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Seitenzahl: 159
Vor Sonnenaufgang
Von Gerhart Hauptmann erschienen im gleichen Verlage:
Soziales DramavonGerhart Hauptmann
Neunte Auflage
Berlin, S. Fischer, Verlag, 1902
Sowohl Aufführungs- als Nachdrucks- und Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Den Bühnen gegenüber Manuskript.
Die Aufführung dieses Dramas fand am 20. Oktober statt in den Räumen des Lessing-Theaters, veranstaltet vom Verein „Freie Bühne“. Ich benutze den Anlaß der Herausgabe einer neuen Auflage, um aus vollem Herzen den Leitern dieses Vereins insgesammt, in Sonderheit aber den Herren Otto Brahm und Paul Schlenther zu danken. Möchte es die Zukunft erweisen, daß sie sich, indem sie, kleinlichen Bedenken zum Trotz, einem aus reinen Motiven heraus entstandenen Kunstwerk zum Leben verhalfen, um die deutsche Kunst verdient gemacht haben.
Charlottenburg, den 26. Oktober 1889.
Gerhart Hauptmann.
Das Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen belegt. Moderner Luxus auf bäuerische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Eßtisch ein Gemälde, darstellend einen vierspännigen Frachtwagen, von einem Fuhrknecht in blauer Blouse geleitet.
Miele, eine robuste Bauernmagd mit rothem, etwas stumpfsinnigem Gesicht; sie öffnet die Mittelthür und läßt Alfred Loth eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig, untersetzt, in seinen Bewegungen bestimmt, doch ein wenig ungelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht ist knochig und hat einen gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Sommerpaletot, Umhängetäschchen, Stock.
Miele. Bitte! Ich werde den Herrn Inschinnär glei ruffen. Wolln Sie nich Platz nehmen?!
Die Glasthür zum Wintergarten wird heftig aufgestoßen; ein Bauernweib, im Gesicht blauroth vor Wuth, stürzt herein. Sie ist nicht viel besser als eine Waschfrau gekleidet. Nackte, rothe Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rothes punktirtes Brusttuch. Alter: Anfang 40, Gesicht hart, sinnlich, bösartig. Die ganze Gestalt sonst gut conservirt.
Frau Krauseschreit. Ihr Madel!! ... Richtig! ... Doas Loster vu Froovulk! ... Naus! mir gahn nischt! ... Halb zu Miele, halb zu Loth. A koan orbeita, a hoot Oarme. Naus! hier gibbt’s nischt!
Loth. Aber Frau ... Sie werden doch ... ich ... ich heiße Loth, bin ... wünsche zu ... habe auch nicht die Ab....
Miele. A wull ock a Herr Inschinnär sprechen.
Frau Krause. Beim Schwiegersuhne batteln: doas kenn’ mer schunn. — A hoot au nischt, a hoot’s au ock vu ins, nischt iis seine! Die Thür rechts wird aufgemacht. Hoffmann steckt den Kopf heraus.
Hoffmann. Schwiegermama! — Ich muß doch bitten ... Er tritt heraus, wendet sich an Loth. Was steht zu ... Alfred! Kerl! Wahrhaftig ’n Gott, Du!? Das ist aber mal ... nein das is doch mal ’n Gedanke!
Hoffmann ist etwa dreiunddreißig alt, schlank, groß, hager. Er kleidet sich nach der neuesten Mode, ist elegant frisirt, trägt kostbare Ringe, Brillantknöpfe im Vorhemd und Berloques an der Uhrkette. Kopfhaar und Schnurrbart schwarz, der letztere sehr üppig, äußerst sorgfältig gepflegt. Gesicht spitz, vogelartig. Ausdruck verschwommen, Augen schwarz, lebhaft, zuweilen unruhig.
Loth. Ich bin nämlich ganz zufällig ....
Hoffmannaufgeregt. Etwas Lieberes ... nun aber zunächst leg ab! Er versucht ihm das Umhängetäschchen abzunehmen. — Etwas Lieberes und so Unerwartetes hätte mir jetzt — er hat ihm Hut und Stock abgenommen und legt beides auf einen Stuhl neben der Thür — hätte mir jetzt entschieden nicht passiren können, — indem er zurückkommt — entschieden nicht.
Lothsich selbst das Täschchen abnehmend. Ich bin nämlich — nur so per Zufall auf Dich — er legt das Täschchen auf den Tisch im Vordergrund.
Hoffmann. Setz’ Dich! Du mußt müde sein, setz’ Dich — bitte. Weißt De noch? wenn Du mich besuchtest, da hatt’st Du so ’ne Manier, Dich lang auf das Sopha hinfallen zu lassen, daß die Federn krachten; mitunter sprangen sie nämlich auch. Also Du, höre! mach’s wie damals.
Frau Krause hat ein sehr erstauntes Gesicht gemacht und sich dann zurückgezogen. Loth läßt sich auf einen der Sessel nieder, welche rings um den Tisch im Vordergrunde stehen.
Hoffmann. Trinkst Du was? Sag’! — Bier? Wein? Cognac? Kaffee? Thee? Es ist alles im Hause.
Helene kommt lesend aus dem Wintergarten; ihre große, ein wenig zu starke Gestalt, die Frisur ihres blonden, ganz ungewöhnlich reichen Haares, ihr Gesichtsausdruck, ihre moderne Kleidung, ihre Bewegungen, ihre ganze Erscheinung überhaupt verleugnen das Bauernmädchen nicht ganz.
Helene. Schwager, Du könntest ... Sie entdeckt Loth und zieht sich schnell zurück. Ach! ich bitte um Verzeihung. Ab.
Hoffmann. Bleib doch, bleib!
Loth. Deine Frau?
Hoffmann. Nein, ihre Schwester. Hörtest Du nicht, wie sie mich betitelte?
Loth. Nein.
Hoffmann. Hübsch! Wie? — Nu aber erklär’ Dich! Kaffee? Thee? Grog?
Loth. Danke, danke für alles.
Hoffmannpräsentirt ihm Cigarren. Aber das ist was für Dich — nicht?! ... Auch nicht?!
Loth. Nein, danke.
Hoffmann. Beneidenswerthe Bedürfnißlosigkeit! Er raucht sich selbst eine Cigarre an und spricht dabei. Die A.. Asche, wollte sagen der ... der Tabak ... ä! Rauch natürlich ... der Rauch belästigt Dich doch wohl nicht?
Loth. Nein.
Hoffmann. Wenn ich das nicht noch hätte ... ach Gott ja, das bischen Leben! — Nu aber thu mir den Gefallen, erzähle was. — Zehn Jahre — bist übrigens kaum sehr verändert — zehn Jahre, ’n ekliger Fetzen Zeit — was macht Schn... Schnurz nannten wir ihn ja wohl? Fips, — die ganze heitere Blase von damals? Hast du den einen oder anderen im Auge behalten?
Loth. Sach mal, solltest Du das nicht wissen?
Hoffmann. Was?
Loth. Daß er sich erschossen hat.
Hoffmann. Wer? — hat sich wieder mal erschossen.
Loth. Fips! Friedrich Hildebrandt.
Hoffmann. I warum nich gar!
Loth. Ja! er hat sich erschossen — im Grunewald, an einer sehr schönen Stelle der Havelseeufer. Ich war dort, man hat den Blick auf Spandau.
Hoffmann. Hm! — Hätt ihm das nicht zugetraut, war doch sonst keine Heldennatur.
Loth. Deswegen hat er sich eben erschossen. — Gewissenhaft war er, sehr gewissenhaft.
Hoffmann. Gewissenhaft? Woso?
Loth. Nun, darum eben ... sonst hätte er sich wohl nicht erschossen.
Hoffmann. Versteh nicht recht.
Loth. Na, die Farbe seiner politischen Anschauungen kennst Du doch?
Hoffmann. Ja, grün.
Loth. Du kannst sie gern so nennen. Er war, dies wirst Du ihm wohl lassen müssen, ein talentvoller Jung. — Fünf Jahre hat er als Stuccateur arbeiten müssen, andere fünf Jahre dann, so zu sagen, auf eigene Faust durchgehungert und dazu kleine Statuetten modellirt.
Hoffmann. Abstoßendes Zeug. Ich will von der Kunst erheitert sein .... Nee! diese Sorte Kunst war durchaus nicht mein Geschmack.
Loth. Meiner war es auch nicht, aber er hatte sich nun doch einmal drauf versteift. Voriges Frühjahr schrieben sie da ein Denkmal aus; irgend ein Duodezfürstchen, glaub ich, sollte verewigt werden. Fips hatte sich betheiligt und gewonnen; kurz darauf schoß er sich todt.
Hoffmann. Wo da die Gewissenhaftigkeit stecken soll, ist mir völlig schleierhaft. — Für so was habe ich nur eine Benennung: Spahn — auch Wurm — Spleen — so was.
Loth. Das ist ja das allgemeine Urtheil.
Hoffmann. Thut mir leid, kann aber nicht umhin mich ihm anzuschließen.
Loth. Es ist ja für ihn auch ganz gleichgültig, was ...
Hoffmann. Ach überhaupt, lassen wir das. Ich bedauere ihn im Grunde ganz ebenso sehr wie Du, aber — nun ist er doch einmal todt, der gute Kerl; — erzähle mir lieber etwas von Dir, was Du getrieben hast, wie’s Dir ergangen ist.
Loth. Es ist mir so ergangen, wie ich’s erwarten mußte. — Hast Du gar nichts von mir gehört? — durch die Zeitungen mein ich.
Hoffmannein wenig befangen. Wüßte nicht.
Loth. Nichts von der Leipziger Geschichte?
Hoffmann. Ach so, das! — Ja! — Ich glaube .... nichts Genaues.
Loth. Also, die Sache war folgende:
Hoffmannseine Hand auf Loth’s Arm legend. Ehe Du anfängst: willst Du denn gar nichts zu Dir nehmen?
Loth. Später vielleicht.
Hoffmann. Auch nicht ein Gläschen Cognac?
Loth. Nein. Das am allerwenigsten.
Hoffmann. Nun, dann werde ich ein Gläschen .... Nichts besser für den Magen. Holt Flasche und zwei Gläschen vom Buffet, setzt alles auf den Tisch vor Loth.Grand Champagne, feinste Nummer; ich kann ihn empfehlen. — Möchtest Du nicht ....?
Loth. Danke.
Hoffmannkippt das Gläschen in den Mund. Oah! — na, nu bin ich ganz Ohr.
Loth. Kurz und gut: da bin ich eben sehr stark hineingefallen.
Hoffmann. Mit zwei Jahren, glaub ich?!
Loth. Ganz recht! Du scheinst es ja doch also zu wissen. Zwei Jahre Gefängniß bekam ich, und nach dem haben sie mich noch von der Universität relegirt. Damals war ich — einundzwanzig. Nun! in diesen zwei Gefängnißjahren habe ich mein erstes volkswirthschaftliches Buch geschrieben. Daß es gerade ein Vergnügen gewesen, zu brummen, müßte ich allerdings lügen.
Hoffmann. Wie man doch einmal so sein konnte! Merkwürdig! So was hat man sich nun allen Ernstes in den Kopf gesetzt. Baare Kindereien sind es gewesen, kann mir nicht helfen, Du! — nach Amerika auswandern ’n Dutzend Gelbschnäbel wie wir! — wir und Musterstaat gründen! Köstliche Vorstellung!
Loth. Kindereien?! — tjaa! In gewisser Beziehung sind es auch wirklich Kindereien gewesen! Wir unterschätzten die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens.
Hoffmann. Und daß Du nun wirk—lich hinaus gingst — nach Amerika — all—len Ernstes mit leeren Händen .... Denk’ doch mal an, was es heißt, Grund und Boden für einen Musterstaat mit leeren Händen erwerben zu wollen: das ist ja beinahe ver.... jedenfalls ist es einzig naiv.
Loth. Ach, gerade mit dem Ergebniß meiner Amerikafahrt bin ich ganz zufrieden.
Hoffmannlaut auflachend. Kaltwasserkur, vorzügliche Resultate, wenn Du es so meinst ...
Loth. Kann sein, ich bin etwas abgekühlt worden; damit ist mir aber gar nichts Besonderes geschehen. Jeder Mensch macht seinen Abkühlungsprozeß durch. Ich bin jedoch weit davon entfernt, den Werth der .... nun, sagen wir hitzigen Zeit zu verkennen. Sie war auch gar nicht so furchtbar naiv, wie Du sie hinstellst.
Hoffmann. Na, ich weiß nicht?!
Loth. Du brauchst nur an die Durchschnittskindereien unserer Tage denken: das Couleurwesen auf den Universitäten, das Saufen, das Pauken. Warum all der Lärm? Wie Fips zu sagen pflegte: um Hekuba!
Um Hekuba drehte es sich bei uns doch wohl nicht; wir hatten die allerhöchsten menschheitlichen Ziele im Auge. Und abgesehen davon, diese naive Zeit hat bei mir gründlich mit Vorurtheilen aufgeräumt. Ich bin mit der Scheinreligion und Scheinmoral und mit noch manchem Anderen ....
Hoffmann. Das kann ich Dir ja auch ohne Weiteres zugeben. Wenn ich jetzt doch immerhin ein vorurtheilsloser, aufgeklärter Mensch bin, dann verdanke ich das, wie ich gar nicht leugne, den Tagen unseres Umgangs. — Natürlicherweise! — Ich bin der letzte, das zu leugnen. — Ich bin überhaupt in keiner Beziehung Unmensch. Nur muß man nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen. — Man muß nicht die Uebel, an denen die gegenwärtige Generation, leider Gottes, krankt, durch noch größere verdrängen wollen; man muß — alles ruhig seinen natürlichen Gang gehen lassen. Was kommen soll, kommt! Praktisch, praktisch muß man verfahren! Erinnere Dich! Ich habe das früher gerade so betont, und dieser Grundsatz hat sich bezahlt gemacht. — Das ist es ja eben. Ihr alle — Du mit eingerechnet — Ihr verfahrt höchst unpraktisch.
Loth. Erklär’ mir eben mal, wie Du das meinst.
Hoffmann.Einfach! Ihr nützt Eure Fähigkeiten nicht aus. Zum Beispiel Du: ’n Kerl wie Du, mit Kenntnissen, Energie etc., was hätte Dir nicht offen gestanden! Statt dessen, was machst Du? Com—pro—mit—tirst Dich von vornherein der—art ... na, Hand auf’s Herz! hast Du das nicht manchmal bereut?
Loth. Ich konnte nicht gut bereuen, weil ich ohne Schuld verurtheilt worden bin.
Hoffmann. Kann ich ja nicht beurtheilen, weißt Du.
Loth. Du wirst das gleich können, wenn ich Dir sage: die Anklageschrift führte aus, ich hätte unseren Verein Vancouver-Island nur zum Zwecke parteilicher Agitation ins Leben gerufen; dann sollte ich auch Geld zu Parteizwecken gesammelt haben. Du weißt ja nun, daß es uns mit unseren colonialen Bestrebungen Ernst war, und was das Geldsammeln anlangt, so hast Du ja selbst gesagt, daß wir alle miteinander leere Hände hatten. Die Anklage enthält also kein wahres Wort, und als Mitglied solltest Du das doch ...
Hoffmann. Na — Mitglied war ich doch wohl eigentlich nicht so recht. — Uebrigens glaube ich Dir selbstredend. — Die Richter sind halt immer nur Menschen, muß man nehmen. — Jedenfalls hättest Du, um praktisch zu handeln, auch den Schein meiden müssen. Ueberhaupt: ich habe mich in der Folge manchmal baß gewundert über Dich: Redacteur der Arbeiterkanzel, des obscursten aller Käseblättchen — Reichstagscandidat des süßen Pöbels! Und was hast Du nu davon? — versteh mich nicht falsch! Ich bin der letzte, der es an Mitleid mit dem armen Volke fehlen läßt, aber wenn etwas geschieht, dann mag es von oben herab geschehen! Es muß sogar von oben herab geschehen, das Volk weiß nun mal nicht, was ihm noth thut — das „Von-unten-herauf,“ siehst Du, das eben nenne ich das „Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-rennen.“
Loth. Ich bin aus dem, was Du eben gesagt hast, nicht klug geworden.
Hoffmann. Na, ich meine eben, sieh mich an! Ich habe die Hände frei: ich könnte nu schon anfangen was für die Ideale zu thun. — Ich kann wohl sagen, mein praktisches Programm ist nahezu durchgeführt. Aber Ihr ... immer mit leeren Händen, was wollt denn Ihr machen?
Loth. Ja, wie man so hört: Du segelst stark auf Bleichröder zu.
Hoffmanngeschmeichelt. Zu viel Ehre — vorläufig noch. Wer sagt das? — Man arbeitet eben seinen soliden Stiefel fort. Das belohnt sich naturgemäß — wer sagt das übrigens?
Loth. Ich hörte darüber in Jauer zwei Herren am Nebentisch reden.
Hoffmann. Ä! Du! — Ich habe Feinde! — Was sagten die denn übrigens?
Loth. Nichts Besonderes. Durch sie erfuhr ich, daß Du Dich zur Zeit eben hier auf das Gut Deiner Schwiegereltern zurückgezogen hast.
Hoffmann. Was die Menschen nicht alles ausschnüffeln! Lieber Freund! Du glaubst nicht, wie ein Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt beobachtet wird. Das ist auch so ’n Uebelstand des Reich.... — Die Sache ist nämlich die: ich erwarte der größeren Ruhe und gesünderen Luft wegen die Niederkunft meiner Frau hier.
Loth. Wie paßt denn das aber mit dem Arzt? Ein guter Arzt ist doch in solchen Fällen von allergrößter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe ....
Hoffmann. Das ist es eben: der Arzt hier ist ganz besonders tüchtig; und, weißt Du, so viel habe ich bereits weg: Gewissenhaftigkeit geht beim Arzt über Genie.
Loth. Vielleicht ist sie eine Begleiterscheinung des Genies im Arzt.
Hoffmann. Mein’twegen, jedenfalls hat unser Arzt Gewissen. Er ist nämlich auch so’n Stück Ideologe, halb und halb unser Schlag — reussirt schauderhaft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk. Man vergöttert ihn geradezu. Zu Zeiten übrigens ’n recht unverdaulicher Patron, ’n Mischmasch von Härte und Sentimentalität. Aber, wie gesagt, Gewissenhaftigkeit weiß ich zu schätzen! — Unbedingt! — Eh ich’s vergesse .... es ist mir nämlich darum zu thun .... man muß immer wissen, wessen man sich zu versehen hat .... Höre! .... sage mir doch .... ich seh Dir’s an, die Herren am Nebentische haben nichts Gutes über mich gesprochen. — Sag’ mir doch, bitte, was sie gesprochen haben.
Loth. Das sollte ich wohl nicht thun, denn ich will Dich nachher um zweihundert Mark bitten, geradezu bitten, denn ich werde sie Dir wohl kaum je wiedergeben können.
Hoffmannzieht ein Checbuch aus der Brusttasche, füllt einen Chec aus, übergiebt ihn Loth. Bei irgend einer Reichsbankfiliale .... Es ist mir ’n Vergnügen ....
Loth. Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Erwartungen. — Na! — ich nehm es dankbar an und Du weißt ja: übel angewandt ist es auch nicht.
Hoffmannmit Anflug von Pathos. Ein Arbeiter ist seines Lohnes werth! — Doch jetzt, Loth, sei so gut, sag’ mir, was die Herren am Nebentisch ....
Loth. Sie haben wohl Unsinn gesprochen.
Hoffmann. Sag’ mir’s trotzdem, bitte! — Es ist mir lediglich interessant, ledig—lich interessant —
Loth. Es war davon die Rede, daß Du hier einen anderen aus der Position verdrängt hättest, — einen Bauunternehmer Müller.
Hoffmann. Na—tür—lich! diese Geschichte!
Loth. Ich glaube, der Mann sollte mit Deiner jetzigen Frau verlobt gewesen sein.
Hoffmann. War er auch. — Und was weiter?
Loth. Ich erzähle Dir alles, wie ich es hörte, weil ich annehme: es kommt Dir darauf an, die Verleumdung möglichst getreu kennen zu lernen.
Hoffmann. Ganz recht! Also?
Loth. So viel ich heraus hörte, soll dieser Müller den Bau einer Strecke der hiesigen Gebirgsbahn übernommen haben.
Hoffmann. Ja! Mit lumpigen zehntausend Thalern Vermögen. Als er einsah, daß dieses Geld nicht zureichte, wollte er schnell eine Witzdorfer Bauerntochter fischen; meine jetzige Frau sollte diejenige sein, welche.
Loth. Er hätte es, sagten sie, mit der Tochter, Du mit dem Alten gemacht. — Dann hat er sich ja wohl erschossen?! — Auch seine Strecke hättest Du zu Ende gebaut und noch sehr viel Geld dabei verdient.
Hoffmann. Darin ist einiges Wahre enthalten, doch — ich könnte Dir eine Verknüpfung der Thatsachen geben ... Wußten sie am Ende noch mehr dergleichen erbauliche Dinge?
Loth. Ganz besonders — muß ich Dir sagen — regten sie sich über etwas auf: sie rechneten sich vor, welch ein enormes Geschäft in Kohlen Du jetzt machtest und nannten Dich einen .... na, schmeichelhaft war es eben nicht für Dich. Kurz gesagt, sie erzählten, Du hättest die hiesigen dummen Bauern beim Champagner überredet, einen Vertrag zu unterzeichnen, in welchem Dir der alleinige Verschleiß aller in ihren Gruben geförderten Kohle übertragen worden ist gegen eine Pachtsumme, die fabelhaft gering sein sollte.
Hoffmannsichtlich peinlich berührt, steht auf. Ich will Dir was sagen, Loth .... Ach, warum auch noch darin rühren? Ich schlage vor, wir denken an’s Abendbrod, mein Hunger ist mörderisch. Mörderischen Hunger habe ich.