Was immer euch versprochen wird oder: Vielleicht sollten wir anfangen zu beten - Ulrich Frohriep - E-Book

Was immer euch versprochen wird oder: Vielleicht sollten wir anfangen zu beten E-Book

Ulrich Frohriep

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Beschreibung

Jegliche Zeit hat ihre Geschichten. Diese erzählt von Menschen, die Verbrechen begehen und Verbrechen zum Opfer fallen. Verbrechen, die der Einzelne nicht immer als solche erkennt, wenn sie gesellschaftliche Normalität, Norm, geworden sind. Die zehn Gebote gehören der Vergangenheit an. Die Figuren der Handlung allerdings sind erfunden. Sollte jemand glauben, er selbst sei gemeint, ihm sei versichert, er ist es nicht. Er passt nur in ein Raster. Dafür kann der Autor nicht. Er kann nicht dafür belangt werden, dass uns solche Menschen in der Realität begegnen. Und das jeden Tag.

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Impressum

Ulrich Frohriep

Was immer euch versprochen wird

oder

Vielleicht sollten wir anfangen zu beten

Kriminalerzählung

ISBN 978-3-96521-878-9 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

Das Buch erschien erstmals 2005 im BS-Verlag, Rostock.

2023 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

Sanfte hügelige Landschaft, Wiesen, Wälder, Seen, ein Fluss schlängelt sich durch Überschwemmungsgebiet. Wasserflächen mit Segelbooten, vielleicht ein kleiner Frachter zwischen Rügen und dem Festland, ein Idyll. In der Ferne die Werft, die Ziegelgrabenbrücke. Wir leben in einem schönen Land. Es wird dunkel. Die Lichter auf den Booten im Jachthafen verlöschen. Wir leben in einem friedlichen Land.

Landstraße

Ja, sagte Katharina, gleich bin ich zu Hause. Zu Hause: ein Bett, ein Buch, ein Telefon, das zur Unzeit zu läuten pflegte, ein heißer Tee, die Akten für morgen, und Bereitschaft hatte sie ohnehin. Trotzdem, sie war den Tag unterwegs gewesen, jetzt war es Abend, und da vorn war eine Tankstelle. Gleich war sie zu Hause. Sie bog ein.

Die Tankstelle war leer bis auf zwei Autos, an denen Jugendliche herumstanden. Sie beachtete sie nicht. Sie tankte, schob ihre Karte in die Nachtschalterklappe, bekam sie zurück, ging zu ihrem Auto und fuhr los.

Sie hatte aber doch noch die Bewegung gesehen, hatte gesehen, wie die Jungen ihr nachblickten, wie sie in ihre Autos sprangen. Sie gab Gas.

Sie kannte die Strecke durch den Wald gut, aber sie war zu müde, um durch die Kurven mit Vollgas fahren zu können. Und sie wusste, dass man mit tiefergelegten Wagen hier schneller war. Im Rückspiegel sah sie, wie die Scheinwerfer näher kamen, die Jungen fuhren nebeneinander, sie hatten ihren Spaß daran, sie zu jagen. Aber Katharina wusste auch, wie schnell aus Spaß Ernst wird. Und dann fuhren sie sehr dicht auf, der eine direkt an ihrer Stoßstange. Sie verriegelte die Türen, fasste das Lenkrad fester, in ihrem Gesicht war nun keine Müdigkeit mehr. Dann zog der eine Wagen mit aufheulendem Motor an ihr vorbei, gewann einen ordentlichen Vorsprung. Der Wagen hinter ihr wurde langsamer. Der Wagen vor ihr bremste, schleuderte, kam quer zur Fahrbahn zum Stehen. Sie machten das nicht zum ersten Mal. Die Türen flogen auf.

Katharina bremste heftig, stand. Der Wagen hielt zwanzig Meter vor ihr, zwei Jungen sprangen heraus, in den Händen Baseballschläger. Es war Ernst. Was sie nicht wusste, war, ob diese Begegnung Zufall war oder ob man ihr aufgelauert hatte. Der Wagen hinter ihr hatte ebenfalls angehalten, und zwei Jungen kamen langsam von hinten, auch sie hatten Knüppel in der Hand. Katharina verzog keine Miene, legte den Gang ein und trat aufs Gaspedal. Die Jugendlichen vor ihr retteten sich mit einem Hechtsprung, ein Schlag traf noch die rechte Seite der Windschutzscheibe, sie zielte mit ihrem Wagen auf den hinteren Kotflügel des vor ihr stehenden Autos, rammte den Kotflügel, ihr Auto schob das der Jugendlichen beiseite, sie glich das Schleudern aus und war durch.

Wir sehen uns noch, sagte Katharina und schaltete hoch. Wir sehen uns: jeden Tag. Aber ich will mal nicht so sein. Auch eure Akten werden sehr aufmerksam gelesen werden. Unsere Justizvollzugsanstalten sind zwar voll, aber ein paar von euch gehen noch rein. Und so beantrage ich wegen schweren Raubüberfalls … Sie lächelte. Dann zogen Gesichter an ihr vorbei, die ungläubig auf sie sahen, die es nicht begreifen konnten, dass ihre Tat Folgen hatte, die es auch nicht begreifen konnten, dass sie erwischt worden waren, wo sie sich doch so clever angestellt hatten.

Ein paar Jahre vorher, sie war fünfundzwanzig und hatte ihr Studium beendet. Brav aufgereiht saßen die Exmatrikulanten auf ihren Stühlen, fein herausgeputzt, aufgeregt, manches der Mädchen hatte ein Taschentuch in der Faust zerknüllt. Neben dem Rednerpult ein Streichquartett. Am Pult der Fakultätsdirektor. Er sagte, was immer zu sagen war, wenn ein neuer Jahrgang Juristen in die Welt geschickt wurde, er hatte schon lange nicht mehr darüber nachgedacht: Und Sie, meine Damen und Herren, dürfen fortan mithelfen, dass  in diesem aufblühende Land weiterhin Recht und Gesetz dafür sorgen, unser aller Leben lebenswert zu gestalten. Er machte ein bedeutendes Gesicht, blickte sich um zu den Musikern, das war ihr Einsatz.

Und seitdem wühlte Katherina sich durch Aktenberge, war müde geworden mit der Zeit, und hin und wieder blickte sie auf und sah nichts. Murmelte: So beantrage ich wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung …

Wohin führt das!

Sie kam aus dem Wald heraus und geriet in eine Polizeikontrolle. Wurde herausgewunken. Sie hielt an. Vor ihr mehrere Fahrzeuge, das Polizeiaufgebot war nicht klein. Zwei Polizeibeamte näherten sich. Der Blick des einen fiel auf die Demolierungen. Sie ließ das Fenster auf einen Schlitz herunter. Sie war müde.

Ihre Fahrzeugpapiere bitte. Der Beamte war höflich.

Im Handschuhfach.

Lassen Sie man. Er gab dem zweiten einen Wink. Der zweite Beamte ging um das Fahrzeug, wollte die Beifahrertür öffnen, die war noch verriegelt.

Die will uns verarschen, oder was. Dieser Beamte war nicht höflich.

Katharina entriegelte die Tür. Murmelte: Entschuldigung.

Der Beamte öffnete die Beifahrertür, öffnete das Handschuhfach, griff hinein, zog eine Pistole daraus hervor und war blitzschnell aus dem Auto heraus. Er zog seine eigene Waffe und entsicherte sie. Sagte: So was! Sie hat eine Pistole.

Steigen Sie bitte aus, sagte der erste, immer noch höflich.

Katharina stieg aus. Der zweite hielt Abstand, die zwei Waffen in seinen Händen zitterten merklich.

Der erste sagte: Hände auf das Dach.

Katharina folgte der Aufforderung. Der Beamte tastete sie ab. Sagte: Fahrzeugpapiere, Waffenschein.

Im Handschuhfach.

Der zweite steckte die fremde Pistole ein und holte eine kleine Tasche aus dem Handschuhfach, zog Papiere heraus. Ging um den Wagen, um die Nummer zu vergleichen.

Das ist ein Wagen der Staatsanwaltschaft.

Katharina antwortete nicht.

Der erste, eigentlich immer noch höflich: Sie arbeiten bei der Staatsanwaltschaft?

Ja, sagte Katharina. Und bevor Sie weiter fragen, ich bin Staatsanwältin. Und bevor Sie noch weiter fragen, die rechte Frontpartie des Autos ist eben erst kaputtgegangen, die Scheibe auch. Wenn Sie sich beeilen … Nein, brauchen Sie nicht. Da sind sie schon.

Die Wagen der Jugendlichen jagten nebeneinander heran, machten Vollbremsungen, drehten sich mit quietschenden Rädern in die Gegenrichtung und heulten davon.

Kann ich meine Hände wieder runternehmen?

Der erste Beamte sprach etwas in sein Funkgerät, und zwei Polizeiwagen lösten sich aus dem Hintergrund und jagten den beiden davonfahrenden Wagen nach, folgten den fernen Rücklichtern der Fliehenden. Eine Schweinerotte überquerte die Straße. Der erste Wagen bremste scharf, der zweite fuhr auf und schob den ersten in den Graben, der landete auf dem Dach.

Katharina und die beiden Polizeibeamten sahen den Autos nach, sahen, wie sie karambolierten. Sie schüttelte den Kopf.

Wollen Sie Anzeige erstatten?

Katharina lachte. Bei Ihnen oder bei mir?

Sie nahm ihre Sachen wieder an sich.

Der eine sagte: Wir tun hier unsere Pflicht.

Wer nicht? antwortete sie.

Sie stieg in ihr Auto, verstaute ihre Sachen wieder im Handschuhfach und fuhr aus der Polizeikontrolle heraus. Im Rückspiegel lange Zeit die Blaulichter. Sie sah auf die Uhr und machte dann eine CD an. Musik füllte das Auto. Sie summte mit. Nach Hause nun.

Vier Stunden später ging das Telefon.

Jachthafen

Wind pfiff durch die Fallen und Stage. Irgendwo klatschte penetrant ein Draht gegen einen Mast. Die Marina war kaum beleuchtet. Am Kopf eines der Stege lag eine größere Motorjacht. In der Kajüte war ein wenig Licht. In einer der Schlafkabinen zwei Menschen. Ein Mann und eine Frau. Der Mann lag wach, wickelte sich aus den Decken, deckte ein schlankes Bein mit auf, einen Popo, ganz hübsch, die Frau gurrte, er stand auf und ging, groß und nackt und schwer und nicht mehr ganz jung, in die Kajüte, nahm einen Schluck aus einer Flasche, zog einen Bademantel über, den er offen ließ, ging den Niedergang hinauf, stellte sich an die Reling, pinkelte erleichtert einen guten Strahl, schloss den Bademantel, hörte etwas von Land her, er konnte es nicht genau ausmachen, er lauschte. Dann ein Schrei, und der hörte sich an, als wenn ein Tier abgestochen wird. Dann war Stille, nur die Geräusche des Windes und des Wassers an den Booten und das Klatschen des Falles gegen einen Mast. Er wartete noch eine Weile, dann ging er den Niedergang hinunter in die Kajüte, setzte sich hin, schaute zu der Frau, die sehr jung war, er sah auf das Handy auf dem Tisch, er horchte nach draußen auf das Pfeifen des Windes in den Takellagen. Es war ein Schrei gewesen. Aber es berührte ihn nicht. Ihn berührte nichts. Er hatte es geschafft.

Er lächelte wieder in die Fernsehkamera, nichts tat er lieber, als in eine Kamera zu lächeln. Wenn er in die Kamera sah, stellte er fest, er lebte, er stand im Mittelpunkt. Man sah zu ihm auf, zu ihm.

Und so sollte es auch sein.

Vor zwei Jahren, auf der Wahlparty, nahm er die Glückwünsche seiner Anhänger entgegen. Er strahlte in eine Kamera. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Aber die Leute sahen ihn gern so. Er war davon überzeugt. Und er hatte allen Grund zu strahlen.

Die Moderatorin, die kannte er noch nicht. Aber was nicht war, konnte werden. Auch sie lächelte ihn an, als sie sagte: Jetzt sprechen wir endlich mit dem Mann des Tages, denn er hat seinen Wahlkreis so hoch gewonnen wie im ganzen Land niemand mehr: Armin Meier. Herr Meier, Sie sind hier der Stadtvertretervorsteher, der Kreistagspräsident, und nun ziehen Sie in den Landtag ein. Da kommt doch eine Menge Arbeit, aber auch eine Fülle von Macht und Einfluss in dieser Region in einer Hand zusammen?

Armin strahlte in die Kamera. Danke. Danke. Aber das habe ich nicht mir allein zu verdanken, sondern den vielen, vielen Menschen in Stadt und Land, die in mich ihr Vertrauen gesetzt haben. Dafür möchte ich mich bedanken. Und ich verspreche …

Die Moderatorin war neu, und sie verschluckte sich fast bei ihrem nächsten Satz. Sie versprechen ihren Wählern? Was?

Diese Region, sagte er, wird eine aufstrebende Region werden. Dafür werde ich alles tun. Das verspreche ich.

Er umarmte seine Frau Anna, die wie zufällig vor der Kamera erschienen war: ein glückliches Paar. Man sah es.

Wir leben in einem schönen Land. Aber wir sind ein armes Land. Wir werden Programme auflegen, damit sich das ändert. Wir werden neue Arbeitsplätze schaffen. Wir werden die Sozialhilfeempfänger wieder in Arbeit bringen. Wir werden die Region bekannt machen im Bund und in Europa. Wir werden die Wirtschaft ankurbeln.

Sie werden einer von vielen Abgeordneten sein. Und Sie sind in der Opposition.

Wir werden es schaffen. Und wir werden nicht immer Opposition sein.

Ich möchte noch einmal auf meine Eingangsfrage zurückkommen.

Später, sagte Armin Meier und grinste in die Kamera. Später ist mehr Zeit.

Die Moderatorin lächelte spöttisch, was er nicht bemerkte, und sagte, was sie sagen musste: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Und Armin Meier lächelte sie an.

Der fette Mann in seinem Bademantel saß immer noch am Tisch. Das Handy lag immer noch dort. Der Wind heulte, und er nahm die Flasche, füllte einen Schluck in ein Glas und trank. Er sah auf das Mädchen, das so dalag, wie er es verlassen hatte.

Dann sagte er laut: Ja, ich habe es geschafft. Und nur das ist wichtig. Nur das.

Er trank das Glas aus, den Blick auf den Rücken des Mädchens gerichtet, einen ausnehmend schönen Rücken, einen anziehenden Rücken, einen aufregenden Rücken, und da hört er den Schrei durch den Wind und sieht, wie ein Mann nach einer Frau greift, ihr die Bluse herunterfetzt, sich auf sie wirft, wie sie den Mund aufreißt, schreit, wie das Entsetzen in ihre Augen unerträglich wird, wie endlich der Mann das Messer nimmt und es der Frau durch die Kehle zieht …