Wahn und Willkür - Wilhelm Schlötterer - E-Book

Wahn und Willkür E-Book

Wilhelm Schlötterer

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Beschreibung

Die skrupellosen Machenschaften von Politik und Justiz

Ein Mann, der Schwarzgeldgeschäfte anzeigt, wird in die Psychiatrie gesperrt – der Justizskandal um Gustl Mollath, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte, ist nur einer von vielen spektakulären Fällen, mit denen Wilhelm Schlötterer sich beschäftigt. Anhand brisanter, teils unveröffentlichter Dokumente charakterisiert er ein System, in dem nicht Recht und Ordnung, sondern Skrupellosigkeit und persönliche Interessen das Handeln bestimmen. – Eine Lektüre, bei der jedem Demokraten die Haare zu Berge stehen.

Als Ministerialrat und zeitweise oberster Steuerfahnder in Bayern hat Wilhelm Schlötterer jahrzehntelang aus nächster Nähe feststellen können, dass die Politik von Strauß und seinen Nachfolgern geprägt ist von Korruption, Mobbing, Strafvereitelung und Begünstigung auf Kosten des Staates. Mit seinem Bestseller »Macht und Missbrauch« hat er eine Lawine losgetreten. Denn in der Folge wurden ihm immer neue brisante Informationen über Missstände zugespielt, die er detailreich mit Fakten belegt. Schlötterer beschreibt unter anderem, wie ein bekannter Gastronom durch gute Beziehungen zur Politik seine Steuerschuld von 100 auf drei Millionen reduzieren konnte, wie Spitzen aus Wirtschaft und Politik beim Flug nach Zürich über vorteilhafte Geldanlagen in der Schweiz diskutierten und wie gut situierte Steuerhinterzieher vor pflichtbewussten Finanzbeamten in Schutz genommen werden.

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Seitenzahl: 506

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WILHELM SCHLÖTTERER

WAHNundWILLKÜR

Strauß und seine Erben oder wie

man ein Land in die Tasche steckt

Copyright © 2013 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

www.heyne.de

Redaktion: Johann Lankes

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,

unter Verwendung zweier Fotos von © Gebert/picture-alliance/dpa und © U. Baumgarten/Getty Images

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN 978-3-641-12270-6

Inhalt

Vorwort

Einführung

1 Das Echo auf das Buch »Macht und Missbrauch«

Die Präsentation des Buches

Die Reaktion der Politiker und Spitzenbeamten

Die Reaktion der Medien und Bürger

2 Der Feldzug der Geschwister Strauß

Ankündigungen

Ein Strafantrag

Hochkarätige Hilfe

Die Konten von Strauß in der Schweiz

Die Justizministerin Beate Merk und eine Vorwarnung

Flucht zur Staatsanwaltschaft Bochum

Das Geständnis eines Münchner Staatsanwalts

Aufschlussreiche Aktionen der Geschwister Strauß

Das Urteil

I. Teil Das Vorbild F. J. Strauß

1 Der treu sorgende Landesvater Strauß

Der Garant von Recht und Sicherheit

Der Unbestechliche

Der ehrliche Steuerzahler

Der Patriot und der Milliardenkredit

Die Fürsorge für die Bauern

Die Fürsorge für die Bevölkerung der Oberpfalz

Die Fürsorge für die Kranken

Die Fürsorge für weniger betuchte Bürger

Die Fürsorge für die CSU

Die AVIA-Ölgesellschaft

Das öffentliche Wohl

2 Die Angst vor Strauß

Die Befürchtungen Adenauers und Krones

»Der Schöpfer der Bundeswehr« und seine Affären

Die Befürchtungen der Amerikaner

Die Angst der CSU-Minister in Bayern

3 Das Bargeldsystem des F. J. Strauß und sein Vermögen

Das Bargeldsystem

Der Umfang des Vermögens

4 Das Ansehen von F. J. Strauß und sein Bild von den Menschen

F. J. Strauß und sein Nimbus

Die Sicht des F. J. Strauß auf seine Mitmenschen

Hemmungslose Herrschaftspraktiken und Aufstieg und Fall eines Blenders

5 Der Herrschaftsstil der Strauß-Epigonen Stoiber und Seehofer

Stoibers Regentschaft

Die Verantwortlichkeit Edmund Stoibers für die Landesbank-Verluste und andere Finanzaffären

Seehofers Regentschaft

II. Teil Anspruch und Wirklichkeit

1 Christlichkeit und Sozialwohl

Das christlich-soziale Leitbild

Die christliche Sittsamkeit als politische Waffe und Werbeinstrument

Die christliche Sittsamkeit des F. J. Strauß

Die soziale Gerechtigkeit

Der soziale Umgang

Die getäuschte katholische Kirche

2 Praktiken im Schattenreich von Strafjustiz und Polizei

Der mysteriöse Tod des Leitenden Oberstaatsanwalts Jörg Hillinger

Der DOBA-Fonds MTC München-Berlin

Die Verluste der Landesbank und die Wahrheit

Die gelöschte Festplatte von Max Strauß

Die Siemens-Schmiergeldaffäre und eine geheimnisvolle CD

Die 700 000 Euro des Datenschutzbeauftragten in Liechtenstein und andere Merkwürdigkeiten

Der Komponist von Türkheim

Der beleidigte Justizminister a. D. Manfred Weiß

Der »geblitzte« und der bestrafte Landtagsvizepräsident

CDs aus Liechtenstein und der Schweiz

Die Erwartungen der politischen Spitze an Richter und Staatsanwälte

Die Außenansicht einer Justizministerin

3 Zermürbung und Zwangspensionierung

Der Ansbacher Polizeichef Werner Maluck

Der Kriminalhauptkommissar Klaus Deml und der Polizeiobermeister Josef Vogl

4 Psychiatrisierung

Die unheilbare Paranoia der hessischen Steuerfahnder

Die fehlgeschlagene Psychiatrisierung des Kunsthändlers Eberhart Herrmann und ein CSU-Politiker

Die paranoide Wahnsymptomatik des Ingenieurs Gustl Mollath

Ethik in der Psychiatrie

III. Teil Unrechtssysteme in der Demokratie

1 Die gegenwärtige Situation

Die Grundstruktur

Das Strafverfolgungs- und Haftungsrisiko

2 Verbesserungsvorschläge

Justiz

Rechnungshof

Die Schaffung eines Ombudsmanns

Steuergeheimnis und Amtsgeheimnis

Zukunftsperspektive

Nachwort

Literaturverzeichnis

Vorwort

Nach dem Buch Macht und Missbrauch habe ich nun ein zweites geschrieben. Denn Aufklärung tut not. In nahezu jeder meiner über 100 Lesungen und Vorträge wurde ich von Zuhörern gedrängt, weiteres Wissen preiszugeben, sie wollten noch mehr erfahren über die politischen Skandale. Neben dem Milliardendesaster der Landesbank wurde ich immer wieder befragt zum Thema Strauß: zur Starfighter-Affäre, zum DDR-Milliardenkredit, zu Schalck-Golodkowski und der Fleischfirma März, dem mysteriösen Tod der Marianne Strauß und dem Verschwinden der Festplatte von Max Strauß.

Manchen Skandal, den ich bereits im ersten Buch offengelegt habe, musste ich nochmals aufgreifen, weil sich inzwischen nicht wenige vertrauensvoll an mich gewandt hatten, um mir dazu Wichtiges mitzuteilen, insbesondere zu Strauß. Ihnen sei Dank und Anerkennung für ihren Mut und ihre Bereitschaft, sich für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Der Kampf gegen Amtsmissbrauch und Korruption bedarf des Engagements vieler. Manche Umstände musste ich nochmals erwähnen, um das Schaubild zu vervollständigen. Das sind die Gründe für Wiederholungen.

Das vorliegende Buch wird viele fassungslos machen, es berichtet Unglaubliches, teils Unmenschliches. Wer an der Spitze des Staates steht, darüber aber gleichgültig oder gar billigend hinweggeht, weiter gewähren lässt und gegen Schuldige nichts unternimmt, sollte abtreten. Wer als Amtsträger Straftaten begangen, gefördert oder verdeckt hat, sollte vor Gericht gestellt werden.

Klargestellt sei: Wie schon das Buch Macht und Missbrauch ist auch dieses keineswegs ein Angriff auf die CSU, es zielt nur auf einige wenige Spitzenpolitiker der Partei. »Der kleine Mann in der CSU ist schon in Ordnung«, sagte in einem Interview vor Jahren der frühere Kultusminister Prof. Hans Maier. In keiner Partei sonst gibt es eine so tiefe Kluft zwischen den einfachen Parteimitgliedern und den wenigen, die die CSU beherrschen, sie für ihre Karriere benutzen, wie bei der CSU. Die Basis wird von oben für ihren Einsatz mit warmen Worten gelobt, hat aber nichts zu sagen, sie wird nur mit den nicht anstößigen Informationen versorgt. Nicht einmal die Landtagsfraktion hat etwas zu melden; wie schon unter Strauß und Stoiber führt sie auch unter Seehofer ein Schattendasein.

Die ehemaligen CSU-Spitzenpolitiker Günther Beckstein und Alois Glück haben jüngst fromme Bücher geschrieben. Becksteins Werk heißt Die Zehn Gebote. Dass er diese als stellvertretender Präsident der Evangelischen Landessynode in Bayern kennt, ist löblich. Befremdlich ist die erbauliche Lektüre dennoch: Sie lässt nicht erkennen, dass die Zehn Gebote auch in der bayerischen Politik gelten. Denn sündhafte Verstöße erzählt Beckstein nicht. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, er sei ganz woanders Innenminister und kurzzeitig Ministerpräsident gewesen. Oder die Zehn Gebote seien neben den Gesetzen schon von Amts wegen stets eingehalten worden – kraft der Richtlinienkompetenz des jeweiligen christlichen Ministerpräsidenten.

Der stellvertretende Vorsitzende der Augsburger FDP, Toni Resch, lud mich für den 6. September 2010 zu einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung ins Gögginger Jugendstiltheater ein, wo der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement eine »Rede zur Freiheit« hielt. Anschließend wollte mich Resch einigen Politikern vorstellen, die in einer Runde beieinandersaßen. Zu meiner Überraschung war auch Günther Beckstein dabei. Als er sich erhob, sagte ich zu ihm: »Sie sind jetzt wahrscheinlich bei der Nennung meines Namens erschrocken.« Darauf Beckstein: »Etwas schon, aber nicht sehr. Denn ich komme ja in Ihrem Buch nicht oft vor und auch nicht sehr schlecht.« Er fügte hinzu: »Ich habe mich bei meiner Amtsführung immer darum bemüht, dass Recht und Gesetz eingehalten wurden.« Ich sagte nichts.

Warum wir uns ändern müssen lautet der umwälzend pro­gramma­tische Titel von Alois Glücks Buch. Wenn Glück wirklich sich und seinesgleichen gemeint hat, muss man ihm nachdrücklich zustimmen. Rätselhaft aber ist, warum er erst jetzt einsichtig wird – nachdem er den hohen Stuhl des Präsidenten des Deutschen Katholikentags erklommen hat. Auf diesem Stuhl saß früher der integre Kultusminister Prof. Hans Maier, eine geistige und moralische Instanz. Ich habe in Glücks Buch geblättert und mir dann seine Lektüre erspart.

Im Oktober 2012 veröffentlichte Edmund Stoiber seine Memoiren, ebenfalls ein frommes Buch – im Sinn der Selbstbeweihräucherung. Weil die Welt sich ändert lautet der Titel. Zu den Memoiren Stoibers bemerkte Horst Seehofer in einem Grußwort, Stoiber habe darin ein hohes Maß an Rücksicht auf die politische Familie genommen: »Alles, was du schreibst, stimmt. Nur schreibst du auch über vieles nicht, was stimmt.« Die SZ kommentierte, die Memoiren würden so große Lücken aufweisen, als hätten sich die Motten vor der Drucklegung durchs Manuskript gefressen. Warum sah Stoiber sich veranlasst, so vieles auszublenden?

Die Scheinheiligkeit war immer schon das Kennzeichen bestimmter Hauptprotagonisten der CSU. Man tarnt sich als bekennender Christ, trägt die christlichen Werte wie eine Monstranz vor sich her, in Wirklichkeit aber schreckt man auch vor menschenverachtenden Praktiken mitunter nicht zurück. Man gibt vor, das Wohl der Bürger zu fördern, hat aber vor allem den Machterhalt und die eigene Karriere im Sinn. Man gibt vor, den sozialen Ausgleich zu wollen, begünstigt aber klammheimlich die Reichen und Superreichen. Man spiegelt Rechtsstaatlichkeit vor, prak­tiziert aber das Unrecht, schützt Straftäter und verfolgt Unschuldige. Tarnung und Täuschung sind das pseudopolitische Lebens­elixier.

Die an Gustl Mollath verübte Schandtat ist die abscheulichste Ausgeburt dieser Skrupellosigkeit: Es war kein Justizirrtum, alle bekannten Fakten lassen auf vorsätzliches Handeln schließen! Den Arglosen gilt es die Augen zu öffnen. Doch es geht nicht allein darum, das Verwerfliche anzuprangern, sondern eine Umkehr zu erzwingen. Nach meinem ersten Buch prophezeite mir sarkastisch Erich Riedl, der frühere CSU-Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium: »Der Titel Ihres nächsten Buches wird bestimmt heißen: ›Es geht alles so weiter wie bisher!‹« Dieser Titel wäre in der Tat ebenso zutreffend wie der gewählte.

Aber es darf nicht so weitergehen!

Einführung

1 Das Echo auf das Buch »Macht und Missbrauch«

Die Präsentation des Buches

Im voll besetzten großen Saal des Literaturhauses in München wird am 9. Juli 2009 mein Buch Macht und Missbrauch vorgestellt. Unter den Zuhörern befinden sich mehrere Landtagsabgeordnete, hohe Beamte und viele Journalisten. Jürgen Horbach, der Vorstandsvorsitzende der VEMAG-Verlagsgruppe, in deren Fackelträger Verlag mein Buch erschienen ist, verweist in seinen einführenden Worten auf die Brisanz des Buches und das hohe Risiko zu erwartender Gegenschläge. Michael Stiller, über lange Jahre leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für den Bereich der bayerischen Landespolitik, rückt in seiner Rede meinen früheren Widerstand gegen die massiven Gesetzwidrigkeiten bestimmter Spitzenpolitiker in den Vordergrund.

Fast 30 Jahre war ich im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen tätig. Als ich mich 1977 wegen rechtswidriger Machenschaften bei Entscheidungen von Steuerfällen mit Bezügen zu F. J. Strauß an den Bayerischen Landtag wandte, löste ich einen großen Skandal aus. Der Landtag setzte einen Untersuchungsausschuss ein, der Rechnungshof bestätigte jedoch meine Vorwürfe. Daraufhin verfolgte mich Strauß mit Disziplinarverfahren und Zwangsversetzung und verhinderte jahrelang meine Beförderung zum Ministerialrat. Diese konnte ich aber 1980 im Zuge seiner Kanzlerkandidatur erreichen. Großes Aufsehen erregte ich ein zweites Mal, als ich mich 1993 erneut an den Landtag wandte und meine durch Strauß veranlasste Diskriminierung schilderte. Strafverfahren und Disziplinarverfahren, die man daraufhin gegen mich einleitete, scheiterten kläglich. Jetzt, nach meiner Pensionierung, legte ich in meinem Buch diese und viele andere Missbräuche der Macht offen.

Als das Publikum nach der Lesung Fragen an mich stellt und von mir wissen will, was mich dazu veranlasst hat, dieses Enthüllungsbuch zu schreiben, antworte ich, dass ich den Gesetzwidrigkeiten und Straftaten bestimmter Spitzenpolitiker der CSU entgegenwirken und diese für die Zukunft verhindern ­sowie den Bürgern, die den Politikern bisher blind vertraut hätten, die Augen öffnen wolle. Darüber hinaus war es mein Anliegen, jenen Beamten, die pflichtgemäß Recht und Gesetz anwenden wollten, dafür aber »von oben« abgestraft wurden, eine Hilfestellung zu geben.

Lange hatte ich gebangt, ob das Buch wirklich erscheinen würde! Wer alles wurde doch darin angegriffen, bloßgestellt, teilweise schwerer Verfehlungen beschuldigt: Strauß, Streibl, Stoiber, mehrere Finanzminister und Justizminister, Ministerialdirektoren im Finanz- und im Justizministerium, ein Generalstaatsanwalt, Oberstaatsanwälte. Außerdem hatte ich aufs Korn genommen: Leo Kirch, Otto Beisheim, Karl Diehl, Eduard Zwick, Friedrich Jahn, Karl-Friedrich Flick, Franz Beckenbauer und weitere prominente Steuerpflichtige. Immer wieder fragte ich mich, ob nicht doch am Ende den Verlag der Mut verlassen würde.

Natürlich war jedes Wort, das ich geschrieben hatte, wohl überlegt. Der Vorstandsvorsitzende des Verlags und der Lektor waren mit mir Seite für Seite durchgegangen. Eine spezialisierte Anwaltskanzlei überprüfte zweimal Satz für Satz, verlangte vielfach die Vorlage von Beweisen. Um Gegenschläge zu erschweren, wurde das erstellte Personenverzeichnis im Buch nicht abgedruckt. Da zu befürchten war, jemand könnte versuchen, das Erscheinen des Buches zu verhindern, wurde es vom Verlag nicht in der halbjährlichen Vorschau, die an die Buchhandlungen versandt wird, sondern erst 14 Tage vor dem Erscheinungstermin per E-Mail und per Telefon angekündigt.

Das Buch hatten vor seiner Veröffentlichung überdies zwei Spitzenpolitiker der CSU begutachtet. Der eine, ein hoch angesehener früherer Minister, schrieb nach Durchsicht an den Verlag: »Das Buch ist notwendig und wichtig.« Der andere sagte auf meine Frage, ob ich irgendetwas in dem Buch falsch dargestellt oder ob ihn etwas überrascht hätte: »Nein, es sind die Fakten, nur die Fakten. Das Buch ist okay. Es sollte unbedingt veröffentlicht werden.«

Die Öffentlichkeit sollte durch zwei Anzeigen in der Süddeutschen Zeitung kurz vor der Präsentation im Literaturhaus auf das Buch hingewiesen werden. Doch unmittelbar vor Erscheinen der Annonce verlangte die Süddeutsche plötzlich vom Fackelträger Verlag die Abgabe einer zweiseitigen Haftungs- und Freistellungserklärung für den Text des Inserats. Als Jürgen Horbach, der Vorstandsvorsitzende des Verlags, empört der Süddeutschen vorhielt, so etwas habe er noch nie erlebt, man habe ja offensichtlich nur Angst vor der CSU, zog die Zeitung das Verlangen wieder zurück.

Die Reaktion der Politiker und Spitzenbeamten

Die CSU schwieg. Normalerweise reagieren Ministerpräsident und Minister aufVorwürfe durch ihre Pressesprecher innerhalb von Stunden. Wie ich bald von Journalisten, aber auch aus der CSU erfuhr, soll Ministerpräsident Horst Seehofer die Order ausgegeben haben, kein Wort über das Buch zu verlieren. Die darin schwer angegriffenen einstigen Größen Edmund Stoiber, Erwin Huber und Günther Beckstein rührten sich nicht, Gerold Tandler und Georg von Waldenfels blieben stumm. Gesammeltes Schweigen allerorts. Huber soll jedoch ahnungsvoll und bedrückt schon nach der ersten Annonce in der Süddeutschen Zeitung, die das Buch ankündigte, gegenüber einem Journalisten geäußert haben, er sei es gewesen, der mich rehabilitiert habe, indem er ein von seinem Vorgänger von Waldenfels gegen mich eingeleitetes Disziplinarverfahren niedergeschlagen habe.

Stellten die früheren Justizminister Hermann Leeb und Manfred Weiß, der Justizministerialdirektor Wolfgang Held und der Generalstaatsanwalt Hermann Froschauer gegen mich einen Strafantrag wegen Verleumdung? Das Strafgesetzbuch war schließlich ihr Revier gewesen. Sie hüteten sich. Das überraschte mich nicht, war ich mir doch sicher, unumstößliche Beweise angeführt zu haben.

Distanzierten sich wenigstens Ministerpräsident Horst Seehofer und die Justizministerin Beate Merk von den im Buch beschriebenen Machenschaften und Verfehlungen bis hin zu Straftaten? Nein, sie schwiegen. Drückten sie den Opfern öffentlich ihr Bedauern aus? Mitnichten. Bemühte man sich um Wiedergutmachung oder Korrektur, soweit diese noch möglich war? Keineswegs, im Gegenteil. Die Steueramtsrätin Ingrid Meier, die bei dem Rüstungskonzern Diehl rechtswidrig daran gehindert worden war, 60 Millionen Mark an Steuern nachzufordern und wegen ihres Widerstands hiergegen beruflich abqualifiziert worden war (s. »Ursache Nr. 1: Politische Protektion in bestimmten Einzelfällen«, S. 212), erhielt von Finanzminister Georg Fahrenschon den Bescheid, sie sei überhaupt nicht benachteiligt worden. Der Regierungsdirektor Fischer-Stabauer, der sich erkühnt hatte, gegen Gerold Tandler ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung im Skandalfall des »Bäderkönigs« Eduard Zwick einzuleiten, und dem daraufhin die zuerkannte Eignung als Finanzamtsvorsteher wieder aberkannt worden war, erhielt keine Entschädigung, ja nicht einmal ein Wort der Entschuldigung. Und der frühere, ebenso mutige wie hervorragende Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier, der trotz massiver Behinderung von oben die Strafverfahren gegen Holger Pfahls, Max Strauß, Walther Leisler Kiep, Karlheinz Schreiber und die Thyssen-Manager Hastert und Maaßmann durchgesetzt hatte, musste weiterhin auf der Position verharren, auf die man ihn, mutmaßlich weil er dort ungefährlich war, manövriert hatte: auf einer Richterstelle beim Oberlandesgericht München, wo er sich mit Familienrecht befassen durfte.

Dass Horst Seehofer keinerlei Mitgefühl mit Staatsdienern zeigte, denen bitteres Unrecht zugefügt wurde, war bemerkenswert und umso erstaunlicher, als er selbst früher ein kleiner Beamter an einem Landratsamt gewesen war.

Nach dem Erscheinen des Buches bestätigten mir Alfred Sauter, der wegen der ihm fälschlicherweise angelasteten Millionenverluste der Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft Bayern (LWS) als Justizminister zum Rücktritt gezwungen wurde, sowie der Staatssekretär a. D. im Bundeswirtschaftsministerium Erich Riedl, der beschuldigt wurde, vom Lobbyisten Karlheinz Schreiber 500000 Mark Schmiergeld im Zusammenhang mit der Lieferung von Bundeswehr-Spürpanzern der Marke Fuchs an Saudi-Arabien erhalten zu haben, die sie betreffenden Sachverhalte seien völlig korrekt dargestellt.

Ein von mir im Buch nicht erwähntes früheres Kabinettsmitglied zeigte sich erschüttert und versicherte mir: »Ich stehe voll auf Ihrer Seite. Ich bin Ihr Mitstreiter.« Er verschenkte an Weihnachten mehrere von mir signierte Buchexemplare. Ein ehemaliger Staatssekretär äußerte nach der Lektüre gegenüber einem Kollegen: »Es ist unglaublich, was da alles passiert ist. Da war man dabei und wusste doch nichts.« Frühere CSU-Mitglieder des Landtags und des Bundestags kamen auf mich zu und bekundeten ihre Solidarität. In allen Gesprächen kam einer besonders schlecht weg: Edmund Stoiber. Immer wieder wurde sein eiskaltes, rücksichtsloses Verhalten gerügt.

Auf der anderen Seite stand eine Äußerung von Staatskanzleiminister Siegfried Schneider. Er soll auf die Frage, ob er das Buch gelesen habe, geantwortet haben: »Ja, aber da steht nichts Bewegendes drin.« Es war aufschlussreich, dass das, was die meisten Leser erschütterte, für ihn anscheinend ziemlich normal war.

Der Münchner Presseclub lud mich zu einer Lesung ein, zugleich versuchte er, einen CSU-Politiker als Widerpart in der Diskussion zu gewinnen. Doch seltsam: Kein einziger hatte Zeit, weder Günther Beckstein noch Alois Glück, Thomas Goppel und etliche andere, an die man herantrat. Die Geschäftsführung des Presseclubs sagte mir, so etwas habe es noch nie gegeben.

Die Reaktion der Medien und Bürger

Über das Buch berichteten zunächst nur die größeren Zeitungen. Der Chefredakteur des konservativen Rheinischen Merkur, Michael Rutz, CSU-Mitglied seit Jahrzehnten, schrieb: Das Buch »macht es zwingend notwendig, das Kapitel Strauß vollständig neu aufzuarbeiten. Das gilt für die CSU, wenn denn Parteichef Seehofer tatsächlich – wie versprochen – einen kompletten Neuanfang für die Partei vorhat. Das gilt aber auch für die Staatsanwaltschaft in Bayern.« Ich wurde um zahlreiche Interviews gebeten: von der Presse, vom Rundfunk und von privaten Fernsehsendern. Das Bayerische Fernsehen hingegen blendete sich vollständig aus. Offenkundig sah sich der für seine Linientreue berüchtigte Chefredakteur Sigmund Gottlieb verpflichtet, das kolportierte Schweigegebot Seehofers einzuhalten.

Immer mehr Leute kauften das Buch, es wurde ein Bestseller und verkauft sich auch heute noch gut. Gleichzeitig brach über mich eine Welle von Telefonanrufen und Zuschriften herein. Hatte ich viele Schmähungen und Anfeindungen erwartet, so wurde ich vom Gegenteil überrascht: allseits begeisterte Zustimmung und Anerkennung für den Mut, das Buch geschrieben zu haben. Viele äußerten, sie hätten schon immer das Gefühl gehabt, dass etwas faul sei, aber dass es so schlimm sei, hätten sie nicht gedacht. Das Erstaunliche war, dass die Absender und Anrufer durchwegs bekannten, sie seien langjährige CSU-Wähler oder CSU-Mitglieder. Es waren oft Unternehmer, leitende Angestellte, Professoren, Beamte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Notare, Gymnasiallehrer, Ärzte und ähnliche gehobene Berufe. Es schien, als hätte das Buch einen Bann gebrochen. Aus den Reihen der CSU erhielt ich nur einen einzigen Schmähbrief, er kam aus Durach bei Kempten und war in fehlerhaftem Deutsch geschrieben.

Wurde ich zunächst von Buchhandlungen zu Lesungen eingeladen, so folgten bald Einladungen der SPD, des Evangelischen Arbeitskreises für Arbeitnehmerfragen, des Bundes deutscher Kriminalbeamter, der Gewerkschaft ver.di, verschiedener Clubs, der Freien Wähler, der FDP-nahen Thomas-Dehler-Stiftung und insbesondere von Bündnis 90/Die Grünen.

Als ich im Dezember 2009 auf Einladung der Letzteren im Landtag eine Lesung hielt, forderte unter großem Beifall der Landtagsabgeordnete Sepp Dürr, den Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen umzubenennen. »Ein Krimineller taugt nicht als Namensgeber«, sagte er. In der Diskussion bestätigten zwei frühere Richter die von mir gerügten Missstände in der Justiz. Und eine Beamtin der Steuerstrafsachen- und Steuerbußgeldstelle München bekannte mutig, dass meine Schilderung der rechtswidrigen Eingriffe »von oben« zutreffe.

Der stellvertretende Vorsitzende der Bayerischen Finanzgewerkschaft schrieb in der Mitgliederzeitschrift, das Buch bringe »weitestgehend Fakten«. Er erinnerte daran, dass die Finanzgewerkschaft 1993 in einem an Finanzminister von Waldenfels gerichteten Protestschreiben gegen die »politische Protektion« gerügt hatte, dass durch rechtswidrige Weisungen »von oben« Millionenbeträge an Steuern bei bestimmten Steuerpflichtigen nicht festgesetzt oder erlassen wurden. Der Finanzminister habe sich gegen diesen Vorwurf in einem »geharnischten Schreiben« verwahrt.

Ein früherer Kollege aus dem Innenministerium, ebenfalls CSU-Mitglied seit Jahrzehnten, beklagte: »Strauß hat die Korruption nach Bayern gebracht, Stoiber hat den Niedergang des Staatsvermögens verschuldet.« Ja, man begann in der CSU über die eigenen Spitzenleute nachzudenken.

Der Salvatorprobe des Jahres 2010 sah die Öffentlichkeit mit Spannung entgegen. Wegen der unfassbaren Misswirtschaft führender CSU-Politiker in Sachen Landesbank erwartete man allseits eine geharnischte Fastenpredigt des Bruders Barnabas (Michael Lerchenberg). Am Donnerstag, dem 5. März, war es dann so weit. Ich schaltete den Fernseher ein.

Bruder Barnabas hatte seine »Nockher-Bergpredigt« bereits begonnen. Satz für Satz prangerte er die Missstände und Missgriffe an, geißelte er die zwanghaft süßsauer lächelnden Politiker. Plötzlich streckte er den Arm aus, deutete auf Horst Seehofer und Finanzminister Fahrenschon und rief: »Haben Sie Ihren Schlötterer schon gelesen?« Fahrenschon nickte. »Und Sie trauen sich das auch noch zuzugeben!«, setzte Bruder Barnabas nach. »Weil«, fuhr er fort, »der Herr Ministerpräsident hat ja die immerwährende Anbetung des schwarzen Götzen und Flugbenzin-Buddhas angeordnet« (gemeint war Strauß). Dann holte er unter dem Pultdeckel das Buch Macht und Missbrauch hervor, hielt es Seehofer entgegen, der verdutzt schaute. Der Fastenprediger weiter: »Aber damit niemals mehr ein bayerischer Finanzminister lügen muss: Hier, Herr Seehofer, für Sie, da Geben seliger ist denn Nehmen, ein Exemplar Schlötterer, als Parteispende gewissermaßen, zur Buße und inneren Reinigung. Und wenn Sie das Buch gelesen haben, dann werden Sie die Worte unseres Herrn Jesus verstehen, die da lauten: Die Sünden der Väter werden vergolten bis ins dritte und vierte Glied.«

Notgedrungen erhob sich Seehofer und nahm das Buch entgegen. Sich umdrehend, wollte er es sogleich weiterreichen, aber niemand nahm ihm die schwere Last ab. So legte er es vor sich auf den Tisch. Das Publikum lachte schallend. Seehofer, der, wie erwähnt, die Anweisung gegeben haben soll, über das Buch zu schweigen, wurde quasi höchst unfreiwillig zum prominentesten Werbeträger für das Buch. Das Fernsehen blendete die Titelseite des Buches mit dem Bild von F. J. Strauß in Großaufnahme ein.

Mich aber erfüllte eine innige Freude.

2 Der Feldzug der Geschwister Strauß

Ankündigungen

Mein Versuch, das Riesendenkmal ihres Vaters in die Luft zu sprengen, provozierte, was vorhersehbar war, einen massiven verbalen Gegenschlag der Strauß-Abkömmlinge. Wie sie dabei zu Werke gingen, gereichte ihrem Erzeuger zur Ehre.

Franz Georg Strauß kündigte in Briefen an die Presse an: »Wir werden gegen das Traktat von Herrn Schlötterer vorgehen, das fanatisch, inhaltlich falsch und in seinen Schlussfolgerungen für einen Juristen einfach nur peinlich ist.« Sein Vater habe gemeint, »man könne die Menschen einteilen in kluge und dumme, andererseits in fleißige und faule. Daraus ergäben sich vier verschiedene Kombinationen. Am schlimmsten sei die Kombination dumm und fleißig. Hier sind wir bei Herrn Schlötterer angekommen.« Von der Presse um Stellungnahme gebeten, lehnte ich eine Diskussion darüber ab, welche der genannten Eigenschaften tatsächlich auf mich zutreffen und weshalb man mir fälschlicherweise nicht vorhandene zuschreiben wollte. Da die Gründe offenkundig waren, lehnte ich auch die Ergreifung rechtlicher Schritte gegen diese Herabwürdigung ab.

Der als Rechtsberater wegen Beihilfe zum Betrug in der Affäre der Firma WABAG, bei der rund 1000 Anleger mindestens 100 Millionen Mark verloren, rechtskräftig verurteilte Sohn Max Strauß warf Horst Seehofer in einem Interview mit der Bayerischen Staatszeitung vor, »dass seine Staatsregierung Herrn Schlötterer wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses hätte anzeigen müssen«. Er kündigte an: »Wir werden aber auf jeden Fall klagen. Was da verbreitet wird, ist knallfalsch, eine systematische Verleumdung.« Zum Vermögen der Familie Strauß in der Schweiz erklärte er: »Meine Eltern haben diese Konten stets vollständig bei der Steuer angegeben.« Nach ihrem Tod sei das Erbe angemeldet und versteuert worden, auch das Geld auf den Schweizer Konten.

Auf einem CSU-Parteitag in Nürnberg am 17./18. Juli 2009 traf Monika Hohlmeier mit dem früheren SZ-Redakteur Michael Stiller zusammen, der den Klappentext zu meinem Buch geschrieben hatte. Sie sei sehr aufgeregt gewesen, habe, so Stiller später, geradezu gejapst. Zunächst rügte sie, dass das Andenken Verstorbener – sie meinte ihren Vater – in Deutschland gesetzlich unzureichend geschützt sei. Wütend hielt sie Stiller sodann vor, das halbe Buch habe doch er geschrieben. Stiller erwiderte wahrheitsgemäß, von ihm stamme kein einziger Satz, er habe lediglich das Buch vor seinem Erscheinen gelesen. Einige Minuten später sprach eine Journalistenkollegin Stiller an, Monika Hohlmeier habe ihr gerade bei einem Zusammentreffen vor der Damentoilette mitgeteilt, dass er, Stiller, ihr gegenüber soeben zugegeben habe, das halbe Buch geschrieben zu haben! Stiller stellte daraufhin Hohlmeier zur Rede.

Die ausgeprägte Wahrheitsliebe der Strauß-Tochter hatte schon früher öffentliches Aufsehen erregt. Nachdem sie wegen der sogenannten Wahlfälschungsaffäre und ihrer Affäre um das von ihr gefertigte Dossier mit angeblichem Belastungsmaterial gegen Münchner CSU-Parteifreunde, die gegen sie Front machten, als Kultusministerin und CSU-Bezirksvorsitzende von München hatte zurücktreten müssen, wurde sie von einem Untersuchungsausschuss des Landtags vorgeladen. Nach ihrer Aussage äußerte der heutige Kultusminister Ludwig Spaenle: »Frau Hohlmeier lügt wie gedruckt.« Hans Podiuk, der frühere Vorsitzende der Münchner CSU-Stadtratsfraktion, erklärte zornig: »Das ist ein Abgrund von Lüge und Täuschung.«

Auf dem Parteitag in Nürnberg wurde der Bundestagsabgeordnete und frühere Umweltminister Peter Gauweiler von einem Journalisten darauf angesprochen, ob er als Anwalt für die Familie Strauß gegen das Buch tätig werde. Seine überraschende Antwort: Nein, aber wenn er ihr Anwalt wäre, würde er dringend raten, davon die Finger zu lassen. Außerdem sei Schlötterer ein anständiger Mensch, der überdies die Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft Bayern, die schwere finanzielle Verluste erlitten hatte, gerettet habe (Anmerkung: Ersteres trifft zu, Letzteres war zu viel der Ehre). In gleicher Weise soll sich Gauweiler anderen gegenüber geäußert haben.

Entgegen ihrer martialischen Ankündigung unternahmen die Geschwister Strauß jedoch zunächst nichts. Somit durfte ich hoffen, meine letzten Lebensjahre in Freiheit verbringen zu können, ohne auf eine Begnadigung durch den Ministerpräsidenten Horst Seehofer angewiesen zu sein.

Ein Strafantrag

Bei meinen Lesungen wies ich stets darauf hin, dass es zahlreiche Indizien dafür gebe, dass F. J. Strauß sich illegal ein großes Vermögen verschafft und es weitgehend der Steuer entzogen habe. Außerdem soll er sogar die CSU betrogen haben, indem er Geld, das der Partei zustand oder ihr zugedacht war, nicht abgeführt habe. Ob davon bei seinem Ableben noch etwas vorhanden war und, wenn ja, in welcher Höhe, ist nicht bekannt. F. J. Strauß hat zwar nahezu während seiner ganzen Karriere unter dem Verdacht der Korruption gestanden, aber erst mit seinen Verbindungen zu den zu Gefängnisstrafen verurteilten Waf­fenhändlern Karlheinz Schreiber und Dieter Holzer sowie zu dem – einem Beamten des Bundeskriminalamts zufolge – »gefährlichsten und größten Waffen- und Drogenhändler der Welt«, dem Syrer Monzer al Kassar, wurden zahlreiche Verdachtsmomente angeführt, die Strauß massiv belasteten.

Man kann vermuten, dass diese Lesungen den Geschwistern Strauß nicht gefallen haben. Plötzlich, im März 2010, stellten sie gegen mich Strafantrag wegen Verleumdung und Verletzung des Steuergeheimnisses. Sie empörten sich, ich hätte das Andenken ihres Vaters verunglimpft. Denn ich hätte wahrheitswidrig behauptet, ihr Vater habe illegal ein Vermögen von 400 Millionen Mark vereinnahmt, Steuerhinterziehung begangen, von Waffenhändlern Provisionszahlungen bezogen und auf sechs Schweizer Konten große Geldmengen vor der deutschen Steuer verborgen. Aber auch sie selbst hätte ich verleumdet, indem ich behauptet hätte, sie hätten jeder 150 Millionen Mark geerbt und das ererbte Vermögen nicht versteuert.

All das hatte ich weder geschrieben noch gesagt, sondern lediglich ausgeführt, dass gegen F. J. Strauß ein entsprechender Verdacht bestehe, und dabei auf zahlreiche einschlägige Fakten und Angaben Dritter verwiesen. Das war rechtlich eindeutig zulässig – ein aus Tatsachen abgeleiteter Verdacht ist keine unwahre Behauptung!

Die Geschwister hatten den Strafantrag vermutlich nicht nur wegen der angeblichen Verunglimpfung ihres Vaters gestellt, schließlich war er jahrzehntelang dem Verdacht der Korruption ausgesetzt gewesen. In Wirklichkeit handelten sie wohl auch und vor allem aus einem ganz anderen Motiv heraus: Sie fürchteten offensichtlich eine Untersuchung. Dieser Eindruck drängte sich durch verschiedene Argumente des Strafantrags auf. So erklärten sie, es gebe das Vermögen nicht, somit gebe es auch keine Pflicht zur Versteuerung. Die von mir geforderte öffentliche Untersuchung, gegebenenfalls durch das Parlament, sei »juristischer Unsinn«. Außerdem seien die Zeugen bereits alle verstorben, behaupteten sie wahrheitswidrig. Meine Forderung nach einer Einziehung des Vermögens sei »juristischer Unfug«. Dafür gebe es aufgrund der Verjährungsregelungen mehr als 20 Jahre nach seinem Entstehen »keine rechtliche Handhabe«. Was sollte es, all das vorzubringen? Es machte nur Sinn, wenn Strauß tatsächlich ein großes Vermögen aufgehäuft und vererbt hatte. Was sollte zudem der Vorwurf einer Verletzung des Steuergeheimnisses, wenn ein zu versteuerndes Vermögen angeblich gar nicht existierte? Für mich wirkte das so, als seien sie in Panik geraten.

Ihren Strafantrag garnierten die Geschwister mit Schmähungen wie »notorischer Querulant, scheinheilig, Amoklauf«. Sie bescheinigten mir das Fehlen »wesentlicher menschlicher Eigenschaften«. Die mir zur Last gelegten Straftaten bezogen sich auf zwei meiner Lesungen: Von der einen, die im Presseclub München stattgefunden hatte, legten sie einen Mitschnitt vor, der übrigens ohne Genehmigung entstanden war, und von der anderen – einer Lesung in Dachau auf Einladung von Bündnis 90/Die Grünen – einen Bericht, den zwei Beobachter verfasst hatten. Diese waren sofort dem Landtagsabgeordneten Martin Runge aufgefallen, weshalb er sie vorsorglich fotografiert hatte, was sogar in der örtlichen Ausgabe der SüddeutschenZeitung stand. Die im Mitschnitt wiedergegebenen Äußerungen waren rechtlich nicht zu beanstanden, dagegen hatte ich die im Bericht der beiden Zuhörer niedergeschriebenen Bemerkungen überhaupt nicht gemacht.

Von der Staatsanwaltschaft wurde ich aufgefordert, mich zu den Vorwürfen zu äußern. Ich beauftragte daraufhin einen Rechtsanwalt, der kurioserweise einer der beiden Anwälte war, die den Waffenhändler und Strauß-Freund Karlheinz Schreiber verteidigt hatten. Das war ein Zufall, der dadurch bedingt war, dass die presserechtliche Abteilung seiner Anwaltskanzlei ständig für meinen Verlag arbeitete. Ende Juni 2010 übersandte mein Anwalt der Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme. Da der Fall wegen F. J. Strauß gewaltige politische Bedeutung hatte, wurde er in der sogenannten politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft bearbeitet. Dort besteht üblicherweise stets Berichtspflicht »nach oben«. Das hieß dann, dass aller Wahrscheinlichkeit nach Generalstaatsanwalt Christoph Strötz und Justizministerin ­Beate Merk eingeschaltet wurden.

Durch meinen Anwalt beantragte ich die Beiziehung sämtlicher Strauß-Steuerakten einschließlich derer des Finanzministeriums. Die Steuerakten, falls ich sie je erhalten sollte, könnten Aufschluss geben über das, was Strauß an Vermögen angesammelt hatte, was er an Einkünften deklariert und was er eventuell nicht versteuert hatte. Die Brisanz dieser Akten hatte das Finanzministerium nach dem Tod von F. J. Strauß sicherlich sogleich erkannt. Wer erließ den Steuerbescheid, gegebenenfalls nach welchen Weisungen »von oben«?

Durch ihren meines Erachtens eher unbedachten Strafantrag erzwangen die Strauß-Geschwister nunmehr Ermittlungen zu Fragen, deren Beantwortung bis dahin verweigert worden war. So hatte zum Beispiel im vom Landtag eingesetzten »Amigo-Untersuchungsausschuss«, der sich mit umstrittenen, vom Flug­unternehmer Burkhart Grob finanzierten Reisen von Max Streibl, mit meiner Verfolgung durch Strauß und mit fragwür­digen Einkünften von Strauß befasste, die SPD-Abgeordnete Carmen König 1994 die Frage gestellt, ob F. J. Strauß die von der Friedrich-Baur-Stiftung bezogenen Testamentsvollstreckervergütungen von insgesamt 1,3 Millionen Mark wenigstens versteuert habe. Die Frage wurde als unzulässig wegen des Steuergeheimnisses abgewiesen, jedoch zu Unrecht. Denn das Steuergeheimnis kann durchbrochen werden, wenn ein legi­times öffentliches Interesse besteht. Und im Fall des Ministerpräsidenten Strauß war dies in jedem Fall zu bejahen. Im Buch hatte ich ebenfalls die Frage aufgeworfen, ob er die Einnahmen aus der Baur-Stiftung versteuerte. Im Strafantrag schwiegen sich die Geschwister Strauß dazu aus. Sie behaupteten nur ganz pauschal, der Vater habe immer alle Einkünfte versteuert. Die nunmehr beizuziehenden Steuerakten würden darüber Aufschluss geben.

Eine Überraschung hatte der Strafantrag bereits in einem ganz anderen Punkt gebracht. Öffentlich behauptete Monika Hohlmeier, sie wohne im oberfränkischen Staffelstein. Während sich vor der Europawahl im Frühjahr 2009 die anderen CSU-Bezirksverbände weigerten, die Strauß-Tochter als Kandidatin aufzustellen, erklärte sich der CSU-Bezirksverband Oberfranken, vermutlich unter Druck von Seehofer und dem damaligen CSU-Generalsekretär zu Guttenberg, schließlich dazu bereit, jedoch unter der Bedingung, dass sie auch tatsächlich in Oberfranken ihren Wohnsitz haben müsse. Hohlmeier versprach dies. Die soliden Oberfranken waren offenbar dennoch sauer, dass ihnen die abgehalfterte, skandalbeladene Hohlmeier aufgebürdet wurde. Die CSU erlitt deshalb bei der Europawahl herbe Verluste. Da Monika Hohlmeier aber durch einen guten Listenplatz abgesichert war, schaffte sie es dennoch ins Europaparlament. Überschwänglich gratulierte ihr zu Guttenberg: »Moni, du bist nicht nur in Oberfranken angekommen, du bist Oberfränkin.« Diese verstiegene Mutation war ihr selbst jedoch nicht bewusst. Denn im Strafantrag nannte sie weiterhin als Wohnsitz Vaterstetten bei München.

Hochkarätige Hilfe

»Auf zum letzten Gefecht« titelte die Süddeutsche Zeitung. Die Strauß-Geschwister versuchten, ihrem Strafantrag gegen mich öffentliche Wucht zu verleihen: sie informierten die Presse. Diese berichtete in großen Artikeln. Monika Hohlmeier wurde zitiert: »Auf vielen Veranstaltungen hat er meinen verstorbenen Vater – der sich nicht mehr wehren kann – verunglimpft und als Kriminellen verleumdet.« Die Behauptung, ihr Vater habe 400 Millionen Euro vererbt, sei »völliger Humbug«. Und weiter: »Wir wollen klarstellen, dass der Mann ein Verleumder ist.« Franz Georg Strauß steuerte dazu bei: »Wir wollen, dass er dafür seine Quittung bekommt.«

In einem Schreiben vom 2. April 2010 an die Staatsanwaltschaft deklarierte er sich und seine Geschwister als »Opfer der Verbrechen Schlötterers«. In einem Brief vom 23. November 2010 an die WDR-Intendantin Monika Piel bezeichnete er mich als »Kriminellen« und »kriminellen Denunzianten«, der durch Bayern zieht und »Lügen über unsere Familie verbreitet«. Ich ließ es an mir abtropfen. Mein Anwalt schlug vor, Strafantrag zu stellen. Ich wollte mich nicht auf diese Ebene hinunterbegeben und schrieb zurück, ein Strafantrag habe den Nachteil, dass er mich dann nicht mehr beleidige – was Besseres könne mir im Hinblick auf die Öffentlichkeit doch gar nicht passieren.

Der Fackelträger Verlag nahm mich in Schutz. Das Buch sei seriös, man habe es vorher juristisch prüfen lassen. Das hatte der Verlag im eigenen Interesse getan, er wollte ein Verkaufsverbot vermeiden und sich weder schadensersatzpflichtig noch strafbar machen. Wie sah ich selbst die Sache? Dass die Geschwister Strauß Strafantrag stellten, das hatte ich nicht zu hoffen gewagt. Denn zum einen konnte ich in einem solchen Verfahren durch meinen Anwalt belastende Umstände vorbringen, die ich sonst nur schwerlich hätte beweisen können. Zum anderen war zu erwarten, dass durch die Berichterstattung der Presse mancher aufgerüttelt würde, mir mit eigenem Wissen beizuspringen. Schon das Erscheinen des Buches hatte bewirkt, dass zahlreiche Informanten an mich herantraten.

Andererseits sah ich auch das Risiko. Das Andenken an den bayerischen Nationalheiligen Strauß durfte unter keinen Umständen geschändet werden. Das hatte Horst Seehofer klargemacht. Der Staatsapparat würde daher mit Sicherheit dafür eingesetzt, die Wahrheit zu verdecken.

Aber durfte ich nicht wenigstens darauf vertrauen, dass sich die Staatsanwälte und Richter nur dem Recht und Gesetz verpflichtet sehen würden? Die klare Antwort: »Nein«. Die Staatsanwälte waren zwar üblicherweise gut qualifizierte Juristen, aber als Staatsdiener von der Justizministerin weisungs- und beförderungsabhängig. Und der Generalstaatsanwalt, üblicherweise eine vom Justizministerium handverlesen ausgesuchte Person, genoss das uneingeschränkte Vertrauen der politischen Spitze. Die Richter waren zwar weisungsunabhängig, aber über ihre Beförderung entschied ebenfalls das Justizministerium. Auch wenn nicht auszuschließen war, dass alles ordnungsgemäß ablaufen würde, gab es dafür keine Garantie.

Ein sensationelles Hilfsangebot

Der Bericht der Süddeutschen Zeitung über den Strafantrag der Geschwister Strauß erschien am 28. Mai 2010. Bereits um 10.17 Uhr erhielt der Verlag eine E-Mail mit einem an mich gerichteten Hilfsangebot: »Mir liegen Informationen aus der Zeit vor, als ich noch für eine Bank tätig war. Diese Infos lassen die Klage der Strauß-Erben gegen Sie völlig absurd erscheinen«, schrieb mir der mir unbekannte Burkhard K. Ich nahm mit ihm telefonisch Kontakt auf.

Was er mir erzählte, war eine schier unglaubliche ­Geschichte. Er sei früher Vice President der Citicorp in Deutschland gewesen mit sowohl einem Büro in München als auch in Frankfurt. Im Frühjahr 1992 habe ihm eine Mitarbeiterin der Niederlassung in Luxemburg fernmündlich mitgeteilt, sie habe über einen Mittelsmann eine Anfrage von einem »Büro Max Strauß« aus München erhalten. Es wurde gefragt, ob die Citicorp bereit wäre, einen großen Bargeldbetrag entgegenzunehmen, um damit ein Konto in Luxemburg zu eröffnen. Die Kollegin, offenbar politisch eher uninteressiert, habe ihn gefragt, wer Max Strauß sei. Er habe ihr geantwortet, Max sei einer der Söhne des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Strauß. Die Kollegin habe ihn daraufhin gebeten, mit Max Strauß Kontakt aufzunehmen.

Als er unter der erhaltenen Telefonnummer angerufen habe, habe sich eine Frau mit »Büro Max Strauß« gemeldet. Nachdem er gesagt habe, er wolle Herrn Max Strauß sprechen, sei er von der Sekretärin zu einem Mann durchgestellt worden, den er aufgrund der Art und Weise der Kontaktaufnahme für Max Strauß hielt. Diesen habe er gefragt, wie hoch denn die fragliche Summe sei. Der Mann, der für ihn Max Strauß war, habe einen dreistelligen Millionenbetrag genannt. Woher das Geld denn komme, habe er gefragt. Darauf der Mann: »Das ist das Erbe unseres Vaters Franz Josef Strauß.« Auf die Frage meines Informanten, wo sich das Geld derzeit befinde, habe sein Gesprächspartner erwidert, es sei bei der Bayerischen Landesbank in München. Auf die weitere Frage, wie denn das Geld nach Luxemburg kommen solle, habe der Mann, den er für Max Strauß hielt, gesagt: »In bar!«

Das sei für ihn »der Hammer« gewesen. Bargeld in dieser Höhe! Er habe seinen Gesprächspartner aufgeklärt, per Kurier sei ein Bargeldtransport nur bis zu einer Summe von einer Million Mark möglich. Für höhere Beträge sei ein gepanzerter Wagen erforderlich mit drei bewaffneten Wachleuten. Daher hielt Burkhard K., wie er mir sagte, die Durchführung eines solchen Transports nahezu für unmöglich.

Kaum zu glauben sei für ihn gewesen, wie selbstsicher sein telefonischer Gesprächspartner ihm gegenüber aufgetreten sei, so als ob das alles ganz normal wäre. Auch wenn die Citicorp damals die größte Bank der Welt war, sei ein derartiger Betrag auch für sie höchst ungewöhnlich gewesen und als Bargeldtransfer erst recht.

Burkhard K. erzählte mir weiter, er sei bald darauf vom Europachef seiner Bank aus Zürich angerufen worden. Vermutlich sei dieser von der Filiale in Luxemburg über die Sache informiert worden. Der Europachef habe entschieden, den Transfer nicht durchzuführen, weil es Prinzip der Bank sei, keine derartigen Bargeldsummen oder Geld von Politikern anzunehmen. Daraufhin habe Burkhard K. nochmals die Telefonnummer, unter welcher schon der bisherige Kontakt stattgefunden hatte, ange­rufen. Dort sei er auf seine Bitte hin, Max Strauß sprechen zu wollen, wiederum mit dem Herrn, den er für Max Strauß hielt, verbunden worden. Er habe ihm die Absage mitgeteilt. Sein Gesprächspartner habe recht enttäuscht gewirkt.

Einige Zeit später habe Burkhard K. zufällig seine Luxemburger Kollegin in Frankfurt getroffen. Dabei seien sie nochmals auf den Anruf des sich als solches gemeldet habenden Büros von Max Strauß zu sprechen gekommen. Burkhard K. habe bedauert, dass sie den Geldtransfer nicht durchführen konnten, denn dadurch sei der Bank eine schöne Provision entgangen. Daraufhin habe die Kollegin lächelnd erwidert, dass sie das Anliegen an ihren Mann, der bei einer anderen Bank in Luxemburg beschäftigt war, weitergereicht habe.

Was ich soeben erfahren hatte, war umwerfend. Ich fragte Burkhard K., ob er bereit sei, seine Angaben vor meinem Anwalt zu wiederholen. Er bejahte. Einige Tage später machte Burkhard K. eine detaillierte Aussage vor meinem Anwalt, der alles zu Protokoll nahm.

Die Konten von Strauß in der Schweiz

Mein Anwalt und ich waren überzeugt, dass der Strafantrag rein rechtlich gesehen keine Chance hatte. Für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft dennoch irgendeine strafbare Handlung konstruieren und einen Deal – Einstellung des Strafverfahrens gegen eine Geldbuße oder Geldauflage – vorschlagen würde, war ich fest entschlossen, das zurückzuweisen. Einen Strafbefehl oder eine Anklage zog ich vor. In der öffentlichen Verhandlung würde ich die fraglichen Sachverhalte kunstgerecht ausbreiten. Das war die Linie, die ich mit meinem Anwalt vereinbarte.

Meine Stellungnahme gegenüber der Staatsanwaltschaft beschränkte sich daher vorerst auf die Konten von F. J. Strauß in der Schweiz. Im Buch hatte ich dargelegt, Strauß habe dort Konten bei fünf verschiedenen Banken unterhalten. Bei einer sechsten Bank habe der Waffenhändler Karlheinz Schreiber unter dem Decknamen »Master« mutmaßlich für ihn ein weiteres Konto geführt. Dabei berief ich mich insbesondere auf zwei nicht widerrufene Artikel des Spiegel, der das 1994 berichtet hatte. Somit war ich rechtlich abgesichert.

Als der Waffenhändler Karlheinz Schreiber im August 2009 von Kanada nach Deutschland ausgeliefert wurde, bat mich die Bayerische Staatszeitung um eine Einschätzung, ob jetzt Enthüllungen zu erwarten seien. Ich äußerte Skepsis, ob im Strafprozess wirklich Aufklärung erfolgen würde. »Schlecht schlafen dürften eventuell die Geschwister Strauß wegen der Geschäfte, die ihr Vater mit Schreiber gemacht hat, Stoiber wegen seiner Nähe zu Schreiber und Seehofer, weil er Strauß als sein Vorbild bezeichnet hat«, sagte ich. Überraschend wurde die Veröffentlichung des Interviews jedoch durch den Chefredakteur verboten – wie mir berichtet wurde auf Druck der Staatskanzlei. Der junge Journalist, der das Interview gemacht hatte, war außer sich. Seine Proteste blieben erfolglos. Er bot es schließlich dem Stern an, der es in Stern-online einstellte. Dort wurde es von 500000 Interessenten angeklickt, die Staatszeitung hingegen hat nur 40000 Leser.

Dennoch brachten die Geschwister Strauß in ihrem Strafantrag vor, die behauptete Existenz dieser Konten sei eine Verleumdung. »Richtig ist, dass es ein Schweizer Konto gab, das ordnungsgemäß versteuert wurde«, schrieben sie. Max Strauß hatte anscheinend vergessen, dass er selbst acht Monate zuvor in einem von ihm dreimal schriftlich redigierten Interview gegenüber der Bayerischen Staatszeitung von mehreren Konten gesprochen hatte: »Aber wir Erben haben das nach dem Tod unserer Eltern alles angegeben und versteuert. Auch das Geld, das auf Schweizer Konten lag … Meine Eltern haben diese Konten stets vollständig bei der Steuer angegeben.«

Zu dem Hinweis von Strauß-Freund Walter Schöll, Strauß sei Kunde beim Bankhaus Bär in Zürich gewesen, hatte der Spiegel Max Strauß mit den Worten zitiert: Er wisse, dass die Eltern nicht nur bei Pictet und der Bank Vontobel, sondern auch bei der Deutschen Bank in der Schweiz Kunden gewesen seien. Dass der Vater aber zudem beim Bankhaus Julius Bär eingeführt worden war, davon habe er nichts gewusst. Da müsse man »nachfassen«.

Die Geschwister Strauß bestritten nunmehr, dass Max Strauß die Existenz von Konten bei mehreren Schweizer Banken zugegeben habe. Sie behaupteten, sie hätten diesbezüglich gegen den Spiegel gerichtliche Schritte unternommen und obsiegt. Indessen hatten sie lediglich eine Gegendarstellung im Spiegel ­abdrucken lassen (Heft 26/1994, S. 77 f.). Eine Gegendarstellung muss von einem Verlag abgedruckt werden ohne Rücksicht darauf, ob sie zutrifft oder nicht – das ist kein Obsiegen vor Gericht. Überdies hatte der Spiegel der Gegendarstellung den Vermerk angefügt: »Der Spiegel bleibt bei seiner Darstellung.«

Bei genauem Lesen konnte man außerdem feststellen, dass sich die Gegendarstellung lediglich auf das Spiegel-Heft 14/1994 bezog, überdies nur auf einige Punkte. Sie betraf nicht das Heft 15/1994 mit dem erwähnten Eingeständnis von Max Strauß. Darin zitierte der Spiegel auch die Eheleute Eduard und Angelika Zwick, die erklärten, ihr Sohn Johannes habe nach dem Tod von Strauß Monika Hohlmeier auf Konten ihres Vaters in der Schweiz hingewiesen, die unter Tarnnamen liefen. Auch insoweit gab es keine Gegendarstellung der Geschwister. Vielleicht fürchteten sie, die Zwicks würden mit Beweisen aufwarten.

Eduard Zwick hatte gegenüber dem Spiegel erklärt, Strauß habe beim Bankhaus Pictet in Genf »Konten« gehabt, die unter dem Namen eines Freundes geführt worden seien. Nach deren Stand habe sich Strauß bei einem Besuch dort erkundigt (Spiegel, Heft 14/1994, S. 18, 19). Auch das sparten die Geschwister Strauß in ihrer Gegendarstellung aus. Sie stellten lediglich in Abrede, dass Zwick persönlich Strauß beim Bankhaus Pictet eingeführt habe. Man erkennt: Der Widerspruch bezieht sich nur auf einen unwesentlichen Punkt, nämlich die Einführung ihres Vaters bei Pictet durch Eduard Zwick. Der flüchtige Leser aber glaubt, es werde bestritten, dass Strauß überhaupt Kunde dort war.

Sogar im Bayernkurier hatten die Geschwister früher die Existenz von Schweizer Konten eingeräumt, die »der reinen Vermögensanlage« gedient hätten. »Zufluss von Dritten gab es nicht.« Zur Höhe der Kontobeträge befragt, habe Max Strauß zugegeben, dass es »ein paar Millionen« sein könnten, berichtete der Spiegel. Warum gab es auch dazu keine Gegendarstellung?

Außerdem hatten sie eingestanden, dass es noch ein Konto bei der Bank Ernst & Co. in Zürich gegeben habe. Darüber sei der Nachlass der Großmutter abgewickelt worden – eine recht verfängliche Erklärung. Als ein Schweizer Gericht entschied, die Unterlagen über das Konto seien an die deutschen Behörden herauszugeben, versuchte Max Strauß das durch eine Beschwerde beim Bundesgericht in Lausanne zu verhindern, wie die Neue Zürcher Zeitung berichtete.

Zu beachten ist: Die Journalisten Rudolf Lambrecht und Michael Mueller versichern in ihrem 2010 erschienenen Buch Die Elefantenmacher, die im Spiegel genannten Strauß-Konten seien ihnen auch »aus anderen Quellen« bekannt. Mir selbst wurden von einer absolut glaubhaften Quelle mehrere Banken in der Schweiz genannt, wo Vater Strauß Geld gebunkert hatte.

Es war unfassbar, dass die Geschwister Strauß trotz alldem meine Bestrafung wegen Verleumdung erwirken wollten!

Die Banken in der Schweiz haben Mindestsummen für Geldanlagen festgelegt. Wer Konten bei mehreren Banken unterhält, verfügt demnach über nicht unerhebliches Vermögen. Zudem stellt sich stets die Frage: Woher stammt dieses Geld? Und auf welchem Weg kam es auf diese Konten? Per Überweisung aus Deutschland? Oder aus dem Ausland? Oder als Bareinzahlung?

Die Justizministerin Beate Merk und eine Vorwarnung

Am 5. Juli 2010 suchte mein Anwalt den Staatsanwalt Hans-­Joachim Lutz in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft auf. Ohne den Zeugen zu nennen, las mein Verteidiger ihm das Protokoll der Aussage von Burkhard K. vor, das er anonymisiert und verkürzt hatte. Lutz zeigte sich erstaunt. Doch auf die Frage meines Anwalts, ob er ihm diese Unterlagen da­lassen solle, meinte Lutz, es sei besser, wenn er sie wieder mitnähme! Denn er als Verteidiger müsse letztendlich entscheiden, ob er den Zeugen benenne oder nicht. In Anbetracht der rechtlichen und politischen Bedeutung des Beweismittels war es äußerst befremdlich, welches zurückhaltende Interesse Staatsanwalt Lutz zeigte. Dieser gab meinem Anwalt zu verstehen, dass die Staatsanwaltschaft in politischen Fällen und somit auch in diesem Fall verpflichtet sei, dem Justizministerium zu berichten.

Nachdem mein Anwalt mich über das Gespräch in Kenntnis gesetzt hatte, gab es nur folgende Konsequenz: Es galt, die Justizministerin Beate Merk persönlich in die Pflicht zu nehmen! So geschah es. Mit Datum vom 10. August 2010 legte mein Anwalt, ohne Burkhard K. zu nennen, in einem Schreiben von mehr als drei Seiten der Ministerin die Einzelheiten der Aussage dar. Sodann bat er sie, alles Erforderliche zu veranlassen, um einer Verdunkelungsgefahr und der Beseitigung von Vermögen vorzubeugen, vor allem aber Maßnahmen zu treffen, den Zeugen zu schützen. Und er ersuchte sie um ein Gespräch.

Nun hätte man glauben mögen, dass die Ministerin aufgrund der enormen Bedeutung der Angelegenheit sich sofort zu einer Unterredung bereitgefunden hätte. Doch brüsk ließ sie antworten, zuständig sei die Staatsanwaltschaft, sie habe deshalb die Eingabe an den Leitenden Oberstaatsanwalt München I, Manfred Nötzel, weitergeleitet. Daraufhin bat mein Anwalt diesen mit Brief vom 31. August 2010 unter Bezug auf die Antwort der Ministerin um ein Gespräch, um mit ihm zu erörtern, »welche Schutzmaßnahmen für den Zeugen ergriffen werden könnten«. Aber auch Nötzel war zu einem Gespräch nicht bereit! Er ließ eine Oberstaatsanwältin telefonisch ausrichten, Staatsanwalt Lutz sei in Urlaub und werde sich nach seiner Rückkehr melden.

Es war eindrucksvoll, wie desinteressiert sich die Herrschaften von der Justiz an der Aussage des Zeugen zeigten. Aber es sollte noch krasser kommen. Staatsanwalt Lutz hatte, wie erwähnt, die anonymisierten Schriftstücke mit der Zeugenaussage von meinem Anwalt nicht entgegennehmen wollen. Auf meine Bitte hin schickte dieser sie ihm daraufhin mit der Post zu. Wie angekündigt, meldete sich Lutz nach seinem Urlaub. In dem Telefongespräch, das er mit meinem Anwalt führte, kam heraus, dass er inzwischen nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als Franz Georg Strauß unverzüglich über die Aussage des Zeugen zu informieren. Es war nicht zu glauben! Damit bestand der Verdacht der Strafvereitelung. Nicht nur ich und mein Anwalt waren konsterniert, auch seine Kollegen, denen er davon erzählte, waren fassungslos. Es sprach viel dafür, dass Lutz auf Weisung »von oben« gehandelt hatte, denn von sich aus wäre er vermutlich nie und nimmer so vorgegangen – schließlich konnte er sich denken, dass der Fall vom Justizministerium überwacht wurde.

Als mein Anwalt Akteneinsicht beantragte, fand sich ein vom 12. August 2010 datiertes Schreiben von Staatsanwalt Lutz an Franz Georg Strauß. Er teilte diesem beflissen mit: »Da ich Sie telefonisch nicht erreichen konnte, bitte ich Sie, mich … zurückzurufen. Da Sie zum Vortrag des Verteidigers von Dr. Schlötterer Stellung nehmen sollen, möchte ich Ihnen noch einige Hinweise hierzu geben.« Es war einfach unglaublich: Am 11. August 2010, einen Tag vor diesem Schreiben, war der an die Justizministerin gerichtete Schriftsatz meines Anwalts im Justizministerium abgegeben worden, in welchem er sie, wie erwähnt, gebeten hatte, Vorkehrungen gegen Verdunkelungsgefahr und die drohende Beseitigung von Vermögen zu prüfen – stattdessen war sogar eine Vorwarnung erfolgt! Aber damit noch nicht genug: Die Frage meines Anwalts, ob die Staatsanwaltschaft sich jetzt aufgrund der Angaben des Zeugen zu Ermittlungen veranlasst sehe, verneinte Lutz!

Sein Chef Manfred Nötzel war früher sechs Jahre lang bei der Generalstaatsanwaltschaft, dem Transmissionsriemen des Justizministeriums zu den Staatsanwaltschaften, beschäftigt gewesen. Er hatte dort gelernt, worauf es ankam. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung hatte er nach seinem Amtsantritt erklärt: »Wenn nächste Ermittlungsschritte publiziert werden, bevor wir Gelegenheit hatten, sie umzusetzen, ist das nicht immer hilfreich.«

Vorwarnungen seitens der bayerischen Justiz haben in politischen Fällen Tradition. Holger Pfahls wurde vorgewarnt, als eine Durchsuchung seiner Villa am Tegernsee bevorstand – das sagte ein Augsburger Oberstaatsanwalt vor dem Schreiber-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags aus. Pfahls wurde später nochmals vorgewarnt, als er verhaftet werden sollte, und konnte flüchten. Eduard Zwick wurde, wie Steuerbeamte vor dem Zwick-Untersuchungsausschuss erklärten, durch ein Telex des Justizministeriums über bevorstehende Durchsuchungen der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft informiert. Später wurde Zwick auf Anregung des Amtschefs des Justizministeriums, Wolfgang Held, vor einem möglichen Haftbefehl der hessischen Staatsanwaltschaft gewarnt, wie einem Aktenvermerk der Staatskanzlei zu entnehmen war. Zornig konfrontierte der Augsburger Leitende Oberstaatsanwalt Jörg Hillinger Held 1999 mit dem Vorwurf der Vorwarnung in drei Fällen. Es ist zu vermuten, dass Max Strauß ebenfalls vor einer Durchsuchungsaktion der Augsburger Staatsanwaltschaft gewarnt wurde. Er wies dann seinerseits die Ehefrau des Staatssekretärs Erich Riedl auf eine Durchsuchung hin, wenn auch grundlos.

Von der Existenz ungewöhnlicher Berichtswege zeugt auch ein anderer, bekannter Vorfall. 2011 suchte ein Münchner Oberstaatsanwalt den Gaddafi-Sohn Saif al-Arab auf, um diesen vor einer bevorstehenden Durchsuchung seiner Wohnräume zu warnen. Diese Vorwarnung hatte er zweifellos auf Weisung »von oben« unternommen. Das war der »Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger« denn doch zu viel, sie erstattete Strafanzeige. Die Justizministerin konnte nun nicht mehr umhin, ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen den Oberstaatsanwalt hinzunehmen. Was war das Motiv für die Vorwarnung und auch für andere Hinweise auf eine Vorzugsbehandlung des Diktatorensprosses durch bayerische Staatsbedienstete gewesen? Befürchtete man, die Gaddafi-Seite würde sich sonst mit Enthüllungen über Waffengeschäfte aus Strauß-Zeiten revanchieren?

Selbstverständlich wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Oberstaatsanwalt eingestellt.

Jetzt also wiederum eine Vorwarnung. Warum eigentlich erbrachte der Staatsanwalt Lutz seine »Serviceleistung« nicht in der Weise, dass er die Geschwister Strauß über Burkhard K.s Aussage schriftlich informierte? Warum zog er das Telefon vor? Und warum hielt er nicht wenigstens in der Ermittlungsakte fest, was er Franz Georg Strauß mitgeteilt hatte? Denn die Ermittlungsakte ist eine rechtlich maßgebliche Dokumentation des Verfahrensablaufs. Zudem hat ein Beschuldigter das Recht, über seinen Anwalt Akteneinsicht zu nehmen. Dieses Recht wird jedoch vereitelt, wenn die Staatsanwaltschaft Gespräche mit Verfahrensbeteiligten nicht in die Akte aufnimmt.

Die Ungeniertheit, mit der die Verantwortlichen der Justiz hier vorgingen, ließ den Schluss zu, dass sie Strafgesetzbuch und Strafprozessordnung mitunter als persönliche Dispositionsmasse betrachteten. In meinem Buch hatte ich angeprangert, dass der Generalstaatsanwalt Hermann Froschauer vor dem Schreiber-Untersuchungsausschuss des Landtags, der sich mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Waffenhändler Karlheinz Schreiber, den früheren Rüstungsstaatssekretär Holger Pfahls, Max Strauß und andere befasste, sich gegen die ihm von Staatsanwalt Winfried Maier vorgeworfenen rechtswidrigen Eingriffe wie folgt gerechtfertigt hatte: »Die Staatsanwaltschaft hat auch politische Strebungen, Erwünschtheiten, bessere Verträglichkeiten, einzubeziehen.« Das war ein unglaubliches Geständnis über fortwährende Vorzugsbehandlung bis hin zum Verdacht der Rechtsbeugung. Denn selbst­verständlich hat die Staatsanwaltschaft allein nach Recht und Gesetz zu verfahren und nicht nach politischen Vorgaben. Gleichwohl hatten sich damals weder Ministerpräsident Stoiber noch Justizminister Weiß von Froschauer distanziert. Nun musste ich erkennen: Es geht unter Seehofer und Merk alles so weiter wie bisher! Man fühlte sich da oben sicher, weil man den Justizapparat selbst befehligte.

Flucht zur Staatsanwaltschaft Bochum

Was tun angesichts der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen aufnahm? Die Frage war drängend, weil andererseits das Ermittlungsverfahren gegen mich ohne jede Hemmung weiter vorangetrieben wurde. Da hatte mein Anwalt eine glänzende Idee.

Er wandte sich mit meinem Einverständnis an eine Staatsanwaltschaft, die im Ruf stand, sich an die Gesetze zu halten. Es war die Staatsanwaltschaft Bochum. Diese ermittelte bekanntlich aufgrund angekaufter CDs gegen Steuerhinterzieher, die ihr Geld in Liechtenstein und in der Schweiz deponiert hatten. Mein Anwalt regte an, eine förmliche Vernehmung des Zeugen durchzuführen, weil er nicht nachvollziehen könne, wie in München mit der Angelegenheit umgegangen werde. Die Staatsanwaltschaft Bochum erklärte sich dazu bereit.

Was sich bei der Münchner Justiz abgespielt hatte, versetzte die Bochumer Staatsanwälte in gewaltiges Erstaunen. Staatsanwalt Timo Dörffer legte in einem Aktenvermerk Folgendes nieder: Mein Rechtsanwalt habe ihm telefonisch berichtet, der Staatsanwalt Lutz habe ihm mitgeteilt, dass er nach Erhalt der anonymisierten Angaben des Zeugen Burkhard K. mindestens zweimal mit Franz Georg Strauß telefoniert habe. Dieser habe gesagt, es müsste sich bei der genannten Summe wohl um Mandantengelder seines Bruders Max gehandelt haben. Der Vorgang als solcher sei von Burkhard K.’s Gesprächspartner, dessen Verständnis nach also Max Strauß, nicht bestritten worden.

Am 11. November 2010 wurde Burkhard K. in Bochum über dreieinhalb Stunden von einem Staatsanwalt in Gegenwart von Beamten der Steuerfahndung Düsseldorf vernommen. Das Protokoll umfasste sieben Seiten. Darin erklärte er, es sei sein ausdrücklicher Wunsch, zunächst nicht von bayerischen, sondern von nordrhein-westfälischen Ermittlungsbeamten vernommen zu werden, weil er diese für neutraler halte. Er machte die gleichen Angaben wie zuvor mir und meinem Anwalt gegenüber, präzisierte sie mit weiteren Einzelheiten. Zugleich aber machte er überraschend eine sehr brisante Aussage: Er habe 2007 während des zweiten Strafprozesses gegen Max Strauß in Augsburg ein anonymes Schreiben an den Leiter der Staatsanwaltschaft Augsburg, den Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz, persönlich gerichtet. Darin habe er sich als Ex-Banker einer internationalen Großbank vorgestellt und mitgeteilt, dass seine damalige Bank von einem Büro Strauß kontaktiert und gebeten worden sei, einen großen Millionenbetrag entgegenzunehmen. In dem Brief an Nemetz habe er zudem angeregt, sich nach dem Verbleib des Geldes bei der Sparkasse Luxemburg umzusehen.

Da die Staatsanwaltschaft Bochum nicht immer die besten Erfahrungen mit der von Beate Merk geführten Justiz in Bayern gemacht hatte – und zwar in Bezug auf die angekauften CDs mit gespeicherten Steuerfällen –, beschloss man, bei Nemetz nachzufragen.

Oberstaatsanwalt Hans-Ulrich Krück rief ihn an und erkundigte sich danach, was mit dem Brief geschehen sei. Nemetz reagierte, wie es hieß, sehr unwirsch. Seine Antwort war, »er wisse nichts von einem solchen Schreiben«. Dass ausgerechnet ein so wichtiges Schriftstück nicht seinen Weg zu ihm gefunden haben ­sollte, war nicht glaubhaft.

Nemetz war überdies im Jahr 2000 vor dem Schreiber-Untersuchungsausschuss des Landtagsvon untergebenen Staatsanwälten massiv belastet worden. Er hatte ihnen rechtswidrigerweise verboten, amtsinterne Differenzen in den Handakten festzuhalten. Vor dem Ausschuss rechtfertigte sich Nemetz damals mit der indiskutablen Begründung: »So eine Handakte ist kein Tagebuch.« Hatte er der Strafkammer, die gegen Max Strauß verhandelte, das anonyme Schreiben vorenthalten? Hatte er »nach oben« berichtet? Konnte es sein, dass er von dort eine Weisung erhalten hatte?

Schon früher war Nemetz in ähnlicher Weise ins Zwielicht geraten. Nur zwei Tage nach dem Tod seines unter mysteriösen Umständen tödlich verunglückten Vorgängers Jörg Hillinger (s. »Der mysteriöse Tod des Leitenden Oberstaatsanwalts Jörg Hillinger«, S. 229) hatte er angeordnet, dessen letzte Verfügung aus der Hauptakte zu entfernen und in die geheime Handakte zu übernehmen. Aus dieser Verfügung ging hervor, dass Generalstaatsanwalt Froschauer die rechtswidrige Aussetzung der Haftbefehle gegen Holger Pfahls und andere Beschuldigte gefordert hatte.

Der Bochumer Oberstaatsanwalt erkundigte sich – wie in den Akten festgehalten wurde – noch mehrmals bei der Augsburger Staatsanwaltschaft nach dem Schreiben von Burkhard K. Laut Auskunft wurde dort vergeblich nach dem Verbleib des Briefes gesucht. Überraschenderweise wurde er aber plötzlich dann doch gefunden, als die Landtagsfraktion der Freien Wähler im Dezember 2012 die Justizministerin Merk nach Verbleib und Behandlung des Schreibens befragte. Merks Antwort war aufschlussreich:

Es gab eine anonyme Anzeige, die am 26. Januar 2004 bei der Staatsanwaltschaft Augsburg einging. Sie war ›An den leitenden Staatsanwalt‹ unter nachfolgender Nennung des seinerzeitigen Sachbearbeiters im damaligen Verfahren gegen Max Strauß gerichtet. In diesem Schreiben war von einem dreistelligen Millionenvermögen der Familie Strauß die Rede. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat mit Verfügung vom 30. Januar 2004 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach Paragraf 152 der Strafprozess­ordnung abgesehen, da keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden, dass Max Strauß oder dessen Familie über ein derartiges Vermögen, noch dazu in bar verfügten. Hierüber hat die Staatsanwaltschaft Augsburg dem Generalstaatsanwalt in München und dieser dem Justizministerium im Zusammenhang mit der Beantwortung der vorliegenden Anfrage berichtet. Für eine vorherige Information gibt es keine Anhaltspunkte.

Demnach wurde das Schreiben der Strafkammer, die danach gegen Max Strauß verhandelte, vorenthalten. Genauso wenig wurde ermittelt: Es ist unfassbar, in welch markanten Fällen für Ermittlungen immer die Anhaltspunkte fehlen – die Strafanzeigen Gustl Mollaths gegen die HypoVereinsbank und Schwarzgeldkunden (s. »Die paranoide Wahnsymptomatik des Inge­nieurs Gustl Mollath«, S. 318) illustrieren dies ebenfalls. Und hat obendrein der Generalstaatsanwalt unter Verstoß gegen seine Berichtspflicht in wichtigen und politischen Fällen das Justiz­ministerium nicht informiert?

Das Geständnis eines Münchner Staatsanwalts

Im Dezember 2010 gab die Staatsanwaltschaft Bochum das Vorermittlungsverfahren zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München II ab, also nicht an die beim Landgericht München I, wo sich Nötzel und Lutz bereits hinreichend profiliert hatten. Die Akte umfasste 120 Seiten Ermittlungsergebnisse und Hinweise auf weitere Ermittlungsmöglichkeiten. Beigefügt war auch der besagte Aktenvermerk des Staatsanwalts Dörffer.

Dieser Aktenvermerk über die Vorwarnung hatte offenbar bei Staatsanwältin Andrea Grape, die für den Fall bei der Staatsanwaltschaft München II zuständig war, heftigen Anstoß erregt. Sie rief Staatsanwalt Lutz an und stellte ihn zur Rede. Anscheinend gab er alles zu. Doch sie wollte es von Lutz noch schriftlich haben und verlangte unter Bezug auf das vorangegangene Telefonat per E-Mail von ihm eine schriftliche Stellungnahme, ob der Aktenvermerk die darin geschilderte »Kontaktaufnahme« mit Franz Georg Strauß zutreffend wiedergebe. Außerdem fragte sie, ob das von meinem Rechtsanwalt übergebene anonymisierte Protokoll über die Zeugenaussage dort vorliege.

Lutz schrieb zurück, es sei tatsächlich zu mindestens einem Telefongespräch zwischen ihm und Franz Georg Strauß gekommen, bei dem die Mitteilung des Zeugen »thematisiert wurde«. Um dieses Geständnis kam Lutz nicht herum, nachdem er meinem Anwalt davon erzählt hatte. Aber seine kleinlaute Wortwahl kaschierte, dass er selbst den Strauß-Sohn angerufen und, als er ihn nicht sofort erreichte, sogar brieflich um einen Rückruf gebeten hatte. Und er hatte nicht etwa »vorgewarnt«, nein, vielmehr wurde lediglich »thematisiert«.

In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Landtagsabgeordneten Florian Streibl/Freie Wähler hierzu behauptete Justizministerin Merk, über diese Gespräche gebe es keine Aktenvermerke. Inhalt und Zeitpunkt der Gespräche seien dem Staatsanwalt »heute nicht mehr erinnerlich«. Zugleich aber behauptete sie, der Staatsanwalt habe Franz Georg Strauß »zur Gewährung rechtlichen Gehörs informiert«. Das war eine eindeutige Schutzbehauptung der Ministerin. Denn dann hätte der Staatsanwalt seinen Vorhalt und die Einlassung um Franz Georg Strauß schriftlich exakt in den Ermittlungsakten festhalten müssen. Eine Weisung von oben, die Geschwister Strauß zu informieren, habe der Staatsanwalt – so die Ministerin – nicht erhalten.

Aufschlussreiche Aktionen der Geschwister Strauß

Aufgrund der Information von Staatsanwalt Lutz über Burkhard K.s Aussage glaubten die Geschwister Strauß nun vielleicht, dass es für sie plötzlich gefährlich wurde. Den Strafantrag gegen mich hatten sie allem Anschein nach ohne Anwalt gestellt. Jetzt aber nahmen sie sich einen Strafverteidiger. Sie ließen ihn einen denkwürdigen Brief an meinen Anwalt schreiben: Dass er mich verteidige, sei unvereinbar damit, dass er vorher Karlheinz Schreiber in dessen Strafprozess vertreten habe! Denn dort habe er vorgetragen, »bestimmte Gelder seien nicht geflossen«, während er sich hier »auf das Gegenteil« berufe. Das klang für mich so, als ob die Geschwister fürchteten, mein Anwalt könnte auf Zahlungen an F. J. Strauß hinweisen, von denen ihm Schreiber erzählt hatte. So jedenfalls verstand ich den Brief. Mein Anwalt antwortete kühl, eine Interessenkollision liege nicht vor.

Gleich darauf unternahmen die Geschwister einen weiteren Entlastungsangriff. Anfang November 2010 beantragten sie überraschend beim Landgericht Hamburg eine einstweiligeVerfügung gegen den Heyne Verlag, der Macht und Missbrauch inzwischen als Taschenbuch herausgegeben hatte. Dem Verlag sollte auferlegt werden, verschiedene Passagen, insbesondere über die Konten von Strauß in der Schweiz und seine Beziehungen zu Waffenhändlern, zu streichen. Das Gericht belehrte die Geschwister, dass ihr Antrag keine Erfolgsaussichten habe. ­Dar­aufhin nahmen sie ihn zurück, das Gericht legte ihnen die Kosten des Verfahrens auf. Das war eine herbe Niederlage, die ­Presse berichtete bundesweit darüber.

Aber auch von anderer Seite drohte den Geschwistern Strauß Ungemach. Nach den Enthüllungen in meinem Buch hatte der WDR den renommierten Journalisten Egmont R. Koch beauftragt, einen Film über F. J. Strauß und seine Millionen zu drehen. Von den Recherchen erhielten die Geschwister Kenntnis. Franz Georg Strauß drohte daraufhin in einem Brief an die WDR-Intendantin Monika Piel, dass er gegen jeden, der Lügen über F. J. Strauß verbreite, »zivil- und strafrechtlich vorgehen werde«. Den Journalisten stellte er als unseriös hin, mich bezeichnete er als »Kriminellen« und »kriminellen Denunzianten«. Das musste nicht überraschen.

Verblüffend war jedoch die Story, die Franz Georg Strauß auftischte: »Vor etwa einem Jahr hatte ich Kontakt mit einem Journalisten namens Egmont R. Koch. Dieser wollte über meinen Vater Franz Josef Strauß einen Dokumentarfilm drehen, seiner Angabe nach für den WDR … Deswegen suchte er Kontakt zu unserer Familie. Mein Bruder Max lehnte jeden Kontakt zu Herrn Koch ab, dessen Namen ihm in schlechter Erinnerung war. Ich teilte dies Herrn Koch mit, der sehr verwundert tat und sich … nicht erklären konnte, woher diese Abneigung rührte.«