Von der Vollkommenheit aller Tugenden - Johannes Tauler - E-Book

Von der Vollkommenheit aller Tugenden E-Book

Johannes Tauler

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Beschreibung

Liebst du Gott vom Herzen, dann kannst du nicht anders, du mußt und wirst alles lassen, was ihm zuwider ist; jedes Wort, das du reden willst, überlegst du, jede Handlung, die du verrichten willst, prüfst du; und findest du das Wort oder das Werk eitel oder unnütz, du unterläßt es, du verzichtest darauf aus Liebe zu Gott und seiner Ehre, und sündigst nicht; dich ehren die Engel, dich achtet und schützt das himmlische Heer; rein ist dein Gebet, und es wird dir die Bitte gewährt, du hast freien Zugang zu Gott, du stehst im Freundesbund mit ihm, und dem du zeitlich entsagt hast, das ist dir zur Quelle des Trostes und des süßesten Seelenfriedens in Gott geworden; gestärkt ist das Herz, ermutigt alle Kräfte, kein böser Gedanke kann ferner deiner Meister werden, dich nimmermehr ziehen in tieferen Abgrund. Stirbst du in dieser heiligen Seelenstimmung, so bedarfst du keiner ferneren Reinigung, du gehst unmittelbar ein in die Freuden des himmlischen Vaterlandes. Johannes Tauler. In diesem Werk zeigt der große Lehrer der Deutschen Mystik, Johannes Tauler, dem Leser, wie dieser sein Leben und seinen Charakter so veredeln kann, daß er mit sich, seinen Mitmenschen, der Schöpfung und letztlich und am wichtigsten Gott, in innerer und äußerer Harmonie in Einklang leben kann und so zu Seelenfrieden gelangt. - Ein Meisterwerk der mittelalterlichen christlichen Mystik.

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Schätze der christlichen Literatur

Band 5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

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Vorwort.

Gegenwärtiges Buch, sonst auch „Medulla animae“ genannt, ist der Kern und der kurze Inbegriff sämtlicher Schriften des gottseligen und erleuchteten Taulers, und dieser Schriften Hauptlehre und einziges Ziel ist Christus. Tauler aber, durch die ihm von dem Herrn gewordene Erleuchtung, und aus selbstgemachter Erfahrung wohl erkennend, daß Christus dem in seinem Verderben noch befangenen Menschen nicht gefalle, auch nicht gefallen könne, so lange er sich selbst nicht zuerst gründlich prüft, erkennt, demütigt, verleugnet und vernichtet, dringt vor allem auf diesen höchst wichtigen Lehrpunkt, und betreibt denselben mit allem Ernst, ja beinahe auf jedem Blatt seiner Schriften neben der Lehre von Christus, so, daß diese zwei Punkte immer zugleich nebeneinander gehen und stehen, und alles, was er in seinen Schriften ausführlich und weitläufig sagt, eigentlich auf diese zwei Worte oder Personen sich bezieht, nämlich Adam und Christus. Und insofern mag Herders Äußerung über Taulers Schriften wahr sein, wenn er sagt: „Wer zwei Predigten von ihm gelesen hat, (man dürfte eben auch sagen zwei Blätter) der hat sie alle gelesen.“1 Und ich glaube beisetzen zu dürfen: Wer im Tauler die zwei Namen, oder die zwei Personen, Adam und Christus, nicht nur gelesen, sondern gründlich erfaßt, erfahren und erlebt hat, der hat alles erfaßt, was die heiligen Schriften des Alten und Neuen Bundes lehren; ja, wer diese zwei Personen nicht bloß nach ihren Namen außer uns, sondern nach ihrem Wesen, Tun, Geist, Samen, Geschlecht und ihrem Reich, nach ihrer Natur, Kraft und Wirkung in uns recht erkennt, den mögen wir allerdings einen vollendeten Christen, und seine Erkenntnis eine wahre Gottesgelehrtheit und Gottesweisheit nennen; denn auf diese beiden Personen, Adam und Christus, gründet sich das Alte Testament nicht nur in seinen Sprüchen und Geschichten, sondern auch mit allen seinen Figuren, Vorbildern, Schatten, Gottesdienste und Opfern. Was da verkündet, in Bildern, in Menschen und Tieren vorgestellt wurde, das ward im Neuen Bund zum Wesen; das Bild wurde Wirklichkeit, der Schatten leibhaftige Wahrheit, und zwar in Jesus Christus selbst mit seinem ganzen Verdienst im Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen, mit seiner Lehre und seinen Werken, die er teils selbst, teils durch seine Apostel verrichtet hat. Alles geht da auf die zwei Personen hinaus: Adam und Christus, und wir erkennen und sehen am Ersteren, wie er nichts bringe denn Elend und Tod, und Christus lauter Frieden, Freude, Segen und Leben, wie der Apostel sagt: „Wenn die Sünde jenes einen den Tod und das Elend vieler zur Folge hatte, so hat noch weit mehr Gottes Gnade und unverdiente Wohltat durch die Liebe eines einzigen Menschen, Jesus Christus, sich reichlich über viele verbreitet. Es verhält sich nämlich nicht so, als ob die Begnadigung nur bei einem Sünder erfolgte; denn was die Verurteilung betrifft, so fing das Strafurteil nur bei einem Sünder an, was aber die Begnadigung betrifft, so galt die Lossprechung von den Sünden vielen Menschen. Ist zufolge der Sünde eines einzigen Tod und Elend durch diesen einen herrschend geworden, so werden nun um so vielmehr die, welche die Fülle der Gnade und des Geschenkes der Begnadigung erhalten, durch den einen Jesus Christus im seligsten Leben herrschen. Wie demnach die Sünde eines Menschen die Verurteilung aller Menschen zur Folge hatte: so hat auch die Gottgefällige Tugend eines einzigen die Folge, daß über alle Menschen die beseligende Begnadigung erging. Denn wie der Ungehorsam eines Menschen die Folge hatte, daß viele als Sünder behandelt werden, so werden durch den Gehorsam eines einzigen viele als Gerechte behandelt.“2 Und: „Der erste Mensch ist von der Erde, und irdisch, der andere ist der Herr vom Himmel. Wie der Irdische, so die irdischen Menschen, wie der Himmlische, so die himmlischen Menschen. Und wie wir getragen haben das Bild des irdischen, also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen.“3

Daß ich zu der Bearbeitung dieser Schrift nicht die alten, deutschen Frankfurter Ausgaben von den Jahren 1565, 1644 und 1661, sondern die lateinische des Surius benutzte, dazu bewog mich vorzüglich die Vollständigkeit und die genaue Richtigkeit dieser Ausgabe; da jeder, der diese mit den Frankfurter genannten vergleichen will, mit mir finden wird, daß in diesen gar manches und vieles übergangen, oder sonst beiseite gelassen worden ist. So fehlt, um Beweise anzuführen, in den fraglichen deutschen Ausgaben beinahe die Hälfte des vierten Kapitels nach Surius; zwischen dem 16. und 17. Kapitel fehlt ein ganzes desgleichen, und steht bei Surius unter der Aufschrift: „Wie wir alle unsere Werke vervollkommnen, und weder Ort noch Geschäfte unser Inneres stören können.“

Auch mehrere bedeutende Ausdrücke fehlen in den genannten Ausgaben. So heißt es zum Beispiel im 8. Kapitel bei Surius: „Ein köstliches Ding ist der bloße Glaube, – einen bloßen Glauben nennen wir ihn, nicht als wäre er entblößt der guten Werke, sondern deshalb heißt er bloß, weil er weder wissen will, noch sonst fühlbare Tröstungen fordert.“ Dafür ist in den Frankfurter Exemplaren ganz kurz gesagt: „Was für ein edles Ding ist ein lauterer Glaube ohne alles Wissen!“

In dem 28. Kapitel nach Surius fehlt bei jenen beinahe der dritte Teil desselben.

Schließlich habe ich es zweckmäßiger gefunden, das 26. Kapitel nach Surius, oder nach den deutschen Ausgaben das 25., als Schluß und Übersicht des Ganzen an das Ende des Werkes zu setzen.

Taulers Briefe sind immer als Mitbestandteil der sogenannten „Medulla“ angesehen worden.

„Wozu aber solche Bücher?“, rufen zürnend die Männer der Zeit, „haben wir der neuen Schwärmer und Narren nicht genug? Warum Jahrhunderte zurückwühlen, um längst vergessenen Unsinn in den Tagen des Lichtes der besserbelehrten Welt darzubringen?“

Wirklich haben wir gewisser Narren und Schwärmer in unseren Tagen zu viele, schon zum Teil deshalb, weil viele meiner Zeitgenossen sich sogar ein eigenes Geschäft daraus machen, der leichtsinnigen oder der staunenden Klasse täglich beinahe neue Verzeichnisse angeblicher Narren und Schwärmer vorzulegen, die nun freilich größtenteils entweder in der Herren eigenem Kopf, oder, was schlimmer ist, in ihrem Herzen nur leben und da sind. Sie selbst aber sind jene Gewaltigen der Zeit, die hohnlachend an den Altären des Herrn vorübergehen, die Throne lästern, weil sie nicht ihre sind, Volksglück vorlügen, da sie nur ihren eigenen Vorteil im Auge haben, zum Schwärmer und Phantasten jeden stempeln, der einen anderen Heiligen Geist als die Vernunft des Menschen zu predigen sich herausnimmt.

„Aber ich weiß es auch“, sagt der edle und geprüfte Sailer4, und mit ihm jeder echte Freund des Christentums, „daß es eine Wahrheit gibt, die ewig ist, und die Angriffe auch dieser Zeit überleben wird, wie sie die Angriffe der vorigen Zeitalter ausgehalten, und aus den Trümmern der Meinungen, die sie unterdrücken wollten, sieghaft hervorgegangen ist.“

Ein hohes Wort der Wahrheit ist’s, und ihr werdet es mit all eurer Zeitweisheit nicht aufwiegen, noch weniger zur Lüge machen können, was der weise und fromme Johann Picus Graf von Mirandola einst an seinen Freund Altus Manutius schrieb: Die Philosophie sucht, die Theologie findet, die Religion besitzt – die Wahrheit.

Daß ihr nun, ihr Freunde Jesu Christi, diese Wahrheit auch in diesem Buch gewiß finden werdet, dessen habt keinen Zweifel, und daß sie euer ewiges Besitztum bleiben möge, darum fleht zum Vater der Lichter, von dem alle gute Gabe kommt.

Der Übersetzer.

1 Briefe, das Studium der Theologie betreffend, 4. Teil, S. 227.

2 Röm. 5, V. 15-19.

3 1. Kor. 15. V. 47-49.

4 Briefe aus allen Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung. 4. Sammlung.

Heilsame Lehren von den Tugenden und dem Pfand der höchsten Vollkommenheit.

1. Kapitel.

Von der Schwere der Sünde, und wie wir durch wahre Buße zur lieblichen Vereinigung mit Gott kommen sollen.

Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.5 Unser getreuester Gott und Herr Jesus Christus, der uns in seinem heiligen Evangelium den nächsten Weg zur ewigen Seligkeit durch sein Leben, seine Gebote und Ratschläge vollkommen gezeigt hat, fing sein heiliges Predigtamt mit diesen Worten an: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Wollen wir je und einmal selig werden, so ist uns vor allem Buße nötig, und so lange wir leben, dürfen wir diese Besserung unserer selbst nie beiseitesetzen, denn niemand lebt ohne Sünde. Nun können wir aber nie wahre Buße wirken, nie uns bessern, wenn wir zuvor die Schwere der Sünde nicht gehörig zu erwägen wissen; denn jeder Sünder begeht solche Schmach und Unehre gegen den allmächtigen Gott, und zieht sich selbst so großen und unermeßlichen Schaden zu, daß, wenn er es erkennte, er mit Vorbedacht weder um des Himmels noch der Erde willen, noch alles dessen, was in ihnen ist, auch nicht die geringste Sünde begehen, ja vielmehr jeden Tag einen leiblichen neuen Tod ausstehen, als irgendeine Sünde begehen wollte. Die Sünde nämlich ist eine Trennung von Gott, eine Zukehr zu der Eitelkeit der Kreatur, eine Befleckung der Seele, der Tod des Geistes, ein Strick des Satans, ein Verlust der Zeit, eine Beraubung der Gnade Gottes, aller Tugenden und der ewigen Seligkeit. Die Sünde ist eine Trauer des Gewissens, eine Verfinsterung des Verstandes, ein Verderben des Willens, ein Unfriede des Herzens, eine Unruhe der Sinne; sie ist ein wahrer Götzendienst, eine Verleugnung des Glaubens, eine Erhebung des Feindes, ein süßes Gift, der Anfang der Verdammnis, die Mutter vieler anderen Sünden und Vergehen, eine kurze Freude, eine lange Pein, eine ewige Schande, zwar geliebt von der Welt, aber verabscheut von Gott und allen guten Menschen, mit einem Wort: die Schwere der Sünde ist unaussprechlich, der Schade unbegreiflich, unaustilgbar die Schande, unerträglich die Strafe.

Weil denn nun jeder Sünder durch die Sünde das schnöde und vergängliche Gut, und seine eigene Lust über das höchste und unveränderliche Gut, über Gott den Allerhöchsten setzt und liebt, seinen eigenen Willen dem göttlichen Willen vorzieht, und so das allerheiligste Wesen unendlich und unaussprechlich entehrt und verachtet – wieviel nämlich Gott besser ist, denn solche schnöde Lust und Kreatur, – und er deshalb von Rechtswegen die ewige Verwerfung verdient: so ist zur wahren Buße und Besserung vor allem nötig, daß der Sünder diese Unehre und Verachtung Gottes vor Gott aufrichtig und herzlich bekenne, sich in tiefer Demut vor ihm schuldig gebe, um Gnade und Verzeihung bitte, ihn vom Grunde des Herzens lobe und ehre, sich unter alle Menschen demütige, und Gottes allerliebsten Willen sich vom ganzen Herzen übergebe. Und weil er in den Kreaturen seine Lust und Freude gesucht, die er doch einzig als wahre Freude in Gott hätte suchen sollen; so muß er mit bitterer Reue seine Sünden beweinen, und in wahrer Reue und Leid und ernsthaftem Vorsatz, sich künftig davor zu hüten, vor dem Priester an Gottes statt – der da Macht hat, ihn zu lösen und zu binden, – in der Beichte sich schuldig geben, und nach Ordnung der heiligen Kirche die Buße empfangen, und würdige Früchte derselben hervorbringen.

Dieser Reue nun und diesem Schmerz darf aber nicht knechtische Furcht vor ewiger oder zeitlicher Strafe, nicht sinnliches schmerzliches Gefühl, nicht Berücksichtigung seines eigenen Schadens mit Übergehung der Gott angetanen Schmach und Entehrung zugrunde liegen; denn solche Reue würde den Sünder nur niederdrücken, ihn in Mißtrauen und zweifelnde Angst versetzen, ob Gott seiner sich ferner auch annehmen wolle und werde. Diese knechtische Furcht, und diese betäubende Reue würde ihm nicht zur Vergebung auch einer einzigen Sünde gedeihen, wenn der Schmerz darüber auch noch so groß wäre; denn sie entspringt ja nicht aus wahrer Liebe zu Gott, die doch einzig die Ursache und Quelle der wahren Reue sein muß. Göttlichen und übernatürlichen Ursprunges soll unsere Reue sein, so, daß der seiner Sünden wegen leidtragende Mensch nicht seinen eigenen Schaden, der ihm durch die Sünde erwachsen ist, berücksichtige, sondern vielmehr Gott seinen treuesten Vater, seinen Schöpfer, Erlöser und allseitigen Wohltäter, den er durch seine Sünde so schwer und mannigfaltig verunehrt, verachtet und beleidigt hat. Erwägt aber der Sünder auch das geringste Vergehen, als einen gegen Gott begangenen Frevel, mehr als allen Schaden, Pein und Schande, die ihm deshalb zugekommen: so wird diese schmerzliche Überzeugung auch in ihm ein festes Vertrauen zu Gott erregen und gründen, daß der allmächtige Gott ihm seine Sünden gerne vergeben werde und wolle, und diese Reue ist die Reue der Liebe, die voll des Trostes und süßer Erquickung ist.

Erkennt er nun, daß Gott das allerhöchste Wesen ihm nicht nur allein seine Sünden vergeben wolle, sondern ihn – den schnöden Sünder – nach seiner grundlosen Güte sogar noch zu trösten sich würdigt: so wird das eine solche Reue in ihm erwecken, daß er meinen wird, er könne nimmermehr Reue genug haben; er wird Gott nicht allein bitten, daß er ihm nach seiner Güte vergebe, sondern auch nach seiner Gerechtigkeit die Sünde an ihm strafe, wenn Strafe zur Vermehrung seiner Ehre diene; denn je gnädiger und liebevoller der Herr gegen ihn ist, um so tiefer fühlt er seine Missetat gegen den Gütigen. Wer aber dahin gekommen ist, daß er Gottes Gerechtigkeit ebenso liebt und schätzt, als seine Barmherzigkeit, dem wird die Sünde wie die Strafe dafür sogleich erlassen. Und es ist wirklich tröstlicher, sich Gottes Gerechtigkeit, als seiner Barmherzigkeit zu übergeben; denn in ersterer ist mehr Abtötung und Sterben, als in der zweiten, und wo des Sterbens mehr ist, da ist auch die Fülle des göttlichen Trostes größer, und je gebrechlicher sich der Mensch findet, um so kräftiger und ernsthafter ist sein Vorsatz, in unverbrüchlicher ewiger Liebe und Treue sich mit Gott zu vereinigen, nimmermehr zu sündigen, und den Bund der Liebe mit ihm ewig und unverletzt zu erhalten. Wer aber solcher Reue sich noch nicht fähig fühlt, der bereue wenigstens seine Sünden mit dem ernsthaftesten Verlangen, diese vollkommene Reue, die mehr die Gott erwiesene Schmach, als seinen eigenen Schaden betrauert, noch zu erhalten, und so vertraue er in heiliger Zuversicht, der allmächtige Gott, dessen Erbarmungen ohne Ende sind, werde ihm alle seine Sünden vergeben; er erkenne und bekenne seine Sünde, werfe sich im tiefsten Schmerzgefühl zu den Füßen des Herrn, und klage ihm vertrauensvoll seine Sündennot. Je tiefer und inniger er nun seine Sünden fühlt und erkennt, je schneller wird sie ihm Gott vergeben; denn „obgleich eine Mutter ihres eigenen Kindes vergessen könnte, so kann doch der Herr“, nach seiner Zusage6, „unserer nicht vergessen“; denn seine Barmherzigkeit ist so groß, daß kein Flachs inmitten des Feuers so schnell verbrennt, als der Herr bereit ist, dem wahrhaft reuigen Sünder seine Missetaten zu vergeben.7 Denn zwischen der Güte Gottes und dem bußfertigen Sünder ist weder Zeit, noch irgendein störendes Mittel.

Von nun an besteht zwischen Gott und ihm ein so vollkommener Bund, als ob die Sünde nie wäre begangen worden, und so gütig und über allen Begriff gnädig und hold ist der Herr, daß er dem reuevollen Sünder das, was er ihm einmal gänzlich vergeben, nun und nimmermehr, so lange er in der Besserung verharrt, zurechnen oder an ihm strafen will.

Der Grund aber einer wahren Buße und der nächsten Versöhnung mit Gott ist der: Der Mensch muß sich in Wahrheit und Liebe zu Gott, und zu allen Tugenden wegen Gott kehren, dagegen von allem, was wider Gott ist, männlich und entschlossen sich abwenden, mit festem und unerschütterlichem Willen, und kostete es das Leben und alles, dergleichen nicht mehr zu begehen. Aus ganzem Herzen vertraue er der Güte Gottes, und den Verdiensten seines heiligsten Lebens und bitteren Leidens, das sei der Anker seiner Hoffnung und seiner Zuversicht; er unterhalte einen stets brennenden Eifer und eine unausgesetzte Übung, seinen Gott zu loben, ihm unaufhörlich zu danken, daß er seiner, da er noch in Sünden war, verschont, ihm zur wahren Reue und zu dem ernsthaften Willen der Besserung huldvoll geholfen habe; während er so viele andere, die nicht so viel gesündigt und besser waren, denn er, auf ewig, nach seinem gerechten Urteil, verstoßen habe.

Aus diesem Grund fließen dann die äußeren Werke der Buße, Fasten, Wachen, Beten, Almosengeben und dergleichen, die Gott um so angenehmer sind, je mehr sie aus dieser lieblichen Zukehr zu ihm entspringen. Darum, in welchen Werken er die Güte Gottes am meisten, seine Sünden am deutlichsten erkennen, und sie vor Gott bereuen kann, in diesen übe er sich am meisten, diese mache er sich vor allen eigen. Denn je mehr er darin wirkt, je näher kommt er in wahre Buße. Zu dieser echten Buße gehört nämlich vorzüglich die ernste Betrachtung der Güte und unaussprechlichen Treue Gottes gegen uns. Diese wird uns wahrhaftig die wahre Demut lehren, wird uns zeigen, was für verächtliche Geschöpfe wir seien, wie wir alle Ursache haben, uns selbst zu verachten, wie unbedeutend und wertlos alle unsere sogenannten guten Werke seien, wie unwert wir seiner Erbarmung, seiner bisherigen Langmut, seiner uns erwiesenen Wohltaten, ja wie unfähig wir seien, ihm auch nur für die kleinste seiner Guttaten würdig zu danken. Ja, mein Gott, wie sind wir imstande, dir für deine große Treue gegen uns, die wir nichts als Untreue gegen dich begangen haben, zu danken, oder dir etwas zu vergelten! Darum wiederhohle ich es: Alle unsere guten Werke, und sollten wir derer so viele gewirkt haben, als alle Menschen tun können, sind als Nichts zu achten, in Vergleichung des vielen, was uns noch fehlt. Verachten müssen wir uns, und als Unwerte erkennen, unserem Gott aber allein alle Ehre und allen Dank erweisen.

Und das sollt ihr wissen, daß keine Übung kräftiger und heilsamer sei, die Sünde samt der durch sie verdienten Strafe zu tilgen, als diese hier verzeichnete. Ja, würde ein Mensch aus wahrer Liebe Gottes und in aufrichtiger Verachtung seiner selbst einzig zur Verherrlichung Gottes sich ernsthaft und kräftig von der Sünde abwenden: so würden ihm dadurch alle und jede Sünden, und sollten es die Sünden der ganzen Welt sein, zusammen mit den dafür verdienten Strafen nachgelassen, und stürbe er in diesem Augenblick, er käme unmittelbar zu Gottes Anschauung. Denn daß uns nicht allemal nach der Vergebung der Schuld und Sünde auch die Strafe der Sünde nachgelassen wird, das kommt daher, weil unserer Reue, unserer Abkehr von der Sünde, und unserer Zukehr zu Gott jene Liebe aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüt, aus allen unseren Kräften mangelt, die Gott von uns verlangt, und die zu haben, er uns geboten hat. Echte wahre Liebe und festes Vertrauen zu Gott, verbunden mit ernsthafter Verachtung unserer selbst, ist ein köstliches Kleinod, alles zu erlangen, und alles zu erkaufen, was wir begehren, ja, mehr als wir verlangen und erwarten; denn hier kann sich Gott nicht enthalten, er muß gleichsam uns geben, was wir verlangen, wir haben jene Seite getroffen, wo er nichts mehr verweigern kann.

Diese Buße aber erlangt der Mensch am gewissesten, wenn er sich mit Seele und Gemüt zu dem heiligsten Leiden, zu der bitteren Marter, zu dem schmachvollen Tod, zu dem heiligsten Leben Jesu Christi unseres Herrn, das voll Liebe und Treue war, wendet. Dieses Leiden des Herrn soll er sich möglichst vor die Augen seiner Seele stellen, sich darein versenken und bedenken, wer der sei, der solches für uns gelitten hat. Diese Betrachtung ist die lieblichste und huldvollste, und es ist wirklich zu wundern, wie wir das auch nur einen Augenblick je vergessen, oder von etwas anderem hören, oder reden können, als was zur Erkenntnis unseres Herrn, seiner Herrlichkeit, seiner Liebe und Treue, und im Gegenteil unserer eigenen Nichtigkeit und Untreue einzig dient. Dies ist die nützlichste Übung, die wir haben können, zur Verachtung unserer selbst, zur Reue über unsere Sünden und Unordnungen zu gelangen; deshalb sollen wir uns allezeit in dem Leiden unseres Herrn üben, und nicht sowohl das, was er gelitten hat, als vielmehr seine unermeßliche Liebe und Treue gegen uns erwägen. Wir sollen uns dazu gewöhnen, daß wir uns in allen unseren Werken, in unserem Tun und Lassen, in die treue Liebe und in das Leben unseres Herrn bilden und umgestalten; und fällt uns Leiden zu oder sonst Widriges, so wollen wir zu ihm rufen und beten: „Allerliebster und treuester Herr und Gott! Wie du von Ewigkeit her, und ehe ich noch geboren war, das gewollt und angeordnet hast, was mir jetzt geschieht, so geschehe es denn, es geschehe dein allerliebster Wille, nimmermehr der meinige; denn deinen allerliebsten Willen liebe ich mehr, als alles, was ich sonst wünschen kann in Zeit und Ewigkeit!“

Die beste Buße endlich ist, nach einem über alle Hindernisse erhabenen, mit Gott ganz vereinigten Gemüt und Willen streben; was dir dazu verhilft, und am dienlichsten ist, dem unterziehe dich am liebsten, und was dich von diesem Ziel entfernt, oder sonst aufhält, dem entsage, und vor dem hüte dich; nur suche in keinerlei Weise dich selbst, gehe den Weg, er ist der sicherste, welchen Christus und alle Heiligen uns vorgegangen sind. Bist du aber noch einer der Schwachen, und kannst den rauhen Pfad noch nicht wandern, tue wenigstens, so viel du kannst; der Gütige nimmt auch das wenige von dir an, er, der nicht sowohl schaut auf unsere Werke, als auf unsere Liebe, auf die Meinung, auf den Grund, aus welchem unsere Werke entspringen, ob wir einzig ihn meinen, einzig zu ihm alles richten. Sieh, das nur will er, darauf einzig sieht er; übergib dich ihm nur ganz und gar und lasse ihn machen mit dir, was er will. Er wird wohl alles das an dir bessern, was du durch deine Sünden verdorben hast; und solltest du Leib, Seele, Sinne und Kräfte, und alles, was an und in dir ist, verdorben haben, so fliehe nur getrost zu ihm, zu dem Heiligsten und Reinsten, in dem kein Gebrechen ist, der dich mehr liebt, als du dich selbst, der dich liebte, da du dich noch selbst gehaßt und verdorben hast. Hat er dich nun, da du noch im Ungehorsam gegen ihn dich empörtest, geliebt, sprich, wie sollte er nicht, wie wird er nicht lieben, retten, unterstützen den, der im demütigen Gehorsam zu ihm zurückkehrt? – Höre zu deiner Ermunterung und Belehrung das Folgende: Einem seiner Freunde auf Erden gab Gott so hohe Erleuchtung, daß er die Heilige Schrift nach ihrem ganzen Sinn und Verstand ihm offenbarte. Er gab ihm den Blick in das Leben der Menschen, enthüllte ihm den Schein vom Sein, zeigte ihm, wie so vieler Menschen Leben und Werke äußerlich zwar gut scheinen, inwendig aber und vor Gott nichts taugten, wie im Gegenteil viele zwar von außen gering, vor Gott aber und in jener Welt hochgeachtet seien, wie es ja wahrlich hienieden noch immer ist, kurz: der Herr zeigte diesem seinem Freund bisweilen große und außerordentliche Dinge; er aber bat den Herrn: „Weder das noch jenes will ich, nimm es hinweg o Herr, das alles ist nur Qual für mich!“ – Da entzog ihm nun der Herr alle diese Gnadenwirkungen, er ließ ihn fünf Jahre hindurch in großen Anfechtungen und Nöten ohne allen Trost. Da er nun einst heftig weinte, und der Herr ihm seinen Engel sendete, ihn zu trösten, sprach er zum Herrn: „O Herr, mein Gott! ich begehre keinen Trost, mir ist genug, daß ich die Stelle bewahre, wo du wohnst in meiner Seele, damit außer dir nichts anderes darin leuchte, noch komme.“ Nach dieser Äußerung umstrahlte ihn ein großes Licht, und der himmlische Vater sprach zu ihm: „Ich will dir meinen Sohn geben, daß er dich überall begleite.“ Der Freund erwiderte: „Nicht doch mein Vater, in dir, in deinem eigenen Wesen begehre ich zu sein!“ Da sprach der Vater: „Du bist mein Sohn, an welchem ich ein Wohlgefallen habe.“

Dieser ausgezeichnete Freund Gottes nun wurde einstmals gefragt, was er denn tun wollte, wenn er sein ganzes Leben, wie mancher Sünder, in großen Sünden gelebt hätte? Da antwortete er: „Würde ich alles, was mir ein weiser und bescheidener Beichtvater befohlen hätte, getan und verrichtet, auch die Sünde gänzlich verlassen und ihr entsagt haben; so wollte ich daran auch nicht einmal mehr denken, und mit ihr weiter mein Herz beflecken, ich würde mich einzig bestreben, mit der Hilfe Gottes in Zukunft so unsträflich zu leben, daß Gott alle meine Sünden an mir vergessen würde; denn die Sünde ist ein Nichts, und hat kein Wesen, sie wirkt nichts, als das Böse, sie macht zu nichts, die sie begehen. Darum, wenn wir sie nicht mehr tun noch wollen, und wir uns gänzlich von ihr abkehren, so vergißt auch Gott sie; kommt sie nun nimmermehr in mich, so sieht sie auch Gott nicht mehr, denn sie selbst ist nicht mehr, weiß aber Gott nichts mehr von ihr, so ist meine Seele ganz gesundet.“ Ja, auch das fügte er noch bei: „Hätte ich vierzig Jahre in Sünden gelebt, und es käme die Stunde meines Todes, und hätte ich meine Sünden aufrichtig gebeichtet, mich gründlich und mit vollkommener Liebe zu Gott gekehrt, und folglich bekehrt, und wäre es auch nur eine Minute lang, mich ihm gänzlich ergeben, so stürbe ich als ein ganz reiner und unbefleckter Mensch; und hätte ich nur eine einzige Sünde begangen, hätte aber nur Reue und Leid – ohne vollkommene Liebe zu Gott, so stürbe ich als ein betrübter Büßer. Ich strebe nicht“, sprach er, „meinen Gott zu kennen, das ist mir hienieden zu hoch, sondern ich lasse mich von ihm bereiten, daß ich ganz sein werde. So nehme und empfange ich in dem Seinen das Meine, mit dem Seinen das Meine, ohne das Meine; das Überlassen und Hingeben an ihn ist mein, das Erleuchten ist sein. Ihn kennen und liebhaben ist gut, aber die Vereinigung der Seele mit Gott ist besser. Wenn ich schlafe, wirke ich nichts, dennoch bin ich; übergebe ich mich aber Gott ganz, so werde ich mit ihm vereinigt, bin ich aber durch seine Gnade ganz eins mit ihm, dann kann mir niemand schaden; denn wer mit Christus vereinigt ist, der scheidet und trennt sich von allem ohne Schmerzen, und wer dahin gelangt ist, der nehme seiner wohl wahr in allen Dingen, daß er nicht wieder daraus falle, oder mit Lust und Neigung an einem geschaffenen Ding klebe. Denn was wir mit Gott besitzen, das können wir auch ohne Betrübnis verlassen, was wir aber nur mit Trauer verlassen, da verrät sich’s von selbst, daß wir es gegen Gottes Willen besessen haben. Endlich ist keiner wahrer Buße, Reue und Besserung würdig, als der sich aufrichtig und herzlich nach ihr sehnt; und dieses Sehnen muß Gott geben, denn Gott ist eine Gabe, die sich selbst geben muß. Er ist ein Licht, das in uns sich selbst entzünden muß, er selbst ist die Gnade, und er wirkt die Gnade, er ist das Leben in sich selbst, er ist das Wesen aller Kreaturen. Er gebe uns, daß wir nach erstgesagter Lehre und Weisung die wahre und wesentliche Buße erreichen mögen. Amen.“

5 Matth. 4. Kap.

6 Jesaia, 49. Kap.

7 Der gottselige Heinrich Seuse sagt in den „Dialogen zwischen der ewigen Weisheit und ihrem Schüler“ dasselbe: „Wenn die ganze Welt“, spricht die ewige Weisheit, „ein brennendes Feuer, und inmitten darin eine Handvoll dürrer Flachs wäre; so würde er doch nicht sobald von dem Feuer entzündet, als der tiefe Abgrund meiner unerschöpflichen Barmherzigkeit bereit ist, ein bußfertiges Menschenherz zu Gnaden aufzunehmen!“

2. Kapitel.

Von dem Schaden der läßlichen Sünden, und wie wir jede Sünde meiden können.

Wenn wir auch nicht imstande sind, alle und jede läßliche oder tägliche Sünden zu vermeiden, so können und sollen wir es doch durch die Gnade Gottes dahin bringen, daß wir weniger und seltener, und wenigstens nie mit Vorbedacht darein fallen; denn auch ihr Schade ist durchaus nicht gering zu achten. Sie sind, wie ein dichter Nebel für das Auge, so für die Seele dasselbe, nämlich ein trübendes Dunkel, welches den reinen und freien Blick zu Gott hindert; sie mindern, ja sie verzehren gleichsam das Feuer der göttlichen Liebe; sie sind die Ursache, weshalb unsere Gebete so oft nicht erhört werden; sie beflecken die Seele und verunstalten sie; sie betrüben den Heiligen Geist, erfreuen hingegen und ermutigen den bösen Geist. Werden sie nicht gebessert, so entfremden sie die Seele von Gott; sie sind der erste und nächste Reiz zu größeren und schwereren Sünden; sie nehmen der Seele die Kraft, der bösen Lust mutig zu widerstehen, und machen sie träge und schläfrig zum Guten; sie ziehen die Begierden nieder zu zeitlichen Dingen; sie verursachen ein großes und langes Fege- und Reinigungsfeuer, und entfernen uns sehr lange von Gottes Anschauung. Nun erwägt, ob der Schade klein und gering sei, besonders, wenn wir sie wissentlich oder aus böser Gewohnheit begehen? Nun sind aber sechs Mittel, durch welche wir unter göttlicher Hilfe, und wenn wir treu darin bestehen, von aller und jeder, sowohl täglichen als schweren Sünde, bewahrt werden.

Das erste ist, wenn der Mensch durch die göttliche Kraft beschirmt, und alle seine Kräfte durch die Gnade Gottes gestärkt werden. Das geschieht dann, wenn Gott der Vater seinen Sohn in dem Wesen der Seele gebiert; dann gibt sich die göttliche Gnade in alle Kräfte des Menschen ein, und durchdringt sie, so daß jede Kraft der Seele eine göttliche Kraft empfängt, allem dem zu widerstehen, was Gott nicht, oder was gegen ihn ist.

Das zweite ist, wenn die niederen Kräfte – der sinnliche Mensch – allezeit nach den oberen Kräften – den geistigen Menschen – gerichtet und geordnet sind; wodurch er in seiner ursprünglichen Reinheit und Gerechtigkeit, in welcher Gott den ersten Menschen schuf, erhalten wird; der aber, sobald die Sinnlichkeit sich vom Geist abwendete, sogleich in Sünde und Schuld fiel. Gleiches widerfährt uns, wenden wir uns ohne Rücksicht des Höheren und Besseren in uns, des Geistes, zur Sinnlichkeit, so müssen und werden wir gewiß fallen. Wirken wir aber nach außen mit Bewilligung unseres Oberen von innen, dann sind wir vor dem Fall sicher; aber auch hier selbst ist göttliches Licht und wahre Demut vonnöten, damit uns der Feind nicht täusche und irreführe.

Das dritte ist, wenn der Mensch seinen Willen vollkommen in den Willen Gottes ergibt, denselben zur einzigen Richtschnur seines Denkens und Handelns macht, und seines eigenen Willens durchaus verzichtet; dann kann und wird er nicht sündigen.

Das vierte ist, wenn in allen Dingen Maß und Ziel beobachtet, das ist: die Mitte gehalten wird. Wer überall die Mitte zu halten weiß, der fehlt nicht; denn nur die Unordnung ist die Mutter der Gebrechen, die Übertreibung führt die Sünde herbei, zuviel und zuwenig ist allemal schädlich; wer aber allemal das tut, was er tun soll, und das läßt, was zu lassen ist, dem steht Gott allezeit bei.

Das fünfte Mittel ist die freiwillige, sowohl äußere als innere Armut, denn die Armen stehen allezeit im Leiden; fallen sie dann zuweilen in irgendein Gebrechen, so steht die Ahndung dessen sogleich zur Stelle, und der Glutofen der Not reinigt das Unreine, und sondert die Schlacken.

Das sechste ist, wenn des Menschen Herz mit dem lebendigen Feuer des Heiligen Geistes durchglüht ist. Innige Liebe zu Gott tilgt alle Sünden, und brennte dieses göttliche Liebesfeuer immer in unseren Herzen, wir wären ewig ledig aller Sünde; denn Sünde ist Haß, wo nun Liebe ist, kann diese nicht bestehen, weil Haß und Liebe nicht zusammen sein können. Liebst du Gott vom Herzen, dann kannst du nicht anders, du mußt und wirst alles lassen, was ihm zuwider ist; jedes Wort, das du reden willst, überlegst du, jede Handlung, die du verrichten willst, prüfst du; und findest du das Wort oder das Werk eitel oder unnütz, du unterläßt es, du verzichtest darauf aus Liebe zu Gott und seiner Ehre, und sündigst nicht; dich ehren die Engel, dich achtet und schützt das himmlische Heer; rein ist dein Gebet, und es wird dir die Bitte gewährt, du hast freien Zugang zu Gott, du stehst im Freundesbund mit ihm, und dem du zeitlich entsagt hast, das ist dir zur Quelle des Trostes und des süßesten Seelenfriedens in Gott geworden; gestärkt ist das Herz, ermutigt alle Kräfte, kein böser Gedanke kann ferner deiner Meister werden, dich nimmermehr ziehen in tieferen Abgrund. Stirbst du in dieser heiligen Seelenstimmung, so bedarfst du keiner ferneren Reinigung, du gehst unmittelbar ein in die Freuden des himmlischen Vaterlandes.

3. Kapitel.

Von zwei Beweggründen unserer Werke, dem falschen und dem wahren; wie wir den ersten wohl erkennen und ihm entsagen sollen.

Weil alle guten und bösen Werke ihren Wert und Verdienst aus dem Grund, aus welchem sie entspringen, aus der Meinung und Liebe, mit welcher sie verrichtet werden, nehmen, auch unsere ganze Seligkeit an diesem guten Grund, an einem lauteren Suchen Gottes, und einer seiner selbst verzichtleistenden Meinung gelegen ist (die jedoch nur wenige haben); dagegen die Sünde und alles Übel, auch die ewige Verwerfung aus einem bösen, falschen, sich selbst nur suchenden und bezweckenden Grund, aus einem ungelassenen Gemüt entstehen: so wollen wir unter Gottes Beistand den Unterschied bezeichnen und angeben, wie wir einen von dem anderen, den bösen und falschen von dem guten erkennen können. Die ewige Wahrheit sagt: „Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt’s allein, stirbt es aber, so bringt es viele Frucht.“8 Diese Wahrheit, aus dem Mund der ewigen Wahrheit vorgetragen, lehrt uns in einem Bild aus der Natur genommen, daß, wenn wir immer an Tugenden fruchtbarer und vollkommener werden wollen, wir eben auch uns absterben müssen; denn wie das Weizenkorn, oder jeder andere Same, wenn er nicht zuvor sich selbst gänzlich entwird, und seiner gegenwärtigen Gestalt erstirbt, keine andere Form erhalten kann: ebensowenig können wir Jesus Christus eingepflanzt und mit ihm vereinigt, mit seinem Tugendschmuck umkleidet werden; wenn wir nicht alle unsere Gebrechen ablegen, denselben absterben, und auf alles und jedes verzichten, worin wir uns noch suchen, uns finden, lieben und meinen, es betreffe nun den Geist oder die Natur. Das wird aber nur der tun können, der die Dinge kennt, woran sein Herz noch klebt, dem das Hindernis bekannt ist, das sich störend zwischen Gott und ihn gestellt hat, was er denn niederreißen, und welchem er ersterben soll; denn nur Kenntnis unserer selbst zeigt uns die nötige Selbstverleugnung. Und weil, leider, in dieser wichtigen Sache so viele blind sind und irregehen, so will ich einigermaßen den Grund der Bosheit aufdecken, aus welchem diese Hindernisse zwischen Gott und dem Menschen entstehen. Und diese Kenntnis ist uns wirklich nützlicher und heilsamer, als wenn wir die Weisheit der Engel, und den Verstand aller Heiligen besäßen, diesen schlimmen Grund aber nicht kennten. Dieser verdorbene Grund ist ohne alle wahre Liebe; weder Gott liebt er, noch den Menschen, er liebt nichts, als sich selbst; und obgleich er zuweilen den Schein annimmt, als liebe er Gott oder den Menschen: so ist dieser Schein nichts als eine ungeheure Lüge und Falschheit; traust du ihm, er wird dich betrügen, gibst du dich hin, er verdirbt dich, er heuchelt dir Liebe, und er hat sie nur gegen sich. Er hält sich selbst für gut, und rühmt sich öfters seines Tuns und Lassens, besonders in solchen Dingen, die tugendhaft und gut scheinen; er gibt selbe als den höchsten Tugendruhm aus, – der blinde Lügner, der sich das zurechnet, was doch einzig Gottes und nicht des Menschen ist! – und obgleich er im Grunde die Tugend keineswegs liebt, so will er doch ihretwegen gelobt und geehrt sein. Seines Nächsten Gebrechen ahnt und tadelt er scharf, ja sogar fremde Tugend; er will nämlich nicht zugeben, daß jemand außer ihm gut und tugendhaft sei, ja nicht einmal sein könne, da das Gute und die Tugend zumal in ihm allein rein und vollkommen ist; daß er selbst noch, wie andere, gebrechlich und elend sei, das glaubt er nicht, noch weniger kann er es bekennen, er will und muß allemal etwas sein, obgleich er mit dem Grund aller Bosheit beladen ist. Die Sünde ist ihm weder schwer noch groß, ihm ist sie gar nichts; das ist aber eben der offenbarste Beweis, wie entsetzlich er noch zurückstehe, wie er alles wahren Lichtes durchaus ermangele, wie ungeheuer blind er sei, da er nicht die Tugend, und nicht einmal die Sünde kennt. Ach, wüßte und erkennte er, daß die Sünde ein Abscheiden von Gott ist, ihm würde wohl das Herz brechen, ehe er sündigte!

Gewisse gute Werke, von welchen er voraussieht, daß sie ihm Ruhm und Achtung zuwegebringen möchten, unternimmt er ohne Mühe und Weigerung; sollte er aber das nämliche einzig zur Ehre Gottes, ohne daß es irgendein Mensch wisse, verrichten, wie würde er über seine Schwäche und sein Unvermögen klagen! – Daß aber leider der menschliche Wille so leicht von Liebe und Leid der vergänglichen Kreaturen, und der eitlen Zufälligkeit abhängt, und davon bewegt wird, das kommt einzig aus dem falschen sich selbst suchenden Grund. Wer seine Werke hochachtet, und aus einer kleinen Tugend ein großes Werk macht, der wird eben dadurch verblendet in seinen Verstand; er hält sich reich, und weiß nicht, „daß er arm elend und erbärmlich ist.“9 Gut will er scheinen, der Elende, bei allem Bösen, das er getan hat und gar wohl weiß; er pocht darauf, daß man es ihm nicht öffentlich beweisen könne. Wäre er nicht verblendet und böse, und hätte wirklich das Übel nicht getan, so würde er dessen doch nicht pochen, er würde vielmehr in Dank und Demut gegen Gott erkennen, daß nicht er und seine Kraft, sondern Gottes Gnade ihn behütet habe. Auch feige gegen andere sind dergleichen Menschen; sie erkühnen sich nicht, einen anderen, wo es notwendig wäre, weder mit Worten noch mit der Tat anzugehen, und zurechtzuweisen, wohl wissend, daß man dem unlauteren Mahner antworten, was er nicht gerne hören, ihm sagen, und die gegebene Zurechtweisung ihm zurückgeben würde.

Andere hingegen, im nämlichen Geistesübel befangen, meinen, sie könnten den fehlenden Nächsten nicht scharf genug behandeln, sie schützen die Ehre Gottes vor, und seine Liebe, von der sie beseelt wären. Erkennten sie indessen ihre eigenen Fehler und Schwächen, sie würden des Bruders Gebrechen, wären sie auch groß, gar leicht vergessen, ihrer selbst wahrnehmen, und sich zuvor viel lieber bessern. Wagst du es, sie zurechtzuweisen, dann wirst du der Entschuldigungen und der verteidigenden Gegenbeweise eine Menge hören; wie könnten sie sich zurechtweisen, und demütigen lassen? Sind andere nicht auch gebrechlich, sind sie besser wie ich? Was ich getan habe, und wessen du mich mahnst, habe ich aus guter Meinung getan, es war Übereilung, ich verstand es für den Augenblick nicht besser, es war eine Schwäche, kein böser Wille! – Denn einmal können sie es nicht ertragen, daß du ihren falschen Grund ihnen aufdeckst, und zeigst, wie sie von wahrer Demut und aufrichtiger Vernichtung ihrer selbst so sehr entfremdet seien, das ist ja Tod für sie, und sie fühlen ihn; scheinen wollen sie, den Schein lieben sie, der sie verherrlicht, anders lieben sie nichts. Trägt Selbstanklage dazu bei, recht gerne tun sie das, damit es ja nur heiße: welche achtenswerte Leute sind sie, welche Demut haben sie! Versuche es, tadle du sie statt ihrer, dann erblicke die Hoffart im Zornesfeuer; sie schmeicheln den Menschen, denn als Menschenfreunde wünschen sie gerühmt und bekannt zu werden. Strafst du sie ihrer Fehler wegen, so klagen sie über großes Unrecht, das ihnen widerfahre, denn ihr falscher Grund soll nicht an den Tag kommen. Beleidigst du sie, oder reizt sie sonst, so stehen sie dir im wilden Zorn entgegen, und sind imstande, augenblicklich aller empfangenen sowohl göttlichen als menschlichen Wohltaten zu vergessen. Bemerken sie aber an einem anderen ein ähnliches Betragen, so werfen sie sich sogleich als Tadler und schnelle Richter auf, gerade, als wenn sie selbst nicht im gleichen Übel steckten.

Dieser falsche und traurige Grund, obgleich oft und vielseitig unterdrückt, stirbt leider nicht ganz in dieser Zeit; denn wieviel auch der Mensch von sich selbst ausgeht, und seiner selbst verzichtet, so findet er doch wieder genug, worin er sich von neuem lassen, und sich ersterben muß. Denn dieser falsche Grund sucht sich in allen Dingen, er schleicht sich allenthalben ein. Entziehen wir ihm die zeitlichen Dinge, so hält er sich an die geistlichen, an gute fromme Übungen und Werke, und befleckt sie mit seiner Unordnung und Lust; er besitzt die Tugend nicht rein, er haftet an ihr mit Eigenheit, ihm ist die Gabe lieber, als Gott der Geber aller guten Gabe. Ja, es kann geschehen, daß man diesem verdorbenen Grund inwendig absterbe, und gröberen Fehlern sich entziehe: dann tritt die neue und feinere Gefahr des Truges ein, daß man meint, nun stehe es wohl mit uns, man liebe nun Gott in allen Dingen, habe sich selbst gründlich verleugnet, und – man ist auch nicht einen einzigen Schritt von sich selbst ausgegangen, und bei allem Wähnen, daß wir Gott gesucht, und in allen Dingen ihn allein geliebt hätten, haben wir noch nicht einen Augenblick wahre Liebe zu ihm gehabt.

Alle diese und andere unzählige Gebrechen kommen aus diesem falschen Grund, den die Sünde gestiftet, mit Eigenliebe, Eigenwillen, Eigendünkel und eigener Lust, und Neigung zu uns selbst befleckt hat, die uns denn antreiben, nur unseren Vorteil, nur unsere Lust in allen Dingen zu suchen, und zwar auf hunderterlei Weise, nicht nur in zeitlichen und irdischen Dingen, in Speise und Trank, in Kleidern und Gemächlichkeit, an Kurzweil, an neuen Zeitungen und unnützen Gesellschaften, in Trost und eitler Menschenliebe: sondern sogar in Gegenständen des Geistes, bei inwendiger Innigkeit, Süßigkeit, Gebeten und Trost an Gott; so, daß wir die Gaben Gottes, das Himmelreich, ja Gott selbst suchen mit Ungebühr, und nur aus eigener, nicht aus Gottesliebe. Wer kann ihn aufzählen, den vielseitigen beweinenswerten Jammer, der über uns und in uns gekommen ist? Wird uns etwas entzogen, sogleich suchen wir einen anderen Gegenstand, an dem wir mit Lust und Neigung wieder haften.

Wer nun diesen falschen betrügerischen Grund verstehen und erkennen will, der halte sich an folgende Lehre, und der Herr wird zu seiner Zeit und nach seinem Willen sich selbst in diesem Grund ihm offenbaren: Zuerst soll der Mensch seiner selbst, seiner äußeren und inneren Sinne und Kräfte fleißig wahrnehmen, daß er nie etwas Unnötiges sehe, noch höre, noch spreche, noch anrühre, noch begehre; er soll seine inneren Sinne mit allem Fleiß behüten, daß kein auswendiges Bild hereinkomme, und sich hier festsetze. Er muß die Einsamkeit lieben, und den Zeit und Geist tötenden Gesellschaften sich entziehen, vielmehr in sich selbst einkehren, und so verhindern, daß fremde Gestalten und Bilder nicht störend auf sein Inneres einwirken. Darum entsage er allen Ernstes der eitlen Lust, und den sogenannten Ergötzungen der Welt. Dagegen sei die stete Betrachtung des Lebens und Leidens unseres Herrn Jesu Christi seine Stärkung und Beschäftigung, mit dem festen Vorsatz, ihm nachzufolgen, und all sein Tun und Lassen nach seinem heiligsten Leben einzurichten und zu ordnen, und wahrzunehmen, wieviel er diesem in seinem Tun und Lassen, in Geduld und Demut, in Gelassenheit und Tätigkeit, in Mäßigkeit und Gerechtigkeit, überhaupt in allen anderen Tugenden ähnlich und gleichförmig sei. Findet er nun diese Ähnlichkeit seiner mit ihm nicht, erkennt er, wie er seinem Oberhaupt und Vorbild vielmehr noch so gar sehr unähnlich sei: so demütige er sich, erkenne sein Elend und Nichts, werfe sich mit gänzlicher Hingebung zu den Füßen des Barmherzigen und flehe ihn an, er möge ihm als einem Elenden und Armen zu Hilfe kommen. Dazu aber soll auch er, so viel ihm möglich, das Seine tun, daß er diesem falschen und verdorbenen Grund in allen Gebrechen, im Eigenwillen, in der Eigenliebe, im Eigennutz, im Eigendünkel, in der blinden eitlen Schätzung seiner selbst ersterbe. Je eher dieser falsche Grund getötet wird, um so gewisser und eher wird jener Grund sich offenbaren, worin Gott wohnt. Übrigens wird dieser falsche Grund uns so lange verdeckt und unbekannt bleiben, wie lange wir noch in ihm befangen sind, und uns von demselben leiten und führen lassen, es betreffe nun den Geist oder die Natur; darum ist es durchaus notwendig, daß wir die genaueste Aufsicht auf uns haben, und worin immer wir uns in unserem Eigengesuch, in unserer Eigenliebe finden, es sei im Gehen oder Stehen, im Essen oder Trinken, in Gedanken, Worten oder Werken, oder in der Ruhe und dergleichen, uns alsobald lassen, uns ersterben und abtöten, dagegen Gottes Ehre und Wohlgefallen in allen diesen Dingen rein und lauter zu suchen, lernen sollen.

Sprichst du: „Wenn ich nun in allen Dingen meiner gänzlich ausgehen soll, wie bin ich noch fähig, Gott zu lieben?“ O, wäre es dir nur ernst, daß du Gott lieben, und in allem dich ihm ganz und durchaus hingeben und überlassen wolltest, er würde dich ohne allen Zweifel bald dahin fördern, daß du ihn auch in allen Dingen lieben würdest! Ja, entzöge er dir allen leiblichen und geistlichen Trost, alle Süßigkeit seiner Gegenwart, und es scheint dir dann, als sei dein ganzes Tun und Lassen ihm mißfällig, und keines Lohnes von ihm wert, alle deine Werke und dein ganzes Streben vergeblich und unfruchtbar; erschienest du dir als der elendeste und verdorbenste aller Menschen, den Gott und alle Geschöpfe billig hassen und verstoßen sollten; meintest du, du wärst von Gott und allen Heiligen verlassen, und könntest dich in dieser finsteren Lage, in diesem Seelenjammer in demütiger Gelassenheit Gott untergeben, und diese Leiden geduldig ertragen, in gründlicher Erkenntnis deiner Nichtigkeit, daß du aus dir nichts tun, denn nur sündigen und fehlen könnest; dabei aber doch deine gewöhnlichen Tugendübungen, die Werke der Liebe mutig und unausgesetzt fortsetztest, und dieses Jammers wegen kein Werk der Tugend unterließest: dann sei überzeugt, und glaube gewiß, der Herr würde dich schnell dahin bringen, ihn in allen und über alle Dinge zu lieben, und dir gänzlich zu ersterben. Denn so lange du dich selbst suchst, liebst und meinst, für deine Werke Lohn suchst, und nicht ertragen kannst, daß man dich für den halte, der du wirklich bist: so lange ist alles in dir abgrundtiefe Falschheit; und so lange du jemand seiner Gebrechen wegen verachtest, und dir Gott in seiner Strenge gegen dich, in der Trockenheit des Geistes, nicht ebenso lieb ist, wie in seiner süßen Liebe; du dich selbst für etwas hältst, oder deines Wandels und Verstandes wegen besser als andere willst geachtet sein, die etwa gerade nicht so leben, wie du, oder nicht so weise sind, wie du von dir wähnst; so lange du der Art bist: so lange steht es schlecht mit dir, so lange kennst du dich selbst noch nicht, so lange bleibst du ein Fremdling in deinem Haus, so lange steckst du in diesem falschen Grund, der dich verblendet, dir alle guten Werke und Übungen verdirbt, und dich einst in der Stunde des Todes, wo er endlich furchtbar genug sich dir entdecken wird, in die schrecklichste Not und Angst versetzen, und dich wohl gar in den ewigen Tod führen wird. Sei deshalb allen Ernstes daran, so lange noch die Zeit der Gnade ist, unter Gottes Hilfe diesen giftigen, verderblichen Grund abzulegen, und ihm gänzlich abzusterben. Das ist wahrlich die höchste Weisheit und die beste Kunst, die du hienieden erlernen kannst; alle andere Weisheit ist dagegen reine Torheit

8 Joh. 12.

9 Offenb. 3.

4. Kapitel.

Von der Demut, Geduld und Gelassenheit eines sich selbst abgestorbenen Menschen, nebst nötiger Warnung vor möglichem Betrug.

Stirbt der natürliche Mensch, so ergehen über ihn drei Dinge: Erstens, in die Erde wird der Leichnam gelegt; zweitens, bis an das Ende der Welt gehen die Lebendigen über ihn hin, und er wird so gewissermaßen mit Füßen getreten; drittens zerfällt er in Staub und Asche. Schau in diesem irdischen Bild das wahre Bild des geistig sich selbst gestorbenen Menschen!

Er senkt sich zuerst in endloser Demut vor Gott und den Menschen so tief herab, daß er sich nicht nur über niemand erhebt, sondern alle als besser und gottgefälliger, als er ist, betrachtet, sich dagegen als den schnödesten Sünder aufrichtig erkennt.

Zweitens, mit geduldiger Gelassenheit erträgt er’s, wenn auf ihn bis zum Ende gleichsam mit Füßen getreten wird; das ist: Er duldet bis an seinen Tod, in Einfalt des Herzens, alle Widerwärtigkeiten, Schande, Schmach, Leiden und Pein, kommen sie ihm zu von Gott oder den Menschen, mit Recht oder mit Unrecht. Er verantwortet sich nicht, er entschuldigt sich nicht, er klagt nicht, er sucht nicht Rache, er benimmt sich wie einer im Grab, der sich allen unterwirft; tue ihm wohl, oder wehe, liebes oder leides, lobe oder lästere ihn, ihm ist das wie jenes, es gilt ihm alles gleich, ihn rührt das eine und das andere nicht, am wenigsten Rache.

Drittens, an allem, was Gott nicht ist, ist er zunichte geworden; denn er hat sich gänzlich in Gott gekehrt, in ihm ist jede Begierde nach zeitlichen und leiblichen Dingen durchaus erloschen; gibt Gott, oder nimmt er, er steht unverrückt in Gott gelassen. Was die Notdurft durchaus erfordert, und des Menschen Natur nicht entbehren kann, das nimmt er an, seinen Willen aber gibt er gefangen in Gottes Willen; er ist seiner selbst, und alles dessen, was er haben oder erlangen kann, ausgegangen; er ist zunichte geworden in allen Dingen, in welchen er sich selbst haben, suchen, oder finden könnte, damit nur einzig der göttliche Wille in ihm ohne alles Hindernis vollbracht werde.

Nun gibt es aber noch einen anderen geistlichen Tod, er ist jenes formlose Leiden, jene erquickungslose Wüste, wo sich weder Weg noch Weise zeigt, in welche aber der allmächtige Gott gerade seine Freunde zu führen, und sie zu prüfen pflegt. Führt nun auch uns der Herr dahin, fühlen wir diesen Schauder der Öde; dann gilt es sterben, dem wir uns nicht entziehen wollen noch sollen, stillhalten, nicht ausbrechen in das Äußere, nicht Trost, Freude oder Lust suchen von außen, vielmehr wahrnehmen und aufmerken, was der Herr durch diesen Druck in uns wirken wolle, uns gutwillig darein ergeben; damit uns unser Gewissen Zeugnis geben könne, wir seien mit Christus wahrhaftig am Kreuz gestorben, welcher, hängend am Kreuz ohne alle Hilfe und Trost, von innen und außen verlassen, seinen Geist in die Hände seines Vaters aufgab. Diese Menschen hat Paulus im Auge, wenn er spricht: „Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus euer Leben sich offenbaren wird, alsdann wird auch eure Herrlichkeit in ihm offenbar werden.“10 Darum ist es zwar allerdings löblich und gut, das Leiden unseres Herrn tief zu betrachten, und das Gebet des Herrn, das er uns gelehrt hat, mit Tränen im Herzen und im Auge öfters zu beten; aber dem gekreuzigten Christus in Demut nachfolgen ist das gefälligste vor Gott. Wende dich hin, wohin du immer willst, Gott hat dich gerufen, ihm nachzufolgen, ein Kreuz, sei es, was es sei, eines mußt du ihm nachtragen; fliehst du das eine, es fällt dir das andere zu, und drückt vielleicht noch schwerer. Noch ist kein Meister oder Redner geboren, der dir durch seine Weisheit oder Rednergabe das Kreuz wegzusprechen vermocht hätte. Der Jünger Jesu muß leiden, und der willst du doch sein? Oder „ist der Knecht größer denn sein Herr, das Kind besser als sein Vater, oder der Jünger über den Meister? Der Jünger ist vollkommen, wenn er ist wie sein Meister.“11 Sieh, das ist die Summe aller Weisheit, der Inhalt der Schrift und aller Reden in ihr: Leiden lernen, und Widriges ertragen. Der heilige Petrus, dieser wahre Nachfolger Christi, sagt: „Christus, der keine Sünde getan, hat für uns gelitten, und uns ein Beispiel hinterlassen, daß wir seinen Fußstapfen folgen sollen.“12 Das ist also der sicherste und kürzeste Weg, der uns offensteht, den der höchste Meister aller Wahrheit gefunden, selbst gewandert und betreten, und uns gelehrt hat, daß kein besserer Weg, wieder zum Vater zu kommen sei, als der, wo wir mit dem Sohn zu ihm wandern.

Damit wir aber ohne Anstoß und Irrung auf diesem Weg wandern, und Natur und Gnade einträchtig miteinander wirken können: so müssen wir drei Dinge berücksichtigen, welche, wenn wir sie in uns finden, uns vor der falschen Freiheit, vor der Täuschung des bloß natürlichen Lichtes, und vor falschen Propheten bewahren werden, die zwar aus Zulassung Gottes unseren Grund anfallen können, uns aber nicht schaden, vielmehr zu unserem ewigen Heil förderlich sein werden.

Das erste ist: wenn wir mit großem Ernst von Gott wahrhafte Erkenntnis aller unserer Sünden unter herzlicher Reue und aufrichtiger Bekenntnis derselben erbitten, in diesem Willen unausgesetzt verharren, und nach Ordnung der heiligen allgemeinen Kirche dieselben büßen, und jede fernere Gelegenheit zur Sünde sorgfältig und ernsthaft meiden. Dieser Wille und Ernst muß ununterbrochen in uns leben, die Werke aber muß Gott mit seiner Gnade durch uns wirken; so werden wir vor falscher Freiheit bewahrt bleiben.

Das zweite erfordert, daß wir unseres Nächsten Seelenheil so ernsthaft begehren und wünschen, als unser eigenes, und ihm dazu behilflich sind, leiblich und geistlich, mit allem, was wir vermögen, und zwar um Gottes willen, damit auch er ein Gott gefälliger Mensch werde und sei. Von dieser Liebe und Fürbitte dürfen weder Freunde und Feinde, mit einem Wort, niemand ausgeschlossen sein; denn der Herr hat uns ja befohlen, für alle zu bitten. Das ist der wahre und unverfälschte Grund, den Nächsten, wie uns selbst zu lieben, es ist ein göttlicher Grund, den das natürliche Licht nicht gibt; und so bleiben wir auch in diesem Punkt vor seinem Trug sicher und bewahrt.

Das dritte besteht in dem ernsthaften Verlangen, dem lieblichen Bild des Lebens und Wandels unseres Herrn, nach innen und außen, ähnlich und gleichförmig zu werden. Deshalb sollen wir den himmlischen Vater bitten, er möge uns so innigst mit sich vereinigen, daß er im Grund unserer Seele nichts anderes finde und erkenne, als Jesus Christus den Gekreuzigten, der uns durch sein heiligstes Leben und Leiden zum Vater führt; denn zum Leben führt kein anderer Weg, als durch den Sohn, wie er selbst sagt: „Ich bin der Weg, wer durch mich eingeht, der findet das Leben.“13 Auf diesem Weg kann uns kein falscher Prophet, keine falsche Freiheit, kein täuschendes Licht der Natur begegnen, noch weniger irreführen. – Endlich sind noch drei andere Merkmale, die ihre Besitzer über die Natur in die Gnade Gottes erheben und stellen.

Das erste Merkmal eines wirklich Begnadeten ist die Feindesliebe, wirksam durch Wohltaten gegen ihn, der ihm doch nur Böses will und wünscht. Diese Liebe kommt nicht aus der Natur, sie ist gegen sie, sie übersteigt sie, und die Natur muß hier ihrer selbst ausgehen, und sich unter die Gnade stellen. Diese Liebe kommt vom Herrn, er hat sie gelehrt, und erfüllt, da er für seine Kreuziger bat, sprechend: „Vater, verzeihe ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“

Das zweite besteht in jener herzlichen Liebe Gottes, die uns antreibt, vom Grund unserer Seele zu wünschen, daß alle Menschen Gott so lieben möchten, daß er in ihnen allen seinen liebsten Willen so ausführen und vollenden könne, wie er es von Ewigkeit her in uns und für uns alle gewollt und gemeint hat, daß sein Name geheiligt werde wie im Himmel, so auf Erden. Was eben auch dem Willen und der verdorbenen Natur des Menschen entgegen ist, denn was immer die Natur liebt, das möchte sie gerne für sich behalten, und gönnt es keinem anderen. Die Gnade hingegen will sich allen gemeinsamen, sie will ihre Liebe nicht allein genießen, sie möchte sie an alle, an Heiden, Juden und Christen ausspenden, sie will nichts anderes, denn was Gott will, und wie er es will. Hier geht die Natur ganz unter, und ihr bleibt ferner nichts eigen.

Das dritte Merkmal äußert sich in jener ernsthaften Liebe, in jenem entschlossenen Willen, die den Menschen den Wunsch abnötigen, mit dem Apostel auszurufen: „Ich wünsche aufgelöst zu werden, und bei Christus zu sein!“14 – mit ihm unmittelbar vereinigt zu sein; denn das weiß er ja, daß diese unmittelbare Vereinigung mit ihm nur einzig und unwandelbar durch den Tod des Leibes geschehen könne. Wer dieses ernsthafte Verlangen in sich fühlt, der darf überzeugt sein, daß Gnade in ihm sei über die Natur; denn solches Verlangen geht über die Natur, die sich nimmermehr dem Tod und ihrer Zerstörung freiwillig hingibt; das kann und wirkt nur die Gnade, die in dem Apostel rief: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes?“15