Wald der Toten - Robert C. Marley - E-Book

Wald der Toten E-Book

Robert C. Marley

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Beschreibung

"Komme später." Es ist die letzte SMS, die Chris von seiner Ex-Freundin empfängt. Doch in dieser Nacht wartet er vergeblich. Fran Lovey, eine junge Schwesternschülerin am Brighton General Hospital, kommt niemals zu Hause an.

Detective Miriam Beckett wird auf den Fall angesetzt, der schnell eine unerwartete Wendung nimmt: Wenige Tage nach ihrem spurlosen Verschwinden meldet sich Fran plötzlich bei Chris: "Ich wollte euch nur Bescheid sagen, dass es mir gut geht. Bitte sag Mum und Dad und den anderen Bescheid." Dann legt sie auf.

Ist die junge Frau einfach von zu Hause abgehauen? Beckett will das nicht glauben und wird auf fürchterliche Weise recht behalten: Denn Frans Anruf war nur der Auftakt zu einem perfiden Katz-und-Maus-Spiel, das der Täter mit der Polizei und Frans Familie treibt ...

Psycho-Thriller voller "Hochspannung" - die neue Reihe von Bastei Entertainment! Bisher sind in der Reihe "Hochspannung" folgende weitere Titel erschienen: Vincent Voss - Tödlicher Gruß; R. S. Parker - Raus kommst du nie; Christian Endres - Killer's Creek - Stadt der Mörder; Linda Budinger - Im Keller des Killers; Andreas Schmidt - Dein Leben gehört mir; Uwe Voehl - Schwesternschmerz; Jens Schumacher - Die Tote im Görlitzer Park; Timothy Stahl - Haus der stillen Schreie; Vincent Voss - Du darfst mich nicht finden; Christine Drews - Dunkeltraum; Alfred Bekker - Der Blutzeichner: Kay Forster - Lächle, bevor du stirbst; A.K. Frank - Blutzorn

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Seitenzahl: 240

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Zitate

Widmung

Vorbemerkung

Prolog

Erster Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Zweiter Teil

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

Dritter Teil

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Epilog

Danksagungen

Über dieses Buch

»Komme später.« Es ist die letzte SMS, die Chris von seiner Ex-Freundin empfängt. Doch in dieser Nacht wartet er vergeblich. Fran Lovey, eine junge Schwesternschülerin am Brighton General Hospital, kommt niemals zu Hause an.

Detective Miriam Beckett wird auf den Fall angesetzt, der schnell eine unerwartete Wendung nimmt: Wenige Tage nach ihrem spurlosen Verschwinden meldet sich Fran plötzlich bei Chris: »Ich wollte euch nur Bescheid sagen, dass es mir gut geht. Bitte sag Mum und Dad und den anderen Bescheid.« Dann legt sie auf.

Ist die junge Frau einfach von zu Hause abgehauen? Beckett will das nicht glauben und wird auf fürchterliche Weise recht behalten: Denn Frans Anruf war nur der Auftakt zu einem perfiden Katz-und-Maus-Spiel, das der Täter mit der Polizei und Frans Familie treibt …

Über den Autor

Robert C. Marley, geboren 1971, ist Autor, Kriminalhistoriker, Goldschmiedemeister, Hersteller von Zauberrequisiten und Mitglied des Magischen Zirkels. Seit seiner Jugend liebt er Sherlock Holmes und Agatha Christie und besitzt ein privates Kriminalmuseum. Wenn er nicht gerade schreibt, neue Zaubertricks erfindet oder in Großbritannien unterwegs ist, unterrichtet er Kinder und Jugendliche in Selbstverteidigung. Der Autor lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in einer sehr alten Stadt in Ostwestfalen.

Im März 2015 wurde Marley, der als einer der vielseitigsten Autoren Deutschlands gilt, mit dem HOMER-Literaturpreis in der Sparte historischer Krimi ausgezeichnet.

Robert C. Marley

WALDDERTOTEN

Psychothriller

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Wolfgang Neuhaus

Projektmanagement: Stephan Trinius

Titelgestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock: pashabo | Tom Tom | Taigi

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-1178-5

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

»Die Hoffnung ist ein gutes Frühstück,

aber ein schlechtes Abendessen.«

- Francis Bacon

I love somebody named Lovey –

please don’t tell anybody …

- The Roches, Lovey

Für Lisa

† 2015

Vorbemerkung

Auch wenn dieser Roman auf einem ungeklärten Verbrechen basiert, ist diese Geschichte frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit Lebenden oder Toten wäre zufällig und ausdrücklich nicht beabsichtigt.

Leser, die mit der Gegend um Brighton & Hove vertraut sind, werden feststellen, dass im Roman dort ein paar zusätzliche Gewerbegebiete entstanden sind, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Auch das Spiel England gegen Schweden hat nicht am 19. Juni stattgefunden, sondern einen Tag später.

Ein Schlafmittel namens Barbitural existiert ebenfalls nicht, wenngleich Medikamente mit ähnlicher Wirkung im Handel sind.

R.C.M.

Prolog

Montag, 19. Juni

1

Es war einer der heißesten Tage des Sommers. Die Pubs waren überfüllt, und ganz England befand sich im Fußballfieber. Auch in Brighton war die Weltmeisterschaft das Thema.

Ihn interessierte das alles nicht.

In der Ferne sah er Paare und Grüppchen aus den überfüllten Lokalen kommen und den Heimweg antreten. Das Spiel war seit ein paar Minuten vorbei; schon bald würde kaum noch jemand auf den Straßen unterwegs sein, von den trinkfesten Schlachtenbummlern und den Nachtschwärmern abgesehen, die es hier in der Innenstadt in warmen Sommernächten immer gab.

Brighton schlief niemals ganz. Selbst in gewöhnlichen Nächten nicht. Die Stadt war eher wie ein komatöser Patient, der trotz tiefer Ohnmacht noch immer zuckte und murmelte. Er kannte das. Er kannte beides.

Er legte sein Handy auf den Beifahrersitz und starrte wieder hinaus in die Nacht.

Sie hat sich entschieden, dachte er. Ihre letzte SMS hatte alles gesagt, was nötig war. Später würde niemand behaupten können, sie habe keine Wahl gehabt. Sie hatte ihre Entscheidung selbst getroffen. Kein Mensch hatte sie gezwungen. Schon gar nicht er. Er war gespannt, wie sie reagieren würde, und fragte sich, ob sie die Wahrheit gesagt hatte, was den Akku ihres Handys anging. Hatte sie das vielleicht nur vorgeschoben, um ihn los zu sein? Um einen Vorwand zu haben, nicht mehr mit ihm sprechen zu müssen? Nicht mehr antworten zu müssen?

Sie war immer nett und freundlich zu allen. Selbst dann, wenn ihr gar nicht danach war. Ihre gute Erziehung, vermutete er. Bloß niemanden gegen sich aufbringen. Bloß niemandem vor den Kopf stoßen. Immer lächeln und alles mit bunten Schleifen in Geschenkpapier verpacken. Auch wenn es die pure Scheiße war, die sie darin eingewickelt hatte.

Es kotzte ihn an.

Der abkühlende Motor tickte in der warmen Sommerluft.

Eine Gruppe Jugendlicher kam aus dem Jolly Fisherman. Zwei dünne Kerle stützten einen stämmigen Typen in Jeans und England-T-Shirt, der offensichtlich über den Durst getrunken hatte. Der Bursche konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

Er beobachtete, wie der Mann einknickte. Seine Freunde lachten und fingen ihn auf. Der Betrunkene versuchte sie abzuschütteln, aber sie hatten ihn fest im Griff. Keine zehn Meter von ihm entfernt schleppte sich die kleine Gruppe an ihm vorbei. Selbst bei dem schlechten Licht und der Entfernung konnte er die verwischten Union Jacks sehen, die sie sich wie Kriegsbemalung auf die Wangen gepinselt hatten.

Ein paar letzte Züge von der Zigarette, ehe er sie nach draußen schnippte. Dann kurbelte er das Seitenfenster hoch, stieg aus dem Wagen und schlug die Fahrertür zu.

Er hatte an der Hauptstraße unweit des Pubs in einer kleinen Nische am Fahrbahnrand geparkt; obwohl nebenan der Fußweg verlief, standen die nächsten Straßenlaternen doch so weit weg, dass er bezweifelte, man würde sein Auto bemerken. Zumindest würde es niemandem sonderlich auffallen.

Auf dem Gehweg zündete er sich in den Schatten der alten Buchen mit ihren ausladenden Ästen eine weitere Zigarette an und wartete.

Sie wolle gleich nach dem Spiel nach Hause gehen, hatte sie gesagt.

Nun, das Spiel war vorbei. Die meisten Gäste verließen jetzt das Pub und machten sich auf den Weg ins warme Bett. Ein paar Minuten noch, und sie würde ebenfalls herauskommen. Vielleicht noch fünf Minuten.

Keine Ewigkeit.

So lange konnte er warten.

2

Fran Lovey trat aus dem aufgeheizten, rauchgeschwängerten Pub nach draußen und atmete tief die kühle Nachtluft.

So lebendig und frei hatte sie sich seit einer Ewigkeit nicht mehr gefühlt. Sie war todmüde von den Geschehnissen des Tages, vom Feiern und den Bieren, die sie getrunken hatte, aber vor allem war sie glücklich. Vielleicht so glücklich wie nie zuvor.

Seit sie ihr behütetes Dasein in ihrem Elternhaus in Horsham aufgegeben hatte und in Brighton mit Chris zusammengezogen war, hatte sich vieles verändert. Sie hatte ihre Ausbildung zur Krankenschwester begonnen, vor der sie ein bisschen Angst gehabt hatte; nicht zuletzt, weil ihre Eltern ihr zeitlebens eingetrichtert hatten, dass in der Fremde die größten Gefahren lauerten.

Mum hätte es vermutlich am liebsten gesehen, wenn sie studiert hätte wie Frank, ihr Bruder, und über kurz oder lang in Dads Zahnarztpraxis eingestiegen wäre. Aber Fran hatte schon immer andere Pläne gehabt. Dad hatte das gewusst. Und im Gegensatz zu Mum hatte er sie nie gedrängt, eine bestimmte Laufbahn einzuschlagen. »Ich habe meine Entscheidungen im Leben getroffen«, pflegte er zu sagen, »und ich kann nicht verlangen, dass meine Kinder dieselben Entscheidungen treffen.«

Mum sah das anders. Stets war sie der Meinung, es besser zu wissen. »Ich bin dir dreißig Jahre an Erfahrung voraus«, sagte sie oft, und obwohl Fran wusste, dass es Mums Unsicherheit und Angst waren, die sie so reden ließen, und dass sie es im Grunde nur gut meinte, konnte sie diese Sichtweise nicht akzeptieren. »Du wirst mir immer dreißig Jahre voraus sein, Mum«, hatte sie irgendwann einmal gesagt, »wie soll ich da jemals auf eigenen Beinen stehen?« Natürlich war Mum beleidigt gewesen, und Fran hatte tagelang ein schlechtes Gewissen gehabt. Nun aber war sie froh, dass sie ihr Ding durchgezogen und die behütete und behagliche Enge ihres »Kinderzimmers«, wie sie es noch immer nannte, mit der Freiheit eines eigenständigen Lebens getauscht hatte.

Die Luft war auch um diese Zeit noch angenehm warm und angefüllt mit all den Gerüchen der Altstadt – ein unwiderstehlicher Mix aus dem Duft frisch gebackener Pizza, Indischer Gewürze und dem Geruch von sommerheißem Asphalt und salziger Meeresluft.

Der Umzug nach Brighton hatte Fran eine Freiheit geschenkt, die sie sich zu Hause in ihren kühnsten Träumen nicht hatte vorstellen können.

Zum ersten Mal im Leben hatte sie erfahren, was es hieß, wenn einem nicht ständig die eigene Mutter über die Schulter schaute, wenn man tun und lassen konnte, was einem gefiel, ohne sich einen mahnend erhobenen Zeigefinger einzuhandeln.

Fran hatte dieses neue Leben in vollen Zügen genossen. Vielleicht aus Trotz, vielleicht auch, weil sich endlich die Möglichkeit bot, hatte sie mit Drogen experimentiert, hatte Abend für Abend zu viel getrunken und sich mit Männern eingelassen. Ihr hatte das alles sehr gefallen, aber sie würde es nicht noch einmal tun. Sie hatte tolle Leute kennengelernt, und alle waren nett zu ihr gewesen, hatten sie umschwärmt und sie auf Händen getragen. Fran hatte das genossen, sehr sogar. Jetzt aber hatte sie erkannt, dass Liebe viel mehr sein konnte als zwei nackte, verschwitzte Körper, die sich gegenseitig Befriedigung verschafften.

Vom Meer her wehte eine angenehm frische Brise.

Fran fühlte sich müde und beschwingt zugleich. Sie würde jetzt nach Hause gehen, würde sich mit Chris auf dem gemütlichen Sofa noch eine Tüte Chips und eine Dose Bier teilen.

Und dann würde sie ihm sagen, wie sie sich die Zukunft vorstellte.

Wie er wohl damit umgehen würde?

Eigentlich war sie ganz froh, dass er den Schlüssel vergessen hatte. So konnte sie sicher sein, dass er noch wach war, wenn sie nach Hause kam.

In Gedanken versunken schlenderte Fran den Gehweg entlang, der parallel zur Straße verlief, vorbei an Fußballfans, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, vorbei an Pärchen, die sich an die Bäume gelehnt umarmten und wild herumknutschen, vorbei an parkenden Fahrzeugen.

»Hi«, sagte er und trat lächelnd aus den Schatten auf den Gehweg. Eine winzige Bewegung seiner Finger, und die gerade angerauchte Zigarette flog in hohem Bogen auf die Straße.

»Oh! Hi.« Fran sah ihn verwundert an. Lachte. Überrascht, ihn hier zu sehen.

Er hielt den Kopf schief wie ein junger Welpe. »Wie geht es dir? Hattest du einen schönen Abend?«

»Ich … ja.« Sie sah seinen Wagen in der Nische am Fahrbahnrand stehen, und ihre Überraschung wich einem beinahe vergessenen Gefühl der Verbundenheit. »Hast du etwa hier auf mich gewartet?«

Er zuckte die Achseln. »Ist gefährlich für junge Frauen hier draußen. Überall besoffene Kerle. Da macht man sich Sorgen. Ich dachte, ich schau mal nach dir. Kutschfahrt gefällig?«

Er redet genau wie Mum, dachte sie. Was sie sagte war jedoch: »Hast du nicht gesagt, du wolltest lernen?«

»Hab’s mir anders überlegt.« Er klatschte in die Hände. »Dachte, es wäre eine nette Überraschung, dich abzuholen.«

Er wusste ganz genau, dass es keine »nette Überraschung« war. Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, war es zum Streit gekommen.

»Ich muss jetzt wirklich ins Bett«, sagte Fran und strich sich das Haar aus der Stirn.

»Komm schon, steig ein.« Er hielt ihr die Beifahrertür auf. »Ich bring dich hin.«

Fragend blickte sie ihn an. »Bist du noch böse auf mich?«

»Nein. Wie kommst du denn darauf? Glaubst du, dann wäre ich jetzt hier?«

»Wirklich nicht?« Fran hatte angenommen, er würde reden wollen und dass es dann wieder eine von diesen endlosen Diskussionen geben würde, bei denen sie sich nachher immer schlecht und schuldig fühlte.

»Ein Friedensangebot«, sagte er. »Ich bin einfach nur der freundliche Taxifahrer.« Er lächelte wieder.

Wenngleich Fran zunächst noch zögerte, stieg sie schließlich doch ein. Von den Vorhaltungen und Streitereien einmal abgesehen, die ihn ihr letzten Endes entfremdet und ihre Gefühle für ihn nach und nach hatten absterben lassen, war er doch ein lieber Kerl. Wenn sie sein Friedensangebot ablehnte, würde er das bestimmt als Zurückweisung verstehen, und dann war ihre Freundschaft womöglich für immer zerstört.

Ach, was soll’s, dachte sie, die fünf Minuten mit ihm werden mich auch nicht umbringen.

Er war kaum losgefahren, als er sie, ohne sie anzuschauen fragte: »Auf was für Typen stehst du denn jetzt so? Ich meine, wie muss er denn sein, dein Traumtyp?«

Fran schloss die Augen. Sie hatte es gewusst. Jetzt würde die Diskussion von Neuem losgehen.

»Bitte mach das nicht. Lass uns nicht wieder davon anfangen«, sagte sie. »Wir hatten das doch alles geklärt. Und du hast gesagt, du bist nicht mehr böse auf mich.«

»Bin ich auch nicht«, entgegnete er in beinahe fröhlichem Tonfall. »Aber so ist es nun mal. Ich liebe dich. Ich kann das nicht so mir nichts, dir nichts ausschalten.«

»So wie ich das offenbar kann, willst du damit sagen, oder? Du weißt, ich mag dich wirklich sehr. Und du weißt, ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht.«

»Sicher«, sagte er.

Als das Pub, über dem sie wohnte, in Sichtweite kam, verlangsamte er die Fahrt. Fran nahm ihre Handtasche auf den Schoß und wollte schon den Gurt lösen, als er unmittelbar auf Höhe ihrer Wohnung wieder beschleunigte.

»He! Was soll das?« Entgeistert starrte sie ihn an. »Ich muss hier raus.«

»Ich bring dich schon noch hin«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Mach mal keinen Stress, du kommst schon nach Hause. Ich hab vorher nur kurz was zu erledigen. Dauert nicht lange.«

»Ich muss morgen ganz früh raus!«, protestierte sie.

»Ich auch.« Seine Stimme klang völlig ungerührt, fast gelangweilt.

Er fuhr weiter den Hangleton Way hinauf durchs Gewerbegebiet. Zu beiden Seiten der Straße ragten die Schlote der Getränkefabrik in den sternenklaren Nachthimmel.

Zunächst dachte Fran, er wolle mit ihr zum Devils Dyke hinausfahren, wo es um diese Zeit dunkel und einsam war. Sie waren öfter zusammen dort gewesen, um ungestört zu sein; sie hatten Musik gehört und die Sitze heruntergeklappt … Diesmal aber fuhr er in den Kreisverkehr und bog stattdessen auf die A27 in Richtung Lewes ab.

Was ging hier vor sich? Allmählich bekam sie Angst. Sie blickte ihn von der Seite an. Er sieht seltsam aus, dachte sie. Irgendwas stimmt nicht mit ihm. »Wo fährst du mit mir hin? Ich muss nach Hause, sonst bin ich morgen todmüde. Bitte halt irgendwo an und lass mich aussteigen, ja? Ich kann mir auch ein Taxi rufen.«

Er schüttelte leicht den Kopf. »Sei nicht albern, Franny.«

»Warum tust du das? Willst du reden? Machst du es deswegen? Na, schön, okay, reden wir.«

»Pssst«, machte er und hob den Zeigefinger an die Lippen. »Wir reden später.«

»Lass mich raus. Bitte.«

Er beachtete sie gar nicht. Er schaltete nur das Radio ein und starrte weiterhin nach vorn auf die Straße.

Schweigend saßen sie nebeneinander, während er durch den Cuilfail-Tunnel und an Lewes vorbeifuhr. Nur vereinzelt kamen ihnen andere Fahrzeuge entgegen.

Fran Lovey blickte in die Nacht hinaus, auf die vorüberhuschenden Büsche und Bäume, auf die sich schier endlos dahinschlängelnde Landstraße. Die grünen und roten Reflektoren, die in den Asphalt der Fahrbahn eingelassen waren, sahen wie Leuchtspurgeschosse aus.

Nach gut einer Dreiviertelstunde hielt er in einem Waldstück an. Sie befanden sich irgendwo in der Nähe von Crowborough, da war Fran sich sicher, obwohl sie die kleinen Ortschaften nicht kannte, deren Namen sie auf den Schildern gelesen hatte.

Erst jetzt bemerkte sie, dass sie auf einem kleinen Kiesparkplatz standen. Vor ihnen erhob sich eine Baumgruppe; rechter Hand lag eine weite, nahezu baumlose Talsenke. Sie mussten irgendwo im Ashdown Forest sein. Aber warum war er mit ihr hierhergefahren? Was wollte er von ihr?

Scheiße, er will dich vergewaltigen, Franny, weil du nicht mitgespielt hast, dachte sie in einem Anflug von Panik und berührte mit den Fingerspitzen das kleine silberne Kreuz, das Phillip ihr gestern geschenkt hatte und das sie an einem Lederband um den Hals trug. Und dann bringt er dich um. Du hättest nie in seinen Wagen steigen dürfen! Er hat ihn extra so geparkt, dass er keinem auffiel!

»Wartet jemand auf dich?«, fragte er unvermittelt in die Stille hinein. Seine Stimme klang kalt und fremd in Frans Ohren.

»Du willst mich doch auf den Arm nehmen«, sagte sie und suchte in seinem Gesicht nach einer Erklärung. »Was soll das alles?«

»Wartet jemand auf dich?«, fragte er noch einmal, als hätte es ihren Einwand nie gegeben.

Sie starrte ihn an. »Klar, Mann. Chris, mein Ex. Wir wohnen zusammen.«

Er ist verrückt. Er ist definitiv verrückt! Oder er will mich nach Strich und Faden verarschen.

»Wer noch?«

Spiel mit! Denn wenn du es nicht tust …

»Niemand«, sagte Fran schließlich. Als er nichts darauf erwiderte, fügte sie hinzu, als spräche sie mit einem kleinen Kind, oder jemandem, der ein bisschen schwer von Begriff war: »Ich hab keinen Schlüssel. Chris muss aufbleiben, sonst komme ich nicht rein.«

»Dann schreib ihm einfach, du kommst später.«

»Was?«

»Du sollst ihm schreiben, dass du später kommst.«

»Nein, das will ich nicht«, sagte sie. Allmählich bekam sie es mit der Angst zu tun »Ich muss jetzt nach Hause …«

Ohne Vorwarnung schlug er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. »Schreib, hab ich gesagt.«

Nie zuvor hatte er sie geschlagen. Ihr Gesicht brannte, und sie spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. »Chris wird sauwütend sein«, flüsterte sie kleinlaut.

»Wo ist dein Handy?«

Stumm zog sie es aus ihrer schwarzen Handtasche und hielt es in beiden Händen, wie jemand, der etwas Kostbares festhält und Angst hat, es könne ihm jeden Moment genommen werden.

999, dachte sie. Wähle 999!

Dann fiel ihr wieder ein, dass der Akku den Geist aufgegeben hatte.

Er riss ihr das Handy aus der Hand und versuchte es einzuschalten, doch es war tot.

»Der Akku ist leer.« Ihre Stimme war matt und leise. »Hab ich dir doch gesagt.«

Ohne ein Wort öffnete er das Batteriefach, nahm den leeren Akku heraus und ließ ihn achtlos auf den Wagenboden vor dem Beifahrersitz fallen. Dann zog er sein eigenes Handy aus der Tasche und tauschte den Akku aus.

Fran starrte ihn an, unfähig, etwas zu sagen.

Das Display ihres Handys blinkte in der Dunkelheit, als er ihre eingespeicherten Kontakte durchging. Als er gefunden hatte, wonach er suchte, hielt er ihr das Handy unter die Nase.

»Ist er das?«, fragte er schroff.

Fran nickte stumm. Und nicht zum ersten Mal, seit sie in seinen Wagen gestiegen war, wusste sie, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Etwas mit seinem Verstand ganz und gar nicht stimmte. Er musste verrückt geworden sein. »Was hast du vor?«, fragte sie.

»Ich schreibe ihm was Nettes«, antwortete er lächelnd, während er mit beiden Daumen eine SMS tippte. Schließlich drückte er auf »Senden« und schaltete das Handy aus.

Es war 0:49 Uhr.

3

Als Christoph Casswell auf dem Sofa in der kleinen Wohnung erwachte, die er sich seit einem knappen Jahr mit Fran Lovey teilte, lief der Fernseher noch.

Es war ein kleiner, altmodischer Fernseher, den sein Vater ihm mitgegeben hatte, als Chris vor einem Jahr in die Wohnung über dem Pub am Hangleton Way gezogen war; der alte Kasten empfing nur über Antenne. Auf dem Schirm war nichts als weißes Rauchen zu sehen.

Verdammter Mist!

Morgen hatte er eine Prüfung. Warum war er nicht einfach um zwölf ins Bett gegangen, anstatt sich hier auf die Couch zu legen und auf Franny zu warten wie ein kleiner Hund, der winselnd der Rückkehr seines Herrchens harrt und auf dem Fußabtreter liegend den Türspalt anstarrt?

Er streckte sich, rieb sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Dann stand er auf und schaltete den Fernseher aus.

Auf dem Tisch stand eine angefangene Dose Cola. Nachdem Chris sie ausgetrunken hatte fühlte er sich ein bisschen wacher.

Er schaute auf die Uhr. Es war fast drei. Und er hatte hämmernde Kopfschmerzen.

Wo zum Teufel blieb Fran?

Hatte sie nicht gesagt, sie wolle gleich nach dem Spiel zurückkommen? Immerhin hatte sie keinen Schlüssel.

Er nahm sein Handy vom Tisch und warf einen Blick darauf.

1 neue Nachricht

Sie war von Fran.

Komme später. Das Spiel war lustig. Nicht gegen England. Hdgdl ☺ Bis später.

Chris fluchte in sich hinein. Er hätte sie umbringen können! Wegen ihr hatte er sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, und dann nur diese eine lapidare Nachricht.

Bis später.

Nichts weiter. Keine Erklärung, weshalb es später wurde oder wann sie sich dazu bequemte, nach Hause zu kommen. Was bildete sie sich eigentlich ein? Das ging mal gar nicht!

Müde rieb er sich die Augen. Wahrscheinlich war Fran nach dem Spiel einfach mit Caro gegangen, um bei ihr zu schlafen.

Kurz überlegte er, ob er ihr etwas Passendes zurückschreiben sollte, verwarf den Gedanken aber. Dazu war er einfach zu müde. Sollte sie doch vor der Tür pennen, falls sie doch noch nach Hause kam.

Wütend löschte er die nichtssagende Nachricht. Fran hätte sich ebenso gut gar nicht melden können. Was hätte das für einen Unterschied gemacht?

Er ging ins Bad, zog sich bis auf die Unterhose aus und ließ sich aufs Bett fallen.

Sekunden später war er eingeschlafen.

Erster Teil

Mum

1. Kapitel

Dienstag, 20. Juni

1

Noch zwei Tage zuvor hatten sie miteinander telefoniert.

Es versetzte Miriam Beckett jedes Mal einen eisigen Stich ins Herz, wenn sie daran dachte, wie sie ihre Mutter an jenem Abend abgewimmelt hatte, nur weil sie sich diesen Film auf Channel 4 hatte ansehen wollen und Mum wie immer mitten hineingeplatzt war. Sie besaß aber auch wirklich die einmalige Begabung, stets genau dann anzurufen, wenn es am wenigsten passte.

Ich wollte nur mal hören, Schatz, ob bei dir alles in Ordnung ist.

Klar, Mum. Hier ist alles okay.

Was macht die Arbeit?

Hm. Geht so.

Das hört sich aber nicht so an.

Quatsch.

Irgendwas bedrückt dich doch.

Na ja, da ist so ein kleiner Junge, weißt du. Wir haben heute seinen Vater wegen dringenden Mordverdachts festnehmen müssen. Schlimme Sache. (lange Pause) Das ist jetzt aber wirklich nichts, worüber ich unbedingt reden möchte, Mum.

Verstehe. Und sonst?

Ehrlich gesagt, kommst du mir im Augenblick ein bisschen ungelegen. Ich wollte mir gerade was auf Channel 4 anschauen.

Das tut mir leid, Schatz. Mach dir einen schönen Abend. Ich ruf morgen noch mal an, okay?

Morgen.

Jetzt war sie tot.

Sie würde nie wieder anrufen. Nie wieder ungelegen kommen.

»Miss Beckett?« Die laute Stimme des Möbelpackers, der gerade aus dem Keller in die Küche kam, riss Miriam aus ihren Gedanken.

Sie wandte sich um. »Ja?«

»Was ist eigentlich mit den ganzen alten Einmachgläsern? Sollen wir die alle wegschmeißen, oder wollen Sie noch was davon behalten?« Er rang seine schmuddeligen, behandschuhten Hände. Sein Blick verriet, dass er das Zeug nur mit der Kneifzange anfassen würde. »Und dann ist da noch dieses alte Kinderbett, wo die Kartoffeln drin sind. Was machen wir damit?«

»Ich weiß noch nicht«, antwortete Miriam. Sie war gerade erst vom Selbstverteidigungstraining gekommen, das sie als Detective Sergeant der Sussex Police Force mindestens einmal die Woche absolvieren musste, und sie war ausgepowert. Ihr Kopf war völlig leer. Am liebsten hätte sie sich um so etwas Banales wie Einmachgläser überhaupt keine Gedanken gemacht.

Wenn es nach ihrer Schwester Tess ginge, würde sie das auch nicht. Sie würde einfach alles behalten. Für Tess war der Gedanke, den Haushalt ihrer Mutter aufzulösen, schier unerträglich.

»Ich muss das erst noch mit meiner Schwester besprechen«, sagte Miriam und fragte sich, weshalb der Mann Handschuhe und Arbeitsklamotten trug. Schließlich war er heute nur gekommen, um sich einen Überblick über die anfallende Arbeit zu verschaffen.

Die Beerdigung lag jetzt beinahe zwei Monate zurück. Miriam fand, dass es allmählich Zeit wurde, Mums Sachen auszusortieren. Weshalb Tess das so ganz anders sah, war ihr schleierhaft. Ein paar Andenken zu behalten – schön und gut, aber was sollten sie mit all dem anderen alten Krempel, vor allem mit dem Haus? Weder Tess noch sie konnten etwas damit anfangen.

Der Möbelpacker verschwand wieder im Keller. Miriam, die in ihrem Job bei der Polizei ohnehin genug am Hals hatte, löffelte etwas Instantkaffee in eine Tasse und goss ihn mit lauwarmem Wasser aus dem Boiler über der Spüle auf.

Sie setzte sich an den Tisch und sah zum Küchenfenster hinaus.

Draußen in der Einfahrt stand ihre Schwester. Sie unterhielt sich mit einem der Nachbarn, einem älteren Herrn, der im Haus schräg gegenüber wohnte. Miriam konnte nicht hören, worüber die beiden sprachen, aber es war offenbar kein angenehmes Gespräch, denn Tess sah verärgert aus und gestikulierte wild mit den Armen. Der ältere Herr stand fast reglos da, einen Strohhut auf dem Kopf und mit ernster Miene. Er wies auf den Wagen der Möbelfirma und sagte etwas zu Tess, die sich daraufhin wütend umwandte und nun die Einfahrt und den Gehweg zum Haus hinaufstapfte.

»Oh, dieser furchtbare Kerl!«, hörte Miriam sie schon im Flur vor sich hin schimpfen. »Was bildet der sich ein, verdammt?« Sie kam in die Küche gerauscht. »Also, Leute gibt’s!«

»Was war denn los?«

»Ach, jeden Tag ist es was anderes.« Tess verdrehte genervt die Augen. »Aber du kriegst natürlich nichts davon mit. Du bist ja nie da.«

»Tut mir leid, Tess. Ich kann mir das nicht aussuchen«, sagte Miriam.

»Natürlich nicht. Entschuldige.« Tess ließ sich auf den zweiten Stuhl am Tisch sinken.

»Hast du ihm mal gesagt, weshalb wir hier sind?«, fragte Miriam. »Dass Mum gestorben ist?«

»Nein.« Tess zog grimmig die Stirne kraus. »Damit er im Dorf rumläuft und allen auf die Nase bindet, was für liederliche Töchter sie hat? Dem alten Knacker werde ich überhaupt nichts erzählen.«

»Und was hatte er heute wieder?«

»Hat sich beschwert, wir würden die Mittagsstunde nicht einhalten.« Tess sprach das Wort in einem hohen, nasalen Singsang aus, als bestünde es nicht aus Buchstaben, sondern aus lauter schiefen Tönen.

»Und wer ist dieser nervige Kerl überhaupt?«

Tess zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ein aufgeblasener alter Wichtigtuer, nichts weiter. Hat nichts Besseres zu tun, als sich ständig als Dorfpolizist aufzuspielen.«

»Was hast du zu ihm gesagt? Der sah ja ganz schön verdattert aus.«

»Na, dem hab ich die Meinung gegeigt«, entgegnete Tess, die vor lauter Ärger noch immer ganz außer Atem war. »Hab ihm gesagt, er solle sich ein paar Arbeitshandschuhe anziehen und zum Helfen rüberkommen, wenn er sich langweilt. Wir hätten jedenfalls keine Zeit für seine blöde Mit-tags-stunde.«

Beide lachten.

Dann klingelte Miriams Handy.

Es war Chief Inspector Hurdle. Es ging um eine Vermisstenmeldung. Eine einundzwanzigjährige Frau, die sich seit gestern Abend nicht gemeldet hatte.

»Erst seit gestern Abend?«, fragte Miriam überrascht. »Reichlich früh für eine Vermisstenanzeige, finden Sie nicht?« Ob es denn Anzeichen dafür gäbe, der Frau sei etwas zugestoßen.

Nein, die gäbe es nicht, antwortete Hurdle. Nur eine hysterische Mutter, die auf niemanden hören wolle. Er sei mit seinem Latein am Ende und bräuchte Miriams weibliches Einfühlungsvermögen auf dem Revier.

»Das war mein Chef«, sagte Miriam, als das Gespräch beendet war. »Ich muss gleich noch mal los.«

»Hast du nicht gesagt, du wolltest dir heute Nachmittag freinehmen? Da bleibt die ganze Arbeit wieder an mir hängen.«

»Es wird nicht lange dauern, Tess. In ein, zwei Stunden bin ich wieder da, und dann mache ich hier weiter. Dann kannst du die Füße hochlegen. Okay?«

»Okay. Wann musst du weg?«

»Sofort«, sagte Miriam. »Ich hab versprochen, in einer halben Stunde auf dem Revier zu sein.«

2

Chief Inspector Theobald Hurdle war ein kleiner, früh ergrauter Mann in den Fünfzigern. Als Miriam sein Büro betrat, sah sie ihm bereits an, wie genervt er war. In knappen Worten gab er ihr einen Überblick über die Situation: Eine von diesen überbehütenden Müttern, die sich um ihre erwachsene Tochter sorgte, weil die sich seit zwölf Stunden nicht mehr bei ihr gemeldet hatte.

Er verdrehte die Augen zur Decke. »Sie ist seit heute Mittag hier, Beckett. Tun Sie mir den Gefallen und regeln Sie das für mich.«

Miriam, die sich durch Hurdles Zusammenfassung an ihre eigene Mutter erinnert fühlte, sah die kleine, kompakt wirkende blonde Frau bereits durch die Glasscheibe, die den Bürobereich vom Hauptgang trennte.

Adrettes zweiteiliges Kostüm, perfekte Frisur und trotz ihrer Angst eine anerzogene gerade Haltung, die seltsam steif wirkte. Sie saß im Vernehmungszimmer, die Hände ordentlich auf dem Tisch gefaltet.

Miriam trat ein und ging zu ihr hinüber. »Mrs. Lovey?«

Die Frau nickte wortlos, erhob sich und ergriff Miriams ausgestreckte Hand.

»Ich bin Sergeant Miriam Beckett. Bitte bleiben Sie doch sitzen.« Sie nahm Mrs. Lovey gegenüber Platz. »Wie ich hörte, sind Sie hier, weil Ihre Tochter verschwunden ist.«

»Ja. Ja, ganz recht.« Mrs. Lovey nahm einen Schluck aus dem Wasserglas vor sich und stellte es dann an exakt dieselbe Stelle zurück, an der sich ein Wasserrand gebildet hatte. »Man nimmt mich nicht ernst, habe ich recht?«

Auf diese Frage war Miriam nicht gefasst. »Selbstverständlich nehmen wir Sie ernst, Mrs. Lovey«, sagte sie. »Wie kommen Sie darauf, dass es nicht so ist?«

»Nun ja … sie haben Sie geschickt«, entgegnete die Frau. »Einen Sergeant. Vorhin habe ich mit einem Inspector gesprochen.« Sie sagte es völlig tonlos, ohne jeden Groll, fast ein bisschen resigniert, sodass Miriam es ihr nicht einmal verübeln konnte. »Sie halten mich wahrscheinlich für hysterisch.«