwaches Flackern, und dennoch ist er wunderschön. Er fesselt mich. Ich verspüre den unstillbaren Drang, ihn berühren zu müssen. Ihn aufzusaugen.

Nochmals zerre ich an meinen Ketten. Mit einem metallischen Klappern geben sie nach und fallen auf den nassen Boden. Meine Handflächen berühren den Stein unter mir und fangen mich ab, bevor ich auf ihn knalle.

Was …? Ist … Bin ich frei?

Irritiert starre ich auf das Eisen neben mir, dann wird mir klar, dass da nichts mehr ist, was mich zurückhält.

Ich kann hier weg.Wie komme ich hier raus?!

Zu schnell will ich aufstehen, ein Schwindel erfasst mich. Benommen setze ich mich wieder und warte einen Moment, bis er verschwindet. Vorsichtig versuche ich, mich erneut aufzurichten und lege meine Hand auf die kalten, nassen Steine der Wand. Mehrmals knalle ich bei dem Versuch, aufzustehen, hart zurück auf den Boden. Mein Körper fühlt sich an, als würde er mir nicht gehören.

Reiß dich verdammt nochmal zusammen, mahne ich mich selbst stumm und versuche es nochmal. Meine Muskeln brennen vor Überanstrengung. Ich beiße die Zähne zusammen. Die Steinwand unter meinen Handflächen ist glitschig kalt und gibt mir kaum Halt, aber ich zwinge mich weiter und stehe. Zitternd und gekrümmt, aber ich stehe.

Langsam mache ich den ersten Schritt. Ich bin völlig am Arsch, kann kaum wirklich laufen, gehe trotzdem weiter, obwohl ich vor Erschöpfung fast ohnmächtig werde. Kaum wirklich anwesend und mit Kraft, die ich eigentlich nicht mehr besitze, nähere ich mich dem Leuchten, das jetzt wieder in der Ecke verharrt. Mit jedem meiner Schritte wird es größer. Schöner. Fesselnder. Ein strahlendes, weißes Licht erhellt den Kerker, in dem ich mich befinde, und zieht mich unaufhaltsam an. Ich brauche diese Magie …

»Du musst aufwachen.«

Was? Finya … Ist sie hier? Meine Augen suchen alles ab. Ich erkenne niemanden.

»Bitte, wach auf.« Es ist ihre Stimme. Ihre klare, weiche Stimme, die von den kalten Wänden widerhallt. Mich erfüllt eine wohlige Wärme.

Meine kleine, süße Fey.

»Du hast mir versprochen, für mich zu leben.« Ein Schluchzen.

Mein Herz verkrampft sich. Sie hört sich so traurig an. So einsam. Ich will ihr sagen, dass ich da bin, aber ich kann sie nirgends finden.

»Fey, hörst du mich?«, rufe ich in den leeren Raum. Meine Stimme ist viel zu dünn.

Keine Antwort.

Verdammte Scheiße, wo ist sie?! Warum gibt es hier keine verfickte Tür?!

»Komm bitte zurück«, flüstert sie mir zu und ich könnte schwören, sie weint.

»Fey, hör auf damit.« Ich ertrage es verflucht nochmal nicht, wenn sie weint. »Kätzchen, wo bist du?«

Erneut erhalte ich keine Antwort.

Was ist das hier? Ist es die nächste endlose Folter? Werde ich jetzt mit ihr gequält? Habe ich mich zu früh gefreut? Wird es immer so weitergehen?

Ihre bitteren Laute, die mich innerlich zerfetzen, verstummen nicht. Sie werden immer lauter.

»Zayn, bitte … Du kannst mich nicht allein lassen.«

»Aufhören! Verdammte Scheiße, ich halte das nicht mehr aus!«, schreie ich verzweifelt in die Leere und schon hallt wieder ihre zarte, zerbrechliche Stimme durch den Kellerraum. Sie ist die reinste Qual für mich. Dennoch fleht sie mich unaufhörlich an, dass ich zurückkommen soll.

»Ich kann nicht! Meine Fresse! Ich weiß nicht, wie ich hier wegkomme …« Mit den Händen drücke ich auf meine Schläfen.

So gern würde ich sie in den Arm nehmen und ihr jeglichen Kummer nehmen. Ihre Tränen wegküssen und ihr sagen, dass es keinen Grund gibt, so traurig zu sein, doch ich kann nicht … denn ich komme hier nicht weg!

Wut steigt in mir auf.

Sie soll verdammt nochmal nicht leiden! Ich muss zu ihr. Wie komme ich zu ihr?! Ich muss ihr nur noch einmal in die Augen sehen und ihr sagen, dass alles gut ist. Dass sie glücklich sein muss. Sie muss glücklich sein und leben, alles andere ist unwichtig.

Von meinem Zorn und Kontrollverlust getrieben, wandert mein Blick erneut zu dem Licht. Es ist auf einmal extrem kräftig und stark. Das ganze Loch, in dem ich bin, leuchtet weiß. Da ist keine Dunkelheit mehr. Mir kommt urplötzlich eine Idee. Keine Ahnung, was gleich passieren wird, doch es ist, als müsste ich es tun. Ich muss es versuchen. Schlimmer als jetzt kann es nicht werden.

Mit letzter Kraft renne ich los. Direkt auf den Ausgangspunkt des Lichtes zu. Ohne mir über die Konsequenzen und meine Schmerzen auch nur eine Sekunde Gedanken zu machen, stürze ich direkt in das weiße, grelle Leuchten hinein. Ein elektrisierendes Gefühl streichelt meine Haut und dringt in meine Zellen, dann wird wieder alles schwarz …

Kapitel 4

Zayn – Schmerz, Dunkelheit, Licht und Liebe

Stimmen. Jemand spricht. Nein. Es sind mehrere Personen. Ich kann sie nicht zuordnen.

Wer redet? Ist wirklich jemand hier?

Ein Klacken, dann ist es still.

Bitte, lass jemanden hier sein … Scheißegal wer. Ich muss irgendwen finden, der mir sagen kann, wo ich bin. Ich muss mein Mädchen finden.

Krampfhaft versuche ich, meine Augen zu öffnen, aber meine Lider fühlen sich an wie Blei. Es funktioniert nicht. Einen Moment warte ich, dann konzentriere ich mich darauf, meine ganze Kraft zu bündeln und zwinge mich so, meine Augen aufzuschlagen. Alles ist verschwommen und die Helligkeit blendet mich. Ich lasse sie wieder zufallen.

»Fey?« Es ist lediglich ein Kratzen, das mir entweicht. Nochmals blinzle ich mehrmals hintereinander, dann erkenne ich eine verwischte Gestalt nicht weit von mir entfernt.

»Fey … bist du hier?« Meine Stimme ist heiser und viel zu leise.

»Ach du scheiße! Zayn, hörst du mich?«

Kiran? Ist er wirklich hier?

Er berührt meinen Arm. Jetzt spüre ich seine Aura deutlich. Ich bin tatsächlich nicht mehr in diesem Loch!

Eine Sekunde gebe ich mir Zeit, um mich von dem erleichterten Gefühl einnehmen zu lassen, bevor ich meine Augen endgültig öffne und ein »Ja« krächze.

Mein Blick wird schärfer. Langsam nimmt alles um mich herum Gestalt an. Unter und auf mir spüre ich etwas Weiches. Ist das eine Decke? Liege ich in einem Bett …in einem Krankenzimmer? Warum liege ich hier herum?!

Irritiert versuche ich, mich aufzurichten. Meine Glieder sind steif und ich fühle mich so unbeweglich wie eine Steinfigur. Ich schaffe es nicht.

»Warte, ich helfe dir«, sagt mein bester Kumpel und greift mir unter den Arm. Er zieht mich hoch, bis ich sitze. Danach wendet er sich zum Nachttisch um, nimmt ein Glas Wasser und hält es mir hin.

Erst jetzt merke ich, wie viel Durst ich habe. Ich will es nehmen, doch meine Hände zittern unkontrolliert. Trotzdem umfasse ich irgendwie das Glas und setze es an meine Lippen. Die Hälfte des Wassers schwappt über den Rand, den Rest trinke ich in einem Zug aus. Fuck, was ist los mit mir? Mein Hals ist so trocken. Egal, völlig unwichtig. Wo ist Fey? Warum ist sie nicht in diesem Zimmer?!

Ich suche den Raum ab, außer Kiran und mir ist niemand hier. Panik breitet sich in mir aus und nimmt mir schon wieder die Luft. Mir wird sofort schlecht. Ist ihr doch etwas zugestoßen? Hat sie … ist sie …?

»Finya. Ich muss zu ihr. Wo ist sie?«, frage ich viel zu aufgebracht, drehe mich zur Bettkante, stelle meine Füße auf den Marmorboden und fahre hoch. Ein heftiges Pochen entsteht in meinen Schläfen. Das Glas lasse ich einfach fallen. Es zerspringt auf dem Boden. Gezwungenermaßen setze ich mich wieder.

»Hey, mach mal langsam. Deinem Mädchen geht es gut. Sie ist raus in den Garten und kommt bald zurück«, versucht mich Kiran zu beruhigen, macht mich damit aber nur wütend.

Was?! Sie ist allein draußen? Geht’s eigentlich noch?! Was ihr alles passieren könnte!

Die schlimmsten Szenarien rasen durch meinen Kopf. Wenn einer der Wichser sie in die Finger bekommt. Diese Wachmänner, wie Bulmetter sie nennt, sind die letzten Idioten.

»Ich muss bei ihr sein. Jetzt«, widerspreche ich ihm und stehe nochmals zu schnell auf. Mir wird schwindelig. Meine ganze Umgebung dreht sich und wird schwarz. Mit zusammengekniffenen Augen sinke ich zum zweiten Mal zurück auf das Bett und drücke gegen meinen Kopf.

»… einen Drehwurm«, höre ich Finya in meinen Gedanken sagen. So fühlt sich das also an. Fuck.

»Zayn, du solltest dich echt schonen, man. Sie läuft dir nicht weg. Finy ist ständig hier gewesen. Sie ist frische Luft schnappen«, tadelt mich Kiran, aber der Drang, sie in meine Arme zu nehmen, ist viel zu stark.

Ich brauche sie. Sie braucht mich und muss wissen, dass ich hier bin. Sie war so traurig. Ihr armes Herz … so verletzt. Ich muss es heilen. Bei ihr sein, dann ist alles wieder gut.

Erneut richte ich mich auf. Diesmal langsamer. Etwas kratzt mich. Ich halte inne und blicke nach unten. Mir fällt der Verband ins Auge, der meinen halben Oberkörper bedeckt. Sofort fährt ein übler Schmerz durch mich hindurch, der mich gleich nochmal stocken lässt. Mit gleichmäßigen Atemzügen versuche ich, dagegen zu atmen und stütze mich mit einer Hand auf der Matratze ab.

»Wo ist sie genau?«, will ich mit gepresster Stimme wissen.

Kirans Blick verdunkelt sich, dann legt er beide Hände auf meine Schultern und sieht mich entschlossen an. »Okay, du Idiot hörst nicht. War mir klar. Ich mache dir einen Vorschlag, den du jetzt annehmen wirst und zwar ohne Diskussion. Du legst dich wieder hin. Ich gebe Kalaina Bescheid, dass du aufgewacht bist und hole Finya. Alles klar?«

Meine Augenbraue zuckt nach oben. Unbeeindruckt hält Kiran meinem angepissten Blick stand. Er wird sicher nicht nachgeben.

»Na schön …«, stimme ich genervt zu und setze mich wieder.

»Gut. Leg dich hin. Ich bin gleich zurück.« Er wendet sich ab und verlässt mit schnellen Schritten das Krankenzimmer.

Einen Scheiß werde ich tun und hier warten.

Mein Blick huscht durch den Raum. An der Tür hängt ein Hemd. Ich stehe trotz des Schwindels, der mich nochmal erfasst, auf und laufe auf etwas wackligen Beinen hin. Viel zu zittrig ziehe ich das Hemd über, was gefühlte Stunden dauert und mich unglaublich wütend macht, denn mit jeder Sekunde, die vergeht, und mit jeder verdammten Bewegung, die ich nicht richtig ausführen kann, fühle ich mich noch erbärmlicher, als ich es schon tue. Zum Glück trage ich wenigstens bereits eine Jogginghose.

Nachdem ich es endlich in das Hemd geschafft habe, greife ich nach der Klinke, stoße die Tür auf und verlasse das Zimmer. Kurz blicke ich in beide Richtungen, weder Kalaina noch Kiran sind zu sehen. Dennoch könnten sie jeden Moment kommen. Ich muss hier so schnell wie möglich weg. Obwohl ich mir sicher bin, es ist eine hirnverbrannte Idee, aber weil ich darauf hoffe, Kiran deckt mich, wenn sie mitbekommen, dass ich nicht mehr da bin, löse ich mich auf und setze mich ein Stockwerk tiefer wieder zusammen. Mehr schlecht als recht wandere ich ab dort durch die leeren Gänge … Verfickte Ewigkeiten. Jeder beschissene Schritt ist eigentlich zu viel. Die Stufen der restlichen Haupttreppe schaffe ich gerade so, ohne nach unten zu stürzen. Mir tut alles weh. Jeder Millimeter innerlich und äußerlich pocht. Am liebsten würde ich mich hinsetzen, aber kann nicht. Der Schmerz ist es wert, wenn ich dafür zu meinem Mädchen kann.