Warten auf den Monsun - Threes Anna - E-Book
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Warten auf den Monsun E-Book

Threes Anna

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Beschreibung

Eine tragische Reise über den Himalaja, ein verhängnisvoller Bannfluch, ein Schneider mit magischen Kräften – eine hinreißende Liebesgeschichte. Bombay, 1946. Zehn Jahre hat Charlotte Bridgwater in einem Internat in England verbracht. Jetzt steht sie am Hafen von Bombay und wartet auf ihren Vater, einen englischen Major. Aber sie wird nicht mit ihm nach Hause zurückkehren, denn am Kai steht ein englischer Soldat, in den sie sich auf der Stelle verliebt. Rampur, 1995. Charlotte Bridgwater wohnt nach einem bewegten Leben wieder mit ihrem Vater im Haus ihrer Kindheit. Die große Villa ist inzwischen verfallen. Vorbei sind die Zeiten, in denen hohe Militärs in Galauniform sich mit ihren Frauen zu großen Festen einfanden. Das Wegdwood-Service mußte ebenso verkauft werden wie die Rubine aus dem großen Kristallüster. Den letzten Rubin versetzt Charlotte, um Stoff für ein Kleid zu kaufen, das sie zur Gala des New Rampur Club tragen will. Auf dieses Fest freuen sich alle, auch wenn das Leben in der Stadt unerträglich geworden ist, man leidet unter der Hitze, wartet auf den Monsun. Als der Schneider unerwartet stirbt, ruhen alle Hoffnungen auf Madan, der sich vom bettelnden Straßenkind zu einem begnadeten Schneider entwickelt hat. Er mietet sich bei Charlotte ein und beginnt mit seiner Arbeit. Das schönste Kleid aber näht er für Charlotte, die an diesem Abend über die Tanzfläche wirbelt wie »eine feurige Blume«. Da tauchen Wolken am Horizont auf; keine Regenwolken. Vor dem Hintergrund von einhundert Jahren indisch-englischer Geschichte erzählt Threes Anna die wunderbare und anrührende Liebesgeschichte zwischen einer englischen Lady und einem viel jüngeren indischen Schneider.

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Seitenzahl: 738

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Threes Anna
Warten auf den Monsun
Roman
Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert

Insel Verlag

Titel der Originalausgabe:

Wachten op de moesson

Signatuur, Utrecht 2010

Die Übersetzung des Buches wurde gefördert

von der Dutch Foundation for Literature.

eBook Insel Verlag Berlin 2011

© der deutschen Ausgabe Insel Verlag Berlin 2011

© 2010 uitgeverij Signatuur, Utrecht

© 2010 Threes Anna

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

eISBN 978-3-458-74890-8

www.inselverlag.de

Für

meinen lieben Vater,

der nie in einem Krieg

kämpfen mußte

1995

Rampur

Wenn ihre Seele so makellos gewesen wäre wie ihr Rasen, dann wäre sie in jenem Jahr nicht gestorben. Sie glich dem alten Lloyds, der jahrelang der einzige elektrische Rasenmäher weit und breit gewesen war. Daß auf ihn noch Verlaß war, lag an der Marke und nicht an der Liebe.

Sie schob das leise brummende Gerät vor sich her. Am Horizont rötete sich der Himmel, und das Stromkabel war inzwischen bis zum Ende ausgerollt. Charlotte wendete den Lloyds mit einem Ruck und ging zurück zum Haus. Das war noch mühsamer, denn nun ging es bergauf, und sie mußte aufpassen, daß sie nicht über das Kabel fuhr. Sie schnaufte vor Anstrengung, wieder hatte sie es gerade noch rechtzeitig geschafft. In der Ferne hörte sie den Bus zur ersten Fahrt des Tages starten, in einem der Häuser unten an der Straße ging ein Licht an, die Grillen hatten aufgehört zu zirpen, und die Vögel träumten noch. Langsam wachte Indien auf.

Charlotte schob den Lloyds in den Schuppen und rollte das lange, aus etlichen Verlängerungsschnüren zusammengesteckte Kabel auf. Jedesmal, wenn sie nach Neu-Delhi mußte, hatte der Gärtner sie gebeten, ihm ein zusätzliches Kabel mitzubringen, damit er auch noch weiter unten mähen konnte. Bis vor einem halben Jahr, da war er eines Morgens nicht mehr aufgewacht.

Charlotte hatte den Mali um seinen friedlichen Tod beneidet. Als man sie geholt hatte, war es noch dunkel gewesen, so wie jetzt. An der Rückwand des Schuppens, neben dem alten Lloyds, stand sein einfaches Bett, zusammengeschustert aus Holz und Seilen. Der alte Mann lag darauf ausgestreckt in einem langen weißen Hemd, die Hände auf der Brust gefaltet, die Füße etwas auseinander, durch den dünnen, durchscheinenden Stoff sah man den Brustkorb, und die Augen waren geschlossen. Es sah aus, als bete er. »Du hast einen besseren Gott als ich«, hatte sie geflüstert.

Nach dem Frühstück hatten drei ihr bis dahin unbekannte Neffen den Leichnam abgeholt. Charlotte war es noch immer ein Rätsel, wie Neuigkeiten sich so schnell verbreiten konnten. Die Männer hatten die Leiche in ein Tuch gehüllt und auf eine Tragbahre aus Bambus gelegt. Alle irdischen Besitztümer wurden in ein anderes Tuch gewickelt und verschwanden in einer Tasche. Nachdem Charlotte ihnen Geld für die Einäscherung gegeben hatte, waren sie gegangen, zwischen ihren Schultern den hin und her schwankenden Leichnam. In der Woche darauf hatte sie versucht, das Bett zu verkaufen, aber niemand wollte etwas bezahlen für das klapprige Holzgestell, auf dem der Mali gestorben war.

Sie legte das Kabelbündel wieder aufs Bett. Es war Zeit für den Tee, bevor die Sonne das Land versengte und alle Vögel verstummten außer dem Kuckuck. Im Küchenhaus, das zwanzig Meter vom Haupthaus entfernt stand, ging das Licht an. Charlotte huschte die breite, monumentale Treppe hinauf und ging zurück in ihr Schlafzimmer. Sie wollte nicht, daß Hema sie in der alten Arbeitshose sah.

Hema, der Butler, hieß eigentlich Hemavatinandan. Diesen Namen hatte sie sich schwer merken können, und darum hieß er schon seit neunundzwanzig Jahren Hema; daß das ein Mädchenname war, wußte Charlotte, die selbst mit vollem Namen Charlotte Elizabeth hieß, nicht. So wie sie auch nicht wußte, daß Hema in der Küche wartete, bis sie mit dem Mähen fertig war und den Rasenmäher wieder im Schuppen verstaut hatte, bevor er das Licht anmachte. Im Dunkeln hatte er schon Vorbereitungen getroffen, denn er wußte, daß sie sofort nach dem Tee klingeln würde, wenn sie wieder in ihrem Schlafzimmer war.

Charlotte warf die Schlappen von den Füßen und zog die Hose aus, ihr Baumwollnachthemd hatte sie anbehalten, mit einem Seufzer schlüpfte sie unter das Moskitonetz zurück ins Bett. Die Fenster und Läden des Schlafzimmers standen sperrangelweit offen, und das Laken fühlte sich endlich kühl an. In einer Viertelstunde würde die Sonne brutal und stechend in den Tag eintreten. Einen Tag, dem sie wie jedem Dienstag mit Schrecken entgegensah, jetzt in den heißen Monaten noch mehr als sonst. Sie zog an der Schnur neben dem Bett. Draußen hatte sich der Himmel rosa gefärbt, die Vögel unter dem Fenster zwitscherten, eine leichte Morgenbrise blies den letzten Hauch Nachtluft in ihr Zimmer. Sie streckte sich lang aus und wartete auf den Tee.

In der Küche ertönte die Klingel. Hema wischte sich den Schweiß von der Stirn und legte die Butangasflasche auf die Seite. Das Feuer unter dem Wasserkessel war schon zweimal ausgegangen, und er hatte keine Reserveflasche im Haus. Er hatte versucht, an der alten Feuerstelle in der Ecke ein Feuer zu entfachen, aber die Kohlen wollten nicht brennen. Mit schnellen Schritten ging er zum Schuppen. Unter dem Bett zog er den zerbeulten Petroleumkocher hervor, den der Gärtner benutzt hatte, und nahm ihn mit in die Küche. Die meisten englischen Haushalte besaßen schon seit Jahren einen Elektroherd, aber Charlotte hatte ihm gesagt, auf einem so modernen Herd gekochtes Essen schmecke ihr nicht. Hema war es schleierhaft, wie sie den Unterschied merken konnte.

Das Tablett mit der Teekanne stellte er neben ihrem Bett ab und schenkte ihr eine Tasse ein.

»Hattest du die Klingel nicht gehört?«

»Sorry, Charlotte Memsahib.« Hema senkte den Kopf. »Die Gasflasche war leer, und es ist keine neue da.«

»Wir haben doch noch Kohlen, oder?«

Hema nickte und schloß die Fensterläden.

»Der alte Bobajee hat immer auf einem Kohlefeuer gekocht«, erklang es vom Bett. Daß der alte Koch nie selbst das Feuer angezündet, sondern jedesmal den Gärtner zu Hilfe geholt hatte, war auch etwas, was Charlotte nicht wußte. Sie trank einen Schluck Tee und lächelte. »Zum Glück schmeckt dein Tee besser als der vom alten Bobajee.«

Hema zog die Vorhänge vor die Fensterläden, und im Zimmer war es wieder völlig dunkel. Gepolter war zu hören, eine Glühbirne ging an, und der Ventilator an der Decke begann sich zu drehen. Charlotte blickte auf den Rücken des Mannes, der wieder ans Fenster trat.

»Ma’am?« Hema zog die Vorhänge glatt.

»Ja?«

»Kann ich eine neue Gasflasche kaufen?«

»Warum nimmst du nicht die Kohlen?«

Hema senkte den Kopf noch tiefer. »Yes, ma’am, aber ich habe so viel zu tun.«

»Das weiß ich, Hema. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn du erst die Kohlen aufbrauchst, bevor wir eine neue Flasche besorgen.«

Barfuß ging der alte Mann zur Tür, den Kopf noch immer gesenkt, und murmelte: »Natürlich, Charlotte Memsahib, natürlich.«

Charlotte schloß die Augen. Die erste Morgenhitze kroch durch die Ritzen der Fensterläden ins Schlafzimmer. Sie hörte, wie Hema die Badezimmertür öffnete und den Wasserhahn über der Wanne aufdrehte.

»Denkst du daran, die Oberlichter im Kinderzimmer zu schließen?« rief sie ihm nach.

Oben im Treppenhaus schlug die Uhr sechsmal, auf dem Dachboden suchte eine Taube die Öffnung, um hineinzufliegen, und Hema nahm den Schlüssel von dem Nagel, der neben der Kinderzimmertür hing. Alle versuchten, die ersten Stunden des Tages zu nutzen, bevor es zu heiß wurde und sich niemand mehr bewegen mochte. Charlotte öffnete die Augen und sah, daß Grashalme an ihren Füßen klebten. Sie hoffte, daß Hema es nicht gesehen hatte. Es gab vieles, was Charlotte nicht wußte, aber eines wußte sie genau: Hema hatte noch immer sehr gute Augen. Ihre Hand griff aus dem Moskitonetz heraus zum Nachttisch. Sie zog die Schublade auf und tastete zwischen Arzneifläschchen, Taschentüchern und anderem Krimskrams, bis sie hinten in der Ecke auf ein Kästchen stieß. Es war aus Holz und früher einmal himmelblau gewesen; inzwischen war die Farbe abgeblättert, und es war schmuddelig. Charlotte ergriff es und nahm es unters Moskitonetz. Sie zögerte, schien es zurücklegen zu wollen, öffnete es dann doch. In dem Kästchen lagen eine Zigarette und ein Feuerzeug. Ihre Nasenflügel bebten etwas, und ihre Zungenspitze fuhr über die Oberlippe. Die Geräusche im Haus verstummten, draußen brachen die Vögel ihren Morgengesang ab. Sie steckte sich die Zigarette in den Mund und knipste das Feuerzeug an, bewegte es langsam zur Spitze der Zigarette, hielt jedoch im letzten Moment inne. Charlotte nahm einen tiefen Zug von der nicht brennenden Zigarette, saugte ihn genießerisch in die Lunge, um anschließend große imaginäre Rauchwolken auszupusten. Sie entspannte sich und schnippte die Asche in den fiktiven Aschenbecher, der neben ihr auf dem Bett stand. Wieder nahm sie einen Zug, noch tiefer als der erste. Sie spitzte die Lippen und blies den Rauch langsam aus. Der Tag hatte angefangen.

Charlotte fuhr auf ihrem alten Raleigh den Hügel hinunter. Ihr Rock und ihre Haare flatterten, und die staubige Erde wirbelte durch die rasante Fahrt auf. Unten, wo der Pfad auf die Straße traf, stand ein rostiges Verkehrsschild, von dem niemand mehr wußte, daß es ein Vorfahrtsschild war. Sie überquerte, ohne nach links und rechts zu sehen, die Straße. Ein LKW-Fahrer, der gerade mit einer Ladung Wassermelonen um die Kurve kam, verfluchte sie, doch das hörte sie nicht, denn in dem Moment fuhr sie schon am Gemüsestand vorbei, wo ein Mann mit krummen Beinen Mandarinen zu einem hohen Berg auftürmte. Er hob grüßend die Hand. Charlotte winkte dem Mann zu, der gut Fahrradschläuche flicken konnte. Ihr Tempo wurde nun langsamer, nicht, weil sie es wollte, sondern weil der Hügel in die ebene Straße überging, die an den Stadtrand führte. Auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißtropfen, der Rock klebte ihr an den Beinen, und ihr Atem ging schneller. Der Staub, der der Luft ihren grauen Farbton gab, haftete an ihrer Haut. Sie spürte ihre Knie und verwünschte den alten Drahtesel. Ein Auto hupte, und Charlotte sah sich ermattet um. Hinter dem Chauffeur saß die Frau von Nikhil Nair, wie immer ganz in Rosa, und winkte. Ihre Lippen bewegten sich, aber was sie sagte, war nicht zu verstehen; niemand käme auf die Idee, das Fenster eines Autos mit Klimaanlage herunterzukurbeln, wenn es nicht unbedingt sein mußte. Charlotte nahm die Hand vom Lenker und winkte zurück. Einen Moment hoffte sie, die Frau des Distriktsdirektors der Eastern Indian Mining Company würde sie mitnehmen, doch der Wagen überholte sie, und sie schnappte in der Wolke von Auspuffgasen nach Luft.

Wenn sie vor drei Wochen nicht Probleme mit dem Magen gehabt hätte, dann hätte Charlotte das regelmäßige Dienstagmorgentreffen nicht versäumt. Ein Professor aus Kalkutta hatte einen Vortrag gehalten und den Damen erklärt, wie wichtig tägliche Bewegung im Kampf gegen Cellulite sei. »Aha! Deshalb das Fahrrad!« hatte eine der Damen gerufen, und die anderen hatten genickt. Keine von ihnen hatte nämlich begriffen, warum Charlotte, die jahrelang mit dem Auto gekommen war, den Vauxhall verkauft hatte und nun mit dem Fahrrad kam. Das Auto verschwand in der Ferne. Sie wußte nicht, was für eine Marke es war, aber daß es neu, groß und teuer war, war für niemanden ein Geheimnis. Ein Geheimnis aber war es, daß Nikhil Nair Charlotte die Pendeluhr abkaufen wollte, die große Standuhr, die schon seit ihrer Kindheit im Treppenhaus stand und die ihr Großvater auf einem Tandem über den Khaiber-Paß transportiert hatte, während seine Frau zu Fuß hinterherlief. Wieder hupte ein Auto lange, diesmal war es kein Clubmitglied, sondern der Fahrer des LKW mit den Wassermelonen. Charlotte sah auf die Uhr, die über einer Ladentür hing, in zehn Minuten würde das Treffen anfangen. Ein Arzt, der sich auf Nägel spezialisiert hatte, würde heute einen Vortrag halten. Charlotte hatte als Kind selten frische Milch getrunken und erklärte sich damit, daß ihr ständig die Fingernägel abbrachen. Eigens zu diesem Anlaß hatte sie sich die Nägel gut gefeilt und knallrot lackiert, mit Nagellack in der einzigen Farbe, die sie noch besaß, denn die Damen des Clubs würden ihre Hände gegenseitig mit erhöhter Aufmerksamkeit mustern.

Plötzlich überquerte eine Kuh die Straße. Sie konnte dem Tier gerade noch ausweichen. Es trabte zu einem Holzkarren, der am Straßenrand stand und mit einer großen eisernen Tonne beladen war. Die Kuh stieß mit ihren Hörnern gegen die Tonne, ein kleiner Junge, der auf dem Rand des Karrens saß, rief der Kuh etwas zu, verschwand in der Tonne und kam mit einem Eimer Wasser wieder zum Vorschein, den er über dem Kopf des Tieres ausgoß. Die Kuh öffnete das Maul. Das Wasser gluckerte hinein, und das Tier trank gierig. In der Ferne ertönte ein gellendes, an- und abschwellendes Geräusch. Immer, wenn sie die Sirene eines Feuerwehrautos hörte, setzte Charlottes Herzschlag kurz aus. Sie sprach ein Stoßgebet; hoffentlich war es kein großes Feuer, und hoffentlich kam niemand um, vor allem kein Feuerwehrmann. Das Sirenengeheul verebbte, ohne daß sie den großen roten Wagen zu Gesicht bekommen hatte. Vielleicht ist das auch besser so, dachte sie. Der Junge kletterte mit einem zweiten Eimer aus der Tonne und goß das Wasser großzügig ins Maul des Tieres. Charlotte hatte auch Durst, im Club würden Tee und Kaffee und eine Kanne mit Eiswasser auf sie warten.

Sie radelte durch das Tor. Im Schatten des Wachhäuschens schlief der Wächter, in der Hand eine leere Colaflasche, und unter einem blau-weißen Sonnenschirm lag der Hund des Sekretärs hechelnd neben seinem Wassernapf. Der Rasen des New Rampur Club war gelb und verdorrt, und der Bach, der das Gelände durchzog, war völlig ausgetrocknet. Die Eukalyptusbäume an der langen Zufahrt warfen Schatten auf den Weg und sorgten für ein wenig Kühlung. Vor sich sah sie das Clubhaus, errichtet im klassischen englischen Countrystil und umgeben von hohen, alten Platanen. Hinter sich hörte sie ein Auto. Sie fuhr zur Seite. Der Ambassador von 1963 der Witwe Singh passierte sie in voller Fahrt, am Steuer der betagte Chauffeur. Charlotte hob die Hand nicht, denn die Witwe Singh winkte nie, sie schlief. Sie schlief immer, ob im Auto oder bei einem Vortrag. Kaum saß sie zwei Minuten irgendwo, sackte ihr Kopf nach vorn, und sie begann leise zu schnarchen. Charlotte genoß den Windstoß, der sie bei der Vorbeifahrt des Autos streifte.

Das Haus des New Rampur Club benötigte gelinde gesagt eine gründliche Sanierung, und für die Bibliothek galt das noch mehr. Die meisten der mehreren tausend Bücher waren von kleinen schwarzen Käfern angefressen, auch die Mäuse hatten sich ihren Anteil geholt, und durch die häufigen Wassereinbrüche während des Monsuns hatten sich die dicht an dicht stehenden Bücher auf den obersten Regalbrettern in Klumpen aus zusammenklebenden Seiten verwandelt. Es roch dumpf und modrig.

Pfarrer Das, der selten in den Club kam, ging mit einem schweren Bücherstapel in die Bibliothek. Schon mit zwanzig hatte er eine Glatze bekommen und vielleicht deshalb seine ganze Eitelkeit auf seinen Schnurrbart gerichtet, der imposant und schwarz gefärbt war. Er schob die Frauenzeitschriften auf dem Lesetisch beiseite und legte seine Bücher auf den Platz. Die Tür zum Damenzimmer stand einen Spalt offen, und er hörte das Geplapper des Dienstagmorgenclubs, dessen Mitglieder sich gerade dem Gastredner vorstellten. Ohne hinzusehen schloß er leise die Tür, in die abgedunkelte Bibliothek kehrte wieder Ruhe ein.

Der Pfarrer fuhr damit fort, seine Bücher aufzustellen. Über seinem Kopf lief der Ventilator auf der höchsten Stufe, und die einzige noch funktionierende Neonröhre sirrte. Vor fünf Monaten hatte der Damenclub auch ihn eingeladen. An seinen Vortrag über wohltätige Zwecke dachte er lieber nicht zurück. Wochenlang hatte er daran gefeilt und christliche Bettelbriefe aus ganz Indien in einer Plastikmappe gesammelt. Er hatte den Damen von Kinderarbeit, Armut auf dem Land, Ritualmorden und Witwenverbrennungen erzählt, aber sie hatten beschlossen, daß ihre jährliche Clubspende einer abtrünnigen Nonne aus Kalkutta zukommen solle, die ein Hundeasyl eröffnen wollte. Wie dieser Brief zwischen die anderen geraten war, konnte sich Pfarrer Das nicht erklären. Er hatte das Gesuch vorher nie gesehen und verdächtigte die Frauen, daß sie ihm die von Rechtschreibfehlern strotzende Epistel in seine Mappe geschoben hatten, als er einen Moment wegsah.

Verschwitzt und staubig trat Charlotte in die Bibliothek. Eigentlich hatte sie sich im Umkleideraum des Tennisplatzes frisch machen wollen, doch der war besetzt, also hatte sie sich in der Damentoilette Hände und Gesicht gewaschen, rasch die Haare gekämmt und den schlimmsten Staub vom Kleid geklopft. Sie wunderte sich, Pfarrer Das am Tisch mit den Frauenzeitschriften zu sehen, es wurde gemunkelt, er sei dem Club nur beigetreten, um seine Gemeindemitglieder besser kontrollieren zu können, und als sie ihn nun so verstohlen am Lesetisch sitzen sah, konnte sie sich vorstellen, daß die bösen Zungen die Wahrheit sprachen.

»Guten Morgen, Mrs. Bridgwater, wie geht es Ihnen?« sagte er genauso laut wie in seiner Kirche, und er dachte bei sich, daß sie trotz ihres Alters noch recht ansehnlich war.

»Danke, Herr Pfarrer, mir ist ein bißchen warm, aber sonst kann ich nicht klagen. Und Sie?« Charlotte wollte weitergehen, doch der Pfarrer stellte sich ihr in den Weg.

»Kennen Sie dieses Buch?« Er drückte ihr ein Buch mit dem Titel Der Herr, auch bei Regen mein Hirte in die Hand.

»Nein, aber ein bißchen Regen könnten wir gut gebrauchen. Und Kühle.« Charlotte stellte sich direkt unter den schnell rotierenden Ventilator.

»Das Buch ist sehr gut, ich habe es gerade aus, Sie müssen es lesen.« Er sprach nun leiser. »Es beschreibt die Probleme einer Immigrantenfamilie mit … äh … einem dementen Vater.«

Das letzte Mal, als Charlotte dem Pfarrer mit einem Stapel Bücher begegnet war, hatte er versucht, ihr ein Buch über eine Frau mit lockeren Sitten aufzuschwatzen, die Missionarin in Afrika geworden war. Sie hatte ihm gesagt, daß sie nur richtige Literatur mochte. Worauf er ihr einen endlos langen Vortrag über den Wert von Erbauungslektüre hielt und sie erst gehen ließ, nachdem sie ihm versprochen hatte, das Buch zu lesen. Also nahm Charlotte das Buch, das er ihr reichte.

»Das ist ja sehr interessant.« Sie drehte es um und las flüchtig den Umschlagtext.

Der Pfarrrer blickte auf ihre rot lackierten Fingernägel. »Wie hat Ihnen das andere Buch gefallen?«

»Wirklich bemerkenswert.« Daß das Buch noch ungelesen auf einem Stapel in ihrem Wohnzimmer lag, ging Pfarrer Das nichts an. »Wenn Sie nichts dagegen haben, gehe ich jetzt zum Dienstagmorgenvortrag. Ich glaube, es hat schon angefangen«, sagte sie und wollte weitergehen.

Der Pfarrer nickte, trat aber nicht zur Seite. Er zeigte auf die Plakette über der Tür. »Ihr Vater …«

Charlotte blickte hoch auf die Reihe Namen an der Wand. Ihr Vater hatte sich immer damit gebrüstet, daß er den Bau der Bibliothek bezahlt hatte, und sie war froh, daß er nicht wußte, wie heruntergekommen sie nun aussah. Der Pfarrer rückte näher an sie heran. Charlotte versuchte einen Schritt zurückzutreten, aber der Tisch mit den Frauenzeitschriften machte es unmöglich.

»Mrs. Bridgwater …« Er schnaufte ein bißchen. »Ich sammle Geld für die Restaurierung der Bibliothek. Sie wissen doch, daß wir hier eine große Sammlung religiöser Bücher haben?« Er zeigte auf die hohen Regale hinter ihr, voller Bücher, die zum größten Teil noch nie jemand ausgeliehen hatte. »Ich dachte… es wäre wunderbar, wenn Sie … als eine Art Familientradition… eine Würdigung des Werks, das Ihr Vater seinerzeit … eine Spende leisten würden.«

Der vorvorige Pfarrer war kurz nach dem Tod von Mathilda Bridgwater beim Major erschienen und hatte ihn gefragt, ob er nicht zum Andenken an seine Frau eine Bibliothek gründen wolle. Der Major hatte ihm fest ins Gesicht geblickt – so lange, bis der Pfarrer unsicher geworden war und gemurmelt hatte, ein Bücherschrank sei auch willkommen. Victor Bridgwater hielt die Sache mit den Büchern für eine gute Idee, denn seine Frau war mit Vom Winde verweht in den abgemagerten Händen gestorben. Der Major brummte, er werde den Bau einer Bibliothek unterstützen, aber nur unter der Bedingung, daß alle religiösen Bücher ganz oben in den Regalen stünden. In seiner euphorischen Stimmung damals konnte der Pfarrer nicht ahnen, wie hoch die Regale sein würden; an die obersten Fächer kam nämlich niemand heran, und so blieb seine Büchersammlung ungelesen.

»Ich denke darüber nach«, sagte Charlotte nach einigem Zögern zu dem Pfarrer, und er ließ sie durch ins Damenzimmer.

1934

Rampur

Von unten erklingt Musik. Charlotte hockt neben der großen Standuhr, die neunmal schlägt. Alle Kerzen in dem riesigen Kronleuchter im Treppenhaus brennen. In der marmorgetäfelten Eingangshalle treffen die Offiziere der örtlichen britischen Armeebasis in ihren Galauniformen ein, am Arm ihre Frauen in prächtigen Abendkleidern. Die indischen Dienstboten tragen nagelneue Livreen, gelbe Jacken und dunkelblaue Hosen mit goldenen Biesen. Die Tür eines der Badezimmer öffnet sich, und eine Frau mit kunstvoll hochgestecktem blondem Haar tritt heraus. Sie trägt lange Ohrringe, ihre Lippen sind dunkelrot. Sie kichert, als ein Offizier mit vielen Orden auf der Brust ihren Arm nimmt und sie die Treppe hinabführt. Hinter sich hört Charlotte die Stimme ihres Vaters, schnell huscht sie wieder ins Kinderzimmer und schließt geräuschlos die Tür. Auf einer Matte neben ihrem Bett liegt Sita, ihre Ayah, und schläft. Sie haben den ganzen Tag miteinander gespielt, aber als sie für Charlotte ein Schlaflied sang, schlief die junge Inderin selbst ein. Das Mädchen schleicht weiter. Die Balkontür steht offen, sie blickt sich kurz um, aber Sita hat sie nicht gehört.

Die Auffahrt wird von Fackeln beleuchtet, und neben dem Haus parken glänzende Autos. Auf der breiten Treppe zum Haupteingang liegt ein roter Läufer, und Männer mit blauen Jacken und goldfarbenen Mützen stehen mit Federbüschen in den Händen Spalier. Bevor die Gäste ins Haus treten, streuen zwei Diener Rosenblätter vor ihre Füße. Der süße Duft steigt zum Balkon hoch. Charlotte wünscht sich, schon groß zu sein.

Hinter ihr ertönt plötzlich wieder die Stimme ihres Vaters. Sie duckt sich, aber merkt dann, daß er im Schlafzimmer ihrer Mutter ist, das an das Kinderzimmer grenzt. Charlotte kriecht zum offenen Fenster und linst über die Fensterbank in das gelbe Zimmer. Ihre Mutter sitzt vor dem Frisiertisch, sie trägt ein langes, lindgrünes Kleid und im Haar ein goldenes Diadem. Mit einem Pinsel malt sie sich die Lippen rot an.

»Komm, Mathilda, du bist fertig.« Ihr Vater steht in vollem Ornat an der Tür, er tippt mit dem Säbel an die Sohle seines Stiefels, auf seiner Brust prangt ein Orden.

»Fast, Victor, fast«, lacht ihre Mutter, während sie mit dem Pinsel in aller Ruhe die Form ihres Mundes etwas verändert. »Gefällt dir die Farbe?«

»Das ist die Farbe der Uniformjacken der Irish Guards.«

»Ja, scharlachrot. Reich mir bitte mal die schwarzen Handschuhe.«

»Die hier?«

»Nein, Victor, die langen.«

Er wirft sie ihr zu.

»Mein galanter Ritter«, lacht sie und zieht die eng anliegenden Handschuhe an. Sie steht auf, geht zu ihrem Mann hin und reicht ihm die Hand. Einen Moment sieht es so aus, als wolle er salutieren, aber dann nimmt er ihre Hand und führt sie aus dem Zimmer.

Charlotte wartet, bis ihre Eltern das Zimmer verlassen haben, und schleicht sich durch die offene Balkontür hinein. Sie war schon einmal, als ein heftiges Gewitter tobte und Sita eine Nacht bei ihrer Familie schlief, in das gelbe Schlafzimmer geschlüpft. Ihre Mutter war nicht aufgewacht; an den warmen, unbekannten Körper geschmiegt, war Charlotte eingeschlafen und hatte sich nach Sitas Armen gesehnt.

Im Zimmer riecht es süß, auf dem Frisiertisch stehen Dutzende Fläschchen. Charlotte nimmt einen kleinen grünen Flakon, zieht den Stöpsel heraus und schnuppert. Sie schließt die Augen und atmet den schweren Duft ganz tief ein. Es riecht nach ihrer Mutter, als sie aus Delhi kam mit dem blauen Sonnenhut. Sie nimmt ein anderes Fläschchen, öffnet es und riecht ihre Mutter, wenn sie in die Kirche geht. Das nächste erinnert sie an ein Gartenfest, und ein rosa Flakon riecht nach ihrer Mutter, mit Schmuck behängt. Eine erwachsene Frau sein ist das Schönste, was es gibt, denkt sie.

Mit einem Ruck wird sie vom Schemel gezerrt. Neben ihrem Spiegelbild sieht sie ihren Vater. Sie hat nicht gehört, wie die Tür aufging. Er hebt sie hoch und geht mit ihr zu dem großen Kleiderschrank, macht ihn auf, steckt sie hinein, macht die Tür wieder zu und schließt sie ab. Charlotte hört, wie die Schlafzimmertür auf- und zugeht. Sie hockt wie erstarrt zwischen den süß duftenden Kleidern ihrer Mutter. Sie beginnt zu weinen: Sita, bitte wach auf, hol mich hier raus! Ich habe Angst!

1935

Rampur

Am Fuß der Treppe steht eine Kiste. Schon seit Wochen. Keiner traut sich, sie anzufassen, denn Major Victor Bridgwater ist zu einem Militäreinsatz abkommandiert, und Mathilda hat an dem Tag, an dem die Kiste ankam, ihren ersten Sohn zur Welt gebracht. Seit ein paar Tagen verläßt sie wieder ihr Zimmer, aber sie hat nicht gesagt, was mit der Kiste passieren soll. Das wuchtige Holzding steht mitten in der Halle, keiner beschwert sich darüber. In den ersten Tagen linsten die Dienstboten, wenn sie mit sauberen Windeln und warmen Kompressen nach oben gingen, neugierig auf die Stempel und Siegel auf dem Deckel, davon überzeugt, daß es etwas mit dem Neugeborenen zu tun habe, aber seit Charlotte dem Kindermädchen erzählt hat, es sei eine Maschine darin, die die Arbeit der Dienstboten machen könne, fürchten sich alle vor der Kiste.

Der alte Butler, mit einem Silbertablett, auf dem eine große Teekanne steht, sieht eine der Fegerinnen schnell an der Kiste vorbeihuschen. »Halt!« sagt er.

Die Mehtar, eine junge Frau in einem ausgebleichten Sari, schaut ihn schuldbewußt an.

»Warum fegst du den Staub nicht von der Kiste?«

»Aber Herr«, flüstert die Frau, »dann bricht es aus!«

»Was?«

»Das eiserne Tier.«

Obwohl er es niemals zugeben würde, fürchtet sich auch der Butler vor dem, was in der Kiste ist. Der Bobajee, der es von seinem Masalchee hat, der mit einem Kuli gesprochen hat, der mit dem Kuli des Postvorstehers befreundet ist, hat ihm erzählt, daß in der Kiste eine Maschine steckt, die laufen und sprechen kann. Der Kuli hat gesehen, wie der Postbeamte die Kiste geöffnet hat, um zu kontrollieren, ob sie wirklich das enthielt, was in den Zollpapieren stand, und er erzählte, wie sein Chef mit einem Schrei den Deckel wieder auf die Kiste geworfen und dann gerufen habe, daß die Kiste so schnell wie möglich zum General, der eigentlich nur ein Major ist, geschafft werden solle.

»Auf der Kiste liegt Staub, und Memsahib beschwert sich sonst.«

»Ich habe drei kleine Kinder«, jammert die Mehtar, »das jüngste kriegt sogar noch die Brust!«

»Wenn du die Kiste nicht abstaubst, kannst du verschwinden.«

»Ich arbeite schon seit fünf Jahren für den General, noch nie hab ich eine Ecke vergessen, sogar unter den niedrigen Schränken fege ich jeden Tag, sogar an dem Tag, als mein Vater verbrannt wurde, bin ich gekommen, um zu fegen, und als ich mein jüngstes Kind gekriegt habe, war ich schon am nächsten Tag wieder da, welche Fegerin macht das?«

»Feg den Staub von der Kiste.«

»Das wird mein Tod«, schluchzt sie. »Können wir es nicht zusammen machen?«

»Ich fege nicht, Butler fegen nie.«

»Aber bleiben Sie dann ganz nah bei mir stehen, wenn ich es tue?«

»Memsahib hat geklingelt. Ich muß nach oben.«

Die Mehtar beginnt zu schluchzen, sie dreht den Besen aus getrocknetem Gras in den Händen.

»Brich den Besen nicht entzwei.«

»Was ist los?« Mathilda schaut über das Treppengeländer auf die beiden Dienstboten, die bei der Kiste stehen.

»Nichts, Memsahib, nichts.«

»Ich dachte, ich hätte jemand weinen hören.«

Der Butler, ein Mann im mittleren Alter, der schon bei mehr britischen Armeefamilien im Dienst war und seit einem halben Jahr für die Familie Bridgwater arbeitet, blickt nach oben. »Nein, Memsahib, es ist alles in Ordnung.«

Die Mehtar rennt mit gesenktem Kopf aus der Halle, und der Butler zupft die Falten seiner Livree zurecht.

»Na ein Glück, du weißt, ich kann es nicht ertragen, wenn jemand weint.« Mathilda geht wieder zum Kinderzimmer, wo Sita dem Baby die Windeln wechselt, und ruft, bevor sie hineingeht: »Sorg bitte dafür, daß die Kiste in den Schuppen kommt, morgen kommt mein Mann nach Hause, um seinen Sohn Donald zu sehen!« – mit der Betonung auf »Sohn«.

Der Butler betrachtet die Kiste, die genauso groß ist wie er und irgendwie aussieht wie ein aufrechtstehender Sarg. Auf einer Seite stehen Buchstaben, aber er hat nie lesen gelernt. Er denkt an seinen Vater, der nach dem großen Krieg zusammen mit dem schottischen Offizier Macintosh einen Tiger für den Londoner Zoo fangen mußte. Einen Tiger zu finden war nicht schwer, einen zu schießen auch nicht, Macintosh hatte in seinem Leben schon mehr als vierzig Tiger geschossen. Aber dieser mußte lebendig sein. Sie hatten eine Kiste gebaut und eine Falle gestellt. Mit dem brüllenden Tiger in der Kiste waren sie in fünf Tagen nach Bombay gefahren, wo der Tiger auf ein Schiff verladen wurde. Sein Vater hatte während der Reise nach Bombay erst einen Zeigefinger und später die ganze rechte Hand verloren, weil Macintosh ihm beim Füttern des Tiers nicht helfen wollte. Der Butler blickt auf seine schönen Hände mit den schlanken Fingern, die unversehrt sind.

Das Personal hat sich vollzählig in der Küche versammelt, in dem Steinhaus im Garten mit einem Dach aus Palmblättern. Vierzig Inder und Inderinnen, alle in Livree, stehen dicht gedrängt in dem engen Raum und sehen den Butler mit erschrockenen Gesichtern an.

»Wer sich nicht traut, kann gehen«, sagt er.

Niemand rührt sich. Die Leute fürchten sich vor dem Butler, alle wissen, daß er aus einer tapferen Familie in Kaschmir kommt und daß ein englischer Zoo einen Tiger nach seinem Vater benannt hat, aber richtige Angst spüren sie erst, wenn sie an den General denken, der morgen nach Hause kommt.

»Nehmt die Stöcke.«

Die Gruppe läuft mit den langen Stöcken zum Haus zurück. Der Butler, seiner Herkunft würdig, hat ihnen den Plan erklärt, wie sie die Kiste transportieren können. Sie sollen die Stöcke auf den Boden legen, die Kiste mit einem anderen Stock umkippen und sie dann wie eine Bahre zum Schuppen tragen.

»Leise, sonst wird das Baby wach.« Der Butler öffnet die Haustür.

In der Halle steht Victor Bridgwater, sein Cane noch unterm Arm. Neben ihm stehen seine fünfjährige Tochter Charlotte und seine Frau Mathilda mit dem Baby auf dem Arm. Die Kiste ist offen.

»Herr General, Sie sind schon da?« stammelt der Butler, verwundert, daß er ihn nicht kommen gehört hat.

»Noch mit dem Blut an meinen Händen«, sagt Victor mit dröhnender Stimme. »Was sollen die ganzen Stöcke? Beschützt ihr so meinen Sohn?« Er lacht und dreht sich zu seiner Frau um. »Deine Truppe scheint mir fähiger zu sein als meine, Tilly.«

Mathilda schaut etwas beklommen auf die Gruppe dunkelhäutiger Männer und Frauen mit Stöcken und ist froh, daß ihr Mann gerade rechtzeitig zurück ist. Warum tragen die Dienstboten plötzlich alle einen Stock bei sich? Sie drückt ihren neugeborenen Sohn fest an sich.

Victor zieht den Deckel von der Kiste und sagt: »Habt ihr schon mal eine elektrische Grasmähmaschine gesehen?«

***

Der General steht oben an der Treppe. Seine Stiefelspitzen ragen über den Rand der obersten Stufe. Unten steht Sita, die Ayah, mit dem weinenden Donald auf dem Arm. Neben dem General steht seine Frau Mathilda. Charlotte, die den ganzen Nachmittag mit Sita und ihren Puppen gespielt hat, huscht lautlos zu ihrer Mutter und sucht deren Hand, die sie zwischen ihren Röcken versteckt hält. Quälend langsam hebt sich die Hand ihres Vaters in den weißen Handschuhen, er deutet mit seinem Offiziersstöckchen auf die Haustür, wo der Butler mit einem Regenschirm steht. Alle starren auf das unbewegliche Stöckchen. Die einzigen Geräusche, die man hört, sind das Weinen des Babys und im Hintergrund das eintönige Fegen der Putzleute im Salon.

»Aber Sarkar …«, kommt es zögernd aus dem Mund von Sita, während sie den weinenden Jungen sanft streichelt, »Chota-Sahib ist klein.«

Das Stöckchen scheint zu wachsen. Sita, in ihrem verwaschenen Sari, geht zögernd zu dem großen grauen Kinderwagen mit Verdeck und Spitzenrand und streichelt den kleinen Donald dabei die ganze Zeit tröstend. Das Baby hört auf zu weinen. Die junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen, nimmt das Kind auf den anderen Arm. Charlotte seufzt erleichtert, sie weiß, daß Sita ihr Brüderchen beschützen wird, so wie sie auch sie immer beschützt. Draußen kracht ein Donnerschlag und zerreißt den Himmel. Der kleine Junge beginnt wieder zu weinen. Charlotte findet die Hand ihrer Mutter und drückt sie fest, ihre Mutter reagiert nicht darauf.

Das Offiziersstöckchen macht eine kleine Bewegung in Richtung des Kinderwagens und zeigt dann wieder auf die Haustür. Sita legt das Baby in den Wagen. Der Junge schreit noch lauter. Sie will das Kind wieder aus dem Wagen nehmen, aber ein Geräusch oben auf der Treppe stoppt sie. Der Butler öffnet die Tür. Regen prasselt auf die Bodenfliesen. Sita schaukelt den Kinderwagen sanft hin und her, sie hofft, daß das Weinen aufhört, aber das Gegenteil passiert, nachdem ein Blitz die Halle erleuchtet, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Langsam fährt Sita zum zweiten Mal einen Kinderwagen mit einem weinenden Kind nach draußen. Als die ersten Regentropfen auf das Verdeck des Wagens treffen, bleibt sie stehen.

»Mitten auf den Rasen«, befiehlt der General.

Das Mädchen schiebt den Wagen vorsichtig die Treppe hinunter. Sie versucht, wie damals bei Charlotte, die Stöße auf den Stufen abzufangen, doch das Kind brüllt immer lauter. Auf dem Pfad schaut sie sich um. Die Tür hinter ihr ist schon zu. Verzweifelt geht sie auf den Rasen, der Regen klatscht auf sie herab. Sie schiebt das Baby im Kinderwagen ganz nach vorn, so weit wie möglich unters Verdeck, damit das Kind nicht triefnaß wird, aber das Geschrei ist ohrenbetäubend. Am Fenster des Salons erscheint die breite Gestalt des Mannes, der gerade von einem Einsatz zurück ist, bei dem er kurzen Prozeß gemacht hat mit einer »aufsässigen Meute Eingeborener«, wie er die Gruppe protestierender Inder nannte. Mitten auf dem Rasen bleibt Sita stehen. Sie beugt sich über den Wagen und versucht den kleinen Jungen zu beruhigen. Sie weiß, daß sie ihn nun allein lassen muß, sonst kommt der General wütend nach draußen, und sie verliert ihre Anstellung. Sie streichelt das Baby noch einmal und deckt es so gut wie möglich zu. Der peitschende Regen läßt nicht nach. Sie geht, läßt den Kinderwagen mitten auf dem Rasen zurück. Als man sie vom Fenster aus nicht mehr sehen kann, hockt sie sich hinter einen Strauch, einen Weihnachtsstern voller Blüten. Sie hört das Weinen trotz des Donners.

Charlotte rennt ins Kinderzimmer zurück. Durchs Fenster sieht sie Sita hinter dem Strauch hocken, nicht weit von dem einsamen Kinderwagen, bereit, jeden Moment aufzuspringen. »Nicht weinen, nicht weinen«, flüstert sie. »Wenn du nicht aufhörst zu weinen, läßt er dich stundenlang draußen stehen, so wie er es mit mir gemacht hat.«

1995

Rampur

Keine sagte etwas, alle Damen schauten den Sekretär des New Rampur Club bestürzt an. Ein einziges Mal war er bisher in ihren Dienstagmorgenvortrag hereingeplatzt, das war, nachdem Herr Chatterjee, der Besitzer der beiden schicken Modeläden im Stadtzentrum, der sehr schlecht Tennis spielte, den Ball durch die Fensterscheibe des Damenzimmers geschlagen hatte. Nun stand der Sekretär wieder dort, er wischte sich den Schweiß von der Stirn, und die Damen starrten ihn an. Die Ventilatoren an der Decke drehten sich auf Hochtouren.

»Sind Sie sich wirklich sicher?« tönte es auf einmal laut aus einer Ecke.

Der Sekretär nickte, er wunderte sich über die Sprecherin, denn die Frau von Alok Nath, dem Goldschmied, sprach sonst immer unverständlich leise, weil sie das vornehm fand.

»Wie bitte?« fragte Witwe Singh, die neben der Frau von Alok Nath saß und von dem unerwarteten Klang der Stimme neben ihr aufgewacht war.

»Das ist nicht möglich! Das kann einfach nicht sein! Ich hab doch noch heute, bevor ich in den Club gekommen bin, ein Stück sehr wertvolle rosa Chinaseide zu ihm gebracht.« Die korpulente Frau von Nikhil Nair, dem Distriktsdirektor der Eastern Indian Mining Company, war aufgestanden und funkelte den Sekretär wütend an. »Er ist persönlich zu meinem Auto gekommen und hat mir den Stoff abgenommen, der Mann sah kerngesund aus.«

Der Sekretär wandte sich an die Frau von Ajay Karapiet, der das größte Hotel der Stadt und zwei Kinos besaß. »Ihr Mann hat mich gerade angerufen. Er hat mir erzählt, daß Ihre Tochter mit einem Brokatstoff in die Werkstatt gegangen ist und daß er in dem Moment, als Ihre Tochter ihm den Stoff geben wollte, die Augen verdreht hat und ohne einen Mucks langsam in sich zusammengesackt ist.«

»Mit dem Brokat in der Hand?« fragte die Frau von Ajay Karapiet fassungslos.

»Das weiß ich nicht«, meinte der Sekretär, »davon hat Ihr Mann nichts gesagt.«

»Ich hab gestern auch Stoff hingebracht«, sagte die Frau, die mit einem Kokosölfabrikanten verheiratet war.

Alle Damen redeten durcheinander. Jede von ihnen hatte in den vergangenen Wochen ein Stück Stoff zu Sanat, dem Darsi, gebracht. Der eine Stoff war noch wertvoller als der andere. Nur Charlotte und die Frau von Adeeb Tata, dem örtlichen Großgrundbesitzer und entfernten Verwandten des steinreichen Ratan Tata, hatten dem Schneider keinen Stoff gebracht – die Frau von Adeeb Tata, weil sie sich schon ein Kleid in Paris gekauft hatte, und Charlotte, weil sie noch Stoff besorgen mußte.

»Ich hätte mein Kleid übermorgen abholen können. Ich muß es noch besticken lassen.«

»Hat er eigentlich einen Nachfolger?«

»Was soll ich jetzt anziehen?«

Viele der Damen trugen ein Kleid oder ein Salwar Kameez, anders als die Damen des Mittwochmorgenclubs, die ausschließlich im Sari erschienen. Die Sachen, alle von Sanat genäht, sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Er benutzte für alle Kleider dasselbe Schnittmuster. Manche hatten lange Ärmel, andere kurze, der Halsausschnitt war bei dem einen eckig und bei dem anderen rund. Darum waren Stickereien, Knöpfe und Spitzen so beliebt, denn es war die Verzierung, die neben dem Stoff selbst für Abwechslung sorgte. In Kürze bestand der Club zweihundert Jahre, und dieses Jubiläum sollte groß gefeiert werden. Deshalb hatten die Damen alles darangesetzt, einen besonderen Stoff zu finden. Charlotte hatte gehört, daß manche sogar nach Neu-Delhi oder Bombay gefahren waren, um die Exklusivität sicherzustellen. Es war unübersehbar, daß sich die Frauen mittleren Alters am liebsten sofort zur Werkstatt des soeben verstorbenen Schneiders aufgemacht hätten, um ihre Stoffe zurückzuholen, doch das schickte sich nicht. Sie würden bis nach der Verbrennung und den darauf folgenden Abschiedszeremonien warten müssen. Die Angst, daß die kostbaren Stoffe bis dahin auf mysteriöse Weise verschwinden oder kleiner werden würden, war nicht ganz unbegründet. Die Frau von Nikhil Nair schlug vor, einen Wachtposten vor die Tür zu stellen, aber die anderen Frauen befürchteten, die Familie des Schneiders könnte das als Mißtrauensvotum sehen. Die Frau des Goldschmieds kannte die Frau eines Neffen des Schneiders und schlug vor, ihn zu bitten, die Sache im Auge zu behalten, aber die Frau des Bauunternehmers, der den Plan zur Sanierung des Clubhauses vorgelegt hatte, erzählte, daß der Hausdiener des Schneiders in seiner Jugend mit der Polizei zu tun gehabt hätte; davon wußte die Frau des Polizeikommandanten nichts, versprach aber, sich bei ihrem Mann danach zu erkundigen. Die Witwe Singh war wieder entschlummert und schnarchte leise.

Der Nagelspezialist, der mit einer Kunststoffhand, an der jeder Finger ein anderes Nagelproblem aufwies, vor der Gruppe stand, schob mit dem Fuß sein Köfferchen langsam näher zu sich hin. Er wollte nach Hause, der schnell rotierende Ventilator über seinem Kopf brachte ihm keine Kühlung mehr. Sein Blick wanderte über die erhitzten Frauen, die gar nicht mehr aufhören konnten, von dem verstorbenen Schneider zu reden und von ihren Sorgen, was sie nun auf dem Fest anziehen sollten. Obwohl er Hunderte Tips für festliche Fingernägel hatte, bekam er keine Chance. Sein Blick blieb an der einzigen europäischen Frau in der Gesellschaft haften. Er fragte sich, wie sie in diesen indischen Damenclub geraten war, es lebten kaum noch Briten in seinem Land, das schon seit Jahrzehnten das Joch des Raj abgeschüttelt hatte. Sie trug das gleiche uncharmante Kleid wie die anderen Frauen, nur hatte ihres ein Schottenmuster, während die meisten Damen Blumen oder florale Muster bevorzugten. Augenscheinlich hatte der verstorbene Schneider nicht viel Talent für das Entwerfen und Nähen von Kleidern besessen.

»Ich kenne einen sehr guten Schneider«, sagte er spontan.

Es dauerte einen Moment, bis die Frauen die Information zur Kenntnis nahmen. Dann bestürmten sie ihn mit Fragen. Wo wohnte der Mann, war er teuer, hatte er schon mal mit echter Chinaseide gearbeitet, kannte er mehr als ein Schnittmuster, aus was für einer Familie kam er, besaß er eine eigene Nähmaschine, wann konnte er anfangen …

»Ich kenne ihn nicht persönlich«, stotterte der Nagelspezialist.

Enttäuschtes Seufzen war zu hören.

»Aber meine Cousine väterlicherseits sagt, daß er ein absoluter Meister ist.« Der Mann blickte auf die Gruppe Frauen vor ihm in ihren Sackkleidern. »Er hat verschiedene Schnittmuster, und er scheint nicht teuer zu sein, aber …« Er zögerte.

»Was aber?« wollten die Frauen wissen.

»Er kommt nur, wenn er es selbst will.«

»Er muß es selbst wollen?« mokierte sich die Frau von Nikhil Nair.

»Er ist äh …«, sagte der Mann, »anders als andere Darsi.«

»So wie die Modedesigner in Paris«, gurrte die Frau von Adeeb Tata, die gern zeigte, daß sie mehr von der Welt gesehen hatte als die anderen.

»Ja, da könnte was dran sein«, sagte der Nagelmann und packte die Kunsthand in sein Köfferchen.

Schnaufend und verschwitzt stellte Charlotte das Fahrrad in den Schuppen. Die Sonnenstrahlen stachen durch die vielen Löcher im Dach. Sie nahm sich vor, den Lloyds und das Fahrrad ins Klavierzimmer zu stellen, wenn der Monsun einsetzte, denn seit sie den Flügel verkauft hatte, benutzte sie den Raum nur noch selten. Sie schlurfte zum Haus, die Hitze, die ihr schon den ganzen Morgen zusetzte, wurde noch schlimmer, und sie sah zu ihrer Erleichterung, daß Hema die Fenster im Kinderzimmer geschlossen hatte. In der Ferne gellte wieder die Sirene. Von neuem setzte ihr Herzschlag aus. Sie hielt Ausschau, ob sie irgendwo Rauch sah, aber am Himmel war kein Wölkchen.

Im Haus hatte sich die Hitze nicht durch die geschlossenen Läden, Vorhänge, Fenster und Türen aussperren lassen. Charlotte machte eine Lampe an, schaltete den Ventilator auf die höchste Stufe und legte sich aufs Sofa, das darunter stand. Ihre Beine pochten, und ihre Füße waren geschwollen. Sie wünschte sich, daß Hema da wäre, er würde ihr eine Schüssel mit kaltem Wasser bringen, aber der Butler war zu einem Laden in der Innenstadt unterwegs, da sie bei den Geschäften im Viertel nicht anschreiben lassen konnten. Sie blickte auf das Büfett, gefüllt mit dem Wedgwood-Service, das sie zur Hochzeit bekommen hatte. Letzten Monat hatte sich ein Händler dafür interessiert, aber einen lachhaft niedrigen Preis geboten. Der Mann war schließlich nur mit der silbernen Suppenkelle abgezogen, die ihre Eltern zu ihrer Hochzeit bekommen hatten.

Charlotte stand auf, trottete die Treppe hoch und ließ im Badezimmer eine Handbreit Wasser in die Wanne ein. Sie entspannte sich, als ihre Füße in das kühle Naß eintauchten. Sie sah auf ihre geäderten Füße in der alten gußeisernen Wanne, der man die vielen Jahre des intensiven Gebrauchs ansah. Ihr Zeh spielte mit der schwarzen Schnur, die am Stöpsel befestigt war. Sie erinnerte sich, wie Donald den Stöpsel immer herauszog, weil er glaubte, die Schnur sei ein Tier. Er fürchtete sich vor Schlangen, so wie er sich auch vor Spinnen und Insekten gefürchtet hatte. Sie hatte lange nichts von ihm gehört. Auf ihren letzten Brief, den sie ihm zu Weihnachten geschrieben hatte, hatte sie nur eine aufwendige Karte zurückbekommen mit einem einfachen Neujahrsgruß, aber ohne Neuigkeiten. Hatte er noch Probleme mit dem Rücken? Und was war mit den Nierensteinen seiner Frau? Das Foto seiner Tochter, vor langer Zeit in Disneyland aufgenommen, stand unten auf dem Kaminsims, Charlotte sah es sich nur selten an. Alte Fotos machten sie traurig.

Unten läutete jemand an der Haustür. Sie zog die Füße aus dem Wasser, lief mit nassen Füßen auf den Gang, die Treppe hinunter und öffnete. Geblendet vom hellen Sonnenlicht, dauerte es einen Moment, bis sie den Mann sah, der vor der Tür stand.

»Mrs. Bridgwater?« fragte er mit näselnder Stimme.

Charlotte nickte.

»Würden Sie bitte hier unterschreiben?«

Charlotte unterschrieb mechanisch, und der Mann verschwand ohne ein weiteres Wort. Beim Wegfahren gab er so viel Gas, daß der Staub auf der Zufahrt hochwirbelte.

Sie riß das Kuvert auf. Eigentlich hätte sie es sich sparen können, denn sie wußte, was in dem Brief stand, nur nicht den genauen Betrag. Sie setzte ihre Brille auf, warf einen raschen Blick auf die Summe unterm Strich und legte den Brief seufzend zu den anderen Rechnungen in die Schublade des Büfetts. Sie schob die Schublade zu, zog sie aber gleich wieder auf und fischte eine Visitenkarte heraus. Sie ging zum Telefon, das neben dem Büfett stand, und rief die Nummer an. Sofort nahm jemand ab. Charlotte hätte den Hörer am liebsten wieder auf die Gabel geknallt, sagte dann aber mit sanfter Stimme: »Hier ist Mrs. Bridgwater.«

An der anderen Seite der Leitung sprach jemand sehr hastig.

»Ja, das große Haus auf dem Hügel«, bestätigte Charlotte. »Wenn Sie Zeit haben, kommen Sie doch noch einmal vorbei.«

1936

An Bord der King of Scotland

Mathilda steht am Kai und winkt ihrer Tochter Charlotte, die hoch über ihr an der Reling steht. Das kleine Mädchen winkt nicht zurück.

»Ich schreibe dir jede Woche!« ruft ihre Mutter.

Charlotte preßt die Lippen fest zusammen.

»Das Geschenk packst du aber erst an deinem Geburtstag aus, versprichst du mir das?«

Die Schachtel, die ihre Mutter ihr im allerletzten Moment gegeben hatte, liegt aufgerissen auf ihrem Bett in der Kabine. Die Puppe mit echtem Haar und einem weißen Kleid hat sie so fest in die Ecke gepfeffert, daß der Kopf abgebrochen ist. Das Schiffshorn ertönt, aus dem Schornstein quillt eine dicke schwarze Rauchwolke.

Charlotte spürt, wie sich das Schiff in Bewegung setzt. Sie hält sich mit beiden Händen an der Reling fest und blickt zu ihrer Mutter hin, die winkt und winkt. Sie kann ihre Stimme nicht hören, das laute Horn ächzt seinen Abschiedsgruß.

»Ach, hier bist du …!« Eine ältere Dame mit einem Schal in der Hand stellt sich neben sie. »Wo warst du denn? Ich konnte dich nirgends finden. Ich will nicht, daß du ohne meine Erlaubnis die Kabine verläßt.« Sie legt ihre Hand auf Charlottes Schulter. Das Mädchen blickt noch immer schweigend zu seiner Mutter in der Ferne. »Du darfst ruhig weinen, Kind, das machen alle beim ersten Mal, ich hab schon Kinder begleitet, die wollten über die Reling klettern, aber die hat der Kapitan dann in der Kabine unten im Schiffsbauch eingeschlossen und erst wieder rausgelassen, als Bombay nicht mehr zu sehen war.« Die Frau winkt mit ihrem Schal. Charlotte sieht, daß ihre Mutter nun auch ihr Taschentuch nimmt und es heftig schwenkt. »Du darfst Tante Ilse zu mir sagen, komm, wink jetzt, du siehst doch, daß deine Mutter auch winkt, zum Abschied muß man winken, los, wink!«

Charlotte umklammert die Reling fester, das Horn brüllt noch einmal und das Schiff fährt ab. Die Passagiere um sie herum rufen: »Auf Wiedersehen!«, »Adieu!«, »Bis nächstes Jahr!«

Die Frau, zu der sie Tante Ilse sagen darf, läßt den Arm sinken. »Wenn du nicht winkst, winke ich auch nicht, ich kenne deine Mutter nicht mal. Komm, wir gehn was essen.« Sie geht in Richtung Speisesaal, aber Charlotte bleibt an der Reling stehen. »Wenn du das die ganze Reise so machst, sag ich dem Kapitän, er soll dich unten im Schiff einschließen.« Charlotte läßt die Reling los und folgt Tante Ilse.

Mathilda steht am Kai und weint.

***

Draußen ist es dunkel, Charlotte öffnet die Tür und blickt in den Gang. Schnell huscht sie aus der Kabine. In der Hand trägt sie ein Bündel. Sie rennt die Treppe hinauf und drückt die schwere Tür auf. Auf dem Promenadendeck ist es still. Alle sind im großen Saal, da wird ein Film gezeigt, den sie nicht sehen darf, weil Tante Ilse das nicht will. Sie geht an der Reling entlang zum Heck, wo die englische Flagge weht. Heute hat sie Geburtstag. Beim Frühstück haben die Leute an ihrem Tisch Happy Birthday für sie gesungen. Der Koch hat eine Torte mit sechs Kerzen gebracht, die sie alle auf einmal auspusten mußte, was sie auch geschafft hat, Tante Ilse hat ihr einen Schal aus ihrem Koffer geschenkt, und nach dem Dinner durfte sie sich das Steuerhaus ansehen, aber das war ihr nicht geheuer, denn der Kapitän war auch da, und sie hatte Angst, daß er sie, wenn sie etwas falsch machte, unten im Schiffsbauch einschließen würde. Sie läuft weiter an den Liegestühlen entlang, das Bündel an die Brust gedrückt. Bei einer Treppe stehen zwei Matrosen und rauchen, aber die bemerken sie nicht. Auf dem Achterdeck ist niemand, sie geht zum Rand und schaut hinunter. Tief unter ihr tost das Meer. Das Wasser ist weiß, und im Mondlicht kann sie die Spur sehen, die sie gefahren sind.

»Müßtest du nicht längst im Bett sein?«

Sie erschrickt. Hinter ihr steht ein Mann, seine schwarzen Haare wehen im Wind.

»Oder war dir der Film auch zu gruselig, so wie mir?«

Charlotte schüttelt den Kopf.

»Wie heißt du? Ich heiße Ganesh, nach dem Gott mit dem Elefantenkopf, zum Glück habe ich nicht so eine lange Nase gekriegt.« Er lacht.

»Ich heiße Charlotte Elizabeth, wie meine Oma. Die ist tot.«

»Wie schlimm! Fehlt sie dir?«

»Nein. Ich habe sie nie kennengelernt.«

Ganesh geht in die Hocke und schaut mit ihr aufs Meer hinaus. Eine Möwe stößt herab und fischt etwas aus dem Wasser.

»Sie ist mit meinem Opa über einen Berg gegangen mit unserer großen Uhr, dabei hat sich ihr Fuß entzündet, es war nämlich so kalt, daß sie sich nicht ausruhen konnten und immer weiterlaufen mußten, der Fuß ist ganz schwarz geworden und mußte ab, sonst wäre sie gestorben, aber dann ist sie trotzdem gestorben, aber mein Vater hat nicht geweint.«

»Du kommst aus einer abenteuerhungrigen Familie, das kann ich von mir nicht sagen. Meine Familie lebt schon seit Jahrhunderten in einer kleinen Stadt am Fuß des Himalaja. Ich bin der erste von uns allen, der auf Reisen geht.«

»Warum?«

»Ich habe ein Stipendium bekommen, um in England zu studieren. Ich darf Ingenieur werden.«

»Ich muß auch in die Schule. In ein Internat, ich bin nämlich jetzt sechs.«

»So groß bist du schon?«

Charlotte nickt heftig. »Ich reise allein«, sagt sie entschieden. »Und ich habe auch nicht geweint.«

»Das ist tapfer. Ich habe aber geweint.«

»Hat dir dein Vater das erlaubt?«

»Nein, aber ich hab’s heimlich gemacht.«

»Allein?«

Ganesh nickt.

»Ich hab auch schon manchmal allein geweint, aber das weiß niemand«, sagt Charlotte leise.

»Ich werd’s nicht weitersagen«, flüstert Ganesh und schließt mit einem imaginären Schlüssel seinen Mund zu.

Charlotte lacht.

»Warum bist du so spät noch auf?«

Das Lachen verschwindet aus ihrem Gesicht. Sie drückt das Bündel wieder an sich und blickt aufs Meer hinaus.

Ganesh wartet.

»Sie muß weg.«

»Wer?«

Charlotte öffnet das Tuch, in das sie die Puppe mit dem gebrochenen Hals eingewickelt hat.

»Willst du sie ins Meer werfen?«

Charlotte nickt. »Tante Ilse hat gesagt, wenn ich auf dem Schiff sterbe, legen sie mich auf ein Brett und werfen mich ins Meer, weil ich sonst anfange zu stinken und die anderen Leute krank werden.«

»Aber sie kann doch noch repariert werden?«

»Nein.«

»Soll ich es nicht mal versuchen?«

»Nein.«

»Wirklich nicht?«

Charlotte schüttelt den Kopf, aber gibt Ganesh die Puppe, der sie sehr vorsichtig hält.

»Was für eine schöne Puppe.«

»Es ist eine doofe Puppe.«

»Sie hat echte Haare.«

»Sie ist doof.«

Ganesh sieht sich die kaputte Puppe an. »Soll ich versuchen, sie zu reparieren?«

Charlotte schweigt.

»Wenn es mir nicht gelingt, übergeben wir sie morgen zusammen dem Meer, mit einem richtigen Brett. Aber wenn ich sie wieder hinkriege, gibst du ihr einen Namen. Einen sehr schönen Namen.«

»Welcher Name ist schön?«

»Khushi zum Beispiel, das bedeutet ›Glück‹.«

1901

Khaiber-Paß

Er hat Angst. Große Angst. William Bridgwater, der junge, ehrgeizige Tiefbauingenieur, aufgewachsen in einer Lehrerfamilie in Ipswich, hat den Fehler seines Lebens begangen. Er hat sich in Elizabeth Charlotte Elphinstone verliebt, Tochter des steinreichen Direktors der New Indian Railway, und sie erwidert seine Gefühle. Sie sind nicht einfach verliebt, sie sind unsterblich verliebt. Seit mehr als einem halben Jahr nutzen sie jede Gelegenheit, um sich heimlich im Garten ihres Hauses zu treffen. Der Garten ist von einer Mauer umgeben, aber ganz hinten zwischen den Sträuchern befindet sich ein kleines Loch, das William vergrößert hat. Elizabeth darf das Haus nicht allein verlassen, weil sich ihr Vater vor den Leuten des Afridi-Stammes fürchtet, die sich hartnäckig gegen das Vorhaben der Briten wehren, eine Eisenbahnlinie über die Berge anzulegen. Gestern abend, als der erste Schnee der Saison die Zelte der Arbeiter bedeckte, hat ihm Elizabeth Elphinstone beim Loch in der Mauer ihren Bauch gezeigt und William gesagt, daß sie schwanger ist.

William hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Das Zelt, das er mit einem anderen Ingenieur teilt, steht am Rand ihres Lagers. Nach dem Frühstück schreibt er einen Brief an seine Eltern und teilt ihnen mit, daß er eine lange Reise unternehmen wird. Nachdem er den Brief in die rot angestrichene Kiste gesteckt hat, die als Briefkasten dient, sagt er den anderen, er müsse aus geschäftlichen Gründen ein paar Tage fort. Mit einem Koffer verläßt er das Lager. Draußen geht er durchs Gebüsch zu dem Pfad, der zum hinteren Bereich des Grundstücks der Elphinstones führt. Er will nicht mit einem Koffer gesehen werden.

Vor dem Loch in der Mauer steht ein Junge mit einer Uhr. William erschrickt. All die Monate konnte er ihrem besitzergreifenden Vater ausweichen, und heute, gerade heute, wird er entdeckt!

Der Junge erblickt William und hebt die Hand.

Als er näher kommt, sieht er, daß es Elizabeth ist. »Bist du fertig?«

Sie nickt.

»Du bist dir sicher, daß es dir nicht leid tun wird?«

Sie schüttelt den Kopf, unter der dicken Mütze, die sie sich übergezogen hat, kommt eine Locke hervor.

William schiebt die Locke wieder in die Mütze und streicht ihr mit dem Finger über die Wange. »Komm, wir gehen.«

Elizabeth deutet auf die Uhr.

William sieht sie fragend an.

»Es ist das einzig Wertvolle, das ich besitze.«

»Eine Uhr! Wir können doch keine Standuhr mitnehmen!«

»Du hast gesagt, ich soll meine Wertsachen mitnehmen. Die Uhr hat mir mein Großvater geschenkt.«

»Hast du nicht eine Kette oder einen Ring?«

Elizabeth schüttelt den Kopf. »Ich hab nur diese Uhr. Und meinen Bauch.«

William wirft einen verzweifelten Blick auf die Uhr, die größer ist als Elizabeth.

»Wenn die Uhr nicht mitkann, komme ich auch nicht mit«, sagt sie trotzig.

»Aber wie?«

Sie zeigt auf das Loch. William sieht, daß im Gebüsch ein Fahrrad steht.

»Es ist eingeklemmt«, sagt Elizabeth.

»Aber ein Fahrrad ist zu klein für die Uhr.«

»Es ist ein Tandem.«

William zieht daran. Krachend bricht ein Stück Stein aus der Mauer, und er fällt samt Tandem rückwärts in den Schnee.

Er zieht die Decke über sie. Es ist dunkel und kalt. Der eisige Wind weht immer mehr Schnee den Berg hinauf.

»Hast du Hunger?«

Elizabeth nickt. William zieht eine Tafel Schokolade aus der Manteltasche. Er bricht ein Stück ab und gibt es ihr. Sie reden nicht. Sie sind zu müde, und sie frieren. William küßt Elizabeth sanft auf den Mund. Sie erwidert den Kuß. Er schmeckt die Schokolade auf ihren kalten Lippen. Sie kuscheln sich aneinander.

»Wenn wir wenigstens ein Feuer hätten«, flüstert Elizabeth.

William zeigt auf die Uhr, die mit zwei Stricken an der Seite des Fahrrades festgebunden ist.

»Nein, nicht die Uhr, die ist für Victor.«

»Victor?«

»So soll er heißen«, sagt sie und legt die Hände auf ihren Bauch.

Es ist noch dunkel. William hält beim Schieben den Lenker, und Elizabeth schiebt von hinten, links hängt die Uhr und rechts der Koffer. William will an Fort Maude vorbei sein, bevor es hell wird. Es ist dort ruhig, seit die Männer vom Afridi-Stamm das Fort in Brand gesteckt haben und die britische Armee abgezogen ist, aber ganz sicher ist er sich nicht. Vor sich sehen sie den höchsten Punkt des Bergpasses. Elizabeth singt leise Kinderlieder, und William dankt dem lieben Gott, daß er ihm diese Frau geschenkt hat. Wenn sie am Abend in Jamrud sind, wird er sich darum kümmern, daß sie ein warmes Bad und ein warmes Bett bekommt. Er wird dafür sorgen, daß es der werdenden Mutter an nichts fehlt. Er kennt ein Hotel, in dem sie gut essen können.

Es beginnt wieder zu schneien. Immer stärker und heftiger bläst der Wind die wirbelnden Flocken zwischen den Bergwänden hindurch. Schweigend laufen sie weiter, das Rad mit der Uhr und dem Koffer zwischen sich.

Der Sturm tobt über den Paß. Unendlich langsam kommen sie voran. Immer wieder bleibt das Tandem im Schnee stecken. Mit vereinten Kräften schieben sie es weiter. Sie bleiben stehen, weil William die Stricke des Koffers und der Uhr straffer ziehen muß. Elizabeth klopft sich solange warm.

»Die Uhr ist die Zukunft«, flüstert sie ihm ins Ohr.

Sie ist Brennholz, denkt William.

Oben auf dem Paß, wo der eisige Wind den Schnee vom Weg gefegt hat, versuchen sie, sich aufs Rad zu setzen, denn jetzt geht es nur noch bergab, aber wegen der Uhr und des Koffers ist es unmöglich.

1901

Jampur

Elizabeth Elphinstone liegt mit hohem Fieber in der kleinen Dachkammer im Haus des alten Kupferschmiedes, der kein Wort Englisch spricht. Nach drei Tagen in dem Hotel, dessen Besitzer immer neugieriger wurde, hatte William jemanden gefunden, der ihnen helfen will. Das Zimmer ist klein und hat keine Fenster, aber es ist trocken und warm.

Elizabeth ißt schon seit Tagen nichts. Sie trinkt nur ein wenig Tee und die Bouillon, mit der William sie füttert. Die Uhr steht in der Zimmerecke. William haßt sie. Wenn die Uhr nicht gewesen wäre, hätten sie den Paß viel schneller überquert, und Elizabeth wäre nicht krank geworden. Die Uhr schlägt zwei Mal. William führt den Löffel mit lauwarmer Bouillon zum Mund der Kranken. Sie verzieht plötzlich das Gesicht.

»Magst du die Bouillon nicht?«

Sie schüttelt den Kopf und versucht etwas zu sagen.

William hält sein Ohr an ihren Mund.

»Es geht los.«

»Was?«

»Das Baby kommt.«

William sieht sie ungläubig an. Elizabeth nickt matt. Er springt auf und ruft, daß er Hilfe holt, aber bevor er an der Tür ist, läuft er wieder zurück zum Bett. »Was brauchst du?«

»Dich.«

»Aber ich weiß überhaupt nicht, wie Babys geboren werden, ich frage den Mann, ob er eine Schwester hat oder eine Mutter, jemand, der was von Babys versteht.«

»Laß mich nicht allein.«

»Ich muß jemand holen. Ich weiß doch gar nicht, was ich machen muß.«

Elisabeths Gesicht verzieht sich vor Schmerz. William rennt aus dem Zimmer, die Treppe hinunter, über den Innenhof, durch das Tor auf die Straße. Er sieht Männer in langen Mänteln. Nirgendwo eine Frau. Er rennt in eine andere Straße, schaut in Durchgänge und durch Tore. Überall sieht er nur Männer. Er rennt zurück. Im Innenhof klopft er an die Tür des Hausbesitzers. Der Mann mit dem langen roten Bart macht auf. Er zieht ihn am Arm die Treppe hinauf. Auf dem Bett liegt Elizabeth und wimmert leise. William zeigt verzweifelt auf ihren dicken Bauch.

Die Frau trägt ein langes schwarzes Kleid und ein Kopftuch. Sie beugt sich über Elizabeth, nachdem sie William vor die Tür gesetzt hat. Der Hausbesitzer bringt Eimer mit warmem Wasser nach oben. William stellt sie ins Zimmer, wird aber von der Frau sofort wieder weggeschickt. Er setzt sich auf die oberste Treppenstufe und hört Elizabeths schwache Schreie.

Die Uhr schlägt neun Mal. Die Frau kommt heraus, ihre Hände sind voller Blut. William stürmt hinein. Auf dem Bett liegt seine Elizabeth totenstill in einer Blutlache. Auf ihrem Bauch liegt, noch an der Nabelschnur, ein blutverschmiertes Baby. Seine Blicke gehen jedoch nicht zu dem Kind, sondern zu der Frau, mit der er alt werden, der Frau, die er den Rest seines Lebens auf Händen tragen wollte. Er weiß es sofort. Es ist vorbei. Sie hat ihn verlassen. Er geht aus dem Zimmer, hinter ihm beginnt das Baby zu weinen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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