Wann fällt der Groschen? - Götz W. Werner - E-Book

Wann fällt der Groschen? E-Book

Götz W. Werner

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Beschreibung

Seit vielen Jahren begleitet Herbert Arthen den Unternehmer und Menschen Götz W. Werner in seinem Wirken für eine nachhaltige und menschengemäße Lebens- und Unternehmenskultur. Die von Arthen herausgegebenen Fragen und Überlegungen Götz W. Werners können bei jedem Menschen zu lebensentscheidenden Schlüsselerlebnissen führen. Jeder Tag ist ein Beginn von vorne, pflegte Götz W. Werners Trainer ihm und seinen Ruderkollegen zu sagen. Diese Worte hat sich der Gründer des dm-drogerie marktes tief zu Herzen genommen - nicht nur in der täglichen Ausrichtung seines Unternehmens, sondern ebenso in der Gestaltung des eigenen Lebens. Monat für Monat hat sich Götz W. Werner in den vergangenen Jahren zu den großen Zeit- und Lebensfragen in alverde, dem Kundenmagazin von dm, geäußert. Die "52 Schlüsselfragen zum eigenen Leben" können Woche für Woche eine Anregung sein, schöpferisch zum Unternehmer des eigenen Lebens zu werden.

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Götz W. Werner

Wann fällt der Groschen?

52 Schlüsselfragen zum eigenen Leben

Herausgegeben von Herbert Arthen

Inhalt

Besonnen lebensbejahend

1. Warum schmelzen gute Vorsätze schneller als Schneeflocken?

2. Wollen wir uns Kinderarmut leisten?

3. Ist der Mensch ein Suchtwesen?

4. Welche Geschäfte macht Ihre Bank?

5. Ist Arbeit nur, was gut bezahlt wird?

6. Kann ich fasten?

7. Ist der Einsatz von Robotern in der Pflege sinnvoll?

8. Wieso steckt das Wort «ziehen» in Erziehung?

9. Warum nach dem Warum fragen?

10. Machen Schranken frei?

11. Warum haben wir zwei Menschenbilder?

12. Ist heute mein Museumstag?

13. Wollen wir nur wir selber sein?

14. Lernen wir durch Einsicht oder Katastrophe?

15. Interessiert uns das Glück der nächsten Generation?

16. Haben Sie Visionen, Subvisionen oder gar nichts davon?

17. Brauchen wir eine neue Wirtschaftsordnung?

18. Warum lügt Geld?

19. Hat jedes Leid einen Namen?

20. Soll nur essen, wer arbeitet?

21. Ist Egoismus die Folge von Individualismus?

22. Was unterscheidet Gammelfleisch von Schrottanleihen?

23. Wann ist Gewinn nicht alles?

24. Sind Schrottplätze bessere Spielplätze?

25. Müssen wir Eigentum neu definieren?

26. Wie viel sollte jeder Einzelne selbst entscheiden können?

27. Müssen wir uns unsere Freiheit erobern?

28. Vermeiden wir unnötiges Leid?

29. Trauen wir unseren Mitmenschen Politik zu?

30. Bin ich bereit zum Risiko?

31. Wollen wir begeistern?

32. Denken wir konfrontativ oder kooperativ?

33. Wie wichtig ist uns Menschenwürde?

34. Schaffen wir Regelwerke oder Freiräume?

35. Wann fällt der Groschen?

36. Kann Arbeit geringfügig sein?

37. Ist Rennen Kopfarbeit?

38. Kommt Leistung von Herzen?

39. Verstehen wir das Prinzip des Lebens?

40. Wie viel Verantwortung können wir tragen?

41. Wozu soll unser Leben gut sein?

42. Wie wichtig ist Kunst?

43. Warum wir auf Macht verzichten müssen?

44. Wozu braucht es freiheitswillige Menschen?

45. Brauchen wir heute noch Herzensbildung?

46. Bin ich Herr oder bin ich Kellner?

47. Was hat Einkaufen mit Moral zu tun?

48. Macht Selbstlosigkeit zurfrieden?

49 Ist Nächstenliebe eine Worthülse?

50 Ist Arbeit Fluch oder Segen?

51. Wem soll frühkindliche Erziehung dienen?

52 Können wir über uns hinauswachsen?

Besonnen lebensbejahend

Vorwort des Herausgebers

Es gibt Fußballer, die mit einem Salto vorwärts ein Tor bejubeln, Frauen, die eine neue Handtasche mit Freudentränen in die Arme nehmen, Bankvorstände, die Siege mit dem V-Zeichen von Zeige- und Mittelfinger sowie stolz geschwellter Brust und breitem Grinsen demonstrieren und Politiker, die auf der Stelle tanzen, wenn sie die Wahl gewonnen haben. Trauer, Wut, Enttäuschung, Angst können ebenfalls hochemotional interpretiert werden – jeder kennt Gefühlsausbrüche dieser Art.

Götz W. Werner, Jahrgang 1944, wirkt immer gelassen. In Freud und Leid. Seine bevorzugte Tugend ist «Temperantia», wofür es in unserer deutschen Sprache kein rechtes Wort gibt. «Mäßigung» charakterisiert den dm-Gründer Werner ebenso passend wie «Besonnenheit», «Beherrschung» trifft ebenfalls zu. Meistens, noch nicht immer. Aber Werner arbeitet stetig an sich, um die platonische Kardinaltugend perfekt zu beherrschen.

Was konkret bedeutet, sich selbst zu beherrschen, es darin zur Meisterschaft zu bringen. Nur in scheinbarem Widerspruch steht seine Anforderung an sich selbst und an alle Mitmenschen, ganz konsequent das Denken, das Fühlen und das Wollen des Anderen zu berücksichtigen, wann immer man mit seinen Mitmenschen in Beziehung tritt. Die wesentliche Einschränkung ist, dass das eigene Fühlen und Wollen sich möglichst nie gedankenlos entfaltet.

Das hat ganz praktische Konsequenzen. Der Unternehmer Werner will Werbung nur dann anwenden, wenn diese nicht die Triebe anspricht, er hält Führung nur dann für legitim, wenn sie zur Selbstführung befähigt, und schwört auf das Subsidiaritätsprinzip, nach dem der Einzelne so viel wie möglich selbst bestimmt und selbst verantwortet. So ist das von ihm gegründete Unternehmen dm aufgestellt. Nicht zentralistisch, sondern atomistisch, also mit möglichst viel Selbstverantwortung bei jedem Mitarbeiter und jedem dm-Markt. Die Zentrale ist ein filialunterstützender Dienst, von dem Empfehlungen kommen können, keine Anweisungen.

Für einen Menschen, der in der Phase des Totalitarismus geboren wurde, in einer Zeit, in der auch der Absolutismus noch gedacht und gelebt wurde in Europa, ist das sehr, sehr innovativ. Fast revolutionär. Deshalb tun sich auch viele politischen und wirtschaftlichen Führer schwer mit dem Gedankengut von Götz W. Werner. Wenn Werner postuliert, dass man Menschen Teilhabe gewähren müsse am Bruttoinlandsprodukt, damit sie teilnehmen können an der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, dann sträuben sich vielen Anhängern hierarchischer und disziplinarischer Führungsstrukturen die Nackenhaare. Sie fürchten diese Anarchie, also die Abwesenheit von Herrschaft, die nichts mit Anomie, also mit Gesetzlosigkeit, Gewalt und Unordnung zu tun hat.

Der Unternehmer Götz Werner hat sich über eine Headline zur Führungsstruktur bei seinem dm-drogerie markt besonders gefreut. «Filialen an die Macht», lautete die Überschrift, mit der ein Beobachter die Intention von Götz W. Werner treffend charakterisierte. Noch heute, Jahre nach seinem Ausstieg aus der operativen Führung seines dm, befördert der Gründer diese Idee, wo immer er kann. Und setzt auf Bildung und Wissen, weil erst dadurch Selbstermächtigung und Selbstführung möglich werden.

Die 40-jährige Erfolgsgeschichte von dm-drogerie markt gibt ihm recht. Man kann zwar auch auf anderen Wegen wirtschaftlich erfolgreich sein, aber die demokratische, subsidiäre Methode, die bei dm praktiziert wird, ist erfolgreich. Die Zahlen sprechen für sich, dm ist das beste Unternehmen der Branche, Götz W. Werner gilt als einer der erfolgreichsten Unternehmer der Nachkriegsgeschichte in Deutschland. Zu seiner Erfolgsmethode, so sagt Werner, gehören die Suche nach Schlüsselerlebnissen und deren konsequente Umsetzung. In der Universität des Lebens lerne man am meisten anhand dieser Schlüsselerlebnisse.

Diese Schlüsselerlebnisse hatte der Mann, der auch heute noch nahezu täglich Stunden in den dm-Märkten zubringt, zumeist in seinem beruflichen Dasein – und hat bei der Gestaltung und Entwicklung des Unternehmens die Erkenntnisse aus diesen Schlüsselerlebnissen konsequent umzusetzen versucht. Schlüsselerkenntnisse sind die unmittelbare Folge von Schlüsselerlebnissen. Da die Methode bei dm funktionierte, hat Werner diese Schlüsselerkenntnisse auch auf gesellschaftliche Phänomene übertragen. Weil er seine erkenntnisse teilen will und nicht für sich behalten, beschreibt er sie. Ein Weg hierfür sind seine Kolumnen, die er regelmäßig im Kundenmagazin seines dm-Marktes publiziert.

Weit mehr als eine Million Menschen nehmen Monat für Monat das Kundenmagazin alverde mit nach Hause, und sehr viele davon lesen die Kolumnen von Götz W. Werner, wie zigtausendfache Reaktionen von Leserinnen und Lesern immer wieder belegen. Da wir so oft darum gebeten worden sind, diese Blicke über den Tellerrand, wie Götz Werner die Inhalte seiner Kolumnen bezeichnet, gesammelt verfügbar zu machen, haben wir uns entschlossen, zu seinem siebzigsten Geburtstag 52 Kolumnen in einem Buch zusammenzufassen. Es ist ein Lesevergnügen. Das Denkvergnügen danach ist nicht minder groß.

Karlsruhe, 10. Januar 2014Herbert Arthen

1. Warum schmelzen gute Vorsätze schneller als Schneeflocken?

Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich wünsche Ihnen, dass Sie gut ins neue Jahr gekommen sind.

An den besinnlichen Weihnachtstagen entdecken viele Menschen eine Person, mit der sie sich ansonsten viel zu wenig aktiv beschäftigen: sich selbst. Wenn man aber im Umgang mit sich selbst nicht geübt ist, dann macht man leicht Fehler. Fehler, die einem mit einiger Routine seltener passieren. Denn diese situative, intensive Ich-Bezogenheit basiert nicht auf einer exakten Wahrnehmung der eigenen Person, keiner genauen Analyse der eigenen inneren Motive, sondern mangels Übung zumeist auf einer diffusen, auf Vorstellungen basierenden Momentaufnahme. Einer Art Schnappschuss.

All unser Erkennen und Handeln hat aber seinen Ursprung und seine Begrenztheiten in uns selbst. Auch Hirnforscher behaupten heute und belegen dies immer besser, dass die Gene eine größere Rolle für unser Verhalten spielen und die Umwelt eine geringere als bisher angenommen. Je älter man werde, so erläutert der Neurobiologe Manfred Spitzer, desto mehr dominieren die von innen kommenden Impulse und Motive. Der Naturwissenschaftler mag es Gene nennen, was da von innen wirkt, religiöse Menschen finden andere Namen für diese inneren Handlungsimpulse. Ich weiß aus Erfahrung, dass diese inneren Impulse durch Denkübungen gefördert werden können. Eine solche Zustandsbestimmung verlangt Fokussierung, damit das Bild Tiefenschärfe und Schärfentiefe bekommt. Es wird an der richtigen Stelle und zugleich in einem möglichst großen Bildbereich richtig scharf. Eine ungeübte Ich-Bezogenheit hat dagegen ihre Tücken. Sie ist nicht nur ungenau, sondern auch so mühsam wie ungewohnte Anstrengungen für untrainierte Muskeln. Die Folge ist eine Art passiver Ich-Bezogenheit, aus der dann «gute Vorsätze» für das neue Jahr erwachsen, die die Halbwertszeit einer Schneeflocke haben.

Ich kenne nur sehr wenige Menschen, die diese passive Ich-Bezogenheit, die sich in ihren sogenannten guten Vorsätzen wiederfindet, in eine nachhaltige Ich-Aktivität umzuwandeln vermögen. Von einer Ich-Bezogenheit zur Ich-Aktivität zu gelangen, ist jedoch unsere wichtigste Lebensaufgabe, das «Fest der Liebe» ist der kalendarisch wiederkehrende Hinweis darauf. Ein aktiv erarbeitetes Lebenszeugnis, ob eines Wissenschaftlers, Kulturschaffenden oder eines in der arbeitsteiligen Wirtschaft tätigen Menschen, hat seine Ursache in der Bereitschaft, für andere leisten zu wollen, mehr noch – sich für die Mitmenschen verausgaben zu wollen.

Im Konferenzraum von dm-drogerie markt hängt deshalb seit vielen Jahren Folgendes:

Es genügt nicht zu wissen, man muss es auch anwenden, es genügt nicht zu wollen, man muss es auch tun.

Jede Ich-Aktivität verlangt neben dem sorgsam wahrgenommenen eigenen Status Quo eine klare Erkenntnis davon, was uns als Wesen ausmacht – übergangsweise kann man das Gene nennen – und hingebungsvolles, empathisches Handeln. Kultivieren Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese Zielsetzung im neuen Kalenderjahr. Machen Sie Ihren Masterplan für das neue Jahr. Selbst wenn sich einige Ziele nicht verwirklichen lassen, ist Planabweichung viel besser als Planlosigkeit.

Denke erst, und handle dann, und handelnd denke stets daran, steht ebenfalls im dm-Stammbuch. Was heißen soll: Jede Ich-Aktivität muss stetig auf den Prüfstand, aus konstruktiver Unzufriedenheit heraus. Denn wir haben nicht nur das Recht auf Entfaltung unserer Identität, wir haben die Pflicht dazu. Tag für Tag aufs Neue. Ich wünsche Ihnen für das neue Jahr ein positives Erleben Ihres Ichs durch eine stetige aktive Hinwendung zu ihren Mitmenschen.

2. Wollen wir uns Kinderarmut leisten?

Sie kennen diese seltsame Situation sicher auch. Man hört eine Alarmsirene aufheulen und weiß gar nicht, woran man ist. Feuer? Terroristen? Giftunfall? Oder doch nichts wirklich Ernstes? Und wahrscheinlich nur eine Übung! Minuten später ist der Spuk vorbei, man weiß nichts Genaues und ist wohl auch nicht betroffen.

Die Bundesregierung hat 2008 Alarm geschlagen. Ein seltsamer Alarm. Kein richtig lautes Signal und auch eines, das irgendwie undeutlich klang. Die Regierungs-Sirenen klangen so unterschiedlich. Wenn man genau hinhörte, war es ein «Armutsalarm». Wer sich die Mühe macht zu lesen, der liest ein Armutszeugnis. Wahrscheinlich war der Alarm so leise, weil es das Zeugnis für diejenigen ist, die zugleich die Pflicht haben, Alarm zu geben, also unsere Politiker.

Denn es passiert wirklich etwas in Deutschland. Wir Bürger sollten also genau hinhören, auch wenn der Alarm noch so leise und diffus klingt. Es brennt eine Art Schwelbrand, der immer häufiger ausbricht. Wo? Überall um uns herum. 2,6 Millionen Kinder sind bereits betroffen, noch einmal so viele sind gefährdet. Die Zahlen sind eindeutig. Sie stammen vom Statistischen Bundesamt, offengelegt hat sie der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes Heinz Hilgers, zugleich Bürgermeister von Dormagen.

Ein paar Fakten: Für fünf Millionen Kinder stehen im Monat weniger als 250 Euro zur Verfügung. Für alles! Essen, Trinken, Schule, Bücher, Eis – und den Anteil an den Mietkosten. Betrachtet man die Haushaltsgröße, haben die Fünf-und-mehr-Personen-Haushalte die höchste Armutsquote. Außerdem sind es viele Ein-Eltern-Haushalte mit zwei und mehr Kindern, die unter Armut leiden.

Und die Politik trickst: Im Vergleich zum letzten Armutsbericht vor zwei Jahren hat man die Armutsgrenze einfach von 938 Euro auf 781 Euro pro Monat gesenkt. Und die Politik will die Eltern schleichend entmündigen, statt diese zu unterstützen: Die Familienministerin will eine kostenlose Schulspeisung und eine Ganztagsbetreuung für alle Kinder – Kollektiv statt Familie.

Das Robert-Koch-Institut hat das Thema von einer ganz anderen Seite angepackt und die Gesundheit alleinerziehender Mütter untersucht. Die finanziellen Probleme belasten und beunruhigen die vorwiegend jungen Frauen zu 47,7 Prozent. Aber als noch bedrückender empfinden die jungen Mütter die Unsicherheit, wie die eigene Zukunft weitergeht, 49 Prozent sind in Sorge um die Zukunft.

Diese besorgten jungen Mütter und die Kinder ohne gute Zukunft sind unsere Nachbarn, unsere Mitbürger. Und sie sind unsere Zukunft. Aber nur dann, wenn wir die Alarmsignale aufnehmen und als Bürger handeln.

3. Ist der Mensch ein Suchtwesen?

Der neue Roman habe «Suchtpotenzial», rühmt ein Verlag das neuste Werk des Autors. Arme Frau Pott. Als ob es nicht bereits genügend Stoffe mit Suchtpotenzial gebe, vor denen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), geleitet von Prof. Dr. Elisabeth Pott, unablässig warnt. Nicht nur Verleger, auch Autohersteller, Tanzschulen oder Redakteure gebrauchen das Wort Suchtpotenzial oft und gerne fahrlässig positiv, um ihrer Begeisterung für etwas Ausdruck zu verleihen. «frag-mutti.de» preist sogar Buttermilchkuchen mit Mandarinen als Delikatesse mit Suchtpotenzial an. Wie problematisch das ist, zeigt sich, wenn Videospiele oder Handys als Produkte mit Suchtpotenzial beworben werden. Denn sie bringen schnell Leid. Das Familienministerium erkennt «verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung und Dauer» der Verwendung. Und es konstatiert «Entzugserscheinungen wie Nervosität und Schlafstörungen», wenn das Mobiltelefonieren oder Computerspielen untersagt werden. Als ob die stoffgebundenen Süchte wie Drogen- oder Alkoholabhängigkeit nicht schon Gräuel genug brächten, lassen sich mit den nicht stoffgebundenen Süchten legale Geschäfte machen; die Abgrenzung von Normalgebrauch und Sucht ist von Sportwetten bis Computernutzung fast unmöglich. Diese nicht stoffgebundenen Süchte werden nach Ansicht von kritischen Experten unzureichend thematisiert, obwohl sie genauso gefährlich seien.

Die Diskussion auszuweiten, löst aber das Problem nicht, es bekämpft lediglich die Symptome. Dabei kennen wir diese Ursachen von der naturwissenschaftlichen Analyse her genauso wie aus der menschenkundlichen Betrachtung: Der Mensch ist ein Suchtwesen, er kann nach allem ein unkontrolliertes Wollen entwickeln.

Wir leben in Zeiten, in denen die Sucht nach irgendetwas hervorgerufen wird durch eine Sucht nach Höhepunkten. «Make the most of now» lautet die Werbekampagne des Weltkonzerns Vodafone. So beginnen die Jugendlichen mit einem Piercing und einem Tattoo. Da selbst die Bewältigung von Schmerzen Euphorie auslöst, endet die Selbstkasteiung mit Zungenspaltungen und Schlimmerem. Vor allem, weil die Sucht nach Höhepunkten aufgeheizt wird von Gleichgesinnten und einer Unterhaltungsindustrie, unter deren Einfluss der eigene freie Wille auf der Strecke bleibt.

Eine generelle Lösung des Suchtproblems hat uns aber bereits Friedrich Schiller gelehrt: Für den großen Denker schleudern wir zwischen zwei Leitplanken, dem Formtrieb und dem Stofftrieb. Den sinnlichen Stofftrieb, der in die Sucht führt, könne nur die freie Person aus innerem Antrieb mäßigen, meinte Schiller. Hierzu müssen wir zuallererst unseren Kindern zeigen, wie sie ihre eigenen Denk- und Willenskräfte erkennen und entfalten können. Dann haben weder Alkohol noch Computerspiele «Suchtpotenzial» – auch Romane und Buttermilchkuchen nicht.

4. Welche Geschäfte macht Ihre Bank?

Wer wie ich erwachsen wurde, als sich Deutschland zum Wirtschaftswunderland entwickelte, der kennt die Berufsgruppen, denen die Menschen damals trauten: Wir Drogisten lagen weit vorn, aber vor uns im «Vertrauens-Ranking» lagen Pfarrer, Ärzte, Apotheker, Lehrer, insbesondere aber auch die Bankdirektoren und deren Mitarbeiter.

Die Bildzeitung titelte einmal «Dumm-Banker». Wenn man sich wundert, wie eine Berufsgruppe derart in Verruf geraten kann, dass ein Boulevardblatt die «Banker» von oben herab an den Pranger stellen kann, dann findet man viele Gründe. Hauptproblem ist die unfassbar große Gier, die in von den Gierigen selbst geschaffenen «Bonussystemen» gipfelt. Rund 40 Milliarden Dollar zahlten die fünf größten Investmentbanken 2007 an ihre Mitarbeiter an «Leistungsprämien» aus. Jetzt sind sie pleite, verkauft oder marode. Überall auf der Welt müssen Regierungen jetzt Milliarden transferieren. Auf Staatskosten – der Staat sind aber die Bürger.

Das Handeln vieler Banken sei aber doppelt verantwortungslos, meint der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Die Banken hätten vor allem in Amerika die Gier der Häuslebauer geschürt und einkommensschwache Menschen in die Verschuldung verführt, um an riskanten Transaktionen viel zu verdienen. Als «Kasino Kapitalmarkt» hat der ehemalige Staatssekretär Heiner Flassbeck das Treiben bei Hedgefonds, Investment-, Hypotheken- und sogar bei Landesbanken hierzulande und überall bezeichnet, das längst von der Realwirtschaft abgekoppelt ist.