Wahre merkwürdige Verbrechen - Anselm von Feuerbach - E-Book

Wahre merkwürdige Verbrechen E-Book

Anselm von Feuerbach

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Beschreibung

Zu Nürnberg, in der großen, sehr gangbaren Königsstraße, wohnte im eigenen Haus Christoph Bäumler, ein achtbarer Bürger, der das dort so genannte Geschäft der Großpfragnerei betrieb, das im Handel mit Mehl, Hülsenfrüchten, Kerzen und dergleichen besteht, womit zugleich das Recht einer Branntweinschenke verbunden ist. Er war erst seit einigen Wochen Witwer und hatte nur eine Magd, Anna Katharina Schütz, bei sich, mit der er sein Haus ganz allein bewohnte. Er stand im Ruf eines sehr wohlhabenden Mannes. Bäumler pflegte seinen Laden schon sehr früh, um fünf Uhr, zu öffnen. Es fiel daher am Donnerstag, dem 21. September 1820, den Nachbarn befremdend auf, als morgens sechs Uhr und auch noch später dieser Laden verschlossen blieb ...

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Wahre Merkwürdige Verbrechen

Anselm Ritter von Feuerbach

Wahre Merkwürdige Verbrechen

Wahre Merkwürdige Verbrechen

idb

ISBN 9783963755750

Johann Paul Forster oder der zweifache Raubmörder

Tat und Tatbestand

Zu Nürnberg, in der großen, sehr gangbaren Königsstraße, wohnte im eigenen Haus Christoph Bäumler, ein achtbarer Bürger, der das dort so genannte Geschäft der Großpfragnerei betrieb, das im Handel mit Mehl, Hülsenfrüchten, Kerzen und dergleichen besteht, womit zugleich das Recht einer Branntweinschenke verbunden ist. Er war erst seit einigen Wochen Witwer und hatte nur eine Magd, Anna Katharina Schütz, bei sich, mit der er sein Haus ganz allein bewohnte. Er stand im Ruf eines sehr wohlhabenden Mannes.

Bäumler pflegte seinen Laden schon sehr früh, um fünf Uhr, zu öffnen. Es fiel daher am Donnerstag, dem 21. September 1820, den Nachbarn befremdend auf, als morgens sechs Uhr und auch noch später dieser Laden verschlossen blieb. Neugier und Besorgnis versammelte allmählich mehrere Personen vor dem Haus. Man läutete, doch niemand regte sich. Endlich stiegen einige Männer nach erhaltener Polizeierlaubnis auf einer Leiter in das erste Stockwerk ein. Hier fielen ihnen sogleich die weit offenen Türen der Stube und Kammer, ein aus der Kommode herausgezogenes Schubfach, geöffnete Kleiderschränke und andere Erscheinungen in die Augen, die sich beim ersten Blick als Spuren eines Raubes zu erkennen gaben. Man eilte die Treppe hinab in den Laden und sah hier in einer Ecke neben der Haustür den blutigen Leichnam der Bäumlerschen Dienstmagd, Anna Katharina Schütz, auf dem Boden ausgestreckt. Jetzt wurde die Haustür geöffnet. Sobald man in Bäumlers Wohnstube getreten war, fand man auch den Pfragner neben dem Ofen ermordet in seinem Blute liegen.

Das Bäumlersche Haus liegt demjenigen, der von dem Frauentor her die Königsstraße herabgeht, zur linken Hand, unweit dem Platz der Lorenzkirche. Von beiden Seiten stößt es an eine Reihe bewohnter Gebäude, meistens Gasthäuser und Läden, rechts an das Gasthaus Zum Goldenen Löwen, das ihm um mehrere Schuhe vorspringt.

Dicht neben dieser vorspringenden Wand ist der Eingang in das Bäumlersche Haus. Über eine niedrige Stufe tritt man in den Hausflur, der zugleich als Laden dient. Die Wände sind mit Schränken, Mehlkasten und Gerätschaften besetzt. Die Länge beträgt von dem Eingang bis an das entgegengesetzte Ende, wo eine Tür in den Hof und links die Treppe in das erste Stockwerk führt, etwa 15 Schritte. Ihre Breite ist ungleich, indem sie rechts neben der Haustür in eine vier Schritt tiefe, drei Schritt breite Ecke ausläuft, welche als Teil des Ladens ebenfalls mit Schränken besetzt ist und auf der einen Seite durch die Wand der Bäumlerschen Wohn- und Gaststube, auf der anderen Seite durch die Straßenwand gebildet wird, in der ein breites Bogenfenster sowohl dieser Ladenecke als auch jener Wohnstube, durch ein in diesen Teil des Ladens gehendes Fenster, von außen das Licht zuführt. Ungefähr sechs Schritte vom Eingang in den Laden ist die Tür zu der sehr schmalen, mit Tischen und Bänken für die Branntweingäste besetzten Wohnstube, die nach der vorhin gegebenen Beschreibung auf allen Seiten durch den Laden von der Straße getrennt ist.

Die eigentliche Haustür, die sich bei Nacht abschließen läßt, besteht, wie in allen sogenannten Nahrungshäusern der Stadt Nürnberg, aus zwei aneinanderhängenden Flügeln, von denen der vordere über den hinteren zurückgeschlagen werden kann, wo er, damit er nicht zurückfällt, durch eine einfache Vorrichtung an der Wand festgehalten wird. In die Öffnung, die durch das Zurücklegen des vorderen Türflügels auf den immer geschlossen bleibenden hinteren Flügel entsteht, wird bei Tag eine Glastür eingehängt, die dazu dient, dem Laden von der Straße her Licht zuzuführen. Abends zeigt sie durch die Beleuchtung im Innern den Vorübergehenden an, daß der Hausherr noch bereit sei, Käufer zu empfangen. Die Bäumlersche Haustür, hinter deren vorwärts gelegtem vordern Flügel sich ein Mensch ganz bequem vor dem Eintretenden verbergen kann, öffnet sich übrigens nach der linken Seite, der oben bemerkten Ladenecke gegenüber, so daß, wenn sie einem Hereintretenden nur ungefähr zur Hälfte geöffnet wird, derselbe sein Gesicht jener Ladenecke zukehren und daher, falls er von einem hinter der Tür verborgenen Menschen angefallen werden sollte, seine Flucht in derselben Richtung, mithin seitwärts in jene Ecke hinein, nehmen wird. Über der Türöffnung ist in der Wand eine Glocke angebracht, die beim Öffnen der Holz- als auch der Glastür in Bewegung kommt. Diese Beschreibung der Örtlichkeiten, die der Verfasser besichtigte, konnte für den Leser nicht umgangen werden. Ohne sie ist es durchaus nicht möglich, die Art der Begehung dieses zusammengesetzten, ungeheuren Verbrechens zu verstehen und zu begreifen.

Sobald die Polizeibehörde dem Stadtgerichte von dem Vorfall Kunde gegeben hatte, begab sich eine Kommission zur Feststellung des Tatbestandes in die Bäumlersche Wohnung. Gleich beim Eintreten in den Hausflur fand man rechts der Tür, in der oben bezeichneten Ladenecke, zwischen zwei Schränken mit Mehl und Salz, den Leichnam der Dienstmagd Schütz mit zerschmettertem Haupt rücklings auf dem Boden. Die Füße, von welchen beide Pantoffel abgestreift waren, lagen der Tür zugekehrt. Ihr Gesicht, die Kleider, der Fußboden waren mit Blut bedeckt und die beiden Schränke, zwischen denen ihr Kopf lag, sowie die Wand der Wohnstube bis in die Höhe von fünfeinhalb Fuß, mehr oder weniger stark damit bespritzt. Hieraus, und da sich an andern Orten des Ladens keine Blutspuren zeigten, ergab sich, daß der Mord der Dienstmagd in dieser Ecke des Ladens angefangen und vollbracht worden sein muß. Nicht weit von dem Leichnam lag auf dem Boden ein kleiner Seitenhaarkamm und in größerer Entfernung, nebst drei Bruchstücken eines anderen Seitenkämmchens, ein großer Haarkamm, wie ihn Frauenzimmer zu tragen pflegen.

Im hintersten Teil der Wohnstube fand man zwischen dem Ofen und einem seitwärts stehenden Tischchen, auf dem noch ein Krüglein mit Bier stand, den Großpfragner Bäumler rücklings ausgestreckt auf dem Boden. Sein mit Blut und Wunden bedeckter Kopf lehnte an einen umgestürzten Stuhl. Unter dem Leichnam lagen nebst einer Tabakspfeife verschiedene kleine Münzsorten, die wahrscheinlich aus der mit Blut befleckten Hosentasche, als der Mörder sie umkehrte, um nach Schlüsseln oder Geld zu suchen, herausgefallen waren. Der Fußboden, der Ofen, die Wände ringsumher waren mit Blut bedeckt. Der Stuhl war gleichsam damit getränkt. Die acht bis neun Schuh hohe gewölbte Decke zeigte sogar Spuren hinaufgespritzten Blutes. Durch alle diese Zeichen war augenscheinlich bewiesen, daß dieser Mann, als er mit der Pfeife in der Hand neben seinem Kruge Bier gesessen, von dem Mörder plötzlich mit tödlichen Streichen auf den Kopf überfallen und ohne Gegenwehr zu Boden gestreckt wurde.

In der Stube des ersten Stockwerks fand man ein Schubfach der Kommode herausgezogen, in der daranstoßenden Kammer die Türen der beiden Kleiderschränke geöffnet. Alles war in der größten Unordnung. Es waren jedoch noch einige Behälter ungeöffnet. Auch fanden sich in den verschlossenen wie in den geöffneten Behältern noch manche Sachen von Wert: Kleider, Silberzeug, eine goldene Repetieruhr und dergleichen. Die Zimmer im zweiten Stockwerke zeigten sich ganz in ihrem gewöhnlichen Zustand. Am Tatort wurden übrigens unter anderen folgende Gegenstände bemerkt, die für die Untersuchung Bedeutung gewinnen konnten:

In dem Wohn- und Wirtsstübchen stand auf der Wirtstafel ein Branntweinglas mit einer Neige roten Branntweins.

Daneben fand sich ein zusammengelegtes Taschenmesser, an dem Rücken und an beiden Seiten mit Blut befleckt.

Im Laden neben der Stubentür lagen auf einem Mehlkasten zwei noch frische Wecken, die aber bei der Entdeckung des Mordes zunächst der Haustür auf der Erde gelegen hatten.

Bei der Verhandlung war der Bäckermeister Stierhof gegenwärtig. Er versicherte, daß diese Wecken am verwichenen Abend um dreiviertel zehn Uhr von Bäumlers Magd bei ihm geholt worden seien. Die Ehefrau des Bäckers, die am folgenden Tag vernommen wurde, erkannte ebenfalls nicht nur die ihr vorgezeigten Wecken für dieselben, welche die verunglückte Magd am Abend des 20. Septembers bei ihr geholt habe, sondern erzählte auch folgendes: »Vorgestern abends gegen dreiviertel zehn Uhr kam die Magd des Großpfragners Bäumler in meinen Laden und verlangte zwei Kreuzerwecken, die ich ihr gab. Doch ich erkannte sie erst im Weggehen und sagte zu ihr: ›Sie ist es also, Nachbarin?‹ Worauf sie ganz mürrisch ›Ja‹ antwortete. Auf meine Frage: ›Habt ihr noch Gäste?‹ erwiderte sie: ›Ja, es sind noch so ein paar Schlacken da.‹ Ich sah nun noch eine Weile zum Fenster hinaus. Totenstille herrschte auf der Straße, und diese fiel mir so sehr auf, daß ich meine Leute darauf aufmerksam machte. Mit dem Schlag neundreiviertel Uhr machte ich meinen Laden zu.«

Es durfte nach diesen Aussagen schon jetzt als sehr wahrscheinlich angenommen werden, daß ein Mensch, der noch um dreiviertelzehn Uhr als Gast in Bäumlers Wirtsstube sich aufgehalten, entweder allein oder in Verbindung mit andern diese Mordtaten verübt habe. Ferner war gewiß, daß die Ermordung der Dienstmagd Schütz nicht früher als abends nach dreiviertel zehn Uhr könne geschehen sein. Da ferner die zwei Wecken, die sie zu dieser Zeit von dem Bäcker Stierhof geholt hatte, in dem Laden unweit der Haustür auf dem Boden gefunden wurden, so ist klar, daß sie sogleich bei ihrer Rückkehr in den Hausflur, wo im Schreck die Wecken ihrer Hand entfielen, von ihrem Mörder überfallen, in die Ladenecke getrieben und hier ermordet wurde. Daß zu dem Augenblick ihr Herr bereits ermordet gewesen, ist darum nicht zu bezweifeln, weil, wie der Augenschein zeigte, er, an seinem gewöhnlichen Platz auf dem Hockerl neben dem Ofen mit seiner Pfeife sitzend, erschlagen worden war. Hätte er noch gelebt, als der Mörder seine Dienstmagd überfiel, so würde er aus seiner Stube, durch das Getöse aufgeschreckt, herausgeeilt, wenigstens gewiß nicht auf seinem Stuhl gemächlich sitzen geblieben sein. Es geht hieraus weiter hervor, daß dieser Mord in der Zwischenzeit, vom Weggehen der Schütz zum Bäcker bis zu ihrer Rückkehr, vollbracht worden ist. Die Entfernung des Bäckerladens vom Bäumlerschen Hause beträgt höchstens hundert Schritte, die bequem in eineinhalb Minuten zurückgelegt werden können. Nimmt man auch an, daß die über ihr so spätes Fortschicken sehr verdrießliche Schütz nicht eben sehr lange und schnelle Schritte werde gemacht haben, rechnet man noch einige Zeit für ihren Aufenthalt im Bäckerladen und ihr kurzes Gespräch mit der Bäckersfrau hinzu, so kann aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Weggehen der Magd bis zu ihrer Rückkehr nicht mehr als ein Zeitraum von fünf Minuten angenommen werden, in denen der Mord an Bäumler vollbracht und die Ermordung der Schütz angefangen worden ist. Das wird noch durch folgenden merkwürdigen Umstand vollkommen bestätigt: Solange die oben beschriebene Glastür eingehängt war, konnte die Schütz weder bei ihrem Eintreten in den Laden angefallen noch in der Ecke daneben niedergemordet werden; denn es würde dem Mörder nicht nur unmöglich gewesen sein, sich hinter der Glastür zu verbergen, sondern er hätte auch jeden Augenblick besorgen müssen, daß entweder ein Vorübergehender von der Straße her seine Tat beobachtete oder wohl gar irgendein Kunde Bäumlers noch in den Laden komme und ihn bei seinem Mordgeschäft auf frischer Tat ertappe. Um daher die vom Bäcker zurückkommende Schütz sogleich beim Eintritt mörderisch zu empfangen, mußte zuvor die Glastür ausgehängt und der Laden durch die eigentliche Haustür geschlossen sein. Und so war es in der Tat. Während sonst der Bäumlersche Laden bis nachts elf Uhr offen blieb, wurde am Abend des Mordes von dem schräg gegenüber wohnenden Pfragner Rössel, der zufällig um dreiviertel zehn Uhr noch auf die Straße hinaussah, zu seinem großen Befremden bemerkt, daß bereits die Glastür an Bäumlers Laden ausgehängt sei. Daß dies von dem Mörder geschehen, unterliegt keinem Zweifel. Da nun um dreiviertel zehn Uhr die Schütz sich im Bäckerladen befand, und auch um dieselbe Zeit Rössel den Laden Bäumlers schon geschlossen sah, so ist nicht nur anzunehmen, daß der Mörder, nachdem er den Bäumler, kurz nach der Entfernung seiner Magd, niedergestreckt, schnell die Glastür ausgehängt, hinter dem vorgelegten Flügel der eigentlichen Haustür die Magd erwartet, dieser die Tür geöffnet und sie nun sogleich beim Hereintreten überfallen habe, sondern durch jene übereinstimmende Zeitangabe zweier Zeugen ist die Zeit von einigen Minuten vor bis zu einigen Minuten nach dreiviertel zehn Uhr als der Zeitraum für die Ermordung Bäumlers und seiner Magd deutlich genug bezeichnet.

Es ist noch zu bemerken, daß bei der gerichtlichen Ortsbesichtigung die Glocke über der Haustür nicht nur umgeschlagen, sondern auch mit einem Papier verstopft gefunden wurde. Es läßt sich nicht einsehen, welchen Grund Bäumler oder seine Magd gehabt haben, die Türglocke am Schellen zu verhindern. Der Mörder aber, der die Schütz erwartete, um ihr die Tür zu öffnen und sie sogleich beim Hereintreten mit Streichen zu empfangen, hatte dazu alle Ursache. Die beim Öffnen der Haustür schellende Glocke hätte leicht einen Nachbar oder einen Vorübergehenden auf den Bäumlerschen Laden gerade im selben Zeitpunkt aufmerksam machen können, wo nahe der Tür die entsetzliche Tat verübt werden sollte.

Daß übrigens, nach vollbrachten Mordtaten, sich der Mörder noch wenigstens bis halb elf Uhr zur Vollbringung des Raubes, wahrscheinlich auch zum Waschen und Umkleiden, in Bäumlers Wohnung aufgehalten hat, geht aus der Aussage des Schusters Pühler hervor, der um dieselbe Zeit am Haus vorüberging und im ersten Stockwerk noch Licht sah, während das Fenster über der verschlossenen Ladentür nicht mehr erleuchtet war.

Obgleich übrigens Bäumlers Haus rechts und links an bewohnte Häuser stößt, obgleich zwei Wagenwächter nicht weit von jenem Hause die auf der Straße stehenden, bereits beladenen Güterwagen bewachten, obgleich der Mord dieser beiden Unglücklichen noch bei guter Zeit, wo gewiß die wenigsten Menschen schon im Schlaf oder zu Bette lagen, verübt worden war und damals, wie die Bäckermeisterin Stierhof bezeugte, auf der Straße eine Totenstille herrschte, so wurde gleichwohl niemand ausfindig gemacht, der an jenem Abend im Bäumlerschen Haus irgendein Schreien, Poltern oder sonstiges Getöse vernommen hätte.

Die mit allen Förmlichkeiten vorgenommene Leichenschau lieferte im wesentlichen folgendes Ergebnis. Der Leichnam der Anna Katharina Schütz, eines dreiundzwanzigjährigen Mädchens von sehr schönem Körperbau und einnehmender Gesichtsbildung, zeigte am Kopf die gewaltigsten Zerstörungen. An der rechten Seite des Gesichts waren alle Fortsätze des Jochbeins abgebrochen und in die Tiefe der Backenhöhle hineingedrückt sowie der Ober- und Unterkiefer samt dem Nasenbein zerschmettert. Am Hinterhaupte fand sich unter mehreren schon äußerlich sichtbaren, sehr großen Wunden »eine wahre Verkettung in die Quere laufender Knochenbrüche«, wie der Gerichtsarzt sich ausdrückt. Nach Abnehmung der Schädeldecke und nachdem man das Haupt von Gehirn entleert hatte, zeigte sich, daß einer der großen Knochenbrüche des Hinterhauptes seinen Verlauf bis in den Grund der Schädelhöhle (basis cranii) genommen hatte, der seiner ganzen Länge nach so gespalten war, daß ein Kind leichte Mühe gehabt haben würde, den Schädel in zwei Stücke auseinanderzulegen. Äußerlich wurden am Hals und zwischen den Brüsten verschiedene Hautschürfungen wahrgenommen, wie auch an den Fingern beider Hände. Bei Öffnung der Brusthöhle aber zeigte sich das Brustbein sowie die zweite und vierte linke Rippe zerbrochen und die dritte Rippe von ihrem Knorpel losgesprengt. Ähnliche schwere Verletzungen fanden sich an dem Leichnam des Christoph Bäumler. Das Stirnbein war zwei Zoll über der Nasenwurzel in elf verschiedene Bruchstücke zersplittert. Von diesem Mittelpunkte der Zerstörung aus verbreitete sich über den ganzen Schädel gleichsam ein Kranz von einzelnen Knochenbrüchen, welche ununterbrochen in den beiden Scheitelbeinen bis in die Nähe der linken Augenhöhle fortlaufend, kurz vor der Rückkehr zum allgemeinen Herde der Zersplitterung des Stirnbeins, in einem Bruche endigten, der ein vier Zoll breites Bruchstück bildete. Im Grund der Schädelhöhle sah man das Keil- und Riechbein zertrümmert. An der linken Gesichtshälfte war das Jochbein aus allen seinen Verbindungen mit den benachbarten Knochen losgesprengt. Der Kinnbackenknochen war zerbrochen. Auf der Brust zeigte sich äußerlich keine Spur einer Verletzung. Aber nach Öffnung der Brusthöhle wurde die dritte und vierte Rippe beider Seiten von ihren mit dem Brustbein sich verbindenden Knorpeln losgetrennt sowie das Brustbein selbst, kurz vor seinem Übergang in den schwertförmigen Knorpel, abgebrochen gefunden.

Über die Tödlichkeit der Wunden konnte nicht der mindeste Zweifel obwalten. Über das Werkzeug, mit dem diese Verletzungen zugefügt wurden, äußerten sich die Gerichtsärzte so: Aus der Beschaffenheit der Kopfverletzungen müsse auf eine außerordentlich starke, zerschmetternd wirkende Kraft des verletzenden Werkzeugs sowie auf eine große Gewalt, womit es gehandhabt worden, geschlossen werden. Das verletzende Werkzeug müsse mit einer breiten Fläche aufgefallen sein und an dieser Fläche, wie die vielen kleinen und größeren Hautwunden an den Köpfen beider Leichname zeigten, winklige Ränder gehabt haben. Allen diesen Umständen nach zu schließen, seien daher die großen Zerstörungen an dem Schädel der Ermordeten wahrscheinlich mit dem Rücken einer Holzhacke zugefügt worden. – Was die Verletzungen im Brustkörper der Leichname betrifft, so urteilen die Sachverständigen, daß die nicht durch eine Holzhacke, die zerstörender hätte einwirken müssen, sondern durch eine schwächere, aber anhaltend wirkende Gewalt, vermutlich durch Fußtritte auf die Brust hervorgebracht wurden. – Ob die Hautrisse am Hals, auf der Brust und an den Fingern der Schütz durch einen Fußtritt oder durch die Hand des Mörders verursacht wurden, lasse sich aus dem bloßen Augenschein weder mit Gewißheit noch mit Wahrscheinlichkeit bestimmen.

Spuren des Täters, die sich bald zum höchsten rechtlichen Verdacht erheben

Da die oben bemerkte Aussage der Bäckersfrau auf die Vermutung geführt hatte, daß ein Mensch, der noch spät abends sich bei Bäumler als Gast aufgehalten, der Täter sein möge, so wurden alle, die am Abend des Mordes in jenem Wirtsstübchen eingekehrt waren, vor Gericht verhört. Es ergab sich, daß ein unbekannter Mensch schon sehr frühzeitig daselbst eingekehrt, beständig am äußersten Eck des Tisches, bald rauchend, bald aus einem Kelchglase roten Branntwein trinkend, gesessen und nach neun Uhr, als bereits die übrigen Gäste nach Hause gegangen, daselbst noch allein zurückgeblieben ist. In der Beschreibung seiner Person kommen alle darin überein, daß er ein Mensch von etwa 30 bis 32 Jahren gewesen, von dunkler Gesichtsfarbe, schwarzem Haar und Bart, in einen dunklen Überrock gekleidet, mit einem runden, hohen Filzhut auf dem Kopf. Mit Ausnahme eines Zeugen, der sich mit dem Unbekannten über den Hopfenhandel unterhielt und in ihm einen feinen, viel- und wohlredenden Mann gefunden hatte, behaupteten die übrigen, der Mann habe unter seinem tief in das Gesicht gedrückten Hut stets nur auf den Boden gesehen und entweder gar nicht oder selten ein Wort gesprochen. Er gab sich für einen fremden Hopfenhändler aus und äußerte, daß er hier bei Bäumler seinen Kameraden erwarte, einen zweiten Hopfenhändler, der das Schauspiel besucht habe. Die Zeugen erkannten in dem vom Gericht in Beschlag genommenen Kelchglas das gleiche, aus dem der Unbekannte roten Nägleinsbranntwein getrunken habe.

Die Verhaftung Forsters

Unterdessen hatte der Stadtmagistrat in rühmlichem Wetteifer mit dem Untersuchungsrichter gegen einen gewissen Paul Forster Verdacht geschöpft. Forster war ein erst seit vier Wochen aus dem Strafarbeitshaus zu Schwabach entlassener Sträfling, der sich mehrere Tage zu verschiedenen Zeiten, kurz vor der Mordtat, in der Nähe des Bäumlerschen Hauses auf verdächtige Weise hatte blicken lassen. Sein Vater, ein bettelarmer Tagelöhner, wohnte mit noch zwei grundliederlichen Töchtern in der Vorstadt St. Johann bei dem Gärtner Thaler in einem Hinterhäuschen. Forster hielt sich dort nicht auf. Er war am Tage nach dem Mord aus St. Johann in der ersten Frühe des Morgens nach Diesbeck, einem Orte des Landgerichts Neustadt an der Aisch, gegangen, wo er sich bei seiner vieljährigen Braut und Beischläferin namens Magaretha Preiß aufhielt. Hier wurde er von einem ihm nachgesandten Polizeisoldaten schon am dritten Tage nach der Tat, also am 23. September, in der Wohnung seiner Beischläferin verhaftet. Bei der Durchsuchung des Stübchens der Preiß fanden sich in einem Eckbehälter zwei Säcke mit Geld. Der eine mit 209 Gulden und 21 Kreuzer, der andere mit 152 Gulden und 17 Kreuzer. Die dreizehnjährige, uneheliche Tochter der Preiß überreichte ein Beutelchen mit einigen Schaumünzen und einem Dukaten, der ihr von Forster am Tage seiner Ankunft zu Diesbeck geschenkt worden war.

Als folgenden Tages Forster mit seiner Braut unter der Bedeckung von Gendarmen durch die Stadt Fürth gefahren wurde, erkannte in ihm der Hausknecht Popp des Wirts Kieskalt jenen fremden Mann, der am 21. früh gegen acht oder neun Uhr, in einen dunkelgrauen, tuchenen Überrock gekleidet, von Nürnberg kommend in der Wirtsstube seines Herrn eingekehrt sei und nach ungefähr einer Stunde wieder hinweggegangen wäre. Er sei aber dann, in einen dunkelblauen Überrock gekleidet, wieder zurückgekommen und habe ihm einen braunen Rock, den er unterm Arm trug, zur Aufbewahrung übergeben. Er bemerkte dazu: Popp möge ihn sorgfältig aufheben und ihn ja niemand zeigen. In acht Tagen werde er ihn wieder abholen. Der Hausknecht machte auf der Stelle dem Magistrat zu Fürth die Anzeige von diesem Umstand und überbrachte jenen braunen Rock. Der gehörte wirklich dem Forster und war, wie sich jedoch erst einige Zeit später dem Untersuchungsrichter ergab, an mehreren Stellen sehr stark mit Blut befleckt.

In dem dreißigjährigen Forster, mit seinem braunen Gesicht, schwarzen Haar und Bart, waren überdies alle Hauptzüge des unbekannten, unheimlichen Gastes wiederzuerkennen, der am verhängnisvollen Abend des 20. Septembers im Bäumlerschen Stübchen am längsten verweilt und ausgedauert hatte.

Die Rekognition der Leichen und das summarische Verhör

Sobald die Gefangenen zu Nürnberg angekommen waren, wurden sie nach gesetzlicher Vorschrift zum Rekognisationsakt in das Bäumlersche Haus geführt, wo im Hausflur beide Leichen mit enthülltem Gesicht, der übrige Körper mit eines jeden blutigen Kleidern zugedeckt, in ihren Särgen, die auf Stühlen standen, ausgestellt lagen. Die Leiche des Bäumler zur rechten, die seiner Magd zur linken Hand, so daß zwischen den Särgen ein Durchgang offen blieb.

Paul Forster wurde zuerst herbeigeführt. Ohne die mindeste Veränderung in seinem starren Gesicht trat er wie zu einem gleichgültigen Geschäft in den Hausflur zwischen die beiden Leichen. Er wurde aufgefordert, sie zu betrachten. Er sah sie starren Blickes an, ohne das kleinste Zeichen innerer Bewegung. Er antwortete auf die erste Frage: »Kennt Ihr diesen Leichnam rechts?« »Nein! Ich kenne ihn nicht. Er ist ja ganz entstellt. Ich kenne ihn nicht!« Und auf die zweite Frage, welche der zur Linken stehenden Leiche galt, ebenso: »Nein! Die ist ja aus der Gruft. Die kenne ich nicht.« Als er gefragt wurde, woher er denn wisse, daß sie schon im Grab gelegen, antwortete er, den Blick auf die Leiche der Dienstmagd gewendet, dann auf ihr Gesicht hindeutend: »Weil sie so entstellt ist. Hier! Es ist ja das ganze Gesicht verfallen.« Nachdem ihn der Richter aufgefordert hatte, genau die Stelle zu zeigen, an welcher er sie so sehr entstellt finde, griff er mit der rohesten Gleichgültigkeit an das Haupt des erschlagenen Mädchens, befühlte mit seinen Fingern die Stirn, die eingedrückte Nase und Wange und sagte ganz trocken: »Hier. Da sieht man es ja! Da!« So suchte er bei allen Fragen und Wendungen des Richters, sich hinter das Vorgeben zu verstecken, als sei ihm selbst der bloße Gedanke an eine Ermordung dieser Personen so ganz fremd, daß er in unschuldiger Einfalt und einfältiger Unschuld die mörderischen Wunden der noch frischen Leichen für die Folgen der Verwesung halte. Alle noch so ernstlichen Bemühungen des Untersuchungsrichters, durch diese grauenvolle Szene dem wahrscheinlichen Mörder, der hier zwischen beiden Leichen stand, wenigstens ein Zeichen der Verlegenheit oder der Rührung abzugewinnen, glitten fruchtlos an dieser Eisenseele ab. Nur einmal, auf die Frage: »Wo ist denn der Pfragner, der in dieses Haus gehört?« schien er, doch nur im ersten Augenblick, etwas betroffen. Der Inquirent ging endlich in seinem Eifer so weit, diesem Menschen zu befehlen, er solle die Hände beider Leichen ergreifen und dann sagen, was er dabei fühle? Und ohne Anstand ergriff Forster mit seiner Rechten den Bäumler und mit seiner Linken die Schütz bei ihren starren Händen und sagte: »Ja, die sind kalt. Ach! Die ist auch kalt.« Eine Antwort, durch die sogar ein gewisser Spott über die Frage des Untersuchungsrichters ziemlich klar hervorscheint. So gleichgültig und eiskalt seine Seele bei der ganzen Handlung blieb, so geschmeidig und gleichsam scheinheilig süß war durchaus der Ton seiner Stimme, so bemessen, ruhig und nichts weniger als barsch war auch sein Benehmen.

Ganz anders benahm sich bei dieser schauderhaften Gerichtshandlung die Magaretha Preiß. Beim Eintritt in den Bäumlerschen Hausflur zeigte sie sich tief erschüttert. Sie blickte, hierzu aufgefordert, zwar auf die Leiche hin, wandte sich jedoch, von Schauder ergriffen, sogleich wieder mit ihrem ganzen Leibe von ihnen hinweg. Sie verlangte Wasser zu trinken. Dann versicherte sie, daß sie weder die eine noch die andere Person kenne und von der Tat, durch welche diese Menschen so jämmerlich zugerichtet wurden, nicht die mindeste Kenntnis habe. Aus dem Geschrei des Pöbels, der auf dem Wege von Fürth bis nach Nürnberg ihren Wagen zu Tausenden umringt, sie eine Mörderin gescholten, sie mit Fäusten und Stöcken geschlagen und auf jede Weise mißhandelt habe, könne sie wohl annehmen, daß man sie der Teilnahme an einer so entsetzlichen Tat verdächtig halte. Aber Gott werde ihre Unschuld offenbaren. Durch Zeugen werde sie zu beweisen imstande sein, daß sie seit Wochen ihren Aufenthaltsort Diesbeck nicht verlassen hat. Die unzweideutigsten Zeichen des Mitleids mit den Ermordeten sowie des Entsetzens vor solcher Tat, sprachen noch mehr als ihre Tränen und Beteuerungen für das innere Bewußtsein ihrer Unschuld. Späterhin wurde dann auch durch den vollständigsten Beweis des Anderswo (Alibi) dargetan, daß sie an den Mordtaten unschuldig sei.

Johann Paul Forster, der nach beendigtem Rekognisationsakt sogleich summarisch vernommen wurde, ist am 22. Januar 1791 geboren und evangelisch-lutherischer Religion. Seine Familie gehörte übrigens, wie mehrere Umstände wahrscheinlich machen, zu einer Sekte von frommen Auserwählten, die wenig arbeiten, aber desto mehr beten, singen und in der Bibel lesen und mit ihrer Frömmigkeit, was sie so nennen, den Himmel für ihre Untugenden bezahlen. Forster, von Jugend auf in der Bibel belesen, war übrigens ein gelernter Gärtner. Er betrieb aber schon seit langer Zeit sein Gewerbe nicht mehr. Vor mehreren Jahren hatte er sich mit der Magaretha Preiß verlobt, die er kennenlernte, als sie bereits einem verheirateten Mann ein uneheliches Kind geboren hatte. Mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit hing er an ihr und gab, trotz allen ihm stets von neuem entgegentretenden Hindernissen, den Gedanken nicht auf, sie zu seiner rechtmäßigen Gattin zu machen. Auf seiner Brust trägt er mit roten Buchstaben eingeätzt die Worte: »Mein Herz der Magaretha!«

Im Jahre 1807, einige Jahre vor seiner Bekanntschaft mit der Preiß, traf ihn das Los der Konskription. Er wurde dem Infanterieregiment Buttler einverleibt. Er zeigte sich aber als ein schlechter Soldat und wurde seitdem ein noch schlechterer Mensch. Als 1808 sein Regiment das Übungslager bei Fürth bezogen hatte, schlich er in der Nacht aus seinem Zelt durch alle Wachtposten, brachte zu Nürnberg eine fröhliche Nacht mit einer Geliebten Babetta zu und wußte sich in der Frühe des folgenden Tages durch die Vorposten wieder in sein Zelt zurückzuschleichen. Allein noch denselben Morgen wurde er auf der Wachtparade aus dem Glied hervorgerufen und über seine nächtliche Abwesenheit zur Rede gestellt. Er leugnete anfangs. Als er sich jedoch überführt sah, gestand er mit Entschuldigungen sein Vergehen. Auf der Stelle wurden ihm zwanzig Stockstreiche über der Trommel zuerkannt. In einer von ihm selbst im Jahr 1817 verfaßten sogenannten Lebens- und Liebesbeschreibung, die bei seiner Verhaftung mit anderen Papieren in Beschlag genommen wurde, erzählt er umständlich jenes Ereignis, wobei seine Bemerkung: »Er habe bekannt, weil er sich überführt gesehen« einen Grundsatz zu erkennen gab, den er auch in dem gegenwärtigen Prozeß werde zu behaupten suchen. Er machte im Jahre 1809 den Feldzug gegen Österreich mit, war in der Schlacht bei Abensberg und Eckmühl, geriet hier, wie er wenigstens angibt, in Gefangenschaft, entließ sich selbst und kehrte nach Nürnberg zurück. Im Jahre 1810 entfernte er sich willkürlich aus der Kaserne, stellte sich nach achtzehn Tagen wieder und wurde mit Arrest bestraft. In diesem Jahre machte er die Bekanntschaft mit Magaretha Preiß, er erhielt 1811 einen Urlaub auf unbestimmte Zeit, machte auf dem Gute zu Adliz, das Magaretha gepachtet hatte, den Gärtner und Wirt, suchte auf alle Weise seine Entlassung aus dem Militärverbande zu erwirken, um seine Geliebte heiraten zu können, vermochte dieses aber nicht durchzusetzen und wurde endlich im Jahre 1812 wieder unter die Fahne gerufen. Schon während seines Aufenthaltes zu Adliz übte er sich in den Verbrechen gegen das Eigentum. Er entwendete in dem Wirtsgarten zu Adliz einem seiner Gäste einen Regenschirm und einen Schal, wofür er im folgenden Jahr von seinem Regiment bestraft wurde. Daß er aber damals schon noch bei weitem größere Verbrechen begangen haben möge, macht seine Autobiographie wahrscheinlich, in der er erzählt, daß er, während seiner kurzen Wirtschaft zu Adliz, sich so viel erworben, daß er zwei Kapitalien, das eine von 600 Gulden, das andere von 250 Gulden, auf Zinsen habe ausleihen können. Nachdem er aus dem Urlaub wieder zum Regiment einberufen war, desertierte er im Jahre 1813, schweifte elf Wochen lang umher und hielt sich größtenteils in Wäldern auf. Endlich schlich er sich nach St. Johann zu seiner Magaretha, die hier eine kleine Schenkwirtschaft gepachtet hatte. Er wurde aber bald nachher daselbst entdeckt und nun, sowohl wegen seiner Desertion als auch wegen der zu Adliz begangenen Diebstähle, am 14. Juni 1813 zum Gassenlaufen durch 150 Mann achtmal auf und ab und zur Erneuerung einer Kapitulationszeit von sechs Jahren verurteilt. Am gleichen Tag noch, an dem er seine Spießrutenstrafe bestanden hatte, desertierte er von neuem und wurde nochmals dem Prozeß unterworfen. Über ihn erging das kriegsgerichtliche Urteil, daß er wegen wiederholter Desertion schuldig sei, abermals die Spießrutenstrafe, dann eine Kapitulationszeit von noch einmal sechs Jahren zu bestehen. Auch diese Lehre blieb fruchtlos. Im Jahre 1815 unterlag er wiederholt wegen Desertion, Bestechung und Teilnahme an einer Erpressung einem schweren Kriminalprozeß, der jedoch nur damit endigte, daß ihm der erlittene Untersuchungsarrest angerechnet und er schimpflich vom Regiment davongejagt wurde. Von nun an führte er mit Magaretha Preiß ein liederliches Leben. Er arbeitete dann und wann als Tagelöhner, verdiente sich aber durch bequemeres Diebesgewerbe so viel, daß er mit seiner Beischläferin einen unverhältnismäßigen Aufwand zu machen imstande war, bis er im Jahre 1816 wegen mehrerer Diebstähle und eines Einbruchs zur Strafe des Arbeitshauses auf drei Jahre und sechs Monate verurteilt wurde. Aus Rücksicht auf seine während seiner Strafzeit ununterbrochen bewiesene gute Aufführung wurde er, nachdem er drei Viertel seiner Strafzeit überstanden hatte, am 21. August 1820, genau vier Wochen vor den Morden in Nürnberg, aus dem Arbeitshaus zu Schwabach wieder entlassen. Seine geliebte Magaretha mußte mehrmals, teils wegen Desertionsverheimlichung, teils wegen Verdachts der Teilnahme an seinen Diebstählen, das Schicksal seiner Kriminalprozesse teilen.

In seinem summarischen Verhör gab er an, daß ihm die Ursache seiner Verhaftung durchaus unbekannt sei. Aber nach dem Geschrei des Straßenpöbels müsse er wohl glauben, daß man ihn wegen Mordes in Verdacht habe. Vom 21. bis 23. September sei er zu Diesbeck gewesen. Wenn etwa die Mordtat früher geschehen sein sollte, so werde er ebensowenig seine Unschuld beweisen können, als jemand imstande sein würde, ihm zu beweisen, daß er die Tat begangen habe. Die ermordeten Personen habe er nie gekannt. Am 18., 19. und 20. September sei er bei Tag in Nürnberg gewesen, um sich hier nach Arbeit umzusehen. Am 20. sei er abends durch das Frauentor nach St. Johann gegangen, habe sich aber, da er in seines Vaters Wohnung wegen des vielen Ungeziefers nicht schlafen hätte mögen, in dem offenen Stadel des Gärtners Thaler auf das Heu gelegt und sei um ein Uhr in der Nacht, als die Leute zum Dreschen geweckt wurden, aufgestanden und hinweggegangen, um sich nach Diesbeck zu begeben. Da sei er am 21. nachmittags vier Uhr angekommen. Seiner Geliebten habe er zwei Säcke mit Geld, die er unterwegs in einem Tuche getragen, zum Aufheben übergeben. Mit diesem Gelde habe es folgende ganz unschuldige Bewandtnis: Als er sich noch im Arbeitshause Schwabach befunden, habe er mit einem Sträfling namens Xaver Beck, einem Bijouteriehändler, der wegen eingegangener Doppelehe verurteilt gewesen, der aber späterhin im Arbeitshause gestorben sei, innige Freundschaft gepflogen. Jener Beck habe ihm entdeckt, daß er an einem gewissen Platze zwischen Fürth und Farnbach eine bedeutende Summe Geldes vergraben habe, wovon er ihm die Hälfte überlassen wolle. Er, Forster, habe nun nach seiner Entlassung an dem bezeichneten Orte nachgesucht und den Schatz wirklich gefunden. Der habe aber nicht, wie der verstorbene Beck vorgegeben, 800-900 Gulden, sondern nur ungefähr 200-250 Gulden betragen. Dieses Geld habe er sogleich, der Sicherheit wegen, in einem Holzstoß vor dem Nürnberger Frauentor versteckt. Als er jedoch am Abend des 20. Septembers aus Nürnberg gegangen, habe er es wieder zu sich genommen und dann am folgenden Tag seiner Braut überbracht. Bei diesem Märchen mußte man es einstweilen bewenden lassen.

Unterdessen aber häuften sich schnell, zum Teil ungesucht, Verdachtsgründe auf Verdachtsgründe. Sie zogen sich zu dichten, schwarzen Gewitterwolken über Paul Forster zusammen.

Zwei Männer, die nebst anderen am 20. September abends in Bäumlers Gaststübchen gezecht hatten, erkannten in Forster ganz bestimmt den von ihnen bereits beschriebenen, unbekannten, unheimlichen Gast. Andere wagten dieses zwar nicht auf ihren Eid mit voller Gewißheit zu behaupten; was sich daraus erklären läßt, daß sie Forsters Physiognomie nicht im ganzen aufgefaßt oder nicht tief genug sich eingeprägt hatten. Außerdem hatte sich Forster unterdessen seinen damals sehr starken Bart abnehmen und die Kopfhaare schneiden lassen.

Ferner erzählte die Magaretha Preiß in ihrem summarischen Verhör, daß Forster am Donnerstag, den 21. zwischen vier und fünf Uhr bei ihr angekommen sei. Er habe statt seines gewöhnlichen braunen Überrocks, in dem er sie einige Tage zuvor verlassen, einen neuen blauen getragen. Über seinen alten Beinkleidern trug er weite, ihr ganz unbekannte von Nanking, und statt seiner schlechten, vorgeschuhten Stiefel hatte er neumodische, gewichste Suwarowstiefel angehabt. In seinen Händen hat er in seinem Schnupftuch Geld getragen, das er alsbald mit dem Bemerken in ihren Schrank gestellt, es gehöre dasselbe nicht ihm, sondern sei ihm zur Bestellung übergeben worden. Aus seiner Beinkleidtasche habe er einen Dukaten und einen Nürnberger Taler herausgenommen und beide ihrer Tochter geschenkt. Sehr ermüdet sei er angekommen, habe Blasen an den Füßen gehabt und sei dann, ganz gegen seine Gewohnheit, äußerst still und nachdenkend gewesen. Sie habe ihn darum befragt. Doch er habe ganz einsilbig erwidert: man könne nicht alle Tage heiter sein. Am folgenden Tag habe er nichts gegessen und sich ebenfalls still und stumm erwiesen. Als am Samstag abends ein Gepolter gehört worden und Männer in die Stube eingetreten sind, um ihn zu verhaften, ist er feuerrot geworden. Auf ihre Frage: »Du hast gewiß etwas angestellt?« hat er weiter nichts erwidert als: »Nein, ich habe gar nichts getan.«

Dörr, ein armer Bleistiftmacher, der mit dem alten Forster und dessen beiden Töchtern in demselben Häuschen wohnt, gab vor Gericht an:

»Donnerstag, am 21. morgens zwei Uhr, ist Paul Forster vor das Fenster seiner elterlichen Wohnung gekommen und hat seinen Vater herausgerufen. Der ist aber damals schon bei Thaler in der Dreschtenne gewesen. Forsters Schwester Walburga aber, als sie seine Stimme vernommen, hat gerufen: ›Das ist ja mein Bruder Johann!‹ Sie ist dann vom Bette aufgestanden, hat ihren Vater herbeigeholt. Nun haben sich alle drei hinter dem Haus zusammengestellt und ungefähr eineinhalb Stunden lang leise miteinander gesprochen. Am andern Morgen habe Walburga zu seiner (Dörrs) Frau gesagt: ›Mein Bruder Paul ist in das Hopfenblatten nach Langenzenn gegangen. Er hat mir seine Stiefel geschenkt, weil er sich neue gekauft hat. Paul Forster hat seinem Vater, wie er mir selbst (dem Zeugen) erzählt hat, in jener Nacht eine Schuld mit 4 oder 5 Vierundzwanzigern ausbezahlt.‹«

Daß Forster übrigens nicht, wie er in seinem summarischen Verhör angegeben, im Thalerischen Heustadel bis ein Uhr nachts geschlafen habe, wurde durch eidliche Aussage des Thaler und seines Sohnes erwiesen. Sie versicherten, daß ihr Stadel immer gegen Abend verschlossen werde. Das befremdende, nächtliche Erscheinen Forsters vor seinem väterlichen Haus schloß sich nahe an die Zeit, in der die Mordtat vorgefallen war. Überdies mußte das lange geheime Gespräch mit Vater und Schwester um so verdächtiger erscheinen, als Walburga, wie die beim Dreschen anwesenden Personen bezeugen, ihren Vater unter einem ganz falschen Vorwande abgerufen hatte.

In sehr kurzer Zeit kam man dann auch sogar zur Entdeckung eines Werkzeuges, das kaum noch einen Zweifel übrig ließ, daß Paul Forster sich desselben zur Verübung jenes doppelten Mordes bedient habe. Eine gewisse Margaretha Wölflin, welche mit Forsters Schwestern Umgang pflog, war nämlich am Mittwoch, den 20. September, nachmittags zwischen drei und vier Uhr nach St. Johann gegangen, wo sie Forsters kleine Schwester Katharina in den Kirchhof hineingehen, dann wieder herausgehen und ihre größere Schwester Walburga herbeiholen sah. Walburga ging hierauf in den Kirchhof. Hier stand Paul Forster, sprach leise mit ihr, worauf sie von ihm hinweg in ihre Wohnung ging. Alsbald kam sie mit einer Holzhacke zurück, die sie, als wolle sie dieselbe verbergen, an der Seite unter der Achsel trug. Als die Wölflin sie anredete, was sie denn da unter dem Arm habe, trug sie die Hacke freier, ging damit auf ihren Bruder zu, der unterdessen aus dem Kirchhof herausgekommen war, um seine Schwester zu erwarten, und übergab ihm die Hacke mit der Äußerung: »Höre, du könntest mir einen Gefallen tun, wenn, du die Hacke für mich zum Schleifen in die Stadt trügst.« Forster nahm sie dann nach einigen Zwischenreden und ging damit auf die Stadt zu, nachdem er zuvor der Wölflin, wie sie sich ausdrückte, ein falsches Gesicht gemacht hatte, gerade als wollte er sagen: »Muß denn diese auch da sein?«

Am Morgen des folgenden Tages begegnete die Walburga derselben Wölflin und erzählte ihr, daß in vergangener Nacht der Pfragner Bäumler erstochen worden sei. In ihrem Körbchen trug sie die abgewaschenen und abgeriebenen Stiefel ihres Bruders, um sie zu verkaufen. Aber sie konnte keinen Käufer dafür finden. Da zog sie sie nun selbst an und begegnete darin am nächstfolgenden Tag wieder derselben Wölflin, zu welcher sie sagte: »Nun trage ich die Stiefel meines Bruders selbst.« An demselben Tag traf auch Walburga mit einem gewissen Toth zusammen. Dem erzählte sie auch, daß sie ihres Bruders Stiefel von ihm geschenkt bekommen habe und setzte hinzu: »Wenn's gut geht, und es wird nicht mehr lange anstehen, so werde ich auch einen neuen Überrock bekommen.«

Sobald die Polizeibehörde, die dem Gericht auf das tätigste in die Hände arbeitete, von jener Hacke Kunde erhalten hatte, veranstaltete sie am 26. September Haussuchung in der Forsterschen Wohnung und fand hier in der hintersten Ecke der Holzlege eine große Holzhacke. Der anwesende Polizeisoldat Kurr versicherte, daß er eben diese Hacke abends zuvor in der Stube der Forsters hinter der Truhe am Ofen, in einen nassen Lumpen gewickelt, gesehen habe. Der Untersuchungsrichter, dem dieses Werkzeug eingehändigt wurde, bemerkte am Stiel, da wo er in das Beil eingefügt ist, rings herum eine Feuchtigkeit von rötlicher Färbung. Margaretha Wölflin erkannte in dieser Holzhacke, an einem Riß im Eisen, genau dieselbe wieder, die Walburga am Tage des Mordes ihrem Bruder eingehändigt und dieser mit sich in die Stadt getragen habe. Der Gerichtsarzt erklärte, schon auf den bloßen Anblick hin: er könne die wahrzunehmende Färbung des Holzes an den beiden Seiten des Hackenstiels, unmittelbar unter der Einkeilung des Beils, für nichts anderes als für halbvertilgte Blutspuren halten. Forsters Schwester Walburga, die nebst der jüngeren, Katharina, verhaftet wurde, bekannte in ihrem ersten summarischen Verhör: Ihr Bruder habe am 20. September nachmittags auf dem Kirchhof die Hacke verlangt, jedoch nur in der erklärten Absicht, einen Einbruch damit begehen zu wollen. In der Nacht darauf zwischen zwei und drei Uhr habe er ihr die abgewaschene Hacke wieder zurückgebracht. Dann hat er ihr seine Stiefel, die ebenfalls ganz abgewaschen gewesen, zum Geschenk gemacht. Er erklärte, er sei mit seinem Einbruch nicht sehr glücklich gewesen und habe nur etwas erbeutet. Späterhin aber, wenn er zu Geld komme, wolle er ihr etwas schicken. Auf sein Verlangen habe sie ihm seinen Vater herbeigeholt, dem er einen Gulden und 38 Kreuzer zurückgezahlt. Das Geld hatte ihm der Vater vor vierzehn Tagen geliehen gehabt. Im zweiten Verhör bekannte sie jedoch zuletzt auf dringenden Vorhalt des Untersuchungsrichters: In jener Nacht habe ihr Bruder zu ihr gesagt: »Ich habe etwas Böses begangen. Habe Großes getan. Ich habe einen ermordet. Hole mir schnell den Vater. Ich gehe aufs Hopfenblatten. Die Stiefel und die Hacke wäschst du ab und hebst sie auf, damit niemand etwas davon erfährt.«

An den Stiefeln habe sie große, trockene Flecken wahrgenommen, die beim Waschen sogleich weggegangen und vertrocknetes Blut gewesen sein müssen. In einem späteren Verhör setzt sie noch hinzu: Die seidenen Quasten an beiden Stiefeln seien von Blut ganz zusammengeklebt gewesen.

Durch diese und viele andere sich gleichsam nahe aneinanderdrängende Anzeigungen wurde ein beinahe schon zu Forsters Verurteilung hinreichender Beweis zusammengebracht. Es war nicht nur der dunkelbraune Überrock, den Forster am Tage des Mordes getragen und den er zu Fürth dem Hausknecht Popp aufzuheben gegeben hatte, sehr stark mit Blut befleckt gefunden worden, sondern es wurde auch erwiesen, daß er einen guten grauen Überrock, den er über jenem braunen getragen, in Fürth bei einer Jüdin gegen den blauen, in welchem er verhaftet wurde, vertauscht habe. Dieser wieder herbeigeschaffte, graue Überrock hatte dem Pfragner Bäumler gehört und zeigte an seinem weißen Unterfutter ebenfalls bedeutende Blutflecken. Ebenso wurden die Nankingbeinkleider und die Suwarowstiefel, in welchen er von Nürnberg nach Diesbeck gekommen war, von den Handwerksleuten, welche sie selbst verfertigt hatten, für Bäumlers Eigentum erkannt. Das alles und das Geld mit den Geldsäckchen, die niemand anders als dem Bäumler gehört haben konnten, gaben ein unverdächtigeres Zeugnis als die unverdächtigsten Zeugen. So wurden die Untersuchungsakten zum Erkenntnis auf Spezialinquisition dem Obergericht eingesandt.

Das Märchen von den zwei Hopfenhändlern