Von der Idee über die Erfindung zum Patent - Dietmar Zobel - E-Book

Von der Idee über die Erfindung zum Patent E-Book

Dietmar Zobel

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Kreativ denken, Erfindungen patentieren Wie entkomme ich der Routine? Wo tummeln sich die guten Ideen und wie setze ich sie um? Wie schütze ich meine Erfindungen vor Nachahmer:innen mit einem Patent und verdiene damit Geld? Der Autor liefert konstruktive Handlungsempfehlungen: Intuition ist wichtig, aber nicht alles – kreatives Denken und Arbeiten ist erlernbar!

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Seitenzahl: 679

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Dietmar Zobel

Von der Idee über die Erfindung zum Patent

expert verlag · Tübingen

Dr. rer. nat. habil. Dietmar Zobel ist Industriechemiker, Erfinder, Fachautor, Methodiker und TRIZ-​Trainer. Er war in leitenden Funktionen in der Industrie tätig und ist Inhaber zahlreicher Patente.

 

Umschlagabbildung: © Peter Hermes Furian – stock.adobe.com

 

DOI: https://www.doi.org/10.36198/9783838558950

 

© 2022 expert verlag GmbH

‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

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Internet: www.expertverlag.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

 

utb-Nr. 5895

ISBN 978-3-8252-5895-5 (Print)

ISBN 978-3-8463-5895-5 (ePub)

Inhalt

1 Einführung2 Außerhalb der Routine: Kreatives Denken und Arbeiten3 Methoden und Praxisempfehlungen3.1 Die wichtigsten Kreativitätstechniken3.1.1 Herkömmliche Methoden3.1.2 Moderne widerspruchsorientierte Methoden3.2 Wo verstecken sich die Ideen, und wie finde ich sie?3.2.1 Die Nadel im Heuhaufen: Thomas A. Edison3.2.2 Das „klassische“ Brainstorming: Alex Osborn3.2.3 Die morphologische Gesamtübersicht: Fritz Zwicky3.2.4 Verschiedene Blickwinkel: Edward de Bono3.2.5 Die Oase der falschen Verheißung: David Perkins3.2.6 Das Ideale Endresultat: Genrich S. Altschuller3.3 Ein gut überlegter Start schlägt jede „geniale“ Spontanidee3.3.1 Das Pareto-Prinzip3.3.2 Systemanalyse. Schädliche und nützliche Effekte3.3.4 Schon ein wenig Theorie hilft weiter3.3.5 Die richtigen Fragen stellen!3.4 Ausgewählte einfache Lösungsstrategien3.4.1 Standardfälle – häufiger als vermutet3.4.2 Was einander behindert, wird voneinander getrennt3.4.3 Gewöhnliche und ungewöhnliche Kombinationen3.4.4 Das Elementarprinzip der Umkehrung3.4.5 Das Verändern der Umgebung3.4.6 Das Umwandeln des Schädlichen in Nützliches3.4.7 Die nicht perfekte Lösung3.4.8 Makrosysteme und Mikrosysteme3.4.9 „Von Selbst“ – die raffiniert einfache Lösung4 Fehlermöglichkeiten und Denkfallen4.1 Das Unterschätzen der Systemanalyse4.2 Wirklichkeit ist mehr als ein Ausschnitt der Wirklichkeit4.3 Die Öko-Falle und das Wunschdenken4.4 Das Übersehen nahe liegender Ähnlichkeiten4.5 Das schwächste Kettenglied4.6 Die Triebkraft von Naturvorgängen4.7 Ganz ohne Physik geht es nicht5 Technische, künstlerische und allgemeine Kreativität5.1 Humor, Satire, Phantastik, Semantische Intuition5.2 Innovative Prinzipien, demonstriert an Karikaturen5.3 Optische Wahrnehmung und Kreativität5.4 Sehr anregend: Umkehrformulierungen und Paradoxien6 Methodische und experimentelle Studien6.1 Wie arbeitete der große Erfinder Hugo Junkers?6.2 Erfindungspraktiker entdecken und nutzen TRIZ-analoge Prinzipien: H. M. Hinkel und G. Elsner6.3 Eigene Experimente zu Altschullers Operator „A-Z-K“6.4 Kann es „Künstliche Kreativität“ geben?7 Von der Erfindung zur geschützten Erfindung7.1 Klar definiert: Entdeckungen, Erfindungen, Schutzrechte7.2 Was heißt „schutzfähig“? Haupt- und Hilfskriterien7.3 Die Rolle des Standes der Technik7.4 Das Formulieren der Patentschrift – leichter als gedacht7.5 Das Gebrauchmuster als so genanntes „Kleines Patent“7.6 Schutzrechtspolitik, Lizenzen, Arbeitnehmererfindungen8 Literatur9 Register

1Einführung

Die meisten Menschen vermuten, dass Kreative, also auch Erfinder, zunächst einmal außergewöhnlich intelligent sein müssen. Nicht wenige hoch Kreative sind tatsächlich außergewöhnlich intelligent. Es gibt aber auch Kreative, die kaum überdurchschnittlich intelligent sind, und bestenfalls durchschnittlich kreative Menschen, an deren überragender IntelligenzIntelligenz keinerlei Zweifel besteht.

Abgesehen von der Fragwürdigkeit der meisten Intelligenztests, deren Ergebnisse – schon wegen des Trainingseffektes – kaum als objektiv anzusehen sind, gilt heute als unbestritten, dass IntelligenzIntelligenz und Kreativität nicht ein und dasselbe sind. Neuere Untersuchungen zeigen zudem, dass es mehrere Arten von Intelligenz gibt, die untereinander kaum in Verbindung stehen.

Es kommt also darauf an, von welcher Art IntelligenzIntelligenz jeweils die Rede ist. In Anlehnung an Gardner unterscheiden Langbein und Fochler folgende Arten der Intelligenz, die von Person zu Person recht unterschiedlich ausgeprägt sein können:

„Der Mensch denkt in Sprache, fasst in räumlichen Begriffen auf, erspürt Rhythmen und Harmonien, rechnet mit logischen und mathematischen Hilfsmitteln, löst Probleme unter Einsatz seines Körpers und kann andere Menschen verstehen sowie sich selbst begreifen“ (Langbein u. Fochler 1997, S. 95).

Die mit dieser Betrachtungsweise verbundene Einführung der Begriffe sprachliche, räumliche, musikalische, mathematische,körperliche und sozialeIntelligenzIntelligenz bringt uns in der Sache allerdings auch kein bisschen weiter, obwohl in den moderneren Intelligenztests bereits unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten gefragt sind. Immerhin darf vermutet werden, dass es analog zu diesen gleichsam „gesplitteten“ Intelligenzbegriffen – und dies in Übereinstimmung mit der Erfahrung – auch spezielle Arten von Kreativität gibt, so dass die Frage, ob jemand kreativ ist, besser nicht pauschal gestellt und beantwortet werden sollte.

Noch einmal kurz zurück zu den Intelligenztests. Nach eigenen Erfahrungen lassen es junge Leute oft an Sprach- bzw. Wortintelligenz fehlen: Sie kennen viele Wörter nicht, und bei anderen Wörtern sind sie nicht in der Lage, die eingebauten FehlerFehler zu erkennen. Der deutsche Aufsatz wäre für ihre Lehrer wohl eine rechte Strapaze. Das Selbstbewusstsein der Probanden bleibt jedoch ansonsten unbeschädigt.

Sie bemerken ihren DefektDefekt, Defektliste ganz einfach nicht. Vorschnelle Urteile oder überhebliche Schlüsse aufgrund solcher Teilergebnisse sind jedoch nicht gerechtfertigt, denn die gleichen Probanden arbeiten in anderen Sparten traumhaft schnell und sicher, so beispielsweise auch im sehr wichtigen Bereich der räumlichen Ein- bzw. Zuordnung.

Die Beurteilung der Situation wird nicht einfacher, wenn wir die von Edward de Bono vertretene These berücksichtigen, dass hohe IntelligenzIntelligenz nicht unbedingt etwas mit ausgeprägter Denkfähigkeit zu tun hat. Im Zusammenhang mit dem Lösen von Denksportaufgaben behandelt er die nur bedingte Trainierbarkeit dieser Fähigkeit und schreibt:

„Hoch intelligente Menschen können sich als ziemlich schlechte Denker erweisen. Sie mögen ebenso viel Training ihrer Denkfertigkeit benötigen wie andere Menschen, manchmal sogar mehr. Dies ist die fast vollständige UmkehrungUmkehrung der Ansicht, sehr intelligente Menschen seien automatisch gute Denker“ (de Bono 1995, S. 16).

De Bono ergänzt seine verblüffende Feststellung mit eindrucksvollen Belegen: So neigt ein hoch intelligenter Mensch dazu, für seine jeweilige Ansicht einen rationalen und wohl argumentierten Fall zu konstruieren. Das enthebt ihn dann der Notwendigkeit, durch kritisches Nachdenken der – vielleicht ganz anders gearteten – Sache auf den Grund zu gehen. Auch wird in der Schule und im wirklichen Leben verbale Gewandtheit oft als Beleg für ausgeprägte Denkfähigkeit angesehen. Ein intelligenter Mensch schätzt diese für ihn schmeichelhafte Annahme und ist versucht, das Eine durch das Andere zu ersetzen. Auch neigt ein hoch intelligenter Mensch dazu, immer Recht haben zu wollen, als klug zu gelten und stets anerkannt zu sein – subjektive Faktoren, die einer kritischen Denkfähigkeit regelrecht entgegenwirken.

Wir sehen also, dass Kreativität, IntelligenzIntelligenz und Denkfähigkeit keinesfalls synonym gebraucht werden sollten. Ich bin weder Psychologe noch Pädagoge, sondern Naturwissenschaftler mit ausgeprägt technologischen Interessen, und ich möchte den Leser deshalb nicht mit weiteren Unterscheidungsmerkmalen und Definitionen aufhalten, so interessant und faszinierend das Gebiet auch ist.

Der Terminus Kreativität wird in meinem Buch nicht ausschließlich im Zusammenhang mit dem Anstreben hochwertiger technisch-​wissenschaftlicher Lösungen verwendet, sondern umfassend für das kreative Arbeiten auf hohem NiveauNiveau. Inbegriffen sind somit auch nicht-​technische Lösungen. Die meisten Beispiele stammen allerdings, meinen Erfahrungen entsprechend, aus dem technisch-​wissenschaftlichen Bereich. Die behandelten Analogien zur künstlerischen Kreativität können sich deshalb nur auf rein subjektiv ausgewählte Gebiete beschränken. So verstehe ich beispielsweise nichts von musikalischer Kreativität, und ich kann mit abstrakter Kunst nur bedingt etwas anfangen.

Die Einteilung der Kapitel habe ich einerseits nach historischen, andererseits nach denkmethodischen und praktischen Gesichtspunkten vorgenommen. Im 2. Kapitel werden zunächst die typischen Merkmale des Kreativen abgehandelt, sodann die – oft unrealistischen – Erwartungen an den Kreativen besprochen, und schließlich wird Grundsätzliches zu den Bedingungen der kreativen Arbeit gesagt.

Im 3. Kapitel finden Sie dann nachvollziehbare Handlungsempfehlungen zur Ideensuche und zum erfinderischen Arbeiten, erläutert an Beispielen. Natürlich ist die Versuchung, in die psychologisierende Betrachtungsweise zu verfallen und schließlich doch wieder beim „göttlichen Funken“ zu landen, stets präsent. Nach meiner Erfahrung gibt es jedoch beim kreativen Arbeiten viele nicht-​intuitive Schritte gewissermaßen handwerklicher Art, so dass ich dieser Versuchung weitgehend widerstehen konnte. Zudem gibt es für die zweifellos sehr wichtigen intuitiven Aspekte der Kreativität hervorragende Literatur, verfasst von exzellenten Fachleuten. Es sei hier beispielsweise nur auf die Werke von Csikszentmihalyi (1999) sowie von Gardner (1996) verwiesen. Die von diesen Autoren praktizierte rein psychologische Sicht auf geniale Persönlichkeiten (wie z. B. Einstein, Freud, Picasso) hat indes den Nachteil, dass der Leser sich fragt, was er selbst denn nun aus solchen – in fast göttlichen Sphären angesiedelten – Betrachtungen lernen bzw. für sich verwerten kann. Hier schließt sich der Kreis: Es besteht offensichtlich ein Defizit an praktikablen, nachvollziehbaren Handlungsempfehlungen, und genau diese hoffe ich im 3. Kapitel meines Buches bieten zu können.

Im 4. Kapitel werden typische FehlerFehler und Denkfallen sowie Strategien zu deren Vermeidung behandelt. Gerade der methodisch unerfahrene junge Erfinder tappt überdurchschnittlich oft in derartige Fallen, da er – einfach im Vertrauen auf seine Ideenfülle – frisch drauflos arbeitet. Von den Psychologen wird ihm die so genannte „fluide“ IntelligenzIntelligenz bescheinigt, d. h., er kann sehr schnell neue Fakten aufnehmen und eine Vielzahl von Ideen produzieren, ohne sich um vorhandenes Wissen zu kümmern. Der ältere Kreative hingegen geht bedachter vor: Er greift auf Erfahrungen zurück, er analogisiert, er überlegt, welches früher schon einmal erfolgreiche Schema für eine neue Aufgabe (die oft nur vermeintlich völlig neu ist) geeignet sein könnte. Diese Fähigkeit wird von den Psychologen „kristalline“ Intelligenz genannt. Da ich nicht mehr taufrisch bin und somit – wenigstens formal – unter diese Kategorie falle, vermittle ich im 4. Kapitel dazu auch eigene Erfahrungen.

Das 5. Kapitel behandelt die QuerbeziehungenQuerbeziehungen zwischen technischer und nicht-​technischer Kreativität. Für methodisch einigermaßen kompetent halte ich mich nur auf wissenschaftlich-​technischem Gebiet. Die behandelten Verbindungen zur allgemeinen und zur künstlerischen Kreativität betreffen deshalb nur bestimmte Teilgebiete, die mich interessieren. Sie haben besten Falles subjektiv-​exemplarischen Charakter. Somit ist dieser Abschnitt eher als Studie aufzufassen, die das universelle Wirken der Kreativität aus meinem BlickwinkelBlickwinkel zeigt.

Das 6. Kapitel bringt ideengeschichtliche Studien, zunächst zum Wirken des Flugzeugkonstrukteurs Hugo Junkers. Er kann – im Gegensatz zur landläufigen Auffassung – fast als Pionier des Systematischen Erfindens gelten. Hinkel und Elsner haben (als Erfindungspraktiker) erfinderische PrinzipienPrinzipien (zum Lösen technischer Widersprüche) selbst entdeckt und angewandt. Eigene experimentelle Arbeiten zum „Operator A-​Z-K“ habe ich methodisch analysiert. Die abschließende Studie zur Frage der Künstlichen Kreativität kritisiert den Irrglauben, die so genannte Künstliche IntelligenzKünstliche Intelligenz („KI“) führe irgendwann einmal zur Künstlichen Kreativität. Menschliche Kreativität ist jedoch einmalig. Sie kann wohl auch künftig nicht durch Algorithmen ersetzt werden.

Das 7. Kapitel behandelt die technischen bzw. formalen Schritte auf dem Weg zum eigenen Patent. Ich habe mich in diesem Kapitel vergleichsweise kurz gefasst, zumal das Deutsche Patent- und Markenamt bereits Anleitungen zum Thema im Internet zugänglich gemacht hat. So konnte ich mich auf die wichtigsten praktischen Hinweise (Was ist schutzfähig? Wie recherchiere ich? Welche erfinderischen KriterienKriterien sind zu erfüllen? Wie formuliere ich meine PatentschriftPatentschrift (Formulierung)?) beschränken.

Noch ein Wort zum Stil des Buches. Fachautoren, die gelegentlich mit belletristisch formulierten Passagen arbeiten, können so oder so beurteilt werden. Darunter mögen Dampf-​Plauderer sein, welche die fachlich unzureichende Substanz nur aufblasen wollen. Ehrenhaft dürfte jedoch das Bestreben sein, den doch etwas drögen Stoff für den Leser schmackhaft zu machen. Im besten Falle kommt heraus, dass ein solches Buch lesbarer, verständlicher, einprägsamer und anregender als ein rein „fachidiotischer“ Text ist. Es ist eben alles andere als gleichgültig, in welcher Form ein anspruchsvoller Stoff dargeboten wird.

Einerseits verzichte ich deshalb auf mathematisches Vokabular, andererseits auf überflüssige Fremdwörter. Fremdwörter werden nicht selten missbraucht, um Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen. Auf den intelligenten Nichtspezialisten wirken sie eher abschreckend. Ich setze deshalb, soweit im sprachlich verdorbenen Umfeld noch möglich, auf ein klares, verständliches Deutsch. Übliche Fremdwörter wurden jedoch beibehalten, sie sind im Zusammenhang meist selbsterklärend.

2Außerhalb der Routine: Kreatives DenkenDenken und Arbeiten

Beginnen wir mit einem methodischen Gedankenexperiment. FragenFragen wir normal intelligente Menschen nach den Verwendungsmöglichkeiten für eine Büroklammer, so antworten sie, sofern sie nicht zugleich auch kreativ sind, typischerweise etwa so:

Mehrere Manuskriptseiten zusammenklammern,

Kopie an das Original klammern,

Briefumschlag, der nicht kleben will, damit verschließen.

Hingegen wird die gleiche Frage von kreativen Probanden, die nicht unbedingt hoch intelligent sein müssen, ganz anders beantwortet:

Eine Spirale drehen,

Eine Kette anfertigen,

Aufbiegen, dann die Typen der Schreibmaschine damit reinigen,

Haken und Doppelhaken biegen,

Dem Tischbein unterschieben, wenn der Tisch wackelt,

Elektrischen Kontakt herstellen,

Als Distanzstück für die Deckscheibe des Aquariums nutzen,

Abstrakte Kunstwerke während einer langweiligen Sitzung basteln.

Bereits diese sehr unvollständige Gegenüberstellung zeigt wesentliche Unterschiede in der DenkweiseDenkweise beider Gruppen. Die erste Gruppe denkt konvergent. Das konvergente DenkenDenken zielt weitgehend nur auf den herkömmlichen Verwendungszweck (hier: etwas damit anklammern). Hinzu kommt, dass sich Vertreter dieses konservativen Denktyps streng an Vorschriften jeder Art halten. Die Frage lautete hier, wie man eine Büroklammer verwenden kann. Der konvergente Denker, der u. a. auch dadurch gekennzeichnet ist, dass er wenig auffallen möchte, nimmt eine solche Frage grundsätzlich wörtlich und verzichtet damit auf die vielen verlockenden Möglichkeiten, die sich beim Einsatz mehrerer Büroklammern – auch für ihn – fast automatisch ergeben würden.

Der Kreative hingegen denkt divergent (d. h. nach allen Richtungen), und zwar ziemlich unabhängig von seinem Intelligenzpotenzial. Er schlägt deshalb auch Einsatzgebiete vor, die mit dem ursprünglichen Verwendungszweck fast oder gar nichts zu tun haben. Bereits geringfügige Veränderungen können so zusätzliche Möglichkeiten eröffnen, und damit zu verblüffend neuen Einsatzgebieten führen.

Ferner missachtet der Kreative rein formale Vorschriften. Ohne zu zögern, schlägt er zahlreiche Verwendungsmöglichkeiten vor, für die man mehrere Büroklammern benötigt. Er riskiert dabei, vom Fragesteller für die „unzulässige“ Erweiterung seines Spielraumes (eine Büroklammer!) kritisiert zu werden. Dies stört ihn jedoch kaum, denn die Hauptsache ist für den Kreativen nicht die Einhaltung von Vorschriften, sondern die möglichst schnelle Produktion möglichst vieler Ideen. Allerdings sei vor der allzu einseitigen Bewertung eines Probanden nur nach dem Kriterium „divergentes DenkenDenken“ gewarnt. Einerseits gibt es etliche weitere Kreativitätskriterien (s. u.), andererseits sollte bedacht werden, dass divergentes Denken bis zu einem gewissen Grade trainierbar ist:

„Bei entsprechend geschickter Fragestellung und gezielt vorgenommener Änderung des Betrachtungsbereiches lassen sich sogar eindeutig konvergente Denker zu „pseudo-​divergenten“ Ergebnissen führen“ (Mehlhorn u. Mehlhorn 1977, S. 93).

Abgesehen vom divergenten DenkenDenken kennen wir eine ganze Reihe ausgeprägter Besonderheiten, Eigenschaften und Neigungen, die kreative Menschen charakterisieren. Sicherlich ist mindestens ein Teil dieser Eigenschaften in der Persönlichkeit des Kreativen fest verankert. Unstrittig handelt es sich dabei um Begabungen. Jedoch ist bekannt, dass sich Neigungen und Begabungen durchaus pflegen und entwickeln, andererseits aber auch unterdrücken oder verbiegen lassen:

„Eine der sonderbarsten Anwendungen, die der Mensch von der Vernunft gemacht hat, ist wohl die, es für ein Meisterstück zu halten, sie nicht zu gebrauchen“ (G. Chr. Lichtenberg).

Besonders ungünstig werden in einer auf striktes Befolgen von Normen und Vorschriften orientierten UmgebungUmgebung, Verändern der Umgebung kreative Kinder beurteilt, die nicht intelligent genug sind, ihre Unruhe stiftende Kreativität vor den so „vernünftigen“ Erwachsenen geschickt zu verbergen:

„In einer Gesellschaft, die auf Kreativitätsentwicklung, auf die Förderung schöpferischen Denkens in der Schule wenig Wert legt, werden niedrig intelligente, aber hochkreative Kinder notwendig zu Außenseitern“ (Mehlhorn und Mehlhorn 1977, S. 148).

So ist denn die bittere SatireSatire von Peter ein getreues Abbild der WirklichkeitWirklichkeit: Super-​Fähige (hier: Super-​Kreative) werden von der Gesellschaft ebenso erbarmungslos aussortiert wie Super-​Unfähige (Peter und Hull 1972). Dies gilt wohl auch für die IntelligenzIntelligenz im Rahmen der Kreativität. Lax ausgedrückt: Man sollte im wirklichen Leben weder zu doof noch zuschlau sein. Es lebe die Gaußsche Normalverteilung!

Auch sollte bei allen Betrachtungen zur Kreativität berücksichtigt werden, dass bereits die Wortwahl – weil subjektiv – von entscheidender Bedeutung ist. Eigenschaften, die allgemein als positiv gelten, werden aus der Sicht pessimistischer, nicht kreativer Betrachter derart verfärbt, dass sie kaum noch wiederzuerkennen sind. Risikofreudigkeit und Verantwortungslosigkeit, Hartnäckigkeit und Sturheit, Phantasiereichtum und Spinnerei, HumorHumor und Leichtfertigkeit, Fleiß und Strebertum sind regelrechte Begriffspaare. Sie stehen für ein und dieselbe Eigenschaft, je nachdem, ob ein kreativer Optimist oder ein nicht kreativer Pessimist die Sache beschreibt. Wir wollen in der folgenden Darstellung die Sicht des kreativen, optimistischen Betrachters wählen.

Zunächst einmal ist der Kreative weitgehend frei von Vorurteilen. Dies ermöglicht ihm, völlig unbefangen an das zu lösende Problem heranzugehen. Während vor ihm fast alle in der konventionellen Richtung suchten, hat der Kreative früher oder später Erfolg, weil er unkonventionelle Denk- und Arbeitsrichtungen bevorzugt. Die Quellen, aus denen er seine Anregungen schöpft, sind außerordentlich vielfältig. Dazu gehören auch Gespräche mit sehr verschiedenartigen Partnern, unabhängig davon, ob es sich um akademisch gebildete Experten handelt oder nicht. Der Rang des Gesprächspartners in der Hierarchie spielt für den Kreativen ebenfalls keine Rolle. Dies hat die bekannten Negativfolgen. So ist der Kreative aus der Sicht des reinen Karriere-​Ritters schon deshalb blöd, weil er sich bei den Mächtigen nicht einschleimt und sein Bier mit den „verkehrten“ Leuten trinkt. Allerdings sind manche HochkreativeHochkreative, die ich in meinen Seminaren kennenlernte, ausgesprochen gewöhnungsbedürftig. Sie anerkennen keinerlei Konventionen, halten Höflichkeit für überflüssig, sind extrem ungehalten, wenn man ihrem in schroffer Kürze vorgetragenen geistigen Höhenflug nicht sofort folgen kann, und werden von ihrer UmgebungUmgebung, Verändern der Umgebung deshalb lieber gemieden als wegen ihrer – durchaus unbestrittenen – Fähigkeiten geachtet.

Der Kreative besitzt ein weitgehend unabhängiges WertesystemWertesystem. Er teilt seine UmgebungUmgebung, Verändern der Umgebung nicht in „oben“ und „unten“, „einflussreich“ und „nicht einflussreich“ ein, sondern in „kreativ“ und „nicht kreativ“. Sofern er kein Eigenbrötler ist, sucht er seine Mitstreiter allein nach diesem Kriterium aus, mit oder ohne Erlaubnis, quer durch die Hierarchie. Natürlich wird eine derartige Arbeitsweise von den Konservativen aller Couleur als verdächtig empfunden. So mancher, der in der Hierarchie eine hohe Position blockiert, sieht diese Arbeitsweise wegen des stets befürchteten Machtverlustes sogar als recht gefährlich an. Daran ändern auch modische Sprechblasen („Teamwork“, „Team-​Synergien“, „Interdisziplinäre Projektgruppe“) rein gar nichts. So werden denn Kreative nicht selten gemobbt, mindestens aber ausgebremst.

Allerdings wäre es zu einseitig, den Kreativen nur als Hierarchienschreck zu zeichnen. Im dialektischen Sinne ebenso zutreffend ist, dass er die Gegebenheiten und Möglichkeiten seines Umfeldes energischer und findiger umsetzt als der Konservative, ungeachtet aller Schranken, Restriktionen und Bremsfaktoren, als da sind: Beharrungsvermögen, Hang zum vermeintlich Bewährten („Das war schon immer so“), Scheu vor dem Ungewissen, mangelnde Risikobereitschaft.

Diese für den Kreativen störenden Faktoren sollten aber in der Praxis nicht nur negativ gesehen werden. Sie sind nicht einfach nur Brems-, sondern eben auch Korrekturfaktoren, die sich dann positiv auswirken können, wenn unausgegorene Ideen vom Kreativen zäh verfochten, oder wenn objektive mit subjektiven Einschränkungen verwechselt werden. In solchen Fällen wird der Kreative gezwungen, sich ständig weiter mit der Sache zu befassen, und die noch nicht ausgereifte Lösung so lange zu verbessern, bis sie allgemein überzeugt. Das gelingt beileibe nicht allen Kreativen, denn die Mühen der Ebene sind, gerade bei den „genialischen“ Typen, nicht gerade beliebt.

In meiner Beratertätigkeit habe ich einen weiteren „Kreativ“-Typus kennengelernt, der sich darauf beschränkt, geheimnisvoll zu raunen, er habe da etwas ganz Hervorragendes bzw. Wunderbares erfunden. Es sei aber dermaßen geheim, dass er mir bestenfalls Andeutungen dazu machen könne – ich solle ihn aber dennoch in dieser Angelegenheit beraten (?!). Solche Typen sind dann regelmäßig schockiert oder gar beleidigt, wenn ich sie nach dem Stand der TechnikStand der Technik auf ihrem Gebiet frage, und wenn sie von mir hören, dass ein Erfinder zweckmäßigerweise alles, mindestens von der RechercheRecherche, Neuheitsrecherche über die Ausarbeitung der eigentlichen ErfindungErfindung bis zum überzeugenden Versuchsmuster und zum Entwurf der PatentschriftPatentschrift (Formulierung), selbst machen sollte. Solche „Erfinder“ vermuten seltsamerweise, dass irgendjemand (im Zweifelsfalle: „die Gesellschaft“) sich um die eigentliche Arbeit zu kümmern hat, ihnen aber Ruhm, Ehre und fürstliche Tantiemen ganz allein zustehen.

Ist diese Haltung noch mit einem Ignorieren der Naturgesetze verbunden (ich hatte mehrere solcher Fälle, auch wenn es sich nicht direkt um das perpetuum mobile handelte), so ist die Lage schlicht hoffnungslos. Eine Verständigung ist dann nicht mehr möglich. Der um Sachlichkeit bemühte Berater wird von einem solchen „Erfinder“ als konservativer Ignorant, Bremser und Verbündeter des Establishments empfunden oder gar so bezeichnet. Zum Glück sind derartige Fälle nicht allzu häufig, auch kommen sie beinahe nur unter Hobbyerfindern und auf Sand gelaufenen Freiberuflern vor. Dennoch haben solche Typen nicht unwesentlich zum Ruf des Erfinders als eines „Spinners“ beigetragen.

Setzen wir nunmehr die bewusst positive Beschreibung fort. Wir wollen uns detailliert mit den typischen individuellen Eigenschaften des Kreativen befassen, wobei ich insbesondere auf meine Erfahrungen im Bereich der erfinderischen Kreativität zurückgreife.

Besonders wertvoll ist für den Erfinder seine PhantasiePhantasie (Fantasie). Die Phantasie ist es, welche den kreativen Menschen wesentlich über die Funktionen des besten denkbaren Computers hinaus erhebt. Gefährlich ist das weit verbreitete VorurteilVorurteil, Vorurteil der Fachwelt, Phantasie verleite nur zu technisch nicht realisierbaren Vorschlägen, sei also letztlich ein anderer Ausdruck für realitätsferne Spinnerei. Phantasie ist jedoch die äußerst wertvolle Fähigkeit, vermeintlich nicht Verknüpfbares miteinander verknüpfen zu können. Der praktische Wert der Phantasie wurde von Thomas Mann treffend charakterisiert: „Phantasie heißt nicht, sich etwas auszudenken, sondern aus den Dingen etwas zu machen“. Dies umreißt die Rolle der Phantasie im kreativen Schaffen: Der Kreative arbeitet mit den „Bauelementen der WirklichkeitWirklichkeit“, die er in einer für Nichtkreative überraschenden Weise neu ordnet, um neue, zuvor nicht (oder nicht in dieser Weise) erreichte MittelMittel, Technische Mittel der Erfindung-ZweckMittel-​Zweck-​Zusammenhang bei Erfindungen-Beziehungen zu schaffen. So wird auch klar, warum Phantasie allein, isoliert von klaren Zielvorstellungen, wenig nützt:

„PhantasiePhantasie (Fantasie) und Leichtfertigkeit sind Geschwister. Wer nur der Phantasie gehorcht, ist zur Originalität unfähig, glaubt sich aber originell, wenn er uns durch die Zusammenhanglosigkeit seines Tuns auf die Nerven geht.“ (Jean Cocteau)

Da von einigen Autoren die PhantasiePhantasie (Fantasie) geradezu vergöttert wird, wollen wir uns ansehen, was Patrick Süskind über Loriot schreibt:

„Dürrenmatt hat einmal geäußert, kreative PhantasiePhantasie (Fantasie) arbeite durch das Zusammenwirken von Erinnerungen, Assoziationen und LogikLogik. An dieser Definition fällt neben der Erwähnung des Wortes „arbeiten“ auf, dass sie ohne Begriffe wie „Inspiration“, „Einfall“, „Idee“, „Anregung“ etc. auskommt und die Betonung auf die strengeren intellektuellen Disziplinen legt. Sie passt nicht schlecht zur Beschreibung des Loriotschen Schaffens. Damit soll um Gottes Willen nicht gesagt sein, dass Loriot keine Einfälle oder originellen Ideen hätte – das Gegenteil ist wahr! –, sondern dass Ideen und Einfälle, vor allem potentiell komische, keinen Pfifferling wert sind, solange sie nicht durch Kunstfertigkeit und intellektuelle Strenge zur Geltung gebracht werden“ (Süskind 1993, S. 11/12).

Dem ist wahrlich nichts hinzuzufügen. Wenn schon für das künstlerische Schaffen der großen Meister Dürrenmatt, Loriot und Süskind derart stark das solid Handwerkliche betont wird, sollten wir uns für die technische Kreativität keine unnötigen Illusionen machen.

PhantasiePhantasie (Fantasie) ganz allein, auch Ideen allein – noch dazu „aus dem Bauch“ produzierte –, helfen wenig. Sie bedürfen stets der intensiven Bearbeitung mit den Mitteln der Fachkenntnis, der LogikLogik – und eben auch der „Kunstfertigkeit und intellektuellen Strenge“ (Süskind 1993, S. 12).

Kommen wir nun zu den FragenFragen der MotivationMotivation. Interessante Arbeit, die freiwillig geleistet wird, sorgt stets für positive Emotionen. Das GehirnGehirn des Kreativen macht bei Dienstschluss keineswegs Feierabend. Im Idealfall gehen Arbeit, Erholung, technisches Hobby und kreatives Schaffen fließend ineinander über. Falls der Kreative beruflich eine Routinetätigkeit auszuführen hat, bemüht er sich, sofern er nicht unverzüglich kündigt, um die schnelle Erledigung dieser Aufgaben. Er gewinnt so Zeit für den Bereich, der ihn wirklich interessiert.

Verloren hat der Kreative erst dann, wenn er die reine Routinetätigkeit für seine „eigentliche“ Arbeit zu halten beginnt. Dies kommt in reiferen Jahren nicht selten vor, ist doch Routine, in den höheren Rängen gekoppelt mit Titeln, Orden und Ehrenzeichen – verliehen für frühere kreative Leistungen – von einlullend-​korrumpierender WirkungWirkung:

„Eine Unze EinbildungEinbildung ersetzt ein Pfund LeistungLeistung.“ (L. J. Peter)

„EinbildungEinbildung ist auch eine Bildung.“ (gut an Blendern zu beobachten)

Der Kreative lebt außerordentlich intensiv, was sein Verhältnis zur UmgebungUmgebung, Verändern der Umgebung betrifft. Alles, was er zu beliebiger Zeit und in beliebigem Zusammenhang sieht, hört oder erfährt, betrachtet er fast automatisch unter dem Aspekt seiner Verwendbarkeit für die gerade bearbeiteten Aufgaben. Die Welt ist für den – in der Wortbedeutung sinnlichen – Kreativen ein faszinierendes Kaleidoskop. Im Gegensatz zum Nichtkreativen kann er mit den oftmals ungewöhnlichen Assoziationen, die sich für ihn laufend ergeben, stets etwas anfangen. So gehen ihm die Ideen niemals aus, wobei er die jeweils neue KombinationKombination/AssoziationAssoziation, Assoziieren sofort in Beziehung zum allgemeinen Wissensfundus setzt. Dieses – nicht selten unbewusste – assoziative Vorgehen erzeugt, speziell beim technischen Erfinder, eine stets wachsende Flut von Ideen:

„Erfindungen regen zum Erfinden an“ (Gilde 1972, S. 27).

Ein wesentliches Element dieser sinnlichen Komponente des Kreativen ist seine ausgeprägte BeobachtungsfähigkeitBeobachtungsfähigkeit. Sie ist zwar begrenzt trainierbar, aber bei verschiedenen Menschen derart unterschiedlich ausgeprägt, dass die Rolle der individuellen Begabung kaum zu übersehen ist. Viele Leute können zwar beobachten, sie sehen aber den Wald vor lauter Bäumen nicht. Der Erfinder sieht hingegen stets auch das Allgemeine im Besonderen. Insbesondere besitzt er die Fähigkeit, recht ungewöhnliche Schlüsse aus ganz gewöhnlichen Beobachtungen ziehen zu können. Dabei sind diese Schlüsse nur aus Sicht des konventionell denkenden Normalbürgers ungewöhnlich; aus Sicht des Kreativen handelt es sich fast um Banalitäten. Auch deshalb übersehen HochkreativeHochkreative nicht selten den Neuheitswert ihrer Ideen: Was dem Kreativen bekannt erscheint, muss der Fachwelt durchaus nicht bekannt sein. Dieser Sachverhalt führt oft genug dazu, dass der Erfinder seine Ideen nicht zum Patent anmeldet, obzwar sie durchaus schutzfähig wären. Beim Künstler geht es, analog zum technischen SchutzrechtSchutzrecht, um das Urheberrecht. Hier sind die Grenzen allerdings fließend: Nicht jedes künstlerische Produkt, das einem „irgendwie“ bekannt vorkommt, muss ein PlagiatPlagiat sein. Scott Adams, der Vater des Dilbert-Prinzips, schreibt dazu:

„In der Welt wird über zahllose Ideen diskutiert, von denen ich keine Ahnung habe. Viele von Ihnen werden in diesem Buch Ideen und Gedanken entdeckt haben, von denen Sie sicher sind, dass ich sie bei anderen Autoren (außer den in diesem Buch erwähnten) geklaut habe … Manche der Dinge, die ich schreibe oder zeichne, gehen in der Tat auf andere Autoren oder Cartoonisten zurück. Doch das geschieht meist unbewusst. Alle Schriftsteller tun das. Wenn mir bewusst ist, dass ich mich auf den Gedanken eines anderen Autors beziehe, kann ich die Sache im Normalfall so weit verändern, dass niemand dem geistigen Diebstahl auf die Spur kommt. Meine echten Plagiate bleiben üblicherweise unentdeckt. In der überragenden Mehrheit der Fälle, in denen Sie eine auffallende Ähnlichkeit zwischen einer meiner Arbeiten und der eines anderen Schriftstellers oder Cartoonisten entdecken, beruht das meist auf purem ZufallZufall oder einer GrundideeGrundidee, die von Anfang an nicht sonderlich kreativ war“ (Adams 2000, S. 249).

Der Kreative verfügt, und dies zu begreifen fällt seinen zahlreichen Neidern schwer, nicht etwa über ganz besondere Informationsquellen bzw. spezielle Möglichkeiten – seien es MittelMittel, Technische Mittel der Erfindung, seien es Anregungen –, sondern er vermag die jedermann zugänglichen Informationen ganz einfach kreativer als andere zu nutzen:

„Sehen, was jeder sieht, und denken, was noch niemand gedacht hat“

(A. v. Szent-​Györgyi).

Ein klassisches Beispiel dazu ist die EntdeckungEntdeckung des mechanischen Wärmeäquivalents durch Julius Robert Mayer (1814 – 1878). Während einer Reise nach Indonesien, die er 1840 als Schiffsarzt unternahm, ließ er einen erkrankten Matrosen zur Ader. Er erschrak über die ungewöhnlich helle Farbe des Blutes und fürchtete schon, beim Öffnen der Vene eine Arterie verletzt zu haben. Die ortsansässigen Ärzte beruhigten ihn jedoch: in den tropischen Ländern, so ihre Beobachtung, habe das venöse Blut stets eine vergleichsweise helle Farbe.

Diese Tatsache war also den Fachleuten bekannt, nur zog keiner irgendwelche Schlussfolgerungen daraus. Mayer hingegen ließ der Gedanke nicht mehr los, was wohl – bezogen auf die Farbe des venösen Blutes – der Grund für die Unterschiede zwischen der klimatisch gemäßigten Zone und den Tropen sein könne. Er erkannte, dass in den Tropen vergleichsweise sauerstoffreiches Blut in die Venen gelangt, und schloss daraus, dass der Mensch wegen der dort herrschenden Hitze weniger Sauerstoff zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur durch die Verbrennungsvorgänge im Organismus benötigt. Was nun folgte, gleicht einem Wissenschaftskrimi:

Mayer formulierte 1842 auf Basis seiner Beobachtungen die Äquivalenz verschiedener Energieformen, das Gesetz von der Unzerstörbarkeit der Energie. Diese – aus Sicht der konkurrierenden Physiker – reichlich verschwommen formulierte Arbeit fand praktisch keine Resonanz. Mayers spätere Arbeiten belegten das Energieprinzip mit experimentellen Daten, während er sich zuvor nur auf allgemeine Sätze philosophischer Natur gestützt hatte. Erst nach langem Prioritätsstreit mit Helmholtz und Joule, der an seinen Nerven zerrte und ihn zwischenzeitlich in ein Irrenhaus brachte, fand Mayer Anerkennung.

Mayer wird in der Kreativitätsliteratur als Beispiel für die Kategorie „Verkanntes GenieGenie, „verkanntes“ Genie“ behandelt. Das ist nur bedingt richtig. Gilde weist auf die bestimmende Rolle einer klaren, sachgerechten Ausdrucksweise für komplizierte, bisher nicht zum Wissensfundus gehörende Sachverhalte hin. Auch zu Gilde kamen oft „Erfinder“, die sich als verkannte Genies fühlten. Er machte ihnen dann klar,

„dass es keine verkannten Genies gibt, höchstens unfähige, die nicht in der Lage waren, ihre Gedanken klar auszusprechen, um die Fachwelt zu überzeugen. Als Beispiel führe ich dann J. R. Mayer … an, der sich als Arzt für Physiker unverständlich ausdrückte. Als seine Schriften verständlich wurden, das heißt der Fachsprache der Naturwissenschaftler angepasst, hat Mayer viel Anerkennung erhalten“

(Gilde 1985, S. 71).

Wir sehen, dass Kreativität – aus verschiedenen Gründen – durchaus nicht automatisch anerkannt wird. Gleiches gilt für die im Ergebnis kreativen Handelns gefundenen wissenschaftlichen Wahrheiten. Bei sehr ungewöhnlichen Ergebnissen hilft auch eine fachlich perfekte Ausdrucksweise nichts. MaxPlanck meinte sogar, dass wissenschaftliche Wahrheiten sich nicht als solche durchsetzen, sondern eines Tages „nur deshalb anerkannt werden, weil ihre Gegner aussterben“ (!).

Eine besonders wichtige Fähigkeit des Kreativen ist seine vorausschauend-​bildhafte Vorstellungskraft („ImaginationImagination, bildhaftes Vorstellungsvermögen“). Der Kreative sieht Künftiges bereits in Form fertiger Lösungen, wo andere noch gar kein Problem sehen. Geht ein konventionell denkender Mensch z. B. durch eine Produktionsanlage, so sieht er, sofern sich alles „dreht“, im Sinne eventuell anzupackender Probleme buchstäblich nichts. Der Erfinder hingegen erkennt sofort die Mängel und Schwachstellen des Prozesses und beginnt vorausschauend über die Sache nachzudenken. Diese ProblemsensibilitätProblemsensibilität kann fast als ein Gespür für die verborgenen Defektstellen eines Prozesses bezeichnet und mit dem absoluten Gehör verglichen werden. Ein Mensch, der mit dem absoluten Gehör geschlagen ist, hört bereits Misstöne, wo andere noch in eitel Harmonie schwelgen:

„Alle Neuerer haben etwas von einem Eigenbrötler, von einem Starrsinnigen, einem Dickkopf, weil sie eine bestimmte Sache schon sehen, die ihre Umwelt noch nicht sehen kann. Sie sind davon überzeugt, daß diese Sache sich verwirklichen läßt, und deshalb – weil sie etwas noch nicht Sichtbares schon sehen – wirken sie zunächst merkwürdig auf ihre Umwelt, so als wären sie nicht der Normalfall …“ (Strittmatter 1985).

Da sich aber der Kreative, dem das Hineindenken in die Mentalität nicht kreativer Menschen schwerfällt, als normal betrachtet, kommt es häufig zu verdrießlichen Missverständnissen. Dazu trägt bei, dass sich ein um Effizienz bemühter Kreativer gewöhnlich in Fachdiskussionen allzu kurz ausdrückt. Er bedenkt dabei nicht, dass neue Sachverhalte, die er oftmals lange durchdacht hat, und die nun zu seinem (für ihn persönlich selbstverständlichen) Wissensfundus gehören, für seine Gesprächspartner alles andere als selbstverständlich sind. Vor einigen Jahren sprach ich mit dem damaligen Weltmeister im KopfrechnenKopfrechnen, Gert Mittring. Er bestätigte mir, dass genau dies für ihn während seiner Kindheit und Jugendzeit ein schreckliches Problem war. Eltern und Lehrer konnten ihm schlicht nicht folgen, wenn er über etwas für ihn völlig Selbstverständliches ganz kurz und knapp sprach, ohne nähere Erläuterung. Er musste erst mühsam lernen, dass nicht jeder so schnell wie er denkt, und dass es manchmal erforderlich ist, etwas näher zu erklären. Da ihm derartige Erklärungen jedoch überflüssig – weil aus seiner Sicht banal – erscheinen, muss er sich auch heute noch darauf konzentrieren, diesen „Service“ für seine UmgebungUmgebung, Verändern der Umgebung stets aufrechtzuerhalten.

Speziell begabte Menschen haben es extrem schwer, da sie sich selbst – wie beschrieben – für völlig normal halten und gar nicht verstehen können, dass ihre UmgebungUmgebung, Verändern der Umgebung einfach „nicht mitkommt“. Besonders tragisch ist, dass man dem solcherart Hochbegabten nicht nur mit Ablehnung begegnet, sondern ihn nach einer Weile wegen seiner Verhaltensauffälligkeiten sogar ausgrenzt, z. B. auf die Sonderschule schicken will oder sogar schickt. Lassen wir Mittring selbst zu Wort kommen:

Es lohnt sich jedenfalls, über die rein sprachliche Seite der KommunikationKommunikation einmal nachzudenken, und dies nicht nur beim Umgang mit Höchstbegabten, sondern auch im Kreise „gewöhnlicher“ Kreativer. Dazu gehört auch die Kommunikation zwischen Männern und Frauen, von denen Loriot bekanntlich behauptete, sie „passen ganzeinfach nicht zusammen“. Das allgemein bekannte „Aneinander-​Vorbei-​Reden“ von Männern und Frauen sollte uns immerhin zu denken geben. Derartige Unterschiede zu betonen, ist deshalb gewiss nicht sexistisch, zumal auf einigen anderen Gebieten Frauen deutlich überlegen sind. Wenn also Frauen mehrspurig denken und reden können, sollten die „einspurig programmierten“ Männer ihre eigene – angeblich stets logisch aufgebaute – Art der Argumentation nicht zur Norm erklären. Ungerecht ist jedenfalls, Frauen generell Konfusion vorzuwerfen. Getreu dem Umkehrprinzip (siehe 3.4.4) sollten wir diese Form der Kommunikation eher als LeistungsreserveLeistungsreserve, nicht als Defizit betrachten.

Oft ist zu beobachten, dass ein Kreativer innerhalb weniger Jahre mindestens ein Fachgebiet gut zu beherrschen und erfinderisch zu nutzen lernt, dann jedoch – früher oder später – auf ganz andere Gebiete umschwenkt. Die Binsenweisheit „Schuster, bleib bei Deinen Leisten“ gilt für diesen Typus nicht. Der besondere Vorteil, ein Gebiet ganz unbefangen anzugehen, wird bei einem solchen WechselWechsel des Fachgebietes meist bewusst genutzt. Besonders Erfolgreiche meinen sogar, dass in der ersten Phase der Bearbeitung eines neuen Gebietes jede Art spezieller Sachkenntnis, insbesondere Literaturkenntnis, das Entstehen hoch kreativer Lösungen blockiert. Echte Pioniergebiete sind zudem dadurch gekennzeichnet, dass Literaturkenntnisse ohnehin nichts nützen, eben weil niemand nennenswerte Fachkenntnisse auf diesen völlig neuen Gebieten haben kann, und deshalb noch keine relevanten Publikationen existieren – sonst wären es keine Pioniergebiete. Ein wesentlicher Vorteil bei der Bearbeitung neuer Gebiete ist zudem, dass dem Neueinsteiger nicht nur Spezialkenntnisse fehlen – was die Unbefangenheit fördert –, sondern auch die Spezial-​Vorurteile der Gebietsexperten fremd sind.

Natürlich gibt es „den Kreativen“ niemals in reiner Ausprägung. Dies gilt für jede Art von Typisierung, wie z. B. den versoffenen Finnen, den lockeren Südländer oder den stets höflichen Chinesen. Jedoch dürfte es erlaubt sein, mehr oder minder typische Eigenschaften einer Gruppe zu einem Idealbild zu vereinigen. Jeder Versuch, die Eigenheiten kreativer Menschen zu schildern, muss ohnehin lückenhaft bleiben. Hinzu kommt, dass man solche charakterisierenden Merkmale nicht einfach wie eine Checkliste anwenden kann, um z. B. aus dem Verhältnis von „trifft zu“ und „trifft nicht zu“ auf das Kreativitätspotenzial zu schließen. Schlicksupp schreibt dazu:

„Erstens sind Persönlichkeiten zu komplex, um derart einfach analysiert zu werden, und zweitens muß ein kreativer Mensch nicht notwendigerweise alle diese Eigenschaftenauf sich vereinigen“ (Schlicksupp 1983).

Schlicksupp bezieht sich mit seiner Feststellung auf eine Liste, die nach der Monografie von Ulmann (1968) zusammengestellt wurde, und die folgende Merkmale kreativer Personen aufführt:

Offene und kritische Haltung gegenüber der UmgebungUmgebung, Verändern der Umgebung,

Loslösung von konventionellen und traditionellen Anschauungen,

Vorliebe für Neues,

Fähigkeit, das Wahrnehmungsfeld unter verschiedenen Aspekten zu sehen,

Fähigkeit, Konflikte aus Wahrnehmungen und Handlungen ertragen zu können,

Vorliebe für komplexe Situationen und mehrdeutige Stimuli,

Fähigkeit, ausdauernd an einer Lösung zu arbeiten,

Zentrierung auf die Lösung einer Aufgabe, nicht auf die Erlangung von Ruhm und Anerkennung,

energisch, initiativ, erfolgmotiviert,

mutig, autonom,

sozial introvertiert, sich selbst genügend,

emotional stabil,

dominant, Neigung zur Aggressivität,

hohes Verantwortungsgefühl,

ästhetisch,

weniger ausgeprägte soziale und religiöse Werthaltungen,

sensibles und differenziertes Reagieren auf die Umwelt,

humorvoll.

Gewiss ist auch diese recht umfangreiche Liste nicht vollständig. Ferner enthält sie Merkmale, die vom gesellschaftlichen Umfeld abhängig und somit nicht individuell typisch sind. Auch gilt nicht jedes Merkmal absolut, denn z. B. ist Neues um jeden Preis objektiv kaum sinnvoll, selbst wenn ein „verbissener“ Kreativer tatsächlich unter allen Umständen das Neue bevorzugt. Insgesamt dürfte die Persönlichkeit des Kreativen mit dieser Merkmalsliste jedoch treffend umrissen sein.

Ähnliche Merkmalslisten betonen die absolut persönlichkeitsspezifischen Eigenschaften, Neigungen und Besonderheiten des Kreativen noch wesentlich stärker. So führte Schenk (1982) u. a. folgende Merkmale des kreativen Menschen auf:

Macht nur das, was er kann,

macht, wenn irgend möglich, nur das, was ihn wirklich interessiert,

erlebt die schöpferische Arbeit als Rauschzustand,

sieht Lachen und HumorHumor als erstrangige Lockerungsfaktoren an und weiß sehr genau, warum Diktaturen zuallererst den Humor verbieten.

Somit können denn auch viele Kreative das Weltbild des braven, ein wenig bürokratischen, um buchstabengetreue Erfüllung von Pflichtaufgaben bemühten Bürgers kaum verstehen. Leidenschaftlichere Naturen empören sich nicht selten sogar gegen diese ihnen unverständliche Haltung, und dies gilt wahrlich nicht nur auf dem Gebiet der Technik. Lesen wir beispielsweise, was die berühmte russische Revolutionärin und spätere Sowjet-​Diplomatin Alexandra Kollontai von der deutschen Sozialdemokratie um 1910 hielt:

„Ich erinnere mich an die Abende im Cafe Josty, in Gesellschaft von Heine, Frank und Stampfer, des „vielversprechenden Nachwuchses“. In WirklichkeitWirklichkeit waren sie unglaublich fad und gottesfürchtig, folgten sie in allem dem Verstand … Keine Selbstlosigkeit, kein qualvolles Suchen nach neuen Wegen, kein ungeduldiges Vorwärtsdrängen der Parteiführer, sondern eine bürokratische Maschinerie, die Vorsicht, Disziplin und eine schematische Organisation predigte“ (Kollontai 1980, S. 196).

Der Soziologe und Pädagoge L. J. Peter hat für die Vertreter dieser Richtung den bösen Terminus ProzessionsmarionetteProzessionsmarionette geprägt, in höchstem Maße bildhaft und kaum erläuterungsbedürftig. Der Kreative ist, vor allem durch sein autonomes WertesystemWertesystem bedingt, das genaue Gegenteil einer solchen Prozessionsmarionette. Er läuft grundsätzlich niemals einer Fahne oder einem „Führer“ allein deshalb nach, weil die Mehrheit hinterherrennt.

Ich habe hier, wie gesagt, das Bild des Kreativen ganz bewusst etwas schematisch gezeichnet. Nicht jedes Merkmal trifft auf jeden Kreativen zu. Andererseits ist die Aufzählung gewiss nicht vollständig.

Besonders ausgeprägt sind die individuellen Verschiedenheiten kreativer Menschen auf dem Gebiet der persönlichen Arbeitsweise. Vom absoluten Chaoten bis hin zum rational und in vielen Punkten logisch vorgehenden Kreativen reicht das Spektrum. Deshalb kann ich hier nur einige Beispiele bringen, die zwischen diesen Extremen liegen, um wenigstens annähernd die zu beobachtende Bandbreite aufzuzeigen. Ich verwende dazu u. a. eigene Erfahrungen, so dass der folgende Text abschnittsweise auch individuell begründete Empfehlungen enthält.

Nicht wenige Kreative bevorzugen als Erinnerungshilfe für beliebige Fakten, so auch zum Bewahren plötzlich auftauchender eigener Ideen, die so genannte MnemotechnikMnemotechnik, im Volke treffend auch als EselsbrückeEselsbrücke (Mnemotechnik) bezeichnet. Sie beruht im Prinzip darauf, dass wir das unmittelbar Bewusste beeinflussen können. Schaffen wir uns künstliche Primärspeicher in Form von Bedeutungsnetzen, so fängt sich die in einem Sekundärspeicher zwischenzeitlich verschwundene InformationInformation. Wir überlisten damit unser GehirnGehirn, das dazu neigt, zwecks Entlastung des Kurzzeitgedächtnisses die meisten Informationen alsbald „weiter unten“, d. h. im MittelMittel, Technische Mittel der Erfindung- und schließlich im Langzeitgedächtnis zu speichern. In diesen Speichern sind die Informationen zwar gut aufgehoben, aber eben leider ohne Hilfen nicht mehr oder nicht mehr sofort abrufbar.

Die verlässlichste Hilfe ist noch immer die EselsbrückeEselsbrücke (Mnemotechnik). Je unsinniger sie sachlich und sprachlich ist, desto sicherer lässt sich die gewünschte InformationInformation wieder auffinden. Unsinnig erscheint die gewählte Konstruktion nur dem Unbeteiligten, keineswegs ist sie dies für den Nutzer der eigenen Eselsbrücke. Ich merke mir längere Zahlen, indem ich Zweiergruppen bilde, die einprägsame Jahreszahlen aus der persönlichen Erlebniswelt bzw. der neueren GeschichteGeschichte eines technischen Systems repräsentieren. Die Verknüpfung der Zweiergruppen, d. h. die Reihenfolge, muss dann durch eine möglichst lustige oder auch absonderliche Geschichte erfolgen, etwa nach dem MusterMuster: 10 Jahre nach meiner Einschulung war der 17. Juni 53, an dem ich in 06484 Quedlinburg war, habe dann im Jahre 57 mein Studium begonnen und später das Jahr 84 durchaus nicht ganz so schlimm wie GeorgeOrwell erlebt. Wo nun welche Zahlen eingebettet werden, ist dann allein meine Sache.

Der Grund, warum MnemotechnikMnemotechnik überhaupt funktioniert, ist in der Inaktivität großer Teile unseres neuronalen Netzes zu suchen. Das menschliche GehirnGehirn hat offenbar genügend Platz und Kraft, sich nebenbei mit allerlei Spielereien, so auch mit absurd konstruierten Eselsbrücken, zu befassen. Von der häufig beklagten Überlastung, das haben die Untersuchungen der Physiologen inzwischen klargestellt, kann bei vernünftiger Organisation der geistigen Arbeit nicht die Rede sein. Die Gedächtniskapazität des menschlichen Gehirns ist, was die Schaltmöglichkeiten betrifft, theoretisch sogar unbegrenzt. Allerdings ist es nicht entfernt möglich, davon Gebrauch zu machen. Selbst bescheidene Erfolge bei der tatsächlichen Verbesserung der Gedächtnisleistung sind deshalb von enormer praktischer Bedeutung, eben weil ein trainiertes GedächtnisGedächtnis bei guten intellektuellen Fähigkeiten und hoher persönlicher MotivationMotivation die geistige Leistungsfähigkeit erheblich steigern kann. Dem entsprechend preisen viele Bücher das Gedächtnistraining als den Schlüssel zum Erfolg. Jedoch nützt einem Nur-​Gedächtniskünstler seine einseitig entwickelte Fähigkeit kaum etwas, weil beziehungslos nebeneinanderstehende Fakten und Zahlen ohne ungewöhnliche Assoziationen im besprochenen Zusammenhang keinen Praxiswert haben. Den Extremfall sehen wir beim Autisten. Zwar kann er endlose Zahlenkolonnen oder umfangreiche Texte fehlerfrei memorieren, jedoch ist er nicht imstande, mit dieser Faktenfülle etwas auch nur halbwegs Kreatives anzufangen.

Wir sehen also, dass GedächtnisGedächtnis keineswegs alles ist. Zwar prägen sich entsprechend trainierte Kreative ihre Gedankenblitze ein, als handele es sich um gängige Fakten, jedoch ist dieser Menschentyp vergleichsweise selten. Außerdem ist die Gefahr, dass wertvolle Ideen sofort wieder vergessen werden, viel zu groß. Der bildhafte Ausdruck „flüchtiger Gedanke“ bezeichnet die Situation treffend.

Wer sich deshalb mit der MnemotechnikMnemotechnik (hier: zum verlässlichen Bewahren eigener Ideen, insbesondere Zwischenideen) nicht anfreunden kann, lege sich unbedingt eine Ideenbank an. Im Prinzip genügt es zunächst, alle Ideen und vermeintlich zufällig auftauchenden Gedankensplitter sofort zu notieren, unabhängig davon, wann und unter welchen Umständen sie auftauchen. Wer sich dazu erzieht, erspart sich das dumme Gefühl, am nächsten Morgen sagen zu müssen: „Zu dumm, gestern habe ich es aber noch gewusst“, oder „Beinahe hätte ich es gepackt“.

Da wir unser GehirnGehirn nicht beliebig ein- und ausschalten können, kommen die guten Einfälle oft genug zu den unmöglichsten Zeiten und an den unmöglichsten Orten. Wer das akzeptiert, richtet sich entsprechend ein, wobei es auf die Form zunächst überhaupt nicht ankommt. So landet denn die Rohfassung einer Idee, oft völlig unausgegoren, kaum als Gedankensplitter zu bezeichnen, nicht selten auf einem Packpapierfetzen oder einem Zeitungsrand.

Die nächste Stufe sollte das Übertragen der dabei bereits etwas präziser zu formulierenden Ideen auf etwa gleichgroße Zettel sein. Pro Zettel sollte nur eine Idee notiert werden. Wichtig ist, dass der Kreative alle Assoziationen, die ihm dabei einfallen, sofort mit vermerkt. Durch Querverweise und Nummerierung der Zettel lassen sich die besonders wertvollen Verknüpfungen zu anderen Ideen festhalten und so in der weiteren Arbeit berücksichtigen. Besonders das Aufkleben der Zettel auf einen größeren Bogen ist sinnvoll. So lassen sich die Verknüpfungen per Pfeil stets übersichtlich darstellen, und das Beschriften der Pfeile macht die Ideenverknüpfung bzw. die Art der AssoziationAssoziation, Assoziieren besonders deutlich („Assoziationsnetz“). Viele bevorzugen inzwischen auch die modernen Hilfsmittel, insbesondere das Mindmapping. Es sei aber darauf hingewiesen, dass auch hier das „Müll rein, Müll raus„Müll rein, Müll raus“ – Prinzip„Müll rein, Müll raus“ – Prinzip“-Prinzip gilt. Taugt der Inhalt nichts, so wird – durch die gefälligere Form – die QualitätQualität des Ergebnisses nicht automatisch verbessert. So gesehen ist es mehr eine Glaubensfrage, ob man die modernen MittelMittel, Technische Mittel der Erfindung für „besser“ hält.

Auch für die letzte – die publizistische – Stufe der Arbeit kann eine IdeensammlungIdeensammlung (Ideenbank) nützlich sein. Besonders treffende Formulierungen fallen einem erfahrungsgemäß nicht auf Kommando ein. Man entlastet sich also, indem man ständig per Ideenbank an einer Sache arbeitet. Diese Feststellung klingt widersprüchlich, sie ist es aber nicht:

Beim Trainierten verläuft der Prozess fast im Unbewussten. Dann wird eine solche Arbeitsweise nicht als belastend empfunden. Später, beim Schreiben, ist man schließlich auch nicht immer in Höchstform; dann ist es beruhigend und dem Fortgang der Arbeit förderlich, auf die gespeicherten Formulierungen zurückgreifen zu können.

Noch ein Wort zum ZeitmanagementZeitmanagement. Der erfolgreiche Kreative hat meist ein sehr positives Verhältnis zur verfügbaren Zeit, d. h. er nützt sie sinnvoll und jammert nicht pausenlos: „Keine Zeit, keine Zeit“. Hingegen benutzen viele, von denen kreative Leistungen berechtigterweise erwartet werden können, den angeblichen Zeitmangel als vorgeschobenes Argument, etwa in folgender Weise:

Es ist unmöglich, zusätzlich zu den TagesaufgabenTagesaufgaben kreative Aufgaben anzupacken. Die tägliche operative Hektik macht mich fix und fertig. Bleibt einmal etwas Zeit, so kann ich sie nicht mehr sinnvoll nutzen, weil meine Nerven durchgefeilt sind.

Die organisatorischen Aufgaben erdrücken mich. Die Papierflut schwillt an, sie muss aber bewältigt werden – und an wem bleibt es schließlich hängen?

Ich bin doch verpflichtet, jederzeit jeden anzuhören, d. h., es wird als unhöflich empfunden, wenn ich nicht jederzeit zur Verfügung stehe. Es gelingt mir nicht, diejenigen, die etwas von mir erwarten, einfach abzuwimmeln. Hinzu kommen immer wieder Meetings, auf denen ich keinesfalls fehlen darf.

Sagen Sie mir doch, was ich zuerst machen soll. Ich würde ja auch gern kreativ sein, aber die Tagesarbeit muss schließlich erledigt werden. Beides zusammen geht ganz einfach nicht.

Neben teilweise verständlichen Gesichtspunkten enthält diese unvollständige Aufzählung etliche Ausreden und Scheinargumente. Es ist deshalb erforderlich, zunächst einmal sich selbst gegenüber völlig ehrlich zu sein. Es nützt eben wenig, immer nur „die Anderen“ oder „die Bürokratie“ zu beschuldigen. Bereits 1980 beschrieb Heyde unmissverständlich, was gewiss auch heute noch zutrifft:

„Viele sind versucht, dem Argument „keine Zeit“ den Mantel der Objektivität, der Unabänderlichkeit umzuhängen und damit ihre Schwächen zuzudecken. Keine Zeit haben die meisten Leute vor allem für solche Dinge, die sie weniger gern tun“

(Heyde 1980).

Das klingt für Leute, die kreativ sein sollten, es aber nicht sind, natürlich recht unangenehm. Heyde belegt seine Aussage mit alarmierenden Zahlen: Für die Bearbeitung der wenigen wirklich wichtigen Aufgaben verwenden wir nur 20 % unserer Zeit, wobei bis zu 80 % aller Ergebnisse (!) erzielt werden; die vielen mehr oder minder nebensächlichen Aufgaben schlucken hingegen 80 % unserer kostbaren Zeit, woraus aber nur 20 % aller Ergebnisse resultieren. Wesentliche Teile unseres Arbeitslebens werden demnach regelrecht vertrödelt. Wir haben es hier mit einem Sonderfall des Pareto-PrinzipPareto-Prinzips zu tun, mit welchem wir uns in einem anderen, aber nicht minder wichtigen Zusammenhang (im Abschnitt 3.3.1) ausführlicher befassen wollen.

Da die kreativen Praktiker sehr wohl wissen, wer für alle arbeitet, fällt es den Unerfahreneren zunächst schwer, die Interessen der Gesellschaft bzw. ihres Unternehmens nicht offiziell, sondern nur mit Tricks und Finten sichern zu können. Mit wachsender Erfahrung bauen sie dann jedoch die geschilderte „inverse“ Arbeitsweise – fast sportlich – zu einem einwandfrei funktionierenden Verfahren aus (s. o.).

Hier schließt sich der Kreis: Das alles funktioniert wegen der frustrierend-​lähmenden WirkungWirkung wuchernder Systeme nur bei stärkster EigenmotivationEigenmotivation, und die kann nicht befohlen werden. Nur jene Teams arbeiten wirklich schöpferisch, in denen jedes Mitglied über eine starke Eigenmotivation verfügt, gekoppelt mit der Achtung vor der Arbeit aller anderen Teammitglieder. Wichtig ist, dass es der Leiter des Teams oder ein entsprechend befähigtes Teammitglied versteht, alle anderen zu motivieren. Die Arbeit sollte interessant und spannend sein. Bereits die gemeinsam gewonnenen Zwischenergebnisse sollten Freude bereiten.

Ein solches Team wird unsinnige Papier-​Spielereien in den eigenen Reihen garantiert unterlassen. Ferner sollte die – ideelle wie materielle – persönliche MotivationMotivation stets mit der tiefen Überzeugung vom Eigenwert schöpferischer Tätigkeit einhergehen. Dies aber heißt, sich durch das völlige Unverständnis für kreative Arbeit, ebenso durch die Missgunst der Nichtkreativen, nicht beeinflussen zu lassen.

Unter solchen Voraussetzungen ist das vermeintlich teuflische Problem tatsächlich lösbar: „Zeit ist kein Problem. Das Problem ist, was wir mit der Zeit anfangen“

(Gilde 1985, S.14).

FragenFragen wir uns nunmehr, welche weiteren Faktoren in der ArbeitsumgebungArbeitsumgebung des Kreativen nützlich bzw. schädlich sein können. Auch diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Individuelle Besonderheiten können zudem dazu führen, dass Stressfaktoren, obzwar „klassisch“ ein Hemmnis, als Ansporn empfunden werden.

Jedenfalls sollten, ausgehend von den Ergebnissen der hirnphysiologischen und psychologischen Forschung, folgende Gesichtspunkte zur Unterstützung des schöpferischen Arbeitens beachtet werden:

Negativ-​Emotionen sind nach Möglichkeit zu vermeiden.

Es ist eine gewisse Sicherheit gegen unnötigen Zeitdruck zu schaffen. „Faulheit“ kann manchmal auch die äußere Erscheinungsform der schöpferischen Phase sein. Hektik ist nicht unbedingt ein Zeichen für Kreativität.

Gesetz der Interaktion: Nicht jeder kann mit jedem!!

EigenmotivationEigenmotivation geht vor Fremdmotivation. Was mich wirklich interessiert, bearbeite ich mit ganzer Leidenschaft. Was mir ein muffliger Chef ohne einleuchtende Erklärung bzw. Begründung befiehlt, motiviert mich kaum. Manche Unternehmen haben das erkannt, und sie gestatten ihren Forschern, bis zu 15 % der Arbeitszeit für selbst gewählte Themen zu verwenden. Geschieht das illegal, so wird es als „bootlegging“ (U-​Boot-​Forschung) bezeichnet. So manche Firma hat schon – zähneknirschend – eingestehen müssen, dass die im Rahmen der mehr oder minder geduldeten „Hobbyforschung“ erzielten Ergebnisse wertvoller als die geplanten waren.

Wird nur getadelt, so siegen die Negativ-​Emotionen, und die kreative Arbeit wird – mehr oder minder vollständig – eingestellt.

Eine ausschließlich auf brave Pflichterfüllung, Ausführen von Anweisungen und Nachplappern getrimmte Gruppe verfällt, Individuum für Individuum, auf den Ausweg der „Inneren Kündigung“. Es wird nur noch Dienst nach Vorschrift gemacht, zu allem „Ja“ und „Amen“ gesagt, Kompetenzen werden nicht mehr ausgeschöpft, Gängeleien widerspruchslos hingenommen. Mit dem Schöpfertum ist es unter solchen Umständen alsbald gänzlich vorbei.

60 % positive RückkopplungRückkopplung sind wünschenswert. Übersteigt die Misserfolgsrate auf Dauer 40 %, so wird das schöpferische Interesse lahmgelegt. Das heißt natürlich nicht, dass der Naturwissenschaftler die Versuchsergebnisse im Interesse seiner zarten Seele „hinbiegen“ muss bzw. darf. Überdies haben starke Naturen immer wieder, und dies über längere Zeiträume, höhere Misserfolgsraten hingenommen, ohne aufzugeben.

Es ist ein minimaler positiver Tonus der Emotionen zu schaffen. Wer immer nur meckert, ohne Auswege zu zeigen, vergiftet das kreative Klima in einer Gruppe: „Keine Negation ohne darauf folgende Konstruktion“ (Zwicky 1971, S. 211)

Mehr als 45 Minuten ununterbrochenen Informationsbombardements hält kein Mensch aus. WechselWechsel des Fachgebietes zwischen aktiver und passiver geistiger Tätigkeit ist dringend anzuraten.

Lieber denken als nur reden bzw. hören. Insbesondere gilt es, sachbezogen zu sprechen und die Hörer nicht zu nerven: Referent, werde wesentlich!

Entspannungsübungen sind kein esoterischer Firlefanz. Schöpferische Unruhe ist notwendig, sie sollte aber nicht mit Hektik bzw. ständiger innerer (Ver-)Spannung verwechselt werden.

Erwartungshaltungen sollten realistisch sein. Wer heute über Dinge nachdenkt, die vielleicht in 300 Jahren von Bedeutung sein könnten, ist vielleicht ein GenieGenie, „verkanntes“ Genie, kaum aber ein erfolgreicher Kreativer. Dennoch sind, wie uns die einschlägig tätigen Autoren versichern, Visionen gefragt. Wir sollten aber bedenken, dass dieses viel strapazierte Modewort noch vor wenigen Jahrzehnten im Wörterbuch nur im Sinne von Wahnvorstellungen zu finden war: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ (Helmut Schmidt).

Ein ganz spezielles Thema, das wir besser nicht vertiefen wollen, ist die Einschätzung des Hochkreativen in der Öffentlichkeit. Sie reicht vom völligen Unverständnis bezüglich seiner Besonderheiten über das Etikett „SpinnerSpinner“ bis hin zu rückhaltloser Bewunderung, gekoppelt mit höchsten Erwartungen – oft alles völlig irrational miteinander vermengt. Da aber wohl fast jeder Mensch mehr oder minder kreative Elemente in sich trägt (F. Zwicky schrieb sogar: „Jeder ein GenieGenie, „verkanntes“ Genie“ (1971)), glaube ich, dass die hier versuchte Charakterisierung des Kreativen kaum missverständlich sein dürfte. Sie wird dem Leser beim Auffinden seiner Stärken und beim Trainieren spezieller Fähigkeiten helfen.

Wenn ich bisher sehr oft vom „Kreativen“, kaum aber vom „Erfinder“ gesprochen habe, so hat dies seinen Grund. Erfinder ist nicht gleich Erfinder. Auch wenn es schmerzt: Nicht alle Erfinder sind kreativ. Es gibt eben auch so genannte PatentjägerPatentjäger, die sich darauf spezialisiert haben, winzige – schutzrechtlich gerade noch interessante – Lücken in den Patenten der Konkurrenz aufzuspüren, und dort eigene Patente anzumelden. Mit Kreativität hat diese Vorgehensweise wenig zu tun; es genügt genaueste Literaturkenntnis und ausgebuffte Schlitzohrigkeit.

Das NiveauNiveau solcher „Erfindungen“ liegt oft im Grenzbereich der PatentierbarkeitPatentierbarkeit; jedoch können einmal erteilte Schutzrechte dieser Art für den Autor des damit umgangenen Patentes, den eigentlichen Erfinder, sehr schädlich (manchmal Existenz bedrohend) sein.

Ich möchte meinen Lesern deshalb bevorzugt jene Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen nahebringen, die für das Erarbeiten hochwertiger Erfindungen erforderlich sind. Der Begriff der dabei anzustrebenden „ErfindungshöheErfindungshöhe“ wird noch mehrfach im Buch auftauchen. Er steht für Lösungen, die hinreichend ungewöhnlich sind, an deren erfinderischem NiveauNiveau – ihrer „SchutzwürdigkeitSchutzwürdigkeit“ – kein Zweifel besteht.

3Methoden und Praxisempfehlungen

3.1Die wichtigsten Kreativitätstechniken

In der Literatur werden Dutzende, unter Berücksichtigung aller Sonderformen und Varietäten sogar Hunderte von KreativitätsmethodenKreativitätsmethoden behandelt. Es ist nicht Anliegen dieses Buches, all diese Methoden zu referieren und zu bewerten. Vielmehr stelle ich hier den methodischen Extrakt dar, für den Praktiker aufbereitet und mit nachprüfbaren Quellenangaben versehen. In den folgenden Abschnitten 3.1.1 und 3.1.2 wollen wir deshalb nur die wichtigsten Methoden besprechen, insbesondere auch, um den Zusammenhang mit den im 4. Kapitel abgehandelten Strategien und Empfehlungen darzustellen, bzw. deren Herkunft zu erklären.

3.1.1 Herkömmliche Methoden

Sehen wir uns zunächst die älteste, auch heute noch am weitesten verbreitete Methode an. Versuch und IrrtumVersuch und Irrtum („Trial and ErrorTrial and Error“) beruht auf dem gedanklichen Herumprobieren. Dem Kreativen kommt spontan eine Idee: „Wie wäre es, wenn ich es einmal so versuche?“. Es folgt die theoretische und/oder praktische Überprüfung – und die Idee erweist sich meist als untauglich. Ein berühmter Chemiker sagte einmal: „Ideen sind überhaupt kein Problem. Ich habe jeden Tag mindestens hundert. Dann gehe ich ins Labor – und sie funktionieren alle nicht“.

Folglich wird nun in einer anderen Richtung eine neue Idee gesucht, gefunden, erprobt, verworfen – und der Zyklus beginnt abermals (Abb. 1).

Hauptmangel des Vorgehens ist, dass sehr viele SpontanideenSpontanideen entstehen, welche überwiegend in Richtung des „Trägheitsvektors“ liegen. Dieser Vektor charakterisiert gewissermaßen die Richtung des geringsten Widerstandes. Der Mensch ist denkträge; auch der Kreative produziert nicht pausenlos überraschende Lösungen. So wird die konventionelle Denkrichtung bevorzugt. Abb. 1 zeigt aber, dass gerade dort die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist, auf die Lösung zu treffen. Dennoch ist Versuch und IrrtumVersuch und Irrtum auch heute noch die von den meisten Menschen favorisierte Methode. Viele kennen überhaupt nur diese Vorgehensweise. Von sehr fleißigen Menschen angewandt, liefert sie zudem Ergebnisse, die ein systematisches Vorgehen als nicht unbedingt notwendig erscheinen lassen. Hinzu kommt, dass der Prozess in der Praxis nicht ganz so unbefriedigend, wie in Abb.1 dargestellt, verläuft:

Abb. 1  

Schematische Darstellung des Verlaufs der Methode „Versuch und IrrtumVersuch und Irrtum“ (nach: G.S.Altschuller 1973, S. 17)

A: Aufgabe. Die Lösung des Problems liegt fast nie in Richtung des Trägheitsvektors TV, so dass auch die Sekundär-​Ideen (1, 2) nichts nützen. Nur wenige der Ideen gehen in Richtung Lösung, ein möglicher Treffer wäre rein zufällig.Das konventionelle DenkenDenken veranlasst die meisten Menschen, das zu denken, was andere vor ihnen auch schon gedacht haben. Die so gewonnenen Ideen sind überwiegend banal.

Jeder Fehlversuch ist mit einem Lernprozess verknüpft, und so kann ein Teil der prinzipiell möglichen weiteren Versuche – wegen vorhersehbarer Erfolglosigkeit – weggelassen werden. Dennoch stehen Aufwand und Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander.

Ein wenig vorteilhafter verläuft das so genannte BrainstormingBrainstorming, Ideenkonferenz, im deutschen Sprachraum manchmal auch als IdeenkonferenzIdeenkonferenz bezeichnet. Zwar entsteht jede Idee zunächst in einem Kopf, jedoch potenziert die Mitarbeit kreativer Menschen günstigen Falles Menge und QualitätQualität der Ideen. Alex Osborn (1953) erkannte, dass es nicht wenige Menschen gibt, die im Team ohne SchwierigkeitenSchwierigkeiten, besondere technische Schwierigkeiten zahlreiche Ideen produzieren können. Osborn führte zwei Grundregeln ein, die noch heute gelten, und die dennoch bei den üblichen Brainstorming-​Veranstaltungen meist missachtet werden. Die erste RegelRegel, „85%-Regel“ besagt, dass KritikKritik in der primären (Ideen erzeugenden) Phase streng verboten ist. Die zweite RegelRegel, „85%-Regel“ besagt, dass Ideenerzeugung und Ideenauswahl strikt voneinander zu trennen sind (zeitlich, und – falls es sich ermöglichen lässt – auch personell). Osborn hat ferner als Hilfsmittel für die Bewertungsphase SpornfragenSpornfragen eingeführt, mit deren Hilfe jede der betrachteten Ideen modifiziert werden kann: Größer? Kleiner? Umgruppieren? Kombinieren? Umkehren? Ersetzen? Zweckentfremden? Nachahmen?

Das Prinzip der Ideensuche unterscheidet sich allerdings nicht wesentlich von der in Abb. 1 dargestellten Vorgehensweise, nur entstehen gewöhnlich beim BrainstormingBrainstorming, Ideenkonferenz nicht ganz so viele banale Ideen in Richtung des Trägheitsvektors. Auch nimmt die Zahl der SekundärideenSekundärideen (Verzweigungen in Abb. 1) zu, denn die wechselseitige Anregung der Teilnehmer wirkt sich auf die primär geäußerten Ideen im Sinne eines „Schneeball“-Effektes aus. Dennoch arbeitet die Methode, auch bei sachgerechter Durchführung unter Leitung eines Moderators, unbefriedigend. Wo die Lösung eigentlich zu suchen ist, bleibt offen, und das Vorgehen beruht auch nur auf „Masse statt Klasse“, gekoppelt mit der Hoffnung, dass in der Phase der Auswahl bzw. Bewertung sich schon etwas Brauchbares finden wird. Das „Suchen ohne Verstand“ (Altschuller 1973, S. 36) wird gewissermaßen zum Prinzip erhoben.

Eine wesentlich wirksamere Methode ist die MorphologieMorphologie. Das Wort geht auf Goethe zurück und steht für „Gestaltlehre“ im Sinne der Lehre von den Erscheinungsformen einer Sache. Die Morphologie im heutigen Sinne wurde von Zwicky (1966) umfassend entwickelt und von Zwickys Schülern Holliger-​Uebersax sowie Bisang zu hoher Vollendung gebracht (Holliger-​Uebersax 1989). Ein auch ohne nähere Kenntnis der Gesamtmethode recht nützliches Werkzeug ist die Morphologische TabelleMorphologische Tabelle („Morphologische Matrix“). Auf der Ordinate werden zunächst die Variablen (Parameter, Ordnende Gesichtspunkte) des Systems aufgetragen, neben jeder Variablen dann die bekannten bzw. denkbaren VariantenVarianten (Ausführungsformen).

Variable

Variante 1

Variante 2

Variante 3

Variante 4

Variante 5

Variante 6

Ort

Arbeitsplatz

Museum

Nächtliche Straße

Bungalow

Auto

Hotel

Titelheld

Lehrer

Kommissar

Student

Arbeiter

Direktor

Arzt

Opfer

Ehefrau

Ehemann

Chef

Handwerker

Gastwirt

Wissen-​schaftler

Mörder

Strafgefangener

Sekretärin

Neurotiker

Titelheld

Gangsterbande

Hooligan

Todesursache

Selbstmord

Provozierter Unfall

Erschießen

Erhängen

Gift

Nicht fest-​stellbar

Motiv,

Auslöser

Eifersucht

Betrunken

Geld

Mitwisser beseitigen

Trieb (Neurotiker)

Unglückl.

Zufall

Aufdeckung

Geständnis

Indizien

Zufall

Kripo-​Logik

Nie aufgeklärt

Geheim-​papiere

Schluss des Krimis

Heirat

Offener Schluss

Held wieder gesund

vermisste Leiche

gefunden

Mörder wird schließlich

geheilt

Mörder geht ab ins Gefängnis

Tab. 1  

MorphologischeTabelleMorphologische Tabelle („Morphologische Matrix“)als Orientierungshilfe für Krimiautoren (Gutzer 1978)

Die Tabelle listet so für das jeweils betrachtete Objekt bzw. Verfahren alle vielleicht interessanten VariantenVarianten-Kombinationen auf und gestattet die Verbindung jedes einzelnen Tabellenplatzes mit jedem anderen Tabellenplatz. Die Morphologische TabelleMorphologische Tabelle („Morphologische Matrix“)