Warum ich für Gott backe und was mein Hund mit Hoffnung zu tun hat - Lisa Kaufmann - E-Book

Warum ich für Gott backe und was mein Hund mit Hoffnung zu tun hat E-Book

Lisa Kaufmann

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Beschreibung

In ihrer Familie werden harte Arbeit, Literatur, Gregor Gysi und guter Wein angebetet, aber ganz bestimmt nicht Gott. Trotzdem will Lisa Kaufmann heraus- finden, ob es sich bei diesem "Gott" nicht doch um eine Realität handeln könnte, statt um ein Hirngespinst. Um diesem "Gott" näherzukommen, backt sie Challa, adoptiert einen schwarzen Labrador- mischling und denkt unbefangen über Allmächtigkeit nach. Tiefsinnig, herzer- frischend respektlos, mit feinem Humor und nicht ohne Selbstironie erzählt sie so mitreißend von ihrer Suche, dass man ihr Buch nicht mehr aus der Hand legen will.

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Warum ich für Gott backe und was mein Hund mit Hoffnung zu tun hat

Meine Suche nach Gott

Lisa Kaufmann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2016 by edition chrismon in der Evangelischen Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Lektorat Annegret Grimm, Weimar

Gestaltung und Satz Anja Haß, Frankfurt am Main

Fotos Christoph Kniel und Niko Synnatzschke, Essen

E-Book-Herstellung Zeilenwert GmbH 2016

ISBN 978-3-96038-025-2

www.eva-leipzig.de

Für Sarah

In Wahnsinn und in Klarheit, betrunken und nüchtern, mit Gott und ohne, unbreakable.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Zitate

Prolog

Zwangspilgern

Im Anfang

Brot und Wein

Betsocken

Danke

Kleine Anfrage

Befleckte Empfängnis

Ari und die Macht Gottes

Sabbat Shalom

Meschugge

Paradise Lost

Jesus Christ Superstar

Kopfsalat

Babies for Jesus

Feindesliebe

Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt

Halbgott

»A Mormon Just Believes«, Teil 1

Sündenbock

Jesus im Supermarkt

Lot und die Ladys

Ava

Home, sweet home

Tzniut

Summer Body

Crème de la Crème

Tohuwabohu

Phantomschmerz

»A Mormon Just Believes«, Teil 2

Rûah

Die Zehn Gebote, ein bescheidener Verbesserungsvorschlag

Namaste

Epilog

Z wie Zweifel

Die Autorin

Fußnoten

You get to decide what to worship.

David Foster Wallace

Ich gedenke der Treue deiner Jugend und der Liebe deiner Brautzeit, wie du mir folgtest

in der Wüste, im Lande, da man nicht sät.

Jeremia 2,2

Prolog

Zwangspilgern

Im Sommer 2015 begann ich, eine Kolumne über meine Suche nach Gott zu schreiben. Es war ein sonniger Nachmittag und ich lag auf der Dachterrasse meiner Nachbarn. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich heute, im Dezember desselben Jahres, sogar an einem Buch über diese Suche arbeiten würde. Im Sommer, mit einem Eistee, mit Freizeit und dem Geruch von Sonnencreme in der Nase, schienen sich spirituelle Erkenntnisse und wertvolle Gedanken zum Thema Gott geradezu aufzudrängen. Was als besonntes Brainstorming begann, fühlt sich nun, an einem regnerischen Novembernachmittag in meinem Bett, ein wenig wie Zwangspilgern an. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe selten spirituelle Erkenntnisse, wenn ich alle 40 Sekunden auf die Uhr schaue, um mit jeder verstreichenden Minute panischer zu werden. »Reiß dich zusammen, sei spirituell!«, raunt meine innere Stimme mir zu. »Dein Hund hatte in den letzten zwei Stunden tiefsinnigere Gedanken als du. Ich habe Kleinkinder getroffen, die spiritueller waren als du, du Versagerin!«

Wie Sie sehen, ist meine spirituelle Suche ein wenig aus den Fugen geraten. Man kann nicht über den Jakobsweg sprinten oder aus Zeitmangel einfach doppelt so schnell beten wie sonst und auf Erleuchtung hoffen. Wie alles, was im Leben Wert hat (lesen, backen, lieben, Nägel lackieren, Gott finden), muss auch Spiritualität nach eigenem Tempo geschehen. So beginne ich dieses Buch, indem ich atme. Ich schiebe den Stapel spiritueller Bücher von all den weiseren, klügeren, älteren, wortgewandteren Menschen, die sich vor mir an diesem Genre versucht haben, vom Bett und erinnere mich, dass das Beste, was ich tun kann, das beste mir Mögliche ist. Ich bin 25 Jahre alt, das hier ist mein Erstlingswerk. Ich bin so tiefsinnig, wie ich bin, und mehr als ehrlich zu sein, kann ich Ihnen und mir selbst nicht bieten. Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan, heißt es bei Matthäus 7,7. Es heißt nicht: Schreiet panisch, suchet mit der Intensität eines Drogenspürhundes, tretet die Türe ein.

Ich zwinge mich, mir laut den Predigertext Alles hat seine Zeit vorzulesen (Prediger 3,1–17). Drei Mal, bis ich wieder atmen kann. Falls Sie wegen spiritueller oder weltlicher Angelegenheiten ähnlich unter Druck stehen, kann ich Ihnen nur wärmstens empfehlen, sich diesen Text so lange vorzusagen, bis auch Sie wieder atmen können. Also noch einmal:

Ein jegliches hat seine Zeit,

und alles Vorhaben unter dem Himmel

hat seine Stunde:

geboren werden hat seine Zeit, sterben hat

seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit,

ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;

töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;

abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;

weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;

klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;

Steine wegwerfen hat seine Zeit,

Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine

Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;

suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit;

behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;

zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit;

schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;

lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit

hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

Amen. Und nun, mit einem tiefen Ein- und Ausatmen, beginne ich dieses Buch.

Im Anfang

Brot und Wein

Es ist Freitagnachmittag und meine Arme stecken bis zum Ellenbogen in einer riesigen Schüssel voller Hefeteig. Die zwei Kilo Mehl, die ich ursprünglich mit Hefe und Wasser verrührt habe, scheinen sich zu zehn Kilo vermehrt zu haben, und langsam wird mir das Ausmaß dieses Projekts klar. »Kurz durchkneten« steht im Rezept, aber diese Anweisung scheint mir nun so realistisch wie »kurz die Wüste aufsaugen«. Wieso tue ich mir das hier an? Was hat das traditionelle Sabbatbrot Challah mit mir zu tun?

Ich knete weiter, knete, bis meine Hände schmerzen und ich meine Oberarme nicht mehr fühle, knete, als könnte ich mir Gott einfach erarbeiten, indem ich die perfekten Challahs backe. Ich liebe dieses Kneten, diese sinnliche, tiefe Erfahrung. Brot backen ist wie meditieren – eine spirituelle Praxis, die mich zwingt, präsent zu sein. Meine Logik funktioniert ungefähr so: Ich habe keine Religion, ich habe keine Gemeinde, ich habe keine religiöse Familie, und der Großteil meiner Freunde sind Atheisten. Aber vielleicht kann ich durch das Leben religiöser Rituale trotzdem einen Zugang zu Gott finden? Wenn ich das perfekte religiöse Brot backe, einen wunderschönen geflochtenen Laib nach dem anderen zaubere, wenn ich, wie vorgeschrieben, einen Teil des Challahs abzupfe und verbrenne, um ihn Gott zu opfern, wenn ich das Messer auf den Tisch lege, aber das Brot mit meinen Händen zerreiße, so wie auch Abraham auf das Messer verzichtet hat, dann wird Gott meinen spirituellen Ehrgeiz erkennen und mich mit einem Zeichen belohnen.

Mein Handy klingelt, auf dem Display sehe ich das Foto meiner Mutter. Was nun? Ich könnte sagen: »Ich backe Brot, ich rufe später zurück«, aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Ich backe nicht einfach nur Brot. Mir gefällt die Idee, dass dieses Brotbacken spirituelle Bedeutung hat, dass ich mich in eine Tradition von Frauen einreihe, die seit Jahrtausenden dieses Brot backen, jeden Freitagabend, überall auf der Welt. Ich könnte sagen: »Ich backe Challah, um Gott zu ehren, ich rufe später zurück«, aber später werde ich bereits mein Handy ausgeschaltet haben, denn am Sabbat versuche ich ohne moderne Technik zu leben.

Wie so oft habe ich so viel nachgedacht, dass ich vergessen habe zu handeln. Den Anruf meiner Mutter habe ich verpasst, aber die Fragen bleiben. Wie erkläre ich all das meiner Familie? Oder muss ich überhaupt nichts erklären? Wie wichtig ist es mir, verstanden zu werden? Ist es vielleicht auch okay, wenn meine Liebsten mich für ein wenig sonderbar halten und nichts verstehen? Wie einsam darf meine spirituelle Reise sein? Wie einsam halte ich sie aus? Wie kann ich mir selbst, meiner Familie, meinen Freunden und Ihnen begreiflich machen, wie ich hier hingekommen bin? Was führt eine junge westeuropäische Frau atheistischer Eltern dazu, an einem Freitagabend traditionelles jüdisches Brot zu backen und dann die Königin Sabbat zu begrüßen?

An meiner Kindheit kann es auf keinen Fall gelegen haben. Wenn ich versuche, über die Beziehung meiner Familienmitglieder zu Gott nachzudenken, könnte ich genauso gut über ihre Beziehung zu Voldemort oder Romeo und Julia nachdenken. Gott kam nicht vor in ihrer Welt, und somit bestand auch kein Anlass, sich zum Göttlichen zu äußern. Außer entfernten muslimischen Verwandten besteht meine Familie aus Atheisten. Und nicht nur das: Manche von ihnen waren Kommunisten und offen religionsfeindlich. Mein Großvater väterlicherseits hat den Jugendverband der ägyptischen Kommunisten mitbegründet und musste daraufhin in die DDR fliehen, die ihm Asyl gewährte. Mein Großvater mütterlicherseits hat sich 1961 freiwillig gemeldet, um die Mauer mitzubauen, die für ihn antifaschistischer Schutzwall hieß. In meiner Familie werden harte Arbeit, Literatur, Gregor Gysi und guter Wein angebetet, aber ganz bestimmt nicht Gott.

Auch nach Jahren der Suche bin ich immer noch in Versuchung, Gott in Anführungszeichen zu setzen, als dürfe ich nicht zugeben, dass es sich nicht um ein Hirngespinst handelt. Wenn ich an meine frühen Begegnungen mit Religion denke, erinnere ich mich an ein paar Lieder aus meinem wundervollen evangelischen Kindergarten und daran, wie eine Grundschulfreundin mir erklärte, dass mein Name nicht echt sei, weil ich nicht getauft wäre. Ich erinnere mich, wie ich einen Streit vom Zaun brach, nachdem mir zwei gleichaltrige Schwestern im Hort weißmachen wollten, dass die Patentante der einen nicht auch die Tante der anderen sei. Sofort lief ich zum Hortleiter, um die Lüge der beiden zu entlarven. Eine Extra-Tante für Christen? Ich war empört. In meiner Kleinstfamilie hätte ich einiges für eine zusätzliche Tante gegeben, und Christen bekamen sie einfach so.

Meine nächste Erinnerung an Gott geht auf den Religionsunterricht in der zweiten Klasse zurück. Ich hatte mich für evangelischen Religionsunterricht entschieden, da die meisten meiner Freundinnen evangelisch oder muslimisch waren. Die Moslems mussten statt zum Religionsunterricht zu einer Art Deutsch-Förderunterricht, rassistisch, aber wahr, und so schloss ich mich den Protestanten an. Ich verstand nie ganz, worum es bei all dem eigentlich ging, und die meiste Zeit sangen wir sowieso nur Lieder und malten Bilder biblischer Geschichten aus. Zwei Episoden aber sind mir in Erinnerung geblieben: Einmal sangen wir ein Lied über Mose, der den Pharao bittet, die Israeliten gehen zu lassen. Danach sprachen wir über Mose und sein Volk, und ich erinnere mich, wie mir plötzlich dünkte, dass die Bösen in der Bibel die Ägypter seien. Ich schämte mich. Meine ägyptischen Vorfahren hatten den netten Mose und seine Freunde versklavt. Als Siebenjährige mit mangelhaftem Geschichtsverständnis versuchte ich, mir meinen kleinen dicken Opa Fattah vorzustellen, wie er mit einer Peitsche vor einer Pyramide steht und Moses Freunde anschreit.

Die zweite Episode war nicht weniger verstörend. Unsere winzige Religionslehrerin, ich überragte sie bereits als Zehnjährige, las uns eine Geschichte über Johannes den Täufer vor und verteilte zwischendurch ein Bild, das wir ausmalen sollten. Auf dem Bild sah man einen abgeschlagenen Kopf, der von einer lächelnden Frau auf einem Teller getragen wurde. Was war los mit diesen Christen? Was war das für ein heiliges Buch, in dem Menschen ausgepeitscht, verflucht und enthauptet wurden? Zu Hause wollte ich von meiner Mutter Näheres erfahren. Sinngemäß erklärte sie mir, dass manche Leute an komische Sachen glauben und ich mir keine Sorgen machen müsse. Religion hatte nichts mit uns zu tun und abgetrennte Köpfe somit auch nicht. Ich war erleichtert.

Ich wuchs mit meiner Mutter und meiner Großmutter auf. Meine Oma ist eine taffe ostdeutsche Frau, die alleinerziehende Mutter einer Tochter war. Meine Mutter ist eine taffe ostdeutsche Frau, die wiederum eine Tochter alleine großzog. Von Religion wollten beide nichts wissen, und das hätte problemlos so weitergehen können, aber hier stehe ich nun und zupfe ein Stück des Teiges ab und wickele es in Alufolie. Ich teile den Teig, der nochmals eine halbe Stunde geruht hat, in zwei gleiche Teile und diese wiederum jeweils in drei Stränge. Nun flechte ich die Challahs zu gleichmäßigen Zöpfen. Die drei Stränge stehen für Wahrheit, Friede und Gerechtigkeit, und zusammengeflochten ergeben sie eine Einheit. Mir gefällt die Idee, Einheit und Stimmigkeit einfach zu flechten, zu backen und sich dann einzuverleiben. Nach einer anderen Interpretation dieses Rituals flechtet man beim Challahbacken die Tage der Woche zu einem festen Laib zusammen, beendet somit die Woche und läutet den Tag der Ruhe und Einkehr ein. Die Arbeitswoche mag in alle Richtungen zerstreut sein, aber durch das Challah macht man sich selbst bewusst, dass diese Zerstreuung nun vorbei ist und ein Tag der Vollkommenheit, des Friedens und der Klarheit folgt. Das abgezupfte, eingewickelte Stück Teig lege ich neben die Brote aufs Blech. Es soll für Gott reserviert sein und darf nicht gegessen werden.

Selbst in meiner religiösen Beseeltheit kann ich erkennen, dass all das einer Erklärung bedarf. Gott hatte im Leben meiner Mutter und Großmutter schlichtweg keine Notwendigkeit. Im Gegensatz zu mir fühlen die Mitglieder meiner Familie da, wo bei anderen Menschen Gott lebt, kein Loch in ihrer Seele. Sich über Gott aufzuregen, hätte so wenig Sinn, wie dem Weihnachtsmann Ungerechtigkeit vorzuwerfen. Gott gehörte ins Reich der Feen – mit dem Unterschied, dass Feen immerhin in Märchen vorkamen.

Über Gott wurde also einfach nicht geredet; mit religiösen Menschen allerdings verhielt es sich anders. Sie standen in der Vorstellung meiner Familie knapp über Spinnern, die sich Alufolien-Hüte aufsetzen, um nicht von Kondensstreifen ausspioniert zu werden. Meine Großmutter kaufte sich im Alter von 74 Jahren ihre erste Bibel, aber lediglich, um die Damen in dem kleinen Dorf im Münsterland, in dem sie heute lebt – ich zitiere –, »mit ihren eigenen Waffen zu schlagen«.

Mittlerweile ist es neun Uhr abends. Die Küche unserer WG füllt sich langsam mit Mitbewohnern und Freunden. Meine Mutter habe ich nicht zurückgerufen, da mein Handy bereits für den Sabbat ausgeschaltet ist. Mein Freund Max, der auf dem Papier katholisch, in Wirklichkeit aber Atheist ist, taucht auf, gibt mir einen Kuss und holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Meine beste Freundin Sarah, die auf dem Papier evangelisch, in Wirklichkeit jedoch Atheistin ist, erscheint, umarmt mich und begrüßt die anderen Gäste. Mein Hund Ari, der zwar einen hebräischen Namen, aber höchstwahrscheinlich auch keinen Bezug zum Göttlichen hat, kommt angerannt und hofft, eine runtergefallene Nudel oder ein verlorenes Stück Gemüse zu ergattern.

Ich drehe mich so unauffällig wie möglich weg, spreche still ein Gebet, danke Gott für diesen Tag, meine Woche, meine Liebsten, dieses Essen und die Ruhe und Einkehr, die in den nächsten 24 Stunden folgen werden. Ich zünde Kerzen an, decke den Tisch für die zehn Menschen, die heute zum Essen kommen und hole die frisch gebackenen Challahs aus dem Ofen. Sie sind goldglänzend und duften nach Häuslichkeit und Frieden.

Ich möchte Religion und Bedeutung und Gott. Aber ich möchte auch all diese Atheisten, die ich liebe, diese dreckige WG-Küche und meine biertrinkenden Freunde, die mit Gott nichts anfangen können. So wie die Stränge des Challahs Einheit symbolisieren, so möchte auch ich aus den Gegensätzen meines Lebens ein leckeres, trostspendendes, einheitliches Brot flechten. Ich verteile die Suppe, die es als Vorspeise gibt, und reiße das erste Stück vom Challah ab. »Sabbat Shalom« flüstere ich und beginne meinen Tag der Ruhe.

Kneten und beten,

das beste Challah-Rezept:

Zutaten:

1kg Mehl

5EL neutrales Öl

1EL Salz

1 Würfel Hefe

500ml Wasser

1 Eigelb (wenn gewünscht)

Mohn/Sesam zum Bestreuen

Zubereitung:

Hefe mit Wasser 15 Minuten gehen lassenMehl, Öl, Salz dazugeben und kneten, bis die Arme schmerzen, dabei beteneine Stunde ruhen lassenwieder kneten, diesmal bis zur spirituellen Erleuchtungeine halbe Stunde ruhen lassennoch einmal kurz kneten (beten nicht vergessen), dann Teig halbierenHälften jeweils in 3 Stränge teilen und zu 2 Broten flechtenChallahs mit Eigelb bestreichen, eins mit Mohn und eins mit Sesam bestreuenca. 30 Minuten bei 200 Grad backenSabbat Shalom und guten Appetit!

Im Anfang

Betsocken

Meine Suche nach Gott begann, nachdem bei meinem Stiefopa Krebs diagnostiziert worden war. Die nächsten Jahre waren, wie bei den meisten Krebsgeschichten – ein Wechsel aus Chemo, Hoffnung, Haarausfall, Tränen, neuer Hoffnung, Metastasen und schließlich der Erkenntnis, dass der ganze medizinische Fortschritt der Welt nicht reichen würde, um 40 Jahre Kettenrauchen wiedergutzumachen.

Bis zur Diagnose meines Opas war ich nur unfreiwillig mit Gott in Berührung gekommen, aber plötzlich hatte ich das Bedürfnis, dieser mächtigen Krankheit etwas noch Mächtigeres entgegenzusetzen. Ohne religiöse Familie, ohne Gemeinde musste ich meine eigene Liturgie erfinden und meine eigene Art, mich an Gott zu richten. Gott war für mich weiblich, vermutlich, weil meine damalige Welt vor allem aus Frauen bestand.

Ich lag also im Alter von acht Jahren auf meinem Hochbett und fühlte, dass ich ein göttliches Symbol bräuchte, ein Zeichen, das mein Beten vom Alltag abhob. Kurzentschlossen stülpte ich ein paar kleine pinke Socken über meine Hände und taufte sie »Betsocken«. Jeden Abend holte ich sie hervor, sie wohnten hinter dem Braunbär