Wado-Ryu Karate - Frank Miener - E-Book

Wado-Ryu Karate E-Book

Frank Miener

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Beschreibung

Karate in all seiner Faszination setzt intensives Training voraus. Das vorliegende Buch unterstützt Karateka beim Erlernen der Techniken des Wado-Ryu-Karate bis zum schwarzen Gürtel. Mit Detailerläuterungen der Grundtechniken, der Kata und der wichtigsten Partnerübungen ist es ein Nachschlagewerk und Ergänzung zum Üben im Dojo, in das Jahrzehnte Trainingserfahrung eingeflossen sind.

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Seitenzahl: 183

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Der Familie.

Warum dieses Buch?

Karate fasziniert und beschäftigt mich seit fast 40 Jahren – und die Faszination lässt auch nicht nach, sie wächst vielmehr mit jeder Trainingseinheit und jedem Lehrgang. Viele Jahre davon habe ich die Kampfkunst auch unterrichtet und dadurch selbst viele Dinge erarbeitet, erfahren und gelernt; insbesondere, seitdem ich mein „eigenes" Dojo habe, in der viele Karateka mit mir trainieren.

Deshalb habe ich über die Jahre immer wieder Notizen gemacht, versucht Wissen zu sammeln und gemeinsam zu erarbeiten. Denn Karate lernt und lehrt man im Dojo, jedes Mal aufs Neue. Dazu gehören aber auch die vielen Lehrer, die ich hier und da hatte und die Menschen, die mich vorangetrieben haben. Ich kann hier nur wenige Karateka aufzählen, deren Lehrgänge mir etwas gebracht haben: Teruo Kono mit seinen Gästen, Shuzo Imai, Andreas Modl, Heinrich Reimer, Werner Buddrus sowie einige Menschen aus anderen Stilrichtungen. Es waren mehr, sie alle sind gemeint.

Die so gesammelten Notizen, Gedanken und Erfahrungen habe ich jetzt zusammengefasst, um allen am Wado-Ryu Interessierten eine Handreichung zu geben. Dabei kann und soll das Buch die bestehenden Werke unter anderem von Teruo Kono und vielen anderen Autoren weder verdrängen noch ersetzen.

Es soll sie vielmehr dahin gehend ergänzen, dass mit dem Buch gearbeitet werden kann. Es soll ein Nachschlage-, aber auch ein Nachdenkwerk sein. Wenn es bei der Entwicklung auf dem Weg hilft, freue ich mich sehr.

Mein Dank für dieses Projekt gilt neben meiner Familie dabei vor allem Birgit, die mich tatkräftig und in vielerlei Weise im und außerhalb des Dojos unterstützt sowie als Modell für die Fotos bereitgestanden hat.

Darüber hinaus danke ich allen Personen, die mich unterstützen wie Peter und Günther, der mal mein Lehrer war und nun bei uns mit trainiert. Und natürlich allen anderen, die meinen Karateweg in unserem Dojo begleiten oder deren Weg ich begleiten durfte und die meine Idee dieser Kampfkunst vielleicht ein wenig annehmen konnten.

Das verbinde ich mit einer Aufforderung: Bleibt dabei, übt fleißig und überholt mich. Dann habe ich alles richtig gemacht.

Bremerhaven, im November 2022

Frank Miener

Wie dieses Buch zu benutzen ist...

Noch ein Buch über Karate?

Klar, warum denn nicht.

Dieses Buch erzählt, wie wir in unserem Dojo Karate verstehen und leben, wie wir die Technik ausführen. Vielleicht bekommt darüber hinaus ein Leser oder eine Leserin eine Idee, was Karate alles bieten kann. Um das aber zu erreichen, muss man dieses Buch richtig lesen.

Zunächst findet sich daher eine übersichtliche Einführung in das Wado-Ryu-Karate und die Gedanken dahinter. Hier sollten der geneigte Leser und die geneigte Leserin aufmerksam sein, denn es werden Begriffe und Prinzipien erläutert, die weiter hinten immer wieder ohne Erklärung genutzt werden. Ebenso ist ein wenig Nachdenken über die Aussagen sicher nicht falsch.

Der wesentliche Teil ist aber natürlich die technische Beschreibung. Hier werden für (fast) jede Technik bis zum 1. Dan – dem ersten schwarzen Gürtel - Beschreibungen und Hinweise gegeben, worauf beim Üben zu achten ist. Das gilt für die Grundtechniken wie für Kata und das elementare Kihon Kumite, das hier abgebildet und erläutert wird. Dieser Part soll beim Erinnern unterstützen und beim Lernen helfen. Deshalb werden Begriffe immer wieder verwendet, damit das Buch ein schnelles Nachschlagewerk sein kann, das soll es sein.

Was es nicht soll und was es nicht kann, ist das Üben im Dojo zu ersetzen. Karate lebt und Karate muss gelernt und geübt werden. Das funktioniert nur im Anzug, im Dojo mit einem Lehrer oder einer Lehrerin.

Aber wenn der mal nicht da ist, das Wochenende lockt und man im Garten selbst ran will, dann tut dieses Buch sicher seine Dienste. Und dafür ist es gedacht.

Bitte aber niemals vergessen, sich aufzuwärmen (was hier schlicht aus Platzgründen nicht beschrieben wird) – Verletzungen aus Eigenübungen sind immer nervig, schließlich muss man dann im Dojo pausieren.

Das will ja aber auch keiner, oder?

Inhalt

Kapitel 1: Karate – Ein Weg zu sich selbst

Wado-Ryu

Das Wesen des Wado-Ryu

Die Basis des Wado-Ryu

Alles auf einmal: Sanmi ittai

Nagasu – Im Karate ist alles immer im Fluss

Eine Frage der Mitte - das Hara steht im Zentrum

Noru, inasu, nagasu, irimi, kuzushi

Die Sache mit der Energie

Das Ding mit der Abwehr

Das Üben des Wado-Ryu

Kapitel 2 – Die Technik

Spannung, Lockerheit und die leidige Atmung

Ein paar Begriffe vorweg

Kihon

Die Waffen des Karateka

Hände und Arme

Füße und Beine

Ziele – Kyusho

Höhenstufen

Tachi Dosa – Stände im Wado-Ryu

Verwandtschaft aller Stände

Einzelne Stände

Drehungen und Wendungen

Tsuki Waza

Junzuki

Kette Junzuki (Nidozuki)

Junzuki No Tsukomi

Gyakuzuki

Gyakzuki No Tsukomi

Tobikomizuki / Nagashizuki

Keri Waza

Maegeri

Mawashigeri

Fumikomi

Kakatogeri

Sokuto (Fumikomi)

Yokogeri

Hizageri

Ushirogeri

Ushiromawashigeri

Tobi Geri

Uke Waza

Uchi Uke

Soto Uke

Jodan Age Uke

Jodan Nagashi Uke

Barai Uke

Uchiharai Uke

Sotoharai Uke

Otoshi Uke

Haishu Uke

Shuto Uke

Shikkake Uke

Uchi Waza

Shuto Uchi

Uraken Uchi

Tettsui Uchi

Taisho Uchi

Haito Uchi

Nukite Uchi

Empi Uchi

Kata

Struktur der Kata im Wado – Ryu – Neun für alles

Ein lebendes Wesen

Die „Einsteigerkata"

Pinan Nidan

Pinan Shodan

Pinan Sandan

Pinan Yondan

Pinan Godan

„Fortgeschrittene" Kata

Naihanchi

Kushanku

Seishan

Chinto

Kumite

Form

Prinzipien

Bestimmte Formen im Überblick

Ippon und Sanbon Kumite

Ohyo Kumite

Tantodori

Idori Kumite

Kihon Kumite

Formelles und die erste Aktion

Ipponme (Nr. 1)

Nihonme (Nr. 2)

Sanbonme (Nr. 3)

Yonhomne (Nr. 4)

Gohonme (Nr. 5)

Kapitel 3 – Drumherum

Organisationswirrwarr!?

Anziehend: Die Kleidung – Der Gi

Übersicht: So sollte der Gi getragen werden

Der Gürtel

Das Binden

Die Gürtelfarben und die Graduierungen

Im Dojo

Die Form als Grundlage

Darf man Spaß haben?

Respekt

Das Dojokun

Wado-Ryu Dojo Kun (Wadoryu Renmei, Otsuka Hironori)

Wado Kokusai Karate-Do Renmei (Suzuki Tatsuo)

Das Dojo und die Form

Vor dem Betreten des Dojo

Der An- und Abgruß

Ausführung des An- und Abgrußes

Ritsu Rei – Verbeugungen

Verhalten bei Erklärungen des Trainers

Kapitel 4 – Service

Kyu-Prüfungsprogramm DKV

Vorschlag eines geeigneten Prüfungsprogramms

9. Kyu – Weißgurt

8. Kyu- Gelbgurt

7. Kyu – Orangegurt

6. Kyu – Grüngurt

5. Kyu – Blaugurt

4. Kyu – Violettgurt

3. Kyu – Braungurt

2. Kyu – Braungurt

1. Kyu – Braungurt

Glossar

Verbände

Zum Weiterlesen

Bildnachweise

Über den Autoren

Kapitel 1 : Karate – Ein Weg zu sich selbst

Was ist Karate? Nun, die Frage würde wohl ein eigenes Buch füllen, ohne auch nur eine Technik zu beschreiben. Denn jeder und jede sieht es anders. Kampfsport, bei dem man Weltmeister werden kann? Ja. Kampfkunst, bei der man lernt, sich zu verteidigen? Ebenso ja. Ein Weg, körperlich fit zu werden und auch gesundheitliche Schäden in den Griff zu bekommen? Auf jeden Fall. Ein Weg zu sich selbst? Auch das ist Teil des Wesens des Karate.

Es gibt nicht viele Sportarten, wenn wir einfach mal den Begriff Sportart verwenden wollen und doch auch die anderen Bereiche damit meinen, die diese Aspekte alle abdecken. Natürlich ist Sport gesund, fördert, kräftigt. Natürlich kann man sich auch in vielen anderen Sportarten immer weiter verbessern, Pokale und Titel gewinnen und Ansehen erlangen.

Doch geht das auch immer lebenslang?

Karate fordert körperlich und es fordert geistig. Dabei ist das schon ein Paradoxon: Je länger ich Karate betreibe, desto mehr lerne ich – und desto weniger muss ich nachdenken. Ziel des Karatetrainings ist es auch, immer weniger nachzudenken und immer mehr aus dem Körper heraus zu unternehmen. Karate muss man fühlen, dann fühlt es sich auch gut an. Dann ist es natürlich.

Dazu muss man sich überwinden. Immer wieder dieselben Übungen, immer wieder gesagt bekommen, dass das doch anders gehe. Zwei Lehrer haben auch zwei Meinungen, das ist anstrengend. Doch genau hier liegt die Chance, sich selbst zu stärken. Denn das Ziel ist es ja, sich zu entwickeln und nicht eine bloße Kopie dessen zu sein, was einem vorgelebt wird. Das schafft man aber wiederum durch das ständige Wiederholen. Denn wie lernt man? Durch Abschauen und Nachmachen, durch Verstehen und schließlich dadurch, dass man sich darüber Gedanken macht und von dem einst Gezeigten abweicht und etwas Eigenes entstehen lässt.

Dieses Prinzip nennt man shu ha ri. Es hat sich bewährt.

Doch der Weg dahin ist nicht immer einfach. Das Problem ist dabei nicht nur die immer wieder notwendige Überwindung, den tausendsten Fauststoß zu üben und diesen dann noch exakt so auszuführen, wie auch alle anderen aussehen sollen. Hier steht der innere Schweinehund sehr wohl manches Mal im Weg. Auch kommen unbequeme, unbekannte Bewegungen hinzu, die vielleicht Schwierigkeiten bereiten und zugleich Herausforderung bedeuten. Auch ist es eine Überwindung, mit einem Partner oder einer Partnerin zu arbeiten, zu attackieren und zu agieren. Immerhin besteht eine Verletzungsgefahr, der Mut und der Willen müssen jedoch da sein.

All das ist eine große Herausforderung, die in der Kampfkunst, der Sportart Karate zu finden ist. Je nachdem, was der jeweilige Schwerpunkt in der jeweiligen Lebensphase ist, verändern sich die Anforderungen. Die wenigsten sind Wettkämpfer, noch weniger auf Spitzenniveau und auch das nur für wenige Jahre. Die meisten Karateka sind Breitensportler und Breitensportlerinnen, die Spaß an der Bewegung haben, sich in einer guten Gruppe bewegen wollen und eine Gemeinschaft suchen, mit der man auch außerhalb des Trainings etwas unternehmen kann. So ist es gut und richtig, denn Karate bietet jedem und jeder etwas.

Doch noch etwas anders kann unseren Weg im Karate beeinflussen, positiv wie negativ. Der Sport ist intellektuell und körperlich fordernd, dennoch kann ihn jeder und jede erlernen. Die Schwierigkeit ist sicherlich, einen guten Lehrer zu finden, der im Idealfall auch ein sensei wird. Der viel zeigt und die Richtung vorgibt, aber auch weiß, dass nicht immer alles für jeden geeignet ist.

Gerade in den Kampfkünsten birgt das auch eine Gefahr. Entstanden sind sie mit der asiatischer Philosophie im Hintergrund, der japanischen Kultur und Geschichte, der Sozialisierung der „Erfinder", und das im Kontext ihrer Zeit.

Einflüsse, die ein Europäer nur selten kennt und noch weniger aufnehmen kann.

Leider sind aber im Karate viele Menschen unterwegs, die anderer Meinung zu sein scheinen. Sie sind in Europa geboren, hier aufgewachsen, sie arbeiten und leben hier. Europäer durch und durch. Doch sie versuchen dennoch, über Bücher oder Filme, vielleicht über persönliche Bekanntschaften erworbene Ahnung des asiatischen Lebens in ihren Unterricht zu übertragen. Methoden und Ansichten klaffen dann mit der Realität häufig weit auseinander. Auch damit müssen Karateka umgehen können, und auch hier müssen sie ihren eigenen Weg finden.

Diese Herausforderung ist groß, doch sie ist zu schaffen. Karate erfordert sicherlich die Beachtung der Werte aus seiner Geschichte und der damaligen Kultur, doch diese einfach zu kopieren und unreflektiert einzufordern, greift zu kurz. Es ist viel wichtiger, die traditionellen Werte und Ansichten zu kennen und zugleich in das eigene System zu integrieren. Dann wird man sich selbst sehr schnell auf einem Weg finden, der Respekt und Demut, den Karate ebenso lehrt wie Selbstbewusstsein und innere Stärke, mit einem guten Lebensweg zu verbinden.

Dazu muss man sich nicht japanisieren, genauso wie Japaner sich nicht europäisieren müssen. Wichtiger, viel wichtiger ist, dass die Werte und Umgänge entsprechend gelebt werden müssen. Und das lehrt Karate durch das regelmäßige Training ebenso wie die Selbstbetrachtung eines und einer jeden.

Dieses Hindernis ist überwindbar, und es ist einfach überwindbar. Am Ende muss man sich auf das Karate-Training in all seinen Facetten einlassen, um loszulassen. Das gilt für jede Trainingsform und für jede Übung.

Dazu kommt aber noch ein ganz wichtiger Punkt, der oft außer Betracht bleibt: Karate findet im Hier und im Jetzt statt. Was letztes Mal war, ist egal, was nächstes Mal sein wird, ist spannend. Entscheidend ist aber der Moment. Egal, ob ich mich auf eine Weltmeisterschaft mit einem umfangreichen Trainingsprogramm vorbereite oder auf die nächste Gürtelprüfung, was im Übrigen kein großer Unterschied ist. Die Zeitpunkte kommen, und dann ist das Karate ein anderes als das heute im Training. Dies muss man verstehen und annehmen. Sprich: Die Technik wird geübt, und die der steten, jahrelangen Wiederholung innewohnende Langeweile ist kein Problem mehr. Das führt zu guter Technik – und zu mehr.

Denn: Am Ende sollte der Kopf beim Karate keine sehr große Rolle mehr spielen, das Herz jedoch vielmehr. Denn wenn das Erlernte gefühlt wird und es sich gut anfühlt, ohne großartig über das gerade Ausgeführte nachzudenken, dann hat man Harmonie erreicht. Harmonie mit der Energie, mit der Technik, aber auch mit sich selbst.

Dann ist Karate im Fluss. Und das kann es lebenslang sein. Egal, ob Sport, Kampfkunst, körperliches Aufbautraining oder einfach nur ein Hobby, das begeistert.

Wado-Ryu

Karate besteht aus einer Sammlung von teils sehr unterschiedlichen Körperbewegungen. Diese Aussage ist simpel und wird bei Enthusiasten womöglich sofort Widerspruch erzeugen – jede einzelne Bewegung habe ihre Bedeutung und sorgt für etwas anderes im Körper und im Kopf. Das stimmt. Doch nüchtern betrachtet, ist es dennoch nichts anderes, als ein System der Körperbeherrschung. Bestimmte Formen werden auf eine bestimmte Art und Weise ausgeführt, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen.

Oder anders gesagt: Karate ist ein großer Topf mit einer wohlriechenden und gut schmeckenden Suppe. Und zwar jedes Karate, das auf diesem Planeten geübt wird.

Dennoch gibt es Unterschiede, und diese liegen in den Zutaten der Suppe. Diese machen die Würze aus, den Geschmack, die Dicke und noch vieles mehr. Das führt dazu, dass Karate in unterschiedlichen Varianten vorliegt, und diese Varianten unterscheiden sich teils erheblich. Mehr noch: Die Köche wechseln, und damit auch Zutaten. Während der eine einst nur eine Prise eines Gewürzes in die Suppe gegeben hat, dafür aber viel Fisch, hat der andere mehr Gewürz genommen und den Fisch etwas reduziert. Der Dritte wiederum gibt noch eine weitere Zutat hinzu und hat eine noch wieder andere Suppe im Topf. Und trotzdem ist das alles Karate.

Man könnte jetzt meinen, das verwässere doch alles. Genau das ist jedoch nicht der Fall, im Gegenteil. Es haben sich große Strömungen und Richtungen ausgeprägt, die voneinander abgucken und lernen, die sich austauschen und die sich auch kritisch beäugen. Letztlich ist alles Karate, und doch haben diese Gruppen, Grüppchen und Fraktionen andere Ansätze, um das Ziel der beinahe perfekten Technik zu erreichen.

Karate stammt aus Okinawa, dort war es lange eine eher geheime Kunst, ein Lehrer mit wenigen Schülern. Erst Ende des 19. Jahrhunderts kam es aus der der Nische und wurde öffentlich. An Schule wurden Klassen eingerichtet, Dojos organisierten sich anders als früher und Massenunterricht kam auf.

Noch später, etwa 1920, kam Karate dann auf die japanischen Hauptinseln, gebracht und gelehrt von Funakoshi Gichin (wir schreiben die Namen hier in der japanischen Form, den Nachnamen also als erstes), heute als Begründer des japanischen Karate angesehen und Schöpfer des Shotokan, einer Stilrichtung, die wiederum viele verschiedene Gruppen hat. Doch Shotokan, auch wenn es bis heute in Deutschland vorherrschend ist, ist nicht einmal in Japan dominant. Viele große Stile gibt es dort, sie sind alle direkt auf Okinawa zurückzuführen.

Alle, bis auf einen. Denn ein Schüler Funakoshis, der dort bereits Großmeister in einer klassischen japanischen Kampfkunst gewesen ist, hat in kurzer Zeit Karate gelernt und mit seiner eigenen Kunst verbunden: Otsuka Hironori.

Aus dieser Verbindung ist eine Stilart entstanden, die wohl die japanischste aller „alten" großen Stile ist. Otsuka hat dabei nicht beide Systeme „aneinandergeklebt", sondern sie systematisch verbunden und verwoben. Basis waren unter anderem die Schwertkampfkünste, die heute noch in Techniken wie Tobikomi Nagashizuki zu finden sind, und die klassischen Karatetechniken.

1934 wurde seine Stilart unter dem Namen Wado-Ryu registriert und damit offiziell erschaffen. Heute ist sie eine der großen japanischen Richtungen, mindestens ein Viertel der Karateka des Landes üben diese Form.

Hier finden sich viele Kampfkonzepte, die anderen Stilarten in dieser Form fremd sind, die sie teils aber übernommen haben. Im Folgenden sollen die wichtigsten Konzepte vorgestellt werden – doch immer sei daran erinnert, dass sie gelebt und geübt werden müssen, und das geht nur in einem Wado-Ryu-Dojo, in dem diese bekannt sind und vermittelt werden.

Das Wesen des Wado-Ryu

Was also macht diese einzigartige Symbiose aus? Wado-Ryu verbindet eine relativ harte Technik mit Schlägen und Tritten mit einer weicheren, fließenden Kampfsystematik, die aus dem Schwertkampf entstanden ist und auch Ausweichbewegungen und Hebeltechniken beinhaltet.

Ein Wado-Ryu-Karateka hat mithin als Ziel, mit minimalem Kraft- und Energieaufwand und ohne überflüssige Bewegung dafür zu sorgen, nicht mehr dort zu stehen, wo ein Angreifer hinschlägt – und zugleich die Kontrolle, die Oberhand und letztlich den Sieg in der Konfrontation zu erlangen.

Doch wie wird das möglich?

Erreicht werden soll dieses Ergebnis durch die im Wado-Ryu verankerten Prinzipien. Diese stellen die Grundlage des gesamten Systems dar und sollen von den Karateka nach und nach verinnerlicht werden, bis sie automatisch angewendet werden können. Zu finden sind sie in allen Techniken und allen Formen, vom einfachen Stand bis zur komplexen Übung im Kihon Kumite und dem Kumite Gata.

Sie bilden die Basis des Stils.

Die Basis des Wado

Um die Prinzipien zu erfassen, ist zunächst der Grundgedanke wichtig. Dieser drückt sich im ursprünglichen Namen aus, unter dem Otsuka seinen Stil hat registrieren lassen: TEN CHI JIN No RI-DO ni Wa suru. Diese japanischen Begriffe und ihre Schriftzeichen – Kanji – haben besondere Bedeutung, die das gesamte Konzept ausdrücken sollen.

TEN steht für den astronomischen und den religiösen Himmel sowie die Luft.

CHIist das Zeichen für die Erde, den Boden und die „Erdung".

JINsteht sowohl für den einzelnen Menschen als auch die Menschheit.

RI-DO umfasst den Geist oder Verstand und die Wahrheit.

WA schließlich steht für das Ganze, Frieden und Harmonie, aber auch für Japan.

Die Verbindung von Himmel, Erde und Mensch wird in diesem Symbol erkennbar:

Der Mensch, der in der Mitte steht, wird daher sowohl den Himmel anstreben als auch fest verwurzelt auf der Erde stehen. Dies kann metaphorisch zu verstehen sein oder auch ganz handfest für die einzelne Technik. Man nutzt Schwerkraft, man nutzt die Höhe und man nutzt den Verstand des Menschen, um im Kampf zu bestehen.

Alles auf einmal: Sanmi ittai

Daraus leitet sich ein Grundprinzip ab, das in Partnerübungen, dem Kumite, aber auch in allen anderen Formen enthalten ist: sanmi ittai.

Dieser Begriff ist die „Dreifaltigkeit des Wado-Ryu". Er drückt aus, dass eine Technik nur dann Erfolg haben kann, wenn die wichtigen Elemente alle enthalten sind:

Nur wenn bei einer Übung alle diese Elemente vorliegen, kann sie erfolgreich sein. Praktischerweise lassen sich diese Elemente natürlich am Partner am besten üben, doch der Gedanke muss in jeder einzelnen Form immer umgesetzt werden, um für den Ernstfall bereit zu sein.

Doch mit sanmi ittai allein ist das Ziel sicher noch nicht zu erreichen, es kommen noch andere wesentliche Elemente hinzu. Insbesondere muss ein Wado-Ryu-Karateka immer darauf hinarbeiten, dass Technik, Geist und Körper im Fluss sind.

Nagasu – Im Karate ist alles immer im Fluss

Karate ist eine lebendige, sich anpassende Kampfkunst, die ständig im Fluss ist. Der Fluss ist sowohl in den Fertigkeiten der Karateka als auch in der jeweiligen Ausführung der Technik zu finden. Menschen sind unterschiedlich: Größe, Gewicht, Geschlecht, Vorbildung, Verletzungen und auch die Tagesform bestimmen, wie ein Mensch in diesem Moment agieren kann. So wie also die jeweilige Situation nie gleich ist, so ist auch eine Karate-Technik nie gleich. Karate passt sich immer dem Menschen an, nicht aber der Mensch dem Karate.

Dafür wird ein Begriff verwendet, der nicht nur auf eine technische Fertigkeit ausgerichtet ist: nagasu. Nagasu, auch nagashi oder nagare, bezeichnet ein vollständiges Konzept. Dieses wird nicht nur in der Karate-Technik erkennbar, sondern im kompletten Gedanken dahinter. Ein einfaches Beispiel: Der Name Wado-Ryu, den die Stilrichtung heute trägt, setzt sich aus drei Worten zusammen: Wa – Do – Ryu.

Während aber „Do" recht einfach mit „Weg" übersetzt werden kann und „Ryu" meist (unzureichend] als „Schule dieses Weges" verstanden wird, müssen auf „Wa" mehr Gedanken aufgebracht werden.

Was hat das mit Fluss zutun, mit nagasu?

Zunächst steht das Schriftzeichen „Wa" für das Wort „Frieden", ebenso wie für „Harmonie" – und für „Japan". Allein hierin sieht man, dass Begriffe nicht fest, sondern fließend sind: So kann Wa-Do sowohl „Weg des Friedens" bedeutet also auch „Weg der Harmonie".

Oder eben „japanischer Weg", was darauf hindeutet, dass in den alten, großen Stilen aus Japan Wado-Ryu auch als einziger Karate-Stil verstanden werden kann, der sowohl das To-De aus Okinawa als auch die Konzepte und Ideen der japanischen Kampfkünste umfasst und miteinander verbindet.

Dies führt zu einer Harmonie, weshalb das Kanji ebenso geeignet ist wie das synonyme „Frieden". Diese Harmonie liegt dann vor, wenn alles gemeinschaftlich und im Fluss geschieht. Und genau hier zeigt sich, dass der komplette Begriff „Wado-Ryu" genau dieses Konzept umfasst. Damit aber nicht genug: „Fluss" wiederum ist eine weitere Bedeutung des Schriftzeichens für „Ryu".

Was also bedeutet „Wado-Ryu" eben neben „Die Schule des Weges des Friedens" auch? Eine Antwort könnte sein: „Die Harmonie ist immer im Fluss".

Und was bedeutet das nun für die Karate-Technik?

Nagasu bedeutet „im Fluss". Nimmt man an, dass sich dies nicht nur auf die rein technische Ausführung beschränkt, sondern auch die geistige Haltung in dem Moment der Ausführung wichtig ist und mit der Technik übereinstimmen muss, so bedeutet nagasu auch, dass eine Technik von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende (das nicht immer am Ende der Grundform liegen muss, sondern auch danach noch zu finden ist) harmonisch und in einem Zug ausgeführt werden muss.