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J. Lynn

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Beschreibung

Avery Morgansten zieht von Texas nach West Virginia, um auf ein kleines College zu gehen, wo niemand sie kennt. Sie will ein neues Leben beginnen, fern von ihrer schmerzhaften Vergangenheit. Neben neuen Freunden macht sie an ihrem ersten Tag auf dem College auch Bekanntschaft mit dem unverschämt charmanten Cameron, der so gar nicht in ihr neues, ruhiges Leben passt – und keine Gelegenheit auslässt, sie um ein Date zu bitten. Avery erteilt ihm einen Korb nach dem anderen, doch so schnell gibt Cam nicht auf ...

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Allen gewidmet, die dieses Buch jetzt im Moment lesen.

Ohne euch wäre nichts von alledem möglich gewesen.

Ihr seid einfach phantastisch.

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2014

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ISBN 978-3-492-96683-2

© 2013 by Jennifer L. Armentrout

Titel der Amerikanischen Originalausgabe:

»Wait for You«, William Morrow (ein Imprint von HarperCollins Publishers),

New York 2013

Deutschsprachige Ausgabe:

© 2014 Piper Verlag GmbH, München

Umschlaggestaltung: Zero Werbeagentur

Umschlagabbildung: Thomas Krüsselmann/Corbis

Datenkonvertierung: Kösel, Krugzell

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Kapitel 1 Es gab zwei Dinge im Leben, die mir eine Höllenangst einjagten. Eines davon war, mitten in der Nacht aufzuwachen und festzustellen, dass ein Geist sein durchsichtiges Gesicht direkt vor meines geschoben hatte und mich anstarrte. Ziemlich unwahrscheinlich, aber trotzdem ein irre beängstigender Gedanke. Das Zweite war, zu spät ein volles Klassenzimmer zu betreten.

Ich hasste es, zu spät zu kommen.

Ich fand es fürchterlich, wenn die Leute sich umdrehten und mich anstarrten, wie sie es immer taten, wenn ich ein Klassenzimmer auch nur eine Minute nach Unterrichtsbeginn betrat.

Deswegen hatte ich mir am Wochenende auf der Karte bei Google Maps den Weg zwischen meinem Apartment in University Heights und dem Parkplatz für Pendelstudenten immer wieder angesehen und genau eingetrichtert. Und ich war den Weg zusätzlich am Sonntag zweimal abgefahren, um sicherzustellen, dass Google mich nicht in die Irre führte.

Exakt eins Komma neun Kilometer.

Fünf Minuten mit dem Auto.

Ich war sogar eine Viertelstunde zu früh aufgebrochen, damit ich zehn Minuten vor Kursbeginn um neun Uhr zehn ankam.

Nicht berechnet hatte ich allerdings den langen Stau am Stoppschild. Denn Gott bewahre, dass in dieser historischen Stadt tatsächlich eine Ampel errichtet wurde. Und ich hatte auch nicht erwartet, dass es auf dem Campus keinen einzigen Parkplatz mehr geben würde. Ich hatte vor dem Bahnhof parken müssen, der an den Campus angrenzte, und somit kostbare Minuten damit verschwendet, in meinen Taschen nach Vierteldollarmünzen für die Parkuhr zu graben.

»Wenn du schon darauf bestehst, ans andere Ende des Landes zu ziehen, dann geh wenigstens in eines der Wohnheime. Sie haben dort doch Wohnheime, oder?« Die Stimme meiner Mom stieg in meinen Gedanken auf, als ich vor dem Robert-Byrd-Wissenschaftsgebäude anhielt und um Atem rang, weil ich den steilsten, unangenehmsten Hügel aller Zeiten hochgerannt war.

Natürlich hatte ich mich nicht in einem Wohnheim einquartiert. Weil ich genau wusste, dass meine Eltern irgendwann wie aus dem Nichts auftauchen würden, um sofort Urteile zu fällen und alles zu kommentieren. Ich hätte mir lieber selbst einen Faustschlag verpasst, als einen unschuldigen Beobachter diesen Qualen auszusetzen. Stattdessen hatte ich mir mein wohlverdientes Blutgeld zunutze gemacht und mir eine Dreizimmerwohnung neben dem Campus gemietet.

Mr und Mrs Morgansten waren darüber alles andere als erfreut.

Und diese Tatsache machte mich sehr glücklich.

Aber im Moment bereute ich meine kleine Rebellion, denn als ich aus der feuchten Hitze des Augustmorgens in das klimatisierte Ziegelgebäude eilte, war es bereits elf Minuten nach neun, und mein Astronomiekurs fand im ersten Stock statt. Und warum zur Hölle hatte ich Astronomie gewählt?

Vielleicht, weil mir von dem Gedanken, noch einen Biologiekurs durchzustehen, kotzübel wurde? Jep. Das war’s.

Ich raste die breite Treppe hinauf, stürzte durch die Flügeltür und knallte direkt gegen eine Mauer.

Ich stolperte rückwärts und wedelte mit den Armen wie ein durchgeknallter Schülerlotse. Meine übervolle Tasche rutschte von meiner Schulter und raubte mir das Gleichgewicht. Meine Haare fielen mir ins Gesicht und ein kastanienbrauner Schleier versperrte mir die Sicht auf alles um mich herum, während ich gefährlich ins Schwanken geriet.

Oh mein Gott, jetzt fiel ich. Ich konnte es nicht verhindern. In meinem Kopf tobten Visionen von gebrochenen Hälsen. Das wäre so was von scheiße…

Etwas Starkes, Hartes legte sich um meine Hüfte und fing mich aus meinem freien Fall auf. Meine Tasche knallte auf den Boden, und teure Bücher und Stifte verstreuten sich über den glänzenden Boden. Meine Stifte! Meine wunderbaren Stifte rollten überall herum! Eine Sekunde später wurde ich gegen eine Wand gedrückt.

Die Wand war seltsam warm.

Die Wand lachte leise in sich hinein.

»Hoppla«, sagte eine tiefe Stimme. »Alles okay, Süße?«

Die Wand war so absolut keine Wand. Es war ein Kerl. Mein Herzschlag setzte aus, und für eine beängstigende Sekunde lang spürte ich eine schreckliche Enge in der Brust, die verhinderte, dass ich mich bewegen oder auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich wurde fünf Jahre zurückgeworfen. Festgehalten. Konnte mich nicht bewegen. Die Luft schoss schmerzhaft aus meiner Lunge, während ein Kribbeln meinen Nacken hochwanderte. Jeder Muskel meines Körpers zog sich zusammen.

»Hey.« Die Stimme wurde sanfter und ein leichter Ton von Besorgnis war zu erkennen: »Geht es dir gut?«

Ich zwang mich dazu, tief durchzuatmen – einfach zu atmen. Ich musste atmen. Ein. Aus. Ich hatte das in den letzten fünf Jahren wieder und wieder geübt. Ich war nicht mehr vierzehn. Ich war nicht dort. Ich war hier, am anderen Ende des Landes.

Zwei Finger legten sich unter mein Kinn und schoben meinen Kopf nach oben. Erstaunlich blaue Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umrahmt wurden, fixierten meinen Blick. Das Blau war lebendig und elektrisierend. Es stand in einem solchen Kontrast zu den schwarzen Pupillen, dass ich mich fragte, ob die Farbe echt sein konnte.

Und dann war mir plötzlich alles klar.

Ein Kerl hielt mich im Arm. Mich hatte noch nie ein Kerl im Arm gehalten. Dieses eine Mal zählte ich nicht, weil es entsetzlich gewesen war. Ich stand eng an ihn gedrückt, Schenkel an Schenkel, meine Brust an seiner. Als tanzten wir. Ich wusste nicht, wie mir geschah, als ich den Duft seines Rasierwassers einatmete. Wow. Es roch gut und teuer, wie seines…

Plötzlich stieg Wut in mir auf, ein süßes und vertrautes Gefühl. Die Wut verdrängte die alte Panik und die Verwirrung. Ich klammerte mich verzweifelt daran fest und fand meine Sprache wieder. »Lass. Mich. Los.«

Mr Blaue Augen ließ sofort den Arm sinken. Ich war nicht auf den Verlust meiner Stütze vorbereitet gewesen, also kippte ich kurz nach links, konnte mich aber fangen, bevor ich über meine Tasche stolperte. Keuchend wie nach einem Dauerlauf schob ich mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht und schaffte es endlich, mir Mr Blaue Augen ganz genau anzuschauen.

Süßer Himmel, Mr Blaue Augen war…

Er war auf eine Art atemberaubend, die Mädchen dazu brachte, Dummheiten zu machen. Er war groß, gut einen oder zwei Köpfe größer als ich. Seine Schultern waren breit, aber seine Hüften schmal. Der Körper eines Athleten – wie der eines Schwimmers. Lockige schwarze Haare fielen über seine Stirn und bis auf die ebenfalls dunklen Augenbrauen. Breite Wangenknochen und ausdrucksstarke Lippen machten das Gesamtpaket, das die Mädchen zum Anschmachten verführte, vollkommen. Und diese saphirfarbenen Augen, heiliger Strohsack…

Wer hätte gedacht, dass sich in einem Ort namens Shepherdstown jemand mit diesem Aussehen versteckte?

Und ich war über ihn gestolpert. Wortwörtlich. Wie nett. »Es tut mir leid. Ich hatte es eilig, in meinen Kurs zu kommen. Ich bin spät dran und…«

Seine Mundwinkel hoben sich, als er sich hinkniete und anfing, meine Sachen einzusammeln. Für einen Moment wollte ich weinen. Ich spürte, wie sich langsam Tränen in meiner Kehle bildeten. Inzwischen war ich wirklich zu spät dran und konnte auf keinen Fall noch in den Kurs gehen. Und das am ersten Tag. Versagt.

Ich beugte mich zu ihm herunter und ließ meine Haare nach vorne fallen, um mein Gesicht zu verstecken, während ich meine Stifte einsammelte. »Du musst mir nicht helfen.«

»Kein Problem.« Er hob ein Blatt Papier hoch, dann sah er auf. »Astronomiegrundkurs? Da will ich auch hin.«

Super. Jetzt würde ich den Kerl, den ich im Flur fast umgebracht hatte, das gesamte Semester über sehen müssen. »Du verspätest dich«, sagte ich dürftig. »Es tut mir wirklich leid.«

Nachdem inzwischen alle meine Bücher und Stifte wieder eingeräumt waren, stand er auf und gab mir meine Tasche. »Ist okay.« Sein schiefes Grinsen wurde breiter und enthüllte ein Grübchen in seiner linken Wange. Auf der rechten allerdings passierte nichts. »Ich bin es gewöhnt, dass Mädchen sich mir an den Hals werfen.«

Ich blinzelte, weil ich erst vermutete, ich hätte Mr Blaue Augen falsch verstanden. Denn er hatte doch sicherlich nicht so einen platten Spruch gebracht.

Doch, hatte er. Und er war noch nicht fertig. »Aber dass sie mir jetzt schon auf den Rücken springen, ist neu. Hat mir irgendwie gefallen.«

Ich spürte, wie meine Wangen anfingen zu glühen, aber ich riss mich zusammen. »Ich habe weder versucht, auf deinen Rücken zu springen, noch habe ich mich dir an den Hals geworfen.«

»Hast du nicht?« Das schiefe Grinsen blieb. »Was für eine Schande. Falls es so gewesen wäre, hätte das diesen Tag zum besten Semesterbeginn aller Zeiten gemacht.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, während ich meine schwere Tasche fest umklammert hielt und an meine Brust drückte. Zu Hause hatte nie ein Junge mit mir geflirtet. Die meisten hatten in der Highschool nicht einmal gewagt, in meine Richtung zu schauen. Und die, die sich getraut hatten, hatten sicherlich nicht geflirtet.

Mr Blaue Augen senkte seinen Blick auf das Blatt in seiner Hand. »Avery Morgansten?«

Mein Herz machte einen Sprung. »Woher kennst du meinen Namen?«

Er legte den Kopf schräg, und sein Lächeln wurde breiter. »Er steht auf deinem Stundenplan.«

»Oh.« Ich schob mir ein paar Strähnen aus meinem glühenden Gesicht. Der Kerl gab mir meinen Stundenplan zurück, und ich schob ihn in meine Tasche. Dann fummelte ich noch ein bisschen peinlich berührt an meinem Tragegurt herum.

»Ich heiße Cameron Hamilton«, sagte Mr Blaue Augen. »Aber alle nennen mich Cam.«

Cam. Ich sagte mir den Namen ein paarmal im Kopf auf, und er gefiel mir. »Danke noch mal, Cam.«

Er beugte sich vor und hob einen schwarzen Rucksack hoch, den ich bis jetzt gar nicht bemerkt hatte. Dabei fielen ihm einige dunkle Locken ins Gesicht. Er schob sie zurück, als er sich wieder aufrichtete. »Na, dann lass uns mal unseren großen Auftritt starten.«

Meine Füße verschmolzen förmlich mit dem Boden, als Cam sich umdrehte und die paar Schritte zur geschlossenen Tür von Raum 205 ging. Er griff nach der Klinke, dann sah er abwartend über die Schulter zurück.

Ich konnte es nicht. Es hatte überhaupt nichts mit der Tatsache zu tun, dass ich den vielleicht attraktivsten Kerl auf dem Campus gerammt hatte. Ich konnte jetzt einfach nicht in den Kurs gehen, wo alle sich umdrehen und mich anstarren würden. In den letzten fünf Jahren hatte ich ständig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden, und ich hatte genug davon. Mein Magen verkrampfte sich, und ich trat einen Schritt zurück, weg vom Kursraum und von Cam.

Er drehte sich um und runzelte die Stirn, während er mich gleichzeitig neugierig betrachtete. »Du läufst in die falsche Richtung, Süße.«

Mir schien, ich war mein halbes Leben lang in die falsche Richtung gelaufen. »Ich kann nicht.«

»Was kannst du nicht?« Er trat einen Schritt auf mich zu.

Und ich rannte weg. Ich wirbelte einfach herum und lief los, als ginge es bei diesem Rennen um den letzten Tropfen Wasser in der Wüste. Gerade als ich diese verdammte Flügeltür aufstieß, hörte ich, wie er meinen Namen rief. Aber ich lief weiter.

Mit heißem Kopf rannte ich die Treppe nach unten. Als ich aus dem Gebäude stürzte, war ich völlig außer Atem. Meine Beine bewegten sich weiter, bis ich mich schließlich auf eine Bank vor der benachbarten Bibliothek setzte. Die Morgensonne wirkte schrecklich grell, als ich den Kopf hob und die Augen zukniff.

Oh Mann.

Was für eine Art, einen ersten Eindruck in einer neuen Stadt, einer neuen Schule – einem neuen Leben – zu hinterlassen. Ich war über tausendfünfhundert Kilometer gereist, um neu anzufangen… und jetzt hatte ich innerhalb weniger Minuten alles versaut.

Kapitel 2 Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwei Möglichkeiten: entweder, das Ganze abzuhaken und meinen verheerenden Versuch, den ersten Kurs meiner Collegekarriere zu besuchen, einfach hinter mir zu lassen, oder nach Hause zu fahren, ins Bett zu kriechen und mir die Decke über den Kopf zu ziehen. Ich sehnte mich danach, Letzteres zu tun, aber das passte einfach nicht zu mir.

Wäre ich jemand gewesen, der einfach weglief und sich versteckte, hätte ich die Highschool niemals überlebt.

Ich kontrollierte schnell, ob das breite Silberarmband an meinem linken Handgelenk richtig saß. Ich hätte die Highschool tatsächlich fast nicht überlebt.

Mom und Dad hatten einen Anfall gekriegt, als ich sie über meine Pläne informiert hatte, am anderen Ende des Landes zu studieren. Wäre es um Harvard, Yale oder Sweet Briar gegangen, hätten sie über nichts anderes mehr geredet. Aber ein College, das nicht zu den Eliteuniversitäten gehörte? Was für eine Schande. Meine Eltern verstanden es einfach nicht. Das taten sie nie. Nie im Leben würde ich das College besuchen, auf das sie damals selbst gegangen waren. Außerdem wollte ich mich auch nicht an einer Uni einschreiben, wo die Hälfte der Country-Club-Mitglieder von zu Hause ihre Kinder hinschickte.

Ich wollte an einen Ort, an dem ich kein höhnisches Grinsen sehen musste oder das bösartige Flüstern hören, das immer noch von den Lippen der Leute tropfte wie Säure. An einen Ort, an dem niemand von meiner Geschichte gehört hatte. Verschiedene Versionen der Wahrheit waren zu Hause wieder und wieder erzählt worden, bis ich mich manchmal selbst fragte, was eigentlich an diesem Halloweenabend vor fünf Jahren wirklich geschehen war.

Doch hier spielte nichts davon eine Rolle. Niemand kannte mich. Niemand vermutete etwas. Und auch an Sommertagen, an denen ich kein langärmliges Shirt tragen konnte, wusste niemand, was unter dem breiten Silberarmband versteckt lag.

Es war meine Entscheidung gewesen hierherzukommen. Und es war genau das Richtige für mich.

Meine Eltern hatten damit gedroht, mir den Zugang zu meinem Treuhandfonds zu sperren. Das fand ich ziemlich lächerlich. Ich besaß mein eigenes Geld – Geld, über das die beiden ab dem Moment, in dem ich achtzehn geworden war, nicht mehr verfügen konnten. Geld, das ich verdient hatte. In ihren Augen hatte ich sie natürlich wieder einmal enttäuscht. Doch wäre ich in Texas und in der Nähe dieser Leute geblieben, wäre ich heute schon tot.

Ich warf einen kurzen Blick auf die Zeitanzeige meines Handys, dann stand ich auf und schwang mir meine Tasche über die Schulter. Zumindest würde ich nicht zu spät zu meinem Geschichtskurs kommen.

Geschichte wurde im Gebäude für Geisteswissenschaften unterrichtet, am Fuße des Hügels, den ich gerade erst im Laufschritt erklommen hatte. Ich wanderte über den Parkplatz hinter dem Byrd-Gebäude und überquerte die überfüllte Straße. Überall um mich herum bewegten sich Studenten in kleinen Gruppen. Viele kannten sich offensichtlich schon. Doch statt mich ausgeschlossen zu fühlen, empfand ich ein wunderbares Freiheitsgefühl, als ich zu meinem Kurs ging, ohne erkannt zu werden.

Ich verdrängte jeden Gedanken an mein morgendliches Totalversagen, betrat Whitehall und stieg die erste Treppe rechts nach oben. Die Flure im ersten Stock waren voller Studenten, die darauf warteten, dass die Türen der Unterrichtsräume sich öffneten. Ich schob mich zwischen lachenden Gruppen hindurch und wich Leuten aus, die offensichtlich noch nicht ganz wach waren. Dann entdeckte ich eine leere Stelle gegenüber von meinem Raum und setzte mich im Schneidersitz an die Wand. Aufgeregt rieb ich die Hände an den Jeans, weil ich bald schon in Geschichte sitzen würde. Die meisten Leute wären von einem Geschichtsgrundkurs zu Tode gelangweilt, aber für mich war es der erste Kurs in meinem Hauptfach.

Und wenn ich Glück hatte, konnte ich in fünf Jahren in einem stillen, kühlen Museum oder einer Bibliothek arbeiten und uralte Texte oder Artefakte katalogisieren. Nicht gerade der glamouröseste Job der Welt, aber für mich wäre er perfekt.

Besser als das, was ich früher immer werden wollte, nämlich professionelle Tänzerin in New York.

Noch etwas, worüber Mom enttäuscht sein konnte. All dieses Geld, das ab dem Zeitpunkt, ab dem ich laufen konnte, in Ballettstunden geflossen war, hatte sich nach meinem vierzehnten Geburtstag in eine totale Fehlinvestition verwandelt.

Allerdings vermisste ich die beruhigende Wirkung, die das Tanzen immer auf mich gehabt hatte. Doch ich konnte mich nicht dazu bringen, es jemals wieder zu tun.

»Mädel, wieso sitzt du da auf dem Boden?«

Ich riss den Kopf hoch, dann verzogen sich meine Lippen zu einem Lächeln, als ich das breite Grinsen auf Jacob Masseys karamellfarbenem, knabenhaft gut aussehendem Gesicht entdeckte. Wir hatten uns im Orientierungskurs für Erstsemester letzte Woche angefreundet, und wir besuchten den nächsten Kurs zusammen, genauso wie Kunst dienstags und donnerstags.

Ich sah mir die teuren Jeans an, die er trug, und erkannte den Designerschnitt. »Hier unten ist es sehr gemütlich. Du solltest dich zu mir setzen.«

»Zur Hölle, nein. Ich will mir doch meinen hübschen Hintern nicht beschmutzen, indem ich mich auf diesen Boden da setze.« Er lehnte sich mit der Hüfte an die Wand neben mir und grinste. »Warte mal. Was machst du überhaupt schon hier? Ich dachte, du hättest erst um neun einen Kurs.«

»Daran erinnerst du dich?« Wir hatten uns letzte Woche ungefähr eine halbe Sekunde lang über unsere Stundenpläne unterhalten.

Er zwinkerte mir zu. »Ich habe ein phantastisches Gedächtnis für vollkommen nutzlose Fakten.«

Ich lachte. »Gut zu wissen.«

»Also hast du geschwänzt? Du böses, böses Mädchen.«

Ich zuckte ein wenig zusammen und schüttelte den Kopf. »Na ja, ich kam zu spät und ich hasse es, nach Stundenbeginn in ein Klassenzimmer zu kommen. Also nehme ich an, dass meine erste Stunde am Mittwoch stattfindet, wenn ich den Kurs bis dahin nicht ganz schmeiße.«

»Schmeißen? Mädel, sei nicht dämlich. Astronomie ist ein Kinderspiel. Ich hätte den Kurs auch belegt, wenn er nicht nach ungefähr zwei Sekunden voll gewesen wäre, weil sich die ganzen älteren Studenten, die kurz vor dem Abschluss stehen, eingetragen haben.«

»Nun, du hast auch nicht, während du zum Kurs gehetzt bist, fast einen Kerl umgebracht – einen Kerl, der zufällig auch diesen ach so lockeren Kurs besucht.«

»Was?« Jacob riss interessiert die dunklen Augen auf und machte Anstalten, sich hinzuknien. Dann erregte jemand anders seine Aufmerksamkeit. »Hey! Brittany! Schaff deinen Hintern hier rüber!«

Ein ziemlich kleines, blondes Mädchen hielt abrupt mitten im Flur an und drehte sich mit roten Wangen zu uns um. Dann lächelte sie, als sie Jacob auf und ab springen sah. Sofort kam sie zu uns herüber.

»Brittany, das ist Avery.« Jacob strahlte. »Avery, das ist Brittany. Sagt hallo.«

»Hallo«, sagte Brittany mit einem kleinen Winken.

Ich winkte zurück. »Hallo.«

»Avery will mir gerade erzählen, wie sie fast einen Kerl auf dem Flur hier im College umgebracht hat. Ich dachte, du willst die Geschichte vielleicht auch hören.«

Ich verzog das Gesicht, aber die Neugierde, die in Brittanys braunen Augen aufflackerte, war auch irgendwie witzig. »Erzähl«, meinte sie und lächelte.

»Nun, ich habe natürlich niemanden umgebracht«, erklärte ich mit einem Seufzen. »Aber ich war nah dran, und es war so unglaublich peinlich.«

»Peinliche Geschichten sind immer die besten«, verkündete Jacob und kniete sich vor mich.

Brittany lachte. »Das stimmt.«

»Spuck’s aus, Schwester.«

Ich schob mir eine Strähne hinters Ohr und senkte meine Stimme, damit nicht der gesamte Flur von meiner Erniedrigung erfuhr. »Ich war zu spät dran für meinen Astronomiekurs und bin durch die Flügeltür im ersten Stock gerannt. Ich habe nicht aufgepasst, wo ich hinlief, und habe diesen armen Kerl fast in Grund und Boden gerammt.«

»Ach du Schande.« Brittany schaute mich mitfühlend an.

»Genau. Und ich meine, ich habe ihn echt fast umgeknockt. Ich habe mein gesamtes Zeug fallen lassen. Überall flogen Bücher und Stifte rum. Ziemlich heftig.«

Jacob war sichtlich angeregt von meiner Geschichte. »War er heiß?«

»Was?«

»War der Kerl heiß?«, wiederholte er, während er sich mit einer Hand durch die kurzen Haare fuhr. »Denn wenn er heiß war, hättest du die Situation zu deinem Vorteil nutzen sollen. Vielleicht verliebt ihr euch total, und dann kannst du allen erzählen, dass du ihn angebumst hast, bevor er dich tatsächlich gebumst hat.«

»Oh mein Gott.« Ich fühlte eine vertraute Hitze in meinen Wangen aufsteigen. »Ja, er sah wirklich gut aus.«

»Oh nein«, meinte Brittany, die anscheinend als Einzige erkannte, dass die ganze Situation durch den gut aussehenden Kerl nur noch peinlicher wurde. Wahrscheinlich brauchte man eine Vagina, um das zu verstehen, denn Jacob schien die Info nur noch mehr zu begeistern.

»Also, wie sah dieser gut aussehende Schnuckel denn nun aus? Ich brauche Details.«

Ein Teil von mir wollte den Mund halten, weil ich mich allein beim Gedanken an Cam schon wieder unwohl fühlte. »Ähm… na ja, er war ziemlich groß und gut gebaut, würde ich sagen.«

»Woher willst du wissen, dass er gut gebaut war? Hast du ihn auch befummelt?«

Ich lachte, als Brittany den Kopf schüttelte. »Ich bin wirklich in ihn reingelaufen, Jacob. Und er hat mich aufgefangen. Ich habe ihn nicht absichtlich befummelt, aber es wirkte, als hätte er einen guten Körper.« Ich zuckte mit den Achseln. »Auf jeden Fall hatte er dunkle, lockige Haare. Länger als deine, irgendwie verwuschelt, aber auf…«

»Verdammt, Mädel, wenn du jetzt erklärst, dass sie auf eine Mir-ist-egal-dass-ich-so-unverschämt-sexy-bin-Art verwuschelt waren, dann will ich diesen Kerl auch treffen.«

Brittany kicherte. »Ich liebe solche Haare.«

Ich fragte mich, ob mein Gesicht wirklich so rot leuchtete, wie es sich anfühlte. »Ja, so ungefähr sah das aus. Er war wirklich atemberaubend, und seine Augen waren so blau, dass sie…«

»Moment«, keuchte Brittany und riss ihre eigenen Augen dabei auf. »Waren seine Augen so blau, dass sie schon fast künstlich wirkten? Und roch er richtig gut? Ich weiß, dass das jetzt unheimlich und seltsam klingt, aber beantworte die Fragen bitte trotzdem.«

Das war in der Tat unheimlich und seltsam, aber auch wirklich witzig. »Ja auf beide Fragen.«

»Heilige Scheiße.« Brittany lachte laut auf. »Weißt du seinen Namen?«

Langsam fing ich an, mir Sorgen zu machen, weil auch Jacob plötzlich aussah, als würde ihm etwas dämmern. »Ja, warum?«

Brittany stupste Jacob mit ihrem Ellbogen an, dann senkte sie die Stimme. »Heißt er Cameron Hamilton?«

Mir fiel die Kinnlade in den Schoß.

»Er war es!« Brittanys Schultern zuckten. »Du hast Cameron Hamilton angerempelt?«

Jacob lächelte nicht. Er starrte mich einfach nur… ehrfürchtig?… an. »Ich bin gerade so unglaublich neidisch auf dich. Ich würde meinen linken Hoden dafür geben, mit Cameron Hamilton zusammenzustoßen.«

Ich verschluckte mich beinahe an meinem Lachen. »Wow. Das ist ziemlich ernst.«

»Cameron Hamilton ist ernst, Avery. Du hast ja keine Ahnung. Du bist ja nicht von hier«, erklärte Jacob.

»Aber du bist auch ein Erstsemester. Woher weißt du von ihm?«, fragte ich, weil Cam zu alt wirkte, um noch im ersten Semester zu sein. Er musste sich bereits dem Ende seines Studiums nähern.

»Alle auf dem Campus kennen ihn«, antwortete er.

»Aber du bist noch nicht mal eine Woche auf dem Campus!«

Jacob grinste. »Ich komme rum.«

Ich lachte, während ich gleichzeitig den Kopf schüttelte. »Ich kapier es nicht. Ja, er ist… heiß, aber was soll’s?«

»Ich war mit Cameron auf der Schule«, erklärte Brittany mit einem kurzen Blick über die Schulter. »Ich meine, er war zwei Jahre älter als ich, aber auf der Highschool war er DER Star. Alle wollten in seiner Nähe oder mit ihm zusammen sein. Und hier ist es so ziemlich dasselbe.«

Trotz der Tatsache, dass Brittanys Worte mich auch an jemand anderen erinnerten, wurde ich neugierig. »Also seid ihr beide von hier?«

»Nein. Wir kommen aus der Gegend um Morgantown und Fort Hill herum. Ich habe keine Ahnung, warum er sich für dieses College entschieden hat statt für die West Virginia University in Morgantown. Ich habe es getan, weil ich mal rauskommen wollte, statt wieder dieselben langweiligen Leute zu sehen.«

Das konnte ich gut verstehen.

»Auf jeden Fall kennt man Cameron auf dem Campus.« Jacob klatschte in die Hände. »Er lebt in einer eigenen Wohnung, schmeißt angeblich die weltbesten Partys und…«

»In der Highschool hatte er einen gewissen Ruf«, schaltete Brittany sich ein. »Einen Ruf, den er sich redlich verdient hatte. Versteh mich nicht falsch, Cameron war immer ein wirklich cooler Typ. Sehr nett und witzig, aber damals war er das ›Flitt‹ in männliches Flittchen. Inzwischen scheint er sich ein wenig beruhigt zu haben, aber ihr wisst ja, die Katze und das Mausen…«

»Okay.« Ich fummelte an meinem Armband herum. »Gut zu wissen. Aber eigentlich spielt es keine Rolle. Ich meine, ich bin im Flur mit ihm zusammengestoßen. Mehr weiß ich nicht über Cam.«

»Cam?« Brittany blinzelte.

»Ja?« Ich stand auf und nahm meine Tasche. Bald würden die Türen geöffnet.

Brittany runzelte die Stirn. »Leute, die er nicht kennt, nennen ihn Cameron. Nur seine Freunde nennen ihn Cam.«

»Oh?« Jetzt runzelte ich die Stirn. »Er hat sich mir als Cam vorgestellt, also bin ich davon ausgegangen, dass jeder ihn so nennt.«

Brittany sagte nichts dazu. Und um ehrlich zu sein, in meinen Augen war das keine große Sache. Cam/Cameron/Wer-auch-immer war einfach nur höflich gewesen, nachdem ich ihn umgerannt hatte. Der Fakt, dass er ein geläuterter Party-Playboy war, hieß für mich nichts anderes, als mich weit, weit von ihm fernzuhalten.

Die Türen schwangen auf, und der Flur füllte sich mit Studenten. Unsere kleine Gruppe wartete, bis der größte Andrang vorbei war, dann gingen wir hinein und suchten uns drei Plätze in der hintersten Reihe aus, mit Jacob zwischen uns Mädchen. Als ich meinen Ordner für fünf Fächer, der so riesig war, dass ich damit jemanden hätte erschlagen können, herauszog, packte Jacob meinen Arm.

In seinem Blick tanzten der Schalk und die Aussicht auf Unheil. »Du kannst Astronomie nicht hinschmeißen. Um dieses Semester lebend durchzustehen, muss ich durch dich leben und mindestens dreimal die Woche alles über Cam hören.«

Ich lachte leise. »Ich werde den Kurs nicht schmeißen…«, auch wenn ein Teil von mir das wollte, »… aber ich bezweifle, dass ich dir irgendwas zu erzählen haben werde. Es ist ja nicht so, als würden wir noch mal miteinander reden.«

Jacob ließ meinen Arm los, lehnte sich zurück und schaute mich an.

»Berühmte letzte Worte, Avery.«

Der Rest des Tages verlief sehr zu meiner Freude bei Weitem nicht so ereignisreich wie der Morgen. Keine weiteren Unfälle mit nichts ahnenden heißen Typen, und auch keine anderen peinlichen Vorfälle. Obwohl ich die Geschichte beim Mittagessen zu Jacobs Vergnügen noch mal erzählen musste, war ich froh, dass er und Brittany ungefähr zur selben Zeit freihatten wie ich. Ich hatte mich eigentlich darauf eingestellt, den Großteil des Tages als Einzelgängerin zu verbringen, also war es unerwartet nett, sich mit Leuten in meinem Alter zu unterhalten.

Gesellig sein verlernte man offensichtlich genauso wenig wie Rad fahren.

Und abgesehen von Jacobs unnötigem Ratschlag, dass ich absichtlich gegen Cam rennen sollte, wenn ich ihn das nächste Mal sah, gab es auch keine unangenehmen Momente. Am Ende des Tages hatte ich Cam wirklich so gut wie vergessen.

Bevor ich den Campus verließ, ging ich noch bei der Finanzverwaltung vorbei, um mich für einen Studentenjob auf dem Campus zu bewerben. Ich brauchte das Geld nicht, aber der Zeitaufwand würde mich ablenken. Ich absolvierte ein volles Wochenpensum – achtzehn Stunden –, aber trotzdem blieb eine Menge Freizeit. Ein Job auf dem Campus schien mir eine gute Idee. Aber im Moment gab es keine freien Stellen. Mein Name landete auf der Warteliste.

Der Campus war sehr schön, auf eine idyllische, friedliche Art, und völlig anders als die weitläufigen Gelände der großen Universitäten. Er lag zwischen dem Fluss Potomac und der kleinen historischen Altstadt von Shepherdstown und wirkte fast wie ein Postkartenmotiv. Riesige, altehrwürdige, mit Türmchen ausgestattete Bauten wechselten sich mit moderneren Gebäuden ab. Überall standen Bäume. Die Luft war frisch und sauber, und alles, was man brauchte, befand sich in Fußnähe. An schöneren Tagen konnte ich tatsächlich laufen oder zumindest auf dem westlichen Campus parken, um die Kosten für die Parkuhr zu sparen.

Nachdem ich meine Daten für die Warteliste abgegeben hatte, schlenderte ich zurück zu meinem Auto und genoss dabei die warme Brise. Anders als heute Morgen, als ich zu spät dran gewesen war, nahm ich mir diesmal die Zeit, mir die Häuser auf dem Weg zum Bahnhof anzuschauen. Bei drei Häusern hintereinander saßen massenweise Collegejungs auf der Veranda. Das war wohl die hiesige Version eines Verbindungswohnheims.

Ein Kerl mit Bier in der Hand sah auf. Er lächelte, drehte sich dann aber um, als ein Football aus der offenen Tür und gegen seinen Rücken flog. Ich hörte die Flüche.

Definitiv Verbindungsbrüder.

Aufrechten Ganges eilte ich an den Häusern vorbei. Dann erreichte ich eine Kreuzung, trat auf die Fahrbahn und wäre fast von einem silbernen Truck gerammt worden – es war einer dieser riesigen Pick-ups, vielleicht ein Tundra. Er sauste die schmale Straße entlang, die ich überqueren musste. Mein Herz fing an zu rasen, als der Fahrer auf die Bremse trat und mir mit dem Wagen den Weg versperrte.

Verwirrt trat ich auf den Gehweg zurück. Wollte der Fahrer mich anschreien?

Das getönte Beifahrerfenster fuhr nach unten, und fast wäre ich umgekippt.

Cameron Hamilton grinste hinter dem Lenkrad hervor, eine Baseballkappe verkehrt herum auf dem Kopf. Schwarze Strähnen lockten sich auf seiner Stirn. Und er trug kein Hemd – überhaupt kein Hemd. Aus meiner Position konnte ich nur seine Brust erkennen, aber die war ziemlich chic anzuschauen. Muskeln – der Mann war echt muskulös. Und er hatte eine Tätowierung. Auf Cams linker Brust brannte eine Sonne, deren Strahlen sich in leuchtenden Rot- und Orangetönen über seine Schulter nach hinten zogen.

»Avery Morgansten, so treffen wir uns wieder.«

Er war die letzte Person, die ich sehen wollte. Ich war doch wirklich der größte Pechvogel der Weltgeschichte. »Cameron Hamilton… Hi.«

Er lehnte sich herüber, wobei er einen Arm über das Lenkrad legte. Klarstellung. Er hatte auch einen wirklich schicken Bizeps. »Wir müssen damit aufhören, uns so zu treffen.«

Wahrere Worte waren selten gesprochen worden. Ich musste unbedingt damit aufhören, auf seinen Bizeps zu starren… und auf seine Brust… und auf sein Tattoo. Hätte nie gedacht, dass eine Sonne so… sexy… sein könnte. Wow. Das war ziemlich peinlich.

»Du rennst gegen mich, ich überfahre dich fast«, führte Cam aus. »Es ist, als wäre eine Katastrophe zwischen uns schon vorprogrammiert.«

Ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Mein Mund war trocken und meine Gedanken vollkommen wirr.

»Wo willst du hin?«

»Zu meinem Auto«, zwang ich heraus. »Meine Parkuhr läuft bald ab.« Das stimmte nicht unbedingt, weil ich ziemlich viele Münzen eingeworfen hatte, damit ich keinen Strafzettel bekam. Aber das musste er ja nicht wissen. »Also…«

»Na, dann spring rein, Süße. Ich kann dich mitnehmen.«

Ich spürte, wie Blut aus meinen Gesicht in andere Teile meines Körpers strömte. Sehr seltsam und verwirrend. »Nein. Ist okay. Ich stehe direkt auf dem Hügel. Wirklich nicht nötig.«

Das schiefe Grinsen erschien und enthüllte dieses einzelne Grübchen. »Kein Problem. Ist ja wohl das Mindeste, was ich tun kann, nachdem ich dich fast umgefahren hätte.«

»Danke, aber…«

»Hey! Cam!« Bierjunge sprang von der Veranda und joggte den Bürgersteig entlang, wobei er mir einen kurzen Blick zuwarf. »Was hast du vor, Mann?«

Vom Verbindungsbruder gerettet.

Cam wandte den Blick nicht von mir ab, aber sein Grinsen verrutschte etwas. »Nichts, Kevin. Ich versuche hier nur, mich zu unterhalten.«

Ich winkte Cam einmal kurz zu, dann eilte ich um Kevin und die Motorhaube des Trucks herum. Ich sah mich nicht um, aber ich konnte Cams Blicke in meinem Rücken spüren. Über die Jahre hatte ich ein Talent dafür entwickelt zu spüren, wenn jemand außerhalb meines Blickfeldes mich anstarrte.

Ich zwang mich dazu, nicht zum Bahnhof zu rennen, weil zweimal am Tag vor dem selben Kerl wegzulaufen einfach jedes akzeptable Maß von Seltsamkeit überschritt. Selbst für mich.

Mir fiel erst auf, dass ich die ganze Zeit den Atem angehalten hatte, als ich hinter meinem Lenkrad saß und der Motor brummte.

Himmel.

Ich ließ meinen Kopf auf das Lenkrad fallen und stöhnte. Vorprogrammierte Katastrophe? Ja, das konnte ich mir gut vorstellen.

Kapitel 3 Die drei langen Stunden im Soziologiekurs am Dienstagabend abzusitzen war nicht so schlimm gewesen, wie ich erwartet hatte. Aber als der Kurs endlich zu Ende ging, war ich am Verhungern. Bevor ich zu meiner Wohnung zurückging, hielt ich bei Sheetz an – eine Tankstellenkette mit Mini-Markt, die es in Texas nicht gab – und kaufte mir einen SAB. Einen Salat auf Bestellung, mit jeder Menge Hähnchenbruststreifen und Ranch Dressing.

Mmm. Total gesund.

Als ich nach Hause kam, war der Parkplatz so verstopft, dass einige Autos sogar auf einem Feld standen, das an den westlichen Campus angrenzte. Als ich zu meinem Abendkurs aufgebrochen war, war es hier noch nicht so voll gewesen. Ich fragte mich, was los war. Schließlich schaffte ich es, einen Parkplatz in der Nähe der Hauptstraße zu ergattern. Gerade als ich den Schlüssel umdrehte, vibrierte mein Handy im Tassenhalter.

Ich grinste, als ich sah, dass es eine SMS von Jacob war. Wir hatten unsere Mobilnummern ausgetauscht, da er in einem der Wohnheime lebte.

Kunst stinkt. Mehr stand nicht im Text.

Amüsiert schickte ich ihm eine Antwort über unsere Hausaufgabe. Wir sollten herausfinden, welches Gemälde in welche Epoche gehörte. Ich dankte dem lieben Gott für Google, denn damit bearbeitete ich die Aufgaben.

Ich packte meine Tasche und den Salat und kletterte aus meinem Wagen. Die Luft war stickig. Ich nahm meine Haare hinter dem Nacken zusammen und wünschte mir, ich hätte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Trotzdem hing ein herbstlicher Duft in der Luft, und ich freute mich schon auf kühlere Temperaturen. Vielleicht sogar Schnee im Winter. Gemächlich wanderte ich über den hell erleuchteten Parkplatz auf mein Apartmentgebäude zu. Ich wohnte im obersten Stockwerk – dem vierten. Es schien, als würden eine Menge Studenten hier leben. Die meisten waren erst heute eingetrudelt. Doch sobald ich den Gehweg betrat, war mir klar, warum hier so viele Autos standen.

Irgendwo in meinem Wohngebäude wummerte Musik. Alle Lichter waren an, und während ich die Treppe hinaufstieg, fing ich immer wieder Gesprächsfetzen auf. Im vierten Stock schließlich entdeckte ich den Schuldigen. In einem Apartment auf der anderen Seite des Flurs, zwei Türen von meiner versetzt, feierte jemand eine Party. Die Tür war nur angelehnt, und Licht und Musik breiteten sich in den Flur aus.

Ein kleiner Funke Eifersucht flackerte in meiner Brust auf, als ich meine Tür aufschloss. All dieses Lachen, der Lärm und die Musik. Es klang nach Spaß. Es schien so normal – wie etwas, was ich tun sollte –, aber Partys…

Partys fanden für mich kein gutes Ende.

Ich schloss die Tür hinter mir, kickte die Schuhe von den Füßen und ließ meine Tasche auf die Couch fallen. Diese Wohnung einzurichten hatte mein Konto ziemlich belastet, aber ich würde vier Jahre hier leben, und ich ging davon aus, dass ich das, was ich später nicht mitnahm, immer noch wieder verkaufen konnte.

Und es gehörte alles mir. Das bedeutete mir eine Menge.

Die Party auf der andere Seite des Flurs tobte weiter, noch lange nachdem ich meinen wenig gesunden Salat aufgegessen, mich in eine Pyjamahose und ein langärmliges Shirt geworfen und meine Kunsthausaufgabe fertig gemacht hatte. Es war kurz nach Mitternacht, als ich die Lektüre meines Englischtextes aufgab und Richtung Schlafzimmer wanderte.

Doch im Gang hielt ich an und vergrub meine Zehen im Teppich.

Gedämpftes Lachen verriet mir, dass die Tür inzwischen offen stehen musste, denn die Geräusche waren viel deutlicher zu hören als vorher. Ich stand wie erstarrt, während ich auf meiner Unterlippe kaute. Was, wenn ich jetzt die Tür öffnete und jemanden aus der Uni erkannte? Es war offensichtlich, dass die Party von irgendeinem Collegestudenten geschmissen wurde. Vielleicht kannte ich die Person? Und was spielte das für eine Rolle? Es war ja nicht so, als würde ich mich ihnen ohne BH, in meine Pyjamahose und mit dem unordentlichsten Pferdeschwanz der Welt einfach anschließen.

Ich drehte um, schaltete das Licht im Bad an und starrte auf mein Spiegelbild. Ohne Make-up waren die Sommersprossen auf meinem Nasenrücken deutlich zu erkennen, und mein Gesicht wirkte geröteter als gewöhnlich. Ich lehnte mich gegen das Waschbecken, über das meine Mom nur gelacht hätte, und hielt mein Gesicht näher an den Spiegel.

Abgesehen von meinen rotbraunen Haaren, die ich von meinem Vater geerbt hatte, war ich das Abziehbild meiner Mom. Gerade Nase, rundes Kinn und hohe Wangenknochen. Bei all der kosmetischen Hilfe, die sie über die Jahre in Anspruch genommen hatte, um weiterhin frisch auszusehen, sahen wir inzwischen eher aus wie Schwestern als wie Mutter und Tochter.

Im Flur erklangen Schritte, gefolgt von einer weiteren Lachsalve.

Ich zog eine Grimasse und löste mich vom Spiegel. Als ich wieder in meinem Flur stand, befahl ich mir selbst, einfach ins Bett zu gehen. Doch stattdessen ertappte ich mich dabei, wie ich zur Tür trat. Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat oder warum ich so neugierig war, aber das da draußen klang so… warm und lustig und hier drin war alles so kalt und langweilig.

Warm und lustig?

Ich verdrehte die Augen. Gott, ich klang so idiotisch. Hier drin war es kalt, weil ich die Heizung nicht aufgedreht hatte.

Doch ich stand schon an der Tür, und nichts konnte mich mehr aufhalten. Ich riss sie auf und spähte aufs Treppenhaus, wo gerade zwei Köpfe nach unten verschwanden. Die Tür zur Partywohnung stand immer noch offen. Ich war hin und her gerissen. Ich war nicht zu Hause. Niemand würde mir einen bösen Blick zuwerfen oder mir Obszönitäten hinterherschreien. Wenn überhaupt, dann würden sie mich für einen Freak halten, weil ich bei halb offener Tür dastand und mit großen Augen vor mich hin starrte, während ich die Kälte aus der Wohnung ließ.

»Bring Raphael zurück!«, rief eine bekannte Stimme, gefolgt von einem tiefen Lachen, das dafür sorgte, dass mein Magen sich ungläubig zusammenzog. »Du Vollpfosten!«

Ich erkannte diese Stimme! Oh mein Gott…

Das konnte nicht sein. Ich hatte draußen keinen großen silbernen Truck gesehen. Allerdings standen dort draußen eine Menge Autos, und es war ja nicht so, als hätte ich nach seinem Truck gesucht.

Die Tür wurde ganz aufgerissen. Ich erstarrte, als ein Kerl auf den Flur stolperte und lachend eine Schildkröte – was zur Hölle? – auf den Boden setzte. Das Vieh streckte den Kopf heraus, sah sich einmal um und verschwand wieder in seinem Panzer.

Eine Sekunde später wurde der Kerl zurück in die Wohnung gezogen, und Cam erschien mit nacktem Oberkörper in der Tür. Er beugte sich vor und hob das kleine grüne Tier auf. »Tut mir leid, Raphael. Meine Freunde sind absolute, totale…« Er sah auf.

Ich versuchte zurückzuspringen, aber es war zu spät.

Cam hatte mich gesehen.

»… Arschlöcher.« Er musste zweimal hinsehen. »Was zur…?«

Würde es seltsam wirken, wenn ich in meine Wohnung zurückrannte? Ja – ja, das würde es. Also entschied ich mich für ein ziemlich lahmes »Hey…«.

Cam blinzelte mehrmals, als könne er seinen Augen nicht trauen. »Avery Morgansten? Das wird langsam zur Gewohnheit.«

»Ja.« Ich schluckte schwer. »Wird es wohl.«

»Lebst du hier, oder bist du nur zu Besuch…?«

Ich räusperte mich, während die Schildkröte mit den Beinen wedelte, als wolle sie sich befreien. »Ich… ich wohne hier.«

»Ohne Scheiß?« Er riss seine babyblauen Augen auf und schlenderte um das Treppengeländer herum, das zwischen unseren Wohnungstüren lag. Ich konnte nicht umhin zu bemerken, wie tief seine Trainingshose auf seiner schmalen Hüfte hing. Und sein Bauch! Er war muskelbepackt… ein ziemlich großes Waschbrett. »Du wohnst hier wirklich?«

Ich zwang mich, den Blick zu heben, doch sofort blieb mein Bick an seiner Sonnentätowierung hängen. »Ja. Ich wohne hier wirklich.«

»Das ist… keine Ahnung.« Er lachte wieder, und ich suchte seinen Blick. »Echt irre.«

»Warum?« Bis auf die Tatsache, dass er im Flur meines Wohngebäudes stand, oben ohne und barfuß, mit einer Schildkröte namens Raphael auf dem Arm?

»Ich wohne auch hier.«

Ich starrte ihn an. Jetzt ergab sein halbnackter Zustand Sinn, und wahrscheinlich auch die Schildkröte. Aber das konnte nicht sein. Viel zu viele Zufälle. »Du machst Witze, richtig?«

»Nein. Ich wohne hier schon eine Weile – ein paar Jahre, mit meinem Mitbewohner. Du weißt schon, der Vollpfosten, der den armen Raphael nach draußen gesetzt hat.«

»Hey!«, schrie der Kerl aus der Wohnung. »Ich habe einen Namen. Es heißt Señor Vollpfosten!«

Cam lachte. »Wie auch immer… bist du übers Wochenende eingezogen?«

Ich erwischte mich dabei, wie ich nickte.

»Leuchtet ein. Ich war zu Hause und habe die Familie besucht.« Er verschob Raphael in die andere Hand und drückte das herumzappelnde Tier gegen seine Brust. »Na ja, also…«

Ich umklammerte die Türklinke so fest, dass meine Knöchel wehtaten. »Ist das… ähm…, deine Schildkröte?«

»Ja.« Ein halbes Grinsen erschien, als Cam den kleinen Kerl höher hob. »Raphael, das ist Avery.«

Ich winkte der Schildkröte zu und fühlte mich sofort bescheuert deswegen. Das Tier zog nämlich nur den Kopf wieder in seinen grünbraunen Panzer zurück. »Das ist ein sehr interessantes Haustier.«

»Und das ist eine wirklich interessante Hose.« Sein Blick wanderte nach unten. »Was sind das?« Er lehnte sich mit zusammengekniffenen Augen vor, und ich versteifte mich. »Pizzastücke?«

Hitze stieg in meine Wangen. »Das sind Eiswaffeln.«

»Aha. Gefallen mir.« Als Cam sich aufrichtete, glitt sein Blick langsam über mich und hinterließ dabei eine seltsame Hitze auf meiner Haut. »Sehr sogar.«

Sofort ließ ich die Türklinke los und verschränkte die Arme über der Brust. Cams Mundwinkel zuckten. Ich kniff die Augen zusammen. »Danke. Das bedeutet mir wirklich viel.«

»Das sollte es auch. Die Hose besitzt jetzt mein persönliches Gütesiegel.« Er biss sich auf die Unterlippe, als seine Wimpern sich hoben und diese unglaublichen Augen meinen Blick trafen. »Ich muss Raphael wieder in sein kleines Reich bringen, bevor er mir auf die Hand pieselt, was er jeden Moment tun wird. Und das nervt.«

Meine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Grinsen. »Das kann ich mir vorstellen.«

»Also, komm doch rüber. Die Jungs wollen demnächst gehen, aber eine Weile sind sie schon noch da. Du könntest sie kennenlernen.« Er kam langsam näher und senkte die Stimme. »Sie sind nicht mal ansatzweise so interessant wie ich, aber trotzdem nicht schlecht.«

Ich warf einen Blick über seine Schulter. Ein Teil von mir wollte seiner Einladung folgen, die andere Hälfte wollte nichts mit der ganzen Sache zu tun haben. Dieser Teil siegte. »Danke, aber ich war auf dem Weg ins Bett.«

»So früh?«

»Es ist doch sicherlich schon nach Mitternacht.«

Sein Grinsen wurde breiter. »Das ist trotzdem früh.«

»Vielleicht für dich.«

»Bist du dir sicher?«, hakte er nach. »Ich habe Cookies.«

»Cookies?« Ich zog die Augenbrauen hoch.

»Ja, und ich habe sie selbst gemacht. Ich kann richtig gut backen.«

Aus irgendeinem Grund konnte ich mir das schwer vorstellen. »Du hast Cookies gebacken?«

»Ich backe eine Menge Sachen, und ich bin mir sicher, dass du dich danach verzehrst, mehr darüber zu hören. Heute Abend waren es Schokoladen-Walnuss-Cookies. Sie sind der Wahnsinn, wenn ich das mal so sagen darf.«

»So toll das auch klingt, ich muss ablehnen.«

»Vielleicht ein andermal?«

»Vielleicht.« Unwahrscheinlich. Ich trat zurück und griff nach der Tür. »Nun, es war schön, dich wiederzusehen, Cameron.«

»Cam«, verbesserte er mich. »Und hey, immerhin haben wir uns diesmal nicht fast umgerannt. Sieh mal einer an! Wir ändern bereits unsere Verhaltensmuster.«

»Das ist gut.« Ich stand wieder in meiner Wohnung, Cam immer noch vor meiner Tür. »Du solltest gehen, bevor Raphael auf deine Hand pieselt.«

»Das wäre es wert«, antwortete er.

Ich runzelte die Stirn. »Warum?«

Darauf antwortete er nicht. Stattdessen bewegte er sich langsam zurück. »Falls du deine Meinung änderst, ich werde noch eine Weile wach sein.«

»Ich nicht. Gute Nacht, Cam.«

Seine Augen weiteten sich ein wenig, aber sein Grinsen verwandelte sich in ein volles Lächeln. Ich spürte ein Flattern in meinem Magen, denn dieses Lächeln war einfach nur… Wow. »Bis morgen.«

»Morgen?«

»Der Astronomiekurs? Oder schwänzt du schon wieder?«

Wieder fingen meine Wangen an zu brennen. Gott, ich hatte schon fast vergessen, dass ich vor ihm weggelaufen war wie ein totaler Idiot. »Nein.« Ich seufzte. »Ich werde da sein.«

»Wunderbar.« Cam lief weiter zurück. »Gute Nacht, Avery.«

Ich verzog mich hinter meine Tür, um sie dann zu schließen und zu verriegeln. Ich hätte schwören können, dass ich Cam leise lachen hörte, aber ich musste wohl verrückt sein.

Ein paar Augenblicke stand ich einfach nur da, bevor ich herumwirbelte und in mein Schlafzimmer rannte. Dort zog ich mir die Decke über den Kopf, rollte mich auf den Bauch und vergrub mein Gesicht in den Kissen.

Schlaf. Schlaf einfach ein.

Cam wohnte auf der anderen Seite des Flurs?

Du musst früh aufstehen. Schlaf ein.

Wie in aller Welt war das möglich? Er tauchte überall auf, wo ich hinging.

Schlaf.

Und wieso besaß er eine Schildkröte? Und hatte er sie wirklich nach den Teenage Mutant Ninja Turtles benannt? Denn das war ziemlich witzig.

Der Morgen wird viel zu früh kommen.

Trägt er eigentlich nur während des Unterrichts ein Hemd? Oh mein Gott, er wohnte tatsächlich auf der anderen Seite des Flurs. Jacob würde austicken… und wahrscheinlich einziehen. Das wäre witzig. Doch auch wenn ich Jacob wirklich mochte, hatte ich gleichzeitig so ein Gefühl, dass er sich dann meine Klamotten ausleihen würde.

Schlaf jetzt, verdammt noch mal.

Ich konnte einfach nicht glauben, dass der heiße Kerl, den ich fast umgerannt und vor dem ich im Anschluss weggelaufen war, auf demselben Flur lebte wie ich. Warum beschäftigte mich das überhaupt so? Es spielte keine Rolle. Ich war weder an Jungs noch an Mädchen interessiert. Aber Cam war wirklich unglaublich knackig… und irgendwie witzig… und auch charmant.

Nein. Nein. Nein. Hör auf, an ihn zu denken, weil es sowieso sinnlos und hoffnungslos ist. Also schlaf jetzt.

Hab ich den ganzen Salat aufgegessen? Mann, diese Cookies sind jetzt doch verlockend.

»Oooh!«, stöhnte ich ins Kissen.

Das ging ungefähr noch eine Stunde so weiter, bevor ich aufgab und aus dem Bett sprang. Im Wohnzimmer konnte ich keine Musik oder Geräusche mehr aus Cams Wohnung hören. Er schlief wahrscheinlich schon selig, während ich zwanghaft über Cookies und Hühnchenbrust und Waschbrettbäuche nachdachte.

Ich stampfte in das zweite Schlafzimmer, das sich eher zu einem Arbeitszimmer mit Bibliothek entwickelt hatte, fuhr meinen Laptop hoch und öffnete mein E-Mail-Programm. Ich hatte eine ungelesene Mail von meinem Cousin, die ich löschte, ohne sie auch nur zu öffnen. Am linken Rand sah ich, dass im Junk-E-Mail-Ordner ein paar ungelesene Mails warteten. Zu Tode gelangweilt klickte ich auf den Link und scannte die Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente, die »Ich habe Geld auf einem Auslandskonto«-E-Mails und die Info, dass Bath and Body Works Ausverkauf hatte, bevor diese Nachrichten automatisch aus dem Ordner gelöscht wurden. Dann kniff ich die Augen zusammen, als ich den Betreff einer Mail entdeckte, die ungefähr um elf Uhr gestern Abend eingegangen war.

Dort stand AVERYMORGANSTEN, und die Nachricht stammte von einer Adresse, die ich nicht kannte.

Nun, das war seltsam, da meine E-Mail-Adresse nichts mit meinem richtigen Namen zu tun hatte. Daher konnte es kein Phishingversuch sein. Nur meine Eltern und mein Cousin kannten meine E-Mail-Adresse. Natürlich wussten sie auch meine Telefonnummer, aber mir war es lieber, wenn sie mich auf diesem Weg kontaktierten, statt mich anzurufen. Sonst hatte ich meine Mailadresse niemandem gegeben.

Meine Finger schwebten über der Maus. Ich wurde unruhig, und mein Magen verkrampfte sich. Ich zog die Beine an die Brust, während ich mich selbst beschwor, die Mail nicht zu öffnen. Sie einfach zu löschen. Aber ich klickte trotzdem darauf, weil ich einfach nicht anders konnte. Es war so ähnlich wie bei einem üblen Unfall am Straßenrand. Man wusste, dass man nicht hinsehen sollte, aber man tat es trotzdem.

Sofort wünschte ich mir, ich hätte es gelassen. Mein Magen verkrampfte sich noch mehr, und meine Kehle war wie zugeschnürt. Mir wurde schlecht, ich sprang vom Schreibtisch zurück und knallte den Laptop zu. Dann stand ich in der Mitte des Raumes, atmete tief durch und ballte die Hände zu Fäusten.

Es waren nur drei Zeilen.

Mehr nicht.

Zwei Zeilen, die Hunderte Kilometer ausradierten.

Zwei Zeilen, die mir die gesamte Nacht versauten.

Zwei Zeilen, die mich hier in dieser kleinen Collegestadt in West Virginia gefunden hatten.

Du bist nichts als eine Lügnerin, Avery Morgansten.

Am Ende wirst du bekommen, was du verdienst.

Kapitel 4 Ich schleppte mich zehn Minuten zu früh zu meinem Astronomiekurs und suchte mir einen meiner Meinung nach unauffälligen Platz etwa in der Mitte des Raums, der ein wenig an ein Amphitheater erinnerte. Ein paar andere Studenten saßen bereits ganz vorne. Gähnend sackte ich in meinem Sitz zusammen und rieb mir die Augen. Die Unmengen an Kaffee, die ich heute Morgen getrunken hatte, konnten nicht im Geringsten ausgleichen, dass ich nur eine Stunde geschlafen hatte.

Zwei kleine Sätze.

Ich schloss die Augen und ließ meinen Kopf auf die Unterarme sinken. Ich wollte nicht über die E-Mail nachdenken oder darüber, dass ich den Laptop noch mal geöffnet hatte, um die Mail meines Cousins im Mülleimer zu lesen. Er hatte sich in epischen Ausmaßen darüber beschwert, dass ich meine Eltern im Stich ließ, wie besorgt seine Eltern deswegen waren und wie sehr sie fürchteten, dass ich Mom und Dad in einen weiteren Anfall treiben könnte. Du musst nach Hause kommen, hatte er geschrieben. Das wäre das Richtige. Es wäre das Richtige für meine Eltern. Doch auch wenn mein Cousin sich auf die Seite meiner Eltern – oh, und auf die von ungefähr neunundneunzig Prozent der Stadt – geschlagen hatte, bezweifelte ich doch, dass die andere E-Mail auch von ihm stammte.

Die anonyme E-Mail-Adresse verriet mir gar nichts. Und auch wenn es eine Menge Leute gab, von denen die Mail stammen könnte, wusste ich trotzdem nicht, wer sie wirklich geschickt hatte. Er konnte es nicht sein. Denn nicht einmal er war so dämlich, mich zu kontaktieren.

Oder?

Mir lief ein kalter Schauder über den Rücken. Was, wenn diese bösartige Mail wirklich von Blaine stammte? Was, wenn er herausgefunden hatte, wo ich hingezogen war? Meine Familie hätte es ihm nicht erzählt. Allerdings hätten meine Eltern es seinen Eltern erzählen können, da sie über den Country Club befreundet waren. Falls sie das getan hatten, würde ich sie umbringen. Im Ernst. Ich würde mich ins nächste Flugzeug nach Texas setzen und sie umbringen, denn der treibende Gedanke hinter dem Umzug hierher war es gewesen, von…

»Guten Morgen, Süße«, erklang eine tiefe Stimme.

Ich riss den Kopf hoch und drehte mich um. So überrascht, dass ich kein Wort herausbrachte, beobachtete ich, wie Cam sich auf den freien Platz neben mir setzte. Ich hatte offensichtlich ein bisschen zu langsam geschaltet, denn kurz darauf wurde mir klar, dass ich hätte behaupten sollen, der Platz wäre schon besetzt. Oder Cam sagen, er solle verschwinden. Aber ich konnte nur starren.

Er lehnte sich zurück und sah mich von der Seite an. »Du wirkst heute Morgen ein wenig durch den Wind.«

Und er wirkte erstaunlich frisch für jemanden, der letzte Nacht gefeiert hatte. Seine feuchten Haare waren etwas verwuschelt, und seine Augen leuchteten. »Danke.«

»Gern geschehen. Schön, dass du es diesmal zum Kurs geschafft hast.« Er hielt inne, lehnte seinen Kopf zurück und legte seine Füße auf den Sitz vor uns, während er mich unverwandt ansah. »Allerdings hat heute gefehlt, dass du mich umrennst. Das war echt aufregend.«

»Mir fehlt das überhaupt nicht«, gab ich zu, beugte mich vor und wühlte in meiner Tasche nach meinem Ordner. »Das war wirklich peinlich.«

»So solltest du es nicht sehen.«

»Du hast leicht reden. Du bist derjenige, der angebumst wurde. Ich war diejenige, die gebumst hat.«

Cam fiel die Kinnlade nach unten. Oh mein Gott, hatte ich das gerade wirklich gesagt? Ich wurde knallrot und öffnete eilig meinen Ordner.

»Raphael geht es übrigens prima.«

Mir entkam ein erleichtertes Grinsen. »Das ist schön. Hat er dir auf die Hand gepieselt?«

»Nein, aber es war knapp. Habe dir etwas mitgebracht.«

»Schildkrötenpipi?«

Cam lachte und schüttelte den Kopf, während er in seinen Rucksack griff. »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber nein.« Er zog einen zusammengehefteten Stapel Papiere hervor. »Das ist unser Lehrplan. Ich weiß. Total prickelnd, aber ich dachte, nachdem du am Montag nicht zum Kurs gekommen bist, würdest du einen brauchen. Also habe ich mir den hier vom Professor für dich geholt.«

»Danke.« Ich nahm den Stapel ein wenig schockiert entgegen. »Das war sehr nett von dir.«

»Wappne dich. Ich bin diese Woche insgesamt sehr nett. Ich habe dir noch was mitgebracht.«

Ich kaute an meinem Stift herum, während Cam in seinem Rucksack herumgrub, und nutzte die Chance, ihn mal richtig abzuchecken, ohne dass er es merkte. Es war wirklich lange her, dass ich mich mit einer Person des anderen Geschlechts unterhalten hatte, die nicht mit mir verwandt war. Aber anhand der Beobachtungen, die ich über die Jahre gemacht hatte, fand ich mich gar nicht schlecht. Bis auf den Bums-Kommentar. Irgendwie war ich stolz auf mich.

Cam zog eine Serviette hervor und faltete sie mit spitzen Fingern auf. »Cookie für dich, Cookie für mich.«

Ich zog den Stift aus dem Mund und schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht nötig gewesen.«

»Es ist nur ein Cookie, Süße.«

Wieder schüttelte ich den Kopf, weil ich aus seinem Verhalten einfach nicht schlau wurde. Ich wurde aus Cam insgesamt nicht schlau. Zur Hölle, ich wurde eigentlich aus den meisten Menschen nicht schlau.

Cam musterte mich durch diese unglaublich langen Wimpern und seufzte. Er riss die Serviette in zwei Teile, faltete jeden Teil um einen der Cookies und ließ einen davon in meinen Schoß fallen. »Ich weiß, dass man keine Süßigkeiten von Fremden annehmen soll, aber es ist ein Keks, kein Bonbon. Und grundsätzlich gesehen bin ich kein Fremder.«

Ich schluckte.

Cam biss von seinem Cookie ab und schloss verzückt die Augen. Seiner Kehle entstieg ein tiefes Geräusch – ein genüssliches Stöhnen. Mein Herz fing an zu flattern und meine Wangen wurden noch heißer, während ich ihn anstarrte. Eine Reihe vor uns drehte sich ein Mädchen mit verträumtem Blick zu uns um.

»Ist er wirklich so gut?«, fragte ich mit einem Blick auf den Cookie in meinem Schoß.

»Oh ja! Die sind der Hammer. Das habe ich dir schon gestern Nacht gesagt. Wäre noch besser, wenn ich ein Glas Milch hätte.« Er nahm noch einen Bissen. »Mmmm, Milch.«

Ich wagte noch einen Blick zu Cam. Er sah aus, als stände er kurz vor einem Orgasmus.

Ein Auge öffnete sich. »Es ist die Kombination aus Walnüssen und Schokolade. Die Mischung ist wie eine Sexexplosion in deinem Mund, nur nicht so schmutzig. Besser als das sind nur diese winzig kleinen Erdnussbutterkuchen aus dem Supermarkt. Man wirft die Mistkerle rein, während der Teig noch warm ist… Na ja, auf jeden Fall musst du einfach probieren. Nimm einen kleinen Bissen.«

Oh, zum Teufel damit. Es war nur ein Cookie, keine Crackpfeife. Ich benahm mich dämlich. Ich öffnete die Serviette und nahm einen Bissen. Der Cookie schmolz quasi in meinem Mund.

»Gut, oder?«, fragte Cam.

Ich biss noch einmal ab und nickte.

»Ich habe noch Massen davon zu Hause.« Cam streckte sich, dann rollte er die Serviette zusammen. »Wollte es nur mal erwähnen.«

Ich aß den letzten Bissen und musste zugeben, dass es ein verdammt guter Cookie war. Dann wischte ich mir die Finger ab und knüllte meine Serviette zusammen, aber Cam streckte die Hand aus und nahm sie mir ab. Dabei drehte er sich ein wenig auf seinem Sitz, sodass sein Knie an meinem Bein entlangstrich.

»Brösel«, sagte er.

»Was?«

Er grinste leicht, dann hob er die Hand ohne Serviette. Bevor ich wusste, wie mir geschah, war er mit dem Daumen über meine Unterlippe gestrichen. Jeder einzelne Muskel in meinem Körper verkrampfte sich bis fast zur Schmerzgrenze. Ich riss die Augen auf, und mir stockte der Atem. Seine Berührung war sanft gewesen, kaum der Rede wert, aber ich spürte sie in mehreren Teilen meines Körpers.

»Erwischt.« Sein Grinsen wurde breiter.

Meine Lippe kribbelte immer noch. An etwas anderes konnte ich nicht denken. Ich bewegte mich kein bisschen, zumindest nicht, bis die Tür im vorderen Teil des Raumes sich öffnete und der seltsamste Mann, den ich je gesehen hatte, in den Raum rauschte. Er war von Kopf bis Fuß in olivgrünes Polyester gekleidet, und sein dichtes grauschwarzes Haar stand in alle Richtungen ab. Seine Brille war riesig und balancierte auf der äußersten Spitze seiner Nase. Während er zum Podium ging, fiel mir auf, dass er schwarz-weiß karierte Turnschuhe von Vans trug… die zu seiner Krawatte passten.

Cam lachte leise. »Professor Drage ist… einzigartig.«

»Das sehe ich«, murmelte ich.

Professor Drage hatte einen Akzent, den ich nicht ganz einordnen konnte, aber seiner dunklen Haut nach zu urteilen, stammte er aus Südeuropa oder dem Nahen Osten. Der Professor stürzte sich direkt ins Thema – ohne Anwesenheitskontrolle oder Vorwarnung. Ich bemühte mich sehr, seiner Einführung in das Fachgebiet der Astronomie, seinen Maßeinheiten und Längenangaben zu folgen, während Cam sich noch tiefer in seinen Stuhl sinken ließ und seinen Block aufschlug. Sein Stift huschte in schnellen, kurzen Strichen über das Papier. Aber er machte keine Notizen.

Er zeichnete.

Ich legte den Kopf schräg und versuchte mich darauf zu konzentrieren, was zur Hölle eine Astronomische Einheit sein sollte. Irgendeine irre Nummer, von der ich nicht mal versuchen wollte, sie mir zu merken. Anscheinend war es die durchschnittliche Entfernung, in der die Erde um die Sonne kreist. Und das war wichtig, weil Astronomische Einheiten benutzt wurden, um die meisten Entfernungen in unserem Sonnensystem zu bestimmen. Doch immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich auf Cams Block starrte.

Was zur Hölle zeichnete er da?

»Die meisten von euch Kids interessiert die Astronomische Einheit nicht oder ihr habt noch nie von ihr gehört«, fuhr Professor Drage fort und wanderte von rechts nach links. »Ihr seid vertraut mit dem Begriff ›Lichtjahr‹. Obwohl ich bezweifle, dass ihr wahrhaftig versteht, was ein Lichtjahr eigentlich ist.«

Ich war mir ziemlich sicher, dass Cam Bigfoot zeichnete.

Die Vorlesung ging weiter, bis Professor Drage plötzlich umschaltete. Damit überraschte er mich und jeden anderen bis auf Cam. Er teilte Sternenkarten aus. »Ich weiß, dass heute erst Mittwoch ist, aber hier ist schon einmal eure erste Hausaufgabe fürs Wochenende. Am Samstag soll der Himmel angeblich so klar sein wie ein Babyhintern.«

»So klar wie ein Babyhintern?«, murmelte ich.

Cam lachte leise.

»Ich will, dass ihr die Corona Borealis am Himmel findet – am echten, richtigen, tatsächlichen Nachthimmel«, erklärte Professor Drage und lächelte dabei, als habe er etwas Witziges gesagt. Wir starrten ihn alle nur an. »Ihr werdet kein Teleskop brauchen. Benutzt eure Augen oder Brillen oder Kontaktlinsen oder was auch immer. Ihr könnt Freitag- oder Samstagnacht danach Ausschau halten, aber am Freitag ist wechselhaftes Wetter angesagt, also wählt klug.«

»Moment«, meinte jemand in der ersten Reihe. »Wie benutzt man diese Karte?«

Cam gab mir eine Karte aus dem Stapel, der durch die Reihen weitergegeben wurde, zusammen mit ein paar Seiten Rasterpapier.

Professor Drage hielt vor der Klasse an. »Ihr schaut sie euch an.«

Ich unterdrückte ein Lachen.

Der Kommilitone schnaubte. »Das habe ich schon verstanden, aber halte ich sie gegen den Himmel, oder was?«

»Sicher. Das könntet ihr tun. Oder ihr schaut euch einfach die verschiedenen Konstellationen an, prägt euch ein, wie sie aussehen, und benutzt dann Hirn und Augen, um sie am Himmel zu finden.« Der Professor hielt kurz inne. »Oder ihr benutzt Google. Ich will, dass ihr alle anfangt, euch mit der Sterndeutung vertraut zu machen. Ihr werdet dieses Semester viel Zeit damit verbringen und werdet schon bald zu schätzen wissen, dass es draußen im Moment noch warm ist. Also schnappt euch euren Partner und wählt einen Tag. Das Rasterpapier, auf das ihr die Konstellation zeichnet, wird am Montag von mir wieder eingesammelt. Das wäre alles für heute. Viel Glück, und möge die Macht des Universums heute mit euch sein.«

Mehrere Studenten lachten, aber mir rutschte mein Herz quasi in die Knie.

»Partner?«, fragte ich leise, während ich mich panisch im Kursraum umsah. Fast alle hatten sich umgedreht und unterhielten sich mit jemand anderem. »Wann haben wir Partner gewählt?«

»Am Montag«, antwortete Cam, klappte seinen Block zu und schob ihn zurück in seinen Rucksack. »Du warst nicht da.«

Mein Herz raste, und ich rutschte auf meinem Sitz nach vorne. Verdammt. Professor Drage war bereits aus dem Raum geeilt, und die Hälfte der Studenten war ebenfalls schon verschwunden.

»Avery?«

Wie zur Hölle sollte ich mir jetzt einen Partner besorgen? Ich hätte am Montag wirklich nicht weglaufen sollen wie ein Baby. Das war alles mein Fehler.

»Avery.«