Warten auf meinen Herz Buddy - Marc Kritzky - E-Book

Warten auf meinen Herz Buddy E-Book

Marc Kritzky

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Beschreibung

"Ich wollte doch noch die Welt erobern!" Das waren so ziemlich meine ersten Gedanken, als man bei mir 1999 bei einer Untersuchung im Krankenhaus feststellte, dass ich schwer herzkrank bin. Auf den ersten Seiten des Buches fasse ich meine Krankengeschichte zusammen und schildere, wie ich die ersten 20 Jahre mit der Krankheit noch verhältnismäßig gut leben konnte. Im Verlauf der Geschichte wird jedoch deutlich, wie die Einschläge immer näherkommen. Der erste Abschnitt des Buches endet dann mit dem Moment, als sich am 4.11.2019 nach einem dramatischen Herzstillstand zu Hause plötzlich alles änderte. Ich wurde ins Krankenhaus eingeliefert und die Ärzte überlegten dort, was man mit mir machen könnte, um mir wieder ein sicheres Leben außerhalb des Krankenhauses zu gewährleisten. Da man keine andere Möglichkeit sah, entschied man sich, mich für eine Herztransplantation zu listen. In den ersten Tagen der Listung und des Wartens, beschloss ich meinen Tagesablauf im Krankenhaus detailliert zu dokumentieren und zu beschreiben, was mich bewegte. Warten kann sehr anstrengend und beängstigend sein. Zudem ist es interessant zu erleben, was alles während der dreimonatigen Wartezeit auf solch einer Station so passiert. Leute sterben, andere Wartende werden transplantiert, weitere Patienten fliegen nach Monaten des Wartens von der Liste und müssen kurzfristig das Krankenhaus verlassen. Das sind zum Teil dramatische Zustände, vor allem, da die Psyche aller wartenden Patienten angeschlagen ist. Dann war es plötzlich soweit: Endlich das "perfekte" Angebot für mein neues Herz. Im letzten Teil erkläre ich wie es sich anfühlt, wenn man nach der Transplantation auf der Intensivstation wach wird. Wie die Psyche und der Körper auf Grund der Medikamente und der neuen Situation verrückt spielen, wie man versucht weiterzukämpfen und wie sich Psyche und Körper langsam annähern, um am Ende als ein neues starkes Ich wieder aufzustehen. Am Ende heißt es dann zum Glück "Ok, jetzt ist Zeit die Koffer zu packen, denn ich wollte doch noch die Welt erobern"

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Seitenzahl: 178

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WARTEN AUF MEINEN HERZ BUDDY

PROLOG:

Tja, was soll ich sagen, am Ende sitze ich hier und warte.

Nach über 20 Jahren durchlebter Herzkrankheit, vielen Schlägen ins Gesicht, oft auf dem Boden gelegen, mit dem Gesicht im Dreck. Aber wichtig, immer wieder aufgestanden Krone gerichtet und weiter gemacht. Wie heißt es so schön,

„Es zählt nicht, wie oft du hingefallen bist. Was wirklich zählt, ist wie viele Male du wieder aufgestanden bist und weiter gemacht hast“.

Im Idealfall stehst Du halt öfter auf als du hinfällst. Naja, aber am Ende blieb mir leider, nach einem dramatischen Herzstillstand und 40-minütiger Reanimation zu Hause, keine andere Möglichkeit, als mich für eine Herztransplantation zu entscheiden.

Ich oder besser wir (meine Ehefrau Katrin und ich) haben gewusst, dass es gegebenenfalls irgendwann auf uns zu kommt, haben uns auch damit relativ locker mit dem Thema beschäftigt. Und dann, tja, dann war der Moment auf einmal da. Wenn dann der Zeitpunkt jedoch kommt, dann ist doch nochmal alles ganz anders als man es sich zuvor hätte vorstellen können. Jetzt sitze ich hier, bin verängstigt und irritiert. Was war das die letzten Wochen und was wird aus meiner Zukunft?

Die letzten Wochen im Krankenhaus war es ein Auf- und Ab der Gefühle, als ich dann merkte, wie diese Gefühle, Eindrücke und Gedanken langsam anfingen wieder zu verblassen, entschied ich mich dazu diese Situationen und Gedanken in einer Art Tagebuch niederzuschreiben. Dieses Buch soll in keiner Weise technische Details der Medizin und/ oder Therapien erklären, geschweige denn eine Anleitung für irgendwas sein. Ich möchte hiermit vielmehr dem Leser einen Einblick geben, einen Einblick in eine Ausnahmesituation im Leben eines Menschen, der seinesgleichen sucht.

Demjenigen, der sich auf eine ähnliche Reise begeben muss, möchte ich mit diesem Buch zeigen, dass diese völlig irrationalen Gefühle, welche während dieser Wartezeit und auch nach der Transplantation auftreten werden, jeder bekommt und das es ist ganz normal ist. Jeder von uns geht seinen eigenen Weg durch diese Zeit und am Ende hoffen aber alle, dass alles gut wird. Und das wird es auch bei mir werden.

INHALTSVERZEICHNIS

WARTEN AUF MEINEN HERZ BUDDY

Prolog:

1. Wer bin ich

1.1. ) Ok, ich fang dann mal an

1.2. ) Meine Krankengeschichte in Kürze

1.3. ) 1999

1.4. ) 2005-2007

1.5. ) 2008

1.6. ) 2012

1.7. ) 2017

1.8. ) 2019

2. Der Totalausfall

2.1. ) Montag, 04.11.2019, Der letzte Tag

2.2. ) Samstag, 09.11 2019 Die Feuerwehr

3. Die Wartezeit beginnt

3.1. ) Freitag, 15.11.2019 Die Verlegung ins UKE

3.2. ) Mittwoch, 11.12.2019 DIE HU Listung

3.3. ) Wer sind wir?

3.3.1. ) Susanne

3.3.2. ) Martina

3.3.3. ) Michael

3.3.4. ) Thure

3.3.5. ) Harald

3.3.6. ) Naja, und dann gibt es noch mich und meine mich unterstützende Frau Katrin

3.4. ) Worauf warten wir?

3.5. ) 16.12.2019 Das erste Mal und die Wahl zum Hamburger des Jahres

3.6. ) Mittwoch, 18.12.2019 Mein Geburtstag

3.7. ) Donnerstag, 19.12.2019 Die Weihnachtsfeier

3.8. ) Freitag, 20.12.2019 Thure´s Aufs und Abs

3.9. ) Dienstag, 24.12.2019, Heiligabend

3.10. ) Freitag, 27.12.2019 Susanne erleidet einen Zusammenbruch

3.11. ) Dienstag, 31.12.2019 Silvester

3.12. ) Donnerstag, 09.01.2020 Michaels zweiter Geburtstag

3.13. ) Donnerstag, 16.01.2020 Abstimmung im Bundestag

3.14. ) Montag, 20.01.2020 Die Facebookfreundin

3.15. ) Sonntag, 01.02.2020 Der erste Tote

3.16. ) Dienstag, 04.02.2020 Der Tag, an dem so ziemlich alles passierte

3.17. ) Donnerstag, 06.02.2020 Aufarbeitung

3.18. ) Sonntag, 09.02.2020 Michael ist von der Reha wieder da

3.19. ) Montag, 10.02.2020 Erste Angebote treffen ein

3.20. ) Dienstag, 11.02.2019 Ich hasse Menschen, das Loch

3.21. ) Donnerstag, 13.02.2020 Einschläge kommen näher

3.22. ) Samstag, 15.02.2020 Ich wäre dann so weit

3.23. ) Montag, 17.02.2020 Der Sicherheitsfallschirm

3.24. ) Dienstag, 18.02.2020 Herzschmerz

3.25. ) Mittwoch, 19.02.2020 Der genetische Zwilling

4. Das Ende der (Warte)zeit oder der Neuanfang

4.1. ) Freitag, 21.02.2020 Der Plan eines fast normalen Wochenendes

4.2. ) Samstag, 22.02.2020 Ein Traum Termin

4.3. ) Freitag, 28.02.2020 Was ist das?

4.4. ) Sonntag, 01.03.2020 Ich will, ich will, ich will

4.5. ) Montag, 2.3.2020 Auf und ab

4.6. ) Dienstag, 03.03.2020 Entfesselung

4.7. ) Mittwoch, 04.03.2020 Plötzlich Reha

4.8. ) Freitag, 06.03.2020 Langsam, aber stetig ändert sich alles

4.9. ) Samstag, 07.03.2020 Freiheit

4.10. ) Sonntag, 08.03.2020 Erste Ernüchterung

4.11. ) Mittwoch, 11.03.2020 Endspurt

4.12. ) Donnerstag, 12.03.2020 Schmerzhafter Abschied

4.13. ) Samstag 14.03.20202 My Buddy und die Maske

4.14. ) Montag, 16.03.2020 scheiß Corona (sorry Darling, ich meine nicht Dich)

5. Zwischenstation Reha, auf dem Weg in ein „normales Leben“

5.1. ) Dienstag, 17.03.2020 Aufbruch zur Reha

5.2. ) Freitag, 20.03.2020 Die ewigen Prüfungen

5.3. ) Sonntag, 22.03.2020 Die allgemeine Beschränkung der sozialen Kontakte

5.4. ) Montag, 30.03.2020 Hilfe, Ich bin krank. Aufbruch nach Hause

6. Start in ein neues „normales“ Leben

6.1. ) Mittwoch 01.04 2020 Das Ende oder der Aufbruch nach Hause, in ein neues Leben

6.2. ) Mittwoch, 11.6.2020 Es ist immer noch hart

6.3. ) Let’ talk about Sex Baby

6.4. ) Essen, der Sex im Alter

7. Epilog

8. Danksagung

9. Kurze Endzusammenfassung

10.Danksagung an den Spender (Eltern)

11.Wichtig fürs neue Leben

1. WER BIN ICH

1.1. ) OK, ICH FANG DANN MAL AN

Heute ist also der 11. Dezember 2019 und wir sind in Hamburg. Ich heiße Marc, bin 54 Jahre alt, lebe in der zweiten Ehe mit meiner Frau Katrin.

Katrin, ich liebe dich und bin dem Leben so dankbar, dass wir uns getroffen haben. Ohne dich hätte ich das nicht geschafft.

Ich habe zwei Kinder im Alter von 23 und 21, die leider eher egozentrisch eingestellt sind und sich nur in unregelmäßigen Abständen mal per WhatsApp melden und behaupten, wie lieb sie einen haben und der Gleichen. Aber dann, wenn ich sie mal bräuchte, wie jetzt zum Beispiel, leider noch nicht mal vorbeikommen.

Freundschaft ist ja, wie wir alle wissen immer so ein Thema, aber ich habe gefühlt ca. 2-3 Freunde, auf die ich mich möglicherweise verlassen könnte. Ich meine, ich habe es nie ausprobiert aber die Hoffnung stirbt ja bekannterweise zuletzt.

Dann habe ich eine eher komplizierte Beziehung zu meinen Eltern und gar keine zu meinem älteren Bruder, der es in seinem Leben auf Grund exzessiven Drogenkonsums leider nie zu was gebracht hat, jetzt im Keller bei meinen Eltern lebt und jedem die Schuld für sein jetziges, armseliges Leben gibt, außer sich selbst natürlich. Auch so ein ewiges Thema, immer schön den anderen die Schuld an der eigenen Situation geben.

Ich sitze jetzt also hier im Krankenhaus in meinem Zimmer im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf und warte. Warten ist momentan das Einzige, was ich machen kann oder darf. Viele von euch können sich nicht vorstellen wie anstrengend das sein kann, herumzusitzen oder liegen und darauf warten, dass man auf eine Reise geht oder einem zumindest die weitere Richtung im Leben vorgegeben wird. Man wartet also nicht nur, sondern ist auch noch ziemlich ahnungslos und verunsichert, wie es weiter gehen wird.

Ich warte jetzt seit dem vierten November 2019, das sind jetzt schon 37 Tage. 37 Tage, in denen ich keine frische Luft atmen konnte, da es mir nicht erlaubt ist rauszugehen, sondern ich mich nur auf der Station aufhalten darf und sich so mein Bewegungsradius von meinem Zimmer und dem Flur der Station auf 5m links und 30m rechts beschränkt.

Es ist hier jetzt so langweilig für mich, dass selbst ich als Legastheniker anfange einfach mal so die Gedanken aufzuschreiben und dass, obwohl ich normalerweise zum Lesen eines Taschenbuches mindestens 4 Wochen brauche und am Ende einer Seite oft nicht mehr weiß, was am Anfang stand.

Aber ich mache es, damit auch andere vielleicht mal mitfühlen können, wie es sich anfühlt über einen längeren Zeitraum schwerkrank auf einer Station fest angebunden zu sein und den „normalen“ Alltag einer (Teil) Intensivstation hautnah mitzuerleben. Die Gedanken und auch die Ängste, die man als Wartender manchmal bekommt und wie man versucht mit der Situation zurecht zu kommen.

OK, warum oder worauf warte ich, fragen sich vielleicht der eine oder andere und warum ich nicht rausgehen darf, um z.B. einen Kaffee zu trinken, fragen sich möglicherweise wiederum andere.

Ich bin einer von den Patienten, die hier momentan im Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg (UKE), die auf der HU (high urgent) Liste stehen und auf ein neues Organ (Herz) warten. Da die Patienten der HU Liste alle als lebensbedrohlich krank eingestuft sind, dürfen sie die Station aufgrund der bestehenden Lebensgefahr nicht mehr verlassen und stehen unter ständiger Überwachung durch Ärzte, Maschinen und Pfleger. Eine Privatsphäre hat man hier in dieser Situation eigentlich nicht mehr, man ist gläsern, aber man fühlt sich komischerweise dadurch auch relativ sicher.

1.2. ) MEINE KRANKENGESCHICHTE IN KÜRZE

Zuerst möchte ich mich mal genauer vorstellen: Wie gesagt, mein Name ist Marc, ich bin im Dezember 54 Jahre alt geworden und habe eine, seit 20 Jahren bekannte, schwere Herzinsuffizienz.

Ich glaube, ich hatte eine glückliche Kindheit und eine psychisch sehr anstrengende Jugend, da ich der Prellbock war zwischen meiner verzweifelten Mutter und meinem drogenkranken Bruder.

Bis zu meinem vierunddreißigsten Lebensjahr war ich unwissentlich der Meinung, ich wäre kerngesund und ich werde die Welt erobern. Aber von einem Tag auf den anderen war alles anders. Komisch, oft passieren die wirklich doofen und abgefahrenen Sachen einfach so von jetzt auf sofort.

1.3. ) 1999

Es war glaube ich im August 1999. Ich war mit dem Flieger auf Geschäftsreise und bekam Schmerzen im linken Bein.

Als junger Mann denkt man sich ja nicht viel dabei, also ich flog noch zu diversen Seminaren und Kundenbesuchen in Europa, immer im Stress, immer auf der Überholspur. Aber als es nach einer Woche immer noch nicht besser wurde mit den Schmerzen, dachte ich mir, ok ich gehe dann mal eben kurz vor der Arbeit zum Arzt und lasse mir eine Salbe verschreiben und mach dann weiter, weil

„ich will ja noch die Welt erobern.“

Soweit die Theorie. Beim Arzt angekommen schickte dieser mich nach kurzer Untersuchung relativ bestimmend zum Radiologen, wo ich dann glücklicherweise schnell drankam. Bei der Phlebographie hörte ich nur wie der Arzt zu seiner Assistentin sagte

„Hmmm, das sieht nicht gut aus, rufen sie mal bitte schnell den RTW“.

Zu mir sagte er nur, es sehe nicht so gut aus, und dass ich ab jetzt nicht mehr aufstehen dürfe. Ich sagte ja, aber ich müsste eben noch mal das Auto umparken, da es in der Tiefgarage steht, und dann noch ein paar Telefonate führen und den Kunden aus Irland sagen, dass ich den Termin verschieben müsse auf den Nachmittag. Der Arzt guckte mich nur an und schüttelte seinen Kopf und fragte mich, was ich an seiner Anordnung nicht verstanden hätte. Das, was er hier sieht, sei sehr kritisch, und dass ich auch in den nächsten Tagen keinen Termin mehr wahrnehmen könne, wenn ich Pech hätte, würde ich nie wieder einen Termin haben.

Als der RTW (Rettungswagen der Feuerwehr) kam, wollte ich so nett sein und von der Untersuchungsliege auf die Transporttrage rüber gehen aber der Arzt schaute mich nur böse an. OK, das durfte ich also auch nicht mehr, schon verstanden. Schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn man als vermeintlich gesunder Mann im besten Alter auf einmal getragen wird.

Im Krankenhaus angekommen stellte man schnell fest, dass ich eine tiefe Beinvenenthrombose hatte und bisher echt Glück gehabt hatte, dass sie sich nicht gelöst hatte. Das wäre wohl recht eindeutig lebensgefährlich gewesen. Als ich das hörte, musste ich an den Flug von Wien über Frankfurt nach Hamburg denken.

In Frankfurt musste ich eine längere Strecke mit dem schmerzenden Bein laufen, um den Anschlussflieger zu kriegen. Ich würde mal sagen, da habe ich wohl Glück gehabt. Ein Satz, den ich noch öfter sagen werde.

Ok, ich lag also im Schockraum der Notaufnahme vom Krankenhaus und es kam eine Krankenschwester hinein und schrieb ein EKG, das erste EKG in meinem Leben. Kaum geschrieben verließ sie den Raum und kam nach kurzer Zeit wieder zurück. Sie sah etwas verwirrt aus und fragte mich, ob ich mein Herz links oder rechts hätte. Was für eine blöde Frage dachte ich mir, mein Herz ist und war immer links, da war ich mir relativ sicher. Also neues EKG geschrieben, erneut den Raum verlassen und erneut nach kurzer Zeit, diesmal zusammen mit dem Arzt wieder zurück. Nun hatte ich also 4 Augen vor mir, die mich verwirrt anschauten. Mein Herz wurde nun zum ersten Mal in meinem Leben richtig untersucht, so mit Ultraschall, Doppler und allem, was die Medizin damals so zu bieten hatte.

Ergebnis: Ich, 34 Jahre alt, habe eine ischämische Kardiomyopathie und bin somit schwer herzkrank. Bei der Herzinsuffizienz (auch Herzmuskelschwäche oder Herzschwäche genannt) ist das Herz nicht mehr in der Lage, den Körper und damit auch Organe wie Gehirn, Muskeln oder Nieren ausreichend mit Blut und damit mit Sauerstoff zu versorgen.

Na großartig, dachte ich mir nur, vielen Dank auch. Aber da ich mich bis auf die Schmerzen im Bein gut fühlte, konnte es ja meiner Meinung nach nicht so schlimm sein. Man kennt es ja, die Ärzte übertreiben gerne mal. Und die Schmerzen im Bein waren in dem Moment einfach schlimmer und ich musste mich erst mal darum kümmern.

Man brachte mich also auf die Intensivstation, dort angekommen sagte man mir:

„Ok, wir haben jetzt 2 Möglichkeiten:

Erstens, wir machen nichts und warten, dass die Thrombose sich festigt. Nachteil hierbei ist, dass sie gegebenenfalls in 10-20 Jahren offene Beine bekomme könnten. Oder die zweite Möglichkeit, wir versuchen die Thrombose mit Hilfe einer Thrombolyse aufzulösen“.

Mit Hilfe einer Thrombolyse kann versucht werden, ein bereits bestehendes Blutgerinnsel aufzulösen. Die Thrombolyse wird bevorzugt bei ausgedehnten Venenthrombosen mit starken Schwellungen oder massiver Lungenembolie angewendet.

Hierzu werden sogenannte Thrombolytika (Gerinnsel auflösende Substanzen, z.B. Urokinase, Streptokinase, rtPA o.Ä.) mittels Dauerinfusion verabreicht. Eine solche Therapie erfolgt in der Regel für 24 Stunden bis zu drei oder vier Tagen. Da sie aber mit einem deutlich erhöhten Risiko für schwere Blutungen verbunden ist, wird sie heutzutage nur noch in sehr seltenen Fällen bei einer venösen Thrombose eingesetzt. Mit zunehmender Dauer der Thrombolyse wächst auch das Risiko unkontrollierbarer Blutungen, insbesondere von Hirnblutungen. Oder falls sich etwas von der Thrombose lösen sollte, einen Herzinfarkt oder eine Lungenembolie oder, oder, oder.

Stopp, dachte ich mir nur, vor 2 Stunden war ich noch ein junger, gesunder Mann, der die Welt erobern wollte und jetzt soll ich mir über eine gegebenenfalls lebensentscheidende Sache allein Gedanken machen? Wo waren jetzt meine Frau oder meine Eltern, jetzt in diesem Moment wo ich sie mal bräuchte?

Ich würde sie gerne noch mal sehen und gegebenenfalls solche Entscheidungen mit ihnen besprechen. Und wo ist mein Sohn, er war zwar erst 1 Jahr, aber ich hätte Ihn gerne vorher noch einmal gesehen, es könnte ja das letzte Mal sein.

Aber wie eigentlich immer war niemand aus meiner Familie da, um mich zu unterstützen. In solchen Momenten wünscht man sich einfach Beistand, jemanden der gegebenenfalls noch nicht mal was sagt, sondern einem einfach nur liebevoll tief in die Augen blickt und einem zu verstehen gibt, dass man die richtige Entscheidung treffen wird. Jemand der voll hinter einem steht, der einfach nur da ist, auch wenn einem am Ende die Entscheidung niemand abnehmen kann.

Aber es ist nun mal, wie es ist und am Ende man muss ja trotzdem eine Entscheidung treffen. Ich entschied mich also für die zweite Variante, für die Thrombolytika. Ich wurde von den Ärzten untersucht, wurde noch gefragt, ob ich mir in den letzten Tagen den Kopf gestoßen hätte, da auf Grund dessen und einer aus der Therapie entstandenen Hirnblutung letztens schon mal jemand (ebenfalls ein junger Mann) die Thrombolyse nicht überstanden hätte (vielen Dank auch für die Info…). Dann wurde mir noch gesagt, dass ich für die nächsten Tage auf Grund der Blutungsgefahr mir die Zähne nicht mehr putzen dürfe und ab jetzt nur noch Weißbrot ohne Rinde essen soll.

Die erste Infusion von 6 Stunden überstand ich gut und war guter Hoffnung, dass am Ende alles gut wird. Bei der zweiten Infusion bekam ich dann jedoch plötzlich nach ca. 3 Stunden Panik und ein merkwürdiges Engegefühl in der Brust. Ich konnte nicht mehr Atmen und der ganze Körper verkrampfte sich. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt sicher, dass es das jetzt gewesen ist.

Aber ich wollte noch nicht, nicht so, nicht hier im Krankenhaus, nicht einfach tschüss und weg.

Innerhalb von Sekunden waren 6 bis 8 Leute bei mir am Bett und gaben mir Infusionen, Spritzen, Sauerstoff usw. Ich weiß noch, wie ich einem der Ärzte mit Tränen in den Augen tief in die Augen sah und sagte, er solle mich jetzt bloß nicht sterben lassen. Dann wurde es dunkel.

Als es wieder hell wurde wusste ich nicht was passiert war. War ich noch am Leben? Wenn ja, wie lange war ich weg? Und wo lag ich? Als ich mich umschaute sah ich, ich lag immer noch auf der Intensivstation, aber es war ruhig und ich fühlte mich ruhig. Im Nachhinein erzählte man mir, dass ich im Rahmen der Therapie mehrere Thromben gelöst haben und ich einen Herzinfarkt und eine Lungenembolie bekommen hatte. Ich war geschockt, aber trotzdem auch einfach nur froh. Ich konnte atmen und ich lebte.

Bin ich jetzt dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen? Ich versuchte mich noch an Details zu erinnern, aber da war Nichts, kein weißes Licht, kein Film, der abläuft und einem nochmal zeigt, wie schön das Leben war, sondern wenn es so weit ist, dann ist es einfach vorbei, der Vorhang fällt und das Licht geht aus. Gute Nacht Marie.

Das war es also, eben noch kerngesund und dann innerhalb von einem Tag fast gestorben und schwer herzkrank. Niemand bereitet einen auf so etwas vor, solche Sachen passieren dann einfach und das Schicksal lässt einen damit einfach allein. „Karma is a bitch“.

Während meines folgenden dreiwöchigen Krankenhausaufenthalts gab es noch diverse Untersuchungen in dem man feststellte, dass ich nur noch eine Herzleistung bzw. ein Auswurfverhältnis (EF) von ca. 18 % hatte. Zum Vergleich, ein gesundes Herz hat gute 60-70%. Man diagnostizierte bei mir ja schon zuvor eine „ischämische Kardiomyopathie“ also eine Herzminderleistung aufgrund einer Durchblutungsstörung der Herzkranzgefäße, verursacht durch mehrere Herzinfarkte in der Vergangenheit, angeblich sollen es vier bis fünf stille Herzinfarkte gehabt haben.

Bei einer gentechnischen Untersuchung meines Blutes stellte man zudem fest, dass ich unter einem Antiphospholipidsyndrom leide, das ist eine Autoimmunkrankheit, bei der kommt es aufgrund einer Fehlsteuerung des Immunsystems zu erhöhter Gerinnungsneigung und damit Verstopfungen der Blutbahnen. Behandeln kann man diesen Defekt gut. Man gibt dem Patienten nur lebenslang Marcumar (musste ja gut sein, beinhaltet ja meinen Namen ), das ist das „Rattengift“ unter den Blutverdünnern, es wurde damals wirklich als Rattengift entwickelt, zum Teil auch heute noch in Kontaktfallen zur Rattenbekämpfung eingesetzt. Das, was Ratten also umbringt, lässt mich leben. Ich folgere hieraus, ich kann keine Ratte sein.

Aber ich kann es euch jetzt auch sagen, man lebt nicht besser nur weil man jetzt weiß, welche Krankheiten man hat und dass man keine Ratte ist.

Gut, ich wusste jetzt also, dass ich krank war und noch mal Glück gehabt hatte. Ich kann noch nicht mal sagen wieso, aber mein Körper und meine Seele wollten das einfach nicht akzeptieren. Hey, ich war jung (damals 34) dynamisch und erfolgreich und wollte immer noch die Welt erobern. Ich fing also an, noch mehr zu arbeiten, war jetzt auch oft und gerne für 2-3 Wochen nonstop beruflich unterwegs und umrundete die Erde mit einem around the world Ticket, habe viel bis in die Nacht gearbeitet, bin danach mit Kunden zum Essen gegangen, habe geraucht und Alkohol getrunken. Es war da eine innere Stimme, welche mir sagte, wenn ich mich nicht krankheitskonform verhalte, dann bin ich auch nicht krank.

1.4. ) 2005-2007

Das Ganze ging auch 10 Jahre relativ gut. In der Zwischenzeit implantierte man mir im Jahre 2005 meinen ersten Defibrillator. Zur Absicherung wegen meiner niedrigen Auswurfleistung des Herzens hat der Arzt gesagt. Den Defi habe ich locker aufgenommen, ich fühlte mich dadurch nicht unbedingt behindert oder kränker, sondern eher abgesichert. Es gab auch nur einen Zwischenfall im Jahre 2006, da hat der Defi mal mehrfach ausgelöst und das Ganze bei vollem Bewusstsein. Das war echt unangenehm. Ich hatte noch lange danach psychische Probleme. Immer wenn ich mich etwas stärker anstrengte, hatte ich Angst, dass der Defi diese Anstrengung falsch auslegte und wieder auslösen würde. Dieses Auslösen kann man am besten den Personen erklären, die schon mal aus Versehen eine 220 Volt Leitung angefasst haben, mit vollem Programm, also mit Metallgeschmack im Mund und weichen Knien.

Aber abgesehen davon, habe ich bis zum Mai 2007 sehr ausgiebig und manchmal auch ausschweifend gelebt. Ich habe das Leben genossen, habe viel erlebt und wenn ich mir das so überlege, möchte ich auch nichts davon missen. Auch wenn ich im Nachhinein weiß, dass ich hiermit mein Herz nicht unbedingt geschont habe und ich verdammt viel Glück gehabt habe. Aber