Was heilt - Klaus-Dieter Platsch - E-Book

Was heilt E-Book

Klaus-Dieter Platsch

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Beschreibung

Vom Menschsein in der Medizin Klaus-Dieter Platsch geht es nicht um ein Für und Wider. Er zeigt, dass die Qualität der Beziehung von Arzt und Patient viel entscheidender für den Erfolg von Heilungsprozessen ist. Heilung erwächst aus einem Raum jenseits der Methoden und Medizinsysteme. Fachliche Kompetenz, Intuition, Sensitivität, Offenheit und Liebe sind dessen tragende Säulen. Klaus-Dieter Platsch beschreibt, auch anhand vieler Fallbeispiele, wie eine ganzheitliche, am Menschen orientierte Medizin aussehen kann und an welchem Menschenbild sie sich ausrichtet.

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Über den Autor:

Dr. med. Klaus-Dieter Platsch ist Arzt für Innere Medizin, chinesische Medizin und Psychotherapie. Er ist Dozent der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur , Leiter des Instituts für Integrale Medizin und Begründer und Leiter des medizinischen Begleitstudiums Caring and Healing an der Akademie der Steinbeis Hochschule Berlin . In seinen Büchern und seiner umfangreichen Seminar- und Vortragstätigkeit geht es unter anderem um die Entwicklung einer integralen Medizin und einer heilsamen ärztlichen und therapeutischen Persönlichkeit.

Inhalt

Einleitung

Wie viel Heilung braucht die Medizin?

Trennung von Körper, Geist und Seele

Psychosomatische Medizin

Der Befund

Das Befinden

Komplementärmedizin

Wenn Krankheitslehre krank macht

Das homöodynamische Ungleichgewicht

Was gesund hält

Positive Gesundheitsfaktoren

Die Wirkung von Liebe auf die Gesundheit

Der Mensch – ein Quantenfeld

Die klassische Vorstellung der Materie

Der Feldbegriff ersetzt den Materiebegriff

Das in-formierte Universum

Fragen zu einem neuen Paradigma in der Medizin

Was ist Realität?

Vom leeren Blatt zur Konditionierung

Die ursprüngliche Sensitivität des Menschen

Der Verstand »sieht« immer nur die Abstraktion, nicht das, was ist

Grundfelder des Menschen

Das physische Feld

Das psychische Feld

Das transpersonale Feld

Der multidimensionale Mensch

Non-Dualität

Das Unbewusste

Identifikation mit Gesundheit oder Krankheit

Selbsterkenntnis – ein Schritt zur Heilung

Heilung – sich aus der Krankheitsidentifikation lösen

Jenseits von Identifikation

Nicht-Lokalität in der Medizin

Heilung jenseits von Raum und Zeit

Sensitivität und Heilung

Raum- und zeitlose Dimension der Sensitivität

Übertragung von In-formation im Bewusstseinsfeld

Nicht-lokale Wirkung des Bewusstseins auf Menschen und andere Organismen

Entscheidet das Bewusstsein zwischen gesund und krank?

Non Contact Therapeutic Touch

Um Heilung beten

Heilung, Ganzheit und die Dimension der Zeit

Heilung und Ganzheit

Heilung und Zeit

Die zeitlose Dimension im heilenden Feld

Das heilende Feld

Arzt und Patient im heilenden Feld

Das Meer der Möglichkeiten

Das heilende Feld – ein Feld der Liebe

Das Meer, die Welle und das Ufer

Die Qualität des Nicht-Persönlichen

Das Meer der Möglichkeiten – nicht des Machbaren

Zwischen Professionalität und »

Es

geschieht«

Jenseits von Methoden

Heilende Qualitäten

Das Menschenbild

Begegnung von Herz zu Herz

Lieben über das Persönliche hinaus

Die heilende Kraft der Versöhnung

Arzt und Patient im neuen Paradigma

Es

heilt

Zwischen Wissen und Nicht-Wissen

Die Stille des leeren Raums

Es

weiß

Es

heilt

Anmerkungen

Über den Autor

Einleitung

Was heilt« ist der Versuch, eine neue Dimension für eine heilen de Medizin des 21. Jahrhunderts zu entwerfen, eine Dimension, die den Menschen in all seinen Aspekten würdigt und alle uns bekannten Möglichkeiten eines Heilungsprozesses ausschöpft.

Dazu muss sich die Medizin erneuern und das alte Paradigma eines materiellen Weltbildes, in dem der kranke Mensch eine beliebig zu reparierende und zu manipulierende Maschine ist, in ein neues Paradigma erweitern. In diesem neuen Paradigma bleiben die Erkenntnisse und Errungenschaften der konventionellen Medizin erhalten, aber es entsteht Platz für das, was über den Rahmen von Materie und Technik hinaus heilt.

Unter anderem kann die moderne Physik der Medizin einen neuen Weg weisen. So ist das Phänomen der Nicht-Lokalität, das Themen wie Sensitivität und Fernheilungen erklären kann, dort bestens untersucht. Jenseits der Materie gelten nicht mehr die Gesetze von Raum und Zeit. Die moderne Physik spricht von unserem Universum als einem Meer der Möglichkeiten, was sich mit der Erfahrung von Menschen, die heilen, deckt: Heilung ist grundsätzlich immer möglich – nicht machbar, aber möglich durch eine allem Leben innewohnende Intelligenz. Heilung geschieht im heilenden Feld – auf einer feinen Ebene des Bewusstseins, das umfassender ist als der Verstand. Das heilende Feld hat die Qualität einer über das Persönliche hinausgehenden Liebe, die sich auf das tiefere Wesen des Menschen bezieht. Auf dieser Ebene gibt es keine Trennung zwischen Arzt und Patient – zwischen den Menschen, ihren Beziehungen und der Welt. Die Erfahrung der Allverbundenheit – auch eine Qualität des heilenden Feldes – bildet eine innere Grundlage für jeden Heilungsprozess, sie versöhnt Gegensätze und fördert die Heilkräfte. Heilung vollzieht sich unabhängig von Raum und Zeit.

Heilung im heilenden Feld umfasst jede Art der Medizin: Schulmedizin, Komplementärmedizin und nicht-lokale Medizin wie Fernheilung und Gebet. Ein in dieser Weise ganzheitlich arbeitender Arzt oder eine solche Ärztin sollte unterscheiden können, wann bei welcher Krankheit und bei welchem Menschen welche Art der Medizin notwendig und sinnvoll ist. Der tiefere Heilungsprozess geschieht unabhängig von der angewandten Methode in einem Raum der Ganzheit. Sowohl Patienten als auch Ärztinnen und Ärzte können durch ihre innere Haltung und durch ein offeneres Bewusstsein dazu beitragen, einen solchen Prozess zur Entfaltung zu bringen. Wesentlich ist die Ausrichtung auf das im Menschen, was immer heil und unverbrüchlich ist, war und immer sein wird. Dieser heile Kern im Menschen ist immer, auch bei schwerster Krankheit, existent – er entspricht der Dimension des universellen Bewusstseins, dem, was größer ist als der Mensch, woraus wir Kraft für den Heilungsprozess schöpfen und das Gesundheit auf allen Ebenen neu erschaffen kann.

Behandlungsbeispiele aus meiner Praxis ergänzen die jeweiligen Themen und zeigen, dass in jedem Menschen ein weit größeres Heilungspotenzial steckt, als er für möglich hält, ein Heilungspotenzial, zu dem er selbst Zugang hat. Es ist ärztliche Aufgabe, den Menschen damit wieder in Verbindung zu bringen.

Heilung liegt nicht in der Hand des Arztes, sie liegt nicht in der Hand des Patienten: Das, was heilt, kommt aus der Dimension des Lebens, die unsere Quelle ist. Wenn das Herz sich dafür öffnet, wenn unser Bewusstsein sich dahin weitet, dann treten wir ein in das neue Paradigma – eine Medizin des 21. Jahrhunderts.

Wie viel Heilung braucht die Medizin?

Die Frage »Was heilt?« ist keine Frage von Schulmedizin oder anderen medizinischen Heilsystemen und Methoden. Denn das, was heilt, kann in jeder Form der Medizin geschehen. Ein ganzheitlich wirkender Arzt kann schulmedizinisch orientiert oder auch ein Vertreter von Naturheilkunde, Homöopathie oder chinesischer Medizin sein, um nur einige Beispiele zu nennen. Das ist völlig egal. Es kommt in erster Linie auf die innere Qualität der Arbeit an, nicht auf die äußere Form der Medizin.

Wenn die Dimension der Menschlichkeit und der Ganzheit von Körper, Geist und Seele da ist, dann wird jede Art der Medizin ganzheitlich und heilsam. Fehlt sie, dann ist jede Medizin unbeseelt und verliert den wesentlichen Teil ihrer Heilkraft.

Das, was heilt, hat mit Verbindung und Verbundenheit zu tun. Mit sich selbst verbunden zu sein, mit den Menschen des eigenen Lebens und der Welt, in der man lebt, lässt Trennung überwinden; und das Gefühl der Trennung ist eine der stärksten Wurzeln von Kranksein und Krankheit.

Das den Menschen mit seiner tiefsten Natur verbindende und ihm sinngebende Element ist die eigentliche Grundlage jeder tieferen Heilung. Es wirkt als eine unter jedem Heilungsprozess liegende Matrix – eine Art alles verbindende Liebe, die sich heilsam auf den kranken Menschen auswirkt, die seine Heilkräfte mobilisiert und sein Gleichgewicht wiederherstellt. Die vertrauensvolle Begegnung zwischen Arzt und Patient bzw. Patientin kreiert ein heilsames Feld, in dem Platz für jede medizinische Maßnahme und Methode ist, solange sie in Verbundenheit, gegenseitiger Achtung sowie in Offenheit und Liebe geschieht.

Trennung von Körper, Geist und Seele

Als Facharzt für Innere Medizin bin ich ein westlich ausgebildeter Arzt und Schulmediziner und habe einige Jahre in der medizinischen Grundlagenforschung und in der klinischen Forschung zugebracht. Die westliche Schulmedizin ist hervorragend und außerordentlich leistungsfähig in der Erforschung, Diagnostik und Therapie körperlich-organischer Krankheiten. Sie kann in zwischen auf ein immenses, kaum noch überschaubares Detail wissen zurückgreifen, das sich von Jahr zu Jahr enorm erweitert.

Eine ihrer besonderen Fähigkeiten liegt darin, dass sie ein immer genaueres Bild der körperlichen Strukturen und Funktionen ermöglicht und immer besser zu verstehen hilft, wie der Organismus auf der kleinsten Ebene von Zellen, Membranen und Genen funktioniert, so dass wir heute sehr genaue Vorstellungen darüber haben, wie bestimmte Krankheiten entstehen und wie sie zu behandeln sind.

In bestimmten Ärzte- und Patientenkreisen wird die Schulmedizin wegen ihres ausschließlich organisch-materiellen Bezugs mit dem Argument der Nicht-Ganzheitlichkeit abgelehnt und z. B. der Alternativmedizin der Vorzug gegeben. Eine solche Ausgrenzung erscheint mir aber nicht nur nicht sinnvoll, sondern sie diskriminiert die Menschen, die sich auf ihre jeweilige Art und mit ihrer medizinischen Ausrichtung mit Leib und Seele für die Gesundheit ihrer Patienten einsetzen. Bei einem organischen Problem kann die organisch orientierte Medizin das absolut Richtige und Angemessene sein. Gäbe es diese potente Medizin nicht, dann wäre meine heute erwachsene Tochter nicht mehr am Leben; als Kind war sie an Leukämie erkrankt. Es war die Schulmedizin, mit deren Hilfe meine Tochter wieder geheilt wurde. Dies wird mich mein Leben lang mit tiefer Dankbarkeit erfüllen und begründet sicherlich mein offenes Verhältnis zur Schulmedizin, auch wenn ich auf meinem eigenen medizinischen Weg in ganz andere Bereiche medizinischen Wissens geleitet worden bin.

Die großen Errungenschaften der westlichen Medizin sind möglich, weil sie klaren wissenschaftlichen Regeln der Forschung folgt wie die klassischen Naturwissenschaften. Danach gelten die Prinzipien von Objektivität und Überprüfbarkeit. Objektive Betrachtung ist in diesem Rahmen notwendig, birgt aber auch eine gewisse Gefahr, denn sie führt zur Versachlichung der Medizin – genauer des Menschen, um dessen Wohl sich die Medizin dreht. Der Mensch ist nicht nur objektiver Körper, Zellen oder Gene, sondern er hat auch ein Gemüt, Gefühle, einen Verstand und eine Seele. Das scheint die westliche Medizin und Forschung voneinander trennen zu müssen, um zu objektiver Erkenntnis zu gelangen.

Die westliche Schulmedizin betrachtet den Körper als etwas vom Geist und der Seele Getrenntes, als eine Ansammlung von Materieteilchen, Zellen, Geweben und Organen, die zum Gegenstand der Forschung und Behandlung werden.

Durch die Notwendigkeit zur Objektivität im Sinne des heute noch weitverbreiteten Newton-cartesianischen Weltbildes kommt es zwangsläufig zu einer Trennung von Subjekt und Objekt und damit zur Trennung von Arzt und Patient, von Gesundheit und Krankheit. So wird – und das gilt nicht etwa nur für die Schulmedizin – der Patient zum Objekt; und ungeachtet seiner Lebenssituation und Lebensweise, ungeachtet seines biographischen Hintergrunds und seiner Lebenserfahrungen, ungeachtet seiner persönlichen emotionalen, mentalen und spirituellen Entwicklung wird er eher wie eine Maschine betrachtet, diagnostiziert und therapiert. Im Mittelpunkt dieser Betrachtungsweise steht der Körper mit seinen physiologischen, biochemischen und biophysikalischen Funktionen. Aber nicht nur der Körper ist Gegenstand westlicher Schulmedizin, sondern auch die Psyche, vertreten durch die Psychiatrie und die Psychotherapie. Dank Sigmund Freud ist seit über hundert Jahren die Psyche in der medizinischen Wissenschaft und Klinik verankert, allerdings weitgehend getrennt vom Körper.

Die westliche Schulmedizin ist inzwischen hochspezialisiert und technisch weit entwickelt. Zum Teil ist es den Fortschritten der Medizin zu verdanken, dass die Menschen im Westen älter werden, zum Teil sind es die besseren Lebensbedingungen. Allerdings sind trotz der sehr aufwendigen und fortschrittsbewussten Entwicklung im Ganzen gesehen die Menschen heute nicht gesünder als früher. Manche Krankheiten scheinen beherrscht zu sein, andere entstehen plötzlich neu.

Man kann sagen, dass die Geburtsstunde der modernen westlichen Medizin am Ende des 19. Jahrhunderts schlug. Mit der bahn brechenden Erkenntnis von Robert Koch, dass Krankheiten durch Mikroben ausgelöst werden können, entwickelte sich ein noch heute gültiges Krankheitsverständnis. Er konnte damals zeigen, dass die Tuberkulose durch Tuberkel-Bazillen, die in die Körperzellen eindringen, hervorgerufen wird. Diese Befunde führten zu der Vorstellung, dass Krankheiten von außen in den Körper ein dringen. Aber bereits einer seiner Zeitgenossen, der Mikrobiologe Pascal Pasteur, erkannte, dass es für die Entstehung von Krankheiten nicht allein auf die Bakterien oder Viren ankommt, sondern genauso auf das Milieu, auf das sie im Organismus treffen. Nur wenn der Organismus zur Krankheit bereit ist, können die Bakterien auch einen Angriffspunkt finden. Auf dem Totenbett soll er gesagt haben: »Die Mikrobe ist nichts, der Boden ist alles.«1

Am Beispiel der Tuberkulose kann man das leicht nachvollziehen, denn solange es noch keine antibiotischen Medikamente gab, wurden die Kranken in Sanatorien untergebracht, wo sie mit Ruhe, Liegekuren und guter, kalorienreicher Ernährung in der reinen Luft der Hochgebirge behandelt wurden. Man wusste, wenn etwas heilen konnte, dann die guten Lebensbedingungen und die gute Luft, da man noch keine Medikamente gegen Tuberkulose kannte.

Lange glaubte man, dass Armut und Unterernährung wesentliche Voraussetzungen für Tuberkulose seien, weshalb diese Krankheit im Wohlstand der westlichen Hemisphäre für lange Zeit ausgerottet zu sein schien. Nun ist Tuberkulose seit etwa zwanzig Jahren wieder verstärkt nach Europa zurückgekehrt und verbreitet sich trotz guter äußerer Lebensbedingungen. So wurden in Deutschland im Jahr 2005 etwa 6500 Erkrankungsfälle mit etwa 500 Todesfällen verzeichnet. Erste Studien weisen darauf hin, dass heute emotionale Faktoren eine entscheidende Rolle spielen, ins besondere die Vereinzelung und Isolation vieler Menschen unserer Wohlstandsgesellschaft.2

Der traditionellen chinesischen Medizin, die von Haus aus ein integriertes Verständnis von den körperlichen, emotionalen, mentalen und spirituellen Faktoren für die Gesundheit und die Entstehung von Krankheiten hat, ist dieser Zusammenhang seit langem bekannt und selbstverständlich. In ihr gilt das Gefühl der Trauer, hervorgerufen durch Trennung und Isolation, als geradezu spezifische Ursache für Erkrankungen der Atemwege und damit auch der Tuberkulose.

Noch vor wenigen Jahrzehnten war die westliche Medizin sehr zuversichtlich, dass mit der Entwicklung der Antibiotika das Ende aller Infektionskrankheiten kurz bevorstehe. Aber auch die Natur der Mikroben ist intelligent, und so sehen wir eine immer größere Resistenzentwicklung bei den Bakterien – teils auch durch unkritisch verabreichte Antibiotika –, so dass wir im Gegenteil einen weltweiten drastischen Anstieg der Infektionskrankheiten verzeichnen müssen. Erkrankungen, von denen wir angenommen hatten, dass sie mehr oder weniger ausgerottet seien, sind selbst in Westeuropa wieder da. Weltweit sind über 500 Millionen Menschen an Malaria erkrankt. Infektionen wie Aids oder SARS stehen wir nach wie vor hilflos gegenüber. Zuletzt drohte der Über griff der Geflügelpest-Viren auf den Menschen.

Angesichts solcher Epidemien stellt sich die Frage, warum es zu solchen Massenseuchen kommt. Geht es in Anlehnung an Pascal Pasteur vielleicht eher um die globalen Lebensbedingungen für Mensch, Tier und Umwelt als um die Mikroben? Sind wir es selbst, die den Nährboden für diese Krankheiten bereiten, weil wir in einer immer globaleren Welt nicht auf eine globale Verantwortung für diese Welt achten?

In den letzten Jahrzehnten haben sich in der westlichen Welt neben den körperlichen Volkskrankheiten wie z. B. Herz-Kreislauf-Krankheiten, Stoffwechselkrankheiten und Krebs psychische Krankheiten wie Angststörungen und Depressionen stark verbreitet. Jeder zweite bis dritte Europäer und US-Amerikaner erkrankt mindestens einmal in seinem Leben an einer solchen Störung. Die westliche Schulmedizin versucht unter anderem organische Ursachen dieser Krankheiten zu finden, um entsprechende Medikamente entwickeln zu können. Der Griff zum Medikament kann in bestimmten Situationen hilfreich sein, darf aber nicht den Blick auf die Lebensbedingungen und Lebenssituationen der Patienten und Patientinnen verhindern. Denn wenn Menschen nur mit Antidepressiva behandelt werden, ohne Bezug auf ihre Lebensumstände zu nehmen, werden sie noch kränker. Ich sehe hierin eine Erklärung dafür, dass sich seit Einführung der Antidepressiva die Zahl der Depressionen verdoppelt hat.

Psychosomatische Medizin

Die über einhundertjährige Tradition der Psychoanalyse verbindet sich mit Ärzten wie Sigmund Freud, Carl Gustav Jung und Alfred Adler. Sie waren Wegbereiter für die Akzeptanz der Psyche in der modernen, körperorientierten Medizin des Westens. Schon sie beschrieben Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper wie z. B. bei den Konversionsneurosen, bei denen die Verdrängung einer psychischen Problematik zu einer Fehlfunktion des Körpers führt.

Diese Erkenntnisse flossen in die moderne Psychosomatik ein, eine Medizin, in der es um die Wechselwirkungen von Psyche und Körper geht. Zunächst wurden nur wenige Krankheiten als typische Psychosomatosen bezeichnet, unter anderen das klassische Asthma bronchiale, die Colitis ulcerosa (chronische Dickdarmentzündung) und die Anorexia nervosa (Magersucht). Heute spricht man bei allen Erkrankungen, bei denen ein psychischer Ursprung vermutet wird, von psychosomatischen Krankheiten oder Reaktionen.

Für die Schulmediziner, die gelernt hatten, sich an wissenschaftlicher Objektivität zu orientieren, war es nicht leicht zu akzeptieren, dass subjektive Befindlichkeiten und psychische Störungen einen Einfluss auf den Körper und die körperliche Gesundheit haben sollen. Dass diese Zusammenhänge existieren und auch wissenschaftlich erforscht werden, ist ein großes Verdienst von Ärzten wie Thure von Uexküll, Viktor von Weizsäcker, Rolf Adler, Arthur Jores oder Karl Köhle, um nur einige Namen zu nennen.

Mit der Psychosomatik hielt das Subjekt Einzug in die objektorientierte Medizin. Erkenntnistheoretisch basiert aber auch sie auf der Subjekt-Objekt-Trennung, wenngleich sie die Beziehung zwischen beiden anerkennt, deren Interaktionen allerdings linear und kausal versteht: Ein psychisches Problem oder ein Konflikt führt zu einer Krankheitsreaktion des Körpers, z. B. zu Magen schmerzen, Atemnot oder Kopfweh. Die umgekehrte Reaktionsweise lässt sich als somato-psychische Reaktion bezeichnen: Schwere Krankheit oder Behinderung stellt sich als Ursache für eine Depression oder eine Angststörung heraus.

Im Wesentlichen werden psychosomatische Krankheiten als Folgen aufgefasst: Die Psyche beeinflusst den Körper oder umgekehrt. Dabei bleiben Psyche und Körper zwei voneinander getrennte Entitäten.

Die Psychosomatik ist ein wesentlicher Schritt, subjektive psychische Befindlichkeit in das ursprüngliche Körperkonzept der westlichen Medizin einzubeziehen – quasi ein erster Schritt in Richtung Ganzheitlichkeit.

Würden psychosomatische Zusammenhänge bei der Diagnose und Therapie von Krankheiten stärker berücksichtigt, dann wäre das ein großer Beitrag zu mehr psychischer und körperlicher Gesundheit, und die Menschen müssten weniger nebenwirkungsreiche Medikamente einnehmen. Dazu wäre aber deutlich mehr Gesprächszeit notwendig, als heute im kassenärztlichen Rahmen möglich ist. Allerdings würden die Einsparungen an Medikamenten, die ohnehin nicht die verursachenden Probleme lösen, bei weitem die Kosten für das sinnvolle, gesundheitsfördernde Gespräch aufwiegen. Für die Gesundheit der Menschen wäre es außerordentlich wünschenswert, wenn die psychosomatische Medizin mehr Raum bekäme und sich dies auch in der Ausbildung von Ärzten und Ärztinnen und in der Definition des ärztlichen Auftrags niederschlüge. In der Präambel der ärztlichen Ausbildungsordnung heißt es lediglich: »Ziel der ärztlichen Ausbildung ist der wissenschaftlich und praktisch in der Medizin aus gebildete Arzt, der zur eigenverantwortlichen und selbständigen Berufsausübung, zur Weiterbildung und zur ständigen Fortbildung befähigt ist.« Die gesamte Ausbildungsordnung verliert kein einziges Wort über eine ärztliche Haltung, die dem Menschen und seiner körperlichen, emotionalen, mentalen und spirituellen Gesundheit dienen sollte, über den Erwerb einer ganzheitlichen Kompetenz oder über den Begriff des Heilsamen in der Medizin.

Die psychosomatische Medizin ist eine segensreiche Erweiterung der ausschließlichen Körpermedizin, eine Erweiterung, die noch mit dem alten, materiell orientierten Wissenschaftsparadigma voll vereinbar ist. Die Psychosomatik umfasst noch keine Erkenntnisse nicht-trennender Ganzheitlichkeit, nicht-materieller, energetischer Prozesse oder moderner Feldtheorien. In diesem Sinne ist sie eine wichtige Übergangsentwicklung in Richtung eines neuen medizinischen Paradigmas der Ganzheitlichkeit.

Der Befund

Die Schulmedizin behandelt im Wesentlichen Befunde. Sie ist darin außerordentlich gut und effizient, wenn es sich um organisch-strukturelle Krankheiten handelt. Es ist ein Segen, dass wir bei schwerwiegenden Erkrankungen wie z. B. Krebs operieren können oder Bestrahlungen und Chemotherapien zur Verfügung haben. Wobei immer auch zu berücksichtigen ist, wann und unter welchen Voraussetzungen diese Behandlungen richtig und sinnvoll sind, denn das kann von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation verschieden sein. Auch bei gleichen Krankheitsbefunden wie beispielsweise gleichen Krebsleiden, selbst in gleichen Krankheitsstadien sind immer auch die Lebenssituation, die persönliche Leidensfähigkeit, die Konstitution, der Gesamt zustand und auch das soziale Umfeld eines Patienten mitzuberücksichtigen. Gleiche Befunde dürfen nicht notwendigerweise gleiche medizinische Behandlung bedeuten. Jeder gute schulmedizinische Arzt weiß und beherzigt das auch. Das ist dann eine Schulmedizin im besten Sinn, die den Menschen und nicht primär nur eine Krankheit behandelt.

Der vorrangige Blick auf die Befunde kann aber auch seine Tücken haben. So geschieht es, dass beispielsweise im Kampf gegen Osteoporose mit großem, auch finanziellem Aufwand die Knochendichte gemessen wird, vor allem bei Frauen um die Menopause herum, selbst wenn sie keine Beschwerden haben und in ihrer Familienanamnese kein Fall von Osteoporose vorkommt. Sehr schnell werden dann bei Frauen in den Wechseljahren Hormone verordnet – eine Behandlung, von der inzwischen vielfach nachgewiesen ist, dass sie mit erheblichen Risiken behaftet ist. Dabei wäre die sinnvollste und wirkungsvollste Vorbeugung und Behandlung einer Osteoporose sogar ohne Kosten für das Gesundheitssystem möglich – denn am meisten profitiert der Knochen von leichter körperlicher Bewegung und Belastung sowie von einer ausgeglichenen, gesunden Ernährung. Stattdessen werden viele Patientinnen mit dem Gespenst einer drohenden Osteoporose verunsichert, die sehr viel seltener vorkommt, als Menschen dagegen behandelt werden.

Befunde spiegeln die Außenansicht von Gesundheit und Krankheit wider. Befunde sind objektiv, das Befinden des Menschen subjektiv. Befunde bilden die Grundlage für eine wissenschaftliche objektive Forschung und bieten die Möglichkeit von Diagnostik und Behandlung. Grundlage für objektives, ärztliches Handeln sind wissenschaftliche Studien.

Dabei ist die medizinische Wissenschaft immer mit einem komplexen System, nämlich dem ganzen Menschen, konfrontiert. Wie lässt sich da z. B. die Wirkung eines bestimmten Medikaments auf den Blutdruck, den Blutzucker oder das Cholesterin messen, wenn man diese Parameter gar nicht unabhängig vom komplexen Gesamtsystem untersuchen kann? Die in der Naturwissenschaft gültigen Studienmethoden erfahren in der Medizin eine natürliche Begrenzung, denn biologische Abläufe lassen sich nicht so ohne weiteres in einem Reagenzglas oder mit isolierten Faktoren durchführen und dann die Wirkung auf einen ganzen Organismus übertragen.

Um größtmögliche Objektivität in Studien an Menschen zu erreichen, werden randomisierte Doppelblindstudien durchgeführt. Randomisiert bedeutet, dass die zu untersuchende Patientengruppe und die scheinbehandelte Kontrollgruppe nach dem Zufallsprinzip bestimmt werden, so dass beide Gruppen in Alter, Krankheitsgrad, Geschlecht usw. möglichst gleich sind. »Doppelt blind« bedeutetet, dass weder Patient noch Arzt wissen, ob das echte, zu prüfende Mittel oder ein wirkungsloses Scheinmittel, ein Placebo, verabreicht wird. Mit einem solchen Studiendesign soll möglichst jede subjektive Beeinflussung ausgeschaltet werden.

Durch die Erkenntnisse der Quantenphysik, die nun immerhin schon achtzig Jahre existieren, hat sich die Frage einer absoluten Objektivität allerdings stark relativiert. So hat die moderne Physik nachgewiesen, dass es keine vom Untersucher unabhängige Untersuchung gibt – selbst wenn sich der Untersucher um noch so große Neutralität bemüht. Das Objekt der Untersuchung, das Subjekt des Untersuchers und die Untersuchung selbst sind Teil eines nicht trennbaren gemeinsamen Feldes und beeinflussen sich gegenseitig.

So greifen die randomisierten Doppelblindstudien Einzelparameter heraus und untersuchen deren Wechselwirkungen, die aber, aus den komplexen Systemen herausgerissen, sehr unvollkommen nur einen Ausschnitt der tatsächlichen Realität spiegeln können. Den Erkenntnissen der modernen Physik zufolge kann es darüber hinaus als sicher gelten, dass schon die Intention der Untersucher, selbst bei Verblindung, das Ergebnis beeinflusst und so die Frage eines unbeeinflussten, objektiven Ergebnisses fundamental in Frage gestellt ist. Das macht diese Art von Studien aber keinesfalls überflüssig. Wir müssen nur lernen, in der Beurteilung der Ergebnisse auch immer den subjektiven und intentionalen Faktor im Auge zu behalten. Dies gilt nicht nur für schulmedizinische, sondern für alle Studien – und besonders für diejenigen, die uns in ihren Aussagen sehr am Herzen liegen, weil sie unser Weltbild bestätigen.

Eine befundorientierte Medizin versucht, ihre Therapie zu objektivieren und entsprechende Standards für die Behandlungen zu formulieren, die vor allem durch die jeweiligen ärztlichen Fachverbände und die forschenden Universitäten entwickelt werden. Bei den medikamentösen Therapiestandards wirkt fatalerweise maßgebend auch die Pharmaindustrie mit, die diese Mittel selbst entwickelt und an deren Absatz interessiert ist, was die Frage nach der Unabhängigkeit von solchen Standards aufwirft. So kommen nicht zuletzt aus kommerziellem Interesse jedes Jahr unzählige neue Medikamente auf den Markt, mit denen wir meist nur wenig Erfahrung haben und deren Nebenwirkungen oft erst im Nachhinein sichtbar werden. So mussten in den letzten Jahren neue Medikamente wegen gravierender, nicht selten tödlicher Nebenwirkungen vom Markt genommen werden. Dies trifft unter vielen anderen z. B. für Antirheumatika, Antiarrhythmika und Lipidsenker, also sehr häufig verordnete Medikamente, zu.

Leidet jemand unter mehreren Krankheiten gleichzeitig, kann sich das Befolgen von Therapiestandards entgegen gutgemeinter Absicht selbst bei erprobten Medikamenten als riskant und gesundheitsschädigend erweisen. Das wird sehr deutlich bei älteren Menschen, die wegen ihres Alters im Allgemeinen mehr Gesundheitsprobleme haben als die jüngeren. Sie sind häufiger krank, haben oft mehrere Gebrechen gleichzeitig und erholen sich langsamer. In den Leitlinien und Therapieempfehlungen der Ärzte wird in keiner Weise berücksichtigt, dass alte Menschen anders leiden und anders krank sind als junge. Der medizinische Fachzweig der Gerontologie, der Altersheilkunde, entwickelt sich zwar, dringt aber mit seinen Erkenntnissen über die Belange der älteren Menschen noch kaum in den maßgeblichen pharmazeutischen und fachärztlichen Kreisen durch.

Im Journal of the American Medical Association gab es 2005 da zu einen sehr aufschlussreichen Artikel.3 In einem Beispiel wurde eine 79-jährige Patientin geschildert, die an Diabetes, Bluthochdruck, chronischer Bronchitis, Osteoporose und Gelenkrheuma litt. Das ist eine nicht untypische Konstellation im Alter. Nach den Empfehlungen der medizinischen Fachverbände müsste die Patientin zu fünf verschiedenen Tageszeiten zwölf Medikamente in neunzehn Dosierungen einnehmen. Hinzu käme noch ins gesamt ein Dutzend nicht pharmakologischer Therapieempfehlungen. Die Anzahl der Mittel ist für sich allein schon kaum vorstellbar, aber gefährlich wird es, wenn sich etliche Therapieempfehlungen sogar diametral widersprechen. Wenn die empfohlene Arznei gegen Gelenkrheuma die Wirkung der Tabletten gegen Bluthochdruck abschwächt oder sich andere Arzneikombinationen konterkarieren, bringt das die Patienten in Gefahr und verursacht nebenbei unnötig hohe Kosten. Die Forscher konnten belegen: Je strikter die gültigen Leitlinien für jede einzelne Krankheit in einer multimorbiden Krankheitskonstellation befolgt werden, desto stärker steigt der Grad der unerwünschten Nebenwirkungen und Risiken der Therapie. Das ist kein Randphänomen, sondern ein sehr zentrales, denn in den Industrienationen werden die Menschen nicht nur immer älter, sondern jeder, der über 65 Jahre alt ist, hat im Durchschnitt mindestens drei chronische Leiden.

Als junger Assistenzarzt und Internist im Krankenhaus erlebte ich oft ältere Menschen mit unklaren, teils lebensbedrohlichen Beschwerden. Wir machten die üblichen Untersuchungen und bemühten uns sehr um eine Besserung des Zustandsbildes. Die Patienten hatten oft Luftnot und Kreislaufprobleme. Wegen an dauernder Appetitlosigkeit aßen sie kaum noch, waren abgemagert, ausgetrocknet und bewusstseinsgetrübt. Wenn wir recherchierten, was die Patienten alles an Medikamenten regelmäßig einnehmen mussten, dann stellte sich meist ein ganzes Arsenal an Tabletten heraus, angefangen von Blutdruckmitteln und Digitalis fürs Herz bis hin zu Schmerzmitteln, Antirheumatika, Asthma mitteln und magenschützenden Medikamenten, damit der Magen das Ganze auch verkraften konnte. Männer bekamen gleich zeitig noch etwas für die Prostata und Frauen Hormone. Sehr viele der alten Menschen wurden auch noch mit Psychopharmaka behandelt.

Fast reflexartig setzte ich als Erstes alle Medikamente ab, denn ich hatte gelernt, dass dies der einzige und effektivste Weg sei, bei dem sich die Patienten wieder erholen können. Meine Kollegen fragten manchmal erstaunt, was ich denn mit den Patienten gemacht habe, weil es ihnen wieder so viel besserging. Ich hatte nichts gegeben, sondern einfach nur weggelassen, um ihre Organismen zu entgiften, und ihnen die Möglichkeit zur Selbstregulation zurückzugeben.

Orientiert sich die Medizin in der Hauptsache an objektiven Befunden, läuft sie Gefahr, den Menschen zu verlieren. Ein Befund entspricht der Außenbetrachtung des Menschen: ein körperlicher Befund, ein Blutbefund, das EKG, der Ultraschall, das Röntgenbild, das Kernspintomogramm. Die ärztliche Befunderhebung ist auf höchstem technischem Niveau, was auch seinen Preis hat. Und es liegt eine große Verantwortung in den Händen der Ärzte und Ärztinnen, mit den Indikationen für die zum Teil sehr kostspieligen und auch nicht immer gefahrlosen technischen Möglichkeiten sorgsam umzugehen. Unsere immer besseren diagnostischen Möglichkeiten sind ein großer Gewinn für jeden kranken Menschen. Wir sollten aber darauf achten, jede Diagnostik so gezielt wie möglich einzusetzen, was eine gründliche Anamnese der Beschwerden, der Krankheitsentwicklung und der Ermittlung der Krankheitsursachen und begleitenden Lebensumstände voraus setzt. Die dafür investierte Zeit und eine darauf folgende gründliche körperliche Untersuchung ergeben in der Mehrzahl der Fälle ein klares Bild, ohne dass weitere Untersuchungen nötig wären. Bedarf es noch weiterer Abklärung, dann lassen sich die notwendigen Labor- oder technischen Untersuchungen auf das wirklich erforderliche Maß eingrenzen. Auf diese Weise kann eine ungezielte Gießkannendiagnostik vermieden werden, die nicht nur Geld und Ressourcen verbraucht, sondern auch Risiken für die Patienten birgt. Eine nicht allzu seltene problematische Nebenerscheinung ist, dass durch ungezielte Diagnostik viele unnötige Befunde erhoben werden, die manchmal nur schwer zu interpretieren sind und eher das ganze Bild verschleiern. Nicht selten werden dann Nebenschauplätze behandelt, die für die Patienten unter Umständen Risiken und Belastungen mit sich bringen: Die Gallenblase wird wegen eines Steins, der nie Beschwerden gemacht hat, operiert, oder der zufällig im Ultraschall gesehene »verdächtige« Bezirk in der Gebärmutter wird zum Problem und vorsichtshalber der ganze Uterus entfernt, weil man das Organ ja sowieso nicht mehr bräuchte.

Dadurch sind wie bei allen operativen Eingriffen kritische Komplikationen möglich, obwohl eigentlich gar keine Operation nötig gewesen wäre. Durch die Entfernung von Organen kann es sogar zu Folgekrankheiten kommen, denn dadurch greift man sehr nachhaltig in den Energiehaushalt ein: So kann die Entfernung der Gebärmutter nach einigen Jahren zu Knochenerkrankungen und rheumatischen Beschwerden führen. Wer zum Beispiel mit chinesischer Medizin arbeitet, kann solche Entwicklungen regelmäßig beobachten.

Nicht selten werden in der befundorientierten Schulmedizin scheinbar schwerwiegende Befunde erhoben, die sich letztlich aber nicht als Ursache der Beschwerden herausstellen. Ein häufiges Beispiel dafür sind Patienten mit Rückenschmerzen, bei denen die röntgenologische Diagnose des Vorstehens der Bandscheibe in den Wirbelkanal oder eines Bandscheibenvorfalls gestellt wird. In den vergangenen Jahrzehnten sind unzählige Patienten wegen solcher Röntgenbefunde an der Bandscheibe operiert worden, haben aber durch die Operation keine Besserung erfahren. Etwa fünfzig Prozent aller Bandscheibenoperierten haben auch nach der Operation, die für sich selbst und durch die Narkose schon ein nicht unerhebliches Risiko ist, dieselben Schmerzen wie zuvor. Inzwischen wissen wir, dass Rückenschmerzen ziemlich unabhängig vom knöchernen Befund der Wirbelsäule vorkommen können. Meistens stehen sie im Zusammenhang mit einer muskuloskeletalen Dysbalance bei schmerzhafter Muskulatur und Sehnenansätzen, die in diesen Fällen nicht von einer Operation, sondern von Akupunktur, Osteopathie oder anderen komplementären Therapieverfahren profitieren würden.

Das heißt nicht, dass eine Operation in jedem Fall falsch wäre. Aber die befundorientierte Medizin muss sehr darauf achten, die Indikationen genau zu stellen und z. B. nur zu operieren, wenn tatsächlich ein Druck auf die Nervenwurzel existiert, der beseitigt werden muss, um die Nervenfunktionen zu erhalten und keine dauerhaften Lähmungen der Beine zu riskieren. In den letzten Jahren ist man diesbezüglich in verschiedenen neurochirurgischen Zentren auch deutlich zurückhaltender geworden.

Der technische Fortschritt führt zu immer neuen Therapiemaßnahmen. Im anfänglichen Enthusiasmus werden dann oft mehr Behandlungen mit dieser neuen Methode durchgeführt, als sinnvoll und nötig wäre. Wenn dann noch in teure Geräte für die neue Methode investiert wurde, die sich auch amortisieren müssen, dann werden leicht die Indikationen zu bestimmten Untersuchungen und Behandlungen sehr großzügig gestellt und das Augenmaß in Relation zu den Risiken geht verloren. So wurden z. B. in den letzten Jahren durch die Weiterentwicklung der Gelenkendoskopie ambulant sehr viele Kniegelenksspiegelungen bei Verdacht auf Abnutzungserscheinungen oder Meniskusschäden durchgeführt. Dabei wird das Gerät in den Gelenkspalt eingeführt. Die Eröffnung eines Gelenks ist immer mit einem gewissen Risiko behaftet, und auch der Eingriff in den Gelenkknorpel schafft oftmals Folgeprobleme. Wie bei jedem invasiven Eingriff müssen auch hier die Indikationen sorgsam überprüft werden.

Ob überhaupt der Gelenkspalt eröffnet werden muss, wurde in einer kürzlich veröffentlichten Studie überprüft und in Frage gestellt. Neben der Gruppe mit »richtig« durchgeführten Arthroskopien wurde eine Kontrollgruppe untersucht, bei der zwar die Haut an den entsprechenden Stellen am Knie inzidiert, aber das Gelenk mit der Sonde nicht eröffnet wurde, also nur eine Schein-Arthroskopie stattfand. Die Ergebnisse werden seitdem heftig und kontrovers diskutiert: Es kam heraus, dass die Patienten, bei denen man nur einen ungefährlichen Hautschnitt gemacht hatte, eine ebensolche Besserung verspürten wie diejenigen mit dem invasiven Eingriff.4 Auch wenn ein pathologischer Knorpel- und Knochenbefund vorhanden ist, scheint ein operatives Vorgehen also nicht unbedingt notwendig zu sein, um die Beschwerden zu lindern.

Die Scheinoperation, bei der lediglich die Haut eingeschnitten wurde, erinnert an eine Reiztherapie der Haut wie z. B. an die Akupunktur, die sich in einer großen Studie auch als sehr wirksam zur Behandlung schmerzhafter Kniegelenksbeschwerden er wiesen hat.5 So lassen sich ohne die Risiken einer Operation allein mit einer energetischen Reiz- und Regulationstherapie gleich gute Behandlungsergebnisse erzielen, ohne irgendetwas am organischen Befund zu verändern. Die Frage ist: Wie stark korrelieren Schmerzen und Funktionseinschränkung tatsächlich mit dem organischen Befund?

Wenn in der Medizin der Blick nur auf objektive Befunde gerichtet ist und die Lebensumstände von Patienten nicht einbezogen werden, dann kommt es des Öfteren zu grotesken Geschichten:

Eine Frau um die dreißig kam in meine Behandlung. Sie fühlte sich vom Hausarzt nicht ernst genommen. Die Patientin war ein Jahr zuvor an der Schilddrüse erkrankt. Sie entwickelte seit dem verschiedenste Symptome: Kreislaufprobleme, Herzklopfen, Hitzewellen, Durchfälle und starke Ängste. Mehrmals war sie des wegen notfallmäßig kurz ins Krankenhaus gekommen.

Sie erzählte mir, dass sie sich in einer ungelösten Ehekrise befinde, die sie als ausweglos erlebe. Sie habe mit ihrem Mann eine gemeinsame Tochter. Vor drei Jahren habe er sie zu einer Abtreibung gezwungen, wodurch etwas in ihrer Beziehung zerbrochen sei. Sie sehe ihre Schilddrüsenerkrankung im Zusammenhang mit ihrer ungelösten Ehefrage. Früher sei sie eine kräftige, energische und lebensfrohe Frau gewesen, die in ihrem Beruf erfolgreich gewesen sei. Heute sei sie das genaue Gegenteil. Es belaste sie, dass es zu Hause nur Streit gebe. Ihr Mann werte sie ständig ab und werde auch gewalttätig. Ihr war klar, dass sie sich eigentlich trennen müsste, sie scheute aber vor dem Schritt wegen ihrer gemeinsamen Tochter und weil ihr inzwischen die Kraft ausgegangen war zurück.

Obwohl sie ihrem Hausarzt mehrfach von ihrer Lebenssituation, von ihren Konflikten und Belastungen berichtet und ihn immer wieder auf ihre Vermutung hingewiesen hatte, ihre Beschwerden resultierten wahrscheinlich aus ihren ungelösten Konflikten, hatte der Hausarzt sie immer wieder von neuem organisch durchuntersucht. Wörtlich hatte er gesagt: »Wir werden schon noch einen richtigen Grund für Ihre Beschwerden finden.« »Richtig« sollte organisch heißen, denn alles andere war für sein Weltbild nicht akzeptabel. So ignorierte er von Anfang an den seelischen Ursprung der Symptome und versuchte unter allen Umständen, eine organische Ursache der Beschwerden zu finden. Auf diese Weise wurde er der Patientin nicht gerecht und war ihr keine Hilfe in ihrer prekären Lebenssituation, in der sie doch dringend Unterstützung benötigte. Das Gegenteil war der Fall. Welche unnötigen Untersuchungen und Kosten resultieren aus dem Ausblenden der subjektiven menschlichen Dimension, um an einem materiellorganischen Weltbild, das wir an den Universitäten gelernt haben, festhalten zu können.

Risikofaktoren

Die befundorientierte Medizin befasst sich unter anderem intensiv mit der Frage objektivierbarer Risikofaktoren, vor allem in Bezug auf die großen Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Übergewicht. In der konventionellen Krankheitsprävention steht die Reduktion solcher Risikofaktoren ganz im Mittelpunkt. So gelten in der westlichen Medizin zu viel Cholesterin im Blut, erhöhte Blutzucker- und Harnsäurewerte, hoher Blutdruck und Rauchen als die wichtigsten Risikofaktoren für die Verkalkung der Blutgefäße und damit als Hauptursachen von Herzinfarkt und Schlaganfall.

Deshalb werden ab einem bestimmten Alter viele Patientinnen und Patienten regelmäßig auf diese Risiken hin untersucht. Das versetzt sie nicht selten in Unsicherheit und Angst und ist ein ebenfalls nicht unerheblicher Kostenfaktor.

Über das Thema Cholesterin, das ich hier exemplarisch herausgreife, gibt es auch innerhalb der konventionellen Medizin durchaus eine kontroverse Diskussion, die aber vom Mainstream leicht übersehen wird. Cholesterin ist ein elementar wichtiger Baustein für die Zellwände, die Nervenfunktionen und den Hormonhaushalt. Der Mensch produziert jeden Tag ein Vielfaches mehr an Cholesterin, als er über die Nahrung aufnimmt. Also liegt der Schluss nahe, dass noch andere Faktoren eine Rolle spielen müssen, um das biologisch ganz natürlich vorkommende Cholesterin zu einem Risiko für die Gesundheit werden zu lassen.

Wenn vor etwa zwanzig Jahren noch ein Cholesterinwert von 250 mg% unbeanstandet blieb, so ist dieser »Normalwert« im Laufe der Jahre immer weiter herabgesetzt worden und liegt jetzt unter 200. Setzt man die Normalwerte kontinuierlich herab, dann macht man natürlich immer mehr Menschen krank. Als Begründung für das stete Herabsetzen der Cholesterinwerte wird angeführt, dass Menschen mit höheren Cholesterinwerten mehr Herzinfarkte haben als die mit niedrigeren Werten. Das ist richtig. Aber vermutlich werden hier Dinge miteinander korreliert, die nicht zusammengehören, was auch von kritischen Medizinern bemängelt wird.6,7 Ein junger Mensch hat von Natur aus viel niedrigere Cholesterinwerte als ein älterer Mensch und in der Regel keine Herzinfarkte. Das hat aber mit großer Wahrscheinlichkeit mit seinen noch jungen, ungeschädigten Blutgefäßen zu tun und nicht mit den niedrigen Cholesterinwerten. Bekommen Menschen ab vierzig häufiger einen Herzinfarkt, weil sie natürlicherweise höhere Cholesterinwerte haben oder weil sie inzwischen älter und vielleicht noch andere Faktoren mit im Spiel sind?

Bei der Behandlung von Risikofaktoren spielen natürlich wirt