Warum ich, Gott? - Joni Eareckson Tada - E-Book

Warum ich, Gott? E-Book

Joni Eareckson-Tada

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Beschreibung

Eigentlich ringen fast alle Christen in der einen oder anderen Form mit Leid. Je nachdem zu welcher konfessionellen Strömung sie gehören, gehen sie unterschiedlich mit Leid in ihrem Leben um. Joni und Steve versuchen Christen zu helfen, einen biblisch soliden Umgang mit Leid zu finden. Weit entfernt von einem trockenen Lehrbuch ist "Warum ich, Gott?" voll von bewegenden Geschichten und Einsichten, die einen Umgang mit Leid aufzeigen aber trotz alledem nicht dort verharren, sondern ein viel größeres Bild zeichnen - nämlich von der Schöpfung bis zur finalen Wiederherstellung aller Dinge. Selbst für jene Leser, die das Thema in ihrer Bibel vertiefen möchten, ist das Buch, aufgrund der drei Anhänge, eine Goldmine. Sicherlich wird nicht jeder sofort der gleichen Meinung sein, doch ein intensiveres Studium ist sicherlich lohnenswert.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Warum ich, Gott? – Trost trotz unbeantworteter Fragen Joni Eareckson Tada und Steven EstesSolid Rock Verlag, c/o Postflex #2889, Emsdettener Str. 10, 48268 Grevenwww.solidrockverlag.de

Veröffentlicht unter dem englischen Originaltitel: When God Weeps: Why Our Sufferings Matter to the AlmightyCopyright © 1997 by Joni Eareckson Tada and Steven Estes

This edition is published by arrangement with The Zondervan Corporation L.L.C., a subsidiary of HarperCollins Christian Publishing, Inc.

Diese Ausgabe wird aufgrund eines Vertrages mit The Zondervan Corporation L.L.C., einem Bereich von HarperCollins Christian Publishing, Inc., veröffentlicht.Alle Rechte vorbehalten.

Zitierte Bibelstellen:Soweit nicht anders vermerkt:Direkte Übersetzung aus dem Englischen.

Bibelstellen mit einem * versehen:Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen.Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft.Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

Bibelstellen mit zwei ** versehen:Lutherbibel, revidiert 2017, Copyright © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

Paperback ISBN: 978-3-949836-14-5Tolino ISBN: 978-3-949836-16-9

Übersetzung: Solid Rock VerlagCover Design: Solid Rock Verlag und Harald KleinCover Foto: Darya Tryfanava auf UnsplashLektorat: Christina SchremmerSatz und Design: Harald Klein, www.haraldklein.design

Trotz aller Sorgfalt können Fehler unterlaufen. Solltest du einen entdecken, freuen wir uns über einen Hinweis an [email protected].

Für Verna,auch acht Kinder späterbist du noch immer die lustigste Wegbegleiterin der Welt.

Für Ken,du lässt mich diesen Stuhl vergessen …und das will was heißen!

Vorwort zur deutschen Auflage 2023

Du hast es selbst schon durchgemacht. Vielleicht hat ein Wirbelsturm von Prüfungen an deinem Verstand gerüttelt oder eine Depression quält dich so hartnäckig wie ein nicht enden wollendes Fieber. Oder es könnten die permanenten Irritationen chronischer Schmerzen sein, die dich im Griff halten.

Das ist mir neulich Nacht passiert. Da ich an Tetraplegie leide, muss mich mein Mann Ken mithilfe von Kissen auf die Seite legen, damit ich schlafen kann. Als ich spürte, dass die Schmerzen zunahmen, und wusste, dass ich mich in den Nachtstunden allein nicht mehr anders hinlegen konnte, wurde mein Atem kürzer. Ich verdrängte meine Panik und flüsterte Ken zu: „Bete, dass ich den Glauben nicht verliere.“

Ich bin immer wieder erstaunt, wie oft unser Glaube an Gott auf die Probe gestellt wird. Eine eitrige Wunde, ein eingeklemmter Nerv, das langsame, quälende Ticken der Uhr oder der Schrecken, wenn du dich in deinem Kampf ganz allein fühlst. Das habe ich auch schon erlebt. Ich habe Zeiten erlebt, in denen mich Lähmung und Schmerz fast überwältigt haben und mein Glaube kurz vor dem Zusammenbruch stand. Es gab Momente, in denen ich mit tränennassen Augen „Warum, warum?“ wimmerte.

Wo sind die Antworten? Was genau gibt einem in der Bibel Zuversicht, wenn man sich fühlt, als würde man über Glasscherben humpeln?

Wenn man in dieser schrecklich kaputten Welt nach Antworten sucht, dann sollte man eines wissen: Der Gott der Bibel schämt sich nicht zu sagen, dass er uneingeschränkt über das Leid herrscht. Aber allein diese Tatsache verletzt unser Gerechtigkeitsempfinden. Wir sträuben uns gegen die hartnäckige und unbequeme Neigung Gottes, alles unter seine übergeordneten göttlichen Entscheide zu packen, ohne uns zu erklären, warum. Ohne uns seinen Plan zu zeigen.

Wir wollen seinen Plan sehen! Wir wollen einen Gott, der unsere Sicht der Dinge unterstützt, der unser „Komplize“ ist; jemand, mit dem wir uns identifizieren können, solange er das tut, was wir wollen. Wenn er etwas tut, das uns Schmerzen verursacht, dann wird der „Freundschaftsstatus“ aufgehoben. Wir schreiben ihn ab, weil er es dann nicht mehr wert ist, dass wir ihm vertrauen. Vor allem, wenn er uns keine „Antworten“ gibt.

So kann ich nicht leben. Ich kann nicht als Gelähmte in meinem Rollstuhl sitzen und den Gott der Bibel einfach ignorieren. Mein Leid ist zu groß dafür. Es muss bessere Gründe geben, ihm zu vertrauen – Gründe, die jeden Zweifel, den selbst meine schwierigsten Fragen aufwerfen, übertreffen. Meine Querschnittlähmung wird es mir nicht erlauben, Gott zu ignorieren. Sie hat mich dazu gezwungen, tief in der Heiligen Schrift zu graben, um seine Wege zu verstehen.

Und gerade aus diesem Grund haben mein Freund Steve Estes und ich das Buch geschrieben, das du in den Händen hältst. Ja, Leid ist ein Rätsel, aber es ist kein Rätsel ohne Richtung. Es ist kein Rätsel ohne Erklärung. Ist Gott gut, wenn das Leben schwer ist? Steve und ich sind überzeugt, dass Gott bereit ist, dir überraschende Antworten auf die Fragen in deinem tiefsten Inneren zu geben. Und einige dieser Antworten sind in den Seiten dieses Buches versteckt.

Mein Herz leidet mit jedem, der leidet, und vor allem mit denjenigen, deren Leiden außerordentlich schwer ist. Deshalb möchte ich meinen europäischen Freunden dafür danken, dass sie unser Buch den deutschsprachigen Lesern zur Verfügung stellen. Wenn du darum kämpfst, das „Warum“ zu verstehen, wenn du aufrichtig nach Hoffnung und Hilfe suchst, dann ist Warum ich, Gott? dein starker, mutiger Führer durch dein dunkles Tal hin zur frischen Luft echter Hoffnung.

Ja, die folgenden Seiten mögen mit Schmerz gefüllt sein, aber du wirst hier ewige Prinzipien finden, die ein Licht für deinen Weg sein werden. Hab keine Angst, wenn deine Welt aus den Fugen zu geraten droht. Nimm dir einfach eine Tasse deines Lieblingskaffees mit zu deinem Sessel, fang an zu lesen und mach dich bereit, dem Gott zu begegnen, der größer ist als all unsere Fragen ... dem Gott, der gütiger ist, als wir es uns vorstellen können!

Joni Eareckson Tada

Joni and Friends International Disability Center

Bevor du loslegst

Ich lernte Joni im Sommer 1969 auf dem Parkplatz einer Kirche kennen. Siebenhundert andere Teenager und ich waren gerade aus dem Gebäude gestürmt. Das Jugendtreffen war zu Ende und alle zerstreuten sich, Motoren wurden gestartet, Radios aufgedreht – überall waren Gelächter und gutmütige Albernheiten zu hören.

Ein weißer Kombi war bis zu den Seitentreppen vorgefahren. Er sah nur deshalb nicht aus wie der Wagen eines Menschen mittleren Alters, weil meine Freundin Diana mit dem Autoschlüssel in der Hand danebenstand. Diana war von einer sprudelnden Persönlichkeit. Sie stand an der Beifahrertür, neben einem leeren Rollstuhl, den sie gerade vom Rücksitz geholt hatte, um ihn aufzuklappen. Sie wollte mir die gelähmte Freundin vorstellen, von der sie mir erzählt hatte. Von meinem Blickwinkel auf der Treppe aus konnte ich das Gesicht des großen, schlanken Mädchens auf dem Sitz nicht sehen, nur die Schienen an ihren Handgelenken.

„Steve, ich möchte dir Joni vorstellen.“ „Hi, Joni.“

Das Mädchen auf dem Beifahrersitz wandte sich um, um herauszuschauen. Modisch kurz geschnittenes blondes Haar. Ein niedliches Sommersprossengesicht. Eine markante Nase. Ein strahlendes, aber bittersüßes Lächeln – süß, weil das, wenn man Joni kennt, einfach ihre Art ist; bitter, weil sie aussah, als hätte der Rollstuhl ihr etwas Wertvolles genommen.

„Hallo, Steve! Schön, dich kennenzulernen.“ Sie klang aufrichtig, aber vorsichtig.

„Ihr beide habt euch mit Sicherheit viel zu erzählen“, sagte Diana und wir stimmten zu, dass es schön wäre, wenn wir uns bald einmal treffen könnten.

Eine Woche später betrat ich das Haus aus Stein und Holz, in dem Joni wohnte und das ich mein Leben lang als Vorhof zum Himmel betrachten werde: Geweihe hingen über jedem Kamin, Navajo-Teppiche lagen überall verstreut. Kerzen über Kerzen. Simon and Garfunkel auf dem Plattenspieler, Lachen aus jedem Zimmer und die übersprudelnde Freundlichkeit ihrer Eltern und Schwestern, von denen Joni dieses gewinnende Lächeln hatte.

Als wir dann aber kurze Zeit später in ihrem Zimmer allein waren, dauerte es keine zehn Minuten, bis ihre Frage kam.

„Also, Diana sagt, du bist ein großer Fan der Bibel. Glaubst du, dass Gott etwas damit zu tun hat, dass ich mir das Genick gebrochen habe?“ Sie strich sich beiläufig mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus der Stirn, aber der Blick, mit dem sie mich betrachtete, war alles andere als beiläufig.

Und jetzt kommt der springende Punkt des Buches, das du gleich lesen wirst:

Da sitze ich, ein sechzehnjähriger Niemand, ein Zeitungsausträger, dem Mädchen gegenüber, das vor zwei Jahren wohl das beliebteste ihrer riesigen High-School-Klasse war. Die Clique, zu der sie gehörte, hatte ich nur aus der Ferne bewundern können. Und jetzt sieh sie dir an. Ich wippe mit dem Fuß zu James Taylor im Hintergrund; sie wippt nur mit dem Kopf. Ich kann mein Mittagessen selbst essen; sie muss von jemandem gefüttert werden. Ich würde in etwa dreißig Minuten aufstehen und das Zimmer durch die Türe verlassen; sie würde in diesem Stuhl sitzen bleiben, bis der Sensenmann kam. Und sie will von mir wissen, ob ich glaube, dass Gott dafür verantwortlich ist. Wer bin ich, auf diese Frage zu antworten?

Ich wusste, was die Bibel zu ihrer Frage zu sagen hat. Mir fielen ein Dutzend Passagen ein, die ich in der Kirche und von meinem christlichen Vater, der seine Kinder gut unterrichtet hat, gehört hatte. Aber ich hatte diese Wahrheiten noch nie in einem so schwierigen Terrain ausprobiert. Mir war noch nie etwas Schlimmeres passiert als eine Vier in Algebra zu bekommen oder dass ein Mädchen, in das ich verknallt war, mir einen Korb gab. Aber in diesem Moment ging mir nur eines durch den Kopf: Wenn die Bibel im Leben dieses Mädchens nicht funktioniert, dann ist an ihr nichts Wahres dran.

Ich atmete tief durch und sprang von der Klippe.

„Gott hat dich in diesen Stuhl gesetzt, Joni. Ich weiß nicht warum, aber wenn du ihm vertraust, anstatt gegen ihn zu kämpfen, dann wirst du es herausfinden – wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten. Er hat zugelassen, dass du dir den Hals gebrochen hast, weil er dich liebt.“

Für mich klangen die Worte schon im nächsten Moment hohl – aber nicht für sie. Wir sahen uns ein paar Bibelstellen an, und dann ging ich nach Hause. Von diesem Tag an musste ich fleißig lernen, um ihr immer einen Schritt voraus zu sein; sie hatte ihre Nase ständig in der Bibel. In diesem Buch geht es darum, dass Gott die Schmerzen, die Menschen durchleiden, beweint, dass er selbst in diese Leiden eintaucht. Und es handelt von der Liebe, die ihn dazu bringt, uns leiden zu lassen. Es geht darum, die Freundschaft Gottes in den schweren Zeiten unseres Lebens zu erfahren, wenn wir nicht einmal wissen, dass er an unserer Seite ist. Ein Großteil des Buches ist aus Jonis Sicht geschrieben, da ihr Leben wie ein bemerkenswertes Labor ist, das beweist, dass Gott weiß, wovon er spricht.

Aber auch für dich gilt: Dein Leben ist das wichtige Labor, das GottesWorte, während du sie liest, auf die Probe stellen wird. Klingen die Gedanken Gottes über das Leiden für dich hohl?

Steve Estes

31. März 1997

Wo sind die Jahre hin?

Ich sehe Steve Estes noch vor mir, wie er über seine Bibel gebeugt am Kamin saß und nur kurz aufblickte, um ein weiteres Stück Holz ins Feuer zu legen. Er blätterte in solchen Momenten oft wild zwischen dem Alten und dem Neuen Testament hin und her, bis er endlich die gesuchte Seite fand; dann fuhr er dort mit dem Finger eine Spalte entlang – bis er schließlich auf genau den Vers stieß, der die Antwort auf meine letzte Frage an ihn enthielt.

„Okay, Joni, jetzt hör mir zu. Hör dir an, was hier im dritten Kapitel des Epheserbriefes steht: ‚Der Sinn ist, dass ...‘“, begann er, als würde er einen Motor mit wiederholtem Tippen auf das Gaspedal auf Touren bringen. Und dann ging es los, wir fuhren eine Straße voller Fragen entlang, über die wir zunächst hinwegholperten – um dann anzuhalten, kurz zurückzusetzen und wieder weiterzufahren, dabei den einen oder anderen Umweg zu machen, bis wir am Ende den Motor erst dann wieder ausschalteten, wenn das letzte Stück Holz im Kamin verbrannt war. Steve war dabei genauso grün hinter den Ohren und jung wie ich, begierig darauf, die Wahrheit wirken zu sehen. Und bei der nächsten Bibelstunde fingen wir wieder da an, wo wir aufgehört hatten, stürmten voran – er, der aufgeregt auf die Highlights in der Schrift hinwies, und ich, die mit ihm Schritt hielt um dabei nichts zu verpassen.

Wenn Gott voller Liebe ist, warum gibt es dann Leid?

Was ist der Unterschied zwischen etwas zulassen und etwas bestimmen?

Wenn schlimme Dinge passieren, steckt Gott dann mit dem Teufel unter einer Decke?

Wie kann er erwarten, dass ich auf diese Weise glücklich sein kann?

„Halte diesen Gedanken fest!“, rief Steve oft über die Schulter, wenn er in die Küche lief, um sich noch eine Cola zu holen.

Nie gab es eine schönere Zeit als die ersten Jahre, in denen wir uns mit der Bibel beschäftigten. Unser Abenteuer war es, den Weg der Gotteserkenntnis im Leiden so weit zu gehen, wie er uns führen würde. 30 Jahre später haben wir einige Meilensteine passiert und die typischen Beulen und blauen Flecken des Älter- und Weiserwerdens erlitten. Vieles hat sich verändert, aber eines ist gleichgeblieben: Unsere Freundschaft kreist immer noch um Jesus.

Aber auch noch etwas anderes ist konstant geblieben: das Leid. In mancher Hinsicht ist es jetzt sogar noch schlimmer. Meine Knochen schmerzen, weil ich schon so lange im Rollstuhl sitze, und ich bin vom Kampf gegen die zunehmenden Einschränkungen meiner Lähmung ausgelaugt. Trotzdem ist es noch immer ein Abenteuer (auch wenn das, was ich lerne, mittlerweile nur ein Echo jener frühen Tage ist, fast so, als würde ich heute einfach nur größere Tiefen ausloten).

Niemals hätte ich mir vor langer Zeit – als ich zu später Stunde am Feuer saß und die Colaflaschen ausgetrunken waren – träumen lassen, dass die Antworten, die ich damals gefunden habe, einmal so starke Nachwirkungen zeigen würden. Nach Jahrzehnten der Querschnittlähmung und fast ebenso vielen Jahren der Begegnung mit Menschen, denen es zum Teil noch schlechter ging als mir, gebe ich diese Wahrheiten immer noch an andere weiter.

Es sind nicht so sehr Wahrheiten über das Leid, sondern über Gott; mit dieser Prämisse möchte ich dieses Buch einleiten: In Warum ich, Gott? geht es nicht so sehr um das Leid, sondern um den Einzigen, der den Sinn hinter dem Leid für uns entschlüsseln kann. In dem Buch geht es nicht darum, warum unser Leid für unser eigenes Leben eine Bedeutung hat (obwohl es die natürlich hat), sondern warum es für den Allmächtigen eine Bedeutung hat. Eine weitere Prämisse: Wir glauben, dass die Bibel Gottes Wort ist, die hebräische Bibel, die sich zum Neuen Testament entfaltet, und dass jedes dieser Bücher ein unverrückbarer Stein im Fundament der Wahrheit ist. Die Bibel ist die bewährte Landkarte, die wir in diesem Buch verwenden werden.

Ich wusste, dass ich ein so wichtiges Thema nicht allein bewältigen kann. So etwas schreit geradezu nach Autoren mit Erfahrung und Gelehrsamkeit. Hiermit stelle ich also meine Erfahrung zur Verfügung, und Steve Estes trägt mit seinem langjährigen Theologiestudium zu der notwendigen Gelehrsamkeit bei. Er hat freundlicherweise seine schriftstellerische Begabung und sein Wissen zur Verfügung gestellt, damit wir dich gemeinsam durch dieselben schwierigen Fragen „führen“ können.

Den einen Teil der Reise – die Kapitel zwei bis sechs – hat Steve recherchiert und geschrieben. Das Lesen wird dein Herz und deinen Verstand aufwühlen, so wie es bei mir war, als er zum ersten Mal die Einsichten in „Wer ist dieser Gott?“ neben meinem Rollstuhl mit mir teilte. Im zwölften Kapitel schreibt Steve über die Hölle, und ich schließe mit dem abschließenden Kapitel über den Himmel daran an, und auch die Anhänge A und C sind von ihm. Wir haben die Gliederung des Buches gemeinsam ausgearbeitet (viele Male!) und die Arbeit des anderen verbessert, nachdem wir uns jahrelang gegenseitig Anregungen zum Thema „Leid“ gegeben hatten.

Noch eine Sache. „Noch am Abend weinen wir – doch am Morgen kehrt wieder Jubel ein“ (Ps 30,6*): Freude für diejenigen, die leiden – aber vor allem für Gott. Steve und ich beten, dass du durch dieses Buch besser verstehst, warum unser Weinen für einen liebenden Gott von Bedeutung ist – einen Gott, der eines Tages den Sinn hinter jeder Träne deutlich machen wird. Sogar den Sinn seiner eigenen Tränen.

Joni Eareckson Tada

Frühjahr 1997

KAPITEL 1

Mir tut alles weh

Die afrikanische Nacht roch und sah aus wie Pech. Nur der Strahl einer Taschenlampe wies mir den Weg. Ich kämpfte gegen die Übelkeit wegen des Geruchs von fauligem Abfall an und wollte den vor mir liegenden Schuppen nur sehr vorsichtig betreten, aber mein Begleiter war nicht zu bremsen. Er hob die Plane am Eingang des Verschlags an, leuchtete mit seinem Licht in die Dunkelheit und trat ein. Ich folgte ihm in meinem Rollstuhl.

Als sich die Plane hinter mir senkte, wurden die vielen Geräusche aus den Slums um uns herum weitgehend gedämpft. Nun würde ich im Wesentlichen auf meine Augen angewiesen sein. Er hielt die Taschenlampe hoch und das Licht fiel auf eine junge Frau, deren Haare und Haut so schwarz waren wie Schatten. Sie hatte keine Hände. Ihre dünnen, verkrüppelten Beine waren auf der Strohmatte unter ihr ausgestreckt. Aber es waren nicht ihre Beine, die meinen Blick auf sich zogen. Ich hatte bereits Gassen voller Menschen gesehen, deren Hände und Füße aufgrund von Kinderlähmung oder Amputationen nur noch Stümpfe waren. Sie alle waren obdachlos. Menschen mit Querschnittlähmung wie ich überleben in Ghana, im äquatorialen Westafrika, nicht, und schon gar nicht auf den Bürgersteigen dieses elenden Dreckslochs in der Hauptstadt Accra – das gelingt nur solchen Menschen mit Behinderung, die stark genug sind, sich auf der Straße durchzuschlagen. Straßen voller Urin und verrottendem Müll.

Der Schein der Taschenlampe meines Begleiters erhellte den winzigen Verschlag, und als die junge Frau mich sah, schenkte sie mir nach afrikanischer Art ein strahlendes Lächeln. Ihre dunklen Augen funkelten im Licht, als sie auch meinem Begleiter ihr Lächeln zuwarf. Sie kannte diesen afrikanischen Pastor gut, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Blinden und Lahmen auf den Straßen und in den Gassen zu suchen.

Der Pfarrer räusperte sich und stellte mich vor: „Ama“, begann er mit britischem Akzent, „ich möchte dir gerne meine amerikanische Freundin Joni vorstellen.“ Sie erwiderte den Gruß in ihrer Stammessprache. Der Pfarrer erzählte mir, dass Ama, eine Bürgerin dieser ehemaligen britischen Kolonie, Englisch verstand, und so ergab sich ein Gespräch, als ob wir zum Tee zusammensäßen. Ja, ich freute mich, sie und ihre Freunde kennenzulernen. Ja, unsere Reise war lang gewesen, aber wir freuten uns riesig, dass wir die Möglichkeit hatten, hierherzukommen. Unsere Gruppe von Joni and Friends (JAF Ministries) war hier, um ihr und einigen ihrer Freunde Rollstühle zu schenken. Hätte sie Lust, sich uns weiter vorne in der Straße anzuschließen? Ja, hätte sie. – Und würde sie mir ihr Gesicht zuwenden, damit ich ihr Lächeln für den Rest des Abends sehen konnte? Wir lachten. Sie tat es.

Ich war fasziniert. Das afrikanische Mädchen, das für mich zum Symbol für behinderte Christen auf den Straßen von Accra wurde, hatte mein Herz erobert, aber auch ihr Pastor mit der Taschenlampe, der sich entschieden hatte, seine Tage unter den Ausgestoßenen der Erde zu verbringen. Der Gestank von verrottenden Dingen lag schwer über den Straßen, aber ein paar Minuten mit Ama verwandelten ihn wie durch ein Wunder in einen Duft des Lebens.

Ich verließ den Verschlag wieder und wurde von der Nacht verschluckt. Ich folgte dem Schein der Taschenlampe über die unbefestigte Straße und holperte in meinem Rollstuhl um Asphaltbrocken herum. Meine JAF-Freunde – die unsere Krücken und Rollstühle mitgebracht hatten – hievten mich auf den gegenüberliegenden Bürgersteig. Wo gehen wir denn jetzt hin, fragte ich mich. Und dann dachte ich noch: Bleib bloß in der Nähe der Taschenlampe!

Aus einer dunklen Gasse krochen zwei Teenager mit verkrüppelten Beinen heraus. Überlebende der Kinderlähmung, dachte ich, als sie sich zu unserer Gruppe gesellten. Wir überholten eine Frau in Stammeskleidung, die sich in einem klapprigen Rollstuhl fortbewegte, und einen nicht mehr als einen Meter großen achtzigjährigen Mann ohne Beine, der auf den Bordstein hüpfte und mir ein Lächeln zuwarf. Ich hielt an. Er rutschte zu mir herüber und streckte seinen Armstumpf aus, um mir die Hand zu schütteln. Ich beugte mich vor, um meine gelähmten Finger gegen seinen Armstumpf zu drücken, und wir grinsten über unser seltsames Händeschütteln. Wir wurden von dem Singen und Klatschen auf der Straße weiter vor uns angezogen. Als sich unsere Gruppe näherte, stellten sich die Waisen und Obdachlosen links und rechts des Weges auf, um uns im Schein eines Neonlichts willkommen zu heißen. Wir waren in einem Gottesdienst angekommen, der mitten auf dem Bürgersteig stattfand.

Wir Leute aus dem Westen saßen aufrecht auf den Bänken und blickten auf die zusammengewürfelte Menge. „Und nun, christliche Brüder und Schwestern“, rief der Pastor, „lasst uns unsere gütigen Freunde aus Amerika herzlich willkommen heißen, die von weither gekommen sind, um uns Rollstühle und Bibeln zu bringen!“ Jubel brach aus, und dann ertönte im vollen Klang der afrikanischen Harmonien ein Willkommenslied, das mich tief berührte. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf, als wir den behinderten Menschen zuhörten, die sich gegenseitig applaudierten, jedes Mal, wenn einer von ihnen seinen Glauben bekannte oder eine Stelle aus der Bibel vorgelesen wurde. Eine halbe Stunde anhaltenden Lobpreises verging wie im Flug, und dann wurde ich gebeten, zu sprechen.

„Danke, Freunde, dass ihr uns willkommen heißt“, sagte ich, als ich auf eine freie Stelle auf dem Bürgersteig rollte. Mein JAF-Freund schob einen der gestifteten Rollstühle neben mich. „Gott ist gut!“, rief jemand, als das erste Kind in den Rollstuhl gesetzt wurde. Noch ein Rollstuhl, noch ein Mensch mit Behinderung. Es wurde rhythmisch geklatscht, als unsere Gruppe eine ganze Reihe von Krücken und Rollstühlen an ihre Gruppe weiterreichte. Noch mehr synchrones Klatschen, laut und übermütig. Ama nickte im Takt dazu und rieb mit einem stolzen Lächeln ihre Stümpfe über die ledernen Armlehnen ihres Rollstuhls, während die Jungs mit der Kinderlähmung auf einer freien Stelle einen Tanz aufführten.

„Siehst du“, sagte ich zu einem Mitglied des Teams, „selbst die Leute, die wissen, dass es nicht genug Rollstühle für alle gibt, freuen sich so sehr für diejenigen, die einen bekommen.“

Der aufgehende Mond erhellte die Nacht von Osten. Als wir uns auf den Weg machten, die Slums zu verlassen, verabschiedeten uns die Afrikaner mit einem weiteren Lied:

Weil er lebt, kann ich mich dem Morgen stellen.

Weil er lebt, ist alle Angst verschwunden.

Denn ich weiß, ich weiß, dass ihm die Zukunft gehört;

und das Leben ist lebenswert, weil er lebt!

„Ist das das Neonlicht?“, fragte ich mich, als ich ihr strahlendes Lächeln sah. Nein. Es war eine Freude, die nicht von dieser Welt war.

Mein Freund, der Pastor, wies mir den Weg zurück zum Wagen. Als wir uns über die Straße drängelten, war ich ganz durcheinander. So viel Fröhlichkeit inmitten des Elends. Die Freude, die diese Menschen an den Tag legten, wirkte wie ein Gänseblümchen, das mitten im Stallmist aus dem Boden sprießt.

„Was passiert mit Ama, wenn es regnet? Wer kümmert sich um sie?“, fragte ich.

Im Schein der Taschenlampe glänzte sein Lächeln. „Gott kümmert sich um sie.“

Drückende Hitze. Mittellose Menschen. Ein Mädchen ohne Hände und ohne Beine, ohne Bett und ohne Ventilator, das auf einem harten Betonboden lebt und schläft. Das klingt nicht so, als ob Gott hier gute Arbeit leisten würde. Ich erinnerte mich an etwas, das ich gehört hatte: Ein Junge, der in einer Kiste neben einem Müllhaufen lebte, sagte: „Ihr Westler seid diejenigen, die wir nicht verstehen können. Gott hat euch so viel gegeben, ihr seid so gesegnet ... warum sind so viele Menschen in eurem Land so unglücklich?“

IN UNSERER WESTLICHEN WELT

Wir haben unsere wunderschönen Häuser im Landhausstil, unsere Arbeitslosenversicherung, drei Mahlzeiten am Tag und Supermarkt-Coupons, und im schlimmsten Fall Lebensmittelmarken1 – aber ist es nicht seltsam, dass wir immer noch mehr wollen? Wenn wir alleinstehend sind, wollen wir heiraten. Wenn wir verheiratet sind, wollen wir den perfekten Ehepartner. Wenn wir den perfekten Partner haben, reicht uns das auch nicht, und wir wollen die Zeit haben, unser Leben voll auskosten zu können.

Ein anderes Mal haben wir zu viel: Horrende Arztrechnungen. Vierzehn Termine in der Mayo-Klinik und acht Operationen, ein Schlaganfall, der unserem Ehemann die Sprache nimmt, oder Chromosomen, die unser Enkelkind beeinträchtigen. Gestern fand die Beerdigung statt, und wir fragen uns, wie wir die Zukunft allein meistern sollen. Wir brechen unter der Last solcher Probleme zusammen und sind ratlos und fragen uns, warum uns ein Leben in Fülle versagt worden und stattdessen anderen in den Schoß gefallen ist.

Wir wollen, was wir nicht haben.

Wir haben, was wir nicht wollen.

Und wir sind unglücklich.

Eine Geschichte über edle Afrikaner, die mit Freuden leiden, mag inspirierend sein, aber Gott – davon sind wir überzeugt – würde uns bestimmt nicht so einengen wollen, wie es bei den armen Menschen in Ghana der Fall ist. Unser Gott existiert, um unser Leben glücklich, sinnvoller und problemloser zu machen. Unser Gott geht anders mit uns um. Vielleicht holt uns hier die puritanische Ethik ein, die immer bestrebt ist, eine Lösung zu finden. Unsere westliche Kultur – und der Gott, der sie inspiriert – hat Krankenhäuser und Institutionen gebaut, um Leiden zu lindern. Wir sind zivilisiert, und das gilt auch für unsere Auffassung von Gott.

Er ist unser Vater, wie er sich selbst in seinem Wort beschreibt, und Väter wollen das Beste für ihre Kinder – keine gebrauchte Kleidung, die auf der Straße verkauft wird, oder eine Unterkunft, die unter einem Regenguss zusammenbricht. Er ist unser Erlöser, der uns Frieden und Wohlergehen sichert und die Taten des Teufels, einschließlich Krankheiten und Katastrophen, unter seinen Füßen zermalmt. Er verspricht uns ein Leben in Fülle (und Gott hält seine Versprechen immer). Er ist unser Erlöser, der uns von der Knechtschaft der Sünde und ihren Folgen befreit, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Und von Leid geheilt zu sein, bedeutet, glücklich zu sein.

Diesem Gedankengang folgte ich kurz nach meinem Tauchunfall im Jahr 1967, der zu meiner Lähmung führte. Ich lag auf dem Rücken in einem Stryker-Rahmen, mein Kopf war in einer Stahlzange fixiert, und ich konnte nur nach oben schauen – eine natürliche Position, um mit Gott zu sprechen. Ich versuchte mir vorzustellen, was er dachte. Wenn Gott Gott wäre – ich war davon überzeugt, dass er allmächtig und liebevoll war –, dann müsste er nun genauso bestrebt sein, meine Schmerzen zu lindern, wie ich es war. Ein himmlischer Vater musste doch um mich weinen, so wie es mein Vater oft tat, wenn er hier an meinem Krankenhausbett stand und sich ans Bettgitter klammerte. Ich war eines von Gottes Kindern, und Gott würde nie etwas tun, was einem der Seinen Schaden zufügte. Hat Jesus nicht gesagt: „Ist unter euch ein Vater, der seinem Kind eine Schlange geben würde, wenn es ihn um einen Fisch bittet? Oder einen Skorpion, wenn es ihn um ein Ei bittet? Wenn also ihr … das nötige Verständnis habt, um euren Kindern gute Dinge zu geben, wie viel mehr wird dann der Vater im Himmel denen den Heiligen Geist geben, die ihn darum bitten“ (Lk 11,11-13*).

Ein Gott, der so gut ist, ist es wert, gesucht zu werden. Als ich also aus dem Krankenhaus entlassen wurde, fuhren mich meine Freunde nach Washington, D.C., damit ich die Erste in der Schlange sein konnte, als die berühmte Glaubensheilerin Kathryn Kuhlman in die Stadt kam. Kathryn Kuhlman schwebte in ihrem weißen Kleid auf die Bühne, und mein Herz raste, als ich betete:Herr, in der Bibel steht, dass du all unsere Krankheiten heilst. Ich bin bereit, dass du mich aus dem Rollstuhl holst. Bitte, würdest du das tun?

Gott hat geantwortet, und ich habe meinen Rollstuhl bis heute nicht verlassen. Als ich das letzte Mal von einer Kathryn-Kuhlman-Veranstaltung wegrollte, war ich Nummer fünfzehn in einer Schlange von dreißig Rollstuhlfahrern, die darauf warteten, das Stadion über den Aufzug zu verlassen, und wir alle versuchten, schneller dort zu sein als die Leute auf Krücken. Ich erinnere mich daran, dass ich mir all die enttäuschten und verunsicherten Menschen ansah und dabei dachte: Irgendetwas stimmt an diesem Bild nicht. Ist das die einzige Möglichkeit, mit Leid umzugehen? Der verzweifelte Versuch, es zu beseitigen?

Als ich nach meiner Rückkehr zu Hause in den Spiegel schaute, kam es mir so vor, als würden mich ihre verdrießlichen Gesichter anstarren. Ich war genauso perplex wie die Leute am Aufzug. Vielleicht denkst du jetzt gerade Folgendes: Wie passt denn das jetzt alles zusammen? Gott ist gut. Gott ist Liebe. Er ist allmächtig. Und als er auf der Erde wandelte, tat er alles, um das Leid der Menschen zu lindern, und zwar jeden, von der Frau mit dem Blutfluss bis zum Diener des Hauptmannes. Warum also hat meine fünfjährige Nichte Kelly einen Gehirntumor? Warum hat mein Schwager meine Schwester und die Familie im Stich gelassen? Warum spricht Papas Arthritis nicht auf Medikamente an?

Gute Fragen.

Wenn die Antworten darauf ausbleiben, wenn Gottes Wege unsere durchkreuzen, dann wird das Feuer des Leids geschürt: Wir spüren die Hitze dessen, was wir wollen und nicht haben, und dessen, was wir haben und nicht wollen. Gott scheint davon unberührt zu sein. Das Glück entgleitet uns und wir sind unzufrieden und ruhelos.

Ich frage mich, wie viele der verdrießlichen Gesichter am Aufzug nach der Heilungsveranstaltung noch an Gott glauben. Das war vor fast dreißig Jahren. Warten sie immer noch in der Schlange? Hoffen sie immer noch? „Aufgeschobene Hoffnung macht das Herz krank“, sagt man, und ein Herz kann nur so und so oft brechen.

Wenn Gott ein Gott ist, der uns mit Hoffnung lockt wie einen Esel mit einer Karotte, nur um sie dann wieder zurückzuziehen, ist es doch kein Wunder, dass unser Verlangen nach ihm – unser Vertrauen in ihn – schwindet.

WIR SIND SCHWACH, DOCH ER IST STARK

Wir könnten eine Lektion von diesen Afrikanern lernen. Sie hätten gern das Problem mit den Lebensmittelmarken! Oder dass sie ein Haus im Landhausstil sauber halten müssten! Ein Industriestaubsauger? Der wäre doch praktisch für Amas Verschlag mit der Plane. Heilung? Es wäre doch zu schön, wenn auf einmal Beine und Füße aus ihren Stümpfen sprießen würden! Das Leid dieser Menschen ist ein bodenloser Abgrund, doch so sehr sie auch leiden und bedrängt sind, scheinen sie Gott voll und ganz zu vertrauen.

Glaub an dieser Stelle aber bitte nicht, dass ich die Afrikaner glorifiziere, oder dass ich den einen besser darstelle, damit sich der andere schlecht fühlt. Bevor wir Ama und ihre Freunde zu Heiligen verklären, sollten wir zunächst bedenken, dass sie uns ähnlicher sind, als uns bewusst ist: Auch sie wollen das, was sie nicht haben.

Der Unterschied ist, wie sie Gott sehen.

An einem heißen und windigen Abend, als wir uns gerade darauf vorbereiteten, unser Flugzeug zu besteigen, um Ghana zu verlassen, unterhielt ich mich auf dem Rollfeld mit einer afrikanischen Flughafenangestellten. Als ich ihr von den leidenden, aber glücklichen Menschen erzählte, die wir in den Slums getroffen hatten, antwortete sie: „Wir müssen Gott vertrauen. Unser Volk hat keine andere Hoffnung.“ Sie strich ihr im Wind flatterndes Haar glatt und warf mir mit einem breiten Lächeln einen wissenden Blick zu. Sie meinte jedes Wort ernst. Ich fragte sie, wie sie in Anbetracht dieses Leids immer noch lächeln konnte. Sie zuckte mit den Schultern: „Auch ich habe Gott.“

Bei ihr klang es so einfach. Vielleicht ist es das auch, überlegte ich. Sie hat denselben Gott wie wir. Dieselbe Bibel. Und wenn es um Leid geht, hat sie dabei denselben Text vor sich wie wir alle. In 2.Korinther 12,9-10* heißt es ganz klar: „Daher will ich nun mit größter Freude und mehr als alles andere meine Schwachheiten rühmen, weil dann die Kraft von Christus in mir wohnt. Ja, ich kann es von ganzem Herzen akzeptieren, dass ich wegen Christus mit Schwachheiten leben und Misshandlungen, Nöte, Verfolgungen und Bedrängnisse ertragen muss. Denn gerade dann, wenn ich schwach bin, bin ich stark.“

Schwere Zeiten bewirken, dass wir uns Gott zuwenden. Es ist eine universelle Wahrheit, die wir alle aus dem altbekannten Kindergottesdienstlied kennen, nämlich: „Wir sind schwach, doch er ist stark“.

Das ist es, was ich an diesem Abend in Afrika erlebt habe. Unser Freund, der Pastor, breitete die Arme aus und strahlte: „Willkommen in unserem Land, wo unser Gott größer ist als euer Gott.“ Es war eine frohe Tatsache: Gott erscheint denen, die ihn am meisten brauchen, immer größer. Und Leid ist das Werkzeug, das er benutzt, damit wir ihn mehr brauchen.

Gott durch Leid besser kennenlernen? Das ist ein seltsamer Gedanke. Da ist zum Beispiel der High-School-Typ, der Gott nie wirklich ernst genommen hatte, bis ihn ein Unglück traf. Er war völlig eingenommen von seinem Football-Stipendium für eine der renommiertesten Universitäten in den USA, bis er bei einem Spiel in der zehnten Klasse in Nebraska kurz vor der Endzone niedergeschmettert wurde. Zwei Operationen und danach drei Spielzeiten auf der Ersatzbank haben ihn dazu gebracht, sich ernsthaft Gedanken zu machen: Das Leben war kurz. Wo lagen seine Prioritäten? Heute treibt er immer noch Sport (er trainiert nach der Arbeit die Kindermannschaft), aber seine Prioritäten sind klarer. Bibelstudium und Gebet haben nun ihren festen Platz in seinem Leben.

Näher an Gott durch schwierige Zeiten? Noch so ein komischer Gedanke. Da wohnt zum Beispiel ein Ehepaar in der Straße, das ein bisschen zu materialistisch ist. Aber als der Mann letztes Jahr seinen Job verlor, fingen sie an, mehr zu beten, lernten, mit weniger auszukommen, und machten dabei auch einige wichtige Erfahrungen. Sie stellten fest, dass die Familie wichtiger ist, dass das Community College für ihre Tochter – die die Elite-Uni Princeton angestrebt hatte – gar nicht so schlecht war und dass Gott für sie sorgte, während sie versuchten, wieder auf die Beine zu kommen.

Gottes Hand im Liebeskummer entdecken? Noch so etwas. Da ist zum Beispiel der sechsundzwanzigjährige Mann, dessen Freundin ihm den Verlobungsring zurückgegeben hatte. Er ließ ihn monatelang auf seiner Kommode liegen, als Mahnmal für sein gescheitertes Liebesleben. Irgendwann fing er an, seinen Kummer zu verarbeiten, indem er sich um einen Jungen aus der Nachbarschaft kümmerte, der nie einen Vater gehabt hatte. Der junge Mann unternahm an den Wochenenden mit ihm Ausflüge zum Reiterhof und brachte ihm das Reiten bei. Dadurch wurde er erwachsen. Ihm wurde klar, dass seine Probleme vergleichsweise banal waren. Zwei Jahre später betrat dieser Mann eine Buchhandlung und entdeckte dort ein Mädchen mit honigblondem Haar und einem umwerfenden Lächeln, das in einem Kalender über Palomino-Pferde blätterte. Sie kamen ins Gespräch und stellten fest, dass sie mehr gemeinsam hatten als nur Pferde. Am nächsten Wochenende nahm er sie mit zum Reiten, schloss sich der Singlegruppe in ihrer Kirche an, und bald sagte sie Ja, als er ihr auf der Veranda einen Heiratsantrag machte. Heute erschaudert er bei dem Gedanken, dass er sie verpasst haben könnte.

Wenn wir schwach sind, ist Gott stark? Okay, daran können wir glauben.

Warum also lehnen wir uns dagegen auf, wenn es im Leben schmerzhaft wird? Warum fragen wir immer wieder nach dem Warum? Ein Hinweis darauf ist in den Fragen versteckt, die wir in solchen Momenten stellen: „Werde ich jemals wieder glücklich sein?“ und „Wie soll das alles zu meinem Wohl passen?“ Die Fragen selbst sind technischer Art und ichbezogen. Auch wenn wir gute Antworten auf diese Fragen finden – wie zum Beispiel im Falle des Footballspielers aus Nebraska, der seine Prioritäten neu geordnet hat, oder des materialistischen Paares, das lernte, mit weniger auszukommen, oder des Mannes, dessen Schmerz ihn zu „Miss Perfect“ geführt hat –, können selbst gute Antworten ichbezogen sein:

„Das Leiden hat mir geholfen, mich geistlich aufzurappeln.“

„Ich erkenne, wie diese schwierigen Zeiten meinen Charakter und mein Leben im Gebet verbessern.“

„Stell dir vor, was mir entgangen wäre, wenn mir nicht das Herz gebrochen worden wäre.“

„Dieses Leid hat meine Ehe wirklich gestärkt.“

Merkst du, wie häufig „mir“ und „ich“ vorkommt?

Auch Gott merkt das.

LEID JENSEITS DER VORSTELLUNGSKRAFT

Wie Wellen wiegen sich die Margeriten auf der Böschung, wenige Meter von unserem Sitzplatz. Kiefernzweige bewegen sich im Wind, mein Haar wird durcheinandergewirbelt, und meine Laune steigt. War jemals ein Garten so sonnendurchflutet? John McAllister und ich sitzen nebeneinander in unseren Rollstühlen. Er blickt mit versonnenem Blick auf die fernen Berge, um den Hals ein warmes Wolltuch geschlungen. Er sieht aus wie die Statue eines edlen und berühmten Mannes – oder wie ein Gelehrter, der in seinem Garten meditiert.

„Ich muss öfter hierherkommen“, seufze ich. „Ich liebe diese Aussicht, und diesen Tag! Ich weiß deine Freundschaft zu schätzen.“

„Mmhmm“, gibt er nur zurück und schiebt das Kompliment beiseite, wie ein Geschenk, das er erst später genießen will. Ich vergleiche unsere Situation. Fast drei Jahrzehnte Lähmung haben meinem Körper Tribut abverlangt. Aber in seinem Fall ist es eine degenerative Nervenkrankheit, die ihn schrittweise erdrückt. Ein Hüne von 1,90 Meter sitzt gekrümmt und verkümmernd vor mir.

Eine befreundete Krankenschwester kommt mit einer Spritze und einem Plastikbehälter mit einer cremigen Flüssigkeit hinzu. Er und ich unterhalten uns weiter, während sie die unteren Knöpfe seines Hemdes aufmacht. Sein weißer Bauch kommt zum Vorschein, zusammen mit einem Pflaster und einer dauerhaften Ernährungssonde. Über diese Sonde gibt sie ihm sein Mittagessen. Es scheint ihm nicht peinlich zu sein; trotzdem versuche ich, den Moment zu überspielen: „Es muss schwierig sein zu entscheiden, wann genau man das Tischgebet spricht, wenn man durch eine Sonde ernährt wird!“

Er nickt. Ich denke an die Tage, als er noch stärker und mobiler war, in der Lage war, ehrenamtlich in einem Pflegeheim zu arbeiten, immer auf der Suche nach Möglichkeiten, aktiv zu bleiben, zu dienen, etwas zu tun. Die Krankenschwester zieht die Spritze heraus und wischt seinen Bauch ab, so wie sie einen Mund mit einer Serviette abwischen würde. Ich bin dankbar, dass sie so ordentlich ist. John ist es sehr wichtig, ordentlich zu sein. Duschen ist das letzte Stück Normalität, an das er sich noch klammert. Alles andere ist für ihn bereits Geschichte.

Die Monate vergehen, die Luft wird kühler, die Tage kürzer. Johns Rollstuhl steht unbenutzt in der Ecke. Er ist zu schwach, um noch viel darin zu sitzen. Sein Bett steht mitten im Wohnzimmer. Darin liegt er. Die Nacht ist nicht mehr freundlich. Beunruhigende Schatten jagen durch den Raum. Die Schwerkraft ist sein Feind, denn das Gewicht der Luft legt sich auf seine Brust. Atmen ist Schwerstarbeit. Rufen kann er auch nicht.

Heute Nacht müsste er aber rufen. In der Dunkelheit findet ihn eine Ameise, und dieser Späher sendet den anderen Signale – und sie kommen. Erst Hunderte, dann Tausende. Eine ganze Legion bahnt sich geräuschlos den Weg durch den Schornstein, über den Boden, krabbelt unbemerkt an Johns Urinschlauch hinauf und auf sein Bett. Sie breiten sich über die Hügel und Täler von Johns Decke aus, graben sich unter seinen Körper und besteigen ihn von oben. Er ist ganz von wimmelnden schwarzen Invasoren bedeckt.

Ich bin gerade auf der anderen Seite des Ozeans in England, als das Fax in meinem Hotel eintrifft und ich davon erfahre. Johns Frau und eine Krankenschwester fanden ihn am frühen Morgen mit Ameisen im Haar, im Mund und in den Augen. Seine Haut war stark verbissen und verätzt. Bete für ihn, heißt es im Fax, wir haben ihn noch nie so verzweifelt erlebt. Als die Nachricht eintrifft, bin ich nicht im Hotel, sondern spreche gerade auf einer Konferenz, auf der ich über die Nöte behinderter Menschen berichte. Ich spreche über Gottes Barmherzigkeit und wie er die Schwachen und Gefährdeten schützt.

Später sitze ich am Schreibtisch neben der Rezeption und möchte das Fax ein zweites Mal lesen, aber schaffe es nicht. Es dreht mir den Magen um. John ist Christ. Sein Gott kann im Dunkeln sehen.

„Warum, um Himmels Willen, warum? Gott, wer bist du?“, möchte ich beinahe sagen.

Würdest du John kennen, würdest du das Gleiche sagen. Dies ist keine Geschichte über Bänderrisse auf dem Footballfeld. Das ist kein höflicher Ablehnungsbescheid eines Stipendiums in Princeton. Das ist kein Herzschmerz wegen einem zurückgegebenen Verlobungsring. Das ist absolut wahnsinnig. Das ist Leid, das einem Menschen nachstellt und ihn dann um den Verstand bringt. Das ist Leid, das außer Kontrolle gerät. Solches Leid würde mich niemals zu Gott hinziehen, denkst du. Es würde mich von ihm wegstoßen.

Sollen wir denn annehmen, dass solches Leid einem Menschen hilft, Gott besser kennenzulernen? Dass es dazu dient, Gott ein Stückchen näher zu kommen? Entspricht das Gottes Vorstellung, etwas Tiefgreifendes und Nachhaltiges in unserem Leben zu bewirken?

Gibt es jemanden da draußen, der sich einen Reim darauf machen kann? Der das alles wirklich glaubt?

ZURÜCK ZUR BIBEL

Mit nacktem Oberkörper und von der Obrigkeit gezwungen, auf dem Bauch zu liegen, schloss Paulus die Augen. Hinter ihm schlurften Sandalen durch den Schmutz. Er hörte, wie die Menge verstummte, hörte jemanden Atem holen, das Pfeifen der Lederriemen und – zack! – spürte den Schlag. Der Soldat fand seinen Rhythmus und nun ging es richtig los.

Die Auspeitschung war typisch jüdisch: neununddreißig Schläge mit der dreifachen Peitsche. Neununddreißig, und nicht vierzig. Das mosaische Gesetz erlaubte bis zu vierzig Peitschenhiebe, aber man riskierte lieber nicht, die Grenzen zu überschreiten.

Beim dreißigsten Schlag hing Paulus die Zunge in den Sand. Bis zum Ende seiner Laufbahn würde er den Staub vor fünf solcher Synagogen zu schmecken bekommen. Auch unter der Rute Roms würde er Prügel erleiden, die alte Narben wieder aufrissen, er würde nur knapp seiner Ermordung entgehen, sich einen Tag und eine Nacht lang auf offener See an ein Schiffswrack klammern, Jahre als Gefangener in Ketten verbringen und nach der Steinigung durch einen Mob dem Tod überlassen werden (2.Kor 11, 24-27).

All dies könnte er vermeiden. Er müsste nur an der einen oder anderen Stelle widerrufen und hin und wieder in kritischen Momenten diskret schweigen. Aber Paulus konnte einfach nicht den Mund halten. Seine Feinde hassten die endlose Flut seiner Zitate, ganz zu schweigen von seinem beeindruckenden Intellekt. Sie konnten Paulus nicht täuschen. Er kannte ihre viel tiefergehende Abneigung. Was seine Feinde am allermeisten hassten, war die unsichtbare Gestalt, die hinter jeder Debatte und Diskussion, an der er sich beteiligte, stand – derjenige, wie Johannes der Täufer es ausdrückte, dessen Sandalen aufzubinden er nicht würdig war. Es war die Erinnerung an diesen unsichtbaren Mann, die Paulus weitermachen ließ.

Was die Leute jedes Mal auf die Palme brachte, war die Sache mit den „drei Tagen im Grab und dann ...“. Wie hatten die Griechen darüber gelacht! Ein Leichnam, der von seiner Steinplatte hüpft? Eine Leiche, die in der Stadt herumlatscht? Ha! Aber was die Griechen amüsierte, erzürnte die Juden. Wie kann ein Sterblicher es wagen, den gleichen Rang wie der Allmächtige zu beanspruchen! Vor allem ein hinterwäldlerischer Rabbi, der unehelich gezeugt worden war und der den Sabbat mit seinen sogenannten Heilungen und verseuchten Lehren verunreinigte!2 Er war ein zweifacher Narr, weil er sich hatte kreuzigen lassen!

Aber Paulus hatte diesen Rabbi gesehen. Nach dessen Begräbnis. Weniger als ein Jahrzehnt danach. Dieser Rabbi war Paulus und seiner Karawane auf der Straße nach Damaskus erschienen – umgeben von unbeschreiblicher Herrlichkeit sprach er aus dem dritten Himmel und erschien unfassbar majestätisch. Zweifellos auferstanden aus einem eiskalten Grab. Allein diese Begebenheit überzeugte Paulus, dass Jesus von Nazareth tatsächlich der seit langem prophezeite Sohn Gottes war – gekommen, um für die Sünden der Welt in den Tod zu gehen, um das Leben wieder zu ergreifen und andere damit zu beschenken.

Stunden später war derselbe auferstandene Christus einem Christen in Damaskus auf weniger spektakuläre Weise erschienen und hatte ihm aufgetragen, Paulus zu finden und zu taufen. Die Botschaft endete mit der Ankündigung: „Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug ausgewählt, damit er meinen Namen in aller Welt bekannt macht – bei den nichtjüdischen Völkern und ihren Herrschern ebenso wie bei den Israeliten. Und ich will ihm zeigen, wie viel er von jetzt an um meines Namens willen leiden muss“ (Apg 9,15-16*).

Diese Ankündigung erwies sich als wahr. Paulus war dazu bestimmt, den Ruhm Jesu mehr zu verbreiten als die anderen Apostel zusammen. Doch dafür musste er sehr viel leiden.

Wie sehr wir ihn bewundern! Wie oft zitieren wir ihn! Wir sehnen uns danach, so edel zu leben, so kühn zu reden, so mannhaft gegen unsere Laster anzukämpfen! Gern hätten wir ein Herz und eine Seele wie die seine, völlig umgestaltet durch die Kraft Christi, der dem Tod die Macht genommen hat.

Einige Freunde von Paulus sehnten sich in dieser Zeit nach so einer Verwandlung: „Wir wollen so sein wie du, Paulus. Was ist dein Geheimnis? Wie können wir Gott so erfassen wie du?“ Der Apostel antwortete in einem Brief, in dem er beschrieb, was sein bemerkenswertes geistliches Leben antrieb und wonach er sich ganz persönlich sehnte:

Es geht mir nur um Christus,darum, die Kraft seiner Auferstehung zu erleben,und teilzuhaben an seinen Leiden,um ihm immer mehr in seinem Tod ähnlich zu werden. (Phil 3,10)

„Es geht mir nur um Christus“, schrieb Paulus.

Ja, sagen wir in unseren besten Momenten; wir wollen dasselbe. Das Leben ist gesegnet, wenn wir mit unserem Schöpfer im Reinen sind.

„Es geht mir nur darum … die Kraft seiner Auferstehung zu erleben.“

Ja, genau! Wir wollen uns über unsere Umstände erheben, so wie er von den Toten auferstanden ist. Wir könnten eine gute Seelenreinigung gebrauchen. Der Himmel weiß, welche Hilfe wir brauchen, um unsere Laster zu überwinden, denn wir alle wollen es besser machen.

„Es geht mir nur darum … teilzuhaben an seinen Leiden.“

Äh, warte. Vielleicht übertreibt der Apostel hier ein wenig: Wir wollen eigentlich keinen Anteil an den Leiden haben, weder an den Leiden Christi noch an denen anderer. Denken wir jedoch weiter darüber nach, müssen wir zugeben, dass harte Zeiten in mäßigen Dosen ein gutes Stärkungsmittel für die Seele sein können, und das Thema Leiden ist zweifellos ein wichtiger Teil des christlichen Lebens, über den wir alle mehr wissen sollten. Es sollte sich nur auf ein erträgliches Maß beschränken.

„Es geht mir nur darum … ihm immer mehr in seinem Tod ähnlich zu werden.“

Was? Christus in seinem Tod ähnlich werden, fragen wir. So wie beim Märtyrertod durch Kreuzigung? Wie bei einem langsamen Sterben, bei dem wir „unser Kreuz tragen“ und Gott uns allmählich alles entreißt, was uns lieb und teuer ist? Wie Christus in seinem Tod zu sein, indem ich gezwungen bin, Dinge anzunehmen, die ich nicht will, während ich Dinge will, die ich nicht habe? Dass ich von einem Gott, der behauptet, dass er mich liebt, mit Leid überschüttet werde? Wie bitte?!?

Moment mal, sagst du. Wenn der Apostel Paulus unser Vorbild ist, wenn Gott auf Paulus verweist, um uns zu zeigen, dass wir wie er sein können, hat Paulus – oder der Gott, den er repräsentiert – denn überhaupt eine Ahnung von dem Schmerz, den ich ertragen habe?

Hat ihn ein Ehemann verlassen und ihm einen Berg von Rechnungen hinterlassen? Wurde er mit einem Muttermal im Gesicht geboren und deshalb auf dem Spielplatz angestarrt und gehänselt? Hat er sich nach einfachen Sinnesfreuden gesehnt, die ich nie wieder erleben werde? Sitzt Gott in einem iranischen Gefängnis, mit verbundenen Augen und verstört? Erfriert er langsam auf einem New Yorker Bürgersteig im Januar? Lebt er mit der Erinnerung an misshandelnde Eltern, Inzest oder Vergewaltigung? Hat er zugesehen, wie sich Menschen, die er liebt – gar Kinder! –, vor Qualen an Leib und Seele winden? Allen Ernstes!?!

Wer ist dieser Gott, den ich zu kennen glaubte?

Wer ist dieser Gott, der von uns verlangt, über Glasscherben zu kriechen, nur um in den Genuss seiner Gesellschaft zu kommen?

1 Anmerkung des Übersetzers: In den USA ist es gängige Praxis, dass Lebensmittelgeschäfte Werbeprospekte mit Coupons verteilen (zum Beispiel reduzierte Preise für Artikel oder Zwei-für-eins-Coupons). Zudem gab es für Menschen, die keine Arbeitslosenhilfe mehr erhielten, sogenannte Lebensmittelmarken (zum Zeitpunkt der englischen Ersterscheinung des Buches). Dieses Programm heißt nun SNAP – Supplemental Nutrition Assistance Program, zu Deutsch: Ergänzendes Ernährungsunterstützungsprogramm.

2 Während der Debatte deuteten Jesu Gegner an, dass er unehelich geboren war. Siehe Joh 8,19.41.

Teil 1: WER IST DIESER GOTT?

Teil 1:

Wer ist dieser Gott?

KAPITEL 2

Überschäumende Freude

Lange bevor es Materie gab, noch bevor der Kosmos seinen ersten Atemzug tat oder der erste Engel die Augen öffnete – als es noch nichts gab, da hatte Gott schon ewig gelebt. Er hatte nicht nur ewig gelebt. Er war schon immer zufrieden gewesen. Und was auch immer Gott war, er ist es immer noch und wird es immer sein.

Ein seltsamer Gedanke für uns moderne Menschen. Wer sagt, dass Gott zufrieden ist? Angenommen, es ist wahr – ist das eine gute Nachricht für uns? Immerhin quält sich die gesamte Menschheit mit Schmerzen und Leid. Sollte Gott das alles mit hochgelegten Füßen in einer Hängematte beobachten dürfen? Vielleicht stört dich die Vorstellung von einem zufriedenen, unbeschwerten Schöpfer. Aber das sollte sie nicht. Denn wenn Gott jemanden aus dem Jammertal erretten soll, dann ist es weitaus besser, wenn er nicht selbst darunter leidet.

Nur wenige Menschen glauben heute an einen zufriedenen Gott, nicht einmal seine angeblichen Fans. Man denke nur an die Kamingespräche über 1.Mose, die Bill Moyers im Fernsehen geleitet hat. In der Sendung sitzen Theologen beisammen und diskutieren über das erste Buch Mose. Sieh dir den Gott an, den die meisten von ihnen dort finden! Er ist besorgt, unsicher, kleinlich, eifersüchtig und sogar rachsüchtig. Adam und Eva haben ihn überrumpelt, als sie von der Frucht aßen, und jetzt hat er große Probleme am Hals. Erst kaut er an den Nägeln, dann rastet er aus, er reagiert viel zu heftig und lässt Köpfe rollen. Wahrscheinlich wird er sich am anderen Tag deswegen schlecht fühlen.

Aber die Bibel nennt ihn „den seligen Gott“ (1.Tim 1,11), keinen bedrohten, um Aufmerksamkeit heischenden Gott, sondern den „Seligen und allein Gewaltigen, den König aller Könige und Herrn aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat …“ (1.Tim 6,15-16). Eine Übersetzung lautet sogar „der glückselige Gott“3. Die alten Griechen benutzten das Wort, um damit die Reichen und Mächtigen zu beschreiben – die Oberschicht der Gesellschaft – und um ihre Gottheiten zu bezeichnen, die bekamen und tun konnten, was sie wollten. Jesus benutzte dieses Wort, als er sagte: „Selig sind die Sanftmütigen … die Armen … die Friedensstifter.“ Er meinte damit, dass solche Menschen glücklich sind; wir sollten sie beneiden, sie sind die wirklich Glücklichen.

Das ist das Wort, das die Bibel verwendet, um Gott zu beschreiben. Um genau zu sein, drückt zufrieden es nicht deutlich genug aus – Gott ist tatsächlich glücklich. Sieht man sich das Gesamtbild der Bibel an, stellt man fest, dass er über allen Maßen glücklich ist. Er kommt nicht einfach irgendwie klar – er ist erfolgreich.4

Worüber ist Gott so glücklich? Denk mal darüber nach. Im Gegensatz zu uns mangelt es ihm an nichts. Er wäre derjenige, für den man zu Weihnachten nur schwer ein Geschenk findet. Einmal erinnerte er einige Anbeter, die dachten, sie täten ihm einen Gefallen: „Ich brauche keine Stiere aus deinem Stall und keine Böcke von deinen Weiden. Denn alle Tiere in Wald und Flur gehören mir ohnehin, auch das Vieh auf tausenden von Hügeln“ (Ps 50,9-10*). Keine Lehrer, keine Chefs, keine Trainer, keine Drill-Sergeants, keine Amtsärzte und keine durchgeknallten Typen mit geladener Pistole kommandieren ihn herum, denn „unser Gott ist im Himmel! Alles, was ihm gefällt, das führt er auch aus“ (Ps 115,3*). Er ist nicht im Verzug, hat nie zu wenig Energie, nie zu wenig Einfluss und wartet nie auf die Zustimmung der Bank oder auf eine Baugenehmigung, um seine Pläne zu verwirklichen, denn „niemand kann seiner Hand wehren noch zu ihm sagen: ‚Was machst du?‘“ (Dan 4,32**).

Stell dir die Freude vor, die er an allem haben muss, was er geschaffen hat. Man kennt die Genugtuung im Gesicht eines Kindes, dessen Buntstift-Meisterwerk „Haus mit Baum“ an den Kühlschrank geklebt wurde. Man weiß, wie man sich selbst fühlt, nachdem man das von den Gästen gelobte Abendessen serviert, die überragende Hausarbeit geschrieben, das wunderschöne Blumenarrangement zusammengestellt oder die Unternehmensfusion abgeschlossen hat. Immer wieder bewundern wir den Gehweg, den wir selbst gepflastert haben, das Schiffsmodell, das stolz über das Bücherregal segelt, oder den restaurierten 64er Ford Mustang in der Garage. Wir grinsen von einem Ohr zum anderen, wenn wir Onkel Frank den perfekten Streich gespielt haben. Wie hat sich Robert Frost gefühlt, als er das erste Exemplar seiner gesammelten Werke in der Hand hielt? Oder Michelangelo, als er das letzte bisschen trocknende Farbe in der Kuppel der Sixtinischen Kapelle betrachtete? Was geht Steven Spielberg bei der Premiere seines neuesten Films durch den Kopf?

Alles Kleinigkeiten für Gott. Was glaubst du, was ihn in der Minute durchströmte, nachdem eine Milliarde Galaxien entstanden waren? Mit typischem Understatement erzählt uns die Bibel: „Gott sah, dass es gut war“ (1.Mose 1,18**). Nachdem er sich zurückgelehnt hatte, um das Panorama zu bewundern, ruhte er sich aus – nicht vor Erschöpfung, sondern um den Moment zu genießen.

Das ist Zufriedenheit.

Jede gut gemachte Arbeit ist doppelt befriedigend, wenn jemand da ist, der sie bemerkt. Das gilt auch für Gott. Er erzählte Hiob, dass, als die Fundamente der Erde gelegt wurden, „alle Gottessöhne jubelten“ (Hiob 38,7) und dass sie bei diesem Anblick niederfielen! Ist es möglich, diese himmlische Szene zu begreifen? Bei allem, was Gott je getan hat, vom Anbeginn der Zeiten an:

Tag und Nacht stieg der Weihrauch des Lobes vor ihm auf, aus goldenen Phiolen, die von Geistern gehalten wurden, die sich ehrfürchtig verneigten; die Harfen unzähliger Cherubim und Seraphim priesen ihn unablässig und die Stimmen all dieser mächtigen Heerscharen waren ständig voll Anbetung … Könnt ihr euch vorstellen, wie süß die Harmonie war, die sich unaufhörlich in das Ohr … Gottes ergoss?5

Welch eine Freude und Anbetung er genießen konnte! Aber wir haben im-mer noch nicht darüber nachgedacht, was ihn am allermeisten begeistert.

Wenn du Gott wärst, was gäbe es denn überhaupt, was dich noch beindrucken würde? Schließlich hast du alle und alles erschaffen. Es ist alles wunderbar, ohne Zweifel, aber geringer als du. Ein Gespräch mit einem deiner Geschöpfe, selbst mit dem großartigsten, bedeutet, dass du dich unendlich herablassen musst. Was könnte deinen grenzenlosen Geist wirklich unterhalten? Welche Idee würde dich fesseln? Wessen Gesellschaft würde dich bezaubern? Wessen Charakter und Leistungen verblüffen dich? Wo könntest du Schönheit und Anmut finden, die dich verzaubern?

Es gibt nur eine Antwort. Nur ein unendliches Wesen kann ein unendliches Wesen zufriedenstellen. Für Gott kommt der wahre Rausch, wenn er in den Spiegel blickt.

Wo ist dieser Spiegel?

Er liegt in der Dreieinigkeit.

Ewigkeiten vor dem Kosmos, vor den Engeln und vor dem Himmel selbst existierte der eine und einzige Gott in drei Personen. Vater, Sohn und Heiliger Geist. Leugnet man dies, kann man kein Christ sein. Doch um es zu verstehen, müsste man einer der Drei sein.

Deshalb war Gott noch nie allein. Als der Dreieinige schöpft er das Leben, das Sein und den höchsten Genuss von niemandem außer sich selbst. Er erhält seine eigene Existenz aufrecht und entfacht die Flamme seines eigenen Gefühlslebens. Er ist sein eigener bester Freund.

Der Heilige Geist ist der Stille. Obwohl er die gleiche Göttlichkeit und den gleichen Status wie die anderen hat, fließt er auf ewig aus dem Vater und dem Sohn. Seine Aufgabe ist es, den Sohn zu ehren, indem er die Segnungen aus Jesu Tod und Auferstehung auf uns überträgt. Sowohl der Vater als auch der Sohn „senden“ ihn. Der Heilige Geist hat nichts dagegen. Er hat nie etwas dagegen gehabt. Die Drei haben sich auf ewig darauf geeinigt. Es liegt in der Natur des Heiligen Geistes, auf den Sohn zu verweisen. Er weiß genau, wie der Sohn und der Vater denken, und er brennt vor Liebe zu ihnen, denn die Drei sind gemeinsam Gott. Der Vater und der Sohn lieben den Heiligen Geist dafür.

Aber in der Bibel ist es der Sohn, der die Hauptrolle spielt. Er ist Gott, eine absolute Gottheit, die dem Vater und dem Geist in jeder Hinsicht gleichgestellt ist. Der Vater wird nicht müde, mit ihm zu prahlen:

Siehe, das ist mein … Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat (Jes 42,1**).

Dies ist mein geliebter Sohn, an ihm habe ich Freude

(Mt 3,17*).

Die beiden sind sich so nahe, dass der Sohn „im Schoß des Vaters“ ist, das heißt, sein Haupt auf seiner Brust ruht, wie enge Freunde einst im Nahen Osten, die auf Teppichen um einen niedrigen Tisch lagen (Joh 1,18). Außerdem hat Gott das Universum genommen und an seinen Sohn übergeben: „Alles hat mir mein Vater übergeben“ (Lk 10,22*).

Warum schätzt der Vater ihn so sehr? Weil er sich selbst in seinem Sohn sieht. Seine eigene Vollkommenheit wird darin makellos reflektiert. Der Sohn ist Gott und reflektiert ihn wie ein Spiegel. In ihm sieht Gott die Quelle aller Intelligenz, Großartigkeit und Güte, die es seit Ewigkeit gibt. Wenn wir in den Spiegel schauen, sind wir fast immer enttäuscht. Gott sieht in den Spiegel und ist gefesselt. Um es etwas albern auszudrücken: Wenn der Vater jemals eine Sehnsucht hätte, dann würde sie vom Sohn mehr als erfüllt werden. Das ewige Dreiergespann schwelgt gemeinsam in einem Wirbel gegenseitiger Liebe. Die Dreieinigkeit genießt ein Vergnügen, das für uns unfassbar ist.

Überrascht dich das? Das sollte es.

Aber wie hilft das dem Krebspatienten, der Blut hustet? Oder dem Gefangenen in der Todeszelle? Oder John McAllister, wenn die Ameisen gegen ihn zu Felde ziehen?

Stell es dir so vor. Dein Auto hat eine Panne, hundertfünfzig Kilometer von zu Hause entfernt auf einer Nebenstraße, und du kannst die Panne nicht beheben. Die Kinder auf dem Rücksitz quengeln und sind hungrig. Du hast dein Portemonnaie verlegt. Du läufst einen Kilometer bis zur nächsten Stadt. Unterwegs spürst du, dass eine Erkältung im Anmarsch ist. Von einer Telefonzelle aus rufst du deine Freunde per R-Gespräch6 an – keiner nimmt ab. Die Autohäuser sind geschlossen. Du suchst auf der Hauptstraße nach jemandem, der dich zurück zu deinem Auto fahren könnte und eventuell einen Blick unter die Motorhaube wirft, dich aber auf jeden Fall an einen Ort bringen könnte, wo du mit deiner Familie warten kannst, bis jemand Geld schickt.

Wen wirst du ansprechen? Den älteren Herrn, der aus dem Beerdigungsinstitut kommt und sich die Tränen abwischt? Die Teenager, die sich auf der anderen Straßenseite gegenseitig wüst anbrüllen? Den Mann mittleren Alters, der aus dem Reihenhaus stürmt und flucht, während er die Tür hinter sich zuschlägt? Die Frau im zerschlissenen Mantel, die mit einem schmutzigen Kind im Schlepptau den Bürgersteig entlangschlurft? Oder die beiden Nachbarn auf der Veranda nebenan, die schwatzen und kichern?

Du wirst die Nachbarn auswählen. Warum? Weil die anderen ihre eigenen Sorgen haben – einige von ihnen würden dir vielleicht sogar etwas antun. Aber die Nachbarn scheinen gute Laune zu haben. Gut gelaunte Menschen helfen anderen am ehesten.

Gott, so könnten wir sagen, hat gute Laune. Er ist nicht deprimiert. Er ist nicht auf der Suche nach Leidensgenossen. Er ist kein verbitterter, kosmischer Neandertaler mit dem Finger auf dem Auslöser einer Atomwaffe. Gott ist überschäumende Freude. Daher kommt seine Barmherzigkeit. Der volle Tank Liebe, an dem er sich erfreut, schwappt über die Mauern des Himmels hinaus. Er schwimmt in Euphorie und will das mit uns teilen. Und warum? Ganz einfach – wie Gott es selbst ausdrückt: „damit meine Freude euch erfüllt“ (Joh 15,11*).

Aber Gott ist niemandes Wasserträger. Als würdevoller Herrscher über alles teilt er seine Freude zu seinen eigenen Bedingungen. Und diese Bedingungen verlangen von uns, dass wir leiden – in gewissem Maße so leiden, wie sein geliebter Sohn auf Erden gelitten hat. Wir mögen seine Gründe nicht verstehen, aber wir wären wahnsinnig, uns deswegen mit ihm anzulegen.

Er ist in einer unbeschreiblichen Ekstase.

Es ist alles wert, sein Freund zu sein.

Okay, Gott ist also gerne Gott. Er genießt es, Gott zu sein. Aber sind wir ihm denn auch wichtig? Sonnenschein auf Hawaii hält den Schneeregen über Boston nicht auf – was ist mit Sonnenschein im Himmel? Es ist allgemein bekannt, dass Verliebte an einem Tisch mit Kerzenschein andere nicht bemerken – das Café will schließen, alle anderen Gäste sind nach Hause gegangen – sie merken es nicht einmal. Auch Gott ist verliebt. Die Dreieinigkeit ist glücklich. Aber wir sind hier unten und ertrinken im Elend. Woher wissen wir, dass er überhaupt an uns denkt?

Weil wir seinen Sohn kennen.

---ENDE DER LESEPROBE---