Von meinem Plan, in das Haus der Kaminskis einzudringen, und was ich damit auslöste - Inka Mareila - E-Book

Von meinem Plan, in das Haus der Kaminskis einzudringen, und was ich damit auslöste E-Book

Inka Mareila

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Von meinem Plan, in das Haus der Kaminskis einzudringen, und was ich damit auslöste Die französische Autorin Amelie Moreau wird schon seit Jahren vom Pech verfolgt. Um ihrer lähmenden Routine zu entkommen, wagt sie einen Neuanfang und hofft nach ihrem Umzug auf ein gelasseneres Leben, doch stattdessen erwarten sie unangenehme Überraschungen. Schnell bemerkt sie, dass ihre Nachbarn unverbesserliche Müllsammler sind, außerdem hört sie aus deren Haus unheimliche Geräusche – ausschließlich nachts. Auch für Leon, einen gutaussehenden, aber etwas verschrobenen Hängebauchschweinbesitzer mit dramatischer Familienhistorie, sind diverse Auffälligkeiten der Kaminskis nicht länger hinzunehmen, wodurch Amelie in ihrem Vorhaben bestärkt wird. Sie will der Sache auf den Grund gehen. Was sie dabei aufdeckt, bewegt Menschen bis weit über die Landesgrenzen hinaus …

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Inka Mareila

Von meinem Plan, in das Haus der Kaminskis einzudringen, und was ich damit auslöste

Novelle

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

NEUSTART

Gerade einmal vier Wochen war es her, dass ich von Straßburg an den Dorfrand von Schönbuchheim gezogen war. Ein beschaulicher Ort, umgeben von satten Wäldern, einer sanften Hügellandschaft, glasklaren Bächen und weiten Kornfeldern. Herrlich und perfekt für eine Autorin, die den Umzug auf sich genommen hatte, um endlich ihre Schreibblockade zu durchbrechen.

Für Schriftsteller gibt es wohl nichts Schlimmeres, als anzunehmen, dass alles, was sie bisher geschrieben haben, niemals zu übertreffen wäre, zumindest nicht von ihnen selbst. Ich nenne diesen Zustand eine Hirnleer-Paralyse. Demnach befand ich mich bereits seit einem halben Jahr in einer zermürbenden Hirnleer-Paralyse-Lethargie, wobei mir der Musikgeschmack meines WG-Kumpels den Rest gegeben hatte.

Sascha war für mich zum Inbegriff eines neuzeitlichen Monsters geworden. Eine wandelnde Nervensäge, deren Gegenwart mich vermutlich direkt in die Nervenheilanstalt befördert hätte, hätte ich mich ihr bloß eine Woche länger ausgesetzt. Ich und mein Holz nebst dem Community-Song vom Youtuber Rezo stellten nur zwei der Titel dar, die stundenlang durch die Rigips-Wände in meinen Schädel gedonnert waren. Mein Betteln, Sascha möge es doch bitte leiser stellen, war stets ignoriert worden. Kein Wunder angesichts seines Wodka-Konsums. Sascha hatte meine Trommelei gegen die Zimmertür konsequent ignoriert, während er und seine tumben Freunde sich mit Gras zudröhnten und jede Party in Windeseile auf den Höhepunkt schraubten. Auf dem Zenit der Lautstärke fanden jene Feiern dann bis zum nächsten Morgen statt. Meist so gegen sechs Uhr wurde es schlagartig ruhig. Manchmal spickte ich rein, um nachzusehen, ob die jungen Leute noch lebten, wobei ich mehrfach nackte Menschenknäuel vorfand. Manchmal war die Zimmereinrichtung mit Unterwäsche dekoriert worden. Und jedes Mal fand ich widerlich stinkende Pfützen, während das Wasser in meinen Blumenvasen nicht mehr nach Moder, sondern nach Urin roch. Für mich, eine Autorin, die sich den Weg zum goldenen Mittelfeld des deutsch-französischen Buchmarktes bahnen wollte, glich dieses Zusammenleben dem Schlaf unter einer Guillotine. Unter solchen Zuständen würde selbst der hartgesottenste Schriftsteller keine Kurzgeschichte zustande bekommen, mal ganz zu schweigen von einem komplexen Plot, glaubwürdigen Charakteren oder einem ausgeklügelten Exposé.

Wie Sascha und ich zusammengekommen waren, ist eine Geschichte für sich. Jedenfalls war ich dieser Hölle endlich entkommen und hegte die Hoffnung, ab sofort eine solide Karriere starten zu können.

Vor einer Sache konnte ich allerdings nicht fliehen: Mein Verleger hatte Verträge unterschrieben – ohne den Einbezug meiner Wenigkeit! Damit wollte er mich auf Urheberrechtszeit an den Verlag ketten. Das bedeutete: lebenslänglich! Mehrere Angestellte – Literaturagenten, eine Lektorin, Lizenznehmer und selbstredend der Verleger höchstpersönlich – hatten ihre Unterschriften unter neue Verträge zu meinen Büchern gesetzt. Alle außer mir, was meine Anwältin als rechtswidrig bezeichnete, denn Verträge zu Lasten Dritter seien nichtig. Dennoch gestaltete sich der Kampf ums Recht als äußerst komplex und langwierig, weshalb meine Emotionen häufig überkochten.

Oberste Priorität hatten damals meine Bücher, sprich: meine Babys, die ich schnellstmöglich aus diesem korrupten Verlagsklientel ziehen wollte. Doch der ›Verleger‹ stellte sich quer und zog sämtliche Register. Dabei verhielt er sich auffallend unprofessionell, beleidigend und vor Arroganz strotzend, wodurch jede weitere Zusammenarbeit unzumutbar war.

Deswegen mutierte ich allmählich zu einem Brüllaffen, woraus sich die Konsequenz zum Tapetenwechsel ergeben hatte. Mit diesem Neuanfang gab ich der Hoffnung Ausdruck, dass sich die Dinge zu meinen Gunsten fügen würden.

Freunde hatte ich in Schönbuchheim übrigens (noch) keine. Meine Entscheidung war auf diesen Ort gefallen, weil mir dessen Lage gefiel. Endlich war ich fernab vielbefahrener Straßen, weit weg von rußgeschwärzten Hochhäusern sowie der Angst, von Pöbelrotten bedrängt zu werden, wenn mir um Mitternacht noch die Idee kam, meinen Müll rauszubringen. Ich hatte eine Straßburger Hochhaussiedlung gegen ein Idyll eingetauscht. Im Hochhaus hatte ich nur gewohnt, weil ich nach dem plötzlichen Tod meines Mannes unserem riesigen Haus entfliehen wollte. Weg von den unschönen Erinnerungen und dem Zuviel an Platz.

Inzwischen bewohnte ich ein winziges Häuschen am Rande eines malerischen Dorfes und wähnte mich in einer heilen Welt. Vor meiner Haustür lag lediglich ein ungeteerter Pfad, der von Weizenfeldern und Mohnblumen gesäumt wurde. Reifenspuren von Traktoren hatten dicke Narben ins Grasland gepresst. Ich liebte diesen Pfad, vor allem, wenn ich in meinem Fiat Panda mein Zuhause ansteuerte und dabei durchgeschüttelt wurde, als säße ich in einer Nussschale bei Windstärke zwölf. Solche Dinge konnten mir tatsächlich den Tag versüßen. Die Landstraße abwärts, Richtung Wald, befand sich ein weiteres Gebäude, etwa hundert Meter von meinem entfernt. Der Weg zum Dorf wurde hingegen von gepflegten Reihenhäusern eingegrenzt. Alles sehr beschaulich, wenngleich ich mich wunderte, warum ich bis dahin noch keiner Menschenseele über den Weg gelaufen war.

Jenes letzte Haus in meiner ›Straße‹ passte jedoch nicht so recht ins Bild. Müllberge davor ließen faulige Gerüche aufsteigen, die täglich zu mir herüber wehten. Ich fragte mich oft, wie das sein konnte, weshalb das Ordnungsamt nicht eingriff und ob ich mal mit den Leuten reden sollte, die in dem windschiefen Gebäude hausten – vorausgesetzt, ich würde sie endlich einmal zu Gesicht bekommen.

Groß war es nicht, dieses ominöse Bauwerk: ein Einfamilienhaus aus wuchtigen Sandsteinblöcken, vermutlich achtzehntes Jahrhundert, wenn man der Hausinschrift über der Tür glauben durfte.

Wann immer ich Tiffy – meine rothaarige, spitznasige Kleinpudeldame – Gassi führte, spähte ich heimlich das fremde Grundstück aus. Meistens nur im Vorbeigehen, ganz unauffällig, aber manchmal war ich neugieriger, machte mich dann klein, linste zwischen den Zaunlatten durch und suchte nach Hinweisen, die mir verrieten, wie viele Menschen dort lebten und wofür sie sich interessierten.

Auf dem schief hängenden Briefkasten entdeckte ich den Namen Kaminski, was mich allerdings kaum schlauer machte. Und ihre Interessen? Die Bewohner liebten offensichtlich vor allem das Aufeinanderschichten von Müll und Schrott.

Meine Neugier wuchs, schließlich hatte ich eine dauerhafte Schreibblockade und schien allmählich vollends zu vereinsamen – und das Mitte dreißig! Da war ich dankbar für alles Spannende, auch wenn es nur Menschen betraf, die Müllberge vergrößerten.

Schon damals vermochte mich die Natur über Stimmungsschwankungen und meine zermürbende Lethargie hinwegzutrösten, gleichwohl ich für meinen Luxus, trotz Arbeitslosigkeit recht viel Geld ausgeben zu dürfen, nichts konnte. Der Tod meines wohlhabenden Mannes hatte sich unerwartet ergeben. Wäre ich die Witwe eines armen Schluckers gewesen, hätte ich mir meinen Lebensunterhalt hart verdienen müssen und einem kräftezehrenden Alltag frönen müssen, der mir das Gefühl gegeben hätte, dazuzugehören. Doch ich musste nach Julius’ Ableben irritiert feststellen, dass mir die Normalität und meine Beteiligung am gesellschaftlichen Leben abhanden gekommen war; sämtliche Aufmerksamkeit hatte ich während der Ehe ausschließlich meinem Gatten geschenkt. Umso schlimmer hatte mich sein plötzlicher Tod getroffen. Ich war nicht mehr in der Lage, ohne ihn ein annähernd ›normales‹ Leben zu führen. Erst wenn über Wochen hinweg ein Tag dem anderen glich, überkam mich die leise Ahnung, etwas verändern zu müssen. Meist spornte mich diese Erkenntnis dazu an, einige Möbel herumzuschieben oder die Hausarbeit neu zu planen. Einsam bleiben wollte ich trotzdem.

Das kleine Haus, in das ich gezogen war, war sehr alt. Es erinnerte an ein vergessenes Feriendomizil in der Provence. Alte Riegel, Fensterläden und urige Türen verliehen meinem Zuhause einen zauberhaften Touch. Besonders die nostalgische Inneneinrichtung ließ längst vergangene Zeiten wieder aufleben. Ein Fotograf oder Maler hätte zahllose Motive für wunderhübsche Stillleben gefunden, wobei ich mich selbst dazu zählte, denn ich bewegte mich kaum noch.

Bereits als ich mein Haus das erste Mal gesehen hatte, verliebte ich mich in dieses und beschloss, hier alt zu werden – wenn nötig auch ganz allein. Gäben mir ausschließlich Spatzen, Amseln und Finken das letzte Geleit, wäre das völlig in Ordnung, sagte ich mir damals.

Ja, ich litt wahrscheinlich unter einer hartnäckigen Sozialphobie.

Ich erinnere mich noch genau, als sei es gestern gewesen: Jene Nacht, in der ich diese Geräusche hörte. Anfangs, genau einen Monat lang, hatte ich beim Zubettgehen immer meine Ohrstöpsel benutzt und so lange Musik gehört, bis ich übermüdet einschlief. Anders hätte ich mich nie an das Schlafen im neuen Haus gewöhnt, ohne schweißgebadet wachzuliegen. Selbst in meinem Alter waren manche Ängste noch nicht überwunden – ich bin ein verdammter Feigling. Doch nach einem Monat wagte ich es schließlich, ohne meinen MP3-Player einzuschlafen. Hätte das Haus einen Poltergeist beherbergt, er hätte mich schon längst heimgesucht …

Stattdessen raubte mir etwas anderes den Schlaf.

Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr, als ich dieses Wimmern vernahm. Es handelte sich nicht um das Weinen eines Hundes, dafür war es viel zu zart. Meine Wahrnehmung ließ tatsächlich eine diffuse Gestalt vor meinen Augen entstehen, ein Gespenst oder vielmehr ein kränkliches Wesen …

Ich knipste meine Nachtleuchte an und lauschte. Erneut hörte ich es, dieses fremdartige Gejammer. Also stand ich auf und trottete auf den Schlafzimmerbalkon. Während das leidvolle Weinen für eine Weile verstummte, erhellte der Vollmond den Pfad zum Wald und tauchte den Himmel in einen milchigen Schleier.

Dann vernahm ich sie wieder, diese dünne Stimme, die vom Wind hergetragen wurde – derart kläglich, dass ich eine Gänsehaut bekam.

Wo die Gewissheit herrührte, dass hier etwas oder jemand Hilfe brauchte, wusste ich nicht. Da war ein Gefühl in mir erwacht, das mich zutiefst mit Trauer erfüllte und mir auf eigentümliche Weise befahl, etwas zu unternehmen. Irgendetwas.

Ich redete mir ein, dass es nichts Unheimliches sein konnte. Vermutlich handelte es sich um ein Tier, das gefangen war und um sein Leben kämpfte.

Es dauerte lange, etwa eine Stunde, ehe das klägliche Tönen ein Ende fand.

Schlafen konnte ich zunächst nicht mehr. Ich lag wach und grübelte. Ich überlegte mir, dass die Aufklärung, was hinter diesem Jaulen steckte, möglicherweise die Grundlage für ein neues Buch sein könnte. Insgeheim plante ich bereits ein Exposé, schwankte dabei zwischen einer Geistergeschichte und einem ausgeklügelten Gesellschaftsdrama. Wohin die Buchstabenreise gehen sollte, überließ ich den Resultaten meiner morgigen Spionage.

Im Morgengrauen sollte es losgehen.

 

Es war acht Uhr, als ich einige Kleinigkeiten in meine Jackentaschen schob: Eine Taschenlampe, mein Handy, ein Notizblock, Müsliriegel (falls die Haustür der Kaminskis zufallen sollte und ich vorerst eingesperrt wäre) … Außerdem überlegte ich mir eine gute Erklärung, falls man mich zur Rede stellen sollte. Die notierte ich mir vorsorglich, da ich vor lauter Nervosität ohnehin nur stammeln würde – und steckte mir den Wisch ebenfalls in eine meiner Taschen.

Meine Strickjacke war ein selbstgemachtes Geschenk meiner Mutter und verfügte über sage und schreibe vierzehn Taschen, weshalb sie sich perfekt für derartige Aktionen eignete. Tiffy nahm ich mit. Sie würde zwar niemals einen Verbrecher in die Flucht schlagen, in einer Gefahrensituation aber so laut heulen – wenn es sein musste, auch über mehrere Stunden hinweg – dass bestimmt jemand auf uns aufmerksam werden würde, sollten wir aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht mehr aus dem Haus herauskommen.

Ungeschminkt, mit einem zerzausten Dutt, trat ich vor meine Haustür. Tiffy beschnüffelte soeben ein paar Vergissmeinnicht, da fuhr eine Limousine vor, die direkt vor dem Gartentor hielt. Ein Anzugträger stieg aus, der mit vereister Miene verharrte und den letzten Zug seiner Zigarette gierig in sich einsog. Danach schnippte er den Stummel in mein Blumenbeet und gaffte mich finster an.

Ich murmelte: »Guten Morgen?«

Es war tatsächlich eine Frage, denn der Fremde erweckte den Eindruck, als wolle er etwas beanstanden. Sein durchdringender Blick ließ sein hageres Gesicht noch härter wirken. Er rückte seine rote Krawatte zurecht, auf der in weißer, geschwungener Schrift die Initialen KMF abzulesen waren, räusperte sich und sprach mit rauchiger Stimme:

»Amelie Moreau?«

Ich nickte. »Ja, die bin ich. Was ist los?«

Nach einem weiteren Räuspern meinte er überheblich:

»Nun, ich befürchte, da ist bezüglich ihres Einzugs etwas schiefgelaufen.«

Ich runzelte die Stirn.

»Was? Wieso?« »Nun, Sie befinden sich hier in einem Gebiet, das dem Unternehmen KMF unterstellt ist.«

»KMF? Noch nie gehört.«

»Königsberger Muster- und Fertighäuser.«

»Aha, und was heißt das jetzt?«

»Im Grunde bedeutet das, Sie wohnen derzeit in einem Bereich, der kein Wohngebiet ist. Ich muss Sie leider bitten, sich ein anderes Zuhause zu suchen.«

»Wie bitte?! Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?!« Doch er meinte es bitterernst.

»Offenbar kam es auf dem Rathaus zu einer Verwechslung«, erklärte er. »In Schönbuchheim gibt es zwei Schmiedergassen. Eine davon befindet sich am anderen Ende des Dorfes, innerhalb eines gewöhnlichen Wohngebiets. Jene Schmiedergasse, in der Sie sich befinden, darf hingegen weder fremd-bebaut noch bewohnt werden. Dieses Ortsgebiet dient ausschließlich der Besichtigung beziehungsweise der Ausstellung von idyllischen Musterhäusern einer der größten Firmen Deutschlands.«

»Sie können mich doch nicht schon wieder wegjagen!«, protestierte ich. »Ich bin erst vor vier Wochen eingezogen!«

»Ich weiß. Das Malheur fiel einem meiner Mitarbeiter zu spät auf. Eine Auszubildende hat Ihre Anmeldung auf dem Rathaus angenommen und dabei leider die Straßen verwechselt.« »Und der Immobilienmakler? Der hätte mir das doch sagen müssen.«

»Das stimmt. Da er das aber nicht getan hat, gehe ich davon aus, dass Sie einem Betrüger zum Opfer gefallen sind. Damit stellen Sie leider keinen Einzelfall dar. Künftig sollten Sie Maklerunterlagen überprüfen lassen, um sich eine Menge Ärger zu ersparen. Das Haus, in dem Sie sich eingerichtet haben, stand niemals zum Verkauf. Es handelt sich ebenfalls um ein Musterhaus und dient zur Veranschaulichung einer altertümlichen Lebens- und Einrichtungsweise für alle interessierten Häuslebauer. Sie wohnen sozusagen in dem ältesten Exponat unseres Freilichtmuseums.«

»Aber … aber ich habe bereits alles bezahlt!«

Das schien den Herrn nur peripher zu tangieren. Gelangweilt zuckte er mit den Schultern. »Tja, das tut mir leid. Das Geld sehen Sie wahrscheinlich nie wieder ...«

Ich war geschockt und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Wieder einen Anwalt einschalten? Noch mehr rumstreiten? Ich hatte es so satt …

»Was ist mit dem Haus am Ende der Straße?«, erkundigte ich mich. »Die Kaminskis ...«

»… leben schon seit Ewigkeiten hier. Sie waren zuerst da und ließen sich vom KMF-Unternehmen nicht überzeugen, woanders hinzuziehen.«

»Genauso wie ich! ICH BLEIBE!«

Tiffy unterstrich meine Aussage mit einem biestigen Kläffen.

Die Reaktion des schmierigen Krawattenträgers – »Das werden wir ja sehen!« – ängstigte mich.

Anschließend warf er eine Visitenkarte in meinen Briefkasten.

»Wenn Sie zur Vernunft gekommen sind, melden Sie sich bei mir und verraten mir dann bitte Ihren Auszugstermin«. Er schaute mich ein letztes Mal arrogant an und stieg wieder in seine Limousine.

Entgeistert sah ich ihm hinterher, als er seinen Wagen rückwärts aus der schmalen Schmiedergasse lenkte.

Und jetzt?! Ich will hier nicht weg!, schoss es mir durch den Kopf. Niemals! Es war viel zu schön hier, und wenn die Kaminskis sich durchgesetzt hatten, dann schaffte ich das eventuell auch. Allerdings hätte ich keine Chance, wenn ich tatsächlich einem Immobilienbetrüger zum Opfer gefallen war und etwas Unverkäufliches erstanden hatte. Das Geld wäre dann wirklich futsch. 20.000 Euro weg. Einfach weg!

Und ich habe mich noch gewundert, warum dieses wunderschöne Haus so günstig war. Ich Dummbeutel!

Die Spionage-Aktion legte ich vorerst auf Eis und kontaktierte meine Anwältin. Während des Gesprächs machte sie mir klar, dass es besser sei, meine Kartons zu packen und mich rasch nach einer neuen Bleibe umzusehen.

Ich fühlte mich elend, hätte mir am liebsten die Augen ausgeheult. Selbst Tiffy schien zu spüren, wie niedergeschlagen ich war. Vor lauter Frust bestellte ich mir online hässliche Blusen, womit ich mich vorübergehend tröstete. Anschließend begann ich, systemlos Kisten vollzustopfen, und nachdem ich davon die Nase voll hatte, suchte ich im Internet nach ähnlich idyllischen Häuschen. Maximal 200 qm, kleiner Garten, wenn möglich freistehend, mit viel Natur drumherum, mit autoren- und hundefreundlicher Nachbarschaft.

Ich fand nichts und war noch frustrierter. Die letzten drei Jahre waren an Rückschlägen kaum zu toppen und der heutige Tag setzte dem Ganzen die Krone auf. Damit verlängerte sich meine Schreibblockade automatisch um weitere sechs Monate. Mindestens!

Den restlichen Tag verbrachte ich mit dem Verunstalten der Blumenbeete – mein Racheakt an KMF, oder an wem auch immer. Etliche Blumen schnitt ich ab, damit ich mich bis zum Tag meines Auszugs wenigstens an den Sträußen erfreuen konnte. Am späten Nachmittag hatte ich zwanzig Vasen gefüllt und in meinen niedlichen Räumen verteilt. Großartig! Damit hatte ich es geschafft, dass ich noch weniger von hier weg wollte.

Als mein Gedankenkarussell gegen Abend immer noch kein Ende fand, schnappte ich mir meinen Pudel und steuerte den Wald an. Ich nahm mir vor, mindestens zwei Stunden meinen Frust ›abzulaufen‹, sodass ich später müde genug wäre, um trotz meiner Grübeleien einzuschlafen.

In meinem Kopf hatten sich unzählige Fragen aufgetürmt. Ungereimtheiten. Üblich war es nicht, dass diese sogenannten Musterhäuser lediglich an einen armseligen Pfad angeschlossen waren. Wenigstens ein Wendeplatz wäre nötig gewesen. Parkmöglichkeiten für Besucher gab es ebenfalls nicht, auch kein großes Schild mit der Aufschrift »Willkommen im Musterhausmuseum von Königsberger Klops… äh … Fertighäuser«. Mein unrechtmäßig erstandenes ›Exponat‹ verfügte zudem über fließendes Wasser und war ans Strom- und Kanalnetz angeschlossen, was meiner Meinung nach den Aussagen des ominösen Anzugträgers widersprach, denn es machte wenig Sinn, ein unbewohntes Haus derart auszustatten.

Und die Kaminskis hatte ich ja noch nie zu Gesicht bekommen. Womöglich existierten sie gar nicht, waren von Handlangern des KMF-Unternehmens ermordet worden, und sobald auch ich verschwunden wäre, würden sie hier einen Freizeitpark errichten oder Ähnliches …

Womöglich waren die Kaminskis gestern Nacht getötet worden, oder sie wurden gefangen gehalten? Die Geräusche von letzter Nacht passten einfach zu gut in meine Theorie!

Dem wollte ich jetzt erst recht auf den Grund gehen.

Die erfrischende Waldluft half mir ein wenig, den Kopf freizubekommen. Ich redete mir zu, dass es Schlimmeres gab – zum Beispiel den heißgeliebten Göttergatten mit gebrochenem Genick neben der Duschwanne vorzufinden –, da kam mir ein hochgewachsener Mann entgegen. Die Sorte von Mann, der ich sehr zugetan war: Braungebrannt, hellblaue Augen, aschblondes Haar und muskulös. Er schaute etwas irritiert drein und nickte mir aus der Ferne grüßend zu, ehe er wieder neugierig ins Dickicht spähte. Als ich näher kam, erkannte ich eine Hundeleine und das dazugehörige Geschirr in seinen Händen. Ohne Hund. Ich musterte im Vorbeigehen seinen akkuraten Haarschnitt und wunderte mich über einen braunen Fleck auf seiner schmuddeligen Gesäßtasche.

Da sprach er mich an: »Ähm, guten Abend, Sie haben nicht zufällig ein Hängebauchschwein gesehen?«

Ich stoppte perplex. »Ein Hängebauchschwein? Sie machen Witze.« Endlich hatte ich einen Grund, breit zu grinsen. Der gutaussehende Herr Maiwald meinte es allerdings sehr ernst. Nachdem er sich mir vorgestellt hatte, erklärte er:

»Hope büxt gerne aus, vornehmlich abends, denn da weiß sie, dass ich müde und somit weniger aufmerksam bin. Jede Nachlässigkeit nutzt sie gnadenlos aus. Sie ist sozusagen eine Intelligenzwutz.«

Er lächelte mich an, und ich verbot mir insgeheim, ihn anziehend zu finden, weil ich das meinem toten Mann versprochen hatte. An Julius’ Grab hatte ich ihm geschworen, dass ich ihm treu bleiben und jeden anderen Typen abblitzen lassen würde, ganz gleich, wie charmant, gutaussehend und faszinierend er wäre.

Selbst wenn er ein niedliches Hängebauchschweinchen mit dem Namen Hope besitzen sollte …

»Können Sie Ihren Pudel nicht nach Hope suchen lassen?«, schlug er vor.

Ich schüttelte den Kopf. »Nee, nee, dann fehlt Tiffy nachher auch noch. Es muss eine bessere Lösung geben. – Sie besitzen nicht zufällig einen Hubschrauber mit Wärmebildkameras?«

»Das ist wirklich nicht lustig«, gab er angesäuert zurück und zeigte mir die kalte Schulter. Herr Maiwald stapfte direkt ins Unterholz, da beschloss ich, ihm zu helfen. Schließlich konnte ich nachfühlen, wie es ist, ein Tier zu vermissen. Auch Tiffy war mir früher öfter ausgerissen.

Ich nahm meine Pudeldame unter den Arm, weil ich befürchtete, sie könnte vom Wurzelwerk und den Laubbergen verschluckt werden und verfolgte einen grölenden Mann, der nicht nur nach Hope rief, sondern auch deren Grunzlaute imitierte. Da schwand mein anfangs schlechtes Gewissen meinem verblichenen Julius gegenüber wieder, denn verlieben konnte ich mich nur in halbwegs normale Typen. Herr Maiwald schien nicht dazuzugehören. Ich hatte ohnehin genug mit meinen Eigenarten zu kämpfen.

Nach einer Viertelstunde ließ ich mich tatsächlich breitschlagen, ebenfalls »freundlich« zu grunzen, um Hope anzulocken. Dazu bekam Tiffy eine Rüge vom Hängebauchschweinbesitzer, weil ihr Gekläffe »genau das Gegenteil bewirken« würde. Ich hielt meinem Pudel das Maul zu und grunzte weiter – bis ich mich zur Beendigung dieses lächerlichen Suchmanövers entschloss.

»Herr Maiwald, es ...« »Leon. Nennen Sie mich bitte Leon.«

»Gut. Also: Sie … Herr, ähm … Leon, es wird bald dunkel. Ich bin keine Freundin von Nachtwanderungen.«

Hilfesuchend sah er sich um und schaute mich dann traurig an. »Bitte. Nur noch ein paar Minuten. Vier Augen sehen mehr als zwei.«

Was für ein Blick! Wie könnte ich ihn jetzt allein lassen?

Ich gab mir einen Ruck und suchte weiter.

»Ich heiße übrigens Amelie. Amelie Moreau.«

»Ah, Sie haben tatsächlich französische Wurzeln? Das habe ich mir schon gedacht. Ihr Akzent hat Sie verraten.«

»Mhm.«