Was es uns bedeutet - KD Williamson - E-Book

Was es uns bedeutet E-Book

KD Williamson

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Beschreibung

Polizistin trifft Chirurgin: Freundschaft, Leidenschaft und Vertrauen auf dem Prüfstand in diesem fesselnden lesbischen Liebesroman. In der Fortsetzung des lesbischen Liebesromans Was zwischen uns steht genießen Nora Whitmore und Kelli McCabe endlich das gemeinsame Glück. Doch das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Als Nora erneut von Taylor Fuller bedroht wird und Kellis Bruder Antony aus der Entzugsklinik ausbricht, gerät das gemeinsame Leben der beiden aus den Fugen. Was sie sich mühsam aufgebaut haben, droht wie ein Kartenhaus zusammen zu fallen, und es bleibt nur die Frage: ist ihre Liebe stark genug, um auch diese Hürden zu meistern?

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Seitenzahl: 362

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Weitere Bücher von KD Williamson

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Über KD Williamson

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Was zwischen uns steht

Kapitel 1

Kelli nahm einen großen Schluck von ihrem Bier und zappte weiter durch das Fernsehprogramm. Sie blieb bei der Sendung »Sex auf der Intensivstation« hängen. Das musste sie dem Learning Channel lassen, da lief wirklich immer etwas Interessantes. Und trotzdem gähnte sie ausgiebig – allerdings nicht, weil die Doku langweilig war. Sie hatte sich schlicht immer noch nicht daran gewöhnt, den ganzen Weg zur Arbeit, der quer durch die Stadt führte, zu Fuß zu bewältigen, und war verdammt müde. Zum Glück hatte sie im Moment nicht zu viele offene Fälle. Vielleicht versuchte der Lieutenant auch nur, sie noch zu schonen.

Gut, dass Noras Bett nicht nur hochpreisig, sondern auch super bequem war. Nicht, dass sie beide viel zum Schlafen kamen, aber in den letzten Wochen hatte sich eine Art Routine eingestellt, besonders seit Kelli wieder im aktiven Dienst war. Egal wie spät sie beide von der Arbeit zurückkamen, sie nahmen sich immer noch Zeit füreinander. Besser konnte ein Tag für sie nicht enden.

Ein wunderbarer Geruch erreichte ihre Nase und ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie war jedoch klug genug, um zu wissen, dass sie sich besser von der Küche fernhielt. Alles, was Kelli dort auch nur berührte, wurde ungenießbar. Als sie noch allein gewesen war, hatte sie sich meistens mit Take-away begnügt, aber Kochen war Noras Art, sich um Kelli zu kümmern. Es war verrückt. Eigentlich hätte sich Kelli durch all die Aufmerksamkeit, die Nora ihr schenkte, völlig erdrückt fühlen müssen – erstaunlicherweise war das Gegenteil der Fall. Sie wollte sogar noch mehr Nähe. Mehr Anfassen, mehr Lachen, einfach mehr. Vierundzwanzig Stunden reichten nicht aus für all das, was sie wollte. Und es war für Kelli definitiv völlig neu, jemanden so sehr zu brauchen, so sehr zu wollen.

Jemand klingelte an der Tür.

Kelli schaute Richtung Küche und rief: »Erwartest du irgendwen?«

Nora steckte den Kopf durch die Tür und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe keine Ahnung, wer das sein könnte. Schaust du mal nach, bitte?«

Kelli nickte und stand auf, bedacht darauf, ihre sofort geweckte Beunruhigung vor Nora zu verbergen. Natürlich war es möglich, dass jemand aus ihrer Familie vorbei sah, aber es war eher unwahrscheinlich. Sie überprüfte die Überwachungskamera auf Noras iPad.

Vor der Tür stand Taylor Fuller, die Praktikantin, die Nora wegen sexueller Belästigung angezeigt hatte.

»Heilige Scheiße.« Sie zoomte heran, um einen besseren Blick auf Fuller zu bekommen.

Die wirkte unruhig und schien unfähig, zu entscheiden, ob sie die Arme vor der Brust verschränken oder einfach an den Seiten hängen lassen wollte. Taylor verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Sie war nicht gekommen, um in Ruhe einen Tee mit ihnen zu trinken, so viel war sicher. Kelli sah sich Taylor genauer an, suchte die Kleidung nach Wölbungen ab, unter denen sich eine Waffe hätte verbergen können, fand aber nichts.

Verdammt noch mal. So bescheuert konnte doch niemand sein. Nora konnte diesen Besuch überhaupt nicht gebrauchen. Gerade jetzt, wo es ihr zum ersten Mal seit Wochen wieder gut ging. Kelli holte ihre Dienstwaffe aus der abschließbaren Box, die Nora für sie besorgt hatte, und machte das Holster an ihrem Gürtel fest. Dann riss sie die Tür auf.

»Hast du deinen verdammten Verstand verloren?«, zischte sie, wartete aber nicht auf eine Antwort. Sie hatte Taylor an der Bluse gepackt, zog sie ein paar Schritte zu sich heran und schloss die Tür hinter sich.

Taylor riss die Augen auf und sah aus, als ob Kelli sie zu Tode erschreckt hatte. Exzellent.

»Mit mir hast du nicht gerechnet, was?« Kelli schubste sie ein Stück von sich weg.

Taylor rümpfte die Nase. »Ist mir völlig egal, dass du hier bist.«

»Ich bin Polizistin, Pappnase. Schon vergessen? Und jetzt mach, dass du hier wegkommst.«

Taylor hielt kurz inne, schien aber genug Mumm in den Knochen zu haben, um standhaft zu bleiben. »Nein, verflucht! Sie hat alles ruiniert. Ich hatte mir hier ein Leben aufgebaut!«

»Hör mal, Kleines.« Kelli kam Taylors Gesicht so nah, wie sie nur konnte. Sie freute sich, als sie Angst in Taylors Augen lesen konnte. »Werd verdammt noch mal erwachsen. Manchmal musst du dich für den Scheiß, den du erreichen willst, anstrengen. Natürlich ist das nicht das, was du willst. Aber das ist nicht Noras Schuld. Reiß dich zusammen und leb dein Leben. Du hast gelogen. Man hat dich erwischt. Jetzt musst du dafür bezahlen.«

»Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Fass mich nicht an. Du hast mir gar nichts zu sagen.« Taylors Gesicht war wutverzerrt.

»Ich werde dich gleich mit meinen Handschellen bekannt machen, wenn du nicht endlich abhaust.« Kelli verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte.

»Vergiss es. Ich werde nicht einfach so verschwinden. Das war das letzte Mal, das mich jemand wie Dreck behandelt.« Unvermittelt holte Taylor aus.

Kelli wich dem Schlag problemlos aus und musste beinahe lachen, als Taylor durch die Wucht ihrer Bewegung nach vorn kippte. Bevor sie es ein weiteres Mal versuchen konnte, hatte Kelli sie schon gepackt, mit dem Gesicht gegen die Tür gepresst und verdrehte ihr den Arm auf den Rücken.

Taylor schrie vor Schmerz auf.

»Für den Angriff auf einen Polizisten kannst du bis zu fünf Jahre Gefängnisstrafe bekommen. Willst du das? Ist es dir das wert? Ja?«

»Nein, bitte!« Taylor wandte den Kopf in Kellis Richtung und sah sie flehend an.

Der Schmerz und die Angst in Taylors Blick waren nicht überraschend. Mit den Tränen hatte Kelli nicht gerechnet. Allerdings ließ sie der Anblick völlig kalt. »Bist du dir sicher? Wenn du Nora zu nahe kommst … Sagen wir einfach, mit mir verscherzt man es sich besser nicht.«

Taylor nickte kurz.

Kelli ließ sie los. »Hast du mich verstanden?«

Taylor wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht.

Kelli hatte keine Zweifel daran, dass die Tränen echt waren, aber Taylor sah schon nicht mehr ganz so ängstlich aus. Sie schaute Kelli durchdringend an, war aber schlau genug, einen Schritt Distanz zwischen ihnen zu schaffen.

»Ja, ich habe dich verstanden.« Sie lächelte wie eine falsche Schlange. »Ich hoffe, du hast mich auch verstanden.«

Kelli hob die Hände. »Ach, komm schon. Sei nicht so ein verdammtes Klischee. Hör einfach auf. Du bist jung genug, um irgendwo neu anzufangen. Sei nicht dumm und hör mit dem Mist auf. Ihr seid mit eurem Plan gescheitert und dabei wird es bleiben. Erzähl das auch deinem Freund.«

Taylor lachte. »Der hat mich doch überhaupt erst in diese Scheiße geritten. Der kann in der Hölle schmoren, wenn es nach mir geht.«

»Klingt, als hättest du dir ’ne ganze Menge Feinde gemacht, Kleines,« fuhr Kelli fort.

»Ich komm schon klar.«

»Ja, sicher. Es ist immer schön, wenn man an sich selbst glaubt. Jetzt mach, dass du verschwindest.« Dieser verbale Boxkampf, den Kelli ganz klar gewonnen hatte, dauerte schon lange genug.

Taylor wich langsam zurück, sah Kelli dabei aber weiter auf eine Art und Weise an, die klarmachte, dass es ihr psychisch überhaupt nicht gut ging.

Kelli sah Taylor hinterher. Dieses Mädchen waren sie sicher noch nicht für immer los. Kelli nahm sich vor, wachsam zu bleiben und am besten jeden Abend mit Nora zu verbringen. Nur für den Fall, dass Taylor die Botschaft nicht verstanden haben sollte. Sie wartete, bis Taylors Auto langsam am Ende der Straße verschwand. Dann drehte sie sich um und öffnete die Haustür.

Nora stand im Flur und sah sie stirnrunzelnd an.

Kelli räusperte sich und sagte dann: »Ich weiß nicht, ob wir vielleicht ein Auge auf sie haben sollten, ich will nicht, dass sie –«

Nora machte einen Schritt auf sie zu und unterbrach sie mit einem Kuss.

Kelli zog sie näher zu sich heran. »Ich kann schnell noch ein paar Leute mehr rundmachen, wenn das meine Belohnung dafür ist.«

Nora lächelte. »Das Essen ist fertig.«

»Schmeckt es auch so gut wie das hier?«, sagte Kelli und fing an, an Noras Hals zu knabbern.

Nora lachte und drehte den Kopf zur Seite, um Kelli den Zugang zu ihrem Hals zu erleichtern. »Nicht ganz so gut.«

»Was gibt es eigentlich? Es riecht nämlich wahnsinnig gut.«

»Steak mit Chimichurri-Soße, dazu Kipfler-Kartoffeln und Karotten in Honig.«

»Ich habe keine Ahnung, was ein Chimi-Dingsda ist, aber mit Steak und Kartoffeln hast du mich schon überzeugt.«

»Wusste ich’s doch.«

Tatsache war, dass Nora Kelli sogar mit Haferschleim überzeugen könnte, solange es ihre Hände waren, die das Essen zubereiteten.

~ ~ ~

Bis Kelli in ihr Leben getreten war, war Nora kein großer Fan von Körperkontakt im Allgemeinen und Kuscheln im Besonderen gewesen. Jetzt schien es ihr manchmal, als hätte sie eine Art Abhängigkeit in Bezug auf Nähe entwickelt. Allerdings nur, wenn es um Kelli ging. Sie rückte noch näher an Kelli heran.

Eigentlich war Nora auch keine große Romantikerin, aber gerade nutzte sie den kleinen Streifen Mondlicht, der ins Schlafzimmer fiel, dazu, um Kelli beim Schlafen zu beobachten. Auch wenn der Anblick kein wirklich schöner war. Kellis Mund stand weit offen, ein Tropfen Speichel hatte sich im Mundwinkel gefangen und ihre Stirn war in Falten gelegt, als ob sie sich selbst im Schlaf furchtbar konzentrieren musste.

Nora lächelte im Halbdunkeln. Dass sie das alles bezaubernd fand, sagte eine Menge darüber aus, wie wichtig Kelli ihr geworden war. Langsam wanderte ihr Blick über Kellis Gesicht. Dann hob sie die Hand und ließ ihre Fingerspitzen erst über die Falten auf ihrer Stirn gleiten, dann über ihre Nase und ihre Wangen.

»Wasislos?«, murmelte Kelli schlaftrunken.

»Sch …« Nora machte ein paar beruhigende Geräusche und hoffte, dass Kelli wieder einschlafen würde.

Kelli grummelte, drehte sich von links nach rechts und legte ihr Bein über Noras. Dann wurde sie wieder ruhig. Nora rückte weiter an sie heran, bis ihre nackten Körper eng aneinander lagen. Haut an Haut. Dann war nur noch ihr ruhiges Atmen zu hören; sie war wieder eingeschlafen.

Nora wusste nicht genau, warum sie noch wach war. Vielleicht weil sie das hier, die Nähe zwischen sich und Kelli, einfach unbeobachtet genießen wollte. Was zwischen ihnen passierte, war etwas ganz Besonderes. Unerwartetes. Im Bett war Kelli die Dominierende. Die, die den Ton vorgab, aber immer genau darauf achtete, dass Nora sich nicht überfahren fühlte. Sie sorgte dafür, dass Nora und sie auf einer Wellenlänge waren. Trotzdem fiel es Nora oft genug schwer, sich entspannt hinzugeben. Sie hatte grundsätzlich Angst, die Kontrolle zu verlieren. Da kam Kellis aufmerksame Art genau recht.

Sie half Nora, mehr von sich selbst zu offenbaren. Kelli war großherzig und fürsorglich und irgendwie wusste sie immer genau, was sie sagen und was sie tun musste, um alles besser zu machen. Sie allein konnte Nora zum Lachen bringen, sie Dinge fühlen lassen, von denen diese nicht einmal geahnt hatte, dass es sie gab. Es fühlte sich allmählich zu gut an, um wahr zu sein.

Nora seufzte und vergrub ihr Gesicht in Kellis Nacken. Heute Nacht würde sie keine weiteren Zweifel zulassen.

Kapitel 2

Nora hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte, während sie durch den leeren Gang der Intensivstation lief. Ihre Müdigkeit war definitiv dem nächtlichen Nachdenken geschuldet. Sie hatte viel zu wenig und zu unruhig geschlafen.

Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich, die immer näher kamen. Ihr Nacken verkrampfte sich. Rader war schon lange weg und an Taylor wollte sie nicht einmal denken. Nicht einmal, nachdem diese vor ihrer Haustür aufgetaucht war.

Erst, als er laut ihren Namen rief, begriff Nora, dass die Schritte hinter ihr zu Kellis Bruder, Sean, gehörten. Sie atmete erleichtert auf und wartete, bis er sie eingeholt hatte.

»Das hier ist die Intensivstation«, sagte Nora trocken.

Sean rollte mit den Augen, so wie Kelli es auch gern tat.

»Ja, weiß ich doch. Ich bin nur hier, um Travis zu sehen. Ich wollte eigentlich erst danach bei dir vorbeischauen, aber wenn du schon mal hier bist …«

»Außer dir läuft hier keiner schreiend die Gänge runter, fällt dir das auf?« Nora musste sich auf die Innenseite ihrer Wange beißen, um nicht zu grinsen.

Sean runzelte die Brauen. »Ähm, nein.« Er lächelte. »Wirst du mir zur Strafe jetzt den Hintern versohlen?« Er schaute verlegen zu Boden. »Entschuldigung, das hätte anders klingen sollen.«

Nora seufzte. Der klassische Charme der Familie McCabe … »Da bin ich mir sicher.«

»Wenn du gern hättest, dass man dir mehr hinterherruft, könntest du eine der Krankenschwestern dazu abkommandieren.« Er grinste.

Nora versuchte, ihn böse anzufunkeln, aber sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich glaube, deine Schwester hat den Familiennamen schon genug beschmutzt.«

»Ja, sie stiehlt mir ständig die Show. Wo wir gerade dabei sind …« Sean zog einen Umschlag aus seiner Tasche. »Ich hab Kelli eben auf dem Revier gesehen. Sie sagte, sie würde es wahrscheinlich erst spät ins Krankenhaus schaffen. Hat irgendwas davon geredet, dass sie die Gewohnheit nicht brechen wolle. Was auch immer das heißt.«

Nora schmolz innerlich dahin. Ihre Wangen wurden heiß, als sie den Brief entgegennahm.

»Ich hätte ihn fast gelesen, aber dann hatte ich Angst, dass was Schmutziges drinstehen könnte.«

Sean hatte so viel mit seiner Schwester gemein, dass es fast schon unheimlich war. »Das ist nett von dir.«

»Dachte ich mir doch.« Sean lächelte und blieb stehen.

»Ist noch was?« Nora schaute ihn fragend an.

»Willst du ihn nicht lesen?«

»Doch, allein in meinem Büro«, sagte Nora und wandte sich zum Gehen.

Sean lief neben ihr her. »Ach, wo bleibt denn da der Spaß? Ich will doch sehen, was du dabei für ein Gesicht machst. Ich brauche doch was, womit ich dich beim nächsten Abendessen aufziehen kann.«

»Keine Ahnung, was ich darauf kontern soll.«

»Etwas ganz Nettes am besten«, sagte Sean lachend.

Nora grinste. »Ja, ihr McCabes seid wirklich von der gefährlichen Sorte, da muss man sich gut überlegen, was man sagt.«

»Und wie.« Er hielt inne und bewegte sich dann auf eine offene Zimmertür zu. »Ich muss hier lang.«

Nora schaute in den Raum. Gerald Travis Jr. winkte ihr zu. Sie schenkte ihm im Gegenzug ein Lächeln. »Ich verstehe.«

»Bis später, Nora«, sagte Sean.

»Schönen Tag noch, Sean.«

Sie mochte ihn wirklich, auch wenn sie es seltsam fand, sich mit einem Mann zu unterhalten – es war ihr grundsätzlich neu, sich mit irgendwem zu unterhalten, mit dem sie nicht vorhatte, Sex zu haben. Trotzdem genoss sie es. Nora schaute auf den Brief in ihren Händen. Ihre Neugier siegte. Schnell bewegte sie sich auf eins der Bereitschaftszimmer am Ende des Ganges zu.

Kurz darauf öffnete sie vorsichtig den Umschlag. Auf dem Papier standen nur ein paar Zeilen.

Du musst mich wirklich gernhaben. Das ist schon das vierte Mal, dass ich dich dabei erwischt habe, wie du mich beim Schlafen beobachtest. Dein Pech: Ich bin mir sicher, dass du im Schlaf viel besser aussiehst als ich.

Nora lachte und Wärme erfüllte sie, wie immer, wenn sie an die toughe Polizistin dachte. Es war erstaunlich, wie schnell Kelli sie zum Lachen bringen und welche schönen Gefühle sie in ihr auslösen konnte.

~ ~ ~

Kelli schaute auf ihre Uhr, als sie das Krankenhaus betrat. Sie hatte noch dreißig Minuten Zeit, dann waren die Besuchszeiten vorbei. Besser als nichts. Im Laufe des Tages hatte sie ein paar Mal mit Travis gesprochen. Es war ihr kleines Ritual. Aber Kelli fühlte sich nur dann auf der sicheren Seite, wenn sie ihn besuchte. Sie musste sich immer wieder versichern, dass es ihm besser ging. Sie musste es mit eigenen Augen sehen. Williams war immer ein guter Partner gewesen, aber nur Travis passte wirklich perfekt zu ihr. Mit ihren täglichen Besuchen wollte sie ihm ihre Wertschätzung zeigen. Kelli betrachtete die Tüte in ihrer Hand. Diesmal hatte sie ein Geschenk dabei – Chili-Cheese-Pommes.

Kelli stieg in den leeren Aufzug. Sie drückte die Taste mit der sieben und lehnte sich gegen die Wand. Sie war froh, wieder arbeiten zu können. Das war sie wirklich. Aber sie war auch höllisch müde. Die Schussverletzungen, die sie davongetragen hatte, hatten ihr einen ziemlichen Schlag versetzt. Es würde seine Zeit brauchen, bis sie wieder richtig auf Trab war. Heute hatte sie nicht viel mehr geschafft, als ein paar Beweise zu überprüfen. Das musste reichen. Glücklich machte sie das aber nicht.

Kelli verließ den Aufzug und ging den Gang hinunter. Nach Nora musste sie nicht Ausschau halten, die war schon zu Hause. Kelli lächelte. Wie seltsam und herrlich war das denn? Da wartete eine Frau bei ihr zu Hause. Nur auf sie. Wahnsinn! Das Leben war mit einem Mal so viel besser, als sie es sich je erhofft hatte. Kelli winkte den Krankenschwestern mit dem müden Blick zu, als sie das Schwesternzimmer passierte. Als sie an Travis’ Tür angekommen war, lehnte sie sich kurz an den Türrahmen und betrachtete ihn. Er saß aufrecht im Bett, zappte durch die Fernsehkanäle und sah unfassbar gelangweilt aus. Als er sich mit den Händen über das Gesicht wischte und einen Seufzer von sich gab, setzte das dem Ganzen noch die Krone auf.

»Die sollten hier wirklich DVD-Player haben«, sagte Kelli, als sie den Raum betrat.

Travis lächelte. »Ja, oder? Oder wenigstens Pornos. Es ist ein bisschen wie ein Hotel hier. Warum haben die dann keine Pornos?«

Kelli lachte. »Draußen vor deiner Tür gibt es einen Kummerkasten. Soll ich dir ein Blatt Papier holen?«

»Vielleicht später.« Er sah sie prüfend an. »Du musst auf der Arbeit ziemlich viel zu tun haben. Du kommst jeden Tag später. Du weißt, dass es okay ist, wenn du nicht jeden Tag hier auftauchst?«

Kelli hielt die weiße Tüte hoch und warf sie aufs Bett. »Doch, muss ich.« Sie setzte sich.

»Natürlich darfst du kommen, wenn du verbotene, fettige Dinge mitbringst.« Travis griff in die Tüte, holte den Styroporbehälter heraus und öffnete ihn. Er schob sich sofort eine Fritte in den Mund. »Aber ehrlich, Kel, mir geht’s gut und du hast Besseres zu tun.«

»Sagst du das Sean auch, wenn er herkommt?« Kelli sah ihn missbilligend an. Sie wusste, dass ihn diese Frage ruhigstellen würde.

Travis zuckte mit den Schultern. »Nein. Aber er hat auch kein Privatleben. Du schon.«

Kelli stimmte die Aussage mürrisch. »Also denkst du, ich komme nur aus Pflichtbewusstsein her, oder was? Komm schon, dafür kennst du mich zu gut.«

Er schüttelte den Kopf. »Das tue ich. Ich will dich nur nicht von irgendwas abhalten.«

»Ich lebe mein Leben und du bist ein Teil davon. Verstanden?« Kelli wusste, wie es sich anfühlte, wenn das Leben einfach an einem vorbeizuziehen schien, während man selbst an eines dieser unbequemen Krankenhausbetten gefesselt war. Es war ihr wichtig, dass er das verstand.

»Ja.« Er verspeiste noch eine Fritte. »Diese Dinger schmecken besser mit ’nem Bier dazu.«

Kelli schnaubte. »Ja, das tun sie.«

»Du bist aber vorsichtig, oder? Passt du auf, dass du genug Freizeit hast? Und damit meine ich nicht nur Freizeit mit Nora.«

Kelli lächelte verlegen und kratzte sich am Nacken. Nora war wirklich, wirklich gut darin, ihr beim Entspannen zu helfen. »Ich hab gerade keine Zeit, um durch die Kneipen zu ziehen.«

»Unsinn. Ich weiß, dass Sean und Williams versuchen, dich mehr aus dem Haus zu kriegen. Es ist doch nur ein Bier und ein bisschen Spaß, Kelli. Du musst wieder mehr mit anderen unternehmen.«

Vielleicht hatte er recht. Wenigstens ein bisschen. Aber ihr Leben war einfach nicht mehr dasselbe. »Ja, vielleicht. Aber du bist doch sowieso nicht da.«

Travis legte sich die Hand auf die Brust. »Du wartest auf mich? Das ist zwar nett, aber keine Entschuldigung. Hol ein Bier mehr und ein paar Mozzarella-Sticks und stell sie auf einen leeren Platz, dann bin ich im Geiste bei euch. Bis diese Löcher in meinem Kopf zugewachsen sind, schalte ich mich mit dem Walkie-Talkie dazu.«

Kelli lachte. Nach der Operation hatte er ein mittelalterlich anmutendes Gestell tragen müssen. Es hatte sein Leben gerettet. Heute konnten sie darüber lachen. Er machte täglich Fortschritte. »Vergiss es.«

»Dann nimm Nora doch einfach mit.«

»Wohl kaum.«

»Warum nicht?«

»Das ist nicht ihre Welt. Diese Kneipen sind nicht gut genug für sie.«

»Du doch auch nicht und dich scheint sie trotzdem zu mögen«, sagte Travis trocken.

Das hatte gesessen. »Auch wieder wahr.«

»Ich habe gesehen, wie sie dich ansieht. Sie kommt schon klar.«

Nora in einer Polizistenkneipe … Das würde eine interessante Erfahrung werden. »Ich werde mal drüber nachdenken.«

»Mach das. Wir können morgen drüber reden, wenn sie mich in mein neues Zimmer verlegt haben.«

»Dein neues Zimmer?«

»Jawohl! Damit bin ich raus aus der Intensivstation. Eigentlich sollte das letzte Woche schon passieren, aber die Ärzte waren zu zimperlich.«

»Wunderbar! Das wurde aber auch Zeit. Hast du’s deinem Vater schon erzählt?«

»Ja, aber der hat sich schon wieder an seinen bequemen Alltag gewöhnt. Aber er war hier. Das ist wohl das Wichtigste. Nächste Woche ist er weg.«

»Vergiss nicht, dass meine Mum dich schon ausreichend versorgen wird. Das hält sich dann die Waage.«

»Ja, oder? Ich mache mir keine Sorgen. Aber eins muss ich dir sagen. Wenn du morgen wiederkommst, dann solltest du wissen, dass diese Fritten sich ohne einen Cheeseburger mit Bacon sehr einsam fühlen.« Hoffnungsvoll sah er sie an.

Kelli musste lachen. »Dann fängst du am besten jetzt schon mal an, mir den Hintern zu küssen.«

Kapitel 3

Wie ferngesteuert fuhr Kelli zu einem neuen Tatort in der Nähe des Holly Park. Dafür brauchte sie kein Navi. Sie kannte in dieser Stadt jede einzelne Straße in- und auswendig. Kelli konnte ihre Gedanken schweifen lassen und die landeten sofort bei Nora. Zwischen ihnen lief es wirklich gut. Kelli hatte beschlossen, fest daran zu glauben, dass sie beide diese besondere Beziehung verdient hatten. Leider war da immer noch diese nervige, leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die sagte, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis diese glückliche Blase platzen würde. Was für ein Schwachsinn. Aber Noras Berührungen, ihre Blicke – das war alles echt. Diese dumme Stimme in ihr hatte keine Ahnung.

Kelli hatte in ihrem Leben schon eine Menge Mist gesehen und erlebt. Umso schöner war es jetzt, jeden Abend zu einer Frau wie Nora zurückzukehren. Allein der Gedanke an sie ließ Kelli grinsen.

Williams neben ihr räusperte sich so laut und so nervig, wie er nur konnte. »Wir sind auf dem Weg zu einem Tatort und du grinst wie eine Verrückte. Ist dir das bewusst?«

»Jap.« Kellis Lächeln wurde breiter.

»Also, entweder du sagst mir, warum du so strahlst, oder du hörst bitte damit auf. Das ist echt abartig.«

»Das mag sein«, sagte Kelli. »Sonst noch was?«

»Ich starre dich schon seit zehn Minuten an. Aber du bist im Traumland verschwunden und kriegst nix mit.«

»Das mit dem Starren solltest du dir abgewöhnen, wenn du mich fragst«, sagte sie.

»Ich dachte kurz, du fängst vielleicht auch noch an zu sabbern. Hab mir schon Sorgen gemacht.«

»Warst du eigentlich schon immer so? Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass du früher so nervig warst.«

»Man kann sich im Leben auch verändern.«

Sie hob eine Augenbraue. »Was soll das denn heißen?«

Er zuckte mit den Schultern und grinste. »Ich meine nur, du kannst mir alles erzählen. Hast du an was Schmutziges gedacht? Hat es was mit deiner Ärztin zu tun?«

Der Arme. Wenn er weiter versuchen würde, sich wie Travis zu verhalten, würde er zielsicher auf eine Identitätskrise zusteuern. Travis’ Fußstapfen waren viel zu groß für ihn. Williams war weder jung noch hipp. Er war mehr eine alte treue Seele. »Kann ich bitte den langweiligen alten Williams zurückhaben?«

»Hey, ich dachte, ich mache mich ganz gut. Wenn du die Augen zusammenkneifst, gehe ich noch für fünfundvierzig durch. Und fünfundvierzig ist doch das neue Dreißig, oder?«

»Nein, fünfundvierzig ist das neue Fünfundvierzig.«

Sie hielt an einer roten Ampel.

Williams schaute sie böse an.

Kelli konnte ein weiteres Grinsen nicht unterdrücken.

»Das habe ich gesehen.« Williams grinste triumphierend. »Irgendwas muss ich also richtig machen.«

Kelli rollten mit den Augen. »Hör mal, ich verstehe, warum du einen auf dreißig machst. Aber hör bitte damit auf, bevor du dir was brichst.«

Dazu sagte Williams nichts mehr.

Kelli schaute zu ihm hinüber.

Er sah aus dem Fenster.

Scheiße. Hatte sie seine Gefühle verletzt? »Bruce?«

»Hm?« Er schaute sie an, hatte aber schon sein Pokerface aufgesetzt.

»Sei einfach du selbst. Ich weiß, es ist ’ne Weile her, dass wir zusammengearbeitet haben. Aber als wir Partner waren, warst du mein Fels in der Brandung. Und das sollst du auch jetzt sein, okay?«

Er lächelte schüchtern. »Wirklich?«

Kelli schmunzelte in seine Richtung. »Ja, wirklich.«

Williams nickte und wandte sich wieder dem Fenster zu. »Na gut, das kann ich machen.« Kurz war er still. »Aber nur, weil ich ein Mann mittleren Alters bin, heißt das noch lange nicht, dass ich die Sache mit den Lesben nicht trotzdem geil finden kann. Also, raus mit der Sprache.«

»Herrgott noch mal.« Kelli seufzte. Statt zu antworten, drehte sie das Radio lauter.

~ ~ ~

Kelli schaute auf ihre Uhr. Es war Zeit zu gehen. Sie fing schon an zu schielen. Ihr letzter Fall hatte sich praktisch von allein gelöst. Es gab einfach zu viele hirnlose Menschen auf der Welt. In den letzten Stunden war sie für einen anderen Fall Anruflisten durchgegangen. Die schienen aber nirgendwo hinzuführen. Ihre Knochen knackten. Sie öffnete die Schublade ihres Schreibtischs und holte ihre Schlüssel, ihre Pistole und ihr Handy heraus.

»Bist du weg?«, fragte Williams.

»Ja, hier passiert heute nichts mehr.« Sie gab dem Papierstapel einen kleinen Schubser.

Williams zuckte mit den Schultern. »Das mag sein.« Er klappte den dicken Ordner zu, der vor ihm lag. »Bier?« Er hielt eine Hand hoch. »Wenn du Nein sagst, kann es sein, dass ich dich erschieße.«

»Dann ziel am besten auf die Schulter.« Kelli musste schmunzeln.

Williams rollte mit den Augen. »Ach, komm schon. Was ist denn bloß mit dir los? So gut kann sie doch gar nicht sein.«

O doch. Kelli funkelte ihn an.

Williams lachte. »Du wirst eine von denen, oder?«

»Eine von welchen?« Kelli konnte sich denken, auf was er hinauswollte.

»Eine von denen, die eine Beziehung anfangen und dann alle anderen vergessen.«

»Autsch, der hat gesessen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Musste raus.«

»Das ist es nicht. Irgendwo was trinken gehen, das ist nicht dasselbe ohne Travis.«

»Wir stellen ein Bier vor einen leeren Stuhl und schalten ihn am Telefon zu, wenn es sein muss.« Williams schaute sie erwartungsvoll an.

Kelli schmunzelte. »Das hat Travis auch gesagt. Wir hocken wohl alle zu viel aufeinander, wenn ihr beide schon anfangt, das Gleiche zu denken.«

»Er hat verdammt noch mal recht.«

Kelli warf die Hände in die Luft. »Okay, na gut. Aber nicht heute. Auf so was muss ich Nora vorbereiten.«

»Wirklich? So schlimm sind wir doch auch wieder nicht. Es sind doch nur Sean und ich. Wart ihr nicht schon mal bei deiner Mutter zum Abendessen?«

»Ja, waren wir. Und darauf musste ich sie auch vorbereiten.« Es gab keinen Grund, Williams wissen zu lassen, dass es umgekehrt gewesen war und Nora Kelli hatte vorbereiten müssen.

»Na gut. Wir sind im Beck’s, falls du dich noch umentscheidest«, sagte Williams mit einem Unterton von Enttäuschung.

Warum musste Travis bloß immer recht behalten?

~ ~ ~

Kelli lehnte an der Kücheninsel und schaute Nora zu, wie sie sich über den Kühlschrank beugte. Der Rock, den sie trug, lag eng über ihren Hüften und an ihrem Hintern an. Das bescherte Kelli eine fantastische Aussicht. Sie war wirklich pervers. Und genoss jede Sekunde.

»Was hättest du gern?«, fragte Nora.

Kelli kicherte, statt zu antworten.

Nora blickte über die Schulter. Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe, als sie sah, wo Kellis Blick hinfiel. Sie lächelte verlegen. »Was hättest du gern zu trinken?«

»Überrasch mich.«

Nora holte eine Flasche Sweetwater 420 aus dem Kühlschrank.

»Sehr gut.« Sweetwater war im Moment Kellis liebste Biermarke. Sie mochte alles von Sweetwater. Außer das Bier mit Heidelbeere. Bier mit Früchten war einfach nicht in Ordnung.

Nora schob ihr das Bier hin und beobachtete, wie Kelli den Kronkorken routiniert mit dem Flaschenöffner öffnete und den ersten Schluck nahm. Sie genoss, wie das helle kühle Bier ihre Kehle hinunterlief. Dann stellte sie die Flasche auf die Anrichte und sah Nora an. Ihre Wangen waren leicht gerötet, ihr Haar sah zerzaust aus und ihr Blick wirkte irgendwie glasig. In den letzten paar Wochen war Kelli dieser Blick schon öfter aufgefallen. »Warum schaust du mich so an?«

Nora räusperte sich. »Was?«

»Wenn ich …« Kelli schaute auf ihr Bier und dann Nora an. Dann ging ihr ein Licht auf. »Macht es dich an, wenn ich Bier trinke?«

Noras Gesicht glühte förmlich. »Nur, wenn du aus der Flasche trinkst.«

Kelli grinste. »Und ich dachte, ich bin pervers.«

Nora ging um die Kücheninsel herum und griff nach dem Bier. »Nein, überhaupt nicht.« Sie nahm einen kleinen Schluck und grinste.

»Na, Gott sei Dank.«

Nora nahm noch einen Schluck.

»Kann ich mein Bier zurückhaben?«

»Das hier ist echt gut«, sagte Nora.

»Ich weiß. Letztes Mal hast du meine halbe Flasche leer getrunken.«

Nora nahm einen größeren Schluck. Bier aus der Flasche zu trinken, passte nicht zu Nora. Nora war elegant, wirkte irgendwie immer zart. Aber sie war kein verdammtes kleines Blümchen und genau das gefiel Kelli. »Meine Kollegen fragen mich dauernd, ob ich mit ihnen was trinken gehen will. Willst du mitkommen?«

Nora sah sie an. »Hast du ihnen meinetwegen abgesagt?«

»Nein.« Kelli grinste. »Glaub mir, ich verbringe meine Abende sehr viel lieber mit dir als mit den Kollegen. Aber darum geht es nicht.«

Nora hakte nicht weiter nach. »Um was geht es dann?«

»Na ja, Travis hat gemeckert, dass ich wieder mehr mit den Jungs machen soll«, sagte Kelli. »Das war vor ein paar Tagen. Williams und Sean wollten heute einen trinken gehen. Also jetzt, nehme ich an. Es ist noch früh.«

»Du meinst jetzt sofort? Bist du dir sicher, dass du mich dabeihaben willst?« Nora klang zögerlich.

Kelli wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht. Sie wollte, dass Nora sich willkommen fühlte. Und sie wollte, dass Nora wusste, dass Kellis Leben und die Menschen, mit denen sie sich umgab, ihr offenstanden. Sofern Nora das wollte. »Weißt du, wenn du mit mir den Müll nach Beweisen durchforsten würdest, hätte ich selbst dabei Spaß. Und es gibt nichts, was ich weniger gern mache.«

Nora lachte. Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. »Wie machst du das nur?«

»Was?«, fragte Kelli.

»Wie weißt du immer genau, was du sagen musst?«

Kelli zuckte mit den Schultern. Sie wusste es nicht. Aber wenn es um Nora ging, kamen die richtigen Worte irgendwie ganz von selbst.

Nora griff nach dem Bier und trank einen großen Schluck. Dann gab sie die Flasche zurück und beugte sich nach vorn, um ihre Lippen über Kellis streifen zu lassen.

Kelli erwiderte den Kuss, auf der Suche nach ihren beiden Lieblingsgeschmacksrichtungen: Bier und Nora.

»Ich zieh mir nur schnell was anderes an und füttere noch Phineas. Dann können wir gehen.« Nora löste sich von ihr.

»Ich kann Phineas füttern. Mach du dich fertig.«

»Okay, gib mir zehn Minuten.«

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht ging Kelli nach draußen und betrat Phineas’ eingezäuntes Gehege. Nora bezahlte jemanden, der sich darum kümmerte, es sauber zu machen. In der Ecke lagerten ein paar Ballen Heu, daneben stand eine riesige Futterschale, die so ähnlich aussah wie die, die auch im Haus stand. Phineas, das Kune-Kune Schwein, lag auf einer riesigen weichen Matte.

Kelli hielt die Tüte mit dem Gemüse und den Pellets hoch und schüttelte sie. »Was geht, Großer? Schau mal, was ich für dich habe.«

Phineas hob seinen massigen Körper und kam auf Kelli zu. Für so ein großes Vieh war er verdammt schnell. Er stieß mit dem Kopf gegen Kellis Bein und rieb sich an ihr.

Kelli lachte. Phineas schnaubte und ging wieder zurück zu seiner Matte.

»Du willst mir doch nicht erzählen, dass du keinen Hunger hast.«

Kelli sah zu, wie Phineas sich eins der großen Plüschtiere nahm, das neben seiner Matte lag. Dann kam er wieder auf sie zu und drückte den schon ziemlich mitgenommenen Frosch gegen Kellis Bein. Wenn er ihr ein Plüschtier brachte, war das seine Art, ihre Gesellschaft zu suchen. Kelli kratzte ihn an der Nase.

»Wollen wir tauschen? Ach was, du kannst auch einfach beides behalten.« Sie füllte seine Schale.

Schon ließ er vom Spielzeug ab und widmete sich dem Essen.

»Mit dir spielt er viel mehr. Ich freue mich, dass ihr euch so gut versteht.«

Kelli drehte sich um und sah Nora. »Wahrscheinlich weiß er, dass ich einfach nur ein verdammt großes Kind bin.« Kelli grinste.

»Ich glaube, da hast du recht«, sagte Nora.

Kelli blickte sie entrüstet an.

Nora grinste. »Vielleicht behalte ich die Aufnahme von der Kamera und lade sie bei YouTube hoch.«

»Aha.« Kelli ging zur Tür. Als sie an Nora vorbeilief, gab sie ihr einen Klaps auf den Hintern. »Lass uns gehen.«

Nora lachte.

~ ~ ~

Nora stand vor Beck’s Bar and Grill und betrachtete das schlichte Schild mit dem Schriftzug der Kneipe. Das Gebäude selbst war unauffällig und sah aus, wie alle anderen Häuser dieser Gegend. Als jemand aus der Kneipe trat und die Tür für einen Moment offenstand, konnte man von drinnen Lachen und gedämpfte Musik hören. Sie war in keiner Weise beunruhigt und freute sich auf das, was sie dort drin erwarten würde.

»Alles okay?«, fragte Kelli und legte ihre Arme von hinten um Nora.

Nora drehte sich um und schaute sie an. »Ja. Und bei dir?«

Kelli grinste. »Du kennst mich zu gut. Aber ja, alles okay.«

Kelli löste sich von Nora, aber ließ eine Hand auf Noras Rücken. Als sie die Kneipe betraten, empfing sie der Geruch von abgestandenem Bier und frittiertem Essen. Es war eine eindrucksvolle, aber keineswegs überraschende Mischung. Im Hintergrund lief in erträglicher Lautstärker ein Rockklassiker. Nora schaute sich um. Die meisten Tische waren besetzt, an der Theke war auch kein Platz mehr frei. Die Gäste sahen durchweg vergnügt aus. Nora war bereit, sich ins Getümmel zu stürzen, mit Kelli an ihrer Seite.

Jemand winkte ihnen zu.

Nora winkte zurück. »Da ist dein Bruder.«

»Jupp.« Kelli schob Nora vorwärts.

Als sie am Tisch angekommen waren, standen beide Männer auf.

Kelli kicherte.

Als Nora über ihre Schulter schaute, sah sie, dass Kelli mit den Augen rollte.

»Was denn?«, fragte Nora, als sie sich setzte.

»Plötzlich haben sie Manieren. Dabei bin ich, als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, auch eine Frau.«

»Ich sehe dich lieber nicht als Frau, sondern einfach als McCabe.« Williams prostete ihr mit seinem Bier zu.

Sean lachte und trank einen Schluck aus seiner Bierflasche.

»Mein Name ist übrigens Bruce Williams.« Er gab Nora die Hand. »Hab schon viel von dir gehört. Aber wir haben uns nie kennengelernt.«

Nora schüttelte die Hand und lächelte. Seine Haut war warm und rau. Aus irgendeinem Grund erinnerte er Nora an ein altes, erhabenes Walross – zwar groß, aber harmlos. »Schön, dich kennenzulernen.«

»Williams, ist das nicht zu viel des Guten? Solltest du nicht eigentlich lautstark rülpsen und Frauen hinterherschauen, die halb so alt sind wie du?« Kelli konnte nicht anders, als ihn aufzuziehen.

»Halt die Klappe, McCabe, ich kann auch nett sein.« Williams schaute sie böse an, konnte ein Lächeln aber nicht verbergen.

»Ja, immer dann, wenn du irgendwas willst.« Kelli grinste, setzte sich zu Nora und legte einen Arm um ihre Schulter. »Sie gehört zu mir. Denk dran.«

Williams lachte laut. »Hat sie da überhaupt kein Mitspracherecht?«

Nora war fasziniert von der Dynamik zwischen den beiden. Es war fast so, wie zwischen Kelli und ihrem Bruder. »Ja, was ist mit meinem Mitspracherecht?«, fragte sie und sah Kelli an.

»Oh, Vorsicht. Die ist von der schnellen Sorte.« Sean zeigte auf Nora.

»Muss sie auch, wenn sie mit euch Arschlöchern konfrontiert wird«, sagte Kelli.

»Ja, das muss sie«, stimmte Williams unverfroren zu.

Schon erschien eine Kellnerin und Nora bestellte eine Flasche Sweetwater.

»Du hättest doch kein Bier bestellen müssen«, sagte Kelli.

Nora schaute sich vorsichtig am Tisch um. »Aber es passt doch. Und du kannst den Rest trinken, wenn ich nicht mehr will.«

Kelli zuckte mit den Schultern und grinste. »Ja, vielleicht.«

»Was gibt es denn hier zu essen?«, fragte Nora.

»Burger, Fritten, Chicken Wings … so was.«

»Dachte ich mir. Ich bin am Verhungern.«

»Du willst diesen Scheißfraß essen?« Kelli war überrascht.

»Wenn es guter Scheißfraß ist?«

Kelli zuckte mit den Schultern und schlug die Speisekarte auf, die vor ihnen auf dem Tisch lag. »Das Essen hier ist ganz in Ordnung. Die in Bacon eingewickelten roten Jalapeños sind besonders gut.«

»Dann lass uns mit denen anfangen.« Nora mochte scharfes Essen.

»Wollen wir uns Fritten teilen? Oder willst du Ketchup?« Kelli sah sie an, als ob die Antwort auf diese Frage über die Zukunft ihrer Beziehung entscheiden würde. Ihr Mund war zu einer ernsten Linie geworden, aber ihre Augen funkelten amüsiert.

»Überhaupt nicht.«

»Ich wusste, dass es einen Grund gibt, warum ich dich mag«, sagte Kelli.

Nora lächelte.

Irgendjemand räusperte sich sehr laut.

Nora schaute hoch.

Williams winkte und grinste. »Habt ihr uns vergessen?«

Wenn sie ehrlich war, hatte sie das. Manchmal war es, als ob Kelli und sie in ihrer eigenen Welt lebten. »Kümmert euch um eure eigenen Jalapeños.« Nora schaute ihn mit ihrem schärfsten Todesblick an.

Williams verstummte augenblicklich.

»Oh, verdammt«, sagte Sean.

Kelli lachte.

Die Kellnerin brachte ihre Drinks und sie bestellten das Essen.

Aus dem Augenwinkel sah Nora dabei zu, wie Kelli aus ihrer Flasche Sweetwater IPA trank. Diese Obsession war neu für Nora und sie musste noch herausfinden, was genau sie daran so faszinierte.

»Wir sollten uns einfach an einen eigenen Tisch setzen«, sagte Sean zu Williams.

»Sollten wir wirklich, oder?« Williams bewegte sich keinen Zentimeter.

»Was denn? Ich kann doch nichts dafür, dass ich ein Leben habe«, sagte Kelli grinsend.

»Willst du damit sagen, dass ich keins habe?« Williams Augenbrauen schossen in die Höhe.

»Ja, genau das will ich.« Kelli wandte sich mit einem verschwörerischen Grinsen an Nora. »Er hat einen ziemlich festen Händedruck, oder?«

Das war eine heikle Feststellung.

Williams stand der Mund offen.

Sean lachte herzhaft.

»Willst du damit andeuten, dass ich masturbiere?«

»Mach dir deine eigenen Gedanken«, sagte Kelli.

Williams blickte zu Nora und zischte dann Kelli zu: »Hier sind Damen anwesend. Es ist nicht in Ordnung, über Männer und ihre …«

»Willst du mich verarschen?«, fuhr Kelli dazwischen und lachte.

»Scheiß drauf, an Kellis Schandmaul hat sie sich sicher schon gewöhnt«, winkte Sean ab.

Nora starrte Sean an, genau wie Kelli und Williams auch.

Sean setzte an, einen Schluck Bier zu trinken, und bemerkte dann, dass er unter Beobachtung stand. »Was? Verdammt noch mal, ihr wisst doch, was ich meine!«

Williams und Kelli lachten laut.

Sean vergrub den Kopf in seinen Händen.

Nora lächelte und entschied sich, den ganzen Wahnsinn weiter anzustacheln. »Als Ärztin kann ich regelmäßige Masturbation nur empfehlen. Studien haben belegt, dass das Krebs vorbeugt und den penilen Muskel stärkt.«

Kelli brüllte vor Lachen und knallte ihre Faust auf den Tisch. Sean schaute weg, aber nicht, bevor Nora sein Lächeln sah.

Williams stöhnte.

»Je mehr man weiß …«, sagte Kelli, immer noch kichernd.

~ ~ ~

»Scheiße!«, schrie Kelli. Sie konnte diesen Orgasmus bis in die Zehenspitzen spüren. Was Nora mit ihrer Zunge tat, war unglaublich. Aber Kelli brauchte eine Pause. Statt Noras Kopf zwischen ihre Beine zu drücken, wie sie es eben noch getan hatte, versuchte sie jetzt, sie von sich wegzuziehen.

»Stopp. Bitte.« Kelli schaute nach unten, aber der Wasserdampf um sie herum war so dicht, dass sie kaum etwa erkennen konnte.

Bevor sie sich versah, stieg Nora daraus empor wie eine heidnische Göttin. Ihr nackter, feuchter Körper berührte Kelli. Dies hier, Nora, war ein Traum; ihr Traum.

Nora küsste Kellis Hals, dann ihr Gesicht. Ihre blonden Haare lagen tropfnass glatt nach hinten. Sie sah einfach unverschämt heiß aus.

Kellis Körper kribbelte. »Du bist … unglaublich. Das ist es also, was ich bei dir auslöse, wenn ich Bier aus der Flasche trinke?«, fragte sie atemlos.

»Mh mh«, bestätigte Nora. »So sexy.«

~ ~ ~

Kelli stand neben dem Drucker und wartete ungeduldig darauf, dass er den umfangreichen Augenzeugenbericht ihres aktuellen Falls ausspuckte. Sie stöhnte. »Verdammt noch mal, Johns! Hättest du den Scheiß nicht heute Morgen drucken können?«, brüllte sie quer durch den Raum.

Johns griff nach seiner Dose Cola, rülpste dann und sagte: »Nö.«

Kelli zeigte ihm den Mittelfinger.

Johns zuckte grinsend mit den Schultern.

»Ich würde gern wenigstens einen Tag in dieser Woche früh nach Hause kommen.« Kelli blickte sich im Raum um. Es waren immer noch etliche Kollegen da und sie wollte einfach nicht zu dieser Gruppe gehören.

Überrascht schaute sie auf, als Sean den Raum betrat. Er sah sie an, ging sofort auf ihren Tisch zu und warf sich dann auf einen Stuhl davor.

Kelli ließ ihren Papierkram liegen und ging auf ihn zu. Er sah nicht gut aus. Sie setzte sich und wartete darauf, dass er den Kopf hob, um sie anzuschauen. Schließlich ertrug sie sein Schweigen nicht länger. »Ich dachte, du gehst zu Travis.«

Sean räusperte sich. »Da war ich auch.«

Seine Stimme klang schrecklich. So, als hätte er Steine im Mund, die ihn beim Reden quälten.

»Habt ihr euch über irgendwas gestritten?«, fragte Kelli. Das war zwar unwahrscheinlich, aber es war ihre einzige Vermutung.

Er schüttelte den Kopf.

»Du musst mir irgendwie weiterhelfen. Was ist los?« Plötzlich machte sich ein schreckliches Gefühl in ihrem Magen breit. »Ist mit Travis alles in Ordnung? Ist irgendwas mit Mum?«

Sean schüttelte wieder mit dem Kopf und schaute sie endlich an. Seine Augen waren geschwollen. »Den beiden geht es gut.« Er holte tief Luft. »Ich wollte herkommen und es dir selbst sagen.«

Es musste um Antony gehen.

Antony. Ihr Bruder.

Kelli sprang wie von einer Tarantel gestochen auf. Sie musste etwas gegen das erdrückende Gewicht auf ihrer Brust tun. »Nein, nein, nein.« Mit jedem Nein wurde sie lauter. Das Leid, das sie spürte, schmerzte körperlich. Es machte sich in ihrer Brust breit und landete dann in ihrem Magen wie ein Block Zement. Sie beugte sich über Sean.

Er sah zu ihr hoch.

So hilflos hatte sie ihren kleinen Bruder nicht mehr gesehen, seit ihr Vater gestorben war. »Er ist weg, oder?«

Sean nickte.

»Scheiße!« Kelli knallte mit ihrer Hand auf den Tisch. Für einen kurzen Moment wünschte sie sich, dass er tot wäre. Das würde Frieden für ihn bedeuten. Für sie alle. Die Scham über den Gedanken traf sie hart. Sie hatte es nicht so gemeint. Wirklich nicht. Kelli wollte einfach, dass alles wieder wurde wie früher, bevor ihr Vater gestorben war. Da waren sie noch alle glücklich gewesen. Oder?

Alle Augen im Raum waren plötzlich auf sie gerichtet. Was ihr egal war.

»Ich kenne einen von den Sicherheitsmännern da. Er hat mich angerufen. Tony hat sich nicht mal selbst entlassen. Er ist einfach abgehauen.« Sean wischte sich über die Augen.

Kelli atmete einmal tief ein und aus, bevor sie entschied, dass sie dieses Gespräch vielleicht nicht hier führen sollten. Sie wollte vor ihren Kollegen nicht die Fassung verlieren. Kelli griff nach Seans Arm. »Lass uns irgendwo hingehen, wo wir in Ruhe reden können.«

Nachdem sie sichergestellt hatte, dass sie in dem Befragungsraum allein waren, schloss Kelli die Tür ab. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Oder wenigstens so zu tun, als hätte sie sich im Griff. »Wir haben keine Zeit, uns in Selbstmitleid zu wälzen.« Kelli setzte sich auf die Tischkante und fasste Sean hart an der Schulter.

»Ich weiß. Ich wollte, dass du es zuerst erfährst. Keine Geheimnisse mehr. Ich werde die Orte überprüfen, wo er sonst immer rumhing.«

»Gut, ich komme mit«, sagte Kelli.

»Nein, das tust du nicht,« sagte Sean bestimmt.