Wabi Sabi - Nicht perfekt und trotzdem glücklich! - Christopher A. Weidner - E-Book

Wabi Sabi - Nicht perfekt und trotzdem glücklich! E-Book

Christopher A. Weidner

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Beschreibung

Perfekt in jeder Lebenslage - durch diesen Anspruch an sich selbst geraten immer mehr Menschen in eine Spirale aus Leistungsdruck und Überforderung. Christopher Weidner zeigt, wie es gelingt, aus dieser Falle herauszukommen. Mit vielen Tests und Übungen zur Selbstreflexion.

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Seitenzahl: 192

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Christopher A. Weidner

Wabi Sabi Nicht perfekt und trotzdem glücklich!

Der asiatische Weg zu mehr Gelassenheit

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Wie geht es Ihnen?Eine andere Idee vom LebenIch will so werden, wie ich binDie etwas andere SchönheitDie Schönheit der VergänglichkeitWabi SabiWabi – die Sehnsucht in unsSabi – die Flüchtigkeit des AugenblicksWabi Sabi – das Ideal einer ganzen KulturWabi Sabi als LebensprinzipZwei Kulturen – zwei WeltenNeue Werte für Ihr LebenDie äußere Seite von Wabi SabiWabi-Sabi-QualitätenWabi Sabi berührenDie innere Seite von Wabi SabiDie Schönheit des AugenblicksFreiheit durch EinzigartigkeitWertschätzung der GegenwartDie Freude am UnvollkommenenHaiku – Poesie gewordenes Wabi SabiWabi Sabi und der TeewegWabi Sabi – eine GegenbewegungDer Teeweg und seine EntwicklungIm Schoß des TeehausesTee für FreundeDer Wabi-Sabi-Weg zur VeränderungWabi Sabi für Ihr LebenWas Sie wirklich brauchenDie Suche nach dem UnverzichtbarenDie 16 Grundbedürfnisse des MenschenIhre wichtigsten Bedürfnisse …… und die Bedürfnisse der UmweltEchte Zufriedenheit findenVergnügen und GlückImmer mehr – immer neu?Was mir Vergnügen bereitet – und was mich glücklich machtWabi Sabi für zweiGemeinsamkeiten und Unterschiede herausfindenDas Prinzip von Yin und Yang in der PartnerschaftWie geht es Ihnen jetzt?AnmerkungenLiteraturhinweise
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Wie geht es Ihnen?

Vielleicht haben Sie an dieser Stelle so etwas wie ein Vorwort erwartet, vielleicht ein paar Danksagungen oder auch einige Erklärungen zum Gebrauch des Buchs.

Da ich darüber aber keine großen Worte verlieren möchte, und dieses Buch sich letztlich um wichtigere Dinge dreht, nämlich um Sie, werte Leserin und werter Leser, komme ich gleich zu dem, was wirklich von Bedeutung ist: Wie Sie etwas in Ihrem Leben verändern können, um noch besser im Einklang mit dem zu leben, was Ihnen wirklich wichtig ist, und wie Sie all die Dinge hinter sich lassen, die Sie davon abhalten, ganz Sie selbst zu sein.

Und damit Sie später feststellen können, ob dieses Buch Ihnen tatsächlich etwas genutzt hat, stellen Sie sich jetzt bitte einmal die Frage, wie es Ihnen gerade geht. Wo befinden Sie sich gerade in Ihrem Leben? Wie wohl fühlen Sie sich gerade in Ihrer Haut? Wenn »0« dem Zustand entspricht, an dem es Ihnen wirklich miserabel geht und das Leben nicht lebenswert erscheint, und »10« dem Zustand des allerhöchsten Glücks, das Sie sich nur vorstellen können – wo würden Sie sich einordnen? Notieren Sie Ihre Zahl irgendwo, so Sie sie leicht wiederfinden.

Mehr müssen Sie für den Moment gar nicht wissen. Ich schlage Ihnen allerdings vor, sich immer wieder an diese Zahl zu erinnern, vielleicht nach jedem größeren Leseabschnitt, wenn Sie eine Pause machen und das Buch zur Seite legen. Dann können Sie sich fragen: Wo befinde ich mich jetzt gerade auf der Skala von 1 bis 10? Wenn Sie einen Unterschied feststellen können, Sie also höher oder niedriger liegen als zu Beginn der Lektüre, dann fragen Sie sich weiter: Was ist jetzt anders? Was habe ich anders gemacht, sodass es besser wurde? Was muss ich anders machen, damit es wieder besser wird? Und wenn Sie gleich geblieben sind: Wie haben Sie es geschafft, diesen Zustand aufrechtzuerhalten und woran würden Sie merken, dass Sie auch nur einen halben Punkt auf der Skala weitergekommen sind?

Auf diese Weise bleiben Sie stets in Kontakt mit sich selbst, werden Ihr eigener Maßstab für das, was Ihnen gut tut.

Und nun wünsche ich Ihnen viele Wabi-Sabi-Momente bei der Lektüre – und noch viele mehr, wenn Sie das Buch aus der Hand gelegt haben und es seinen Dienst für Sie getan hat.

 

Ihr

Christopher Weidner

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Eine andere Idee vom Leben

Wabi Sabi bringt uns in Berührung mit der Schönheit des Vergänglichen und Unvollkommenen. Es geht um das Wertschätzen des Augenblicks, um die Suche nach neuen Werten im Hier und Jetzt.

Ich will so werden, wie ich bin

»Laufstegverbot für Magermodels!« Waren Sie nicht auch ein wenig verblüfft, als Sie diese Schlagzeile lasen? Immerhin bedeutete das für ein Drittel aller Models auf den Madrider Modewochen das Aus. Was war geschehen? Politiker hatten sich endlich dazu durchgerungen, den Protesten und Empfehlungen der Verbraucherverbände nachzugeben, weil durch die klapperdürren Mannequins der Jugend ein völlig falsches Schönheitsideal vermittelt wird.

Tatsächlich hat sich die Zahl der Mädchen unter zehn Jahren, die an Magersucht und Bulimie leiden, allein in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren verachtfacht. Schon lange aber ist dieses Krankheitsbild nicht mehr nur ein rein weibliches Problem. Auch immer mehr Jungen und jugendliche Männer fühlen sich krankhaft zu dick – und sehen sich mit dieser Diagnose konfrontiert. Die von den Medien propagierten Ideale treiben immer mehr Menschen in einen Schlankheits- und Schönheitswahn, weil sie ihnen glauben machen, dass nur ein Mensch, der diesen Idealen entspricht, schön und damit gesellschaftlich akzeptiert ist.

Alle Altersgruppen sind betroffen – und eine ganze Industrie lebt von dieser Betroffenheit: Während junge Menschen sich zu Tode hungern, quälen sich Männer und Frauen mittleren Alters in Fitnessstudios, um »in Form« zu bleiben, wobei »Form« meint, den Idealen eines schönen und schlanken Körpers zu entsprechen. Wem das nicht hilft, der legt sich eben unters Messer. Schönheitsoperationen sind inzwischen salonfähig geworden und nicht selten die Bestimmung so mancher Sparkonten. Und wen die Zeichen der Zeit schließlich doch ereilen, der findet jede Menge entsprechender Produkte im Kosmetik-Regal. Anti-Aging ist das Zauberwort, denn nur wer jung ist, ist auch schön.

Während die Jahresumsätze der Kosmetikbranche und der Diätmittelindustrie kontinuierlich steigen und sich die Konten der Schönheitschirurgen füllen, werden die Menschen immer kränker. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Ungezählt sind die Momente der Selbstzweifel, des Gefühls von Unzulänglichkeit und der Depressionen, die Männer wie Frauen erleben, wenn sie sich im Spiegel unserer Gesellschaft betrachten, in der Jugendlichkeit und Schönheit mittlerweile zu den wichtigsten Idealen gehören. Der Vergleich mit diesen Idealen schmerzt viele Menschen – und treibt sie entweder in die Resignation oder aber in blinden Aktionismus und Konsumrausch.

Die etwas andere Schönheit

Doch es sieht so aus, als ob sich ein Wandel vollzieht. Das Laufstegverbot für Magermodels ist nur ein Zeichen für die Veränderung der Ideale, die unsere moderne Gesellschaft prägen. Längst hat auch die Abweichung vom Schönheitsideal Einzug in das Bewusstsein der Konsumenten gehalten, die sich von den immer höher werdenden Ansprüchen und Erwartungen unter Druck gesetzt fühlen und sich fragen: Wo bleibe ich dabei?

Wer bestimmt eigentlich, wann wir schön sind und wann nicht? Sind wir denn nicht auch schön, so wie wir sind? Wer sagt, dass wir unser Äußeres gewaltsam in eine Form pressen müssen, um akzeptiert zu werden? Wenn alle gleich aussehen – was hat das noch mit Schönheit zu tun?

Werbestrategen haben eine neue Zielgruppe entdeckt: Menschen, die sich nicht länger dem Diktat der Ideale unterwerfen wollen und sich mit ihren Ecken und Kanten, ihrer ganzen Individualität und Natürlichkeit wohlfühlen wollen – auch wenn das bedeutet, nicht den Idealmaßen zu entsprechen, hier ein Pfund zu viel und dort ein Fältchen zu haben. In Werbespots und auf Plakatwänden finden wir auf einmal Frauen, die so gar nicht den Normen makelloser Schönheit entsprechen, sondern »ganz normal« sind und gerade deshalb schön. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, heißt es. Und genau das verkörpert diese neue Generation von Werbung. Sie entlastet uns vom Perfektionswahn, weil sie zeigt, dass Menschen schön sind, wenn sie genau so sind, wie sie sind. Sie vermittelt eine andere Schönheit, die nicht auf die Normierung äußerer Merkmale setzt, sondern neue Werte wie Unvollkommenheit und Anderssein in den Vordergrund rückt: Ich bin schön, weil ich besonders bin. Und genau an dieser Stelle begegnen wir Wabi Sabi.

Wabi Sabi ist keine neue Mode, kein neuer Trend, sondern eine jahrhundertealte fernöstliche Betrachtungsweise, die den wiederentdeckten Werten einer Schönheit entspricht, die sich die Natur zum Vorbild nimmt.

Wabi Sabi war eine Gegenbewegung zu den perfektionistischen Vorstellungen von Schönheit, wie sie seinerzeit im Reich der Mitte vorherrschten. Vielleicht entsteht bei uns gerade eine ähnliche Bewegung. Dabei können wir uns von den Prinzipien des Wabi Sabi stützen und inspirieren lassen. Wenn wir den gegenwärtigen Trend für uns nutzen, um neue Werte für unser Leben zu finden, in deren Mittelpunkt nicht Ideale stehen, die uns von außen übergestülpt werden, sondern das, was uns zu dem macht, was wir immer schon waren, dann haben wir möglicherweise die Chance, einen dauerhaften Wandel zu erreichen.

Wabi Sabi kann uns helfen, den Trend von den Plakatwänden zu holen und ihn zum Leitmotiv unseres alltäglichen Lebens werden zu lassen. Es zeigt uns, dass wir bereits alles in uns tragen, was wir benötigen, um uns schön und glücklich zu fühlen. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit nur endlich auf das richten, was wir wirklich brauchen. Dabei können wir Folgendes erkennen: Es genügt nicht, zu bleiben, wie wir sind – wir müssen endlich auch so werden, wie wir sind.

Die Schönheit der Vergänglichkeit

Der junge Sen no Rikyû war begierig darauf, alles über die Kunst des Teeweges, seine Zeremonien und Riten zu lernen, und wandte sich an Meister Takeno Jo-o. Der Meister wollte prüfen, ob Rikyû für diesen Weg geeignet sei, und schickte ihn in seinen Garten, um dort mit dem Rechen für Ordnung zu sorgen. Rikyû machte sich sogleich eifrig ans Werk und arbeitete den ganzen Tag, während Jo-o ihn heimlich dabei beobachtete. Als er seine Arbeit beendet hatte, betrachtete Rikyû sein Werk: Alles war sauber und makellos. Doch irgendetwas stimmte noch nicht. Da lief Rikyû zum Kirschbaum, der in voller Blüte stand, und schüttelte ihn, sodass vier oder fünf Blütenblätter herabfielen und sanft zu Boden glitten. Da wusste Jo-o, dass Rikyû dem Teeweg alle Ehre machen würde, und hieß ihn als seinen Schüler willkommen.

In einer anderen Geschichte befahl Toyotomi Hideyoshi Rikyû, den er zu seinem obersten Teemeister gemacht hatte, zu sich. Vor ihm stand eine flache goldene, mit Wasser gefüllte Schale, neben der ein einzelner Zweig mit roten Pflaumenblüten lag. Hideyoshi befahl Rikyû, beides zu ordnen. Er wusste wohl, dass das ohne weitere Hilfsmittel nicht möglich war. Doch Rikyû setzte sich und griff ohne zu Zögern nach dem Pflaumenzweig, streifte die Blüten ab und ließ sie auf die Wasseroberfläche fallen. Die auf dem Wasser schwimmenden Blütenblätter sahen wundervoll aus – und Hideyoshi musste erkennen, dass Rikyû ein wahrer Meister seiner Kunst war.

Das Herz von Wabi Sabi

In diesen beiden Geschichte ist das Herz von Wabi Sabi enthalten. Rikyû, der im 16. Jahrhundert den Teeweg mit der berühmten Teezeremonie entscheidend prägte, zeigt, wie der Augenblick durch das Unvollkommene und Zufällige eine unverwechselbare Gestalt bekommt. Schönheit liegt nicht in der Perfektion, sondern in der Einzigartigkeit. Erst die Blütenblätter auf dem perfekt geordneten Garten machen ihn zu etwas Besonderem. Vielleicht wird der nächste Wind sie wieder fortwehen, aber der Augenblick ihres Anblicks zählt und macht ihn zu einer individuellen Erfahrung. Auch die Blütenblätter in der goldenen Schale werden sicherlich bald untergehen und verschwinden. Doch genau das macht den Moment ihres Anblicks so kostbar. Diese Schönheit im Angesicht des nicht aufzuhaltenden Wandels der Welt ist das Geheimnis von Wabi Sabi.

Wir leben in einer Zeit und Kultur, in der wir dem Einzigartigen und Unwiederbringlichen kaum mehr Aufmerksamkeit schenken. Wenn wir an Schönheit denken, dann haben wir keine Bilder von der Vergänglichkeit des Lebens vor Augen. Unser Schönheitsverständnis ist geprägt von allem, was neu und makellos ist. Qualität verbinden wir damit, dass Gegenstände möglichst lange so aussehen wie an dem Tag, an dem wir sie gekauft haben. Spuren der Zeit werten einen Gegenstand in unseren Augen ab, und deshalb versuchen wir sie zu vermeiden: unsere Autos dürfen keine Kratzer haben, die Farbe unserer Kleidung muss immer leuchten wie neu, Flecken müssen entfernt werden, und wenn ein Gegenstand sich gar nicht mehr in dieses Schönheitsideal einfügt, dann werfen wir ihn eben weg und kaufen einen neuen.

Das Bewusstsein der Vergänglichkeit

Die Vorstellung, dass nur das Vollkommene und Neue schön sein kann, haben wir auch auf uns Menschen übertragen. Das Ergebnis ist der Jugendwahn, der unsere Gesellschaft derzeit erfasst hat, und der Schönheitskult, der schon junge Menschen bestimmten Idealen unterwirft. Alt werden, Falten zu bekommen – das gilt als großer Verlust. Nicht den gängigen Schönheitsidealen zu entsprechen, zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein sein – das führt zum Gefühl von Minderwertigkeit. Wer nicht jung und schön ist, der fühlt sich schnell ausgeschlossen. Doch natürlich muss sich niemand mit seinem Schicksal abfinden. Wir haben Technologien entwickelt, um auch den unvollkommenen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich an die Idealvorstellungen anzunähern: wir können unser Geld in teure Kosmetik und Schönheitsoperationen investieren und wir können in Fitnessstudios schwitzen und qualvolle Diäten auf uns nehmen, um den gewünschten Maßen zu entsprechen.

Wabi Sabi dagegen bringt uns in Berührung mit einer Schönheit, die diesen Idealen völlig entgegengesetzt ist – und die jeder von uns kennt.

Vielleicht könnten auch Sie eine Geschichte wie die folgende erzählen: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen wundervollen Tag hinter sich, alles lief so, wie Sie es sich vorgestellt hatten und Sie sind bester Laune. Zum krönenden Abschluss entschließen Sie sich, Ihre besten Freunde in ein Restaurant einzuladen, von dem Sie gehört haben, dass es der perfekte Ort ist, um in geselliger Runde den Tag ausklingen zu lassen. Sie sind richtig hungrig und freuen sich schon auf das gute Essen, das es dort geben soll. Sie sitzen mit Ihren Freunden zu Tisch und es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Dann endlich werden die Speisen serviert und schon beim Anblick läuft Ihnen das Wasser im Munde zusammen. Der erste Bissen – und Sie wissen, man hat Ihnen nicht zu viel versprochen: es schmeckt einfach köstlich. Und weil es so gut schmeckt, genießen Sie jeden weiteren Bissen, bis der Teller leer ist. Dann lehnen Sie sich zufrieden zurück, blicken in die Runde und betrachten Ihre Freunde. Sie fühlen das Glück in sich, mit ihnen zusammen zu sein und einen Augenblick der Freude zu teilen.

Haben Sie jemals versucht, einen solchen Augenblick zu wiederholen? Vielleicht haben Sie sich gedacht: Das machen wir gleich nächste Woche noch einmal. Und vielleicht gelingt es Ihnen tatsächlich, Ihre Freunde wieder um sich herum zu versammeln, im selben Restaurant zur gleichen Zeit. Doch irgendetwas ist dieses Mal anders. Das Essen ist gut, aber nicht so köstlich wie letzte Woche. Die Gegenwart Ihrer Freunde ist angenehm, aber die Stimmung ist nicht so ausgelassen. Und dann wird Ihnen vielleicht bewusst, dass sich der erste Augenblick nicht wiederholen lässt – dass er unwiederbringlich vorbei ist.

Unsere Kultur sehnt sich nach der Wiederholung des Schönen und Guten. Wenn uns einmal etwas glücklich gemacht oder Freude bereitet hat, dann versuchen wir es zu wiederholen – in der Hoffnung, dass es uns gelingt, den positiven Effekt erneut hervorzurufen.

Wenn uns Essen Glücksgefühle beschert, dann essen wir mehr. Wenn uns ein Paar neue Schuhe von unserer Trauer ablenkt, dann kaufen wir uns das nächste Mal, wenn wir traurig sind, wieder eines. Wenn wir Spaß auf einer Party hatten, dann können wir es kaum erwarten, bis es wieder Samstagabend ist. Wir wollen von allem viel zu viel und die meisten von uns haben auch von allem viel zu viel: zu viele Bücher, zu viele Musik-CDs, zu viele Möbel, zu viele Kleidungsstücke. Wir essen zu viel, trinken zu viel, arbeiten zu viel.

Wabi Sabi vermittelt eine andere Idee vom Leben. Es geht nicht darum, wie wir es anstellen können, möglichst häufig Augenblicke des Vergnügens zu erleben, sondern um eine Form der Zufriedenheit, die aus dem Bewusstsein der Vergänglichkeit erwächst. Wabi Sabi ist, wenn wir uns an die gute Zeit, die wir mit unseren Freunden bei einem unvergesslichen Dinner hatten, erinnern, aber wir nicht traurig darüber sind, dass es vorbei ist, sondern dem Glück nachspüren, das in uns weiterlebt.

Wabi Sabi

Es ist nahezu unmöglich eine treffende Übersetzung von Wabi Sabi zu geben – zu vieldeutig und zu komplex sind die Ideen, die hinter diesen beiden Wörtern stecken. Sie erkennen am ehesten was damit gemeint ist, wenn Sie einen fühlenden Zugang zu den Begriffen herstellen, statt zu versuchen sie mit dem Verstand zu erfassen. Auf der Ebene der Intuition erreicht Sie das, was Wabi Sabi ist, und auch, was es nicht ist.

Als Europäer können wir wahrscheinlich nur erahnen, welche Vielfalt an Assoziationen dieser Begriff bei einem Japaner auslöst. Und nach einer Deutung dieses Begriffes gefragt, werden wir in der Regel von ihm eine ausweichende Antwort bekommen. Hierin unterscheiden wir westlichen Menschen uns von denen des fernen Ostens: während wir nach klaren Definitionen streben und gelernt haben uns nach der Logik des Entweder-Oder zu richten, bevorzugen Japaner das Vieldeutige, Vielschichtige und Vage. Ihnen ist der intuitive Zugang zur Sprache wichtiger als der, Wörter lexikalisch korrekt einordnen zu können. In der Tradition des Zen wird Mehrdeutigkeit angestrebt, um den Geist nicht dazu zu verleiten, sich an irgendwelche Wahrheiten zu haften.

Wabi – die Sehnsucht in uns

Wabi kommt von dem Tätigkeitswort »wabiru« und bedeutet so viel wie »sich nach etwas sehen«. In Wabi steckt aber auch das Wort »wabishii«, das wir mit »einsam, verlassen, elend« übersetzen können. Lassen Sie diese beiden Wortfelder einen Moment lang auf sich wirken. Welche Bilder steigen in Ihnen auf, welche Landschaften sehen Sie vor Ihrem geistigen Auge? Nehmen Sie sich ruhig Zeit, um ein Bild zu entwickeln, das Ihnen entspricht.

Auch wenn Wörter wie »elend« und »verlassen« einen negativen Beigeschmack für uns besitzen, entsteht in Verbindung mit Sehnsucht so etwas wie ein Verlangen nach Einsamkeit, nach Schlichtheit. Ein Leben, befreit von den Zwängen der materiellen Welt. Armut war schon bei den Zen-Mönchen ein hohes Ideal, denn wer die Bindung an die Materie hinter sich lässt, gewinnt Freiheit und findet den Zugang zu einem spirituelleren Verständnis der Welt. Auch in unserer Kultur haben verschiedene religiöse Gruppierungen diesem Ideal der Entsagung von der Welt nachgestrebt, denken Sie nur an christliche Mönche wie die Franziskaner, die einem einfachen und einsamen Leben nahe der Natur den Vorzug vor jeglichem kulturellen Komfort geben.

Überlegen Sie: Wo spüren Sie die Bindungen an die materielle Welt am deutlichsten? Wann haben Sie das letzte Mal Angst davor gehabt, etwas oder jemanden zu verlieren – Ihren Job, Ihren Besitz, Ihren Partner? Wabi ist ein Zustand, in dem wir diesen Ängsten nicht die Macht geben, unser Leben zu bestimmen. Vielmehr richtet er unser Augenmerk auf das, was wirklich wichtig ist, auf das Wesentliche – und das erfahren wir nicht im Lärm des Alltäglichen und im Blitzlichtgewitter der Eindrücke, das Tag für Tag auf uns niederprasselt.

Wabi erfahren wir dann, wenn wir uns von allen Einflüssen, Ansprüchen und Erwartungen des Lebens zurückziehen und beginnen, uns ganz auf uns selbst zu konzentrieren.

Die Welt zu verlassen, ihr den Rücken zu kehren, bringt uns in Berührung mit dem, was Wabi ausmacht: die Sehnsucht nach etwas, das sich aus unserer inneren Mitte erhebt, sobald wir unsere Aufmerksamkeit nach innen richten – das, was wir von ganzem Herzen sind, und nur wir sein können. Wenn wir all unser Sehnen darauf richten, ganz wir selbst zu sein, verliert die Angst vor dem Verlust dessen, was wir haben, ihre Macht über uns, weil wir wissen, dass alles, was wir brauchen, um ein glückliches und sinnerfülltes Leben zu führen, bereits in uns vorhanden ist.

Sabi – die Flüchtigkeit des Augenblicks

Irgendwann, wenn der Sommer sich verabschiedet hat und die Nächte wieder länger werden, wenn die Blätter sich färben und schließlich verwelkt zu Boden fallen, wenn der erste Frost sich über die Fluren legt, entsteht ein Gefühl, das dem Begriff Sabi am ehesten gerecht wird. In ihm schwingt die Melancholie des Herbstes, dem Sinnbild für die Vergänglichkeit: Alles verändert sich, nichts bleibt, wie es ist und alles findet irgendwo sein Ende. Vielleicht ist Ihnen Sabi schon begegnet – in alten, verfallenen Häusern, an abgelegenen Orten, an denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, aber auch auf vergilbten Fotos, in der Patina alter Möbel und dem Geruch vergangener Tage.

Nostalgie kommt der Stimmung von Sabi sehr nahe. Jene Gefühle, die uns überkommen, wenn wir uns an unsere Jugendzeit erinnern, an eine verflossene Liebe oder an Augenblicke unseres Lebens, in denen wir glücklich waren und die nun der Vergangenheit angehören. Sabi bedeutet, sich der Veränderung nicht entgegenzustellen, sondern sie als natürlichen Teil des Lebens zu akzeptieren, ja sogar den Gedanken an die Endlichkeit der Welt zur Kraftquelle für die Gegenwart zu machen. Aber mehr als einen Anflug von Melancholie kennzeichnet Sabi nicht. Eher gleicht es einer heiteren und gelassenen Haltung angesichts der Flüchtigkeit des Augenblicks und der Unbeständigkeit der Welt. Alter, Einsamkeit, Sterben und Tod – mit den Augen von Sabi betrachtet verlieren sie ihren Schrecken und bewahren ihre natürliche Schönheit.

Wabi Sabi – das Ideal einer ganzen Kultur

Es ist interessant, dass diese beiden Wörter, die ursprünglich weniger angenehme Gemüts- und Lebensumstände des Menschen beschrieben haben, im Laufe der Zeit zum erstrebenswerten Ideal einer ganzen Kultur wurden. Sie spiegeln eine Lebensweise wider, die von einem anderen Verständnis von Glück und dem Sinn des Lebens geprägt ist, als das der meisten Menschen in der westlichen Welt.

In der japanischen Kultur gehören beide Begriffe fest zusammen: wer Wabi sagt, meint Sabi und umgekehrt. Zusammengenommen beschreiben sie in der umfassendsten Form eine bestimmte Lebensführung und in ihrer engsten Bedeutung eine bestimmte Vorstellung von Schönheit.

Zentrale Themen wie Jugend und Alter, was wir schön und was wir hässlich finden, Leben und Tod werden im Einklang mit den natürlichen Rhythmen von Werden und Vergehen gesehen. Wabi Sabi vermittelt uns, dass unser Leben vergänglich ist und dass es darauf ankommt, wesentlich zu werden. Das heißt, herauszufinden, was wir wirklich brauchen und was uns als Individuum einzigartig und unverwechselbar macht. Wer in seinem Leben die Eigenschaften von Wabi Sabi zum Leitmotiv seiner persönlichen Entwicklung macht, wird unabhängig von den Wahrheiten anderer, den Idealen der Gesellschaft und den Konventionen der Kultur. Er wird Zufriedenheit und Lebenskraft aus sich selbst schöpfen.

Wabi Sabi bedeutet, sein Leben in Richtung größerer Einfachheit zu wenden, indem wir auf das verzichten, was überflüssig ist und uns bei der Erfüllung unserer eigentlichen Wünsche nur im Wege steht. Wir dürfen aber nicht erwarten, dass Wabi Sabi uns mit einer Fülle kluger Ratschläge versorgt, die unseren Alltag einfacher machen. Das Leben muss aus dem Blickwinkel von Wabi Sabi nicht simpler werden, sondern sich stärker an unseren ureigenen Interessen, an dem, was uns als Individuum ausmacht, orientieren: Was nutzt es, wenn ich weiß, wie ich meine Akten effektiver sortieren, meinen Schreibtisch leichter in Ordnung halten und meine Zeitplanung besser in den Griff bekommen kann, wenn die Umstände, unter denen ich meine Arbeit verrichte, meinem Wesen widersprechen, wenn der Beruf selbst mich immer weiter von meinen eigentlichen Zielen und Wünschen abbringt.

Nach den Prinzipien von Wabi Sabi zu leben, heißt nicht, sein Verhalten hier und dort zu verbessern, um sich noch besser in den Alltag einzufügen, noch angepasster zu werden, sondern dem Leben insgesamt mit einem anderen Bewusstsein zu begegnen.

Wabi Sabi als Lebensprinzip