Staatsverbrechen – der Fall Mollath - Wilhelm Schlötterer - E-Book

Staatsverbrechen – der Fall Mollath E-Book

Wilhelm Schlötterer

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Beschreibung

Es ist einer der spektakulärsten Justizskandale in der Geschichte der BRD: Mit unhaltbaren psychiatrischen Gutachten und falschen Beschuldigungen wurde Gustl Mollath 2006 von der Bayerischen Justiz in den psychiatrischen Maßregelvollzug weggesperrt, nachdem er vergeblich Schwarzgeldverschiebungen in vielfacher Millionenhöhe in die Schweiz angezeigt hatte. Erst 2013 erreichte sein Verteidiger die Freilassung. Dr. Wilhelm Schlötterer, an den sich Mollath aus der Haft mit der Bitte um Hilfe gewandt hatte, brachte seinerzeit den Stein ins Rollen. er erreichte die Wiederaufnahme des Falles. Er kennt die dahinterstehenden Machenschaften wie kein anderer, schildert sie pointiert und in allen Einzelheiten und verweist auf die verantwortlichen Politiker. Er zeigt auf, dass der Fall Mollath kein Justizirrtum war, sondern ein Staatsverbrechen.

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Wilhelm Schlötterer

STAATSVERBRECHEN – DER FALL MOLLATH

Das vorsätzliche Verbrechen an Gustl Mollath zwischen Schwarzgeld-Millionen, Vertuschung und der Rolle der CSU

WILHELM SCHLÖTTERER

STAATSVERBRECHEN DER FALL MOLLATH

Das vorsätzliche Verbrechen an Gustl Mollath zwischen Schwarzgeld-Millionen, Vertuschung und der Rolle der CSU

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

2. Auflage 2021

© 2021 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.

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Sämtliche Inhalte dieses Buchs wurden – auf Basis von Quellen, die der Autor für vertrauenswürdig erachtet – nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und sorgfältig geprüft. Der Verlag haftet für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind. Sämtliche Textstellen, die direkt oder indirekt Zitate wiedergeben und nicht anderweitig belegt sind, stammen aus persönlichen Gesprächen des Autors mit den betreffenden Personen.

Teile des Werkes entstammen dem Werk des Autors Wahn und Willkür, Heyne 2010.

Redaktion: Daniel Bussenius

Korrektorat: Anja Hilgarth

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildungen: Mollath: picture alliance/Lino Mirgeler/dpa, Merk: picture alliance/dpa, Stoiber/Beckstein: picture-alliance/dpa

Satz: Carsten Klein, Torgau

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN Print 978-3-59572-447-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-838-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-839-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Vorwort

Einleitung

Ein Bittbrief

1. Verurteilung und Einweisung in eine psychiatrische Anstalt

Das katastrophale Fehlverhalten eines Richters am Amtsgericht

Strafanzeigen und Petitionen an Ministerpräsident Stoiber

Zwischenspiele in der forensischen Psychiatrie

Ein wünschenswert hilfreiches Gutachten

Vergebliche Hilferufe

Der Prozess in Nürnberg

Das Urteil

Vollisolation im geschlossenen Gang

Die Vorgänge hinter den Kulissen

Die Verantwortlichkeit des Ministerpräsidenten Edmund Stoiber

In der Erlebniswelt der forensischen Psychiatrie

2. Der Kampf um die Freilassung

Eine vereitelte Chance

Die »ehrbaren« Richter des Landgerichts Bayreuth

Die »weisen« Richter des Oberlandesgerichts Bamberg

Die Justiz im Fangeisen

Ein unverhoffter Wiederaufnahmegrund und eine Verfassungsbeschwerde

Anrufung der Öffentlichkeit

Die Justizministerin Beate Merk im Rechtsausschuss des Landtags

Öffentlicher Angriff auf die Justizministerin

Die Wende zugunsten Mollaths

Das ethische Format der Banker

Die wunderlichen Wahrheiten des Hasso Nerlich

»Merk-Würdigkeiten«

Strafanzeige und Wiederaufnahmeantrag des Verteidigers

Zwei missverständliche Staatsbeamte

Der Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft Regensburg

Narzissmus und Hitler-Hügel

Richterin Schwarz und Richter Schwarz

Iustitia fiat – es geschehe Gerechtigkeit!

In Freiheit

Der Spruch des Bundesverfassungsgerichts

3. Der Wiederaufnahmeprozess in Regensburg

Verräterische Vorsorge

Denkwürdige Aussagen vor Gericht

Der Auftritt des Prof. Norbert Nedopil

Krach zwischen Verteidiger und Mandant

Das skurrile Plädoyer eines Oberstaatsanwalts

Das Urteil

Ein Staatsverbrechen – im christlich regierten Bayern?

4. Die Rehabilitierung des Gustl Mollath durch einen Meineid prozess und der Kampf um eine Entschädigung

Die Anklage

Die Beweiswürdigung durch das Schöffengericht

Die überraschende Rehabilitierung Mollaths als Folge des Meineidurteils

Die Verweigerung der Entschädigung

Entschädigungspflicht nach Gesetz

Entschädigung nach christlichem Gewissen

Ehrenwerte Richter

Die Reaktion der Gegenseite

Die Situation Mollaths

Die Haftung der Bevölkerung

5. Die Verantwortlichkeit der politischen Spitze

Auffällige Übereinstimmung eines Trios

Strategien der politischen Spitze

Ministerpräsident Seehofer und die CSU-Fraktion

Die politische Tragweite des Justizskandals Mollath

Die Straflosigkeit der Tat

Rechtspflege nach christlichem Gewissen

Der Vorsatz der Richter Brixner und Heinemann

Doch was geschah?

Der Vorsatz der Staatsanwälte

Die schweren Verdachtsgründe gegen die Justizministerin Beate Merk

Die Büchsenspanner im Justizministerium

Die Verschwörungstheorie

6. Pseudopolitische Struktur elemente des Justizapparats

Die Staatsanwaltschaft als politisches Steuerungsinstrument

Die Praxis von Strafverfolgung und Strafverschonung

Die Personalpolitik des Justizministers Winfried Bausback

Gegenwehr gegen Justizwillkür

Parlamentarische Kontrolle der Justiz

Elegische Betrachtung

Literaturverzeichnis

VORWORT

»Also, das hätte ich nie gedacht, dass so etwas bei uns möglich ist.« Dieser von Freunden und Bekannten ständig gehörte Satz zeigt, dass der Fall Gustl Mollath das Vertrauen der Bürger in die bayerische Justiz und in deren politische Leitung bis in die Grundfesten erschüttert hat. Man muss hinzufügen: Endlich! Endlich hat dieser Fall vielen die Augen geöffnet, das blinde Vertrauen ist dahin. Immer wieder hat es in der Vergangenheit in Bayern schlimme Skandale gegeben, mit Franz Josef Strauß hatte es angefangen. Aber man hatte diese Affären rasch wieder vergessen oder von vornherein abgetan, indem man sich einredete, woanders sei es auch nicht besser, egal welche Partei regiere – so gehe es halt zu in der Politik, da drehe man die Hand nicht um.

Und schließlich war es ja so, dass die Regierungsgeschäfte anscheinend jahrein, jahraus im Großen und Ganzen ordentlich betrieben wurden. Die regierenden Protagonisten vermittelten einen seriösen, pflichtbewussten, ja sogar christlichen Eindruck. Immer wieder fuhren sie nach Rom, um sich vom Papst segnen zu lassen, und vor wichtigen Parteiveranstaltungen fanden demonstrativ ökumenische Gottesdienste statt, die sie besuchten. Selbst wenn sie beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg oder bei der Veitshöchheimer Fastnacht durch scharfe Spottreden aufs Korn genommen wurden, reagierten die Herrschaften, wenn auch mit verspannten Mundwinkeln, lächelnd und leutselig. Da konnte man als gemeiner Bürger doch gar nicht auf die Idee kommen, dass zur gleichen Zeit ein unschuldiger Mitbürger namens Gustl Mollath seit Jahren in der forensischen Psychiatrie gefangengehalten wurde.

Der Fall Mollath war eine neue, eine ungeheuerliche Dimension von Skandal. Denn da wurde zum ersten Mal Gewalt angewendet, um jemanden zum Schweigen zu bringen – so etwas hatte es seit Bestehen der Bundesrepublik noch nie gegeben. Mit zwei Ausnahmen allerdings, hinter denen offensichtlich der Bundesverteidigungsminister Strauß stand. Ein Fall betraf den Finanzberater Hans Herrschaft, der Strauß vor dem FIBAG-Untersuchungsausschuss des Bundestags schwer belastet hatte und sofort nach seiner Rückkehr nach München 1962 für mehrere Wochen verhaftet wurde, wegen angeblichen Landesverrats. Strauß sah sich damals dem Vorwurf ausgesetzt, er habe die Hälfte des Gewinns aus dem geplanten Bau von 5.500 Wohnungen für US-Soldaten kassieren wollen. Der andere Fall war die Spiegel-Affäre, als Rudolf Augstein und mehrere seiner Redakteure 1962 mehrere Monate hinter Gitter kamen, ebenfalls wegen angeblichen Landesverrats. Mollath ist wieder frei, was ihm widerfahren ist, ist jedoch nicht mehr zu ändern.

Das Urteil des Landgerichts Regensburg im Wiederaufnahmeverfahren hat das Urteil des Nürnberger Landgerichts aufgehoben. Damit ist Mollath – dem Anschein nach – Gerechtigkeit widerfahren. Der Fall ist abgeschlossen, so sieht das die Allgemeinheit. Die Staatsregierung kann wieder durchatmen. Indessen, die Öffentlichkeit wurde übel getäuscht. Denn es war kein Justizirrtum, es war ein staatliches Verbrechen!

Der Vorsatz ist erwiesen: Eine Einweisung in die forensische Psychiatrie hat zwei Voraussetzungen, nämlich Geisteskrankheit und Gemeingefährlichkeit. Beide Voraussetzungen lagen bei Mollath nicht vor, sie wurden ihm von den Nürnberger Richtern, der Staatsanwaltschaft und dem medizinischen Gutachter untergeschoben, um ihn wegen seiner Strafanzeigen über Schwarzgeldverschiebungen in vielfacher Millionenhöhe mundtot zu machen.

Dies ist der von der politischen Spitze und der Justiz verheimlichte, in all ihren Stellungnahmen sorgsam umgangene Kern des Falles Mollath. Um von vornherein Klarheit zu schaffen, wird dieses in der nachfolgenden Darstellung immer wiederkehrende »Leitmotiv« hier bereits eingeführt.

Es kehrt zwangsläufig immer wieder, weil eine Vielzahl von Verantwortlichen mit dem Fall Mollath befasst waren, die sich über diesen entscheidenden Punkt sehenden Auges hinwegsetzten. Um ihnen Ausflüchte zu verwehren und um keine Fragen offenzulassen, ist es erforderlich, die von ihnen vorgebrachten Unwahrheiten und die Unhaltbarkeit von deren Begründungen detailliert aufzuzeigen.

Die unterbliebene Strafverfolgung der unmittelbaren Täter wie auch darüber stehender Verantwortlicher ist ein weiterer politischer Justizskandal. Sämtliche Strafanzeigen, die von Privatpersonen erstattet worden waren, wurden unter Justizminister Winfried Bausback als unbegründet zurückgewiesen. Es bestehe gegen keinen der Beteiligten auch nur ein Anfangsverdacht auf Vorsatz oder Willkür, behauptete Generalstaatsanwalt Christoph Strötz.

Nun wäre es eine Illusion zu glauben, man könnte die amtierende Regierung und die von ihr dirigierte Staatsanwaltschaft durch Offenlegung und Anprangerung der Fakten dazu zwingen, die rechtsstaatlich gebotenen Konsequenzen zu ziehen. Doch der Plan, sich aus dem Fall Mollath »davonzustehlen«, wie der Mollath-Verteidiger Dr. Gerhard Strate es prophezeit hat, darf nicht zum Erfolg führen. Dieses Buch will das mit einer Dokumentation des Falls verhindern. Die Menschen im Lande sollen erfahren, was da in Wirklichkeit gespielt wurde. Als Ersatz für die gebotene Anklage vor einem Gericht soll die Dokumentation dem existenziellen Bedürfnis von uns allen nach rechtstaatlich verbürgter Sicherheit dienen.

Über das geschehene Verbrechen und seine Vertuschung aus Bequemlichkeit oder Resignation oder gar aus Angst vor Vergeltung seitens der Regierenden zu schweigen, wäre nicht zu verantworten. Vor den Inhabern der Macht zurückzuweichen, wäre Verrat an den Mitbürgern, die nicht erkennen, welche unglaubliche Schandtat hier verübt wurde. Eine bestimmte Spezies hoher Amtsträger würde sonst glauben, sie könne sich alles erlauben. Es geht um unsere Zukunft.

Einige Themen und Teile des vorliegenden Werkes waren bereits Gegenstand meines Buchs Wahn und Willkür, das zuletzt im Heyne Verlag erschienen ist. Damals war mir allerdings nicht klar, wie tiefgreifend und wie komplex die Problematik sich durch alle Bereiche nicht nur der Justiz, sondern auch der Regierung und Verwaltung zog. War ich selbst damals noch von Staatsversagen ausgegangen, so wurde mir im Laufe meiner weiteren Forschungen an dem Fall bewusst, dass es sich um ein Staatsverbrechen handelt.

EINLEITUNG

»Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.« So beginnt Franz Kafkas berühmter Roman Der Prozess. Er endet damit, dass Josef K. nach einem abstrusen Verfahren vor den Toren der Stadt exekutiert wird.

Ein Bittbrief

Einige Wochen, nachdem mein Buch Macht und Missbrauch. Franz Josef Strauß und seine Nachfolger im Juli 2009 erschienen war, befand sich unter den zahlreichen Zuschriften, die ich daraufhin erhielt, ein seltsamer Brief. Absender war ein Insasse des Bezirkskrankenhauses Bayreuth namens Gustl Mollath. Ein Bezirkskrankenhaus ist in Bayern das, was man früher eine Irrenanstalt nannte. »Seit vier Jahren gehe ich durch die Hölle«, schrieb Mollath, er sei in eine unglaubliche Situation geraten, er werde zu Unrecht seit Jahren zwangsweise in der Psychiatrie festgehalten. Er bat mich, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ich war äußerst skeptisch. In die Irrenanstalt kommt man nicht durch Zufall. Ich legte den Brief beiseite. Doch zwei Tage später besann ich mich: Wenn da etwas dran sein sollte, würde ich mich an dem Mann schuldig machen. Also rief ich in der Forensischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth an und wurde mit Gustl Mollath verbunden.

Was der Häftling da ausbreitete, war eine bizarre Story. Er behauptete, er habe Jahre zuvor riesige Schwarzgeldverschiebungen in die Schweiz durch die HypoVereinsbank Nürnberg bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Seine Ehefrau sei bei dieser Bank beschäftigt gewesen und habe dort Schwarzgeldkunden betreut, sie habe sogar selbst als Kurier das Schwarzgeld in die Schweiz gebracht. Weil er befürchtete, dass sie bei Entdeckung jahrelang ins Gefängnis kommen würde, habe er versucht, die HypoVereinsbank und seine Ehefrau von diesen Steuerhinterziehungen abzubringen, jedoch ohne Erfolg. Darüber sei es zu ehelichen Spannungen gekommen, seine Frau habe ihn schließlich verlassen.

Nach der Trennung habe sie gegen ihn Strafantrag gestellt mit der falschen Anschuldigung, von ihm schwer misshandelt worden zu sein. Zugleich habe sie bei Gericht beantragt, ihn auf seinen Geisteszustand hin untersuchen zu lassen. Er sei jedoch völlig unschuldig gewesen. Dennoch habe ihn das Landgericht Nürnberg-Fürth als gemeingefährlich in die Psychiatrie eingewiesen mit der Begründung, die von ihm behaupteten Schwarzgeldverschiebungen seien Wahnvorstellungen und er leide unter schwerer Paranoia. Er, Mollath, bitte mich, ihm zu helfen.

Dieser Räuberpistole sollte ich Glauben schenken? Andererseits wartete Mollath in einem nachfolgenden Brief mit so vielen Einzelheiten und mit so vielen Namen von Verantwortlichen und Schwarzgeldkunden auf, dass ich mir sagen musste, das könne nicht alles erfunden sein. Vor allem aber war ich überrascht, dass Mollath mir seinen Fall ganz ruhig und geordnet schilderte, das Gegenteil hatte ich erwartet. Verzweiflung klang nur auf, als er beklagte, er sei all seiner Habe beraubt, er habe nicht einmal mehr ein Bild seiner Mutter. Ich war beeindruckt, sagte ihm zu, alles zu prüfen. Dazu würde ich unbedingt das Urteil des Landgerichts und das medizinische Einweisungsgutachten benötigen. An diese Unterlagen zu gelangen erwies sich indessen als schwierig. Ich erhielt sie erst Ende Februar 2011 von Mollaths Rechtsanwalt Hans-Berndt Ziegler in Marburg.

Am 21. Februar 2011 besuchte ich Mollath im Bezirkskrankenhaus Bayreuth, begleitet von drei seiner Freunde, die von seiner Unschuld überzeugt waren, ein Flugzeugbauer, ein Zahnarzt und ein Altenpfleger. Im kahlen Besucherzimmer konnten wir mehr als zwei Stunden mit Mollath sprechen. Er äußerte sich klar, sachlich und differenziert. Zugegen war der stellvertretende Chefarzt Michael Zappe. Chefarzt Klaus Leipziger, den ich um ein Gespräch gebeten hatte, war angeblich wegen einer Besprechung verhindert, wohl eine Ausrede, um sich keinen Fragen stellen zu müssen.

Frappierend war: Trotz intensiven Befragens vermochte Zappe nicht zu begründen, warum Mollath gemeingefährlich sei. Er brachte keinen einzigen medizinischen Befund vor, auch keine gewalttätigen Vorkommnisse in den Jahren der Unterbringung. Er berief sich allein darauf, dass man halt an das rechtskräftige Urteil gebunden sei, wonach Mollath geisteskrank und gemeingefährlich sei. Dieser aber verweigere sich hartnäckig jeder Therapie. Solange dies der Fall sei, könne er nicht entlassen werden. Auf meine Frage, wie denn die Therapie aussehen solle, wich er aus: »Da gibt es schon Möglichkeiten …« Auf die weitere Frage, wie denn das Ergebnis einer Therapie ausfallen müsste, damit Mollath freikomme, zuckte er bloß mit den Achseln.

Nachdem wir die mehrfachen Sicherheitsschleusen wieder passiert hatten, stand für uns alle fest: Hier wurde ein völlig normaler Mensch durch einen brutalen Willkürakt in der Psychiatrie gefangengehalten – allein wegen seines gefährlichen Wissens um die Schwarzgeldverschiebungen. Wir waren erschüttert und sahen uns aufgerufen, alles ins Werk zu setzen, um die Freilassung dieses Mannes zu erreichen.

Mir war klar, dass es hierfür nicht genügte, lautstark auf die Unschuld Mollaths hinzuweisen. Man musste eine gesicherte Faktenbasis schaffen. Es galt, das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth und das medizinische Einweisungsgutachten, das Klaus Leipziger als Facharzt für forensische Psychiatrie im Bezirkskrankenhaus Bayreuth erstellt hatte, zu durchleuchten. Unter dem Datum vom 28. März 2011 erarbeitete ich eine Analyse des Falls mit der Überschrift: »Justiz in Bayern«. Ich gelangte darin zu dem eindeutigen Ergebnis, dass der dringende Verdacht eines vorsätzlich falschen Gerichtsurteils und eines vorsätzlich falschen medizinischen Gutachtens gegeben war. Zugleich erhob ich schwere strafrechtliche Vorwürfe gegen die beteiligten Richter und Staatsanwälte, deren Vorgesetzte und den Gutachter. Damit hatte ich eine Lunte gelegt, die eine gewaltige Menge Sprengstoff entzünden musste.

Meine Ausarbeitung übersandte ich dem Pflichtverteidiger Mollaths als Argumentationshilfe. Zu meiner Überraschung leitete er sie nach rechtlicher Prüfung unverändert der Vollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth zu, das alljährlich darüber zu befinden hatte, ob die Fortdauer der Haft noch gerechtfertigt sei oder nicht. Als ich das erfuhr, war mir der weitere Ablauf ziemlich klar: Der Vorsitzende Richter dürfte meine Analyse sofort an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet haben, von dort war sie höchstwahrscheinlich innerhalb von Stunden auf dem Schreibtisch des Generalstaatsanwalts in Nürnberg gelandet und von diesem in beflissener Eile der Justizministerin Beate Merk zugeleitet worden.

1. VERURTEILUNG UND EINWEISUNG IN EINE PSYCHIATRISCHE ANSTALT

Gustl Mollath war vom Landgericht Nürnberg-Fürth am 8. August 2006 in die forensische Psychiatrie weggesperrt worden – auf unbegrenzte Zeit. Nachdem ich das Urteil und das Einweisungsgutachten durchgesehen hatte, war ich entsetzt: Ohne wirkliche Beweise hatte die Strafkammer festgestellt, Mollath habe seine Ehefrau schwer misshandelt. Und ohne seine Angaben über die Schwarzgeldverschiebungen der HypoVereinsbank und seiner früheren Ehefrau überhaupt überprüft zu haben, hatte man sie als paranoide Wahnvorstellungen deklariert und Mollath als gemeingefährlichen Geisteskranken eingestuft. Schon auf den ersten Blick war klar, dass Gutachten und Urteil üble Konstruktionen waren.

Erschüttert stellte ich mir vor, was Mollath durchlitten haben musste. Seit Februar 2006 saß er unschuldig hinter Gittern, zusammengesperrt mit psychisch kranken Gewaltverbrechern, Sexualtriebtätern, Drogensüchtigen. Aus der Gesellschaft herausgerissen, isoliert und alleingelassen, amtlich für verrückt erklärt, sodass seine um Hilfe rufenden Briefe nach draußen nicht mehr ernst genommen wurden, war er den bürgerlichen Tod gestorben. Ohne Aussicht, ob er überhaupt wieder freikommen würde, anders als Strafgefangene und selbst Mörder, die wissen, dass sie nach 15 Jahren freikommen können! Mollaths Schicksal trieb mich um, ich schlief zwei Nächte lang unruhig, dachte im Halbschlaf immer wieder an diesen Unglücklichen. Dabei setzte mir der Gedanke zu: Wenn man das mit mir gemacht hätte, hätte ich das durchgestanden? Hätte ich nicht irgendwann durchgedreht? Wäre Mollath in der Haft wirklich wahnsinnig geworden, es wäre nur allzu verständlich gewesen.

Gustl Mollath, geboren am 7. November 1956, legte 1976 das zweitbeste Abitur an seiner Schule ab. Er begann Maschinenbau zu studieren, brach dieses Studium aber wegen der Krebserkrankung seiner Mutter ab, um diese zu pflegen. Von 1981 bis 1983 arbeitete er bei MAN, wo er eine Controllingabteilung unter sich hatte. Anschließend machte er sich selbstständig, beschäftigte sich mit der komplizierten Reparatur von Oldtimern, insbesondere Ferraris, beteiligte sich an Autorennen und betrieb einen Reifenhandel.

1978 lernte er Petra, seine spätere Ehefrau, von Beruf Bankkauffrau, kennen. Sie war ab 1990 bei der Hauptniederlassung der HypoVereinsbank Nürnberg beschäftigt. Wie ihre Tätigkeit dort aussah, schilderte Mollath in seinen späteren Strafanzeigen:

Zusammen mit Kollegen habe seine Frau in der Bank über zehn Jahre hinweg die Verschiebung von Schwarzgeld für eine Vielzahl von Kunden in die Schweiz betrieben, zunächst zur Anlage- und Kreditbank (AKB) in Zürich, einer Tochter der HypoVereinsbank, später zur Bank Leu. Diese fortwährende Steuerhinterziehung und Geldwäsche habe einen riesigen Umfang gehabt, es sei um Abermillionen D-Mark gegangen. Seine Frau habe sogar selbst Schwarzgeld als Kurier in die Schweiz transportiert. Anfangs habe er dies, wenn auch missbilligend, hingenommen und sich gesagt, das gehöre halt zu ihrem Beruf. Bisweilen habe er sie selbst in die Schweiz gefahren.

Im Oktober 1996, als seine Frau an einem »Fortbildungsseminar« im berühmten Nobelhotel Dolder in Zürich teilnahm, sei er dabei gewesen. Die AKB habe hierzu die 50 »besten Schwarzgeldverschieber der Bayerischen HypoVereinsbank« eingeladen. Die Themen hätten sich auf Steuerrecht, Steuerstrafrecht und Verhalten bei Entdeckung bezogen. Dieses Seminar habe Dr. Margarethe Edlin, die Direktorin der AKB, geleitet, wohnhaft wie Edmund Stoiber in Wolfratshausen.

Nach Einführung der Zinsabschlagssteuer am 1. Januar 1993 sei der Strom des Schwarzgeldes so rapide angeschwollen, dass seine Frau fast wöchentlich in die Schweiz gefahren sei. Da habe er Angst um sie bekommen, sie riskierte bis zu zehn Jahren Gefängnis, falls sie von der deutschen Zoll- und Steuerfahndung erwischt worden wäre. Zudem habe er die hinter dem gewaltigen Ausmaß der Steuerhinterziehungen stehende Unmoral verabscheut. Es habe ihn angeekelt, wenn seine Frau ihm jeden Abend erzählt habe, wer wieder wie viel Schwarzgeld verschoben habe. Meterlange, an seine Frau gerichtete Faxe aus der Schweiz seien bei ihm zu Hause eingegangen. Deshalb habe er versucht, seine Frau von ihrer illegalen Tätigkeit abzubringen. Das sei ihm jedoch nicht gelungen, weil sie von der Bank Leu in Zürich auf ein dortiges Konto Provisionen sowie Vergütungen für die Verwaltung des Schwarzgeldbestandes erhalten habe, schrieb er in einer Strafanzeige vom 9. Dezember 2003. All das habe ihm immer mehr zugesetzt: »Ich konnte keine Nacht mehr schlafen, bin schweißgebadet aufgewacht.« Im Mai 2002 sei es wegen der Schwarzgeldverschiebungen zum großen Streit mit seiner Frau gekommen, sie habe ihn daraufhin verlassen.

In der Folge schrieb ihr Mollath mehrere Briefe, in denen er sie immer wieder bat, ihre illegale Tätigkeit zu beenden. Er hoffte damals noch, dass sie zu ihm zurückkehren würde, sie war indessen anscheinend bereits mit einem Direktor der HypoVereinsbank liiert, den sie später auch heiratete. Da sie wohl befürchtete, dass ihr Ehemann sie wegen ihrer Schwarzgeldgeschäfte anzeigen würde, erstattete sie ihrerseits im November 2002, ein halbes Jahr nach der Trennung, Strafanzeige gegen ihn. Darin beschuldigte sie ihren Noch-Ehemann, er habe sie am 12. August 2001, somit ein Dreivierteljahr vor der Trennung, geschlagen, getreten und gebissen und schließlich so gewürgt, dass sie bewusstlos geworden sei. Außerdem beschuldigte sie ihn der Freiheitsberaubung: Als sie nach der Trennung restliche Sachen aus der ehelichen Wohnung abholen wollte, habe ihr Mann sie festgehalten und erst dann gehen lassen, als nach eineinhalb Stunden die draußen wartende Freundin ihres Bruders geklingelt habe. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen Mollath.

Das katastrophale Fehlverhalten eines Richters am Amtsgericht

Am 25. September 2003 fand vor dem Amtsgericht Nürnberg die Verhandlung unter dem Vorsitz des Richters Alfred Huber statt. Zwei Tage vorher hatte Petra Mollath über ihre Anwälte bei Gericht den überraschenden Antrag gestellt, ihren Mann auf seinen Geisteszustand zu untersuchen, er sei wahrscheinlich gemeingefährlich.

Zum Vorwurf der Misshandlung sagte Gustl Mollath laut Protokoll:

»Wie die Sache hier dargestellt wird, stimmt es nicht. Sie ging auf mich los. Ich habe mich nur gewehrt. Meine Frau ist ein Teil von mir. Ich habe sie geliebt. In unserer Ehe gab es immer wieder starke Probleme. Es ging um Tätigkeiten, die meine Frau ausübt, die ich aber nicht tolerieren kann. Es geht hier um Steuerhinterziehung und Schwarzgeldverschiebung im großen Stil.«

Auf die Frage des Richters sagte dazu die als Zeugin geladene Ehefrau Petra Mollath laut Protokoll:

»Es gab in unserer Ehe öfters Streitigkeiten …, es hat ihm einfach nicht gepasst, was ich für einen Job habe.«

Diese Antwort war verblüffend. Sie gab sogar zu, dass ihre beruflichen Aktivitäten der Streitpunkt waren. Die angebliche Misshandlung beschrieb sie so:

»Mein Mann ist auf mich losgegangen und hat mich gewürgt. Ich hatte Prellungen und Bisswunden. Er hat mich schon öfters misshandelt. Ich hatte nur nie den Mut, einfach für immer zu gehen … Ich glaube einfach, dass mein Mann unter Bewusstseinsstörungen leidet.«

(Protokoll AZ: 41Ds 802 Js 4743/03)

Das aus dem Protokoll ersichtliche Verhalten des Richters Huber war nicht nur äußerst merkwürdig, es war pflichtwidrig. Warum hinterfragte er nicht den von Gustl Mollath angeführten Streitpunkt, die Steuerhinterziehung und Schwarzgeldverschiebung im großen Stil? Das Motiv war doch relevant für die Beurteilung des Tathergangs und für die Strafzumessung. Warum ließ er im Protokoll den Namen der HypoVereinsbank unerwähnt? Und warum bohrte der Staatsanwalt nicht sogleich mit Fragen nach? Steuerhinterziehung und Schwarzgeldverschiebung sind doch schwere Straftaten. Warum befragten weder der Richter noch der Staatsanwalt Petra Mollath, was das für ein geheimnisvoller Job war, dem sie nachging?

Gustl Mollath schrieb später, dass er ausdrücklich auf die HypoVereinsbank hingewiesen habe, aber dass weder der Richter noch der Staatsanwalt davon etwas wissen wollten. Noch dazu hatte er zu seiner Verteidigung einen 106 Seiten umfassenden Schnellhefter überreicht. Dieser enthielt u. a. eine Schilderung der Schwarzgeldverschiebungen sowie als Beweis dienende Belege, wie zum Beispiel Buchungsanordnungen für Nummernkonten in der Schweiz. Doch statt die Belege auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, erließ der Richter kurzerhand den Beschluss, Mollath sei auf seinen Geisteszustand zu untersuchen – ganz so, wie es Petra Mollath beantragt hatte.

Dabei muss dem Richter bewusst gewesen sein, dass es sehr häufig vorkommt, dass ein Ehegatte den anderen in die Ecke der Geisteskrankheit zu rücken versucht, wenn eine Ehe auseinanderbricht. Bei den meisten Tätlichkeiten in Ehen, die vor Gericht landen, wird kein psychiatrisches Gutachten eingeholt. Warum geschah das dann hier, ausgerechnet in einem Fall, in dem es um angezeigte Schwarzgeldverschiebungen in riesigem Umfang ging?

Durch den pflichtwidrigen Beschluss des Richters war Mollath unversehens in Fänge geraten, aus denen er sich nicht mehr befreien konnte. Er berichtet später, im Zuschauerraum habe der Liebhaber seiner Frau, der HypoVereinsbank-Direktor, gesessen und gelacht, als er ihn anschaute. Der Banker habe, so Mollath, den Verhandlungssaal zusammen mit dem Richter betreten, sodass er das Gefühl gehabt habe, beide hätten vorher miteinander gesprochen. Sofort habe ihn der Richter angeherrscht: »Stehen Sie gefälligst auf!«

Strafanzeigen und Petitionen an Ministerpräsident Stoiber

Mollath erkannte, dass er sich gegen die Unterstellung, er sei geisteskrank, nur verteidigen konnte, indem er nachwies, dass es die Schwarzgeldverschiebungen tatsächlich gab. Erstmals hatte er diese in einer Strafanzeige vom 11. Juni 2003 an den Scheidungsrichter Blos dargestellt – es gab jedoch keine Reaktion, weder seitens des Richters noch seitens der Staatsanwaltschaft. Ferner hatte er sie in der besagten Gerichtsverhandlung am 25. September 2003 in Gegenwart des Staatsanwalts angezeigt, auch das ohne Konsequenzen. Warum erteilte die Staatsanwaltschaft keinen Bescheid, obwohl sie dazu verpflichtet war? Wer oder was hielt sie davon ab? Mit Schreiben an das Amtsgericht und das Landgericht Nürnberg-Fürth beschwerte er sich darüber, vergeblich. Da hatte er einen pfiffigen Einfall. Er wandte sich mit einer Anzeige vom 9. Dezember 2003 an den Generalstaatsanwalt von Berlin, an den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und andere Justizstellen. Auf sechs Seiten schilderte er das System der Schwarzgeldverschiebungen und nannte die beteiligten Banker sowie Kunden samt Beruf und Adresse. Der Generalstaatsanwalt von Berlin leitete die Anzeige zuständigkeitshalber der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zu – nun konnte diese nicht mehr anders, sie musste Mollath antworten.

Doch der Bescheid vom 19.Februar 2004 (AZ: 509 Js 182/04), den er erhielt, war der blanke Hohn. Die Staatsanwältin Verena Fili schrieb ihm, sie dürfe kraft Gesetzes keine Ermittlungen vornehmen. Ihre Begründung: »Der Anzeigeerstatter trägt nur pauschal den Verdacht vor, dass Schwarzgeld in großem Umfang in die Schweiz verbracht wird. Aus diesen unkonkreten Angaben ergibt sich kein Prüfungsansatz.« Das war eine dreiste Lüge. Mollath hatte Ross und Reiter genannt und, was gar nicht notwendig gewesen wäre, sogar Beweise vorgelegt. Anstößig war zudem, dass die Staatsanwältin den Namen der HypoVereinsbank in ihrem Bescheid vermied, so wie es schon der Richter Huber im Protokoll getan hatte. Sie sprach nur von einer »Anzeige gegen Petra Mollath«. Existierte vielleicht überhaupt keine HypoVereinsbank? Oder gab es eine von oben verordnete Sprachregelung? Es muss wohl so gewesen sein.

Mollath protestierte mit Schreiben vom 14. März 2004, wies die Staatsanwältin auf die übergebenen Buchungsanordnungen für Schweizer Nummernkonten und Anlagen- und Vermögensverzeichnisse von Schwarzgeldern in der Schweiz hin, erstellt von der Schweizer Bank Leu, ohne Erfolg. Er erhielt nicht einmal eine Antwort, geschweige denn eine Aufforderung, nähere Angaben zu machen. Wer hielt die Staatsanwältin, die sich damit der Strafvereitelung im Amt schuldig machte, davon ab?

Daraufhin wandte Mollath sich mit einer Petition vom 8. April 2004 an Ministerpräsident Edmund Stoiber. Der musste sich schließlich im Strafrecht bestens auskennen, schließlich hatte er eine Doktorarbeit über neuere Aspekte des Hausfriedensbruchs verfasst. Mollath erinnerte Stoiber daran, dass er ihn bereits mit einem Schreiben vom 20. Dezember 2003 über den Schwarzgeldskandal informiert, aber von ihm leider nichts gehört habe. Dann beklagte er, dass die Staatsanwaltschaft pflichtwidrig Ermittlungen ablehne, wobei er auf eingereichte Unterlagen über verschobene Schwarzgeldbeträge von insgesamt 780.000 D-Mark und angegebene Schweizer Nummernkonten verwies. »In über zehn Jahren sind Milliarden verschoben worden«, schrieb er Stoiber. Doch er bekam seltsamerweise keine Antwort.

Mit Brief vom 22. April 2004 wandte er sich erneut an Stoiber. Er bat ihn dringend um Hilfe, weil man jetzt versuche, ihn als psychisch krank hinzustellen, er müsse mit allem rechnen. Dabei beschrieb er wieder den Schwarzgeldskandal, außerdem verwies er, und das war wohl ein schwerer Fehler, auf eine von einer Betriebsprüferin festgestellte Steuerhinterziehung von 60 Millionen D-Mark durch den Waffenfabrikanten Karl Diehl.

Flehentlich schrieb er am 25. April 2004 nochmals an Stoiber: »Jetzt soll ich durch eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik … mundtot gemacht werden.« Mollath warf Stoiber vor, dass er wohl aufgrund seiner Verbindung zur HypoVereinsbank nicht Ordnung schaffe. In deren Aufsichtsrat säßen doch Ministerialdirektoren.

Im selben Schreiben wies er Stoiber auf die wie dieser in Wolfratshausen wohnende Direktorin der AKB in der Schweiz, Dr. Margarethe Edlin, hin, die das erwähnte Fortbildungsseminar für die besten Schwarzgeldverschieber der HypoVereinsbank geleitet hatte. Er hielt ihm vor:

»Frau Edlin berichtete mir 1996 in einem persönlichen Gespräch in Zürich, bei der Weiterbildung und Feier der besten Schwarzgeldverschieber der Bayerischen Hypobank (Vermögensanlageberater aus ganz Deutschland waren da), dass sie sehr gut mit Ihrem Ziehvater Franz Josef Strauß bekannt war.«

Aber Stoiber hüllte sich in Schweigen. Später fand Mollath heraus, dass diese unmittelbare Nachbarin Stoibers war. Hatte dieser keinen Kontakt mit ihr? Dass sie sehr gut mit Strauß bekannt war, war aufgrund ihrer Aktivitäten glaubhaft.

Dass Stoiber Mollath nicht antwortete, war rechtswidrig. Denn mit dem verfassungsrechtlichen Petitionsrecht, das Mollath ausübte, ist ein Rechtsanspruch auf einen Bescheid verbunden. Normalerweise beantworten deshalb der Ministerpräsident und seine Staatskanzlei alle Eingaben. Warum geschah das ausgerechnet in diesem Fall nicht? Und zwar mehrmals nicht! Das konnte kein Zufall sein, es musste einen Grund haben.

Obwohl die Presse später wiederholt berichtete, dass Mollath sich vergeblich mit Petitionen an Stoiber gewandt hatte, ließ dieser kein Sterbenswörtchen von sich hören. Das war sehr auffällig.

Zwischenspiele in der forensischen Psychiatrie

Mollath sah, dass er in größter Gefahr war, in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen zu werden, wenn er sich der angeordneten psychiatrischen Untersuchung stellte. Er erschien deshalb nicht bei dem beauftragten Nervenarzt. Daraufhin wurde er von der Polizei festgenommen, in Handschellen abgeführt und in die Forensische Abteilung des Bezirkskrankenhauses am Europakanal in Erlangen überstellt. Dr. Michael Wörthmüller, der Chefarzt dieser Abteilung, sollte ihn untersuchen. Über seinen achttägigen Aufenthalt dort schrieb Mollath:

»Ich wurde über Tage in Vollisolations-Einzelhaft gehalten, durfte in einer Woche nur dreimal Hofgang machen. Ich bekam Kreislaufbeschwerden und eine Krampfader. Nachts wurde mir durch eine erzwungene Beleuchtung der Schlaf entzogen. Ich musste mich nackt ausziehen. Ich wurde Tag und Nacht von einer Kamera beobachtet.«

Überallhin sei er in Handschellen gebracht worden. Zuvor habe er entdeckt, dass Dr. Wörthmüller mit einem Mann befreundet war, der mit seiner Ehefrau eng zusammengearbeitet hatte und später zusammen mit zwei ihrer früheren Kollegen im Vorstand einer Finanzanlagegesellschaft tätig war. Diese Gesellschaft habe die Schwarzgeldverschiebungen in die Schweiz fortgesetzt. Als er den Chefarzt mit dieser Freundschaft konfrontierte, habe der ihm aufs Äußerste erschreckt angeboten, er erstelle über ihn ein harmloses, die Thematik der Schwarzgeldverschiebungen ausklammerndes Gutachten, wenn er die Verbindung nicht aufdecke. Er, Mollath, sei auf den Handel aber nicht eingegangen.

Zwei Monate später ordnete das Amtsgericht, es war der Richter Armin Eberl, die Einweisung Mollaths zu einer psychiatrischen Untersuchung für die Dauer von fünf Wochen in die Forensische Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth an. Am 13. Februar 2005 verhaftete ihn die Polizei und lieferte ihn dort ein – liegend, mit am Rücken gestreckt parallel gefesselten Armen. Die dadurch verursachten Verletzungen dokumentierte der aufnehmende Arzt schriftlich, außerdem fotografierte er sie mit einer Digitalkamera. Facharzt Klaus Leipziger versuchte mehrmals, mit Mollath ein Explorationsgespräch zu führen. Dieser weigerte sich jedoch, erklärte, er sei völlig gesund und werde sich daher weder körperlich noch neurologisch untersuchen lassen oder Auskünfte geben. Nach fünf Wochen wurde Mollath wieder entlassen, er fuhr mit dem Zug zurück nach Nürnberg.

Ein wünschenswert hilfreiches Gutachten

Ohne Explorationsgespräch und ohne körperliche Untersuchung ist ein psychiatrisches Gutachten anerkanntermaßen praktisch wertlos, es kann nur Spekulationen anstellen. Erstaunlicherweise jedoch gelangte Leipziger in seinem Gutachten vom 25. Juli 2005 zu eindeutigen Resultaten. Er verkündete: »Beim Angeklagten ist mit Sicherheit eine bereits seit Jahren bestehende, sich zuspitzende paranoide Symptomatik (Wahnsymptomatik) festzustellen, die ihn … so weit beeinträchtigt, dass er zu einem weitgehend normalen Leben und der Besorgung der für ihn wesentlichen Angelegenheiten im Außenraum nicht mehr in ausreichendem Maße in der Lage ist.«

Der Angeklagte habe, so Leipziger, in mehreren Bereichen ein »paranoides Gedankensystem« entwickelt. Der Facharzt führte aus: »Hier ist einerseits der Bereich der Schwarzgeldverschiebung zu nennen, in dem der Angeklagte unkorrigierbar der Überzeugung ist, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Ehefrau, diese selbst und nunmehr auch beliebige weitere Personen, die sich vermeintlich oder tatsächlich gegen ihn stellen (müssen), zum Beispiel auch Dr. Wörthmüller, der ursprünglich mit der stationären Begutachtung des Angeklagten beauftragt war, in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wäre.« Das begründete Leipziger mit 19 Zitaten aus den Strafanzeigen Mollaths.

Doch erstens hatte die Angaben Mollaths niemand überprüft, auch Leipziger nicht, wie konnte er da von »unkorrigierbaren« Wahnvorstellungen sprechen? Zumal es keinerlei Therapieversuche gab, weil Mollath mit ihm kein Gespräch führte. Zweitens gab er keinerlei Belege dafür an, dass Mollath »nunmehr auch beliebige« Personen in die Schwarzgeldverschiebungen einbezogen hatte.

Leipziger schrieb sodann: »Als weiteren Bereich eines paranoiden Systems des Angeklagten ist dessen krankhaft überzogene Sorge um seine Gesundheit, die Ablehnung der meisten Körperpflegemittel, von Nahrungsmitteln aus nicht biologisch-dynamischem Anbau … zu werten.« Endlich wurden die Menschen, die in Reformhäusern und Bioläden einkaufen, darüber aufgeklärt, dass sie an Paranoia leiden. Leipziger verdrehte völlig normales Verhalten ins Pathologische.