WAGNER – Putins geheime Armee - Marat Gabidullin - E-Book

WAGNER – Putins geheime Armee E-Book

Marat Gabidullin

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Beschreibung

»Unser Geschäft ist der Tod – und das Geschäft läuft gut.« PMC (Private Military Company) WAGNER ist ein privates russisches Sicherheits- und Militärunternehmen, dessen Einheiten verdeckt operieren und als besonders brutal gelten. WAGNER war während der russischen Machtübernahme auf der Krim sowie in Syrien, im Sudan, in Mali  aktiv und ist es aktuell auch in der Ukraine.  Der private Charakter von Putins Schattenarmee WAGNER hat den Vorteil, dass offizielle Aufträge abgestritten und jegliche Konventionen oder Völkerrecht ignoriert werden können und auch Verluste dieser Einheiten keine Rolle spielen. Finanzielle und politische Interessen vermischen sich. Die Verbindungen der WAGNER-Gründer zu Putin sind offensichtlich. Obwohl WAGNER-Soldaten kein Teil der russischen Streitkräfte sind, werden verdiente Kräfte mit Orden dekoriert. Der WAGNER-Söldner Marat Gabidullin gibt erstmals einen Einblick in das Innenleben der WAGNER-Truppe. Die Schilderungen von Marat Gabidullin werden durch ein Vorwort der französischen Journalistinnen Ksenia Bolchakova und Alexandra Jousset eingebunden, die auch einen Dokumentarfilm über ihn und die Gruppe WAGNER gedreht haben.

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WAGNER – Putins geheime Armee

Der Autor

Marat Gabidullin, geboren 1967, diente zehn Jahre als Berufssoldat bei den russischen Luftlandetruppen. Nachdem er sich mit der russischen Mafia eingelassen hatte und kaltblütig einen Mann tötete, landete er für drei Jahre im Gefängnis. Mit 43 heuerte er bei der russischen Privatarmee WAGNER an, wurde auf der Krim und in Syrien eingesetzt und dort schwer verwundet. Er ist der erste WAGNER-Soldat, der ein Buch schreibt.

Marat Gabidullin

WAGNER – Putins geheime Armee

Ein Insiderbericht

Aus dem Französischen von Christiane Koschinski und Jörg Lukas

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Die französische Übersetzung, die Basis dieses Werkes ist, erschien 2022 unter dem Titel Moi, Marat, ex-commandant de l’armée Wagnerbei Éditions Michel Lafon, Neuilly-sur-Seine Cedex

© der OriginalausgabeCopyright © Марат Габидуллин, 2021Copyright © Издательство »Гонзо«, 2021Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 

Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Alle Rechte vorbehaltenTitelgestaltung: total italic - Thierry Wijnberg, BerlinTitelmotiv: © Shutterstock/Filipchuk MaksymAutorenfoto: © privatE-Book Konvertierung powered by pepyrus.comISBN: 978-3-8437-2850-8

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

VORWORT

EINLEITUNG

1 AUF DEM WEG ZUR KOMPANIE

2 DIE MISSION IN LUHANSK

3 DER ABFLUG

4 VORBEREITUNG AUF DEN KAMPF

5 SALMA

6 HERREN DER WELT

7 DIE BÜRDE DES KOMMANDOS

8 RUHETAG

9 DIE »TODESMUTIGEN« FALKEN

10 ZWISCHEN ZWEI FEUERN

11 DER VERPASSTE SIEG

12 IM BASISLAGER

13 EIN TAG IN DER REGION KINSABBA

14 DER ANGRIFF, DER NICHT STATTFAND

15 DIE EROBERUNG VON KINSABBA

16 ZUSAMMENSTOSS MIT ISLAMISTEN

17 DIE KOPEKE

18 EINE VERLORENE SCHLACHT

19 AUF DEM WEG NACH PALMYRA

20 WIR HABEN’S GESCHAFFT!

21 DIE VERLETZUNG

22 KOMA

23 DIE AUSZEICHNUNG

24 ZURÜCK NACH SYRIEN

25 BEQUEM AN DIE FRONT

26 HAJJAN

27 DER PREIS DES ERFOLGS

28 DER ARZT

29 DIE VERLEGUNG

30 PALMYRA, 2. AKT

31 UND WAS IST MIT MEINEN PRÄMIEN?

32 AM PASS

33 AL-SCHAAR

34 STÜTZPUNKT HMEIMIM

35 SYRIEN OHNE MICH

NACHWORT

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

VORWORT

Widmung

Den Naiven gewidmet, die Sinn suchen, wo keiner ist.

VORWORT

des französischen Herausgebers

Die Idee, das Buch von Marat Gabidullin zu veröffentlichen, entstand im Frühjahr 2021. Die Russlandexpertin der Tageszeitung Libération, Veronika Dorman, hatte uns darauf aufmerksam gemacht, dass die Journalistinnen und Regisseurinnen Ksenia Bolschakova und Alexandra Jousset einen Dokumentarfilm über die Gruppe Wagner gedreht hatten: Wagner, Putins Schattenarmee wurde am 22. Februar 2022 ausgestrahlt. Es war den beiden gelungen, ein Interview mit einem früheren Kommandanten der Söldnerarmee zu führen, der bereit war, an die Öffentlichkeit zu gehen. Sein Buch erschien wenig später trotz der damit verbundenen Risiken bei dem unabhängigen russischen Verlag Gonzo. Der Name Wagner war seinerzeit in aller Munde. In Mali war eine Militärjunta an die Macht gekommen, und es gelang den Söldnern bald, die französischen Truppen zu ersetzen, die dort im Rahmen der Operation Barkhane gegen die Dschihadisten vorgingen. Berichte über Kriegsverbrechen in Syrien, in der Zentralafrikanischen Republik und in Libyen machten die Runde. Dass die Russen zunehmend in Gebiete vordrangen, die traditionell unter französischem Einfluss standen, war faszinierend, verwirrend und beunruhigend zugleich. Umgehend fanden Gespräche mit dem russischen Verlag Gonzo statt und später auch mit Marat Gabidullin. Allen war bewusst, welche Tragweite dieser Insiderbericht hatte. Deshalb gab es zunächst den Vorschlag, das Buch unter dem geheimnisvollen Titel Deux fois dans la même rivière (Zweimal im selben Fluss) zu veröffentlichen. In Frankreich lautet der finale Titel jetzt Moi, Marat Ex-Commandante de l’armée Wagner. Diese deutsche Ausgabe basiert auf der französischen Übersetzung. Damals wusste niemand, dass die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine schließlich in einen Krieg münden

würden, der die besondere Aktualität des Texts begründet. Der Bericht von Marat Gabidullin ist ein einzigartiges

Zeugnis, das hochaktuelle Informationen über die Streitkräfte seines Landes enthält. Er lüftet den Nebel, der die russischen Truppen umgibt, und beschreibt ihre Struktur und ihre Vorgehensweise. Natürlich ist die Gruppe Wagner nicht Teil der russischen Armee. Es handelt sich um eine Private Military Company (PMC), in der es keine militärischen Ränge gibt. Die Existenz der »Kompanie« wird von der russischen Staatsmacht stets geleugnet. Offiziell gibt es sie nicht, weil Söldnertruppen in Russland verboten sind. Marat beschreibt seine Mitstreiter und sich selbst als »Glücksritter«. Egal, ob im Donbass, auf der Krim, in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali oder natürlich in Syrien, überall war Wagner exklusiv im Dienst des Kreml aktiv. Es ist bekannt, dass Wagner auch aktuell in der Ukraine operiert.

Zudem besteht Wagner überwiegend aus hochrangigen Offizieren, die früher den offiziellen Streitkräften angehörten und ihre Kontakte auch weiterhin pflegen. Obwohl er und seine Waffenbrüder in den rauen syrischen Bergen oft unter miserablen Bedingungen kämpfen mussten, wurden ihnen keinerlei Vergünstigungen zuteil. Marat Gabidullin geht hart mit den russischen Truppen und den Wüstenfalken im Dienst von Baschar al-Assad ins Gericht. Er klagt Korruption, die Jagd nach militärischen Auszeichnungen und sinnentleerte Zeremonien an, ebenso wie das stete Bemühen, sich die Hände nach Möglichkeit nicht schmutzig zu machen. Zweifellos haben Unzufriedenheit und eine gewisse Verbitterung Marat Gabidullin dazu veranlasst, zur Feder zu greifen, obwohl er seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzt, wenn er Moskaus Vorgehen öffentlich infrage stellt. Er enthüllt schonungslos die Verquickung politischer, ökonomischer und militärischer Interessen und spricht offen über den Groll, den er empfindet, weil der russische Staat seinen unsichtbaren Soldaten keinerlei Wertschätzung entgegenbringt. In manchmal drastischen Worten beschreibt er, wie die Männer von Wagner mit veraltetem und defektem Material gegen Daesch in die Schlacht geworfen wurden. Er berichtet von Waffenlieferungen, die nie eintrafen, und wie stattdessen die Kalaschnikows der Toten zum Einsatz kamen. Er erzählt von Kanonenfutter, das gegen einen Feind zu Felde ziehen musste, der die ganze Welt bedroht. Er erinnert an die Toten, an die Verkrüppelten und an Niederlagen, aber auch an die Siege, die Russland für sich beansprucht, ohne dass der Kreml je seine Anerkennung der Söldner zum Ausdruck gebracht hätte.

In einer Zeit, in der Russland in einen schmutzigen Krieg gegen die Ukraine verwickelt ist, führt einem der Bericht eines »Glücksritters« vor Augen, dass Schlachten trotz aller moderner Technologie immer noch Mann gegen Mann ausgefochten werden und dass dabei eine Barbarei zutage tritt, die man längst überwunden glaubte.

EINLEITUNG

Marat Gabidullin ist kein Mann, der seine Taten bereut. Er ist kein Whistleblower, der sich gegen die Organisation wendet, der er selbst einmal angehört hat, weil ihn das schlechte Gewissen dazu drängen würde. Nein, denn Marat ist Soldat, er gehört zum Fußvolk, das den Mächtigen als Kriegsfutter dient. Ein Homo Sovieticus, der in seiner DNA die ganze Schizophrenie mit sich herumträgt, die die Menschen des heutigen Russlands prägt. So ist er stolz darauf, Teil der Luftstreitkräfte der offiziellen Armee seines Landes gewesen zu sein. Stolz darauf, als Söldner der Wagner-Gruppe gegen die Terrororganisation Daesch in Syrien gekämpft zu haben. Marat erzählt begeistert von seiner Teilnahme an dem Militäreinsatz, bei dem Palmyra von den Islamisten zurückerobert wurde. Palmyra, die antike Oasenstadt, von deren ferner, tausendjähriger Zivilisation viele träumen. Und dennoch verspürt Marat ein gewisses Unbehagen, wenn er zugibt, einer illegalen Schattenarmee gedient zu haben, die derzeit im Rampenlicht steht. Der Wagner-Gruppe werden in ihren Einsatzländern schlimmste Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen, darunter Vergewaltigung, Folter und Mord. Von der Ukraine bis Syrien. Von Libyen bis zur Zentralafrikanischen Republik. Und nun auch in Mali.

Wer dieses Buch aufschlägt, sollte keine Schuldbekenntnisse erwarten. Diese Erzählung wird von den Widersprüchen getragen, die ihren Autor plagen. Es geht um eine für Russland sehr typische Geschichte, die von Bruch und Erlösung handelt. Es ist das Abenteuer eines Söldners im Dienst einer Armee, die offiziell gar nicht existiert.

Um seinem Leben ein Gesicht zu geben, beschloss Marat, zu schreiben. Um die Tatsachen festzuhalten. Um seine Geschichte und die seiner Waffenbrüder in Stein zu meißeln. Eine Geschichte, die bislang von den Behörden seines Landes totgeschwiegen wurde. Denn laut Kreml gibt es die Wagner-Gruppe überhaupt nicht. Diese bewaffnete Truppe, die in der ganzen Welt eingesetzt wird und nur die Interessen des russischen Regimes verfolgt, ist laut offizieller Version eine Fantasie der Regimekritiker – allen voran des Westens. Wladimir Putin, der mehrfach zu diesem Thema befragt wurde, hat sich stets geweigert, den Einsatz von Söldnern in Konfliktgebieten anzuerkennen. Er hat systematisch jegliche Verbindung zwischen dem Kreml und der privaten Armee bestritten.

Erstens, weil das Söldnerwesen in Russland eine offiziell illegale Tätigkeit ist, die nach Artikel 348 des Strafgesetzbuchs mit Haftstrafen von bis zu acht Jahren geahndet wird. Zweitens, weil der russische Präsident von diesem geradezu mafiösen Schweigen profitiert. Durch die Entsendung von Söldnern spart der Staat bei den Rentenansprüchen und Gehältern, die er den Soldaten der regulären Armee zahlen muss. Und es ermöglicht auch, Tote verschwinden zu lassen. Dazu Marat: »Unsere Generäle begannen, sich über mögliche Verluste Sorgen zu machen. Unsere Landsleute wollten ihrerseits den Krieg nicht als todbringendes Phänomen begreifen. Es musste also eine Kompromisslösung gefunden werden. Einer dieser Kompromisse bestand darin, eine Parallelstruktur zu erschaffen, deren Teilnahme am Kampfgeschehen bei Bedarf geleugnet werden konnte. Währenddessen bekamen die Bürger unseres Landes zur Beruhigung schöne Bilder zu sehen, damit sie weiterhin voller Nationalstolz den Militärparaden auf dem Roten Platz zujubelten, überzeugt von der erstaunlichen Schlagkraft unserer Armee.« Und drittens, weil Wagner Wladimir Putin einen »Joker« bietet. Nämlich die Macht, jede Verantwortung für Übergriffe von Söldnern oder für Operationen, die vor Ort schiefgehen, mit plausibel klingenden Argumenten zurückzuweisen: Wir haben nichts damit zu tun, und wenn Sie Probleme mit Wagner haben, wenden Sie sich an die Verantwortlichen von Wagner! Und darin liegt die ganze Raffinesse. Die Wagner-Gruppe besitzt keine rechtliche Existenz. Es handelt sich um eine Schattenarmee, für die niemand öffentlich die Verantwortung übernimmt, weder für die Leitung noch für die Handlungen.

An der Spitze dieser Organisation stehen jedoch zwei Männer. Der erste ist ihr Gründer. Derjenige, der der Organisation diesen ungewöhnlichen Namen gegeben hat: Oberstleutnant Dimitri Utkin, Kampfname »Wagner«. Als ehemaliges Mitglied der GRU, des russischen Militärgeheimdiensts, verließ er 2013 die Armee. Ab 2014 versammelte er andere Veteranen von Spezialeinheiten um sich und gründete eine schnelle Eingreiftruppe, um gezielte Operationen in der Separatistenregion Donbass in der Ukraine durchzuführen, die sich im Krieg gegen die proeuropäische Regierung in Kiew befand. Diese Söldnertruppe nahm daraufhin den Namen ihres Anführers an. Er wählte den Namen Wagner als Hommage an den deutschen Komponisten und wegen des damit verbundenen Symbolcharakters. Denn Dimitri Utkin ist ein großer Bewunderer des Dritten Reichs und Adolf Hitlers. Als Europäer fragt man sich natürlich, wie Angehörige eines Volks, dessen Vorväter die Nazis im Zweiten Weltkrieg besiegten, einem Wagner-Kult anhängen können. Die Tatsache, dass russische Offiziere Nazis bewundern, mag paradox erscheinen. Die Antwort liegt zum Teil in der zunehmenden Bedeutung eines panslawischen Neopaganismus in Russland. In Wagners Reihen sind laut Marat 30 bis 40 Prozent der Mitglieder Anhänger des Rodismus (»der ursprüngliche Glaube«), einer Bewegung slawischer Neuheiden, die in den Achtzigerjahren entstand und die in ethnischen Fragen stark vom rechtsextremen Rassendiskurs in Deutschland inspiriert ist. Die Rodisten, wie sie auch genannt werden, wünschen sich eine Rückkehr zum alten vorchristlichen Glauben und zur Anbetung der Naturkräfte. Mit ihrer Bindung an ihren Mutterboden, ihre russische Erde, zeigen sie eine nationalistische Tendenz: Denn nur hier vermag das russische Volk angeblich seine wahren Werte wiederzufinden. Sie sind antisemitisch, fremdenfeindlich und auf ethnische Reinheit und Rassentrennung fixiert. Dennoch treten sie nicht missionarisch auf. Marat berichtet: »Die anderen, Christen, Muslime oder solche wie mich, die an nichts Bestimmtes glauben, wurden einfach in Ruhe gelassen. Niemand hat dir etwas aufgezwungen, niemand hat dich gezwungen, diese Weltanschauung anzunehmen.« Einige Rodisten, wie zum Beispiel Dimitri Utkin, vertreten jedoch offen rechtsextreme Ansichten eines Neonazis. Als Marat unter ihm diente, bemerkte er, dass dieser das slawische Hakenkreuz »Kolovrat« und slawische Runen auf seinem Körper tätowiert hat. Auf einem neueren Foto zeigt Wagners Kommandeur weitere Tätowierungen, darunter eine »Siegrune«, das SS-Emblem der Nazis, prominent auf seinem Hals platziert. In den Reihen der Söldner wird diese Ideologie weitgehend geteilt. Auf dem iPad eines toten Söldners, das in Libyen gefunden wurde, befand sich in der virtuellen Bibliothek eine Ausgabe von Mein Kampf. Ebenfalls in Libyen wurden in den Ruinen der von Wagners Männern besetzten Häuser islamfeindliche Graffiti gefunden. Der Aliasname »Wagner« von Dimitri Utkin hat für einen ganz besonderen Sprachgebrauch gesorgt. Die Söldner nennen sich untereinander »die Musiker«. In den sozialen Netzwerken behaupten sie, Teil eines »Orchesters« zu sein, das von einem »Komponisten« geleitet werde und »Konzerte« auf der ganzen Welt gebe. Auf diese Weise machen sie deutlich, dass sie an Kämpfen teilnehmen. Auf ihren Propagandavideos wird in der oberen rechten Ecke ein Porträt des deutschen Komponisten gezeigt.

Auch Marat Gabidullin verwendet in seinem Bericht eine musikalische Metapher. Er verwandelt Utkin in »Beethoven« – ein Deckname, der den Leser kaum im Unklaren darüber lässt, um wen es sich hier handelt. Der Autor beschreibt einen von seinen »Legionären« gefürchteten Kommandeur, der abwechselnd visionär und »Furcht einflößend« auftritt. Insgesamt sollen seit 2014 10.000 Kämpfer, darunter Marat, unter seinem Befehl gedient haben. Heute sind schätzungsweise 5000 Söldner für Wagner aktiv, die bereitstehen, um jederzeit auf Kriegsschauplätzen außerhalb der russischen Grenzen eingesetzt zu werden.

Die andere Schlüsselfigur der Wagner-Gruppe ist Jewgeni Prigoschin. Auch über ihn spricht Marat nicht offen. Sie kennen sich zwar gut, sind jedoch durch einen moralischen Pakt aneinander gebunden. Der Oligarch hatte ihm einen wertvollen Dienst erwiesen, bevor Marat 2019 die Gruppe verließ. Jewgeni Prigoschin wurde am 1. Juni 1960 geboren. Wie Wladimir Putin stammt er aus Sankt Petersburg, und wie dieser hat er das postsowjetische Chaos zum eigenen Vorteil genutzt. Der ehemalige Verbrecher, der zu einem der mächtigsten Männer Russlands wurde, ist das reine Produkt einer Unterwelt aus Sicherheitsmilizen, Spionen, Geheimdienstlern, Mafiabossen und Ex-Häftlingen. Prigoschin kennt das Gefängnis gut. 1981, gerade 20 Jahre alt, wurde er von der Justiz der UdSSR wegen Diebstahls, Betrugs und der Zwangsprostitution Minderjähriger zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Diese Erfahrung sollte ihn für immer prägen. Als er neun Jahre später aus dem Zuchthaus entlassen wurde, lag die UdSSR in Trümmern. Die »Schocktherapie« der Neunzigerjahre zur Wiederbelebung der russischen Wirtschaft schuf ungeahnte Möglichkeiten für eine neue Generation skrupelloser Aufsteiger. Ihnen war jedes Mittel recht, um ihre Konkurrenz auszuschalten. Prigoschin stürzte sich sofort ins Geschäft. Er mischte überall mit: Kasinos, Supermärkte nach westlichem Vorbild und vieles andere mehr. Schließlich gründete er eine Hotdog-Kette, das beliebteste postsowjetische Fastfood. Hinzu kamen mehrere Luxuslokale, die von der politischen Elite Sankt Petersburgs begeistert angenommen wurden. Das erste, Staraja Tamojnia oder »Alte Zollstation«, wurde ab 1996 zum bevorzugten Treffpunkt des engsten Kreises um Bürgermeister Anatoli Sobtschak. Dieser brachte regelmäßig einen seiner treuen Berater mit, einen gewissen Wladimir Putin. Bei einem Salat mit Kamtschatka-Krabben oder Blini mit Störkaviar wurden umfangreiche Verträge ausgehandelt und feste Bündnisse besiegelt. Wenn wichtige Gäste kamen, war Prigoschin vor Ort und bestand darauf, sie persönlich zu bedienen. Eine Hingabe, die allseits sehr geschätzt wurde. Der Erfolg stellte sich schnell ein, und Prigoschin eröffnete in der Folgezeit vier weitere Luxusrestaurants. Inspiriert von den Bootsrestaurants auf der Seine in Paris eröffnete er 1998 das New Island. Bald darauf wurde es zum Stammlokal von Putin, der im Dezember 1999 zum Interimspräsidenten der Russischen Föderation ernannt worden war. In der Folgezeit feierte er dort seinen Geburtstag und lud hochrangige Gäste ein, wie etwa Jacques Chirac im Sommer 2001. Im Mai 2002 speiste Putin dort mit dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush.

Dank seiner Kochkünste machte Jewgeni Prigoschin eine steile Karriere. Er verdiente sich den Spitznamen »Putins Koch« und wurde zu einem wichtigen Akteur in den Kreisen der Macht. Seine Cateringfirma Concord Catering sicherte sich zahlreiche öffentliche Aufträge. Er kümmerte sich um die Bewirtung bei offiziellen Anlässen, belieferte Militärkasernen mit Mahlzeiten und erhielt den lukrativen Auftrag für die Schulkantinenversorgung. Trotz einer Lebensmittelvergiftung, von der 2017 Hunderte Kinder im Großraum Moskau betroffen waren, blieb Jewgeni Prigoschin von der Justiz unbehelligt. Denn Wladimir Putin hatte ihn zu einem (einfluss)reichen Mann gemacht. Im Gegenzug verrichtet der Oligarch für den Kreml die Drecksarbeit. Er wurde unter internationale Sanktionen gestellt und wird vom FBI beschuldigt, die Einmischung Russlands in die US-Wahlen von 2016 organisiert zu haben. Gerüchten zufolge ist er der Leiter der Internet Research Agency. Dabei handelt es sich um eine Trollfabrik, deren Aufgabe die Meinungsmanipulation in den sozialen Netzwerken ist. Washington hat ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt: 250.000 Dollar werden für seine Ergreifung geboten. Aber im Spiel des Catch me if you can ist Prigoschin ein wahrer Meister. Nie gesehen, nie festgenommen.

Heute gilt er als Financier und organisatorischer Leiter der Wagner-Gruppe, unterstützt von hochrangigen Militärs. Seit 2020 steht Prigoschin auch auf der Sanktionsliste der EU wegen der Rolle, die er »bei den Aktivitäten der Wagner-Gruppe in Libyen« gespielt habe. Ihm wird vorgeworfen,

»den Frieden, die Stabilität und die Sicherheit im Land« zu gefährden. Trotz der zunehmend erdrückenden Beweislast für seine Beteiligung an zersetzenden Operationen – sowohl digital als auch physisch, vom Nahen Osten bis nach Afrika – spielt der Milliardär seine Rolle beim Einsatz von Paramilitärs in der ganzen Welt herunter. Er verklagt jeden, der ihn beschuldigt, mit Wagner in Verbindung zu stehen. Er hat seine Unternehmen so organisiert, dass keines mit den Aktivitäten der Gruppe in Verbindung gebracht werden kann. Diese Intransparenz ist umfassend und perfekt organisiert. Er ist der typische Mafiapate alter Schule. Allgegenwärtig, aber unsichtbar. Allmächtig und unantastbar.

Auch wenn der Schatten des »Kochs« zwischen den Zeilen von Marats Erzählung schwebt, lässt sich der Autor nie wirklich über diese toxische Figur aus. »Ich spreche nicht mehr über Dinge, die ich nicht beweisen kann, über Beziehungen, die ich gehabt haben könnte, die jedoch nicht dokumentiert sind.« Rechtliche Konsequenzen und Racheakte als Folge einer zu großen Offenheit will er vermeiden. Indem er diese Protagonisten in den Hintergrund treten lässt, hat Marat umso mehr Freiheiten, die Einzelheiten seines Werdegangs bei der Wagner-Gruppe, die er gerne einfach »die Kompanie« nennt, zu erzählen.

Für diese »Kompanie« zog er in der Ukraine oder in Syrien in den Kampf. Marat Gabidullin hat Wagner gedient, und zwar sehr gut. Er wurde mit zahlreichen Orden der Wagner-Gruppe ausgezeichnet, erhielt aber auch offizielle Auszeichnungen des russischen Staats für seine Verdienste, die ihm jedoch stets unter Geheimhaltung verliehen wurden. Auszeichnungen, über deren Grund er ständig lügen musste. Jahrelang musste er über die Art seiner Aufträge lügen, über die Gebiete, in denen er eingesetzt wurde, über die Menschen, mit denen er zu tun hatte. Lügen, um weiterhin dabei sein und für eine Organisation kämpfen zu können, die perspektivlosen Männern aus der gesellschaftlichen Unterschicht zu neuem Selbstbewusstsein verhalf und sie gleichzeitig in Kanonenfutter verwandelte. In nichts anderes als Patronen, verschwendet für die geopolitischen Ambitionen des Kreml. Männer, die Marat hier ehren will, indem er sie aus der Verborgenheit hervorholt. Einige von ihnen seien »Helden«, sagt er. Anständige Kerle, die die Wahrheit und ein Ende des tödlichen Schweigens, das diese geheime Organisation umgibt, verdienten. Die Wahrheit. Ein sehr großes Wort. Der Anlass für diesen Bericht, erzählt aus der Ich-Perspektive.

Als Berufssoldat verbrachte Marat zehn Jahre bei der russischen Luftwaffe. Im Jahr 1993, zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, verlässt er die Kaserne im Rang eines Oberleutnants, um eine Karriere als Geschäftsmann einzuschlagen. Der ungezügelte Kapitalismus hatte damals seinen triumphalen Einzug in das Land gehalten, und jeder wollte ein Stück vom Kuchen abhaben. Das galt auch für das Militär. Aber in Ermangelung des großen Geldes entscheidet sich Marat für das große Kaliber. Er wird zum Auftragskiller im Dienst eines lokalen Unterweltbosses in Sibirien und tötet schließlich kaltblütig einen Mann. Sein Opfer ist ein Mafioso aus einem rivalisierenden Clan, der es »verdient hatte«. Drei Jahre Gefängnis sowie einige Jahre Arbeitslosigkeit und Depressionen später verfällt er dem Alkohol und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs als Sicherheitsmann und Personenschützer durch. Zu dieser Zeit begreift er, dass es für ihn kein Zurück mehr gibt und ihm der Weg in die regulären Streitkräfte verwehrt bleiben wird.

Als seine Welt zusammenbricht, trifft er einen alten Freund, der ihm von einer neuen privaten Militärorganisation erzählt, die es mit der Vergangenheit ihrer Rekruten nicht so genau nimmt. In ihren Reihen sind ehemalige Häftlinge und gewöhnliche Kriminelle willkommen, sofern sie über etwas Erfahrung verfügen und mit Waffen umgehen können. Marat hat den Kopf voller Kampffantasien und sucht sofort die Rekrutierungszentrale in Molkino in der Nähe von Krasnodar in Südrussland auf. »Wir waren viele«, erinnert er sich. »Aber ich kann keine detaillierten Informationen über die genaue Lage des Orts oder die Anzahl der Männer geben. All das könnte gegen mich verwendet werden. Ich könnte wegen der Weitergabe von Militärgeheimnissen angeklagt werden.« Marat bleibt vorsichtig. Denn Molkino ist der knallharte Beweis für die Zusammenarbeit von Wagner mit den russischen Behörden. Diese Militärbasis, die der Unterbringung von Söldnern dient, befindet sich nur einen Steinwurf entfernt von einem Trainingszentrum und einer Kaserne der GRU, des militärischen Nachrichtendiensts der offiziellen Armee. Ein Ort, in dem für die Ausbildung die gleichen Waffen wie in der Armee verwendet werden und in dem nichts ohne die Zustimmung des Verteidigungsministeriums geschieht.

In seinem Bericht zieht Marat es daher vor, in Bezug auf alles, was unter das Staatsgeheimnis fallen könnte, vage zu bleiben. Eine notwendige Vorsichtsmaßnahme und keinesfalls ein Beleg dafür, dass der Autor nur Vermutungen äußert. Beim Lesen dieses Buchs darf man nie vergessen, dass Gabidullin der allererste Söldner von Wagner ist, der in aller Offenheit aussagt, ohne den Schutz der Anonymität zu verlangen. Er ist sich der Gefahren bewusst, die seine Enthüllungen mit sich bringen. Abgesehen von einer möglichen Strafverfolgung riskiert er schlichtweg Kopf und Kragen. Das ist auch der Grund, warum in seinem Buch »alles wahr ist, außer den Namen« der Kämpfer. Um sie besser zu schützen, erwähnt der Autor sie nur unter Pozyvnye, militärischen Decknamen, die er für sie erfunden hat. In seiner Erzählung begegnet man »Wolk« (dem Wolf), »Tschub« (dem Häuptling) oder auch »Ratnik« (dem Schützen). Es sind schillernde, heldenhafte, extrem gewalttätige und depressive Gladiatoren der Neuzeit, die die bunt zusammengewürfelten Reihen dieser Schattenarmee bilden.

Sein eigener Kampfname ist »Ded« – der Großvater, der Papa. Ein Spitzname, den sich seine Kameraden ausgedacht haben. Er findet, dass dieser Name gut zu ihm passt. Zu der Zeit, als er in Wagners Reihen angeworben wird, ist Marat 48 Jahre alt. Mit seinem grauen Kinnbart ist er der Älteste in seinem Zug. Im Jahr 2015 gehört er zu den ersten 400 Rekruten. M-0346 ist seine Dienstnummer. Damals ist die Auswahl streng, aber er meistert die Auswahlgespräche und die Belastungstests mit Bravour. Er wird auch über Wagners Ziele aufgeklärt: Seine Aufgabe wird es sein, die Interessen Russlands zu vertreten und zu wahren, indem er an bewaffneten Konflikten teilnimmt. Er ist sofort von dieser patriotischen Vision angetan, aber der eigentliche Reiz liegt woanders. In einem Land, in dem der Durchschnittslohn nicht mehr als 400 Euro beträgt, verspricht die Wagner-Gruppe ein attraktives Einkommen. Für Marat »war eine der Hauptmotivationen natürlich das Geld. Wir wurden gut bezahlt«, erzählt er. »950 Euro im Monat für die Ausbildungszeit auf dem Stützpunkt, danach gab es zwischen 1500 und 1800 Euro für die ersten Auslandseinsätze.« Es gibt zwar keine soziale Absicherung und keine Rente für die Familien im Todesfall, dafür aber Prämien für jede Teilnahme an einem Kampfeinsatz. Marat konnte bis zu 3000 Euro im Monat verdienen. Ein kleines Vermögen, bei dem er darauf achtete, es nicht zu verjubeln. Und so konnte er sich eine Wohnung in einem Vorort von Moskau kaufen.

Nach einer dreimonatigen Schnellausbildung wird er für eine erste Mission in den Osten der Ukraine, in den Donbass, geschickt. Ein Gebiet, das Wladimir Putin als sein Hoheitsgebiet betrachtet und um das sich die Regierung in Kiew mit den von Moskau unterstützten Separatisten seit 2014 einen Kampf liefert. Tausende von Kämpfern wurden aus ganz Russland herbeigeordert, um die Separatisten zu unterstützen. Und mit diesem Strom kamen auch drei Bataillone (300 Mann) von Wagner. An diese Episode in seiner Biografie erinnert sich Marat nicht gerne. »Im Krieg gibt es verschiedene Situationen«, erklärt er. »Eine davon ist, wenn du aufgrund deiner Nationalität auf der falschen Seite kämpfst, für die falschen Leute, die aber von deiner Regierung unterstützt werden. Das ist eine sehr unangenehme Situation. Unter diesen Bedingungen würde ich künftig den Dienst verweigern.« Einer der Gründe für dieses Unbehagen liegt sicherlich in der Art der Aufträge, die den Söldnern der »Kompanie« erteilt werden. In den Jahren 2014 und 2015 entstanden im Donbass zahllose Separatistengruppen, von denen einige nicht unter russischer Kontrolle standen. Sie eroberten Gebiete, agierten autonom und wurden in den Augen des Kreml zu unabhängig. Wagners Brigaden waren mutmaßlich gegen diese Separatisten entsandt worden, um ihre Anführer zu verhaften und die Einheiten durch Beschlagnahme von Waffen und Ausrüstung zu neutralisieren. Manchmal wurden dabei auch radikalere Methoden angewandt. Wagners Männer sollen an der Ermordung von einem Dutzend Separatistenführern beteiligt gewesen sein, darunter der charismatische Alexander Bednov alias »Batman«, der am 1. Januar 2015 in Luhansk in einem Hinterhalt getötet wurde. Marat Gabidullin bestreitet jegliche Beteiligung an diesen Operationen. In unseren Gesprächen zögerte er nie, den Konflikt in der Ukraine als einen Bruderkrieg und schweren Fehler des Kreml zu bezeichnen. Ein Fehler, der mit dem russischen Angriff im Februar 2022 zu einem Verbrechen wurde. Dieser Krieg überzeugte ihn, in die Öffentlichkeit zu treten. Zum ersten Mal erzählt Marat auf diesen Seiten von seinem ersten Einsatz für die private Militärorganisation. Er berichtet von seinen Erfahrungen in der Ukraine. Bei diesen ging es nicht um höhere Ziele wie den Kampf gegen die Dschihadisten des Islamischen Staats. Es ist eine eher unrühmliche Episode, ein Schandfleck in seiner Biografie. Einfach ein Missgeschick. Damals war es jedoch kein triftiger Grund, die Reihen Wagners zu verlassen.

Nach dem Einsatz im Donbass steigt Marat in der Rangfolge auf. Vom einfachen Soldaten wird er zum Kommandanten einer Aufklärungseinheit ernannt und schifft sich Ende 2015 nach Syrien ein. Dort nimmt er bis 2019 an vier Einsätzen teil, die insgesamt dreieinhalb Jahre umspannen. Er ist ein illegaler, staatenloser Soldat, der im Namen der Interessen Russlands und dessen Verbündeten, des Regimes von Baschar al-Assad, eingesetzt wird. Der syrische Diktator war damals das erste Staatsoberhaupt, das Wagners Dienste in Anspruch nahm. Marat interessiert sich seinerzeit wenig für Geopolitik und gibt sich mit den Erklärungen seines Vorgesetzten über Sinn und Zweck des Einsatzes, den er über 3000 Kilometer von seiner Heimat entfernt antreten sollte, zufrieden. »Uns wurde gesagt: ›Da draußen gibt es einen tollen Kerl, Präsident Baschar al-Assad, und der hat praktisch ganz allein den Kampf gegen den globalen Imperialismus aufgenommen, unterstützt von seiner heldenhaften Armee. Und dieser tolle Kerl braucht Hilfe, Punkt.‹« Niemand stellte die Befehle infrage. Anfangs, im September und Oktober 2015, überwog die Begeisterung. Russland hatte gerade einen offiziellen Militäreinsatz in dem Land angekündigt, um das syrische Regime, das am Ende seiner Kräfte war, zu unterstützen. Die Söldner, die vom russischen Verteidigungsministerium bewaffnet und ausgerüstet wurden, wähnten sich durch die Luftwaffe ihres Landes beschützt. Doch während die Soldaten der offiziellen Armee Luftunterstützung leisteten, erledigten die Söldner die Drecksarbeit. Sie wurden zu allen Bodeneinsätzen beordert, um die vom jahrelangen Bürgerkrieg erschöpfte syrische Armee zu unterstützen.

Der Autor des Buches führt uns in diese Welt ein, wie wir sie vorher nicht kannten. Marat berichtet von den Lebensbedingungen, den Kämpfen, dem Frust über Niederlagen und der Euphorie über kleine Siege. Als heimlicher Zeuge eines Krieges, der die Titelseiten der internationalen Medien füllte, ermöglicht er völlig neue Einblicke. Von innen heraus und authentischer als alles, was bisher zu diesem Thema geschrieben wurde. Von der Rekrutierung über die Einsätze bis hin zu den Kampfhandlungen entführt er den Leser auf den Schauplatz der syrischen Wüste, wo die Einschläge der »Grad«-Raketen und die Schreie der Kriegsparteien lautstark ertönen.

Er enthüllt auch wertvolle Informationen über die Funktionsweise von Wagner. Die Mitglieder der Gruppe unterstehen nicht den Befehlen der russischen Armee. In Syrien erfolgt die Organisation der Missionen auf oberster Ebene der russischen und syrischen Generalstäbe, wobei Letzterer in diesem Buch sehr schlecht wegkommt. Marat verurteilt die Unzulänglichkeiten der syrischen Armee. Diese sei eine Truppe, die selbst mit der Unterstützung von Spezialkräften der russischen Luftwaffe und Artillerie nicht zu kämpfen in der Lage sei. »Wir waren es, die die ganze Arbeit erledigt haben«, betont er. So auch in Palmyra Anfang 2016. Die berühmte antike Stätte wurde im Mai 2015 erstmals von Daesch erobert und wenig später, im März 2016, von Wagners Männern wieder zurückerobert. Bei dieser Schlacht sollten die Söldner vorangehen, dahinter das syrische Militär, das jedoch erst an die Front vorrückte, als der Feind bereits verschwunden war. »Die syrische Armee kam, als alles vorbei war, nur für das Foto«, so Marat entnervt. »Sie waren so schlecht, dass sie nicht einmal diesen symbolträchtigen Ort halten konnten.« Palmyra fällt im Dezember 2016 wieder in die Hände von Daesch. Ein Feind, den Marat gerne als »gefährlich, rücksichtslos und sadistisch, mobil und dank ideologischer Gehirnwäsche hoch motiviert« beschreibt. »Ein Krebsgeschwür, zu dessen Ausrottung ich teilweise beigetragen habe.«

Eine weitere seiner Aufgaben in Syrien war der Aufbau und die Ausbildung lokaler Milizen. Marat wurde mit dem Training der Männer der »Wüstenfalken-Brigade« beauftragt, einer paramilitärischen Organisation, die später ein Zweig der syrischen Armee werden sollte – eine Art private Militärkompanie, die jedoch Teil der offiziellen Streitkräfte war. Im Gegensatz zu Wagner existieren derartige Gruppen in Syrien legal. Später wird Marat eine Gruppe syrischer Kämpfer namens »Isis Hunters« anführen. Eine Tochterfirma von Wagner mit einheimischen Kämpfern, die von den Russen bewaffnet, angeführt und bezahlt werden. Mittlerweile haben sich einige dieser syrischen Söldner der »Kompanie« angeschlossen und werden zusammen mit russischen Söldnern auf anderen Kriegsschauplätzen wie Libyen und der Zentralafrikanischen Republik eingesetzt.

Neben der minutiösen Schilderung von Wagners Syrienfeldzug liegt die besondere Faszination seines Berichts in der Kombination aus reinen Tatsachen, einfach ausgesprochenen Wahrheiten und geradezu romanhaft anmutenden Abenteuern. Marats Erzählung wechselt zwischen manchmal fast naivem Epos und realer Gewalt. Die Widersprüche sind unterschwellig. Die unaussprechlichen Details verbergen sich im Hintergrund, zum Beispiel, wenn es um die Methoden der Wagner-Söldner geht. In unseren Gesprächen gab Marat einige »Verstöße gegen die Genfer Konventionen« zu. Etwa die fast systematische Plünderung von Gebieten, die unter ihre Kontrolle fielen. In Syrien glaubte er, zu den »Guten« zu gehören, die gekommen sind, um die »Bösen« zu vertreiben. Daher ist er der Ansicht, es sei normal, sich im Haus einer Familie einzunisten, sie aus ihrem Haus zu vertreiben, um dort Quartier zu beziehen. »Ja, man konnte zeitweise die Situation ausnutzen. Wenn man mitten in einer kalten Nacht draußen stand und es in Strömen regnete, dann ging man einfach in ein gut geheiztes Haus. Die Leute, die dort wohnten, machten Platz für uns.« Er sagt, er habe seine Kriegsgefangenen immer »in guter Gesundheit« an die syrischen Behörden übergeben. Er schwört sogar, dass er nie gefoltert oder nur um des Tötens willen getötet habe.