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Beschreibung

Von Hippel-Lindau (VHL) Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung - 3. aktualisierte Ausgabe - Diese Publikation ist eine Aktualisierung und Weiterentwicklung der patientenorientierten Krankheitsbeschreibung aus dem Jahr 2016 und verfolgt zwei Ziele: - Zum einen soll sie Betroffene und ihre Angehörigen umfassend über die VHL-Erkran- kung informieren, daher waren alle Autor:innen sehr bemüht, die Beiträge in laiengerechter Sprache zu formulieren. - Daneben soll die Krankheitsbeschreibung aber auch Mediziner:innen als Informati- onsquelle dienen. Eine Überarbeitung der patientenorientierten Krankheitsbeschreibung mit dem Wissensstand von 2016 erschien uns notwendig, da die letzten Jahre neue Erkenntnisse sowohl für die Diagnostik als auch die Therapie der VHL-Erkrankung gebracht haben. Die nun vorliegende Krankheitsbeschreibung gibt den Wissensstand von Ende 2021 wieder.

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Seitenzahl: 184

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

I.

Krankheitsbeschreibung

Übersicht über die Erkrankung

Augenveränderungen – Retinale Hämangioblastome

Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems

Nierenkarzinom und Nierenzysten

Phäochromozytome

Manifestationen in der Bauchspeicheldrüse

Innenohrtumoren

Zystadenome der Nebenhoden und der breiten Mutterbänder

Molekulargenetische Diagnostik und genetische Beratung

Molekulare Grundlagen der VHL-Erkrankung

Kontrolluntersuchungen

Die VHL-Erkrankung im Kindes- und Jugendalter

Rück- und Ausblick

II.

Soziale Themen und die VHL-Selbsthilfe

Hilfe bei der Krankheitsbewältigung

Kinderwunsch

Versicherungen

Behinderung und Schwerbehinderung

Der VHL-Verein

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Autor:innen

Verein VHL (von Hippel-Lindau) betroffener Familien e.V.

München und Singen im April 2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

schön, dass Sie sich die Zeit für „von Hippel-Lindau (VHL) - Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung“ nehmen! Wir hoffen, dass Sie diese Lektüre bereichert.

Die vorliegende Publikation ist eine Aktualisierung und Weiterentwicklung der patientenorientierten Krankheitsbeschreibung aus dem Jahr 2016 und verfolgt zwei Ziele:

Zum einen soll sie Betroffene und ihre Angehörigen umfassend über die VHL-Erkrankung informieren, daher waren alle Autor:innen sehr bemüht, die Beiträge in laiengerechter Sprache zu formulieren. Dies ist jedoch aufgrund der Komplexität mancher Themen nur bedingt möglich.

Daneben soll die Krankheitsbeschreibung aber auch Mediziner:innen als Informationsquelle dienen. Aus diesem Grund wurden Abbildungen typischer Befunde zur Veranschaulichung in die Beiträge über die betroffenen Organe eingefügt und am Ende des Buches finden sich weiterführende Literaturhinweise.

Eine Überarbeitung der patientenorientierten Krankheitsbeschreibung mit dem Wissensstand von 2016 erschien uns notwendig, da die letzten Jahre neue Erkenntnisse sowohl für die Diagnostik als auch die Therapie der VHL-Erkrankung gebracht haben. Die nun vorliegende Krankheitsbeschreibung gibt den Wissensstand von Ende 2021 wieder.

Abschließend danken wir allen Autor:innen ganz herzlich dafür, dass sie sich nicht nur die Zeit genommen haben, ihren Artikel zu erstellen, sondern darüber hinaus auch bereit waren, sich der Diskussion mit dem Vorstand der Selbsthilfeorganisation zu stellen, um einen aktuellen und verständlichen Artikel zu erarbeiten, der die Erfahrungen der Betroffenen integriert. Nur durch das ehrenamtliche Engagement der Autor:innen konnte diese Krankheitsbeschreibung realisiert werden.

Dagmar Rath Prof. Dr. Sven Gläsker

Vorsitzende Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats

Der Druck und die Verbreitung des vorliegenden Buchs wurde durch die Selbsthilfeförderung nach § 20 h SGB V der BARMER GEK ermöglicht.

Verein VHL (von Hippel-Lindau) betroffener Familien e.V. Dagmar Rath • Cincinnatistraße 59 • 81549 München Telefon: 0800-2281200 Email: [email protected] • Internet: www.hippel-lindau.de IBAN: DE24 2664 0049 0579 9788 00 Vereinsregister-Nr.: VR 120590 beim Amtsgericht Osnabrück

Teil 1: Krankheitsbeschreibung

1. Übersicht über die Erkrankung

Prof. Dr. Gläsker, Singen

1.1 Zusammenfassung

Die von Hippel-Lindau (VHL) Krankheit ist eine erbliche Tumorerkrankung. Sie wird durch Keimbahnmutationen des VHL-Gens verursacht, also durch Veränderungen, die in den männlichen und weiblichen Keimzellen auftreten. Diese werden zumeist von den Eltern vererbt, können aber seltener auch spontan auftreten, also ohne erkennbaren Auslöser. Durch den Gendefekt kommt es zum Wachstum von gefäßreichen Tumoren, die in der Netzhaut des Auges, im Zentralnervensystem (Kleinhirn, Hirnstamm, Rückenmark und Innenohr), den Nieren, Nebennieren, in der Bauchspeicheldrüse und den Nebenhoden bzw. den breiten Mutterbändern vorkommen können (Abbildung 1). Typisch für die VHL-Erkrankung ist das Auftreten von mehreren dieser Tumoren, die wiederum selbst wiederholt (multipel) und beidseitig (bilateral) auftreten können. Die Diagnose wird anhand von klinischen Kriterien und einer genetischen Untersuchung gestellt. Hiernach sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen an einem spezialisierten Zentrum von großer Wichtigkeit, um medizinische Komplikationen durch das Tumorwachstum frühzeitig zu erkennen und nach Möglichkeit zu verhindern.

Abbildung 1: Die häufigsten Manifestationen der VHL-Erkrankung. Die Betroffenen entwickeln spezifische Tumoren in bestimmten Organen.

1.2 Grundlagen

Die VHL-Krankheit ist eine genetische Erkrankung und wird durch die Keimbahnmutation einer (von zwei) Kopien des VHL-Tumorsuppressorgens verursacht. Das bedeutet, dass die genetische Veränderung bereits in der Keimzelle vorhanden ist, aus der alle anderen Zellen entstehen. Wenn in einer Zelle dann die zweite Kopie des VHL-Gens mutiert, kommt es zum Funktionsverlust des VHL-Proteins in der Zelle. Dadurch ergeben sich vielerlei Konsequenzen für die betroffene Zelle. Wesentlich ist unter anderem, dass die Zelle den Sauerstoffgehalt nicht mehr “wahrnehmen” kann und dauerhaft die Hypoxie- (“Erstickungs-”) Kaskade aktiviert. Entsprechend fordert die Zelle vom umliegenden Gewebe Blutbildung und Gefäßwachstum ein, wodurch sich die starke Durchblutung aller VHL-Tumoren erklären lässt. Für die Entschlüsselung der Rolle des VHL-Proteins bei der Wahrnehmung und Regulierung des Sauerstoffgehalts wurden 2019 die VHL-Forscher William Kaelin, Sir Peter Ratcliffe und Gregg Semenza mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Neben diesem Mechanismus hat der Verlust der VHL-Funktion aber viele weitere Effekte und Konsequenzen im menschlichen Gewebe.

Der VHL-Defekt kann zur Entstehung von Tumoren bei den Betroffenen führen. Viel häufiger und charakteristischer finden sich aber klinisch unauffällige mikroskopische Ansammlungen embryonaler Zellnester in den VHL-betroffenen Organen. Dies hat der Autor gemeinsam mit Amerikanischen Kollegen erforscht. Vermutlich sind dies die Vorläufer der VHL-Tumoren. Die Mechanismen, wie aus diesen mikroskopischen Zellnestern Tumoren entstehen, sind bislang ungeklärt.

Abbildung 2:

Altersverteilung der Veränderungen von Augen (Angiomatosis retinae), ZNS, Nieren und Nebennieren (Phäochromozytome) bei 337 Patienten mit von Hippel-Lindau-Erkrankung. Die Kurven stellen eine sog. kumulierte Altersverteilung dar. Man kann entnehmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit (Prozent) bei einem bestimmten Alter Veränderungen gesehen wurden.

1.3 Häufigkeit

Ungefähr jeder 36.000ste Mensch hat eine VHL-Erbanlage und ist somit von der Erkrankung betroffen. Durch die Seltenheit, die vielgestaltige Erscheinungsform und das variierende Alter der Betroffenen beim ersten Auftreten der Erkrankung kann es mitunter sehr schwierig sein, die richtige Diagnose zu stellen.

Die VHL-Erkrankung tritt typischerweise in Familien gehäuft auf. Sie folgt dabei einem so genannten autosomal-dominanten Erbgang. Das bedeutet, dass beide Geschlechter betroffen sein können und keine Generation übersprungen wird. Die Wahrscheinlichkeit der Weitervererbung an ein Kind liegt bei 50 %. Die Erkrankung tritt in der Regel bei den Betroffenen auch klinisch in Erscheinung. Die Ausprägung ist jedoch sehr unterschiedlich. Schon bei Geburt lässt sich die Mutation nachweisen. Tumoren treten aber erst mit zunehmendem Alter auf und haben in der Regel frühestens ab dem 6. Lebensjahr Bedeutung. Die meisten Tumoren verursachen zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr Krankheitszeichen (Symptome). Die Ausprägung der Erkrankung ist bei Frauen und bei Männern ohne klinisch relevanten Unterschied. Die Altersverteilung wird durch Abbildung 2 weiter verdeutlicht. Bedeutsam ist, dass es von Familie zu Familie erhebliche Unterschiede bei den betroffenen Organen und im Alter bei Auftreten der Veränderungen gibt. Auch innerhalb einer Familie können diese erheblichen Unterschiede auftreten. Tabelle 1 zeigt eine mittlere Häufigkeitsverteilung Betroffener.

Organ

Organ

Organ

Auge

Retinale Hämangioblastome

15-73 %

Großhirn

Hämangioblastome

1-7 %

Kleinhirn

Hämangioblastome

35-79 %

Hirnstamm

Hämangioblastome

4-22 %

Rückenmark

Hämangioblastome

7-53 %

Niere

Nierenzellkarzinom Nierenzysten

5-86 % 10-89 %

Nebennieren/Paraganglien

Phäochromozytome

0-32 %

Pankreas

Zysten Neuroendokrine Tumore

15-35 % 1-17 %

Innenohr

Tumoren des Endolymphsackes

3-16 %

Nebenhoden/Breite Mutterbänder

Zystadenome

3-32 %

Tabelle 1

Häufigkeitsverteilung der Manifestationen. Man erkennt, dass es große Schwankungen gibt, die durch die unterschiedlichen untersuchten Populationen der Studien und letztlich der individuellen Ausprägung der VHL-Erkrankung resultieren. Die gezeigten Daten wurden einer publizierten Zusammenfassung aller Studien der Dänischen Koordinationsgruppe für VHL entnommen.

Die Häufigkeitsverteilung berücksichtigt nicht die Zahl, die Größe und die Lokalisation der Tumoren. Hiervon hängt jedoch die Schwere der Erkrankung ab. Auch hierbei besteht eine große Variabilität. Die VHL-Erkrankung kann somit als harmlose Anomalie und auch als lebensbedrohende Erkrankung mit allen Zwischenstufen auftreten. Hierbei spielen aber auch Behandlungsfolgen eine Rolle. Ein allgemeiner Gradmesser zur zusammenfassenden Beurteilung der Schwere der Erkrankung, in der alle einzelnen Veränderungen (Manifestationen) eingehen, existiert allerdings nicht.

Neben der punktuellen Beurteilung stellt die dynamische Entwicklung, d.h. die Aktivität der Erkrankung mit der Beurteilung von Tumorwachstum und Neuentstehung von Tumoren einen weiteren Aspekt der Schwere der Erkrankung dar. Bedauerlicherweise sind Voraussagen hierzu schwer möglich. Ein Marker, anhand dessen Konzentration im Blut sich die Schwere der VHL-Erkrankung erkennen ließe, existiert bislang nicht.

1.4 Symptome

Es gibt keine Symptome, die für die von Hippel-Lindau-Erkrankung insgesamt typisch sind. Sie hängen ausschließlich davon ab, welche Organe wie stark betroffen sind. Im Vordergrund stehen meist Symptome durch den Befall des Zentralen Nervensystems, der Augen und der Nebennieren. Die anderen VHL-Tumoren verursachen in der Regel keine Krankheitszeichen. Einzelheiten zu den Symptomen der verschiedenen Tumoren werden in den jeweiligen Kapiteln der betroffenen Organe besprochen.

1.5 Diagnostik

Oft wird erst im Laufe einer Krankengeschichte klar, dass es sich überhaupt um eine VHL-Erkrankung handeln könnte. Deshalb sollen hier nachfolgend die wichtigsten Diagnosekriterien beschrieben werden. Die Diagnose von Hippel-Lindau-Erkrankung wird anhand klinischer Kriterien, d.h. den Tumormanifestationen und der Familienbefunde gestellt. Alternativ oder ergänzend ist bei begründetem Verdacht oder einer Familienzugehörigkeit zu VHL-Betroffenen eine molekulargenetische Untersuchung möglich. Heute lassen sich folgende Konstellationen als Minimalkriterien unabhängig voneinander formulieren:

Diagnosekriterien

1.) Eine betroffene Person mit

1.1. einem Angiom der Netzhaut oder einem Hämangioblastom des ZNS plus

1.2. einem weiteren Tumor im Auge oder dem ZNS, einem Tumor der Nieren, Nebennieren, Bauchspeicheldrüse, Innenohr, Nebenhoden/ breite Mutterbänder. Anstatt dem 2. Tumor können Bauchspeicheldrüsenzysten stehen.

2.) Zwei Blutsverwandte, von denen eine:r ein retinales Angiom oder ein Hämangioblastom des ZNS aufweist und die zweite Person ein Kriterium entsprechend 1.2. zeigt.

3.) Eine betroffene Person mit einem Kriterium entsprechend 1.2. und einer VHL-Mutation.

4.) Ein Mitglied einer VHL-Familie mit nachgewiesener Mutation, wie sie in dieser Familie bekannt ist.

Traditionell unterscheidet man verschiedene Typen der VHL-Erkrankung, je nach Vorkommen von Phäochromozytomen. Während früher das Vorkommen oder Fehlen von Phäochromozytomen das Unterscheidungskriterium war, ist dieses harte Ausschlusskriterium inzwischen in „dominierendes Vorkommen“ bzw. „weitestgehendes Fehlen“ von Phäochromozytomen geändert worden.

Typ 1: VHL (Familien) mit weitestgehendem Fehlen von Phäochromozytomen

Typ 2: VHL (Familien) mit dominierendem Vorkommen von Phäochromozytomen

Typ 2A: VHL (Familien) wie Typ 2 mit weitestgehendem Fehlen von Nierenkarzinomen

Typ 2B: VHL (Familien) wie Typ 2 mit häufigem Auftreten von Nierenkarzinomen

Typ 2C: VHL (Familien) mit dominierendem Auftreten von Phäochromozytomen, aber Fehlen aller anderen Organmanifestationen

Diese verschiedenen klinischen Typen der Erkrankung werden Phänotypen genannt und korrelieren mit den Genotypen, also den verschiedenen Mutationen. Bislang ergibt sich daraus aber noch kein mutationsspezifisches Vorsorgeprogramm, auch Screening genannt. Jedoch gibt es standardisierte Empfehlungen zur Durchführung der Kontrolluntersuchungen bei VHL-Betroffenen, um die verschiedenen Tumoren rechtzeitig behandeln zu können bevor unumkehrbare Defizite oder Metastasierungen auftreten. Diese Empfehlungen sind im Kapitel “Kontrolluntersuchungen” genau beschrieben. Hierbei spielen MRT-Untersuchungen die wesentliche Rolle, die inzwischen in einigen Zentren als Ganzkörper-MRT durchgeführt werden.

1.6 Therapie und Prognose

Die Therapie der VHL-Erkrankung richtet sich danach, welche Organe betroffen sind. Die Therapiemöglichkeiten sind im ständigen Wandel und folgen dem Fortschritt der Medizin. Für die Behandlung von Tumoren können grundsätzlich drei Verfahren zum Einsatz kommen: Operation, Chemotherapie und Bestrahlungen (einschließlich Laser) sowie Kombinationen aus diesen Therapien. Da die meisten VHL-Tumoren gutartig sind, spielt die Chirurgie eine wesentliche Rolle. Die entscheidenden Neuentwicklungen spielen sich auf dem Gebiet der Chemotherapien ab und sind auch dort in Zukunft zu erwarten.

Das immer genauere Verständnis der molekularen Grundlagen des Tumorwachstums allgemein und speziell bei VHL-Tumoren ermöglicht die Entwicklung immer zielgenauerer Medikamente. Dadurch können Tumoren immer besser und mit weniger Nebenwirkungen behandelt werden. So wurden sehr gute Erfolge bei allen VHL-Tumoren mit dem neu entwickelten HIF2a-Inhibitor Belzutifan erreicht. Bei den mit dieser Substanz behandelten VHL-Betroffenen kam es zur Stagnation und auch zum Rückgang von VHL-Tumoren in den verschiedenen betroffenen Organen einschließlich des ZNS. Damit wurde nun erstmals auch eine wirksame Substanz gegen Hämangioblastome entdeckt. Das Medikament ist in den USA zugelassen und die Firma wartet nun auf die Zulassung für den Europäischen Markt.

Die Prognose der VHL-Erkrankung bezüglich Lebensalter und Lebensqualität hängt wesentlich von den auftretenden Läsionen ab. Vor Einführung des Screening-Programmes verstarben einige VHL-Betroffene frühzeitig an zystischen Kleinhirntumoren und metastasierten Nierenzellkarzinomen. Seitdem die meisten VHL-Betroffenen in Screening-Programmen sind, kommen solche Verläufe selten vor. Das zeigt die Wichtigkeit der Kontrolluntersuchungen.

Nach wie vor können Funktionsstörungen der betroffenen Organe durch die Tumoren oder als Folge der Behandlungen auftreten. Hierdurch kann die Lebensqualität eingeschränkt werden. Solche Funktionsstörungen hängen wesentlich von der Anzahl und Lokalisation der VHL-Tumoren ab. Während beispielsweise mehrfache Hämangioblastom-Operationen am Kleinhirn meist gut verkraftet werden, können dieselben Operationen am Rückenmark zu Summationseffekten führen und neurologische Defizite wie Gangstörung oder Lähmungserscheinungen verursachen. Nierentumoren und mehrfache Operationen können Funktionsstörungen der Niere verursachen. Durch die moderne organerhaltende und gewebesparende Chirurgie ist aber die Dialysepflichtigkeit eine Seltenheit. Netzhautablösungen mit Sehstörungen können durch eine rechtzeitige Laserkoagulation der Netzhaut-Hämangioblastome meist vermieden werden.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Prognose “quoad vitam”, also auf das Überleben bezogen, günstig ist, sofern die Betroffenen konsequent die Kontrolluntersuchungen und vorsorglichen Behandlungen durchführen. Die Prognose bezüglich der Funktionalität der einzelnen Organe hingegen ist individuell extrem unterschiedlich und hängt von Anzahl und Lokalisation der Tumoren und den notwendigen Behandlungen ab. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Behandlungsmöglichkeiten der modernen Medizin und aktuell insbesondere der Chemotherapien lässt hier auf weitere Prognoseverbesserungen hoffen.

2. Augenveränderungen – Retinale Hämangioblastome

Prof. Dr. Agostini, Freiburg und Prof. Dr. Dr.h.c. N.E. Bechrakis (FEBO), Essen

2.1 Zusammenfassung

Retinale Hämangioblastome (oder auch Angiomatosis retinae genannt) sind gutartige Gefäßtumoren der Netzhaut. Diese bilden häufig die erste klinische Erscheinung der VHL-Erkrankung und treten bei der Mehrzahl der Betroffenen im Laufe des Lebens auf. Da kapilläre retinale Angiome (Hämangioblastome) meistens langsam wachsen und erst spät Symptome wie Sehverschlechterung oder Gesichtsfeldausfall verursachen, können sie durch regelmäßige augenärztliche Vorsorgeuntersuchungen frühzeitig entdeckt und häufig ohne Nachteil für das Sehvermögen behandelt werden. Die Standardtherapie für kleinere Tumoren der mittleren und äußeren Netzhautbereiche ist die Laserbehandlung. Für größere oder komplizierte Angiome bzw. Angiome im Bereich des Sehnervenkopfes stehen mit der Vereisungsbehandlung, der Brachytherapie oder der Protonenbestrahlung verschiedene weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

2.2 Grundlagen

Im Rahmen der VHL-Erkrankung können kapilläre retinale Angiome (andere Bezeichnungen: retinale Hämangioblastome, Angiomatosis retinae) auftreten. Diese gutartigen Tumoren bilden sich aus Gefäßzellen und Gliazellen der Netzhaut des Auges. Retinale Angiome weisen in ihrer Feinstruktur eine große Ähnlichkeit zu Hämangioblastomen des zentralen Nervensystems auf.

Abbildung 1: Schematische Darstellung des Auges mit Hervorhebung von Sehnerv und Netzhaut

2.3 Häufigkeit

Hämangioblastome der Netzhaut und des Kleinhirns sind die häufigsten Manifestationen des VHL-Syndroms im Zentralnervensystem. Der Zeitpunkt des ersten Auftretens retinaler Angiome kann innerhalb einer betroffenen Familie sehr unterschiedlich sein. Erstmals entdeckt werden sie am häufigsten zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, sie können jedoch schon bei Kleinkindern ab dem 5. Lebensjahr auftreten. Im Laufe des Lebens werden bei ca. 3 von 4 Träger:innen einer VHL-Genmutation retinale Hämangioblastome entdeckt. Hämangioblastome der peripheren (äußeren) Bereiche sind häufiger als die der zentralen Netzhautanteile.

2.4 Symptome

Ein Angiom der Netzhaut ist bei vielen VHL-Betroffenen das erste entdeckte Zeichen der Erkrankung. Zum Teil ist dies dadurch bedingt, dass ein zentrales retinales Angiom schon erhebliche Beschwerden machen kann, wenn es nur wenig größer als einen Millimeter ist, während andere VHL-Veränderungen wie z.B. Kleinhirn- oder Rückenmarkshämangioblastome dieser Größe noch nicht einmal sicher mit der Kernspintomographie nachweisbar sind, geschweige denn irgendwelche Ausfälle verursachen. Andererseits lässt sich der Augenhintergrund auch bei jungen Menschen gut untersuchen, so dass retinale Hämangioblastome früh erkannt werden können, auch wenn diese noch keine Sehbeschwerden machen. Hämangioblastome der Netzhaut wachsen langsam, weswegen in der Regel keine plötzlichen Symptome auftreten. Zentral gelegene retinale Hämangioblastome können durch Verziehungen, sekundäre Lipidablagerungen, Membranbildungen, oder Schwellungen/Ödeme der Netzhautmitte (Makula) erkennbar (manifest) werden. Diese führen zu zunehmendem Verzerrt- und Verschwommen- Sehen des betroffenen Auges. Blutungen oder Netzhautablösungen treten eher nach intensiver Behandlung großer Hämangioblastome auf, können dann aber zu deutlichen Ausfällen des Gesichtsfeldes führen.

2.5 Diagnostik

Augenärztliche Vorsorgeuntersuchungen sollten durch Augenärzt:innen durchgeführt werden, die Erfahrung in der Untersuchung und Behandlung von VHL-Betroffenen haben, da gerade die Entdeckung kleiner Angiome durch Übung erleichtert wird. Voraussetzung für eine gründliche Untersuchung der Netzhaut ist das Weitstellen der Pupille (Mydriasis) durch pupillenerweiternde Augentropfen. Die Pupillenerweiterung hält etwa 3 bis 4 Stunden an, in dieser Zeit besteht Lese- und Fahruntüchtigkeit. Untersuchungsmethode der Wahl ist die indirekte Funduskopie des Augenhintergrundes. Dies geschieht in der Regel an der Spaltlampe oder mit einem indirekten Ophthalmoskop mit vorgehaltener Lupe oder Kontaktglas. Letzteres wird nach Betäubung der Augenoberfläche auf das Auge aufgesetzt. Die Weitwinkelfundusfotografie kann das Aufsuchen von Veränderungen vor allem bei Kleinkindern unterstützen und ist gut für die Verlaufsdokumentation geeignet. Die Fluoreszeinangiografieist ein sehr sensitives Verfahren, bei dem ein Farbstoff injiziert wird, der sich in den Hämangioblastomen der Netzhaut anreichert. Diese Untersuchung ist im Gegensatz zu der nicht-invasiven und sehr sensitiven OCT-Angiografie auch für periphere Netzhautanteile geeignet.

Die Untersuchungen sollten spätestens mit dem 5. Lebensjahr beginnen und jährlich wiederholt werden. Größere Abstände sind unzweckmäßig, da die augenärztliche Untersuchung einfach, gefahrlos und preiswert ist. Auch andere Augenerkrankungen, die häufiger als die Angiomatosis retinae sind, werden somit früh erkannt und können behandelt werden. Eine Vergrößerung der Intervalle oder völliges Einstellen der Untersuchung im Alter ist nicht zu empfehlen, da sich bei einer kleinen Zahl Betroffener auch noch im höheren Alter neue Angiome bilden. Bei verdächtigen Befunden oder nach Behandlungen werden selbstverständlich kurzfristigere Kontrollen festgelegt.

Das periphere retinale Angiom kann in der Regel aufgrund seines typischen Aussehens gut erkannt werden. Kleine Angiome können zunächst wie ein kleiner runder Blutfleck aussehen, ohne dass die zu- und abführenden Gefäße besonders auffallen. Ein größeres Angiom sieht in der Regel aus wie eine orangerote Kugel, die von stark erweiterten und geschlängelten Blutgefäßen versorgt wird (Abbildung 1). Die aus einem größeren Angiom austretende Flüssigkeit kann sich unter der Netzhaut ansammeln und eine Netzhautablösung verursachen (seröse bzw. traktive Amotio). Auch kann die Flüssigkeit unter der Netzhaut wandern und dann eine Netzhautschwellung (Ödem) oder Fettablagerungen (Lipidexsudate) bilden. Geschieht dies an der Stelle des schärfsten Sehens (Makulaödem), vermindert sich die Sehschärfe oder es treten verzerrte Seheindrücke auf. Neben der Ansammlung von Flüssigkeit unter der Netzhaut kann es auch zur Ausbildung von Membranen auf der Netzhautoberfläche und im Glaskörperraum kommen, die den Befund zusätzlich verkomplizieren.

Abbildung 2: Kleines peripheres retinales Angiom mit ausgeprägt erweiterten zuführenden Gefäßen. (Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg)

Ein weniger typisches Erscheinungsbild zeigt das Angiom auf oder unmittelbar neben dem Sehnervenkopf (juxtapapillär) (Abbildung 2). Durch die Nähe des Sehnervenkopfes zur Stelle des schärfsten Sehens kann ein Flüssigkeitsaustritt aus einem juxtapapillären Angiom früh zur Ansammlung von Gewebswasser in der Netzhautmitte und damit zur Sehverschlechterung führen.

Abbildung 3: Am nasalen Rande des Sehnervenkopfes gelegenes (juxtapapilläres) Angiom. (Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg)

Retinale Angiome treten nicht nur im Rahmen eines VHL-Syndroms auf, sondern können auch bei sonst gesunden Personen vorkommen (sporadisches Angiom). In diesem Fall findet sich immer nur ein einzelnes Angiom. Sind mehr als ein Angiom am Augenhintergrund zu finden, ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines VHL-Syndroms groß.

Die Diagnose retinaler Angiome erfordert manchmal die Durchführung einer Fluoreszeinangiografie(FAG). Dabei wird der Farbstoff Fluoreszein in eine Vene gespritzt, um dann in alle Blutgefäße des Körpers, also auch in die retinalen Angiome, verteilt zu werden. Mit einem Spezialfilter können die Angiome dann fotografiert und besonders deutlich sichtbar gemacht werden. Mikroangiome können mittels einer Weitwinkel-Fluoreszeinangiografie sehr zuverlässig und früh entdeckt werden.

2.6 Therapie und Prognose

Abbildung 4: Augenhintergrund nach Laserung mehrerer Hämangioblastome. An den Stellen der Laserung entstehen Narben, die dunkel pigmentiert sind. Man erkennt in den Laserarealen noch aktive Tumoren, so dass hier Mehrfachlaserungen notwendig werden. (Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg)

Da retinale Hämangioblastome nur langsam wachsen, steht in der Regel ein längerer Zeitraum zur Verfügung, um ein Angiom durch eine Routineuntersuchung schon dann zu entdecken, wenn es noch klein ist und keine Beschwerden macht. Zwar gibt es Angiome, die nachweislich über einen langen Zeitraum nicht wachsen, also auch keine Probleme verursachen, aber für die Mehrzahl der Angiome ist davon auszugehen, dass ein Wachstum erfolgen wird. Daher ist eine zeitnahe Behandlung eines neu entdeckten Angioms anzustreben. Ausgenommen hiervon sind Angiome am Sehnervenkopf und unter Umständen auch die sehr seltenen Angiome an der Stelle des schärfsten Sehens.

Die Standardtherapie für kleine periphere Angiome ist die Laserbehandlung (Laserkoagulation) (Abbildung 3). Dabei wird durch einen Laserstrahl ein Wärmeeffekt im Bereich des Angioms erzeugt und dieses direkt verödet und somit zerstört. An der Stelle des Angioms bildet sich dann eine Narbe, die das Sehen normalerweise nicht stört. Während bei kleinen Angiomen in der Regel eine einmalige Laserbehandlung für eine vollständige Vernarbung ausreichend ist, können bei größeren Angiomen mehrere Laserbehandlungen erforderlich sein. Eine wichtige Voraussetzung für die Entdeckung kleiner, peripherer Angiome ist, wie zuvor besprochen, die regelmäßige Voruntersuchung durch mit dem Krankheitsbild vertraute Augenärzt:innen.

Ist ein Angiom für eine Laserbehandlung zu groß, kann eine Kältebehandlung (Kryotherapie) oder eine Bestrahlung durch einen Ruthenium-Applikator sinnvoll sein. Ruthenium-Applikatoren sind radioaktiv beschichtete Silberkalotten (geformte Silberplättchen) von unterschiedlicher Größe und Konfiguration. Ein von Größe und Form geeigneter Ruthenium-Applikator wird auf der Außenseite des Auges an der Stelle des Angioms aufgenäht, dort für einige Tage belassen und bewirkt eine Bestrahlung des Angioms unter Schonung anderer Strukturen des Auges. In den folgenden Wochen und Monaten kommt es dann zu einer langsamen Vernarbung des Angioms. Die Bestrahlung mit einem Ruthenium-Applikator ist bei der Behandlung größerer peripherer Angiome komplikationsärmer und effektiver als die Laser- oder Kältetherapie, steht aber nur in wenigen spezialisierten Zentren (Essen, Berlin) zur Verfügung.

Im Falle des Vorliegens oder Eintretens einer Netzhautablösung, bei Sehverschlechterung durch ein Häutchen (Membran) auf der Netzhautoberfläche oder bei einer Glaskörperblutung kann eine Operation mit Entfernung des Glaskörpers (Vitrektomie) und der die Netzhaut verziehenden Membranen erforderlich sein. Mit diesem Verfahren kann direkt an der Netzhautoberfläche operiert werden, um Membranen von der Netzhaut zu entfernen oder auch Flüssigkeit unter der Netzhaut abzusaugen. Abschließend kann ein Ersatz des Glaskörpers durch Silikonöl erforderlich werden, das die Netzhaut dauerhaft an der Unterlage hält und so eine erneute Netzhautablösung verhindert. Eine Vitrektomie wird nur bei schwierigen Fällen einer Angiomatosis retinae durchgeführt, sie kann in solchen Fällen das Sehvermögen stabilisieren und eine Erblindung verhindern.

Eine Sonderstellung nimmt das Angiom am Sehnervenkopf ein (juxtapapilläres Angiom). Durch seine Lage gestaltet sich die Behandlung schwierig, denn es besteht bei jeder Behandlungsart immer auch ein Risiko den Sehnerven zu schädigen und dadurch eine Sehverschlechterung und Gesichtsfeldausfälle zu verursachen. Juxtapapilläre Angiome werden erst dann behandelt, wenn sie Beschwerden verursachen. Es gibt vielfältige Vorschläge zur Behandlung dieser Angiome, so z.B. die Laserbehandlung, die photodynamische Therapie (PDT; eine Behandlung mittels eines lichtempfindlichen Medikamentes, das als Infusion verabreicht wird, sich im Angiom anreichert und dann durch einen Laserstrahl aktiviert wird), die Vitrektomie oder die Protonenbestrahlung (Teletherapeutische Projektions-Bestrahlung mit beschleunigten Partikeln-Protonen), ohne dass man eine generelle Empfehlung abgeben könnte. Behandlungsansätze mit Medikamenten, die das Gefäßwachstum hemmen und in das Auge oder als Infusion gegeben werden (sog. VEGF-Hemmer, oder Betablocker), haben die in sie gesetzten Erwartungen bei der Behandlung der retinalen Hämangioblastome bisher nicht erfüllen können und sind somit allenfalls Einzelfällen ohne andere Therapiemöglichkeit vorbehalten.