Walter Gropius - Winfried Nerdinger - E-Book

Walter Gropius E-Book

Winfried Nerdinger

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Beschreibung

"Erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei."
Walter Gropius, Bauhaus-Manifest


Walter Gropius (1883 - 1969) ist als Gründer des Bauhaus, und Architekt der Moderne weltberühmt. Winfried Nerdinger zeichnet versiert und kenntnisreich ein lebendiges, kritisch reflektiertes Porträt dieses wichtigen Wegbereiters und Lehrers, der den Aufbruch in die Moderne entscheidend prägte.

Mit dem Bauhaus, heute ein Synonym für Architektur und Design der klassischen Moderne, gründete Gropius 1919 die einflussreichste Kunstschule des 20. Jahrhunderts. Nach der Emigration in die USA bildete er in Harvard mehrere Generationen von Architekten aus. Durch sein Werk, seine Lehrtätigkeit sowie seine zahlreichen Vorträge und Schriften trug er maßgeblich zur Verbreitung und Durchsetzung der modernen Architektur bei. Gropius, Leben war geprägt von zwei starken Frauenfiguren: nach der gescheiterten Ehe mit Alma Mahler heiratete er Ise Frank, die ihm als engagierte Partnerin im Dienste der "Bauhaus-Idee" zur Seite stand.

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Winfried Nerdinger

WALTER GROPIUS

Architekt der Moderne 1883–1969

Verlag C.H.Beck

Zum Buch

Walter Gropius (1883–1969) ist als Bauhausgründer und Architekt der modernen weltberühmt. Winfried Nerdinger zeichnet versiert und kenntnisreich ein lebendiges, aber auch kritisch reflektiertes Porträt dieses wichtigen Wegbereiters und Lehrers, der den Aufbruch in die Moderne entscheidend prägte.

Über den Autor

Winfried Nerdinger ist Professor em. für Architekturgeschichte. Der langjährige Direktor des Architekturmuseums der TU München und Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums ist einer der international besten Gropius-Kenner.

Inhalt

«Das Wort, der kritische Kampf ist die Fräse, mit der man den geistigen Boden vorerst beackert» – Einführung

«und arbeite dann mit meinem Zeichner bis halb vier Uhr» – Jugend- und Lehrjahre. Von Schinkel zu Behrens 1883–1910

Familientraditionen

Erste Kontakte zur Architektur

Bei den Husaren

Studienzeit in Berlin

Erste Aufträge

Karl Ernst Osthaus

Mitarbeit im Büro von Peter Behrens

«Ich selbst bin zwar nicht begabt, aber doch erfolgreich» – Vom Faguswerk zum Bauhaus-Manifest 1910–1919

«Atelier für Architektur»

Beziehung mit Alma Mahler

Die Fagus-Fassaden

Von der Technikform zur Kunstform

Industriebau und monumentaler Stil

Zusammenarbeit mit Adolf Meyer

Florierendes Architekturbüro

Erweiterung Faguswerk und Deutscher Werkbund

Kriegsjahre

«Staatliches Bauhaus in Weimar»

«Ich bin zum Packträger meiner Idee geworden» – Direktor am Bauhaus in Weimar und Dessau 1919–1928

Die Anfänge in Weimar

Umbruchszeit

Wohnmaschinen

Kunst und Technik eine neue Einheit

Begegnung mit Ilse Frank

Ausstellung «Internationale Architektur»

Politischer Wandel in Weimar

Umzug nach Dessau

Bauhausgebäude und Meisterhäuser in Dessau

«Häuser-Serienfabrikation»

Totaltheater und Siedlung Törten

«Wer seine Hand am Pfluge hat, der schaut nicht hinter sich» – Von Berlin über London nach Harvard 1928–1937

«Fabrikmäßiger Wohnungsbau» in Berlin

Zeilenbau und Wohnraumreduzierung

Hochhausstädte im Grünen

Schwierige Zeiten

Umzug nach London

Planungen für «wealthy people»

«Die Bresche erweitern und wirklich fundamentale Erklärungen für unsere Bewegung geben» – Der Lehrer in Harvard 1937–1952

Die Anfänge in Harvard

Das Gropius-Haus in Lincoln – neuer Regionalismus?

Bauhaus-Ausstellung in New York

Defense Housing Program – Packaged House System

The Architects Collaborative (TAC)

Adviser for Planning in Germany

Konflikte und Kritik

«Ich bin selbst erstaunt, wo ich schließlich gelandet bin» – Die Ernte des Redners und das Verschwinden des Architekten 1952–1969

Die Schwarz-Debatte

Ehrungen und Reisen

Universität Bagdad – Pan Am Building – Gropiusstadt

Letzte Jahre – Zwischen Apotheose und Polemik

Anhang

Anmerkungen

Einführung

Jugend- und Lehrjahre. Von Schinkel zu Behrens 1883–1910

Vom Faguswerk zum Bauhaus-Manifest 1910–1919

Direktor am Bauhaus in Weimar und Dessau 1919–1928

Von Berlin über London nach Harvard 1928–1937

Der Lehrer in Harvard 1937–1952

Die Ernte des Redners und das Verschwinden des Architekten 1952–1969

Abkürzungen

Bibliographie

Bildnachweis

Personenregister

«Das Wort, der kritische Kampf ist die Fräse, mit der man den geistigen Boden vorerst beackert»+

Einführung

Walter Gropius, um 1923

Walter Gropius schuf 1911 mit dem Faguswerk in Alfeld a. d. Leine und 1926 mit dem Bauhausgebäude in Dessau zwei der bedeutendsten Bauten des 20. Jahrhunderts, deren Rang heute als UNESCO-Welterbe gewürdigt wird. Mit dem Bauhaus gründete er in Weimar 1919 die einflussreichste Architektur- und Kunstschule des vergangenen Jahrhunderts, die er als Direktor bis 1928 durch alle politischen, wirtschaftlichen und personellen Probleme leitete. Dass der Name der Schule nahezu global zum Begriff für moderne Gestaltung und ornamentloses Design wurde und dass die Bauhaus-Pädagogik weltweit an Architekturfakultäten und Designschulen bis heute nachwirkt, basiert im Wesentlichen auf seiner Leistung und seinem Engagement. Die Rezeption des Bauhauses verknüpfte Gropius allerdings völlig mit seiner Person und Sichtweise und war damit selbst treibende Kraft einer Mythisierung wie auch einer teilweisen historischen Verfälschung der Reformschule. Der Schweizer Architekt und Kunsthistoriker Peter Meyer notierte dazu schon in den 1970er-Jahren: «Walter Gropius […] hat den Ruhm des Bauhauses mit Vorträgen in der ganzen Welt verkündet. Schon bevor es durch die Auflösung der Nazis eine Märtyrerpalme bekam, war es durch eine ungeheure Publizität zu epochaler Bedeutung aufmontiert worden.»[1] Nach der Emigration in die USA bildete er von 1937 bis 1952 als Lehrer an der renommierten Graduate School of Design der Eliteuniversität Harvard mehrere Generationen von Architekten aus, die das Bauen in vielen Ländern beeinflussten und die zum Teil selbst wieder als Lehrer seine Vorstellungen weitergaben. Obwohl er bis zu seinem Tod 1969 noch große Bauaufträge betreute, verblasste er nahezu gänzlich als Architekt, da er seit 1945 nur noch in einem Team arbeitete, in dem jeder individuelle Ausdruck verschwand. Durch den Bau des Pan Am Building in New York, das für viele zum Symbol des Scheiterns der modernen Architektur wurde, erlitt sein Name größten Schaden.

Von seiner Aufgabe als Architekt war Gropius zeitlebens mit geradezu missionarischem Sendungsbewusstsein überzeugt. Im Sinne der Leitmotive des Deutschen Werkbunds ging es ihm darum, den Kräften von Technik und Industrie neue Gestalt zu geben und als Erzieher zu wirken, um «die unartikulierte, sich treiben lassende Masse demokratischer Bürger»[2] zu neuen Lebensformen in einer industrialisierten Welt zu führen. Der Architekt war für ihn «Treuhänder» der Umwelt und hatte sich als Vorkämpfer für eine neue Welt über Traditionen und historische Bindungen hinwegzusetzen. Insbesondere der Historismus des 19. Jahrhunderts, der den Kräften des Industriezeitalters noch historische Gestalt gegeben hatte, war für Gropius eine unbedeutende eklektische Epoche ohne Wert. Rückblick oder Verwendung historischer Formen waren für ihn Verrat an der Gegenwart, der Architekt sollte als Gestalter und Erzieher nur vorwärts blicken und dem Neuen einen Weg bahnen. Für die Umsetzung dieser zwar immer wieder nuancierten, aber letztlich dogmatisch vertretenen Auffassungen entfaltete Gropius seit den 1920er-Jahren eine Aktivität fast wie ein Wanderprediger und kämpfte unermüdlich für eine nach seinen Vorstellungen definierte Moderne. Als wortgewandter Redner bei zahllosen Veranstaltungen und als Autor von mehreren hundert Beiträgen sowie einer Reihe von Büchern trug er über viele Jahrzehnte wie kein zweiter Architekt zur Verbreitung und Durchsetzung der modernen Architektur, aber auch zur Etablierung von Denkschablonen bei. Eine Äußerung aus dem Jahr 1926 könnte als seine Lebensmaxime bezeichnet werden: «die entscheidungen fallen immer in der handlung nicht im wort, aber das wort, der kritische kampf ist die fräse, mit der man den geistigen boden vorerst beackert.»[3] In genau diesem Sinne bezeichnete ihn Mies van der Rohe deshalb anlässlich des 70. Geburtstags als den «größten Erzieher unseres Faches» und den «tapferen Streiter in dem niemals endenden Kampf für die neue Idee».[4] Er kämpfte mit dem Wort und mit der Kraft der Sprache formulierte er auch seine architektonischen Ideen. Die zeichnerische Umsetzung übernahmen Mitarbeiter und Partner, darin sind Besonderheiten wie auch Probleme seiner Tätigkeit als Architekt begründet.

Aufgrund seiner Leistungen wurde er gefeiert und erhielt höchste Ehrungen. Nikolaus Pevsner, für einige Jahrzehnte der Doyen der Architekturgeschichtsschreibung, gab seiner Publikation Pioneers of the Modern Movement 1936 den Untertitel «From William Morris to Walter Gropius». Er setzte ihn damit an die Spitze eines fiktiven Stammbaums der Moderne und erklärte, mit dem Faguswerk und Gropius’ Bürohaus mit Maschinenhalle für die Kölner Werkbundausstellung 1914 sei «der Stil des 20. Jahrhunderts verwirklicht»[5] worden. Als Vorkämpfer für eine international gültige Gestaltung sowie einer Rationalisierung und Typisierung, die Bauten in Schablonen zwängte und Menschen nivellierte, war Gropius aber immer auch ein bevorzugtes Ziel von Polemiken und mit der seit den 1960er-Jahren aufkommenden Kritik an der Ort- und Geschichtslosigkeit der «klassischen Moderne» wurde er als deren Ideologe und Propagandist besonders angegriffen und geschmäht.

Eine Darstellung dieses wirkmächtigen Vertreters von moderner Architektur und Design ist somit konfrontiert mit den je nach Zeit und Blickwinkel stark divergierenden Einschätzungen von dessen Bedeutung und Leistung, aber auch mit den Erklärungen von Gropius selbst zu seinen Ideen und Werken. Über mehr als ein halbes Jahrhundert begleitete er seine Aktivitäten mit Stellungnahmen und Erläuterungen, die den Eindruck einer Konsistenz seines Denkens und seiner Ziele vermitteln, da er zum einen einige wenige Leitbegriffe und Leitgedanken über die Jahrzehnte hinweg wiederholte und zum anderen diese Beständigkeit im Rückblick durch harmonisierende Eigeninterpretationen verstärkte. Eine derartige Harmonisierung ist ein geläufiger biographischer Vorgang. Erinnerung wird im menschlichen Bewusstsein immer narrativ geformt, die eigene Biographie ist Teil einer historischen Erzählung, bei der Kausalitäten und Bedeutungen im Rückblick und im Zusammenhang der eigenen Entwicklung konstruiert werden. Bei Gropius ist aber zudem auch sein ausgeprägter Geltungsdrang einzubeziehen. Sein Freund Alexander Dorner, der über ihn und das Bauhaus Anfang der 1950er-Jahre ein Buch verfassen wollte, notierte dazu, Gropius habe «viel zu viel vom Goethe’schen Egokult. Er zirkuliert nur um sich selbst.»[6] Dies belegt auch die umfangreiche Korrespondenz, die häufig wie ein Selbstgespräch wirkt. Der ehemalige Stadtbaurat von Berlin, Martin Wagner, zwölf Jahre sein Kollege in Harvard und am Ende mit ihm völlig zerstritten, nannte Gropius 1953 den «Bühnenmeister von Cambridge», dem die «Bühnentechnik von jeher seiner Muse liebstes Kind war»[7].

Gropius’ Biographen sind vielfach dessen eigenen Vorgaben und Aussagen gefolgt und haben Person und Werk auch über Brüche hinweg vereinheitlichend interpretiert. Blickt man genauer auf seine vielen Äußerungen, dann zeigt sich jedoch, dass die über Jahrzehnte scheinbar gleichen Leitbegriffe vor einem wechselnden zeitlichen und lebensweltlichen Horizont verschiedene Bedeutungen annehmen können. So zielte Gropius mit dem für ihn zentralen Begriff «Einheit» zuerst im Sinne des Deutschen Werkbunds auf die Schaffung eines neuen Stils, eines einheitlichen Ausdrucks aller Produkte im Industriezeitalter. Eine Dekade später suchte er diese Einheit in einer «Zukunftskathedrale», die von Handwerkern und Künstlern geschaffen werden sollte; daraus wurde am Bauhaus unter dem Einfluss der De Stijl-Bewegung zuerst die Lehre von der Gestaltung nach einheitlichen, universal gültigen Grundformen, dann die Suche nach dem «Wesen» von Objekten und einem «Generalnenner». Als die von ihm vertretene Typisierung als Gleichförmigkeit kritisiert wurde, erklärte er 1926, es ginge um eine «gleiche Seelenlage», aber jeder könne «bunte Krawatten» tragen, Einheitlichkeit sei «ein Hymnus der Freiheit in der Gemeinsamkeit»[8]. Und nach der Übersiedlung in die USA propagierte er eine «Unity in Diversity», die er mit seinem neuen Konzept des Teamwork verknüpfte, aus dem eine kulturelle Einheit erwachsen sollte. Aber nicht nur die Leitideen passten sich an das jeweilige Umfeld an, sondern auch Gropius’ Interpretationen seiner eigenen Werke veränderten sich im zeitlichen Wandel. So erklärte er vor dem Ersten Weltkrieg seine Erfindung einer stützenlosen Eckausbildung am Faguswerk im Sinne seines Lehrers Peter Behrens als künstlerisch geistige Überhöhung technischer Formen und moderner Materialien zu einer Kunstform. In den späten 1920er-Jahren, im Umfeld rigider Vorstellungen von Rationalisierung, nannte er als Grund für diese Konzeption eine bewusst geplante, ökonomisch motivierte Materialeinsparung der Eckstützen,[9] und in den USA ging es ihm darum, aufzuzeigen, dass er am Faguswerk eine Frühform des «Curtain wall», einer vorgehängten Fassade, entwickelt habe, um damit in die Architekturgeschichte einzugehen.[10]

Aussagen von Gropius zu seinem Leben und Werk müssen deshalb im spezifischen historischen Umfeld auf die «Kontextgebundenheit des Gesagten»[11] untersucht werden und sind im Sinne einer Intertextualität auf ihre Begrifflichkeit und deren Entstehung zu betrachten. Spätere Aussagen zu seiner eigenen Zeitzeugenschaft sind historisch häufig nicht korrekt und diese Verzerrungen spiegeln sich auch in den Mitteilungen aus seinem Umfeld. Die vorliegende Darstellung zielt deshalb in der Form einer «Intellectual Biography» darauf, zu rekonstruieren, was von der Zeit aufgenommen wurde und wie es sich im Denken von Gropius und in dessen Architektur zu erkennen gibt. Es geht darum, die Metaebene von Begriffen und Zusammenhängen, von der seine Bauten und Konzepte erst ihren Inhalt und ihre Bedeutung erhalten, chronologisch strukturiert zu analysieren.

Gropius’ Leben und sein Werk wurden in mehreren Biographien, Katalogen und Detailstudien dargestellt. Die erste Arbeit, verfasst von seinem Freund und Verehrer, dem Schweizer Kunsthistoriker Sigfried Giedion, erschien bereits 1931 in der Reihe «Les Artistes Nouveaux» in Paris. 1951 publizierte der italienische Kunsthistoriker Giulio Carlo Argan Walter Gropius e la Bauhaus. In dem 1962 auch in der Reihe «rowohlts deutsche enzyklopädie»[12] erschienenen Band wurde Gropius in kunst- und sozialgeschichtliche Entwicklungen assoziativ eingeordnet. Er selbst verhielt sich zurückhaltend zu der Darstellung,[13] aber Giedion sah in den gesellschaftlichen Bezügen einen «kommunistisch frisierten Gropius» und warnte, «dass das Publikum nicht durch einen rot angestrichenen Gropius irregeführt»[14] werden dürfe. Zur Verleihung des «São-Paulo-Preises der Matarazzo-Stiftung» im Januar 1954 verfasste Giedion eine weitere Gropius-Biographie. Die in Jahresfrist in drei Sprachen produzierte Publikation Walter Gropius. Mensch und Werk[15] zeichnete ein Porträt, das aufgrund der distanzlosen Heldenverehrung massive Kritik von Historikern erntete. So schrieb Lewis Mumford in «The New Yorker»: «By now, the great leaders of the modern movement deserve more than just publicity and eulogy; they have reached a point in their historical development where they deserve a rigorous critical treatment – one that will not simply extoll their virtues but that will candidly discuss their shortcoming. This is all the more necessary because it is the weaknesses of a master that are usually imitated by his followers.»[16]

Nach einigen kleineren Publikationen (James Marston Fitch 1960, Alberto Busignani 1972, Gábor Preisich 1982), die weitgehend auf Giedion basierten, erschien anlässlich des 100. Geburtstags 1983 der erste Band der zweibändigen umfangreichen Arbeit Walter Gropius. Der Mensch und sein Werk[17] von Reginald R. Isaacs, einem Kollegen an der Harvard Universität, den Gropius noch zu Lebzeiten zu seinem Biographen bestimmt und ihm dafür das gesamte private Archiv zur Auswertung zur Verfügung gestellt hatte. Das in Zusammenarbeit mit Walter Gropius und später mit der Witwe Ise Gropius verfasste Werk lieferte mit subjektiver Einfühlung und überreichen Zitaten zum persönlichen Umfeld ein distanzlos verklärtes Porträt. 1985 publizierten Hartmut Probst und Christian Schädlich den ersten Band einer dreibändigen Übersicht Walter Gropius,[18] mit der die in der DDR seit den 1970er-Jahren betriebene Aneignung des Bauhauses als kulturelles Erbe weiter gefestigt werden sollte. Im gleichen Jahr veröffentlichte der Verfasser den ersten kritischen Werkkatalog Der Architekt Walter Gropius,[19] der auf der Auswertung der damals noch im Gropius-Haus in Lincoln befindlichen Dokumente, die Ise Gropius freundlicherweise zugänglich machte, des erstmals bearbeiteten Gropius-Bestands im Busch-Reisinger-Museum (BRM) sowie der Nachlässe in der Houghton Library in Harvard (HLH) und am Bauhaus-Archiv in Berlin (BHA) basierte. Der ausführlich kommentierte Werkkatalog, der 1996 in zweiter, leicht überarbeiteter Auflage erschien, bietet eine archivalisch gesicherte, quellenbasierte Darstellung und Analyse der Entwürfe für Architektur und Design sowie eine Einordnung in die planungsrelevanten Zusammenhänge. Ohne Bezug zum architektonischen Werk untersuchte Horst Claussen 1986 «Grundzüge seines Denkens»[20] und zwei weitere Publikationen (Paolo Berdini 1991, Gilbert Lupfer und Paul Sigel 2004) boten eine Auswahl von Bauten.

Die «intellektuelle Biographie» zu Gropius’ Leben und Werk basiert auf dem Werkkatalog von 1996, dem umfangreichen Archiv- und Quellenmaterial sowie den vielen Detailstudien zu einzelnen Werken, zum Bauhaus und zu den verschiedenen Lebensabschnitten in Deutschland, England und in den USA. Es geht um eine Untersuchung und «dichte Beschreibung» (Clifford Geertz) des historischen Umfelds und des Denkens und Arbeitens eines Architekten, Pädagogen und Ideologen, der den Aufbruch in die Moderne entscheidend mitgestaltete und der über das Bauhaus, seine Schüler und Nachfolger sowie über die von ihm verbreiteten und verfestigten architektonischen Denkmuster bis heute nachwirkt.

«und arbeite dann mit meinem Zeichner bis halb vier Uhr»+

Jugend- und Lehrjahre. Von Schinkel zu Behrens 1883–1910

Walter Gropius, um 1903

Familientraditionen

Walter Adolf Georg Gropius wurde am 18. Mai 1883 in Berlin als drittes Kind des Regierungsbaumeisters Walter Gropius (1847–1911) und dessen Ehefrau Manon, geb. Scharnweber (1855–1933) geboren. Die ersten vier Lebensjahre verbrachte er mit seinen älteren Schwestern Elise (1879–1892) und Manon (1880–1975) in der elterlichen Wohnung in der Genthinerstraße 23 im Stadtteil Tiergarten. Mit dem allmählichen Aufstieg des Vaters in der Berliner Baubeamtenhierarchie erfolgten mehrere Wohnungswechsel. Als 1887 der jüngere Bruder Georg (1887–1904) auf die Welt kam, zog die sechsköpfige Familie in die Magdeburgerstraße 26 und mit der Beförderung des Vaters vom Regierungsbaumeister zum kgl. Bauinspektor beim Polizeipräsidium 1893 in die Ritterstraße 90. Über den Kurfürstendamm 90 ging es 1900 mit der Beförderung zum kgl. Baurat beim Polizeipräsidium in die Bülowstraße 13, und als der Vater 1908 die relativ hohe Stufe eines geheimen Baurats erreichte, wohnten die Eltern in der Rankestraße 16. Walter Gropius besuchte nach der Grundschule von 1893 bis 1900 das humanistische Leibniz-Gymnasium in Charlottenburg, anschließend wechselte er an das Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Steglitz und schloss dort am 28. Februar 1903 mit dem Abitur ab. Über die Schulzeit ist wenig bekannt, aber mehr als ein halbes Jahrhundert später schrieb er an einen Lehrer der Schule: «Es mag Sie amüsieren, daß ich noch regelmäßige Alpträume erlebe, in denen ich schwitzend vor dem Abitur stehe bis am Morgen die Erlösung der wachen Realität eintritt.»[1]

Walter Gropius (rechts) mit seinen Eltern und den Geschwistern Georg (links) und Manon (rechts oben), um 1892

Konfirmiert wurde der evangelisch erzogene Sohn am 29. März 1898. Die Ferien verbrachte Gropius entweder in Timmendorfer Strand an der Ostsee in der 1888 von Hans Grisebach für seine Großtante Auguste Wahlländer errichteten luxuriösen Villa oder auf den Gütern seines Onkels Felix in Hohenstein in der Provinz Posen beziehungsweise des Onkels Erich in Dramburg/Hinterpommern. Das Haus an der Ostsee galt als zweites Heim der Familie. Im Rückblick schrieb Gropius, es «war für mich die eigentliche Heimat, wo ich meine glücklichsten Jugendjahre verlebt habe»[2]. Später ging das Haus in den Besitz der Mutter und dann von Gropius und seiner älteren Schwester Manon über. In der benachbarten Villa wohnte die Familie Grisebach, mit deren gleichaltrigem Sohn Helmuth (1883–1970) Gropius eng befreundet war. Mit ihm begann er das Architekturstudium in München und reiste 1907/08 durch Spanien. Auf den Gütern der beiden Onkel ging Gropius zur Jagd und Erich Gropius war dann der erste Bauherr bereits während des Architekturstudiums.

Gropius erklärte später, der Wunsch, Architektur zu studieren, sei bei ihm ganz selbstverständlich aus der Familientradition bis hin zum Beruf des Vaters erwachsen. Da aus der großbürgerlichen Berliner Familie Gropius im 19. Jahrhundert mehrere Architekten, Künstler und Unternehmer hervorgingen, die mit Karl Friedrich Schinkel in Verbindung standen, wurde der Name Gropius vielfach mit dem größten preußischen Baumeister assoziiert und war in Berlin und Preußen gut bekannt. Dieser familiäre Bezug zur Architektur und zu Schinkel, der angeblich in der Familie wie ein «Hausheiliger»[3] verehrt wurde, verschaffte dem Namen Gropius Renommee und dies war auch hilfreich für die Berufslaufbahn von Walter Gropius. Auf die Familientradition und die preußische Herkunft legte er deshalb auch zeitlebens großen Wert.

Stammbaum der Familie Gropius

Der Urgroßvater des späteren Bauhausgründers, Johann Carl Christian (1781–1854), war mit dem gleich alten Karl Friedrich Schinkel befreundet, der mit ihm 1805–1809 zusammen in einem Zimmer des Hauses der Gabain’schen Seidenweberei wohnte und dort auch ein kleines Atelier hatte. Die florierende Seidenweberei in der Breiten Straße 22, gegründet von dem Hugenotten George Gabain, der den ersten mechanischen Webstuhl nach Berlin brachte und 1791 in die Familie Gropius einheiratete, bildete eines der Zentren der weitverzweigten Familie.[4] Ein Bruder des Urgroßvaters, Wilhelm Ernst Gropius (1765–1852), erwarb Anfang des 19. Jahrhunderts eine Manufaktur für Theaterfiguren sowie ein Theater für die Präsentation von Panoramen, das «Theater von Gropius», für das Schinkel bis 1815 etwa 40 «perspektivisch-optische Schaubilder» als Hintergrunddekorationen lieferte.[5] Bevor Schinkel an der Berliner Oberbaudeputation Fuß fasste, verdiente er einen Teil seines Lebensunterhalts über die Familie Gropius und später verwendete er die Gabain’schen Seidenstoffe öfters bei der Ausstattung seiner Interieurs. Den ältesten Sohn von Wilhelm Ernst, Carl Wilhelm (1793–1870), den späteren Theaterinspektor, Hoftheatermaler und Dekorateur der Kgl. Schauspiele, unterrichtete Schinkel im Zeichnen und Malen. Als Carl Wilhelm zusammen mit seinen Brüdern Ferdinand und Friedrich George ein eigenes Diorama-Theater gründete, das als Kopie des berühmten Pariser Dioramas von Daguerre gestaltet und 1827 eröffnet wurde, half Schinkel mit Skizzen beim Bau.[6] Dieses «Diorama der Gebr. Gropius» in der Georgenstraße 12, eine Vorform des Kinos, in dem mit Lichteffekten und Musik wechselnde szenische Gemälde präsentiert wurden, bestand bis 1850.

Eine weitere Verbindungslinie zu Schinkel ergab sich über den Großonkel Martin Gropius (1824–1880),[7] der an Schinkels Bauakademie Architektur studierte und dann dort bis 1867 bei dem Schinkel-Schüler Karl Bötticher, der die Architektur seines Meisters in eine strenge Theorie umformulierte, als Lehrer tätig war. 1869 wurde Martin Gropius Direktor der Kgl. Kunst- und Gewerbeschule sowie Mitglied der Kommission für das technische Unterrichtswesen in ganz Preußen. Seine umfangreiche Bautätigkeit steht ganz in der Tradition der berühmten preußischen Schinkel-Schule.[8] Bekannt wurde er durch das Kgl. Kunstgewerbemuseum, das er zusammen mit seinem Partner Heino Schmieden 1877–1881 in Berlin errichtete. Dieser aufwendig dekorierte Großbau im Berlin der Gründerzeit, heute benannt nach seinem Erbauer, etablierte den Namen Gropius in der Architektur Preußens.

Den Großonkel Martin nannte Walter Gropius öfters, wenn er die Architektentradition in seiner Familie und den Bezug zu Schinkel herausstellen wollte. Die Verweise auf Schinkel sowie auf den Großonkel sind allerdings anfangs von ganz allgemeiner Art.[9] Erst nach der Emigration, als sich Gropius gegen Angriffe auf seine geschichtslose «internationale» Architektur wehrte, zeigte er in seinen Vorträgen auch vermehrt historische Beispiele und nannte den in der Nachfolge von Schinkels Bauakademie stehenden Backsteinbau des Kunstgewerbemuseums als Vorbild für eine funktionale Planung, die auch ihn immer geleitet habe. Als der im Krieg stark zerstörte Bau Anfang der 1960er-Jahre abgerissen werden sollte, konnte er dies dank seines internationalen Renommees verhindern, das Kunstgewerbemuseum wurde 1966 unter Denkmalschutz gestellt und später aufwendig als «Martin-Gropius-Bau» wieder hergestellt.[10] Da Gropius im Gegensatz zu den meisten Architekten seiner Zeit nie Skizzenbücher verwendete, um architektonische Eindrücke, Baudetails oder Grundrisse festzuhalten, kann keine direkte Auseinandersetzung mit Bauten von Schinkel, aber auch mit keinem anderen Architekten konkret belegt werden.[11] Ein architektonischer Bezug zu Schinkel ist bei ihm nur indirekt über die Rezeption der an Schinkel angelehnten Entwürfe seines Lehrers Peter Behrens ablesbar.

Inwieweit familiäre Verpflichtung oder echte Neigung die Berufswahl von Gropius bestimmte, ist nicht bekannt. Über den Verlauf seines Studiums lieferte er später nur spärliche und zum Teil ungenaue Angaben, die dazu führten, dass seine minimale akademische Ausbildung in diversen Lebensläufen widersprüchlich und zumeist falsch wiedergegeben wurde, bis dahin, dass im Katalog der berühmten Ausstellung «Modern Architecture: International Exhibition» 1932 im New Yorker Museum of Modern Art eine Ausbildung in Berlin und ein angeblicher Studienabschluss in München vermerkt wurde.[12]

Erste Kontakte zur Architektur

Zum Studium ging Gropius nach dem Abitur an die Technische Hochschule nach München, wo er am 20. April 1903 als Studierender der Architekturabteilung für das Sommersemester immatrikuliert wurde.[13] Um 1900 gewann die Münchner Architekturschule durch deren bedeutendste Persönlichkeit, den viel beschäftigten, renommierten Professor für Höhere Baukunst und «Meister der Architekturzeichnung»[14] Friedrich von Thiersch, einen hervorragenden Ruf. 1909 überholte sie deshalb sogar die bis dahin zumindest hinsichtlich der Studentenzahl in Deutschland führende Architekturabteilung der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg, dies könnte ein Grund für die Wahl des Studienorts gewesen sein. Gropius bezog ein Zimmer zur Untermiete in der nahegelegenen Theresienstraße 29, aber er merkte wohl sehr schnell, dass er den Studienanforderungen nicht gewachsen war. Als Absolvent eines humanistischen Gymnasiums hätte er nach einer in diesem Semester noch geltenden Vorschrift ein dreijähriges Grundstudium – prall gefüllt von morgens bis abends an sechs Tagen in der Woche mit Vorlesungen und Übungen in Höherer Mathematik, Geometrie, Physik, Chemie und Technischer Mechanik – absolvieren müssen, um den Wissensabstand in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern zu den Abiturienten der Realgymnasien, für die ein zweijähriges Grundstudium verpflichtend war, auszugleichen. Erst nach erfolgreichem Abschluss dieses Grundstudiums, zu dem noch Hochbaukonstruktion, diverse Zeichenkurse, Baustilkunde sowie Einführungen in die Architektur- und Kunstgeschichte gehörten, erfolgte eine Zulassung zu den Entwürfen und zur eigentlichen Fachausbildung mit mindestens zwei weiteren Studienjahren.[15] In einem Schreiben an seine Mutter, die in den folgenden Jahren in den Zeiten seiner Abwesenheit von Berlin seine wichtigste briefliche Ansprechperson war, teilte Gropius im Frühsommer 1903 mit, dass er an einem männlichen und einem weiblichen Torso modelliere, und vermerkte, das «macht mir viel Spaß und geht mir besser von der Hand, als das Zeichnen»[16]. Schon hier deutete er seine Probleme mit der zeichnerischen Darstellung an, von den Schwierigkeiten mit den naturwissenschaftlichen Fächern berichtete er erst später. Offensichtlich hatte er das von dem Bildhauerprofessor Anton Hess unterrichtete Fach «Modellieren» belegt, zu dem «Komponieren ornamentaler und figürlicher Vorbilder und Ausführung von Kompositionen mit Rücksicht auf ein bestimmtes Material» gehörten, das allerdings nach dem Lehrplan erst im dritten Studienjahr vorgesehen war. Von den Koryphäen der Abteilung, den Professoren August und Friedrich von Thiersch, Karl Hocheder und Emil Edler von Mecenseffy, mit denen Studierende zumeist erst in höheren Semestern in Kontakt kamen, dürfte er überhaupt nichts mitbekommen haben. Sein Kommilitone Helmuth Grisebach berichtete später, dass das Semester in München im Sinne eines Studium Generale auf Allgemeinbildung angelegt gewesen sei. Außerdem bereisten die beiden während des Semesters Oberitalien, von einem Architekturstudium kann somit nicht die Rede sein.[17]

Walter Gropius in Husarenuniform, um 1905

Schon im Verlauf des Semesters schrieb er an die Mutter, dass er überlege, sich im Herbst als Einjährig-Freiwilliger zum Militärdienst zu melden, und als er dann noch von der schweren Krankheit seines jüngeren Bruders Georg (1887–1894), der im Januar des folgenden Jahres starb, erfuhr, brach er am Ende des ersten Semesters das Studium ab und kehrte nach Berlin zurück. Ganz offensichtlich suchte er nach anderen Wegen der Ausbildung, denn im August 1903 trat er ein Volontariat im Architekturbüro Solf & Wichards in Berlin an. Das Büro der Architektensozietät von Hermann Solf und Franz Wichards, spezialisiert auf Bauten im Stil der Deutschen Renaissance, hatte für Gropius’ Onkel Erich auf dessen Gut in Janikow in Pommern 1895 ein Gutshaus errichtet, dies öffnete ihm die Türen zu einem Baupraktikum. Da er keinerlei Fähigkeiten der Darstellung, Berechnung oder Ausführung eines architektonischen Entwurfs hatte, konnte er in dem nun folgenden Volontariats- oder Praktikantenjahr wohl auch nur baupraktische Grundkenntnisse über Arbeitsabläufe und Baustellen erwerben. Erich Gropius organisierte für seinen Neffen allerdings eine Tätigkeit, indem er ihn mit einem Arbeiterwohnhaus auf seinem Gut Janikow beauftragte, das dann im Büro von Solf & Wichards gezeichnet und unter dessen Baubetreuung ausgeführt wurde.[18] Welchen Anteil Gropius an Entwurf und Bauausführung hatte, ist nicht bekannt, es dürfte sich eher um eine symbolische Mitwirkung des Zwanzigjährigen gehandelt haben. Das Praktikum, das Gropius durch eine weitere Reise nach Oberitalien im Frühjahr 1904 unterbrach, führte jedenfalls nicht dazu, dass er sich intensiver der Architektur zuwandte, im Gegenteil, bereits während der Zeit im Architekturbüro bemühte er sich um Zulassung zu dem in großbürgerlichen und adeligen Kreisen üblichen Dienst als Einjährig-Freiwilliger und wählte dafür das renommierte Husarenregiment Nr. 15 in Hamburg, die «Wandsbeker Husaren».

Bei den Husaren

Der Dienst bei den Husaren hatte in der Familie Gropius eine eigene Tradition, denn der Urgroßvater Johann Carl Christian hatte als Offizier des 8. Husarenregiments 1815 an der Schlacht bei Waterloo teilgenommen und ein Hemd aus dem Reisewagen Napoleons erbeutet, das in der Familie von den jungen Männern als Glücksbringer bei Examen getragen wurde.[19] In dem Eliteregiment zur Ausbildung des Offiziersnachwuchses dienten hauptsächlich Söhne aus adligen Familien, nicht zuletzt da die hohen Kosten für Pferdehaltung, Sattel- und Futtergelder sowie für die maßgeschneiderten aufwendig geschmückten Husarenuniformen selbst finanziert werden mussten. Auf Fotos für die Eltern präsentierte sich Gropius stolz mit der hohen Pelzmütze und der geschnürten Uniformjacke, der Attila der Husaren, aber die Familie musste dafür genauso aufkommen wie für das teure Leben in Casinos und in den besseren gesellschaftlichen Kreisen Hamburgs. In den Briefen an die Mutter geht es deshalb immer auch um Geld und Schulden. Die Mutter Manon, die aus der wohlhabenden Familie Scharnweber stammte (ihr Vater Georg besaß das Rittergut Schönhausen), half ihrem geliebten Sohn aus allen finanziellen Nöten. Die Ausbildung bestand im Wesentlichen im Reiten, bei dem sich Gropius offensichtlich so geschickt anstellte, dass er nach einem Jahr zum Unteroffizier befördert wurde. Um die Offizierslaufbahn fortzusetzen, musste er in den folgenden Jahren Reserveübungen absolvieren. 1906 stieg er zum Vizewachtmeister auf, aber im Sommer 1907 wurde ihm eine weitere Übung bei seinem Regiment verweigert und damit die Laufbahn unterbrochen. Gropius erklärte dies gegenüber der Familie als Intrige, da angeblich das Reservekorps «veradeligt»[20] werden sollte. Die Angelegenheit wurde später durch eine Intervention des Onkels Felix, Hauptmann der Garde-Artillerie a. D., bereinigt, und der nationalen Gesinnung tat dies jedenfalls keinen Abbruch, denn bei Beginn des Krieges meldete sich Gropius am 5. August 1914 freiwillig bei seinen Wandsbeker Husaren, bei denen er – schon im November zum Leutnant befördert – dann die meiste Zeit des Ersten Weltkriegs verbrachte.

Auf seine schmucke Uniform, die Reitkünste und seine Offizierslaufbahn bei den Husaren war er zumindest bis 1918 stolz, dann findet die Militärzeit in seinen Briefen fast keine Erwähnung mehr. Nur als 1923 die Reichswehr seine Wohnung in Weimar durchsuchte, da er angeblich kommunistisches Material besaß, wandte er sich empört an den zuständigen General, zählte seine Orden auf und betonte seine Verdienste als Offizier. In den USA erhielt er 1938 von einem Freund, Erich Schroeder, ein Reitpferd geschenkt und entdeckte seine «alte Pferdeleidenschaft wieder»[21]. Als er 1954 den Brief eines ehemaligen Husarenkameraden erhielt, schrieb er: «Wie Sie bin ich den Pferden treu geblieben. Bis weit in den Krieg hinein begann ich jeden Tag mit einem Ritt.»[22] Dieses luxuriöse Vergnügen musste er 1944 aufgeben, setzte es aber nach dem Krieg bei vielen Urlaubsaufenthalten auf einer Ranch in Colorado oder in Arizona noch lange fort. Eine gewisse Form von «Herrenreiter-Attitüde», von elitärer Distanziertheit umgab Gropius nach dem Eindruck von manchen Zeitgenossen zeitlebens. Dazu gehörten auch teure Maßanzüge und korrekte Kleidung, auf die er immer großen Wert legte.

Studienzeit in Berlin

Nach dem Abschluss des Militärdiensts im September 1905 war Gropius 22 Jahre alt und er beschloss, einen zweiten Anlauf zum Studium zu nehmen. Zum Wintersemester 1905/06 immatrikulierte er sich an der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin in Charlottenburg für die Architekturabteilung wieder im ersten Semester, denn von der Münchner Studienzeit konnte er keinerlei Vorkenntnisse in Anrechnung bringen. Dort lernte er Dietrich Marcks[23] (1882–1969), den späteren Archäologen und Mitausgräber der Nofretete, kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband und dessen Bruder, den Bildhauer Gerhard Marcks, er 1919 als Leiter der Keramikwerkstatt ans Bauhaus berief. Marcks erinnerte Gropius 40 Jahre später daran, wie sie nachts gemeinsam durch den Grunewald liefen «mit obligaten philosophischen Gesprächen über Kunst und Unsterblichkeit»[24]. Zusätzliche Anforderungen an Absolventen des humanistischen Gymnasiums bestanden in Berlin-Charlottenburg nicht, aber das zweijährige Grundstudium der Architektur war wie überall an deutschen Hochschulen noch bestimmt von Vorlesungen und Übungen zu Physik, Chemie, Geodäsie, Mineralogie, Geologie, darstellender Geometrie, Statik der Hochbaukonstruktion und Baukonstruktionslehre. Dazu kam das Erlernen der Darstellungsfähigkeit mit einer ganzen Reihe von Kursen vom Plan-, Ornament-, Figuren- und Landschaftszeichnen bis zum Aquarellieren und figürlichen sowie ornamentalen Modellieren. Und alles wurde gerahmt von Vorlesungen und Übungen zur Kunst- und Architekturgeschichte von der antiken Baukunst, dem Backsteinbau und der Baukeramik bis zu historischer «Hausausstattung und Möbel». Die Zeichenkurse und der historische Stilkundeunterricht setzten sich im dritten und vierten Studienjahr fort, und erst dann begannen die Übungen zum Entwerfen und die Einführungen zum Städtebau.[25] Da Gropius ähnlich wie bereits in München enorme Probleme mit den fachlichen Anforderungen hatte und dann das nur sporadisch betriebene Studium nach vier Semestern zum Sommer 1907 ohne Prüfung und ohne irgendeinen Abschluss abbrach, erhielt er keinerlei Entwurfsausbildung und kam mit den dafür zuständigen Professoren Otto Raschdorff und Fritz Wolff sowie den renommierten Städtebaulehrern Felix Genzmer und Theodor Goecke nie in Kontakt.

Mitarbeiter im Büro von Peter Behrens: Adolf Meyer (zweiter von links), ungesichert Mies van der Rohe (erster von links) und Walter Gropius (hinten rechts), um 1908

Erste Aufträge

Zum Scheitern des Studiums trug wohl auch bei, dass Gropius bereits im ersten Berliner Semester von seinem Onkel Erich weitere Aufträge erhielt. Ein Arbeiterhaus für eine Stärkefabrik wurde noch 1905 fertiggestellt, Anfang 1906 erfolgten Auftrag und Planung zum Bau eines Kornspeichers sowie eines Schmiede- und Waschhauses in Janikow.[26] Über den Onkel erhielt er außerdem den Auftrag zum Bau einer Villa und eines Wirtschaftsgebäudes für den benachbarten Leutnant a. D. Otto Metzler in Dramburg.[27] Da dieser das Haus bereits im September 1906 bezog, muss Gropius vom Anfang des Studiums an mit Planungen und Bauleitungen beschäftigt gewesen sein. Die notwendigen Zeichnungen führte ein Bauzeichner für ihn aus, den der Student Gropius bereits im ersten Semester bei sich angestellt hatte. Der um sein Studium besorgten Mutter schrieb er am 16. Juni 1906: «Ich stehe […] jeden Morgen pünktlich um 8 Uhr auf, frühstücke und arbeite dann mit meinem Zeichner bis ½ 4 Uhr durch. […] Auf der Hochschule habe ich mir auch Arbeiten geben lassen und gehe regelmäßig nachmittags hin.»[28] Wie er diesem Zeichner seine Vorstellungen übermittelte, ist nicht bekannt, das Studium blieb auf jeden Fall auf der Strecke, denn am Ende des Monats musste er der Mutter mitteilen: «In den Collegs kann ich nach der langen Pause nicht mehr folgen, sie sind überhaupt außer für Genies illusorisch; ich gehe nicht mehr hin und arbeite alles nach Collegheften durch. Vor Statik graut mir am meisten.» Einige der von Gropius verwendeten Colleghefte sind noch erhalten, sie zeigen letztlich nur, dass er diese unter den Studenten kursierenden Mitschriften, wie beispielsweise zu Viollet-le-Duc und zur Proportionslehre, kannte. Wie viele Übungen er selbst besuchte und was er von diesen Abschriften, die ganz allgemein den Studenten als Repetitorien dienten, übernahm, ist nicht rekonstruierbar.[29] Einen Monat später, am 17. Juli 1906, teilte er der Mutter mit: «Für die Bauten habe ich täglich zu tun und noch hat kein Bauherr über mich geklagt.» Da er die Bautätigkeit in Pommern überwachen und mit den beauftragten Baufirmen, den Bauherrn sowie den Bauämtern alles vor Ort abklären musste, blieb für den Besuch der Hochschule kaum Zeit. Die Bauten selbst sind zum einen reine Nutzgebäude, ohne jeden architektonischen Anspruch, zum anderen sind der Kornspeicher und die Villa Metzler direkt nach dem Vorbild des Gutshauses der Architekten Solf &Wichards konzipiert, eine persönliche Handschrift liegt nicht vor. Die eigene Entwurfsleistung beschränkte sich auf die konventionelle Anordnung der Räume und die «malerische» Gruppierung der Bauteile. Die Bauausführung und Werkplanung sowie die technische Durchführung wurden ohnehin üblicherweise von den beauftragten Baufirmen weitgehend selbständig nach Standardplänen mit Standarddetails abgewickelt.

Gropius war somit die ersten beiden Semester vollauf mit eigenen Arbeiten beschäftigt und im Wintersemester 1906/07 kamen weitere Aufträge hinzu. Erich Gropius vermittelte ihm mit dem befreundeten Gutsherrn Brockhausen einen weiteren Bauherrn, für den er im Frühjahr 1907 ein Wohnhaus für Landarbeiter sowie mehrere Wirtschaftsgebäude, darunter ein Sägewerk, auf dessen Gut in Mittelfelde plante und die Ausführung begleitete. Auch im dritten und vierten Semester kam Gropius kaum zum Studium, so dass er wohl selbst einsah, dass sich die akademische Ausbildung in unerreichbare Ferne verschob. Da er nach dem Tod der Großmutter Luise im November 1906 eine beträchtliche Erbschaft machte und er sich wohl ausrechnen konnte, dass er über den Onkel Erich sowie über die große wohlhabende Verwandtschaft und deren Freundeskreis weitere Aufträge erhalten konnte, beschloss er, das Studium ohne irgendeinen Abschluss, und ohne besondere Kenntnisse erworben zu haben, abzubrechen, und ging im Laufe des Sommersemesters 1907 von der Hochschule. Ende September trat er eine einjährige Reise nach Spanien an. Dieser Studienabbruch und das Fehlen eines Diploms erscheinen aus heutiger Sicht gravierend, waren aber zumindest in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nicht so bedeutsam, sofern man nicht eine Position in einer Bauverwaltung anstrebte. Die Berufsbezeichnung Architekt war nicht geschützt, es gab keine Einschränkungen bei der Planvorlage und Plangenehmigung und insofern spielte der akademische Abschluss keine so große Rolle bei einer Tätigkeit als planender und bauender Architekt. Nicht nur Le Corbusier und Mies van der Rohe, sondern eine ganze Reihe weiterer bedeutender Architekten von Henry van de Velde bis Peter Behrens und von Frank Lloyd Wright bis Marcel Breuer profilierte sich im 20. Jahrhundert ohne Diplom. Theodor Fischer verzichtete sogar einfach auf einen Abschluss und ging mit einer Empfehlung seines Lehrers Friedrich von Thiersch lieber in das Büro von Paul Wallot, da ihm dies für seine weitere Entwicklung wichtiger erschien.[30] Bedeutsam ist also weniger das abgebrochene Studium als die Tatsache, dass Gropius zwar Baupraxis anderweitig erwerben konnte, dass er aber keinerlei Ausbildung im Entwerfen und für Hochbaukonstruktion erhalten sowie relativ wenig von der Architektur- und Baugeschichte gelernt hatte. Im Gegensatz zu anderen Autodidakten, die versuchten, dies nachzuholen, verhielt er sich zu historischer Architektur, mit wenigen Ausnahmen, zeitlebens indifferent bis ablehnend, seine baugeschichtlichen Kenntnisse waren dementsprechend dürftig. Im Studium hatte sich seine Schwäche in der zeichnerischen Darstellung, in der Materialisierung einer Idee gezeigt, aber auch dies ist weniger bedeutsam oder einschränkend, als es einem Laien, der Planungsabläufe in einem Architekturbüro nicht kennt, erscheint. Wie sein Lebenswerk belegt und wie noch ausgeführt wird, entwickelte Gropius seine eigene Form der zeichnerischen Konkretion seiner Ideen über Mitarbeiter und Kollegen.

Karl Ernst Osthaus

Warum die Reise nach Spanien ging und welches Interesse damit verbunden war, ist nicht bekannt, von der Sprache erlernte er erst etwas im Land. Die vielen Berichte an die Mutter vermitteln eher den Eindruck einer weitgehenden Vergnügungsfahrt, etwas garniert mit Kunst, Kultur und Interesse an der Damenwelt, also durchaus vergleichbar der traditionellen Grand Tour von Adeligen durch Frankreich und Italien. Zusammen mit Helmuth Grisebach ging die Fahrt mit dem Schiff von Le Havre nach Bilbao und von da zu Pferd, zu Fuß oder mit der Kutsche über San Sebastian, Burgos, Salamanca, Ávila nach Madrid. Wie einige Beschreibungen in den Briefen an die Mutter belegen, interessierte sich Gropius für die historische Architektur, aber eine intensivere Auseinandersetzung findet sich nur ein einziges Mal beim Besuch des Kastells von Coca bei Segovia. Über diese Anlage verfasste er nach der Rückkehr Ende 1908 einen längeren Text, und bei seinem ersten großen öffentlichen Vortrag über «Monumentale Kunst und Industriebau»[31] verwendete er 1911 Fotos der Burg, um den monumentalen Charakter einer reinen Funktionsarchitektur zu illustrieren. Im Laufe der Reise kamen die beiden auf die Idee, sie könnten in Antiquitätengeschäften Kunstwerke entdecken, diese erwerben und dann gewinnbringend verkaufen. Es zeugt von Gropius’ gewaltigem Selbstbewusstsein, dass er nach kurzer Zeit glaubte, er könne die Qualität von Kunstwerken und die Handschrift von Künstlern erkennen, und dass er nicht nur Teile seiner Erbschaft in Ankäufe investierte, sondern auch noch seine Mutter überredete, bei diesen Geschäften mitzumachen. Die beiden Amateure kauften eine unbekannte Zahl von Objekten. Beim Versuch, diese später zu veräußern, stellte sich heraus, dass sie weitgehend wertlosen Ramsch und Talmi erworben hatten. Über diese peinliche Aktion wurde deshalb der Mantel des Schweigens gezogen und Gropius sprach nie mehr darüber. In einem anderen Bereich agierte er hingegen erfolgreicher. Er interessierte sich für Keramik, studierte Geschichte und Technik der Fliesenherstellung, besuchte Sammlungen und arbeitete sogar in der Fliesenmanufaktur in Tirana bei Sevilla, um eigene Entwürfe selbst umzusetzen. In diesem Zusammenhang lernte er Ernst Kühnel und Hans Wendland kennen, die im Auftrag des reichen Industriellensohns Karl Ernst Osthaus (1874–1921) maurische Keramik für dessen Folkwang-Museum in Hagen suchten.[32] Osthaus kam auf Anregung von Wendland nach Sevilla, erwarb mit Hilfe von Gropius einige Keramiken und es entwickelte sich sehr schnell eine gute Beziehung, denn vor seiner Abreise schickte er noch ein Empfehlungsschreiben an Peter Behrens (1868–1940), das Gropius den Weg in dessen Architekturbüro ebnete. Die Bekanntschaft und spätere Freundschaft mit Osthaus sowie die Tätigkeit bei Behrens sollten sich als entscheidende Wende im Leben von Gropius herausstellen. Der verbummelte Architekturstudent kam mit einem der reichsten Kunstmäzene Deutschlands und mit dem Chefarchitekten und Designer der AEG in Verbindung, er trat ein in die Gedankenwelt Friedrich Nietzsches, Alois Riegls, Wilhelm Worringers und des 1907 gegründeten Deutschen Werkbunds, nahm Teil an den Architektur- und Kulturdiskussionen der Avantgarde. Sein Leben und Denken verliefen von da an in völlig neuen Bahnen. Ohne dieses Zusammentreffen in Sevilla wäre auch Gropius mit großer Wahrscheinlichkeit den Weg seines Freundes Helmuth Grisebach gegangen, der sich zu einem im Heimatstil tätigen regionalen Provinzarchitekten entwickelte.

Mitarbeit im Büro von Peter Behrens

Anfang Mai 1908 kehrte Gropius von der Spanienreise zurück und im Juni begann der inzwischen 25-Jährige seine Tätigkeit im Büro von Peter Behrens in Neubabelsberg. Seine Position beschrieb er im Rückblick völlig überzogen als «Hauptassistent» oder «rechte Hand» von Behrens, richtig ist wohl eine andere Selbstbezeichnung, er sei als «Faktotum», das heißt als «Mädchen für alles», tätig gewesen.[33] Sein Entree bildete die Empfehlung von Osthaus, über den Behrens den Auftrag zum Bau des Krematoriums in Hagen-Delstern erhalten und für den er 1905 den Versammlungsraum in dessen Folkwang-Museum in Hagen gestaltet hatte. Für die von Osthaus auf einer Fläche von 100 Hektar geplante Gartenstadt und Künstlerkolonie Hohenhagen hatte Behrens 1907 den Lageplan überarbeitet und zwei Häuser, das Haus Schroeder und das Haus Cuno, standen zur Ausführung an. Es liegt somit auf der Hand, warum Gropius, der ohnehin eine normale Zeichentätigkeit im Büro nicht hätte ausführen können, mit der Betreuung und Bauleitung der beiden Häuser, den Bereichen, in denen er eine gewisse Erfahrung gesammelt hatte, beauftragt wurde. Die persönliche Beziehung zu dem 15 Jahre älteren renommierten Künstler und Architekten entwickelte sich immerhin so weit, dass er mit Behrens Bauten von Schinkel besichtigte, ihn 1909 auf einer Reise nach England begleiten durfte, in dessen Haus eingeladen wurde und für die Tochter Petra als Tennislehrer fungierte. Dieser persönliche Bezug war entscheidend dafür, dass Gropius in den nur knapp zwei Jahren, die er im Büro Behrens verbrachte, über die gesamten Diskussionen und Aktivitäten zu einer Erneuerung der Architektur und Kultur, an denen Behrens seit der Jahrhundertwende maßgeblich beteiligt war, gleichsam aus erster Hand informiert wurde.

Der Maler und Grafiker Peter Behrens[34] war mit dem Bau seines eigenen Hauses auf der Mathildenhöhe in Darmstadt 1901 bekannt geworden. Mit der Berufung von Avantgarde-Künstlern in die neue Künstlerkolonie und mit der begleitenden Ausstellung «Ein Dokument Deutscher Kunst» wollte Großherzog Ernst Ludwig zum einen Kunst und Gewerbe in seinem Land fördern und zum anderen ein nationales Zeichen für einen künstlerischen Neuanfang beim Aufbruch in das 20. Jahrhundert setzen. Das Haus Behrens war nicht nur ein Manifest des aus der Lebensreformbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts hervorgehenden Jugendstils, sondern auch eine Verherrlichung Friedrich Nietzsches, des wichtigsten Ideengebers dieser Reform, der sich am radikalsten gegen die Dominanz der Historie im Leben geäußert hatte.[35] Wie viele Künstler der Zeit hatte auch Behrens die Werke Nietzsches, insbesondere die Unzeitgemäßen Betrachtungen und Also sprach Zarathustra, intensiv studiert, war von dessen Ideen völlig durchdrungen und wie als Spiegel dieser Ergriffenheit zeigte sein Künstlerhaus vom stilisierten Adler auf der Eingangstüre bis zur Ausstattung und Farbgebung Motive, die auf Nietzsche beziehungsweise Zarathustra verwiesen.[36] Schon Fritz Schumacher fühlte sich deshalb im Behrens-Haus an «Zarathustras Gesänge»[37] erinnert. In zahlreichen Vorträgen verknüpfte Behrens Ideen Nietzsches mit den Aufgaben des Bauens und den Vorstellungen von Alois Riegl, August Schmarsow u.a. zu einer spezifischen Architekturtheorie,[38] die Gropius direkt von ihm beziehungsweise in dessen Atelier aufnahm und in den folgenden Jahren zum Teil wörtlich wiederholte. Auch seine beiden Hauptwerke vor dem Ersten Weltkrieg – das Faguswerk und das Bürogebäude auf der Werkbundausstellung in Köln – stehen im direkten Zusammenhang mit diesen Vorstellungen.

Nietzsches 1873 erschienene Unzeitgemäße Betrachtungen. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben zertrümmerten den Historismus, die dominierende Denkrichtung und Grundlage des Stilpluralismus der Architektur. Die geschichtliche Forschung hatte dem sich entwickelnden historischen Bewusstsein im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr Kenntnisse über alle Epochen geliefert. Für Architekten standen historische Stile nahezu beliebig zur Auswahl und die Diskussionen kreisten schier endlos um die Frage nach dem richtigen Stil, nach dem adäquaten architektonischen Ausdruck der eigenen Gegenwart. Da sich diese Gegenwart unter dem Druck von Industrialisierung, Urbanisierung und sozialen Spannungen immer radikaler veränderte, geriet die historische Weltorientierung, der Historismus, in eine Krise.[39] In dieser Zerrissenheit zwischen rückwärtsgewandter Sinngebung aus der Geschichte und radikalem Fortschrittsglauben, die sich in den 1870er-Jahren nach der Reichsgründung noch verschärfte, lieferte Friedrich Nietzsche mit seinen Unzeitgemäßen Betrachtungen einige der entscheidenden Begriffe, mit denen die kulturkritischen Diskussionen in den Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg ausgetragen wurden.[40] Nach Nietzsche lebte «der Deutsche unserer Tage» in einem «chaotischen Durcheinander aller Stile»[41], er häufte nur die «Formen, Farben, Produkte und Kuriositäten aller Zeiten und Zonen» um sich auf und brachte dadurch «jene moderne Jahrmarkts-Buntheit hervor», die von «den Gebildeten» als das «Moderne an sich» bezeichnet wurde. Der als Zerrissenheit diskreditierten Vielfalt stellte er eine Kultur als Ausdruck stilistischer Einheit gegenüber: «Kultur ist vor allem Einheit des künstlerischen Stiles in allen Lebensäußerungen eines Volkes.»[42] Diese Definition und die daraus resultierende Suche nach Einheit können geradezu als Leitmotiv zahlloser Diskussionen und künstlerischer Aktivitäten der folgenden Jahrzehnte – auch bei Gropius – bezeichnet werden. So erklärte Joseph Maria Olbrich 1898: «Eine Stadt müssen wir bauen, eine ganze Stadt […]. Alles von demselben Geist beherrscht, die Straßen die Gärten und die Paläste und die Hütten und die Tische und die Sessel und die Leuchter und die Löffel Ausdrücke derselben Empfindung […].»[43] Kultur konnte nach Nietzsche nur «etwas lebendig Eines» sein. Wer also die Kultur eines Volkes fördern wollte, «der erstrebe und fördere diese höhere Einheit und arbeite mit an der Vernichtung der modernen Gebildetheit zugunsten einer wahren Bildung, er wage es, darüber nachzudenken, wie die durch Historie gestörte Gesundheit eines Volkes wiederhergestellt werden […] könne.»[44] Die Einheit der Kultur sollte somit auch als nationales Heilmittel, als «Erziehung zur Nation» dienen, ein Thema das seit den 1890er-Jahren von einflussreichen Autoren wie Julius Langbehn, Paul de Lagarde und Moeller van den Bruck sowie dem nationalliberalen Politiker Friedrich Naumann besonders betont wurde und dann im Deutschen Werkbund eine wichtige Rolle spielte.[45]

Die Künstler wurden aufgerufen, die durch die Akademien produzierten historischen Masken der Stile, jenen «Alptraum» verlogener «Jahrmarkts-Buntheit» zu zerschlagen und für ihre eigene Zeit – nur mit Blick auf das Leben der Gegenwart – eine einheitliche Kultur zu gestalten. Schaffung von Kultur bedeutete somit Abwendung von der Geschichte, Lösung von den akademischen Bildungsidealen und Kampf für einen einheitlichen Ausdruck als Stil der Gegenwart. Kennzeichnend für diese Haltung, die dann auch Gropius rigoros vertrat und die sich bei ihm im Bauhaus-Manifest und in zahllosen späteren Reden und Schriften niederschlug, war es, den Historismus des 19. Jahrhunderts als «Feind» zu behandeln, der beseitigt werden müsse. So heißt es im Jahrbuch des Deutschen Werkbunds 1912: «Wir schulden es unserer nationalen Würde, daß wir den Schutt hinwegschaufeln, den ein Jahrhundert der Unkunst über unser einst so fruchtbares Feld gebreitet hat.»[46] Die Gegenwart, deren Lebenskräfte erfasst werden sollten, zeichnete Behrens in seinen Vorträgen mit dem von Houston Stewart Chamberlain übernommenen antithetischen Begriffspaar als eine zerrissene «Zivilisation», der er die angestrebte Einheit der «Kultur» gegenüberstellte. Die moderne Zivilisation war für Behrens und andere «Nietzschelinge»[47] das Produkt von Wissenschaften und Technik, die auf Analyse, Zerlegen und Berechnung angelegt waren. Deren Errungenschaften sollten nicht geleugnet, sondern durch den Künstler und dessen Kraft der Intuition zu einer Synthese gebracht und somit in Kultur übergeführt werden. Aus der Technik allein konnte demnach keine Kunst entstehen, sie war «im Prozeß der künstlerischen Form kein schöpferischer»[48] Faktor. Nur der Künstler konnte den «gesamten Geistesäußerungen einer Epoche» einen «einheitlichen Formenausdruck»[49] geben, sie zu einem Stil verdichten und so den Zustand der Kultur herstellen. Bei der Eröffnung der Darmstädter Ausstellung 1901 brachte Behrens diese Ideen in einem von ihm gestalteten «Weihespiel» zum Ausdruck: Ein Künstlerpriester trug ein «Zeichen», den Kristall oder Diamanten Zarathustras, von der Höhe zu den Menschen herab und der begleitende Text erläuterte, so wie der «Kohlenstaub in den reinen leuchtenden Kristall» des Diamanten verwandelt werde, «so wird das rohe ungestaltete Leben zur Schönheit, wenn wir es läutern durch die uns eingeborene Macht künstlerischen rhythmischen Formens»[50].

Diese Kraft zur Verwandlung, Veredelung oder Vergeistigung des Materials erklärte Behrens nicht nur mit Bezug auf die von Nietzsche dem Künstler zugewiesene Rolle als Kulturbringer, sondern auch über die Theorien des österreichischen Kunsthistorikers Alois Riegl, der im Künstler den Vollender eines «Kunstwollens»[51] seiner Zeit sah. Die wirkenden Kräfte einer Zeit mussten demnach durch eine geistige Leistung zu einem Kunstwerk geformt werden. Mit der Theorie vom teleologisch auf künstlerische Gestaltung gerichteten «Kunstwollen» wandte sich Riegl gegen «materialistische» Auffassungen von der Entstehung von Kunst nach den Gesetzmäßigkeiten der verarbeiteten Materialien. Als Vertreter des Kunstmaterialismus benannte er Gottfried Semper, der in seinem großen Werk Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten die Verarbeitung von Materialien nach deren Eigenschaften als Grundlage für die Entstehung von Kultur beschrieben hatte.[52] Nach Riegl verstand es der Künstler, dem anonymen Kunstwollen Form zu geben, indem er aus eigener geistiger Leistung Körper und Räume schuf. Diese Vorstellung basierte wiederum auf der von August Schmarsow entwickelten Theorie vom Raum als «Das Wesen architektonischer Schöpfung». Ausgehend von der Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit und dem daraus resultierenden Raumgefühl hatte der Kunsthistoriker Schmarsow 1893 den Raum als ein geistiges, von der Materie unabhängiges Element definiert, das der Architekt in einem schöpferischen Akt formt. Erst über Schmarsows Gründungsmanifest der modernen Architektur wurde «Raum» zur zentralen architektonischen Kategorie und der Architekt zum Künstler, der in einer rein geistigen Tätigkeit Räume und Baukörper gestaltete.[53] Diese künstlerisch geistige Gestaltgebung war für Behrens die zentrale Aufgabe des Architekten beim Umgang mit der Technik beziehungsweise bei der Formung einer Konstruktion. Die Berechnungen des Ingenieurs lieferten demnach nur «nackte Konstruktionsformen», ein statisches Gerippe oder eine «Technikform», die der Architekt im Vollzug des Kunstwollens und mit seiner intuitiven Gestaltungskraft in eine «Kunstform» verwandeln müsse. Das Kunstwollen bezog sich ausschließlich auf die Kräfte der Gegenwart, der «von allen akademischen (intellektuellen) Fesseln losgelöste Kunstwille»[54] des Architekten fand «durch intuitives Vorgehen» allein aus sich heraus die Gesetze der Kunst, mit denen er die Einheit des Stils schaffen und damit seine Mitmenschen wieder zur Kultur führen konnte. Der Architekt wirkte somit im Sinne Nietzsches als Erzieher, wozu die nur historisch Gebildeten nicht in der Lage waren. Dem Konstrukt aus Ideen Nietzsches, Schmarsows und Riegls lieferte Wilhelm Worringer schließlich noch in seiner Schrift Abstraktion und Einfühlung ein entwicklungsgeschichtliches Schema und bereits im Titel eine griffige Formel. Danach zielten die Gesetze der Materie auf abstrakte Konstruktion, die erst durch künstlerische Einfühlung in den Kunstwillen zu einem Organismus gestaltet wird. Der Architektur kam dabei eine Leitfunktion zu, an ihr war nach Worringer «das Kunstwollen eines Volkes abzulesen»[55].

Als Behrens 1903 an die Düsseldorfer Kunstgewerbeschule berufen wurde, bildete dieses Ideengemenge die Grundlage seiner Lehre. Es ging nicht mehr – wie bis dahin üblich – um die Nachahmung von historischen Vorbildern oder von Naturformen, sondern im Zentrum stand die Zurückführung aller Gestaltungen auf wenige geometrisch abstrakte Prinzipien. Die Natur sollte dabei zwar als Vorbild dienen, aber nur, um deren innere gesetzmäßige Organisation zu erfassen, und um dann nach diesem «autonomen Bildungsgesetz»[56] zu gestalten. Diese Kunstgesetze hatten sich nach Behrens «seit Anfang aller menschlichen Kultur als fortlaufende Tradition gültig erhalten», ihr Zentrum bildete die «Proportion, die das Alpha und Omega von allem Kunstschaffen ist»[57]. Aus der Geschichte, die Behrens genau studierte, sollten also keine wechselnden (Stil-)Formen übernommen, sondern Konstanten gefunden werden. Die geistige Veredelung aller Produkte auf der Basis einheitlicher Kunstprinzipien, um die gesamte Lebenswelt wieder in eine harmonische Einheit zu bringen, die «Wiedereroberung harmonischer Kultur»[58] standen dann auch hinter der Gründung des Deutschen Werkbunds, an dessen Konstitution Behrens 1907 als einer von zwölf Künstlern beteiligt war. Im gleichen Jahr wurde er von Emil Rathenau zum künstlerischen Berater der AEG berufen, um allen Produkten und Erscheinungsformen des Konzerns einen einheitlichen Ausdruck zu geben. Behrens gab seine Stelle in Düsseldorf auf, richtete Ende 1907 ein Büro im Gartenatelier der von ihm gemieteten «Villa Erdmannshof»[59] des Hofbildhauers Erdmann Encke in Neubabelsberg ein, und in den folgenden Jahren schuf er für die AEG geradezu prototypisch jene einheitliche Gestaltung, die Nietzsche als Grundlage der Kultur definiert hatte.

Als Walter Gropius im Juni 1908 in das Neubabelsberger Büro kam, konnte er somit direkt die Arbeit am Corporate Design der AEG miterleben. Im Rückblick erklärte er 1966, er habe bei Behrens die «Beherrschung der Technik der räumlichen Beziehungen und der Proportionslehre»[60] an konkreten Beispielen kennengelernt und dieser habe ihn «in die Systemlehre der mittelalterlichen Bauhütten und in die geometrischen Regeln der griechischen Architektur» eingeführt. Auch wenn in Gropius’ Erinnerungen häufig die Fakten dem jeweiligen Stand seiner Biographie angepasst sind, so liegt es doch aufgrund seiner bis dahin fehlenden Entwurfsausbildung auf der Hand, dass er erst bei Behrens die zentralen Elemente des Entwerfens, die Gestaltung und Proportionierung von Baukörpern und Räumen erlernte. Im Umgang mit Behrens erfuhr er sicher auch einiges über historische Proportions- und Systemlehren. Neben Rastersystemen und Goldenem Schnitt konnte er bei Behrens auch die von August Thiersch[61] entwickelte Proportionsmethode nach gleichen Seitenverhältnissen von Bauteilen kennenlernen, die über das Handbuch für Architektur vor dem Ersten Weltkrieg weite Verbreitung fand. Im Gegensatz zu Behrens[62] zeigen Gropius’ Entwürfe allerdings keine strenge Systematik und auch in seinen vielen Schriften und Vorträgen blieben Verweise auf Proportion pauschal. Verschiedene Formen der Proportionierung sind jedoch auch im Werk von Gropius nachweisbar[63] und Ernst Neufert erinnerte sich später, dass Gropius mit «Hilfsrastern»[64] gearbeitet und dies den Studenten vermittelt habe.

Die 22 Monate im Behrens-Büro sind in nahezu jeder Beziehung für Gropius’ weitere Entwicklung entscheidend. Er tauchte ein in die Diskussionen über Einheit des Stils und Kunstwollen, Kultur und Zivilisation, Technik- und Kunstform, Raumschöpfung und Baukörpergestaltung, Vergeistigung der Produkte und Erziehung zu nationaler Gestaltung, aber er übernahm diese Ideen weitgehend aus zweiter Hand. In seinen späteren Texten erwähnte er zwar Riegl und Worringer, aber er zitierte diese zumeist aus den Texten von Behrens, der sich in diesen Jahren wiederholt und detailliert zum Thema «Kunst und Technik»[65] äußerte und immer wieder Nietzsches Stildefinition verwendete.[66] Nietzsche wurde von Gropius nie erwähnt,[67] die zentrale Denkkategorie «Einheit des Stils als Grundlage von Kultur», die sich bis an sein Lebensende in zahllosen Varianten durch seine Texte und Vorträge zieht, blieb bei ihm ohne Verweis auf den Urheber, aber auch Behrens wurde nicht als Vermittler genannt. Ob es sich um eine weitgehende Übernahme von allgemein präsenten Themen «aus zweiter Hand» oder um eine bewusste Verdrängung historischer Zusammenhänge handelt, sei dahingestellt. Dass Gropius häufig seine eigene Tradition konstruierte, hatte jedenfalls bei ihm Methode. Wie viel Architekturtheorie Gropius überhaupt selbst studierte, ist nicht definitiv zu beantworten. Seine Bibliothek, die von Deutschland 1937 zumindest teilweise mit in die USA wanderte, enthielt jedenfalls keinen einzigen der klassischen Architekturtraktate von Vitruv[68] bis Viollet-le-Duc und auch das Handbuch der Architektur, die umfassende Grundlage für jedes Architekturwissen für deutschsprachige Architekten bis in die 1930er-Jahre, war mit keinem Band vertreten. Sempers Der Stil und Riegls Stilfragen waren zwar vorhanden und Frank Lloyd Wrights Wasmuth-Publikation Ausgeführte Bauten und Entwürfe erhielt er von seiner Mutter 1912 geschenkt, aber letztlich handelt es sich nur um eine Handvoll Architekturpublikationen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und auch Werke zu Philosophie und Geschichte sind insgesamt nur spärlich zu finden.[69]

Peter Behrens, AEG-Turbinenfabrik, Huttenstraße Berlin, um 1910